Marcus Haas

 

Außer Reichweite

 

1. Teil: Suche nach Jason

 

 

Ein beunruhigender Fund

 

Die Käfer hörte man oft im Wald, dachte Michael im Dunkel der Notbeleuchtung. Aber man sah sie selten, wenn sich nicht gerade einer auf die Scheibe verirrt hatte. Die kleinen Tiere, ob reptilienartig, oder behaart wie Säugetiere, manche mit Flughäuten, andere mit langen Krallen oder gar Federn konnte man gelegentlich entdecken. Ihr Schreien und Grunzen mischte sich immer wieder zwischen das Gebrumm der Insekten. Selten aber sah oder hörte man die großen Tiere, sie waren scheu und hielten sich fern von allem, was größer war als sie selbst. Man sah sie nie, niemals lebend, aber Knochen und ausgebleichte Gerippe konnte man mit guten Augen durchaus im Unterholz erblicken. Es gab demnach Jäger, die schneller waren als diese Geschöpfe, mit ihren platten Schädeln und den großen Augenhöhlen. Es gab wohl auch, Pflanzenfresser hier unten, abgenagte Büsche und fehlende Baumrinde wiesen darauf hin.

Und es gab den großen Jäger, von dem die anderen Piloten in den Bars und Kneipen der Stadt erzählten, aber Michael glaubte die Geschichten nicht, er musste es selbst sehen. Mit einem Foto würde man viel Geld machen können, aber Michael besaß nur eine billige digitale Kamera, die nur mit Mühe die nötige Lichtstärke würde aufbringen können.

"Kannst du auch, nicht schlafen?" Flüsterte  mit einem Male die Stimme Melissas.

"Nein, Hans wollte, dass ich die erste Wache übernehme." Er schaltete den Monitor ein, auch, Melissa saß in ihrem Cockpit und hatte die Beleuchtung heruntergedreht, sie trug jetzt so etwas wie ein Nachthemd, soweit Michael das erkennen konnte.

"Hältst du Ausschau nach dem Wolf?" Erkundigte Sie sich.

"Ein Wolf? Ich dachte, es sei viel größer."

"Na gut, aber es hat den Kopf eines Wolfes, aber der soll dafür allein schon so groß sein wie ... ich weiß auch, nicht, aber verdammt groß jedenfalls!" Sie deute mit den Händen, wie groß sie glaubte, dass der Schädel sei, korrigierte sich aber rasch und streckte die Arme noch ein Stückchen mehr.

"Hast du schon einen gesehen?"

"Nein, ich glaube, niemand hat das wirklich. Aber ich halte Ausschau, wenn ich kann."

Und in dieser Nacht sahen sie auch, keine größeren Tiere mehr, und der nächste Tag verstrich ebenso ereignislos wie der Letzte, sie führten eine Routineanalyse durch und starrten in das Dämmerlicht des Waldes.

Hans hatte die Scheinwerfer eingeschaltet, ihre Helligkeit bohrte sich durch das Halbdunkel des Dschungels. Die Sicht ganz passabel, einige Insekten schwirrten im Lichtkegel, hin und wieder schnappte ein Fressfeind dazwischen. Es passierte nichts Aufregendes.

Es brach die zweite Nacht an. Das Gelände hatte sich gebessert, obwohl sie den ausgetretenen Pfad vor einigen Stunden verlassen hatten, die Abkürzung würde ihnen mehr als drei Stunden zusätzliche Freizeit bescheren. Heute war keine Wache angesetzt, aber Michael hatte einen langen Mittagsschlaf gehalten und war jetzt hell wach. Die Beleuchtung war wieder gedimmt und zusehends wurde es dunkler, als die beiden Sonnen hinter einem unsichtbaren Horizont verschwanden. Das Jua-Sonnensystem war durchaus kein Außergewöhnliches, es gab viele Systeme mit Planeten und viele waren durchaus bewohnbar, selbst Doppelsternsysteme waren nichts Ungewöhnliches. Doppelsterne mit Planeten, die bewohnbar waren, kamen allerdings seltener vor, da oft die Bahnen der Planeten nicht gleichmäßig genug waren, um ein stabiles Klima zu ermöglichen. Das Jua-System war hier eine Ausnahme, die Zentralgestirne umkreisten einander eng genug, um stabile Planetenbahnen zu gewährleisten. Neben dem einzigen bewohnbaren Planeten Situkubwa gab es  in diesem Sonnensystem noch zwei heiße Gesteinsbrocken und drei Gasriesen.

Ein Grölen schreckte Michael auf, hell wach blickte er sich um, es war nichts zu sehen. Halt war da nicht ein Schatten.

"Was war das?" Meldete sich Mel über die Kabelverbindung.

"Ich weiß nicht," flüsterten Michael, obwohl sie draußen niemand hören konnte.

"Schalt deine Kamera ein, ich möchte auch, was sehen. Ellie verdeckt mir die Sicht."

"Ja, einen Moment." Michael stöpselte seine Kamera in den Digitaleingang und optimierte Helligkeit und Schärfe.

"Wie ist das Bild?"

"Etwas dunkel, aber besser als nichts."

"Schhht, schau nach rechts!" Flüsterte Michael und versuchte die Kamera in eine bessere Position zu bringen.

"Wow!" Das war alles, was Melissa von sich gab, und sie war sonst ganz und gar nicht auf den Mund gefallen. Im Moment brauchte sie ihn allerdings, um ihn vor Staunen nicht wieder schließen zu können.

Hinter einem der Baumriesen war es gerade aufgetaucht, den Kopf tief in einem Kadaver vergraben ließ es sich wenigstens im Moment von den vorbeischreitenden Containercarriern nicht beeindrucken. Zwei weitere Tiere hatten ihre Körper in der Nähe ausgestreckt und schienen einen Verdauungsschlaf zu halten. Das fressende Tier zog jetzt seinen Kopf aus der Bauchhöhle seines Opfers und grölte ein weiteres Mal. Seine Augen, so groß wie Melonen, stierten in die Dunkelheit und zwischen den konischen gelben Zähnen hingen noch Fetzen von Eingeweiden des erlegten Tieres, welches leider so lag, dass man nichts deutlich erkennen konnte.

Michael starrte wie hypnotisiert auf die Gruppe von Tieren und versuchte sich jedes Detail einzuprägen. Der Fleischfresser erinnerte mit seinem über eine Länge von drei Metern abfallenden Rücken etwas an eine Hyäne, mit Beinen von der Stärke kleinerer Bäume und Krallen, die sich gefährlich ins Erdreich bohrten. Das Fell schien in der Nacht schwarz zu sein, dicht und in Wellen breitete es sich über den massigen Körper aus. Die Handteller großen Ohren lauschten, sich in flinken Bewegungen wendend, in die Nacht hinein, nicht um Feinde zu orten, sondern eher um eine Antwort auf seinen Ruf zu erhaschen.

Der Kopf des Tieres war für sich allein genommen wirklich groß, aber an dem massigen Körper hängend wirkte er beinahe zu klein für diese gewaltigen Geschöpfe. Auch der Hals war so massig und muskulös, dass man ihn selbst mit langen Armen wohl nur schwer würde umfassen können.

"Ich glaub ich muss mich gleich übergeben", flüsterte Melissa, als das Tier erneut große Fetzen aus seinem Opfer herausriss.

"Es war wohl ein Jungtier", bemerkte Michael, als die Tiere hinter ihnen wieder in Unterholz verschwanden, die beiden dösenden Tiere waren noch größer.

"Was für Tischmanieren! Hast du Fotos gemacht?" Wollte Melissa aufgeregt wissen, sie war ja auch, schon einige Jahre Pilotin, aber so was hatte sie auch, noch nicht erlebt.

"Ja, hab' ich. Mel!" Das Adrenalin strömte durch Michaels Körper, dass er Probleme hatte, ruhig in seinem Sessel zu sitzen, das musste Hans unbedingt sehen, am liebsten hätte er seinen Boss gleich geweckt. Aber Michael überlegte es sich nochmal, es hätte eigentlich keinen Sinn den Alten mitten in der Nacht zu wecken, er würde genauso emotionslos reagieren, wie es auch, am nächsten Morgen zu erwarten gewesen wäre. Eher war zu erwarten, dass er sich noch wegen der unterbrochenen Nachtruhe beschweren würde.

"Nett", musste Hans dann zugeben, als ihm die Fotos am darauf folgenden Tag gezeigt wurden. Die nächtliche Dunkelheit hatte wieder mit dem schummrigen Licht des Tages getauscht und Hans blätterte am Videotisch durch die Serie von Bildern, während Melissa und Michael ihm gleichzeitig und einander unterbrechend erzählten, was vorgefallen war. Hans hörte aufmerksam zu, aber es war nicht zu erkennen, dass er die Begeisterung der beiden jungen Leute teilen würde. Er hatte in seinem Leben schon Aufregenderes gesehen und nach dem, was die beiden ihm sagten, hätte es auch, eine ganze Herde von wenigstens doppelt so großen Tieren seien können.

Mit einem Male wurden sie unterbrochen, die Transportvehicle stellten ihre langsame und gleichmäßige Fortbewegung ein und ein Glockenton machte darauf aufmerksam, dass ein Pilot in der Kanzel gebraucht wurde. In der Regel war das nichts Ungewöhnliches, ein umgestürzter Baum oder schlammiger Boden, aber jetzt blieb Michael beinahe das Herz stehen.

Melissa schaltete den Monitor auf Michaels Kamera um, die immer noch auf dem Armaturenbrett Ellies montiert war. Etwa hundert Meter vor ihnen versperrte eine gigantische Wand den Blick nach vorn, es war ein Transporter, er hatte starke Schlagseite, sodass das hintere linke Bein die Erde nicht mehr berührte. Sie näherten sich von rechts hinten, und im Bodennebel des Morgens konnte man erahnen, dass sich die rechte Vorderkante tief ins Erdreich gebohrt hatte. Ein Bein schien völlig zu fehlen, die beiden mittleren waren schwer beschädigt und nicht in der Lage die Plattform zu halten.

Hans ließ den Konvoi langsam bis auf  zwanzig Meter heran wandern. "Was ist denn hier passiert?"

"Das ist Daisy, Jasons Transporter." Rief Melissa, sie erkannte den Lastträger sofort an der blassgrünen Farbe des Unterbaus.

"Wir sehen uns das an!" bestimmte Hans lakonisch. Natürlich hatte er recht, aber in Michaels Magen zog sich irgendetwas zusammen sie waren schließlich erst 25 Kilometer von der Stelle entfernt, wo sie in der Nacht zuvor den Fleischfresser beobachtet hatten.

"Mel, wir treffen uns in zwei Stunden  zwischen Kunibert und Ellie, wenn sich der Nebel verzogen hat." Bestimmte Hans, wo er schon mal dabei war, Entscheidungen zu treffen. Er war Herr der Lage und nicht besonders beeindruckt, aber das konnte sich an diesem Morgen auf Situkubwa durchaus noch ändern.

 "In Ordnung, bis gleich!" Damit schaltete Mel sich ab, Hans war der Dienstälteste. Es war ganz natürlich, dass er jetzt das Kommando übernahm. "Michael, du nimmst das Projektilgewehr, ich nehm' den Erste Hilfe Koffer."

Beide fuhren mit dem Fahrstuhl in den Lagerraum oberhalb der Wohnquartiere, hier befand sich alles, was man brauchte, um im Regenwald wenigstens eine Chance zum Überleben zu haben, wenn der Transport doch einmal streiken sollte.

Sie packten die Sachen in  den Fahrstuhl und machten sich daran die Ausrüstung zu kontrollieren. Da draußen musste alles einwandfrei funktionieren, jeder war für seine Sachen verantwortlich und damit auch, dafür, dass sich der Partner auf einen verlassen konnte. Michael kontrollierte das Gewehr, es gab auch, Strahlenwaffen, aber der Energieverbrauch, war so groß, dass man sie nur für militärische Zwecke einsetzte. Das Projektilgewehr hatte eine ausreichende Durchschlagskraft und mit 30 Schuss würde man eine Weile hinkommen - wenn man nicht in Panik geriet.

Wollte man mitten in Wald den Transporter verlassen, so war die richtige Bekleidung überlebensnotwendig, Sie bestand aus einer modifizierten Version des üblichen Raumanzuges. Schwarzes Kohlefasergewebe bildete die Außenhaut, es war ungefähr so zäh, wie ein halber Zentimeter Edelstahl, aber leichter zu tragen. Darunter trug man Unterwäsche aus speziellem Gewebe, das so gearbeitet war, dass der Kapillareffekt den Schweiß abtransportieren konnte und gleichzeitig ein angenehmes Gefühl der Kühle vermittelte, wenigstens für die ersten Stunden. Das reichte im Weltraum meistens aus, im Urwald konnte es, bei Überschreiten der knapp kalkulierten Zeit, aber leicht zu warm werden, oder zu kühl, das war nicht immer vorhersagbar.

Die schweren Stiefel erhielten durch eine Titanbeschichtung einen silbrig grauen Glanz, sie reichten  bis unter die Knie, aber man sollte trotzdem aufpassen, wohin man trat.

Der Helm, bestand aus einer klassisch anmutenden Plexiglaskugel, mit im Sichtfeld integriertem LCD Elementen, die dem Träger stets nützliche Informationen über Systemstatus und Lebenserhaltungssysteme gaben.

Dann war es soweit, die Expeditionsteilnehmer trafen sich in der Wildnis, alle Systeme zeigten grünes Licht, und die Bewegungsmelder zeigten keine Gefahren an. Nicht sehr verwunderlich, standen sie doch zwischen den beiden Carriern wie zwischen Hochhäusern und rings herum die Baumriesen. Das Unterholz allein würde einem Wald der Erde alle Ehre machen, aber auf der Erde gab es davon nicht mehr viele.

"Also los!" Melissa stapfte voran, mit den Händen hielt sie ein Gewehr schussbereit und entsichert und auf dem Rücken, unter dem Atemfilter einen Rucksack.

In der Mitte mühte sich Hans durch den weichen Boden, eine Betäubungspistole in der linken und den Erste Hilfe Koffer in der rechten Pranke, Michael bildete die Nachhut.

Sie bewegten sich vorsichtig um den Frachter herum. Ein großer Teil der rechten Ecke war wie es schien durch eine verheerende Explosion zerfetzt worden. Im ersten Container klaffte ein Loch, es hatte beinahe die halbe Wand aufgerissen, und ein Teil des Behälters war von Flammen geschwärzt worden, wie sie erkennen konnten, als Melissa mit ihrer Taschenlampe hineinleuchtete.

"Ich frage mich, was hier wohl explodiert sein könnte?"

Sie bekam keine Antwort, die beiden Männer hatten keine. Es gab keine Hinweise auf eine Fehlfunktion der Trägereinheit und diese wäre auch, niemals in die Luft geflogen, es blieben aber andere Möglichkeiten, wie Sprengstoff, etwas weit hergeholt, oder eine andere explosive Fracht. Wer konnte das schon von hier unten und ohne den nötigen Sachverstand sagen.

"Kommt, wir wollen sehen, ob wir das Ding senkrecht kriegen. Die Polizei von Mjidogo sollte sich das ansehen." Überlegte Hans, knurrig, er hielt nicht viel von den Vertretern des Gesetzes.

"Ja, du hast recht, das zweite Bein scheint nur Hydraulikflüssigkeit verloren zu haben und das Dritte konnte dann die Last nicht mehr rechtzeitig auffangen und ist eingeknickt", stimmte Melissa zu. Sie wusste wenig über Hans Vergangenheit und fragte auch, nicht, aber sie wusste, dass der Alte ein guter Pilot war.

Hier waren zwei erfahrene Piloten am Werk, wie auch, Michael schnell realisierte, Hand in Hand dichteten sie zunächst die frei liegenden Leitungen und dann notdürftig die Außenhülle mit einer Spezialfolie ab, die Melissa aus ihrem Rucksack gekramt hatte.

"Gute Arbeit!" Bescheinigten sie sich zwei Stunden später unisono.

"Mitch, würdest du bitte das Computersystem reinizialisieren."

"Sicher!"

Die Plattform hatte sich mehr als einen halben Meter ins Erdreich gebohrt, sodass Michael sich tief bücken musste, um zwischen den beiden Beinen hindurchzukommen. Er zweifelte ein wenig daran, dass die Hydraulik das schaffen würde, immerhin wog so ein Transporter voll beladen hunderte von Tonnen. Die Glieder auf der anderen Seite schienen in Ordnung zu sein, auch, wenn sie sich unter der Belastung etwas nach außen beugten. Michael fand und Aktivierte das Display, die Diagnose offenbarte keine grundsätzlichen Schwierigkeiten, Acht Beine, das bedeutete ein gewisses Maß an Redundanz, so war je eins der vier Glieder auf jeder Seite war verzichtbar. Sie würden sehen, ob das wirklich zutraf. Die Ingenieure hatten aber, allem Anschein nach, ganze Arbeit geleistet. Der Computer bestätigte die Dichtigkeit von Glied vr2 und den Verlust von vr1 und begann im Anschluss, wieder Hydraulikflüssigkeit in die reparierten Systeme zu pumpen. Mehre tausend Tonnen wurden sachte emporgedrückt. Ein schmatzendes Geräusch echote durch den Dschungel, als sich der Koloss aus dem Schlamm hob. Plötzlich ein markerschütterndes Geräusch. Ein Heulen ließ bei Michael für einen Augenblick das Herz aussetzen. Das war nicht vom Transporter gekommen.

Er blickte sich um, es war nichts zu sehen, bewegte sich da etwas im Unterholz? Nein, das war Einbildung. Melissa und Hans standen bewegungslos, wo er sie verlassen hatte, Hans legte seinen Finger auf seinen Helm, in Höhe des Mundes, Michael verstand, kein Ton jetzt. Schritt für Schritt schlich er zurück, teilweise rückwärts, um nicht von hinten angefallen zu werden und nahm das Gewehr wieder vor die Brust, welches er sich beim Bedienen des Computers über die Schulter gehängt hatte.

Dann stieß er gegen etwas Weiches, wirbelte herum und stürzte. Auf dem Rücken liegend bemerkte er, dass es Melissa war, die ihm den Weg versperrt hatte, ihm war elend zumute, als er sich mit ihrer helfenden Hand wieder aufrappelte.

"Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt!" Murmelte sie kaum hörbar. Ein erneutes Grölen durchbrach die Ruhe. Aus einer anderen Richtung? Das war hier im Wald kaum festzustellen. Würden sich die Tiere zurückziehen, wenn sich hier nichts bewegte, oder hatten sie Geduld.

Das Warten war das Schlimmste, alle zehn Minuten ein Schrei, dumpf grollend und scheinbar jedes mal etwas näher, worauf warteten diese Biester, das war kein Festmahl hier, höchstens ein Leckerbissen zwischendurch. Es war wirklich nicht nötig die ganze Sippe zusammenzurufen.

Mel blickte bedeutungsvoll zum gähnenden Loch hinauf, das sich jetzt schon wieder einen Meter über dem Boden befand. Ob es das Feuer war, das die Biester abwarten ließ. Vielleicht waren sie dabei gewesen, wenn man sie nur fragen könnte, dachte Melissa bei sich. Sie bedeutete den anderen, ihr zu folgen.

"Da oben sind wir in einer besseren Position." Hauchte sie, heiser vor Angst. Die zerrissenen Kanten der Plattform und die jetzt überbrückten Kabel und Leitungen gaben guten Halt beim Klettern, aber vor den spitzen Kanten musste man sich in acht nehmen. Melissa machte den Anfang und sicherte von oben, Hans und Michael folgten zusammen hinterher. Eine beinahe zwanzig Meter breite, klaffende Öffnung war nicht gerade leicht zu verteidigen, wenn es denn so weit kommen sollte. Aber es war immer noch einfacher, als in offenem Gelände, und es blieb die Hoffnung, dass die Biester nicht klettern konnten. Es musste schon fast Mittagszeit sein, als kurz hintereinander zwei mal das charakteristische Brüllen durch den Wald hallte. Sie hatten sich in die hinterste Ecke des Containers zurückgezogen, der, soweit sie das in den Trümmern erkennen konnten, keine Ladung mehr enthielt. "Sie töten ihre Opfer wohl, indem sie sie zu Tode erschrecken", flüsterte Michael. Beinahe hätte Hans lachen müssen.

Plötzlich lugte eines dieser melonengroßen Augen mitsamt dem zugehörigen Kopf  über den Rand. Und verschwand fast ebenso schnell wieder, um eine Höhe von fünf Metern zu erreichen, hatte es sich auf die Hinterbeine gestellt, was eine durchaus beeindruckende Leistung war. Die Drei waren in diesem Augenblick zu Tode erschrocken, aber das Monster schien sich nicht weiter für sie zu interessieren, sie passten sicher nicht in sein Beuteschema.

Das Grunzen von mehreren Individuen vor der viel zu großen Öffnung war jetzt deutlich zu unterscheiden, aber keines machte Anstalten, noch einmal zu ihnen, hineinzuschauen. Weitere drei Stunden vergingen, ohne das sich etwas rührte, Michael nahm all seinen Mut zusammen setzte lautlos einen gummibesohlten Stiefel vor den anderen, waren sie wieder verschwunden? Wohl kaum, das Grunzen und Röcheln war doch allzu deutlich.

Sieben Stück erspähte er bei seiner waghalsigen Mission, teilweise dösten sie träge. Zwei suhlten sich im Schlammwasser, das sich in der vom Transporter gerissenen Kuhle gesammelt hatte. Ihre potenzielle Beute im Container hatten sie ganz vergessen.

 "Die wollen gar nichts von uns! Sie wollen nur ihre Ruhe." Verkündete er leise, als er ebenso vorsichtig zu den anderen zurückgekehrt war.

"Und was heißt das für uns?" Fragte Melissa leise.

"Ich würde sagen, wir brauchen nur zu warten, bis sie sich wieder verziehen." Erwiderte Michael leise, damit ihn diese Ungeheuer nicht hören konnten.

"Hast du eine Ahnung, wie lange das dauern kann?" Melissa war etwas skeptisch und konnte auch, nichts dabei finden, hier draußen in der Falle zu sitzen. Im Frachter war es jetzt viel angenehmer.

Nun saßen die Drei in der Ecke des leeren Containers und warteten. "Glaubst du, dass wir hier werden übernachten müssen!" Wandte sich die junge Frau nach ein paar Minuten an den alten Piloten, der, wusste sicher nicht mehr als sie, aber sie fragte ihn trotzdem.

"Ja", antwortete Hans knapp, Melissa hätte sich eigentlich eine etwas ausführlichere Antwort erhofft.

"Du meinst, wir müssen die Nacht draußen verbringen?"

"Hey Mitch, immerhin haben wir ein Dach über dem Kopf." Flachste Melissa, selbst nicht gerade begeistert von dem Gedanken, sie versuchte zu lächeln, aber es sah ein wenig verkrampf aus.

Hans schien nicht sehr beeindruckt zu sein, als wäre es das alltägliche Brot eines Piloten, mit wilden Tieren vor der Wohnung zu schlafen. "Ich schau mich um! Kein Frachtgut, find ich seltsam!" Raunte Hans nachdenklich und fast unverständlich.

"Was meinst du damit?"

"Wär' doch eine Verschwendung, leere Container zu schicken. Hier muss was drin gewesen sein!" erklärte Hans der jungen Frau.

Etwas Ablenkung tat den Dreien ganz gut, vorsichtig, ohne den Lichtstrahl aus dem Container schweifen zu lassen, leuchtete Melissa mit ihrer Taschenlampe die Wände ab.

"Ich seh' nichts Besonderes, alles rußig von der Explosion."

Allmählich wurde es draußen dunkler. "Mel, du und Michael, versucht zu schlafen, ich übernehme die erste Wache, in vier Stunden wecke ich dich, nach dir Michael, bis zum Morgengrauen!"

 "Ich glaube kaum, dass ich hier gut schlafen werde?"

"Nein, ich auch, nicht!" Stimmte Michael der Pilotin zu und rollte sich neben ihr in der hintersten Ecke des Containers zusammen, es gab kaum etwas Unbequemeres, als mit diesen Helmen zu schlafen.

In den ersten vier Stunden tat sich nichts. "Mel, komm schon Mel, wach auf, du bist dran."

"Ja, bin ja schon wach!" "Hier die Waffe. Weck uns, wenn die Biester sich verziehen. Ich will dann keine Zeit verlieren."

"OK!" Der Schlaf juckte Mel in den Augen, sie zwinkerte ein paar Mal, es würde schon irgendwie gehen.

Die Geschöpfe der Nacht trieben ihr Unwesen, stießen ihre Lockrufe aus, oder leuchteten im Dunkeln. Die Bestien schien das nicht zu beeindrucken, gelegentlich raffte sich eines auf, um ums Lager zu trotten, sonst passierte nichts Außerordentliches. Eine Stunde vor Wachablösung wurde die junge Frau jedoch auf eine Bewegung aufmerksam, das Tier, welches sich gerade auf Patrouille befand, gab einen pfeifenden Ton von sich, der nicht nur die anderen  aus seiner Gruppe weckte, sondern auch, Hans aus seinem leichten Schlaf riss.

Es war jetzt die Zeit der Jagd gekommen, mit donnernden Schritten hetzten die Jäger in den Wald hinein, wo in einigen Kilometern Entfernung, für die drei Menschen nicht wahrnehmbar, eine Gruppe Pflanzenfresser vorbeitrottete.

"Was ist los?" Murmelte Michael, noch schlaftrunken, er zwinkerte, um den Schlaf aus den Augen zu kriegen, diese Anzüge waren nicht dafür geschaffen worden eine ganze Nacht darin zu verbringen, er musste nötig mal zur Toilette.

"Ich weiß nicht, aber wenigstens sind sie weg!" Flüsterte Mel leise.

Ein paar Minuten nur, dann waren sie alle hell wach. Es galt, jetzt keine Zeit mehr zu verlieren. An einem Seil, das Melissa aus ihrem Rucksack suchte, gelang ihnen der Abstieg. Kurze Zeit später standen sie knietief in der Modderpfütze, unangenehm warm von den fremden Tieren, die hier den Tag vertrödelt hatten. Michael wollte gar nicht so genau wissen, was sich sonst noch so mit ihnen in dieser Pfütze befand, als er eine Bewegung knapp unter der Wasseroberfläche beobachtete. Schnell folgte er den anderen auf trockeneren Boden.

"Jetzt aber schnell wir haben fast einen ganzen Tag verloren. Wir nehmen Daisy mit. Michael, mach‘ das Kabel fertig. Mel, du gibst ihm Deckung. Ich suche Jason."

Aber da war nichts zu finden, Hans konnte auch, nicht feststellen, ob ein Überlebensanzug fehlte. Jason war spurlos verschwunden. Sie stellten Ellie und Kunibert vor Daisy und verlängerten ihren Konvoi, Daisy musste dabei unbemannt bleiben, niemand setzte sich gern in einen Carrier, der so lange offen gestanden hatte für all das Ungeziefer, das sich in der Wildnis herumtrieb. Sie kamen ganz gut voran und hatten am vorletzten Tag ihrer Reise, schon fast einen halben Tag wieder herausgeholt. Und für den wiedergefundenen Transporter könnte es sogar noch eine Versicherungsprämie geben, aber das war nicht die Hauptsache, viel schwerwiegender quälte die sie die Frage, was mit Daisys Pilot geschehen war.

Sie machten sich keine großen Hoffnungen das jemals herauszufinden, vielleicht gehörte er schon zu den unzähligen bleichen Knochen, die überall den Wald verzierten.

Spuren

 

Daphne saß vor ihrer Computerkonsole und wartete, dass die Verbindung aufgebaut wurde, es war doch nur ein einfaches Gespräch, von der Raumstation nach Malaikapia, das durfte doch nicht so lange dauern. Es sei denn, schoss es ihr durch den Kopf, man zog da unten erst mal Erkundigungen über sie ein.

"Hallo, Situkubwa Police Departement", meldete sich eine weibliche Stimme, mit einem an einen Frosch erinnernden Kopf. "Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?"

"Ich bin Daphne DeRochelle, die Tochter, von Jason DeRochelle. Würden Sie mich bitte mit jemandem verbinden, der mir sagen kann, was mit meinem Vater passiert ist.

"Einen Augenblick bitte." Ihr Kopf wurde wieder durch das Logo der Situkubwa Polizeidirektion ersetzt und wieder durfte Daphne warten, wäre sie dazu in der Lage gewesen, sie hätte wütend mit dem Fuß aufgestampft.

Schließlich erschien der Kopf eines Menschen, auf dem Bildschirm.

"Fräulein Daphne DeRochelle? Wie ich annehme."

Sie hätte ihm gerne etwas Unfreundliches über seine Überheblichkeit und antiquierte Ausdrucksweise an den Kopf geworfen hielt sich aber zurück, es fiel ihr schwer.

"Die bin ich, können Sie mir weiterhelfen?" Presste sie zwischen den Zähnen hervor.

"Sehr schön. Das kann ich zumindest versuchen, mein Fräulein." Sie war ja vieles, aber sicherlich nicht sein Fräulein.

"Danke, würden Sie mich dann bitte aufklären, was mit meinem Vater passiert ist."

"Er ist vor einer Reihe von Tagen verschwunden und gilt seitdem als vermisst."

"Das kann ja wohl noch nicht alles sein, was Sie mir zu sagen haben", erkundigte sie sich wütend, als der Inspektor keine Anstalten machte weiterzureden.

"Also, eigentlich schon, Fräulein DeRochelle, es tut mir sehr leid."

"Einen Moment, schalten Sie nicht gleich wieder ab!"

"Es tut mir leid." Seine Stimme klang jetzt sehr energisch. "Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, solange die Ermittlungen noch laufen."

"Was für Ermittlungen, ich dachte er würde nur vermisst. Kommen Sie, ich bin seine Tochter."

"Ich kann Ihnen nichts weiter sagen, auf Wiedersehen!" Dann wurde der Bildschirm Schwarz. Die Verbindung war unterbrochen worden.

"Was für ein Arschloch." Fluchte Daphne und machte eine Bras d' honneur.

Sie erreichten Mjidogo, am späten Nachmittag des siebten Tages, wo man sie noch gar nicht erwartete. Michael fragte sich, ob hier jemals irgendjemand erwartet wurde. Er hatte stets den Eindruck hier im Urwald sei den Leuten wirklich alles völlig gleichgültig. Sie gingen ihrer Arbeit nach und dachten daran eines Tages aus diesem Loch herauszukommen. Michael unterschied dabei nicht so genau, was er tatsächlich beobachte und inwieweit er seine eigenen Wünsche auf andere projizierte.

Daisy wurde bei der Hafenbehörde abgekoppelt, die Polizei würde sich von nun an darum kümmern. Michael warf einen Blick zurück, auf den Koloss, der so verlassen im Wald gestanden hatte. Irgendwie hatte er nicht das Gefühl, dass die Geschichte damit zu Ende war.

Der Hafen Mjidogos war bei weitem nicht so weitläufig, wie der Malaikapias. Gerade zwei Transporter konnten gleichzeitig abgefertigt werden, außerdem gab nur drei Landeplätze für die kleinen Atmosphärengleiter.

Das Leben spielte sich hier unter der Erde ab, weite hell erleuchtete Gänge hatte man in bis zu drei Etagen tief ins Erdreich gegraben. Titanium, war ein wichtiges Element beim Bau von Raumschiffen und Mjidogo so etwas wie eine wohlhabende kleine Goldgräberstadt. Alles war im Besitz der Titanium Mining Corporation, und in der Stadt lebten ausschließlich ihre Angestellten, sowie Händler und Barbesitzer, die für ihre Verkaufslizenzen viel Geld an die TMC abführen mussten, aber es lohnte sich selbst, wenn man hier gar nichts verkaufte.

Der Grund hierfür war eine etwas verwirrende Rechtslage. Die Minenarbeiter und noch nicht einmal all die Touristen, konnten alles Nachfragen, was hier angeboten wurde, aber in diesem Sektor des Sagittariusarmes der Milchstraße galt ein Gewerbe als legal, wenn es seinen Hauptsitz in einer Region hatte, in der es nicht verboten war. Mjidogo war Privatbesitz, deshalb galt hier Hausrecht, die TMC verbot es ihren Angestellten das oberste Stockwerk unter Androhung von fristloser Entlassung zu betreten, aber auf die großzügigen Mieteinnahmen, wollte man nicht verzichten. Am Anfang hatte man einfach vergessen illegales Gewerbe zu verbieten. Als dann immer mehr Händler die Gesetzeslücke entdeckten, begann man einfach zu kassieren und schon sehr bald beschloss man, die obere Etage auszubauen.

In der dritten Etage konnte man jedes Vergnügen kaufen, dass man sich vorstellen konnte, mit legalen oder auch, woanders verbotenen Drogen konnte man hier seinen Verstand verlieren, oder einen völlig neuen Gewinnen.

Dieser Markt war in einer beeindruckenden Halle untergebracht, die sich über alle drei Ebenen erstreckte und wie eine Spinne in alle Richtungen bis zu den verstreuten Wohnquartieren reichte. Viele Gäste kamen aus diesem und anderen Gründen hierher, sie mussten mit überteuerten und kleinen Hotelzimmern vorlieb nehmen, aber für die Frachtpiloten gab es eine kleine Pension in der unmittelbaren Nähe, des Marktes. Hier war es nie ruhig, aber die Preise, für eine Übernachtung, waren bezahlbar.

Melissa hatte, wie die beiden anderen, ein Einzelzimmer genommen, sie strich ihre langen dunklen Haare zurück und flocht sie zu einem Zopf zusammen. Den Inhalt ihres Seesacks hatte sie über das wackelige Bett verteilt. Gleich würde sie sich mit Mitch und Hans im "Drunken Miner", der bekanntesten Bar im Ort, zu treffen, und sie wollte nicht aussehen, als hätte sie in ihren Klamotten geschlafen. Aber so wie Mel gepackt hatte war die Auswahl an ordentlichen und präsentablen Klamotten sehr dürftig. Schließlich entschied sie sich für dunkle Leggings, ihre schwarzen Lederstiefel und ein Leinenkleid, das auch, ungebügelt noch ganz nett aussah.

Es klopfte, das war doch noch nicht Mitch, sie hatte doch noch eine halbe Stunde. Sie schob die Kette vor und öffnete, die Tür einen Spalt breit.

"Sie sind Melissa Yukawa?"

"Bin ich. Wieso?"

"Ich habe einen Brief für Sie, würden Sie hier verifizieren."

"Sicher." Sie drückte ihren Finger für die DNA-Analyse auf die Metallplatte und nahm die Datenkarte entgegen.

"Wer schreibt mir denn?"

"Weiß nicht. Auf Wiedersehen."

"Wiedersehen!" Sie schloss die Tür, er hätte ja auch, sagen können, dass sie nur ein Höschen trug, wie Melissa erst jetzt bemerkte. Sie setzte sich auf ihren Kleiderhaufen und kramte nach ihrem Lesegerät.

Es war eine Nachricht der Interplanetarian Transport and Delivery, ihrem Arbeitgeber. Sie sollte sich am nächsten Morgen im Gewerkschaftsbüro melden, was die junge Frau doch in nicht geringem Maße verwunderte, seit ihrer Einstellung vor sechs Jahren hatte sie die Gewerkschaft nur bemerkt, wenn diese den Mitgliedsbetrag abbuchte.

Es klopfte erneut. "Wer ist denn da?"

"Ich bin's, Michael, wir warten schon seit einer halben Stunde."

"Uh-oh, meine Uhr ist stehen geblieben, einen Moment, gib mir fünf Minuten!"

"Ja, lass dir Zeit."

Fünfzehn Minuten später öffnete Melissa die Tür, "Hast du auch, Post von der Gewerkschaft bekommen?"

"Ja, wird auch, mal Zeit für `ne Gehaltserhöhung."

"Ha ha, Mitch, seit sechs Jahren warte ich auf so etwas. Glaub mir, das ist bestimmt nicht der Grund."

Sie nahmen den Fahrstuhl, in die erste Ebene, alles war hell erleuchtet, bunt stachen die Auslagen der vielen Händler in die Augen. Hier gab es wirklich alles, was das man sich an nützlichen und unnützen Dingen vorstellen konnte. Schuhe, Bücher auf der einen Seite des breiten Boulevards, aber auch, Kleidung, Hightech, sowie Kräuterläden, Wahrsager und diverse Seltsamkeiten auf der anderen. Und auf den nächsten beiden Ebenen trieben es die Händler noch toller und teilweise nicht immer ganz jugendfrei. Kasinos und Bordelle reihten sich dort aneinander, zusammen mit Caféhäusern, wie die Drogenkaschemmen hier genannt wurden.

Sie betraten die Bar, wo Hans schon einen Tisch in der Ecke reserviert hatte, er winkte ihnen zu. Das Gedudel aus der Musikbox hielt sich in grenzen, aber das blassblaue Neonlicht irritierte im ersten Moment.

"Setzt euch. Das Abendessen geht auf meine Rechnung," begrüßte Hans seine beiden Gäste. Er nippte an seinem Mineralwasser und rückte zur Seite, um Platz auf der mit rotem Kunstleder bespannten Sitzecke zu machen. Die Glasplatte war bis auf  ein paar Krümel glänzend sauber und reflektierte das ins bläuliche gehende Licht der Deckenlampen.

Ein Kellner nahm die Bestellung der neuen Gäste auf und in kürzerer Zeit als man jemals brauchen konnte um, die Bestellungen frisch zuzubereiten, waren die Speisen auch, schon geliefert, und eigentlich war es egal was man bestellte, die geschmacklichen Unterschiede waren minimal.

"Ich seh's euch an, ihr habt auch, Post von der Gewerkschaft."

"Stimmt, weiß du mehr darüber?" Melissa wischte ein paar Krumen vom Tisch und spielte mit ihrem Glas, in welchem eine Süße braunorange Flüssigkeit blubberte.

"Nur Gerüchte, aber die sind ganz schön heftig, angeblich werden alle Frachtpiloten entlassen."

"Hey, das können die nicht machen, ich hab' nie etwas anderes gemacht."

"Ich auch, nicht, und wir werden uns das nicht so einfach gefallen lassen", stimmte Hans Melissa grimmig zu.

"Was ist mit dir Michael, hast du eine Schule besucht." Erkundigte sich Melissa bei dem betrübt dreinblickenden Jungen.

"Na ja, schon, aber wenn ich gut gewesen wäre, würde ich jetzt wohl etwas anderes machen." Gab Michael zu.

"Wir gehen da morgen zusammen hin, die haben ja keine Ahnung." Beschloss Hans tiefe Stimme entschieden.

"Hi Mel, darf ich mich zu euch setzen?", unterbrach die raue Stimme eines Mannes, der seinen dicken Hintern schon neben Melissa auf die Bank wuchtete.

"Hallo Gavin, du hast wieder etwas zugenommen, nicht wahr?"

"Hallo Gavin."

"Oh, hi Opa! Wusste nicht, dass du noch im Geschäft bist."

"Und du, solltest du dich nicht schon längst wieder im Wald verlaufen, Gavin," stichelte Hans.

"Ah, das Arschloch hat mich rausgeworfen, jetzt muss ich erstmal meine Abfindung verprassen. So ein Arsch! Glaubt, wir seien unrentabel, dass ich nicht lache."

"Dann ist es wahr, dass wir unsere Kündigung bekommen?" Gavin drehte sein feistes Gesicht auf dem unförmigen Hals zu Michael hinüber. "Ja Kleiner, die haben sich was Neues ausgedacht. Hey, wollt ihr uns nicht vorstellen," wandte er sich an die Anderen, vom Sprechen standen ihm schon Schweißperlen auf der Stirn.

"Michael, das ist Gavin der Wurm. Gavin Michael." Michaels Hand verschwand beinahe in den Fettwürsten, die Gavin sein eigen nannte. "Ich hatte Sie mir etwas, ähem, dünner vorgestellt." "HAR HAR, ich bin doch dünn, du hättest mich sehen sollen, bevor ich mich im letzten Jahr verlaufen hab‘." Wenn ein Mensch noch breiter grinsen würde, dann musste er bangen, dass ihm der Kopf abfiel. "Und duzen kannst du mich auch!"

"Was haben sich die Typen ausgedacht Gavin?" inquirierte Melissa weiter. "Oh Shit, weiß ich nich' Mel, ich war so wütend, ich hab' gar nich' mehr zugehört, als dieser Idiot weiter gelabert hat. Ich bin einfach raus und hab‘ die Tür zugeschlagen."

"Möchtest du etwas trinken?"

"Ja, danke Opa! Hey Kellner, bring' mir ‘n Bier!" brüllte Gavin dankbar.

"Sir, wir führen hier keine Alkoholika!" musste der Kellner eingestehen, als er endlich von der anderen Seite des Lokals herbeigeeilt war.

"Ah, dann hätt' ich gern ‘nen Pflaumensaft."

"Sehr wohl. Einen Augenblick bitte."

"Hans?"

"Was Michael?"

"Wieso nennt er dich Opa?"

"Oh das ..." Aber Hans kam gar nicht dazu, zu antworten.

"Er is' doch ‘n Opa, hatta dir nich' gesagt, was? Ein hübsches Enkeltöchterchen hat er. Ich hab' ein Foto gesehen, mhm. süßer Fratz."

"Ja, das ist wahr, Ishtar-Maria ist gerade drei geworden. Sie lebt mit ihren Eltern im Derto-System."

Musste Hans jetzt Wohl oder Übel zugeben, auch, wenn er sich in diesem Moment noch älter vorkam. Sie redeten noch eine ganze Weile über die alten Zeiten, und Michael lernte eine Menge über das Frachterwesen, das jetzt scheinbar an sein Ende gekommen war. Nach einiger Zeit entschuldigte sich Hans mit ironischem Hinweis auf sein hohes Alter und meinte er müsse sein Schlafzimmer aufsuchen und auch, Gavin hielt es nicht mehr lange danach. Er meinte er kenne ein Mädchen, dass ihn so lieben würde, wie er sei, wobei er seinen gespielt vorwurfsvollen Blick zu Melissa hinüber schweifen ließ.

"Lass uns ein wenig den Markt ansehen, du bist doch noch nicht müde oder?" "Nein, nein, bin ich nicht!" stimmte Michael hastig zu.

Hier in der Minenstadt waren alle Waren subventioniert und deshalb eher noch etwas billiger als in Malaikapia, obwohl sie einen weiten Weg hinter sich hatten, man musste die Bergarbeiter bei Laune halten. Im Gedränge der Wesen aus allen Ecken des Sagittariusarmes bahnten sie sich ihren Weg durch die Straßen. Melissa konnte bei zwei Tüchern aus Seidenimitat nicht widerstehen. Sie war sonst nicht der Typ, der ständig für irgendwelchen Schnickschnack ihr schwer verdientes Geld rausschmiss, aber hin und wieder musste sie sich irgendetwas Hübsches kaufen. Quasi um sich selbst zu belohnen. Mel war einen Blick hinüber zu Michael und lächelte, Männer verstanden so was nicht.

Am nächsten Morgen trafen sich die Drei wieder, um gemeinsam ihre Kündigungen abzuholen. Die Magnetschwebebahn trug sie aus der Handelszone geschwind ins Verwaltungszentrum. Weit weniger schillernd, aber nicht weniger beeindruckend war allein schon die große Empfangshalle, in der sie landeten. Mitten in der Halle war ein runder Tresen aufgebaut, der Empfang. Hier leistete man sich sogar noch den Luxus, die Gäste von Angestellten begrüßen zu lassen.

"Wie kann ich Ihnen helfen?" Fragte der Portier, als Hans an den Tresen trat.

"Einladung." Einsilbig  drückte er die Magnetkarte auf den polierten Marmor.

"Wir sind von der Gewerkschaft herbestellt worden." Ergänzte Melissa rasch die unwirsche Ausdrucksweise des alten Piloten.

"Oh, ja! Nehmen Sie doch bitte den Fahrstuhl. Simon Lčvars Büro."

"Danke." Sie folgten der Richtung in der Trivarer zeigte und bestiegen den erstbesten Fahrstuhl, der sich vor ihnen auftat.

"Ihr Ziel bitte!" Eine körperlose Stimme hallte angenehm durch den Fahrstuhl.

"Zu Simon Lčvar", befahl Hans schnell in eine unbestimmte Richtung.

"Das Gewerkschaftsbüro," tönte der Lautsprecher zufrieden. "Reisedauer 23 Sekunden keine Verspätung zu erwarten, ich wünsche eine angenehme Reise."

Die Türen schlossen sich und mit sanfter Beschleunigung in verschiedene Richtungen, nach 23 Sekunden öffneten sich die Türen zu einem in hellem Holz gehaltenen Bürovorraum mit angenehm sanfter Beleuchtung.

"Kommen Sie, Sie werden schon erwartet." Sprach eine Stimme, deren Körper hinter dem massiven Schreibtisch nicht auszumachen war. Eine Hand deutete auf die Doppeltür, mit dem Milchglas, hinter dem man nur vage den Schatten einer Person erkennen konnte.

Michael lugte neugierig hinter den Schreibtisch, eine junge Frau lächelte ihn auf Knien an. "Mir sind die Büroklammern runtergefallen."

"Ich würd' ja gern helfen, aber ich muss da rein", bot Michael hilfsbereit an.

"Schon fertig, danke." Sie rappelte sich wieder auf und heftete einige Flatpanels aneinander.

"Vielleicht ein andermal", murmelte Melissa und zog den Jungen mit ins Büro der Arbeitnehmervertretung.

"Guten Tag, meine Dame, meine Herren, wenn Sie doch bitte Platz nehmen würden", begrüßte sie ein sportlich aussehender Mann von dunkler Hautfarbe und mittleren Alters, dessen Haare allerdings schon einige graue Strähnen zeigten, er trug einen dunkelblauen Anzug und darunter ein weißes Hemd mit Stehkragen.

"Mein Name ist Lčvar, Simon Lčvar. Ich bin sicher, Sie würden gern wissen, warum ich Sie hierher bestellt habe." Er nickte ihnen freundlich zu. "Ja Herr Lčvar, das würden wir tatsächlich gern erfahren!" fiel ihm Hans ins Wort.

"Nun ja," Simon Lčvar machte einen halben Schritt zurück hinter seinen Schreibtisch. "Ich muss Ihnen leider ihre Kündigung aussprechen, es tut mir persönlich sehr Leid für Sie. Setzen Sie sich Herr Christ."

Hans schäumte vor Wut über die Kaltblütigkeit, mit der Lčvar sie behandelte.

"Wir haben einen, wie ich denke, akzeptablen Sozialplan ausgearbeitet."

"Wie können Sie uns so einfach rausschmeißen! Verdammt, die Stadt braucht uns!"

"Das ist wirklich nicht meine Schuld, glauben Sie mir. Ich versuche, Arbeitsplätze zu retten. Es tut mir wirklich Leid, aber die TMC und die "Interplanetarian Transport and Delivery" haben beschlossen, dass die Auslieferung der Waren in Zukunft mit Atmosphärengleitern abgewickelt wird."

"Das ist doch, nicht zu fassen! Spinnen die! Das ist doppelt so teuer wie mit uns."

"Herr Christ, ich gehöre nicht zum Management, aber der TMC wurde ein Angebot vorgelegt, das 15% unter den jetzigen Kosten liegt.

"Das verstehe ich nicht," mischte sich Melissa ein. "Können die da oben nicht rechnen?"

"Wie gesagt, Frau Yukawa, ich gehöre nicht zu den Erbsenzählern, ich bin nur für Personalfragen zuständig. Darf ich Ihnen jetzt unseren Sozialplan vorstellen?"