RONCO
In dieser Reihe bisher erschienen
2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt
2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache
2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber
2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg
2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben
2706 Dietmar Kuegler Todesserenade
2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes
2708 Dietmar Kuegler Blutrache
2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt
2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd
2711 Dietmar Kuegler Pony Express
2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht
2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal
2714 Dietmar Kuegler Goldrausch
Dietmar Kuegler
Goldrausch
Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de
© 2020 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logo: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-163-2
Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!
von Ken Conagher
23. Mai 1880.
Noch vor wenigen Wochen hing mein Steckbrief in zahllosen Städten des Südwestens. Dann wurde ich in Fort Bliss, Texas, rehabilitiert, und ich hatte erreicht, was ich wollte: ein freier Mann zu sein. Keine Behörde hat mehr das Recht, mich zu jagen.
Und dennoch sind meine Überlebenschancen minimal, denn wieder sind Männer hinter mir her, die meinen Kopf wollen. Sie jagen mich nicht im Namen des Gesetzes, sondern weil der Mann, den ich stürzte, seine Rache haben will: Andrew Hilton, der nach Mexiko flüchtete, nachdem sein Imperium im Südwesten der Staaten zusammengebrochen war.
Recht und Gesetz kümmert diese Männer nicht. Ihr Gesetz ist die Macht der Gewalt. Das war so und wird so bleiben. Das Recht ist für sie ein lächerlicher Popanz, auf dem sie beliebig herumtrampeln können. Weil es sie gibt, werde ich keinen Frieden haben. Und ich hatte gemeint, ihnen entrinnen zu können – Illusionen!
Wir befinden uns in einem Wüstengebiet im Nordosten Arizonas. Wir, das sind Linda Hilton, die Tochter Andrew Hiltons, den ich von seinem hohen Sockel stürzte, und unser Sohn Jellico.
In einem kleinen Nest hatten wir uns einem Treck angeschlossen, um in ein Siedlungsgebiet in Arizona zu gelangen, aber auch um den Häschern von Lindas Vater zu entgehen, der mich nun von Mexiko aus mit seinem Hass verfolgt und Linda und Jellico mit Gewalt zu sich holen will.
Der Mann, der uns sieben Familien eine neue Heimat in Arizona versprochen hatte, hat uns alle betrogen. Er wollte uns in der Wüste zugrunde gehen lassen und uns dann ausplündern. Dieser teuflische Plan ist misslungen.
Aber jetzt sind wir doch am Ende. Wir haben die Rettung greifbar nahe vor uns – eine alte, halb verfallene Ranch am Fuß der Rabbit Mountains mit einem Brunnen auf dem Hof. Aber die Ranch ist von Revolvermännern Andrew Hiltons besetzt, die niemanden an das Wasser lassen und die Auslieferung von Linda, Jellico und mir fordern. Es ist ihnen gleichgültig, ob Frauen und Kinder vor Durst verrecken oder wahnsinnig werden. Uns drei wollen sie haben, wie üblich mit dem widerlichen Druckmittel der Erpressung. Diese menschlichen Monster mit ihrer Gefühlskälte und Nichtachtung jeglichen Lebens sind die typischen Vertreter von Andrew Hiltons Killerbande.
Im Moment halten die anderen Leute des Trecks noch zu mir. Aber wie lange noch? Sie sind keine Giganten mit eiserner Selbstzucht und Disziplin. Sie sind Menschen, die qualvoll leiden und mit fast wahnsinnigen Augen auf den Brunnen starren. In der Sonne spiegelt sich das Wasser an den inneren Brunnenwänden, helle Kringelmuster tanzen dort auf und ab und suggerieren klare, erfrischende Kühle.
Ich bin sicher, dass die Leute nicht mehr lange durchhalten werden. Sie können es gar nicht, weil sie am Ende sind. Sie werden von uns verlangen, dass wir uns stellen, damit sie nicht wegen uns verdursten. Dass ich es war, der sie durch die tödliche Wüste hierher gebracht hat, zählt jetzt nicht mehr. Das ist bereits Vergangenheit, die niemanden mehr interessiert. Aber das Wasser zählt, der Lebensspender dort vorn in dem Brunnen, nur etwa dreißig Yards entfernt.
Das bisschen Zeit, das mir noch bleibt, will ich dazu nutzen, um weiter in meinem Tagebuch zu schreiben.
Kurz nach meiner Rehabilitierung wollte ich eigentlich damit aufhören, aber ich kann nicht. Irgendetwas zwingt mich dazu, meine Geschichte weiterzuerzählen. Für wen? Vielleicht für Jellico, meinen Sohn, damit er eines Tages erfährt, was für ein Leben sein Vater führen musste. Und dass er es so führen musste, weil es Großvater Hilton so passte! Es ist grotesk, wenn ich daran denke. Aber zurück zu meinem Tagebuch. Ich muss mich konzentrieren, um mich zurückerinnern zu können. Auch mir setzt der Durst zu. Die Ungewissheit und Sorge um Linda und Jellico fressen an mir.
Die Erinnerung führt mich zurück in den November des Jahres 1863. Es war in Montana im Gebiet der Alder Gulch, in der ein halbes Jahr zuvor Unmengen von Gold entdeckt worden waren. Das ganze Land war vom Goldfieber, von einer blinden, unmenschlichen Gier aufgewühlt. Und ich, ein sechzehnjähriger Junge, der innerlich wie äußerlich längst ein Mann war, steckte mitten darin ...
Ich hatte lausiges Glück gehabt, dass ich nicht wie Jack McCall in Bannack am Galgen baumelte. Jack McCall war mein Partner gewesen, und Henry Plummer, Sheriff des Beaverhead County, hatte ihn und mich aufs Kreuz gelegt, um selbst das Gold auszubeuten, für das wir unsere Schürfrechte angemeldet hatten.
Aber Plummer war das Gesetz in diesem Landstrich der Glücksritter, Desperados, Galgenvögel, Goldsucher und Schurken aller Preisklassen. Jack McCall hatte zu viel über Plummers Vergangenheit gewusst – deshalb musste er von der Bildfläche verschwinden.
Mich hatte Plummer laufen lassen. Vielleicht hatte er gedacht, ich sei harmlos. Und sicherlich war ich das auch, mit Plummers Augen gesehen. Er war ein aalglatter, eleganter Heuchler, ein eiskalter Spieler, der seine Züge genau überlegte, bevor er brutal zuschlug. Dabei trug er den Stern auf der Brust und handelte im Sinne von Recht und Ordnung. Ich hatte Bannack verlassen müssen und war auf meinem Braunen – mit Shita, meinem Hund, neben mir – geradewegs nach Virginia City geritten. Der Traum vom Gold war aus, und es tat mir nicht einmal leid. Es klebten Blut und Tränen daran. Wer Gold fand, war seines Lebens nicht mehr sicher – ganz abgesehen von der eigenen Charakterstärke. Denn die meisten, die Gold gefunden hatten, spielten verrückt, ließen die Puppen tanzen, besoffen sich und verjubelten alles.
Ich fand bei Ted Gibson in Virginia City einen Job. Das klappte fast auf Anhieb, denn die Geschäftsleute in dieser wild gewordenen Gegend waren froh, überhaupt willige Arbeitskräfte zu kriegen. Jeder andere normale Sterbliche war ja hinter dem Gold her.
Ted Gibson war Frachtfuhrunternehmer und residierte in einer schäbigen Bruchbude an der Mainstreet von Virginia City. Seine Wagen und Pferde standen unter einer großen Zeltplane direkt hinter seinem Office. An diesem Office hatte er ein Pappschild angenagelt, das verkündete, dass er Fahrer für seine Wagen suche. Pro Woche 20 Dollar, stand auf dem Pappschild.
Ich las das Schild und kletterte aus dem Sattel. Den Braunen band ich an einem wackligen Querbalken vor dem Office an, pfiff Shita, der einen riesigen schwarzen Kater anknurrte, und stiefelte mit ihm in das Büro.
Ted Gibson, ein stiernackiger, hemdsärmeliger Brocken von Mann, mit einem Kinn, auf dem Kinder Versteck spielen konnten, saß hinter einer Kiste und war damit beschäftigt, eine Kolonne von Zahlen auf einem Stück Papier zu addieren.
Ich sah ihm zu und fing an, seine Haare zu zählen. Er hatte eine Stirnglatze und auf dem Hinterkopf einen haarlosen Hof. Zwischen Stirnglatze und haarlosem Hof lagen drei Haarsträhnen zu je zwanzig bis dreißig Haaren, die von links nach rechts gekämmt waren und den Eindruck erweckten, als hätten sie sehr viel Mühe, weiter zu gedeihen.
Als ich die Haare gezählt hatte, schaute ich mich um und fand die Bude von Ted Gibson so mies, dass ich beschloss, wieder zu gehen. Also wandte ich mich um.
„Hierbleiben!“, sagte Ted Gibson. „Achtundneunzig, einhundertvier, einhundertzwozehn, achtzehn, zwoundzwanzig, dreißig – verdammt, wie viel hatte ich im Sinn?“
„Zwölf“, sagte ich auf gut Glück.
„Das heißt nicht zwölf, sondern zwozehn“, belehrte er mich.
„Fein“, sagte ich. „Sie zahlen also zwonzig Dollar pro Woche, wie ich auf dem Schild draußen gelesen habe. Brauchen Sie noch einen Fahrer?“
„Das heißt zwanzig“, sagte er, schob jetzt endlich seine Zahlenkolonnen von sich und unterzog mich einer eingehenden Musterung. Er hatte graue, flinke Augen über seinem wüsten Rammkinn und sah wirklich nicht nach Pappe aus.
„Wie heißt du?“
„Ronco.“
„Schöner Name.“
„Finde ich auch.“
Damit war dieses Thema abgehandelt. Die meisten regten sich darüber auf, dass ich keinen Nachnamen hatte. Ted Gibson ging darüber weg. Er musterte meinen tief geschnallten Navy-Colt.
„Kannst du mit dem Ding umgehen?“
Im Bruchteil einer Sekunde starrte er in meine Laufmündung.
„Oha“, sagte er. „Ganz schön, Söhnchen.“ Er grinste. „Ziehen und treffen sind aber zwo Paar Stiefel ...“
„Wo wünschen Sie das Loch?“, fragte ich freundlich.
Er deutete zu einem Kalender links von mir, auf dem ein Hirsch mit einem Riesengeweih brünstig den Mond anhustete.
Ich feuerte aus der Hüfte und schoss dem Hirsch den Kopf samt Geweih weg. Statt des Kopfes war da nun ein Loch.
Der Hirsch war enthauptet.
Ted Gibson räusperte sich. „Zwoundzwanzig Dollar“, sagte er. „Vorausgesetzt, du kannst mit einem Gespann umgehen.“
„Kann ich“, sagte ich, „ich bin bei der Russel, Majors und Waddell Postkutschengesellschaft gefahren und war später Postreiter.“
Jetzt wurde er doch etwas misstrauisch. „Schießen kannst du, ein Gespann fahren kannst du, lesen kannst du – sag mal, wie alt bist du eigentlich?“
„Achtzehn, Sir.“
„Hm.“ Er schien mir nicht recht zu glauben.
„Vielleicht bin ich auch schon neunzehn“, sagte ich.
„Wieso das denn?“
„Weil ich nicht weiß, wann ich geboren wurde.“
Er runzelte die Augenbrauen. Die waren besser bestückt als sein Haupthaar, richtige Wülste waren das, wie fette, gut genährte Raupen.
„Mann“, sagte er, „du musst doch wissen, wann du geboren bist.“
Ich schüttelte den Kopf. „Leider weiß ich es nicht. Meine Eltern sind mit einem Treck nach Westen gezogen. Der Treck wurde von Apachen überfallen, kein Mensch außer mir blieb am Leben. Mich fanden Mönche, die mich dann auch aufzogen.“
„Verstehe“, sagte er und stand auf. „Gut, du kannst bei mir anfangen, Söhnchen. Der Job hat’s in sich. Du wirst zweimal wöchentlich Post und Lebensmittel von hier nach Beaver Head bringen. Wenn hier nicht alle möglichen Strauchdiebe und Halsabschneider herumlungerten, die dir den letzten verdammten Cent aus der Tasche zu klauen versuchen, wäre der Job das reinste Sonntagsvergnügen. Ist es aber nicht. Überlege es dir also. Vier meiner Fahrer schlummern bereits in einer Holzkiste, drei liegen zurzeit beim Doc, um wieder geflickt zu werden, und zwei sind spurlos verschwunden. So sieht’s aus. Willst du den Job immer noch?“
„Ja“, sagte ich.
Er nickte und schüttelte mir die Hand.
„Morgen übernimmst du deine erste Fuhre“, sagte er. „Und der Teufel soll dich holen, wenn du dir auch nur ein Stück von der Ladung klauen lässt.“
*
Der Teufel holte mich genau an einem Freitag in der zweiten Novemberwoche. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er es mit mir gut gemeint. Ich hatte Schonzeit gehabt und mich rundherum wohlgefühlt. Jede Woche kassierte ich meine zwoundzwanzig Dollar und außerdem diese und jene Trinkgelder in Beaver Head oder Virginia City. Zum Leben brauchte ich nicht viel. Ich schlief in einer Ecke im Office Ted Gibsons, die er mir großzügig zur Verfügung gestellt hatte. So brauchte ich kein Logiergeld zu zahlen. Und den Bauch kriegte ich auch voll genug, denn Ted Gibson ließ mir immer etwas von seinen Mahlzeiten übrig. Mein Brauner stand bei den Gespannpferden unter der Plane am Office und war ebenfalls bestens versorgt. Auch Shita wurde prall und rund, blieb aber in Form, weil er mich bei den Fahrten begleitete.
Mit dem riesigen schwarzen Kater kriegte er allerdings ständig Ärger. Der musste auf ihn wie das rote Tuch auf den Stier wirken. Er brauchte nur dessen Schwanzspitze zu sehen, da war er schon gereizt. Zweimal kriegte er von dem schwarzen Biest eine gewischt, dass die Fellfetzen nur so flogen. Wenn ich gedacht hatte, dass ihm das reichen würde, dann sah ich mich getäuscht. Ein Hund wie Shita kapitulierte nicht. Sonst wäre er auch nicht mein Hund gewesen.
Mich ärgerte nur, dass mein Hund sich immer wieder von dem schwarzen Teufel leimen ließ. Die meisten Begegnungen zwischen den beiden verliefen so, dass der Kater wie der Blitz auf ein Dach sprang und sich dort putzte und abschleckte, während Shita unten Luftsprünge vollführte und sich die Kehle heiser kläffte. Das wurde zur lieben Gewohnheit, genauso wie der dann einsetzende Krach der Anlieger neben dem Office und auf der anderen Straßenseite, die sich lautstark über den verlausten Köter empörten.
Am lautesten und giftigsten führte sich Roswitha Nägeli auf, eine Deutsch-Schweizerin mit Dutt, einem faltigen Geierhals und so dürren Gliedmaßen, dass ich immer Angst kriegte, ihre Knochen könnten zu scheppern anfangen, wenn sie erregt ihre Fäuste gegen Shita schüttelte. Ihr gehörte der verdammte Kater, mit dem sie eine Bretterbude bewohnte.
Mister Nägeli, so erzählte mir Ted Gibson grinsend, habe seine Alte sitzen lassen und sei mit einem ziemlichen Batzen Gold Richtung Wyoming verschwunden. Seitdem bestritt Roswitha Nägeli ihren Lebensunterhalt mit Näh- und Flickarbeiten und verdiente nicht schlecht dabei, denn Virginia City wuchs förmlich aus dem Boden, nachdem im Mai dieses Jahres ein paar Prospektoren in der Alder Gulch Gold gefunden hatten.
Ich mochte Roswitha Nägeli nicht, die in einem Wettbewerb für die hässlichste Vogelscheuche bestimmt den ersten Preis erhalten hätte. Aber ich verhielt mich strikt neutral, wenn sie ihren Keifauftritt hatte. Wenn Shita so stur war, immer wieder auf den Kater loszugehen, dann hatte er selbst schuld, wenn Roswitha Nägeli eines Tages mit dem Strohbesen ihren Kater verteidigte.
Wenn wir unterwegs nach Beaver Head waren, kehrte natürlich Ruhe ein. Meistens zog ich mit dem Kastenwagen und zwei Gespannpferden in aller Frühe los, wenn noch die Nebel über dem Land lagen, das von zahlreichen Creeks durchflossen wurde. Die Fahrt dauerte etwa sechs Stunden und führte durch gewundene Täler, Schluchten und Canyons. Zwei Stunden blieb ich in Beaver Head, lud den Wagen bei einem Store und dem Postoffice ab und kehrte üblicherweise leer nach Virginia City zurück. Mit der Fahrt hin und zurück verging meist ein ganzer Tag.
Wie gesagt, bisher war ich ungeschoren geblieben. Meine Wachsamkeit ließ nach, und da man für alles Lehrgeld zahlen muss, erhielt ich prompt meine Quittung.
An dem bewussten Freitag in der zweiten Novemberwoche spannte ich gegen fünf Uhr morgens die beiden Pferde vor den Kastenwagen und verließ Virginia City.
Shita tigerte noch einmal zu Roswitha Nägelis Bretterbude, schnüffelte dort herum, hob ein Bein und stellte eine Pfütze direkt vor den Eingang.
Als er hinter mir herjagte, hatte ich den Eindruck, als grinse er über das ganze Gesicht.
Es war klamm und feucht, Bodennebel waberten über der Fahrbahn. Bald würde der erste Schnee fallen, aber die nach Gold verrückten Menschen würden weiter in den Creeks ihre Pfannen schwenken und sich dabei den Hintern abfrieren.
Ich schlug den Kragen meiner Jacke hoch, gähnte und lehnte den Rücken bequem gegen die rückwärtige Bockbank. Meine beiden Gespannpferde, ungebrandete Tiere, kannten den Weg. Ich konnte die Zügel locker lassen.
Auf der Ladefläche hinter mir lagen zwei Postsäcke, ferner Säcke mit Mehl, Kaffee und Zucker, drei Kisten mit Hostetter-Whisky, vier Blechkästen – verlötet – mit Zigarren, ein paar Kartons mit karierten Baumwollhemden und derben Hosen, weitere Kartons mit Schuhen und Stiefeln sowie Kisten mit Werkzeugen, Nägeln, Metallwaren aller Art und noch einige Lebensmittel wie Schinken, Hartwürste, Erbsen und Bohnen. Ich hatte einen Lieferschein bei mir, auf dem die Waren einzeln aufgeführt waren.
Soweit ich das beurteilen konnte, florierte Ted Gibsons Frachtfuhrunternehmen bestens. Es war eine Bonanza anderer Art und weiß Gott solider und gesünder als die ganze verdammte Plackerei nach dem gelben Metall. Ted Gibson hatte sein Unternehmen vor drei Monaten in Virginia City eröffnet, und wie es mir schien, verdiente er sich damit eine goldene Nase.
Ob ein paar Fahrer dabei über die Klinge sprangen, war unwesentlich, und den Verlust der jeweiligen Fracht konnte er verschmerzen.
Ich dachte an die zwoundzwanzig Dollar die Woche. Mit den Trinkgeldern verdiente ich im Monat über hundert Dollar – ein fürstlicher Lohn, von dem ich noch nicht einmal viel auszugeben brauchte. Ich hatte allen Grund, mit mir und der Welt zufrieden zu sein. Ted Gibson war ein harter Brocken, aber er fraß mich nicht auf. Hauptsache, ich kriegte die Frachtladung heil bis Beaver Head. Alles andere interessierte ihn nicht. Und er war kein Korinthenkacker, der jedes Haar in der Suppe zählte.
Wir passierten ein paar Claims, bei denen schon wieder gearbeitet wurde. Ein paar Männer, die mich bereits kannten, grüßten herüber. Die meisten aber schielten nur misstrauisch, als fürchteten sie, ich würde ihnen die Butter vom Brot klauen. Das waren die Verrückten, denen das Goldfieber bereits das Gehirn versengt hatte. Ihre Köpfe ruckten ständig hierhin und dorthin, unruhig, nervös, lauernd, geprägt von der Gier, Nuggets zu finden, und von der Angst, sie wieder zu verlieren. Sie waren für ihr Leben gezeichnet, weil sie niemandem mehr trauten – ich glaube, am allerwenigsten sich selbst.
Wir ließen den letzten Claim hinter uns, durchfurteten einen Creek, an dem einmal Biber gehaust hatten, die aber längst die Flucht ergriffen hatten, und fuhren jetzt durch zerklüftetes, wildes Gebiet, das allerdings von den Radfurchen der Route nach Beaver Head gepflügt war.
Der Nebel riss auf und ließ Millionen glitzernder Wasserperlen an Bäumen und Sträuchern zurück. Dann stieg die Sonne auf, um ihre flache Bahn zu ziehen. Sie hatte keine Kraft mehr um diese Jahreszeit.
Gegen elf Uhr vormittags setzte sich Shita etwa dreißig Yards vor dem Gespann mitten zwischen den beiden Radfurchen auf die Hinterpfoten und hechelte uns entgegen.
Er wollte jetzt fahren. Das hatte sich zu einem Ritus bei uns entwickelt. Also hielt ich vor ihm und half ihm auf die Bockbank. Neben mir kringelte er sich zusammen, schnaufte zufrieden, legte den Kopf auf die Vorderpfoten, döste zu mir hoch und schlief dann ein.
Eine halbe Stunde später lenkte ich das Gespann durch eine Steilschlucht mit überhängenden Felsen. Sie verlief zunächst gerade, bog dann aber in einem Knick nach Osten ab.
Und hinter diesem Knick warteten sie.
Ich war so perplex, dass ich im ersten Augenblick glaubte, zu träumen. Ich zwinkerte mit den Augen, aber sie blieben da.
Es waren vier maskierte Reiter, die mit ihren Pferden die Schlucht blockierten. Ich starrte in vier Gewehrläufe, nein in fünf, denn der rechte Kerl liebkoste eine Schrotflinte mit abgesägten Doppelläufen.
Ich weiß, dass meine Kopfhaut zu prickeln begann und Ameisen über meinen Rücken liefen. Für Bruchteile von Sekunden hatte ich die Wahnsinnsidee, nach meinem Colt zu greifen. Aber ich saß zu ungünstig.
Voller Demut senkte ich den Kopf und dachte an Ted Gibsons Worte, dass mich der Teufel holen solle, wenn ...
Jetzt hatte er mich geholt.
Die vier maskierten Kerle ritten langsam auf mich zu, so richtig gemütlich, ihrer Sache völlig sicher. Zurück konnte ich nicht, da war der Knick, und sie hätten mich bei der geringsten Bewegung vom Wagenbock gepustet.
„Hallo!“, sagte ich. Was anderes fiel mir nicht ein.
Shita neben mir auf der Bockbank begann zu knurren. Er richtete sich mit einer gleitenden Bewegung auf und fletschte den Fang. Eins der Gespannpferde begann, nervös zu tänzeln. Nervös wurde ich jetzt auch. Das war so die Situation, die ich wie die Pest hasste, weil mir die Initiative genommen war. Um mir Luft zu schaffen, fluchte ich.
„Schnauze“, sagte der mit der Schrotflinte. Hinter der Maske klang seine Stimme verzerrt, aber freundlich war sie bestimmt nicht.
Ich biss mir auf die Lippen und erwog, vom Bock zu springen. Am besten nach links, da hatte ich eine gewisse Chance, der mörderischen Schrotladung zu entgehen – falls ich schnell genug war.
„Bleib schön sitzen“, sagte der mit der Schrotflinte. Er konnte wohl Gedanken lesen. Dann hob er etwas den Kopf, als gäbe es auf dem Felsen über mir etwas zu sehen, und sagte: „Nun spring schon, Ollie!“
Ich hörte ein scharrendes Geräusch über mir, und dann hatte ich das Gefühl, von einem Dampfhammer durch die Fußbretter der Bockbank gerammt zu werden. Einer, der anscheinend Ollie hieß, hatte sich auf mich fallen lassen und drückte mich platt wie einen Hefefladen. Mein Rückgrat krachte und ächzte. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Shita mit einem Sprung von der Bockbank wetzte – wohl zutiefst erschrocken über den Mann, der vom Himmel gefallen war.
Zwei, drei Schüsse peitschten.
Der Kerl über mir schnaufte, wälzte sich von mir, aber bevor ich wieder hoch war und Luft schnappen konnte, zerplatzten Sterne in meinem Kopf, und es wurde dunkel.