Zum Buch
Als im Jahr 1693 zwei Franzosen, René Sel und Charles Duquet, in New France ankommen, dem heutigen östlichen Kanada, staunen sie über die schier undurchdringliche Wildnis dort, die mächtigen Baumriesen und den endlosen Wald. Sie sind Holzarbeiter und suchen ihr Glück auf dem neuen Kontinent. Während Sel sich einem Lehnsherrn verpflichtet, erst nach langer Zeit und harter Arbeit das versprochene Stück Land erhält und eine Angehörige eines Stammes der Ureinwohner heiratet, macht der gerissenere Duquet sich bald aus dem Staub. Es gelingt ihm, auf andere Art an Land zu kommen, und er gründet in Boston eine Holzhandlung, die er Duke & Sons nennt und zu einem riesigen, prosperierenden Unternehmen macht, das geschäftliche Beziehungen zu Europa, China und Neuseeland unterhält. Die verschlungenen Wege der nachfolgenden Generationen dieser beiden Männer führen durch dreihundert Jahre amerikanische Geschichte, von den Unabhängigkeitskriegen bis in die Gegenwart.
Stupendes Wissen, ein kritischer, realistischer Blick, Witz und Lebensweisheit zeichnen diesen Roman aus, und gleichzeitig schildert Annie Proulx hautnah, unmittelbar und anschaulich das Leben ihrer Figuren, ihre Liebeshändel und Familienintrigen, ihre Gier, ihre Rachsucht und ihren Geltungsdrang, aber auch ihre Hoffnungen und Sehnsüchte.
Zur Autorin
ANNIE PROULX, 1935 in Connecticut geboren, lebt heute in der Nähe von Seattle. Für ihre Romane und Erzählungen wurde sie mit allen wichtigen Literaturpreisen Amerikas ausgezeichnet, dem PEN/Faulkner Award, dem Pulitzerpreis, dem National Book Award, sowie dem Irish Times International Fiction Prize. Außerdem wurde sie in die American Academy of Arts and Letters aufgenommen. Die Verfilmung ihrer Kurzgeschichte „Brokeback Mountain“ wurde 2005 mit drei Oscars ausgezeichnet.
Zu den Übersetzerinnen
MELANIE WALZ, geboren 1953 in Essen, wurde 1999 mit dem Zuger Übersetzer-Stipendium und 2001 mit dem Heinrich-Maria-Ledig-Rowohlt-Preis ausgezeichnet. Sie ist die Übersetzerin von u.a. Lily Brett, Antonia Byatt, Charles Dickens, Patricia Highsmith, Lawrence Norfolk.
ANDREA STUMPF, geboren 1964 in Eberbach am Neckar, hat Literaturwissenschaft, Philosophie und Soziologie studiert und ist die Übersetzerin von u.a. James Agee, David Graeber, Joseph Mitchell, Fritz Stern, James Tiptree jr.
Im Zwielicht kamen sie an den elenden Weilern Tadoussac, Kébec und Trois-Rivières vorbei, und kurz vor der Morgendämmerung legten sie bei einer gottverlassenen Siedlung am Ufer an. René Sel, drahtige schwarze Haare, schräggeschnittene Augen – yeux bridés, denn in alten Zeiten hatten einfallende Hunnen zu seinen Vorfahren gezählt –, hörte jemanden das Wort »Wobik« sagen. Moskitos bedeckten ihre Hände und Hälse wie ein Pelz. Ein Mann mit gelben Augenbrauen dirigierte sie zu einem Haus, dunkel vor Regen. Schlamm, Regen, Insektenstiche und der Geruch von Weiden war ihr erster Eindruck von La Nouvelle-France. Der zweite Eindruck war der eines riesigen dunklen Waldes, einer unwirtlichen Wildnis.
Die Neuankömmlinge, die im Regen darauf warteten, dass sie aufgerufen wurden, um ihre Zeichen in eine große Kladde einzutragen, sahen die Bauern unter dem Schutz einer Kiefer wie zu einem Klumpen zusammengedrängt stehen. Die Bauern starrten sie an und kommentierten sie untereinander.
Als René an die Reihe kam, setzte er nicht nur ein X auf das Blatt, sondern auch ein R – durch einen Tintenklecks der Feder verunstaltet –, denn diesen Buchstaben hatte er als Kind von dem alten Priester gelernt, der gesagt hatte, es sei der Anfangsbuchstabe seines Namens René. Aber der Priester war im Winter den Hungertod gestorben, bevor er ihm die weiteren Buchstaben hätte beibringen können.
Gelbaugenbraue betrachtete das R. »So, so, wir sind gebildet, wie?«, sagte er. Er bellte: »Monsieur Claude Trépagny!«, und Renés neuer Dienstherr, ein muskulöser Mann mit torkelndem Gang, winkte ihn zu sich. Er hielt einen Stock, als wäre es eine Keule. Regentropfen hingen in der Wolle seiner Strickmütze. Die dicken Brauen konnten das Glitzern seiner Augen nicht verschatten, deren Weiß so hell blitzte, dass man daraus fälschlich auf ein lebhaftes Gemüt schloss. »Wir müssen ein wenig warten«, sagte er zu René.
Der feuchte Himmel sackte herunter. Sie warteten. Gelbaugenbraue, der Statthalter, den Renés neuer Dienstherr Monsieur Bouchard nannte, bellte wieder: »Monsieur Trépagny!«, worauf diesmal eine vertraute Erscheinung vortrat, Charles Duquet, ein magerer engagé von dem Schiff, ein Schwächling aus den Pariser Elendsvierteln, der unterwegs meistens wie ein geknickter Zweig in einer Ecke gekauert hatte. Aha, dachte René, Monsieur Trépagny hatte sich zwei Bedienstete besorgt. Vielleicht war er wohlhabend, auch wenn sein durchnässter Drouguet-Mantel geflickt war.
Monsieur Trépagny stapfte auf dem schlammigen Weg einer Wand schwarzen Nebels entgegen. Sein Gehen war eher ein Voranschlingern auf seinen unterschiedlichen Beinen, das eine gelenkig, das andere steif. Er sagte: »Allons-y.« Sie tauchten in das düstere Land ein, einen dichten Hartholzwald, dazwischen immer wieder Kieferngruppen. René traute sich nicht zu fragen, welche Dienste von ihm erwartet wurden. Nach Jahren männlicher Arbeit des Holzfällens im Morvan wollte er kein Dienstbote werden.
Nach wenigen Stunden ging der durchweichte Laubmoder in Nadelwaldhumus über. Die Luft war zutiefst würzig. Kiefernnadeln säumten ihren Weg, und die verschlungenen Zweige schluckten ihr Keuchen. Hier wuchsen gewaltige Bäume, wie man sie in der alten Heimat seit Jahrhunderten nicht gesehen hatte, immergrüne Riesen, höher als Kathedralen, wolkenstechende Fichten und Hemlocktannen. Die gigantischen Laubbäume standen voneinander entfernt, aber ihre blattbeladenen Äste und Zweige verbanden sich oben zu einem Scheinhimmel, dunkel und ungezähmt. Sein älterer Bruder Achille hätte die Bäume in Nouvelle-France atemlos bestaunt. Spät am Tag kamen sie an einem Abhang voll weißschimmernder Baumstämme vorbei. Dies, sagte Monsieur Trépagny, seien bouleaux blancs, aus deren Rinde die sauvages Häuser und Boote fertigten. René glaubte ihm kein Wort.
Die großen Bäume erinnerten ihn wieder an seinen Bruder Achille, einen flotteur, der seine kurz bemessenen Lebensjahre damit zugebracht hatte, in die kalte Yonne zu springen und Baumstämme den Fluss hinunterzuführen. Er war kraftvoll gewesen, unbeeindruckt von der Kälte des Wassers, und hatte gearbeitet, bis ein Baumstamm mit einem gesplitterten Ast, den die Reibung auf seiner Reise zu einem Speer geschärft und poliert hatte, seine Blase durchstoßen und ihn wie einen Fleischbrocken an einem Spieß davongetragen hatte. René erbte die Unterwäsche, die wollene Hose und den kurzen Überrock seines Bruders. Er trug auch Achilles Holzschuhe, obwohl ein barfüßig geführtes Leben seinen Füßen Schwielen verliehen hatte, die es mit Rinderhufen aufnehmen konnten und gegen die Kälte in Frankreich abgehärtet waren. In dieser neuen Welt würde er eine andere Art von Kälte kennenlernen.
Die engagés, benebelt von der einschläfernden Wirkung des tiefen Waldes, stolperten über verzweigte Wurzeln. Sie wurden unablässig von bébites angegriffen, winzig und kaum sichtbar wie heiße Nadelspitzen, von Kriebelmücken, deren Biss nicht schmerzte, aber sein Gift langsam entfaltete, von Moskitoschwärmen solchen Ausmaßes, dass ihr schrilles Sirren wie der Ton des Waldes klang. An einem Sumpf sagte Monsieur Trépagny zu den beiden, sie sollten ihre entblößten Hautstellen mit Schlamm einschmieren, vor allem die Stellen hinter den Ohren und die Kopfhaut. Die Insekten krabbelten durch die Haare und machten sich über die Kopfhaut her. Deshalb, sagte Monsieur Trépagny, trage er in diesem fürchterlichen Land eine Zipfelmütze. René dachte insgeheim, ein Eisenhelm wäre die bessere Wahl. Monsieur Trépagny sagte, die sauvages machten aus Fichtennadelöl und Talg eine schützende Salbe, aber die besitze er nicht. Schlamm würde auch genügen. Sie wanderten weiter durch die dämmerigen Wälder, kletterten über bemooste Haufen und gingen unter Zweigen hindurch, die wie düstere Trauergestecke herabhingen. Die Beine der engagés, von der langen Seereise geschwächt, verkrampften sich vor Müdigkeit.
»Wie groß ist dieser Wald?«, fragte Duquet mit seiner jammernden, zittrigen Stimme. Er war kaum größer als ein Kind.
»Es ist der Wald der Welt. Er hat kein Ende. Er windet sich wie eine Schlange, die ihren eigenen Schwanz verschluckt, und hat kein Ende und keinen Anfang. Niemand hat jemals gesehen, bis wohin er reicht.«
Monsieur Trépagny blieb stehen. Mit seinem Stock schlug er dürre Fichtenzweige vom Fuß eines Baums. Aus seinem Umhang förderte er eine Zunderbüchse zutage und entfachte damit ein kleines Feuer. Sie kauerten sich darum herum und streckten ihre blaugefrorenen Hände aus. Er entfaltete ein Tuch, das ein Stück getrocknetes Elchfleisch enthielt, und schnitt das Fleisch in Portionen. René, der in seinem Hunger nur Brot erhofft hatte, zerbiss und zerriss das Fleisch. Duquet spähte aus geschwollenen Augenschlitzen hervor, und weil er das Fleisch nicht kauen konnte, saugte er daran. Hinter Monsieur Trépagnys Großzügigkeit spürten sie Verachtung.
Sie wanderten weiter durch ein Chaos aus herumliegenden toten Bäumen, den Opfern eines großen Sturms, wobei Monsieur Trépagny keinem erkennbaren Weg folgte, sondern immer wieder nach oben sah. René begriff, dass er eingeritzten Zeichen an bestimmten Bäumen folgte, die sich in etwa zehn Fuß Höhe befanden. Später erfuhr er, dass jemand im Winter die Bäume markiert hatte, wobei er mit seinen Schneeschuhen wie ein gewichtloser Zauberer hoch über dem Erdboden unterwegs gewesen war.
Der Wald war durchbrochen wie die Spitzendecke eines Altars. Seine schwermütige Düsternis wich auf den Lichtungen. Unbekannte Pflanzen und merkwürdige Blüten fielen ihnen auf, Sitkafichten und Hemlocktannen, die hellen frischgewachsenen Auswüchse an den Spitzen der Kiefernzweige, silbrig flatternde Weiden, das Pfefferminzgrün junger Birken – an diesem Ort war sogar das Sonnenlicht grün. Als sie sich einer Lichtung näherten, hörten sie ein unregelmäßig klackendes Geräusch wie von klappernden Stöcken – graue Knochen, an einen Baum gebunden und vom Wind bewegt. Monsieur Trépagny sagte, die sauvages hängten oft die Gebeine eines getöteten Tiers auf, nachdem sie seinem Geist gedankt hatten. Er führte sie um Biberteiche, von schier undurchdringlichem Erlengestrüpp eingehegt, und sagte warnend, die schmalen Pfade seien Wege der Elche. Sie kamen durch Sumpfland. In den Senken stand teerfarbenes Regenwasser. Der quietschende Torf, von Kannenpflanzen durchsetzt, sog sich bei jedem Schritt an die Schuhe. Die jungen Männer hatten sich nie so ein wildes und nasses Land vorgestellt, so très boisé. Als ein Erlenzweig sich an Duquets Jacke verfing, fluchte er leise. Monsieur Trépagny hörte es und sagte, er dürfe niemals einen Baum verfluchen, schon gar nicht eine Erle, die medizinische Kräfte besitze. Sie tranken aus Flüssen, überquerten seichte Stromschnellen, geschwungen wie die Klingen von Damaszenerdolchen. Oh, wie lange noch, murmelte Duquet, eine Hand an sein Gesicht gedrückt.
Sie gelangten wieder in offenen Wald, wo es sich unter den Bäumen leichter ging. Sauvages verbrannten das Unterholz, sagte ihr neuer Dienstherr in tadelndem Ton. Am späten Nachmittag rief Monsieur Trépagny: »Porc-épic!« und warf unversehens seinen Stock. Der Stock drehte sich einmal und traf das Stachelschwein auf die Nase. Das Tier fiel wie eine Sternschnuppe mit einem Schweif von Blutstropfen. Monsieur Trépagny schichtete ein großes Feuer auf, und als die Flammen zu purpurnem Züngeln verglommen, hängte er das ausgeweidete Tier darüber. Die verbrennenden Stacheln stanken, aber das Fleisch unter der verkohlten Kruste schmeckte gut. Aus seinen unerschöpflichen Taschen holte Monsieur Trépagny einen Beutel mit Salz und gab jedem eine Prise. Das übriggebliebene Fleisch wickelte er in ein fettiges Tuch.
Der Dienstherr entfachte das Feuer wieder, rollte sich in seinen Überrock, legte sich unter einen Baum, schloss seine blitzenden Augen und schlief ein. Renés Beine schmerzten. Die Kälte, die im Wind rauschenden Bäume, die lästigen Moskitos und das Heulen der Eulen hielten ihn wach. Er sprach leise zu Charles Duquet, der nicht antwortete, dann schwieg er. In der Nacht weckte ihn irgendetwas, doch er schlief sofort wieder ein.
Der Morgen begann mit neuem Feuer. Obwohl es spätes Frühjahr war, war es hier kälter als in Frankreich. Licht kroch in die Dämmerung. Monsieur Trépagny, der an Fleischresten nagte, trat Duquet und bellte: »Lever!« René war auf den Beinen, bevor Monsieur Trépagny ihn treten konnte. Er sah auf das Fleisch in der Hand Monsieur Trépagnys. Der Mann riss ein Stück davon ab und warf es ihm zu, dann ein anderes, das er Duquet hinschleuderte, wie man einem Hund Reste zuwirft. Dann schlurfte er wieder weiter mit seinem unermüdlichen schiefen Gang und folgte den Einkerbungen hoch oben an den Bäumen. Seine neuen Bediensteten sahen nichts als Dunkelheit außer hinter ihnen, wo das verlassene Feuer verlockend funkelte.
Es war ein kalter, aber trockener Tag. Monsieur Trépagny folgte einem kaum sichtbaren Pfad, und gegen Mittag setzte der Regen wieder ein. Die engagés waren vor Erschöpfung wie betäubt, als sie ein rauschendes Gewässer erreichten, einen Fluss, schwarz, doch durchscheinend wie dunkler Feuerstein. Am anderen Ufer sahen sie eine Lichtung mit gestapeltem Klafterholz, umzingelt von dem allgegenwärtigen Wald. Aus einem unsichtbaren Kamin stieg Rauch auf. Das Haus war nicht zu sehen, auch sonst nichts, nur Holz und noch mehr Holz.
Monsieur Trépagny rief. Eine Frau in einem Gewand aus Elchleder, mit kreisförmigen Mustern bemalt, kam um den nahesten Stapel von Holzscheiten, rief »Kwe!« und lief davon. René Sel und Charles Duquet tauschten verblüffte Blicke. Eine Indianerin. Une sauvage!
Sie folgten Monsieur Trépagny in den eiskalten Fluss. René rutschte auf einem runden Felsblock aus und wäre fast ins Wasser gefallen, wobei er an Achille dachte und an die kalte Yonne. Fische flitzten um sie herum, schossen vorbei, so viele Fische, dass man hätte meinen können, der Fluss bestehe aus festem Muskelgewebe. Auf dem schlammigen Ufer kamen sie an einem eingezäunten Garten voller Unkraut vorbei. Monsieur Trépagny begann zu singen: »Mari, Mari, dame jolie …« Die engagés schwiegen. Duquets Mund war zusammengekniffen, als würde die Luft brennen, und seine Augen waren fast zugeschwollen.
Hinter den Holzstößen sahen sie Monsieur Trépagnys Haus; es war ihr erster Anblick eines Holzhauses in der pièce-sur-pièce – Bauweise. Das Walmdach und die ausschwingenden Dachtraufen waren ihnen aus Frankreich vertraut. Aber es war ein Haus aus Holz, sah man von drei kleinen Fenstern ab, verglast mit kostspieligem französischem Glas. Vor den Bäumen sahen sie einen wikuom, und am nächsten Tag erfuhren sie, dass dies das Baumrindenhaus der sauvage war, in das sie sich abends mit ihren Kindern zurückzog.
Monsieur Trépagny brachte sie in seinen Lagerschuppen. Drinnen stank es nach fauligen Kartoffeln, Sumpfgrasheu und Kuhscheiße. Ein Ende des Schuppens war abgeteilt; von dort hörten sie ein Tier schnaufen. Sie sahen eine schwarze Feuerstelle, eine Esse. Monsieur Trépagny, verliebt in die eigene Stimme, sang weiter, machte Feuer in der Feuerstelle und verließ sie. Draußen entfernte sich seine Stimme: »Ah! Bonjour donc, franc cavalier …« Es begann wieder zu regnen. René und Duquet saßen im Dunkeln bis auf das Licht des schwindenden Feuers. Der Schuppen hatte keine Fenster, und als Duquet die Tür öffnete, um Licht hereinzulassen, machten sich Wolken von Schnaken und Moskitos über sie her. Sie saßen im Halbdunkel. Duquet sprach. Er sagte, er habe mal de dents – Zahnschmerzen – und wolle bei der ersten Gelegenheit weglaufen und nach Frankreich zurückkehren. René schwieg.
Nach einiger Zeit wurde die Tür geöffnet. Die sauvage und zwei Kinder kamen herein, mit vollen Armen. Die Frau sagte: »Bien, bien«, und gab jedem einen Mantel aus Biberfell. Sie deutete auf sich und sagte: »Mali«, denn wie den meisten Mi’kmaq fiel es ihr schwer, den Buchstaben r auszusprechen. René sagte seinen Namen, und sie wiederholte ihn – »Lené«. Das größte Kind stellte eine hölzerne Schüssel mit heißem Maisbrei auf den Boden. Dann verschwanden sie. René und Duquet fischten den Brei mit den Fingern aus der Schüssel. Sie wickelten sich in die Mäntel und schliefen ein.
Es war noch nicht hell, als Monsieur Trépagny die Tür aufriss und in harschem Ton rief: »Allons-y!« Hinter der Abtrennung hörte man das Geräusch von Milch, die in einen hölzernen Zuber traf. Trépagny warf ihnen Stücke von geräuchertem Stör zu, nahm seine Axt mit Stahlschneide von der Wand und gab beiden eine stumpfe Axt mit kurzem Stiel. Renés Axt hatte an der Schneide eine große Kerbe. In der triefendfeuchten Morgendämmerung führte Trépagny sie an einem Garten mit Mais vorbei auf eine kleine Lichtung. Er beschrieb mit dem Arm einen Bogen und nannte in ironischem Ton den engen Raum seine große Lichtung – »le grand défrichement« –, und dann bearbeitete er mit kundigen Schlägen einen Baum. Er befahl ihnen, es ihm gleichzutun. Er sagte, an diesem Tag würden sie Bäume fällen, um aus dem Holz ihre Unterkunft zu bauen, eine Ergänzung zu seinem domus, damit sie so bald wie möglich seinen Lagerschuppen verlassen konnten. René holte mit dem kurzstieligen Werkzeug aus, spürte den Ruck vom Widerstand des Baums, holte wieder aus, und das war der Einstieg in sein Lebenswerk als Holzfäller in den Wäldern von Neufrankreich. Duquet werkelte mit seinem Beil an einem anderen Baum herum, aus seinen geschwollenen Augen troff gelber Eiter. Sie entasteten die gefällten Bäume, rollten und schleppten sie zum Rand der Lichtung. Die Äste wurden beiseitegelegt, um später zu Klafterholz verarbeitet zu werden.
Die Axt war stumpf. In der Zeit, die René brauchte, um einen kleinen Baum zu fällen, brachte sein Dienstherr drei größere zu Fall und machte sich an den vierten. Es muss doch möglich sein, eine Axt zu schärfen, der ein Viertel ihrer Schneide fehlt, dachte er. Er würde ihr ihre Schärfe wiedergeben; unsicher wählte er einen Flusskiesel und begann mit kreisförmigen Bewegungen zu schleifen. Von einem Ergebnis war nichts zu sehen, und er begann wieder an den Bäumen zu hacken. Monsieur Trépagny hob den nutzlosen Kieselstein auf und warf ihn in den Wald, nahm René die Axt ab und schwenkte sie. »Zum Schärfen«, sagte er, »benutzen wir Sandstein – grès.« Er zeigte das Schärfen pantomimisch. René hätte gerne gefragt, wo Monsieur Trépagny seine Schleifsteine aufbewahrte, aber der zornige Gesichtsausdruck des anderen belehrte ihn eines Besseren.
Monsieur Trépagny schnaubte beim Anblick von Duquets jämmerlichen Kerben. Er betrachtete Duquets verzerrtes Gesicht. »Mach den Mund auf«, sagte er, klopfte mit der Schneide seines Messers an den verfaulten Zahn und murmelte, er werde ihn am Ende des Tages ziehen. Duquet äußerte einen ablehnenden Laut.
Als die Sonne am höchsten stand, brachte die sauvage einen Topf mit dampfendem Maisbrei. René war es nicht gewohnt, mittags zu essen. Mit einem Holzspan schabte Monsieur Trépagny einen Klumpen Mais auf. Mitten in dem gelben Brei schmolz eine cremige Substanz. René nahm etwas davon auf seinen Holzspan und war von dem üppigen Geschmack überwältigt. »Ah!«, sagte er und nahm mehr davon. Monsieur Trépagny sagte schroff, es sei cacamos, Elchmark. Duquet aß selbst davon kaum etwas und lehnte schwer atmend an einem Baum.
In der Dämmerung verließen sie die Lichtung. Monsieur Trépagny kramte geräuschvoll in seinem Schmiedewerkzeug, bis er eine Eisenschere fand. Duquet saß mit offenem Mund auf einem Baumstumpf, und Monsieur Trépagny erfasste den Zahn mit dem Werkzeug und zog daran. Er ließ den gelben Zahn auf den Boden fallen. Duquet spie Blut und Eiter; seine Unterlippe war vom Gewicht der Zange gespalten. »Und dieser bettelarme Schwächling will hier Reichtum scheffeln«, sagte Monsieur Trépagny und machte sich auf den Weg zu seinem Haus. René sah, dass er Duquets Zahn aufhob und einsteckte.
Die drei traten in das einzige Zimmer, und ihr männlicher Gestank mischte sich mit dem Geruch der Menschen der nördlichen Wälder. Die pockennarbige Mari bemerkte, dass René beim Geruch des Hauses die Nase verzog, und warf einen duftenden Wacholderzweig ins Feuer. Im Geschrei der Blagen hörten sie einzelne Namen – Elphège, Jean-Baptiste, Theotiste –, aber die Kinder sahen alle gleich aus und glichen ihrer Mi’kmaw-Mutter so sehr, dass René die Namen sofort vergaß. Mari sprach ein Pidgin aus Mi’kmaw und minimalem Französisch samt einzelnen portugiesischen Wendungen in merkwürdigem Rhythmus. Die Namen der Kinder waren französisch.
Sie brachte ihnen einen Topf mit ungesalzenem Wildgansfleisch, das mit wilden Zwiebeln und Kräutern gekocht war. Das Fleisch war so weich, dass es sich von den Knochen löste, doch Duquet konnte nur ein bisschen Brühe trinken. Vor Trépagny stand ein Gefäß mit grobem Salz, und er bediente sich daraus mit Daumen und zwei Fingern.
»Mari kocht nicht mit sel, die Mi’kmaq sagen, es verderbe die Speisen. Deshalb solltest du immer dein eigenes Salz mit dir führen, René Sel, wenn du nicht den Daumen ins Essen stecken und es mit deinem Namen würzen kannst – haha.« Dann gab es warme Maiskuchen. Monsieur Trépagny goss einen bernsteinfarbenen Sirup auf seine Kuchen, und René tat es ihm gleich. Der Sirup war süß und rauchig, geschmackvoller als Honig, und René konnte kaum glauben, dass er aus Bäumen gewonnen wurde, wie sein Dienstherr behauptete. Duquet, von all seinen Qualen erschöpft, ließ den Kopf sinken. Mari ging zu ihrer Anrichte und rührte etwas um. Sie brachte es Duquet. Monsieur Trépagny sagte, es sei vielleicht ein Gebräu aus unreifen Erlenkätzchen, aus genau den Erlen, die Duquet verwünscht hatte, so dass die Medizin bei ihm vielleicht nicht wirken würde. Mari sagte: »Weidenblatt, Weidenrinde, gute Medizin, Mari machen«, und Duquet trank und schlief in der Nacht.
Tag für Tag fällten sie, und ihre Hände schwollen an, bedeckten sich mit Blasen und wurden schwielig, und der Rhythmus des Fällens ging ihnen trotz der stumpfen Äxte ins Blut über. Monsieur Trépagny beobachtete René bei der Arbeit.
»Du hast schon einmal eine Axt gehandhabt; du bist ein erfahrener Holzfäller.« René erzählte ihm von dem Wald im Morvan, in dem er und Achille Bäume gefällt hatten. Aber dieses Leben war bereits losgelöst von ihm und schwand leise aus der Erinnerung.
»Aha«, sagte Monsieur Trépagny. Am nächsten Morgen nahm er ihre elenden Äxte, ging fort und ließ sie allein zurück.
»Und«, sagte René zu Duquet, »wie steht es um Monsieur Trépagny? Ist er reich? Oder nicht?«
Duquet lachte heiser. »Ich dachte, du und Monsieur Trépagny, ihr wisst alles, was man wissen muss. Weißt du denn nicht, dass er der seigneur ist und wir die censitaires sind? Manche nennen es auch habitants. Er ist ein seigneur, aber er will in diesem neuen Land ein Edelmann sein. Er teilt uns Land zu, und drei Jahre lang bezahlen wir ihn mit unserer Arbeit und mit Erzeugnissen wie Rettichen oder Rüben von dem Land, das er uns zugesteht.«
»Was für Land?«
»Eine kluge Frage. Bis jetzt haben wir gearbeitet, aber von Landbesitz war keine Rede. Monsieur Trépagny ist gerissen und boshaft. Der König könnte ihm die seigneury wegnehmen, wenn er davon wüsste. Hast du denn nicht verstanden, was du unterschrieben hast? Es war auf Französisch unmissverständlich erklärt.«
»Ich dachte, es ginge nur um einen gewissen Zeitraum der Leibeigenschaft. Das mit dem Land habe ich nicht gewusst. Soll das heißen, dass wir Bauern sein werden? Landbesitzer?«
»Ouai, Tagelöhner und Siedler, keine Landbesitzer, sondern Landarbeiter, die den Wald roden und Rüben pflanzen. Wenn die Leute in Frankreich dächten, sie könnten hier ohne weitere Umstände Land besitzen, würden sie zu Tausenden kommen. Ich jedenfalls will kein Bauer sein. Ich weiß nicht, warum du hergekommen bist, aber ich bin hier, um es zu etwas zu bringen. Im Pelzhandel ist Geld zu machen.«
»Ich bin kein Bauer. Ich bin Holzfäller. Aber ich hätte sehr gern mein eigenes Land.«
»Und ich wüsste gern, warum er meinen Zahn an sich genommen hat. Ich habe es gesehen.«
»Ich habe es auch gesehen.«
»Da gibt es etwas Böses. Dieser Mann hat ein schwarzes Herz.«
Einige Stunden später kam Monsieur Trépagny zurück und brachte Eisenäxte für beide mit, die vertraute La-Tène-Machart mit geradem Griff, die René von jeher kannte. Die Äxte waren neu, mit scharfen Schneiden. Und gute Wetzsteine hatte er auch mitgebracht. René spürte die Kraft in dieser Axt, ihren gierigen Hunger, alles zu durchbeißen, was ihr im Weg war, dass der Saft spritzte und weiße Späne wie Porzellansplitter davonstoben. Mit einem spitzen Stein markierte er den Stiel mit einem R, seinem Initial. In dem Maß, in dem er Bäume fällte, wich die Wildnis der Welt zurück, und das gewaltige unsichtbare Netz der Fibern, die das Leben der Menschen mit den Tieren verbanden, die Bäume mit Fleisch und die Knochen mit dem Gras, zitterte jedes Mal, wenn ein Baum fiel, und eine nach der anderen rissen die Fibern des Netzes.
Nach wochenlangem Bäumefällen, Entasten und Entrinden, dem Schleppen der Stämme mit den zwei Ochsen Monsieur Trépagnys zu seiner Lichtung, dem Zerteilen, Kerben und Nuten der Holzblöcke nach Anweisung des Dienstherrn und nachdem sie die Blöcke eingepasst und die Zwischenräume mit Flusslehm gefüllt hatten, war das neue Gebäude fast fertig.
»Wir sollten unsere eigenen Häuser auf dem Land bauen, das uns zugewiesen ist, und nicht eine gemeinsame Unterkunft neben seiner ménage errichten«, sagte Duquet, dessen entzündete Augen zwinkerten.
Aber sie fällten Bäume, häuften die Stämme aufeinander, um sie trocknen zu lassen, und brannten ältere Haufen ab. Die Luft war ständig voller Rauch, dem Geruch von Neufrankreich. Der mit Stümpfen übersäte Boden war von den gespaltenen Ochsenhufen so zerfurcht, als hätte ein Ballett von Teufeln sich im Schlamm ausgetobt. Die Bäume fielen, ihre Schatten wurden von sengendem Licht abgelöst, und die Moose und Farne verdorrten.
»Warum«, fragte René, »verkaufen Sie diese schönen Bäume nicht nach Frankreich für Schiffsmasten?«
Monsieur Trépagny lachte unfreundlich. Renés törichte Fragen gingen ihm auf die Nerven. »Weil diese Dummköpfe baltisches Holz vorziehen. Sie haben keine Ahnung, was es hier gibt. Sie sind halsstarrig. Sie verschmähen den Reichtum von Nouvelle-France mit Ausnahme der Pelze.« Er schlug sich ans Bein. »Schon vor hundert Jahren hat de Champlain, der Nouvelle-France entdeckte, sie angefleht, das gute Holz, den Fischreichtum und die schönen Pelze, das Leder und tausend andere wertvolle Dinge zu nutzen. Haben sie auf ihn gehört? Nein. Ganz und gar nicht. Sie lassen diese kostbaren Güter verkommen – mit Ausnahme der Pelze. Auch andere hatten gute Einfälle, aber die feinen Herren in Frankreich hat das nicht interessiert. Und manche der Männer mit Einfällen gingen zu den Engländern, und die Samen, die sie dort gesät haben, werden blutige Früchte tragen. Die Engländer schicken Tausende in ihre Kolonien, aber Frankreich kümmert das alles nicht.«
Als das Frühjahr voranschritt, feucht und insektenreich, und jeder Baum frischen Sauerstoff versprühte, schwoll Duquets Gesicht wegen eines neuen Abszesses an. Monsieur Trépagny zog auch dieses Zahnübel und sagte gebieterisch, er werde ihm nun alle Zähne ziehen. Duquet werde keine Zeit mehr mit Zahnschmerzen vergeuden. Er lauerte mit den Zangen aus der Schmiede, aber Duquet lief davon, schüttelte energisch den Kopf, spuckte Blut und sagte in leisem Ton etwas. Monsieur Trépagny steckte den zweiten Zahn ein, drehte sich um und sagte im gelassenen Ton eines Edelmanns: »Dich kriege ich.« Duquet beugte sich leicht vor, sagte aber nichts.
Einige Tage darauf ging Duquet unter dem Vorwand, sich erleichtern zu müssen, mit seiner Axt in den Wald. Als er außer Hörweite war, fragte René Monsieur Trépagny, ob er ihr seigneur sei.
»Und wenn?«
»Dann, gnädiger Herr, werden wir – Duquet und ich – Land erhalten, das wir bestellen können, nicht wahr? Duquet würde das gerne wissen.«
»Zu gegebener Zeit wird das der Fall sein, aber nicht vor drei Jahren, nicht bevor der domus fertig ist, nicht bevor meine Brüder kommen, und ganz gewiss nicht bevor der Boden für ein neues Maisfeld gerodet ist. Das ist unsere nächste Aufgabe, also arbeitet weiter. Das Land erhaltet ihr am Ende eurer Dienstzeit.« Und er schlug seine Axt in eine Fichte.
Duquet blieb lange weg. Stunden vergingen. Monsieur Trépagny lachte. Er sagte, Duquet suche offenbar nach seinem Land. Mit boshaftem Entzücken schilderte er, welche Schrecken drohten, wenn man sich im Wald verirrte; man konnte im eisigen Fluss ertrinken, von Wölfen zu Boden gerissen, von Elchen zertrampelt oder von Geschöpfen mit dampfenden Zähnen zerrissen werden. Er benannte die wildwütigen Waldgeister der Mi’kmaq – chepichcaam, den behaarten kookwes, den Frostriesen chenoo und unsichtbare Geschöpfe, die mit ihren Zähnen Bäume fällten. René standen die Haare zu Berge, und er dachte sich, dass Monsieur Trépagny einen allzu tiefen Blick in die Welt der Wilden getan hatte.
Am nächsten Tag hörten sie fern in den Bäumen eine quäkende Stimme. Monsieur Trépagny, der gefällte Bäume entastet hatte, sprang auf, lauschte und sagte, es sei keiner der Mi’kmaw-Geister, sondern ein Geist, der den Siedlern aus Frankreich gefolgt war, der loup-garou, bekannt dafür, in Wäldern sein Unwesen zu treiben. René, der sein Leben lang Geschichten über diesen bösen Geist in Wolfsgestalt gehört, aber nie einen zu sehen bekommen hatte, dachte sich, dass es eher Duquet sei, der sie um Hilfe anflehte. Als er die Rufe erwidern wollte, befahl ihm Monsieur Trépagny, den Mund zu halten, wenn er den loup-garou nicht anlocken wolle. Sie hörten das Geschöpf jammern und etwas rufen, was wie »maman« klang. Monsieur Trépagny sagte, es sei ein wohlbekanntes Täuschungsmanöver des loup-garou, wie ein Kind, das sich verirrt hatte, nach der Mutter zu rufen, und sie würden an diesem Tag nicht weiterarbeiten, damit das Geräusch ihrer Äxte die Bestie nicht zu ihnen führte.
»Vite!«, rief Monsieur Trépagny. Sie liefen zum Haus zurück.
Nachdem Duquet fort war – »vom loup-garou gefressen«, wie Monsieur Trépagny sagte und dabei mit den Lippen schmatzte –, wurde der seigneur gesprächig und erzählte beim Holzhacken verschiedene Versionen seiner Lebensgeschichte, wobei die Axthiebe die meisten seiner Worte übertönten. Mit geübtem Blick konnte er sehen, wo kleinere Bäume mehr oder weniger in einer Reihe standen; diese Bäume kerbte er an, und dann fällte er den großen Baum am Ende der Reihe, der im Fallen netterweise die kleinen Bäume mitnahm. Er sagte, seine Vorfahren stammten aus den Pyrenäen, doch ein andermal situierte er sie im Norden, in Lille, und auch Paris vergaß er nicht als Ursprungsort zu nennen. Er sprach von seinem Hass auf Dörfer und ihre verlogenen, neugierigen, bigotten Bewohner. Die Jesuiten verachtete er. Monsieur Trépagny sagte, er, seine Brüder und sein Onkel Jean seien nach Nouvelle-France gekommen, um sich im Pelzhandel zu etablieren, obwohl er persönlich bessere Gründe gehabt habe.
»In früheren Zeiten wurden unsere Leute in Frankreich sehr schlecht behandelt. Die papistische Teufelskirche nannte uns Häretiker und hat uns gefoltert. Sie dachten, sie hätten uns bezwungen. Da haben sie sich getäuscht. Wir haben jahrhundertelang mit Hand, Kopf, Herz und Körper insgeheim an unserem Glauben festgehalten, und hier in Nouvelle-France werden wir wieder stark werden.« Er pries das neue Land, sagte, es würde das alte Frankreich an Reichtum und Macht übertreffen.
»Eine neue Welt, die bedeutender sein wird als das herzlose alte Frankreich mit seinen erstarrten Vorstellungen. Eines Tages wird Neufrankreich sich bis nach Florida erstrecken, bis zum großen Fluss im Westen. Frontenac hat das vorausgesehen.«
René dachte darüber nach und stimmte zu; Neufrankreich wäre ein Gewinn – wenn England die Finger davon ließe. Aber solche Gedanken beschäftigten ihn nicht oft. Er betrachtete sich als Stäubchen im Wind des Lebens, das es dorthin verschlug, wohin diese gewaltige Macht es wehte.
»Was«, fragte Monsieur Trépagny, »ist das Wichtigste? Nach Gott selbstverständlich.«
René hätte gern gesagt: Land, er hätte gern gesagt: Saatgut, er hätte gern gesagt: gestohlene Zähne. Er sagte nichts.
»Blut!«, sagte Monsieur Trépagny. »Deine Familie. Deine Blutsverwandten.«
»Sie sind alle tot«, sagte René, aber Monsieur Trépagny hörte nicht zu und fuhr mit seiner Lebensgeschichte fort. Er und seine Brüder, sagte er, seien zuerst den geheimnisvollen Saguenay flussaufwärts gefahren, »um mit den Huronen um Pelze zu feilschen und später mit den Odaawa, haben langsam ihr Vertrauen gewonnen, aber den Irokesen sind wir aus dem Weg gegangen, denn sie halten es mit den Engländern und sind es von Kindesbeinen an gewohnt, sich gegen abscheuliche Folterqualen zu stählen. Es macht ihnen Vergnügen, andere zu foltern. Das Leben eines voyageurs kommt meinen Brüdern zupass, sie ziehen immer noch die Flüsse entlang. Für mich ist das eine wenig erquickliche Daseinsform.
Mittlerweile«, sagte er, »sind die Irokesen weniger furchterregend als in früheren Zeiten. Alle Indianer waren ganz versessen auf Kupferkessel, je größer, desto besser, so groß, dass sie schwer zu transportieren waren, und der Besitz solcher Kessel hat ihre Wandergewohnheiten verändert. Sobald sie Kupferkessel oder Eisenkessel besaßen, streiften sie nicht mehr so ausgiebig in den Wäldern und an den Flüssen umher. Um die Kessel herum entstanden Dörfer. Das mag alles gut und schön sein, aber jemand musste diese monströsen Kessel zu ihnen bringen, und dieser Jemand musste sich damit abmühen, sie auf gefährlichen Transportwegen zu ihnen zu schaffen.« Schweigend deutete er auf seine Brust. »Das entsprach nicht meiner Position im Leben.« Und er fällte seinen Baum.
»Der Pelzhandel verlagerte sich nach Norden und nach Westen«, sagte er zu dem Baum, dem er seine Enttäuschung darlegte. »Die Transportrouten: sechs, acht Meilen Felsgestein, und das mit Pelzen vom Gewicht einer Kuh, dann zurück zum Kanu und noch mehr Pelze oder einen der verwünschten Kessel. Zuletzt auch noch das Kanu. Du machst dir keine Vorstellung, welche unglaublichen Gewichte manche dieser Männer geschleppt haben. Es heißt, einer habe bei jeder Reise von Tagesanbruch bis zum Abend fünf Zentner geschleppt.« Als er einen der verhassten Kessel trug, sagte Monsieur Trépagny, sei sein rechtes Knie kaputtgegangen. Die Folgen machten ihm bis heute zu schaffen.
»Wie auch immer! Die Pelzhandelsgesellschaft hat mich kraft der ihr vom König verliehenen Rechte zum seigneur ernannt und beauftragt, habitants zu holen und Neufrankreich zu besiedeln. Das hier ist der Anfang einer großen neuen Stadt in der Wildnis.« René fragte ihn etwas, was ihn seit seinem ersten Marsch durch die Wälder beunruhigt hatte.
»Warum fällen wir Bäume im Wald, wenn es so viele schöne Lichtungen gibt? Warum sollte man sein Haus nicht auf einer Lichtung errichten, auf einer der Wiesen, an denen wir auf dem Weg hierher vorbeikamen? Wäre das nicht einfacher?«
Aber Monsieur Trépagny war schockiert. »Einfacher? Ja, einfacher schon, aber wir sind hier, um den Wald abzuholzen, um diese teuflische Wildnis zu unterjochen.« Er schwieg für einen Augenblick, dachte nach und sprach dann weiter. »Außerdem haben wir hier in Neufrankreich eine besondere Art, Landbesitz aufzuteilen. Landstreifen, die vom Fluss zum Wald reichen, bieten jedem Siedler fruchtbaren Boden, hoch genug gelegen, um vor Überschwemmungen sicher zu sein, dazu die Bäume im Wald für Bauholz und Brennholz – und Pilze! Diese Vereinbarung ist recht und billig, was nicht möglich wäre, wenn man nach Gutdünken Lichtungen in Besitz nähme – bon gré mal gré.«
René hoffte, dass der Vortrag jetzt beendet wäre, aber Monsieur Trépagny sprach weiter. »Die Menschen müssen dieses Land verändern, damit sie dort leben können. In alten Zeiten haben die Menschen wie Tiere gelebt. In jenen Tagen hatten die Menschen Klauen und lange Zähne, und sie konnten nicht sprechen, sondern nur knurren.« Er machte vor, wie das geklungen haben mochte.
Beim Fällen war René reine Bewegung, die erhobene Axt, die wachsende Spannung in Armen und Schultern, Hinterbacken und Oberschenkeln, während die Knie locker und gebeugt waren und die Hüften die Balance hielten, und dann kam der Schlag nach unten, so abstrakt wie der Schatten eines Steins, eine Art Waldtanz. Er hatte mit babiche einen Felsbrocken an den Nacken seiner Axt gebunden, um ein Gegengewicht zu haben. Das Gewicht verbesserte die Genauigkeit jedes Axthiebs.
Monsieur Trépagny erging sich inzwischen in einem langen Sermon über die Notwendigkeit und die Pflicht, die Bäume zu roden, das Land nicht für einen selbst, sondern auch für die Nachkommen fruchtbar zu machen, für das, was an diesem Ort entstehen sollte. »Eines Tages«, sagte Monsieur Trépagny und deutete in das Dämmerlicht, »eines Tages wird man hier Kohl pflanzen. Ein Mann zu sein heißt, den Wald abzuholzen. Die Bäume sehe ich nicht«, sagte er, »ich sehe die Kohlköpfe. Ich sehe die Weinberge.«
Monsieur Trépagny sagte, sein Onkel, Jean Trépagny, seiner Streitsucht wegen Chamailleur genannt, kurz Chama, werde Duquet ersetzen. Er sei alt, aber stark, stärker als Duquet. Er würde bald kommen. Und Monsieur Trépagnys Brüder würden auch kommen. Vielleicht. Er sagte auch, die Zeit zum Bäumefällen sei nun vorbei. Die bébites seien kaum zu ertragen, die feuchte Hitze sei gefährlich, die Bäume seien voll Saft. Und in der Tat, die höllischen Schwärme bissiger Insekten verfolgten sie Tag und Nacht.
»Winter. Der Winter ist die richtige Zeit, um den Wald zu roden. Heute ist der richtige Tag, um Baumstümpfe auszugraben und zu verbrennen.« Und, wie er hinzufügte, sei es auch der richtige Zeitpunkt für René, seine anderen Pflichten in Angriff zu nehmen.
»Drei Tage in der Woche arbeitest du für mich. Und es gehört zu deinen Pflichten«, sagte Monsieur Trépagny, »meine Tafel mit Fisch zu versorgen.« Zu den unmittelbarer anstehenden Pflichten zählte, die Gartenflächen für Mari vorzubereiten. Die Ochsen Roi und Reine zogen verdrießlich Monsieur Trépagnys alten Pflug. Eine grünköpfige bissige Fliege mästete sich mit ihrem Blut. Monsieur Trépagny schmierte die Ochsen mit Flussschlamm ein, der zu staubigen Klumpen trocknete, aber gegen die zudringlichen Gnitzen war er machtlos. Die Indianerin Mali weichte Tamarindenrinde in Quellwasser ein und spülte den Tieren zweimal täglich die brennenden Augen. An den langen Nachmittagen bepflanzte sie unter vielen Seufzern den von ihr verabscheuten Garten. An einem Tag in diesem Sommer schickte sie ihre zwei kleinen Söhne zu einem Ort namens Odanak, wohin Überlebende ihres Volkes geflohen waren.
»Gänse fangen dort lernen. Viele Fallen lernen. Gute Männer dort jagen. Hier nur Garten und Baumfällen lernen.«
Monsieur Trépagny sagte giftig, was sie dort lernen würden, sei, sich gegen die Siedler aufzulehnen und sie zu bekriegen.
René ging zum Fluss, um seine Pflichten als Fischer zu erfüllen. Monsieur Trépagny hatte ihm ein Messer, Angelhaken, eine gewachste leinene Angelschnur und einen großen Korb für die Fische mitgegeben. Die Fische im Fluss waren groß und aggressiv, und mehrmals verlor René die Schnur mit dem kostbaren Angelhaken. Mari verhehlte ihr Missfallen nicht. »Kleine Fisch«, sagte sie. »Guter Fischer Lené nicht. Mein Volk macht Fallen, fängt viele viele. Große viele.«
Um sie von ihrer Verärgerung abzulenken, zeigte er auf eine Brennnessel im Garten. »Die haben wir auch in Frankreich«, sagte er.
»Ja. Schlechte Pflanzen wachsen, wo Weiße sind – die ›Wer kommt da‹, wenuj.«
Mari sagte, er solle die Fische ganz lassen, sie wolle sie selbst ausnehmen. Die Eingeweide vergrub sie im Garten, und als René sie fragte, ob das eine indianische Gepflogenheit sei, sah sie ihn verächtlich an und sagte, es sei das übliche Verfahren aller Narren, die Gärten anlegten, statt die Gaben des Landes zu ernten.
»Aale!«, sagte sie. »Aale fangen. Aale mögen uns. Wir Flussleute.«
Sie flocht drei Aalkörbe für ihn und gab ihm Fischabfälle als Köder, ging mit ihm zum Fluss und zeigte ihm die richtigen Stellen. Danach brachte er ihr fast jeden Tag fette Aale. Sie sagte, die Mi’kmaq könnten Aale auf verschiedenartigste Weisen fangen und für ihn seien die Körbe das Beste. Sobald ihre Söhne aus dem Abenaki-Dorf Odanak zurückkehrten, würden sie ihm andere Methoden zeigen.
Anfang Juli warfen die Kiefern Wolken von Pollen ab, gelbe Schwaden, die wie zitronenfarbiger Rauch durch den Wald wehten und sich mit dem Qualm brennender Bäume mischten. Eines Morgens wackelte ein gebrechlicher alter Mann, unter seinem Bündel gebeugt, aufmerksam nach links und nach rechts spähend, aus den Pollenwolken von dem Weg nach Westen heran, der, soweit René wusste, bis zum Ende der Welt führte. Über dem kleinen Mund hing ein grauer Schnurrbart, der aussah, als hätte sich ein Büschel Schafwolle in einem Zweig verfangen. Die Augen ähnelten denen Monsieur Trépagnys, schwarz und weiß und sehr beweglich. Chamailleur warf einen Blick auf René, der sich zum Fischen bereitmachte, und fiel sofort über ihn her.
»Salaud! Du Hund! Warum arbeitest du nicht?«
»Das tu ich. Es gehört zu meinen Pflichten, das Haus mit Fisch für die Tafel zu versorgen.«
»Ha! Mit Schnur und Angelhaken? Du musst mit einem Netz fischen. Lass die Frau ein Netz flechten. Oder eine Korbfalle. Oder du nimmst einen Speer. Das sind die besten Methoden.«
»Für mich sind Angelschnur und Haken am besten.«
»Dumm und halsstarrig! Oui, stupide et obstiné! Ich weiß, was am besten ist, und du weißt es nicht. Gut, dass ich gekommen bin. Ich sehe, dass man dich an die Kandare nehmen muss. Mein Neffe ist viel zu nachsichtig.«
Störrisch arbeitete René weiter mit seinen Angelhaken und seiner verdrehten leinenen Angelschnur. Aber er dachte über die Netze nach. Ein Netz könnte sich wirklich besser eignen, denn der Fluss war so fischreich, dass er mehrere große Fische auf einmal fangen könnte. Was Maris unerträgliche Vorträge darüber betraf, wie die Mi’kmaq verschiedene Arten von Reusen anlegten, wie sie nachts esturgeon mit brennenden Fackeln und Speeren jagten – all das ignorierte er. Er benutzte die Aalkörbe, die sie gemacht hatte, und redete sich ein, dass Aale keine Fische seien.
Auf der Suche nach Land für die Zeit nach seiner Leibeigenschaft entdeckte er Monsieur Trépagnys Geheimnis. Er war weit flussaufwärts gewandert. Neue Regenfälle hatten den Fluss in einen reißenden Strom verwandelt, der über zahllose Felsbrocken toste. René hielt es für das Klügste, sich Land zu suchen, das nicht zu nahe am Fluss lag, aber eine Quelle oder einen kleinen Bach besaß. Er kam durch einen alten Windbruch, wo zwischen den gefällten Bäumen Millionen Schößlinge wuchsen, so dicht wie Ginster. Zweimal hörte er lautes Krachen und sah schwarzes Fell blitzartig im Unterholz verschwinden. Am frühen Nachmittag gelangte er an einen breiten, aber kaum sichtbaren Weg, der von Osten nach Westen verlief, und fragte sich, ob dieser Weg zu Monsieur Trépagnys Lichtung im Osten führte. Doch da er noch den ganzen Nachmittag vor sich hatte, wandte René sich in westliche Richtung. Er sah alte Furchen, die nur von Wagenrädern stammen konnten. Das war kein Indianerpfad. Er wurde neugierig.
Gegen Mitte des Nachmittags teilte sich der Weg. René folgte den Wagenspuren. Der Weg unterschied sich inzwischen merklich von den üblichen Waldwegen. Die Bäume waren zu beiden Seiten sorgfältig ausgelichtet, so dass der Eindruck einer allée entstand, den Weg bedeckte eine dünne Schicht zerbrochener weißer Muschelschalen. René sah, dass diese allée schnurgerade verlief, ein dunkler Tunnel aus Bäumen mit einem spitzen Lichtkegel am Ende. In Frankreich hatte er solche Auffahrten zu den großen Häusern der Vornehmen führen sehen, obwohl er nie gewagt hatte, eine zu betreten. Und hier, in den Wäldern von Neufrankreich, befand sich die finsterste und abweisendste alléeallée