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1

Sich schwarz ärgern, dachte er und fixierte sein Spiegelbild. Für einen flüchtigen Augenblick ließ ein kaum spürbares Beben die Konturen leicht verschwimmen.

Nur eine Minute später, oben auf dem Dach, würde er denken: Hätte ich nicht schon da reagieren sollen? Hätte ich nicht wachsamer sein sollen? Hätte ich nicht begreifen müssen, daß dieses kaum erkennbare Beben ein Vorbote war?

Dann wäre ich noch am Leben.

Doch das war später. Jetzt beschäftigte ihn etwas anderes. Die versteckten Vorurteile der neuen Sprache nahmen ihn in Anspruch. Sein letzter Gedanke sollte sein: Vielleicht war es genau das, was mich getötet hat.

Aber bis dahin war es noch fast eine Minute.

Er dachte: der schwarze Tod, die schwarze Liste, schwarze Löcher und schwarze Schafe. Er dachte: Schwarzmakler, Schwarzarbeit, Schwarztaxi.

Er dachte: vollkommen schwarz geärgert.

Das bedeutet, daß der Zorn die Vernunft verdunkelt. Und daß man es sieht.

Und er folgte den schwarzen Konturen des Spiegelbilds, immer wieder, bis er seinem eigenen weißen Blick begegnete, und nur fünfzig Sekunden später sollte er denken: Vielleicht war ich wirklich, in dieser kurzen Gnadenfrist, schwarz vor Wut. Vielleicht hat der Zorn in dieser Minute, die Leben von Tod trennte, meine Vernunft verdunkelt. Vielleicht ist in den versteckten Vorurteilen der Sprache ein feiner Determinismus versteckt.

Wie schnell die Gedanken liefen, wenn die Pforte zum Reich des Todes in Sicht war.

Aber das dachte er erst fünfundvierzig Sekunden später.

Jetzt dehnte er ein wenig den Nacken. Kohlschwarz, dachte er. Pechschwarz, dachte er. Rabenschwarz, tiefschwarz, nachtschwarz.

Er drehte sich weg vom Spiegel, dem einzigen Wandschmuck des kargen Raums, und sah zur Küche hin. Ein diesiges Spätsommerlicht schien Staubkörner aufzuwirbeln, als es durch das ungeputzte Küchenfenster der kleinen Zweizimmerwohnung sickerte.

An der Kante des Küchentischs, in beunruhigender Nähe von Sembenes ständig fuchtelndem rechten Ellenbogen, stand ein altmodischer Wecker, dessen Ticken unnatürlich laut klang.

Tick-tack.

Tick-tack.

Oder sollte er das erst vierzig Sekunden später so empfinden?

Wahrscheinlich.

Da saßen sie alle, vollkommen schwarze Gesichter, und sahen nachmittagsträge aus. Nur Sembene war energisch wie immer. Er redete laut und eindringlich. Viermal berührte sein Ellenbogen den Wecker, der immer näher an die Kante rutschte. Und war das Ticken nicht unnatürlich laut? Obwohl Sembene fast schrie, hörte er seine Stimme nicht. Er hörte nur das langsame, immer kostbarer werdende Ticken.

Aber vielleicht kam ihm das Ticken erst eine halbe Minute später kostbar vor, als es schon vorbei war.

Vielleicht sah er erst da jenes letzte Sandkorn durch den verengten Hals des Stundenglases zu den anderen hinabkullern. Das Sandkorn blieb einen Moment in der Schwebe, als wollte es am Rand liegenbleiben, als gäbe es noch eine Chance, eine Öffnung, eine Möglichkeit.

Aber dann fiel es.

Es war am hellichten Nachmittag. Sie konnten nicht aus dem Haus gehen. Ihre Arbeit existierte nicht bei Tage. Schwarzarbeit wurde in der pechschwarzen Nacht ausgeführt.

Er tat ein paar Schritte auf den Tisch zu, und als diese Schritte zwanzig Sekunden später in seinem Innern noch einmal abliefen, war es ganz deutlich, daß sein Herz sich in diesem Augenblick zu einem winzigkleinen Sandkorn zusammenzog, das am Rand des Halses im Stundenglas noch in der Schwebe blieb, bevor es fiel und eine höchst unbedeutende weitere Gestalt mit den unzähligen Toten der Weltgeschichte vereinigt wurde.

Ja, man wird ein bißchen pathetisch in der unmittelbaren Nähe des Todes.

Er zog einen Stuhl heran, um sich an den Tisch zu setzen. Der Wecker tickte. Er tickte laut.

Er sah sich im Wandspiegel und erstarrte zu Eis.

Wieder ließ ein leichtes Beben seine schwarze Kontur verschwimmen. Fünfzehn Sekunden später war ihm klar, daß er genau in dem Moment verstanden hatte. Und da war es viel zu spät.

Das allerletzte Ticken, das der alte Wecker jemals von sich geben sollte, war unglaublich laut.

Tick-tack.

Eine Explosion.

Die Wohnungstür neben dem Wandspiegel flog auf. Splitter wirbelten. Der Spiegel fiel von der Wand und zerbarst auf dem Fußboden. Uniformierte Polizisten quollen herein, rutschten auf Spiegelscherben und Türsplittern aus.

Der erste Polizist kam direkt auf ihn zu und trieb ihn mit seltsamem Zielbewußtsein hinüber zum Schlafzimmer. Er war beleibt, trug einen blonden Schnauzbart und fixierte ihn mit einem eigentümlichen Blick. Auch darauf hätte er reagieren müssen, dachte er dreizehn Sekunden später.

Der Schnauzbartpolizist trieb ihn ins Schlafzimmer und gleich ans Fenster. Es stand offen. Wie immer.

Der Fluchtweg.

Dort blieben sie stehen. Der Schnauzbartpolizist wandte sich zur offenen Küchentür um und wechselte laut ein paar Worte mit seinen Kollegen.

Das war die Chance, die Öffnung, die Möglichkeit.

Und doch überhaupt nicht. Genau das Gegenteil. Aber das erkannte er erst zehn Sekunden später. In ebender Sekunde, in der alles so vollkommen klar war.

Vielleicht war das der Augenblick, in dem er starb.

Der Augenblick des Fehltritts.

Er warf sich durchs Fenster nach draußen und erklomm die Brandleiter hinauf zum Dach. Ein paar Meter unter sich hörte er, wie der Schnauzbartpolizist seinen massigen Körper durchs Fenster zwängte.

Er erreichte das Dach. Er lief ein paar Meter, stürzte zur Speichertür.

Der Fluchtweg.

Die Tür war verschlossen.

Sie war nie verschlossen. Aber jetzt war sie verschlossen.

Er hatte noch fünf Sekunden zu leben, und die Fäden wurden mit furchtbarer Schnelligkeit verknüpft. Er zog die Diskette aus der Innentasche seiner Jacke und hielt sie hoch über den Kopf, hoch zu dem vollkommen klaren blauen schwedischen Sommerhimmel.

Es war der letzte Ausweg. Wenn es keinen Fluchtweg mehr gab. Nicht für ihn. Vielleicht für andere. Für sehr viele andere.

Der Schnauzbartpolizist kam die Brandleiter herauf. Er richtete eine Pistole auf ihn.

Er blickte in die Augen des Polizisten. Darin war die banale Wahrheit.

Er stand da mit der Diskette hoch über dem Kopf und spürte, daß er anbiß, daß er ihn am Haken hatte. Er lachte laut und warf die Diskette in Richtung des Polizisten.

Der Polizist fing sie auf, lächelte bedauernd und schoß.

Einen einzigen Schuß.

Sein Herz hätte zu klein sein sollen, um getroffen werden zu können. Nur ein Sandkorn.

Im Fallen dachte er, daß es vielleicht seine Fixierung auf die versteckten Vorurteile der neuen Sprache war, die ihn tötete.

Und als sein Gesicht auf dem Dachblech aufschlug, sah er – tatsächlich – aus wie einer, der sich schwarz geärgert hat.

2

Das Besondere an der Regeringsgata ist, daß sie nichts Besonderes aufzuweisen hat. Sie verläuft quer durch das Zentrum von Stockholm, und dennoch hat sie nichts Besonderes an sich. Eine ziemlich anonyme Straße ohne besondere Kennzeichen – so könnte ein Polizist sie beschreiben. Und die dunkelhaarige Frau im Trikot, die durch eine zwar recht ansprechende, aber doch anonyme Haustür in den Spätsommermorgen hinaustrat, dachte wirklich – nachdem sie einen schnellen Blick in beide Richtungen der Straße geworfen hatte: ›Ich wohne in einer ziemlich anonymen Straße ohne besondere Kennzeichen.‹

Sie war nämlich Polizistin.

Sie beugte sich noch einmal vor und schaffte es, ohne heimlich allzusehr mit den Beinen einzuknicken, ihre Joggingschuhe mit den Fingerspitzen zu berühren. Dann lief sie los.

Es war bald halb acht, und es war Dienstag, der vierte September. Das Wochenende war überstanden – sie hatte überlebt –, und jetzt sollte das Leben wieder ins normale Gleis zurückfinden. Durch die Arbeit.

Das Wochenende war überwiegend anstrengend gewesen. Besuch mit dem Kirchenchor der Jakobsgemeinde und einem Kammerorchester irgendwo in Medelpad – sie konnte den Namen des Orts nicht einmal aussprechen – und die übliche Anmache seitens ein paar verwirrter Tenöre. Auch das Konzertprogramm war ihr keineswegs spannend vorgekommen; sonst war die Musik das versöhnliche Element derartiger Veranstaltungen. Doch diesmal war es ein Potpourri fader Italiener aus dem achtzehnten Jahrhundert und einiger mittelmäßiger Schweden aus dem neunzehnten Jahrhundert – ohne jedes Gefühl für die innere Dynamik des Kirchenchors. Pflichtsingen.

Und Pflichtsingen kam ihr in etwa so anregend vor wie Pflichtpolizeiarbeit. Will sagen: wie ein weiterer Schritt, der einen dem Tod näher brachte. Ohne daß man irgend etwas zurückbekam.

Die Frau, die jetzt die wenigen Meter zur Treppe an der Kungsgata joggte, hieß Kerstin Holm, war Kriminalinspektorin bei der ›Spezialeinheit für Gewaltverbrechen von internationalem Charakter‹ bei der Reichskriminalpolizei, vorübergehend auch als A-Gruppe bekannt, und ging sichtlich auf die Vierzig zu. War jedoch ziemlich fit – wenn sie es selbst hätte sagen sollen.

Doch das tat sie ungern.

Es war ein gräßliches Wort.

Fit.

Slim.

Als würde ein Schwachsinniger über Geschlechtsorgane reden.

Was wahrscheinlich vollkommen korrekt war, wenn man die Herkunft der Wörter bedachte.

In der Regel waren diejenigen, die slim und fit waren – Schwachsinnige. Traurig, aber wahr, dachte sie voller hemmungsloser Vorurteile und legte eine Hand an ihre spielenden Schenkelmuskeln.

Sie kreiselte die wie gewöhnlich nach Urin stinkende Treppe hinunter und unterquerte die Regeringsgata in Höhe der einst vielbeachteten Königstürme. Stockholms Zwillingstürme. Jetzt wußte kaum noch jemand, daß es sie gab. Reste eines Stadtplans aus den fünfziger Jahren. Die Kälte biß ein wenig an den Wangen. Über den Zwillingstürmen kam ihr der vollkommen klarblaue Sommerhimmel typisch schwedisch vor.

Klar und kalt, abgewandt, doch wohlwollend; wohlwollend, doch abgewandt.

Ein sozialdemokratischer Himmel eines abgelaufenen schwedischen Modells.

Sie erreichte Sveavägen. Weil ihr Ampelmännchen grün war, zögerte sie keine Sekunde, in den Wahnsinnsverkehr hinauszustürmen und im Vorbeilaufen mit ihrem Ring leicht über die Fronthaube eines roten Porsche zu kratzen, der diagonal über drei Viertel des Fußgängerüberwegs stand, mit der Schnauze Richtung Yuppie-Reservat Stureplan. Während sie auf der Kungsgata weiterlief, wo gerade der bunte Flickenteppich der Marktstände von Hötorget zusammengenäht wurde, dachte sie, hauptsächlich um zu verdrängen, daß sie soeben ein teures Auto geritzt hatte: Was ist eigentlich aus Porsche geworden? Was ist mit der Automarke passiert, die mehr als irgendeine andere das sozial und menschlich indifferente Streben einer ganzen Generation symbolisiert hatte?

Eigentlich war sie schon mitten in einem Gedankengang, in dem es um ein paar Tenöre ging, die vermutlich nie einsehen würden, daß sie schwul waren, doch jetzt hatte sich die Kombination Porsche/schlechtes Gewissen vorgedrängt.

Die Porscheleute waren Pioniere gewesen. Die Avantgarde des nicht rückgängig zu machenden Geldumschwungs. Jetzt begegnete man ihrer Haltung überall. Jedermann führte sie im Mund.

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins.

Doch, so einfach war es. Vor knapp einem Jahr, im Zusammenhang mit dem Fall der merkwürdigen Rachebande, der die A-Gruppe den Namen ›Die Erinnyen‹ gegeben hatte, war Kerstin Holm in eine Sackgasse geraten. Sie war das Gefühl nicht mehr losgeworden, daß ihr eine Erneuerung nottat, eine Form von Metamorphose.

Wie konnte man der unerträglichen Leichtigkeit des Seins entkommen?

Wie konnte man zur ursprünglichen Schwere und Kraft der Existenz zurückfinden?

Wie konnte man zurückfinden zu allem, was einmal wesentlich, brennend und existentiell anrührend gewesen war?

Es klang ein wenig trist, das mußte sie zugeben – aber im Grunde machte es – Spaß. Das war der Clou. Ein Zauberstab von Gleichgültigkeit hatte das Dasein berührt. Alles war gleich dick, gleich grau – aber es gab einen Ausweg. Das war ihre feste Überzeugung. Und damals – irgendwann im vergangenen Jahr – glaubte sie tatsächlich, ihn gefunden zu haben.

Den Ausweg.

Doch dann rollte dieser schwierige Fall über sie hinweg wie eine Lawine und riß das alles mit sich. Der schmale Weg war wieder versperrt. Vielleicht hatte es ihn nie gegeben, vielleicht war er nur eine Halluzination, hervorgerufen von ihrem Willen.

Gott?

Na ja, das wäre wohl übertriebener Optimismus. Man konnte IHN ja nicht einfach durch die Kraft des Willens herbeizaubern. So funktionierte es nicht.

Auf jeden Fall war es ihr erspart geblieben, sich mit den widersprüchlichen Thesen der Theologie konfrontiert zu sehen – dafür hatte eine Bande rachsüchtiger Ukrainerinnen gesorgt.

Die Gedanken lebten ihr eigenes Leben, als liefen sie neben ihr die Kungsgata entlang, als hüpften sie in spielerischen Kreisen um ihre Beine, um mit ihren leichten Schritten zu zeigen, wie schwer ihre eigenen waren.

Wahrscheinlich joggte sie deshalb. Sie ging mit ihren Gedanken Gassi wie andere mit ihrem Hund. Sie brauchte sich dabei nicht einmal zu bücken, um mit der über die Hand gestülpten Plastiktüte die Scheiße aufzuheben. Sie lief dem Gestank einfach davon. Und diese Erkenntnis machte die Schritte der Gedanken so schwer, daß sie ihnen davonlaufen konnte und zu sich selbst zurückkehrte.

Ihre Schritte waren nicht mehr so schrecklich schwer. Das regelmäßige Laufen hatte seine Spuren hinterlassen. Sie war sich noch immer nicht darüber im klaren, ob das Laufen nützlich oder eher gesundheitsschädlich war, aber es fiel ihr auf jeden Fall immer leichter. Vielleicht bedeutete das nur, daß man sich schneller auf den Tod zubewegte …

Was scheuerte da an der linken Hand?

Da traf die Sonne ihre Augen.

Spätsommer. Eigentlich schon Herbst, wenn man ehrlich war. Die Sonne war spürbar verblaßt, und der fächelnde Wind hatte eine neue Kühle.

Plötzlich Stopp.

An der Vasagata war die Ampel rot. Auf der Stelle zu laufen war das Schlimmste, was es gab – nichts sah lächerlicher aus. Grotesker Möchtegernprofessionalismus. Den Schenkelmuskeln zuliebe gab sie jedoch nach und hüpfte auf und ab wie ein Dorfidiot auf der Weide.

Gab es eigentlich noch Dorfidioten?

Hatte gut ein Jahrhundert der Urbanisierung sie nicht ausgerottet?

›Stadtidiot‹ klang eher tragisch als komisch, also blieb es bei ›Dorfidiot‹. Hoffentlich war sie selbst immer noch eher komisch als tragisch. Der Stich der Einsamkeit, der Stich des Älterwerdens in Einsamkeit, biß sich nicht fest in ihr, sondern war nach einer Sekunde verflogen. Nein, dachte sie schroff und wedelte mit den Händen wie ein Marathonläufer kurz vor dem Start. Nein, verdammt, ich bin nicht tragisch. Noch nicht. Noch nicht richtig.

In einem gewissen Alter werden alle Menschen tragisch. Bis dahin gedachte sie zu warten.

Und wieso Weide?

Jetzt scheuerte es wieder an ihrer linken Hand, aber gerade in dem Augenblick wurde dem Verstopften schlecht, wie ihre neunjährige Nichte zu sagen pflegte (das rote Männchen wurde grün), und sie folgte dem noch mäßigen Menschenstrom über die Vasagata. Von Norra Bantorget, auf der Höhe der Vasa, schwankten lärmend die Übriggebliebenen einer Junggesellenfete herunter, und sie legte einen Schritt zu. Denn sie zog die Spätsommersonne vor, die ihr draußen auf Kungsbron entgegentreten würde. Und so war es auch. Die Sonne hüllte Klara Strand in einen zauberhaften Morgenschimmer, der die Illusion erzeugte, Schwedens verkehrsreichstes Stück Straße sei ein Schärenidyll.

Der Zauberer Herbst mit seinen leicht durchschaubaren, aber lebensnotwendigen Illusionsnummern.

Es war ein ungewöhnliches Frühjahr gewesen. Mit faszinierender Regelmäßigkeit brachte das Frühjahr der A-Gruppe einen neuen Fall. Es schien, als hielte das ›internationale Verbrechen‹, auf das sie ein Auge haben sollten, seinen Winterschlaf – um im Frühjahr mit frischen Kräften aus der Höhle zu kriechen und, durch die winterliche Untätigkeit maßlos geworden, seine grauenvollsten Taten zu begehen.

Doch in diesem Jahr war es anders gekommen. Die A-Gruppe wartete und wartete, das Frühjahr verlief ohne größere Zwischenfälle, und der Sommer hatte nichts als eine Episode von internationalem Verbrechen in Form von Steine werfenden Deutschen und schießfreudiger Polizei beim EU-Gipfeltreffen im Juni in Göteborg zu bieten.

Jetzt war der vierte September, und das EU-Gipfeltreffen konnte als das mit Abstand unangenehmste Ereignis des Jahres verzeichnet werden. Das Polizistendasein wurde schwieriger. Die Ordnungsmacht hatte mit einer noch nie erlebten Härte zugeschlagen. Sie hatte sich einer Front von Steinewerfern gegenüber gesehen, wie man sie in Schweden noch nicht erlebt hatte. Aussage stand gegen Aussage. Anzeigen gegen Polizeibeamte strömten herein, und es war schwierig, ein klares Bild davon zu gewinnen, was eigentlich geschehen war. Klar war jedenfalls, daß es am Morgen des vierzehnten Juni begann, als die Polizei das Hvitfeldtsche Gymnasium umstellte, wo eine Menge Demonstranten einquartiert waren. Man riegelte die Schule mit Transportcontainern ab. Kurz nach zwei Uhr begannen die Demonstranten, die berittene Polizei mit Steinen zu bewerfen. Im unmittelbar benachbarten Vasapark gingen die Konfrontationen weiter. Danach wurde eine Einsatzhundertschaft damit beauftragt, im Gymnasium die Personalien der Demonstranten zu überprüfen. Es war gewissermaßen eine militärische Operation, die von Hunderten von Polizisten, einem großen Aufgebot von Pferden und Hunden und von Hubschraubern durchgeführt wurde. Die Zeugenaussagen über das, was in der Schule eigentlich passiert war, gingen auseinander.

Als hätte das nicht gereicht, wiederholten sich die Ereignisse – nur noch schlimmer – am Tag darauf im Schiller-Gymnasium. Das Gymnasium wurde gestürmt, die Menschen wurden nach draußen getrieben und mußten stundenlang auf dem regennassen Schulhof ausharren.

Und dabei handelte es sich nicht um das, was für die A-Gruppe gewöhnliche ›Gewaltverbrechen von internationalem Charakter‹ waren, weit gefehlt. Die Frage war, ob es die Steinewerfer waren, die für ›Gewaltverbrechen von internationalem Charakter‹ standen, oder die Polizei, und diese Frage war zutiefst unangenehm. Manche aus der A-Gruppe waren bereits in den Ferien, der Rest saß ein bißchen distanziert da und betrachtete das Schauspiel, und die allerwaghalsigsten erlaubten sich wirklich, die leichter zu definierenden Widerwärtigkeiten zu vermissen.

Kerstin Holm mußte zugeben, dieser wenig illustren Schar angehört zu haben.

Sie verließ das Festland und bewegte sich hinüber auf diejenige von Stockholms Inseln, die den Namen Kungsholmen trägt und auf der neben vielem anderen das Polizeipräsidium zu Hause ist. Es war nicht mehr richtig wie früher.

Als sie mit immer noch ziemlich leichten Schritten in die Fleminggata einbog und die bleiche Sonne hinter sich zurückließ, scheuerte es wieder an ihrer linken Hand.

Unter dem glatten Ring an ihrem Ringfinger schauten ein paar rosenrote Farbsplitter hervor.

Nein, nicht rosenrot.

Porscherot.

Sie wurde beinah – aber nur beinah – rot, als sie die stark befahrene Fleminggata hinunterlief und sich der polizeilichen Behörde näherte, als deren Teil sie sich genaugenommen zu betrachten hatte. Obwohl es ihr nicht richtig so vorkam. Auf ihrer Schulter saß nämlich – ja, natürlich war er es – Jiminee Grille und zirpte ihr ins Ohr: ›Dürfen Polizisten wirklich die Autos von Mitbürgern ritzen, so daß sich Farbsplitter lösen?‹ Sie antwortete, und dabei schwoll ihre Nase schon ein bißchen an: ›Aber er ist bei Rot gefahren! Er stand quer auf dem Fußgängerüberweg!‹ Und da sah Jiminee Grille sie nur an, und mit dem Blick war nicht zu spaßen. Dann verschwand er.

Plopp.

Mit kläglicher Feinmotorik versuchte sie – im Laufen – die Porschefarbe vom Ring zu polken. Was gar nicht so einfach war. Nach einer Weile konnte den obengenannten eine weitere Farbnuance zugefügt werden, nämlich ›blutrot‹.

Göteborg, ja … ihre Heimatstadt.

Sie blickte auf den Ring. Daß sie ihn nicht abnahm. Es war der Verlobungsring von einer vor undenklichen Zeiten abgebrochenen Verlobung. Dag. Dag Lundmark. Der Kollege in Göteborg, der die Nächte damit verbrachte, sie – ganz unbewußt – zu vergewaltigen. Er glaubte ganz einfach, daß es so sein müsse. Ich nehme, du wirst genommen. Mann, Frau. Ein sehr sonderbares Verhältnis.

Dag, ja, dachte sie und drehte ein wenig am Ring. Es tat weh. Er saß fest. Deshalb hatte sie ihn nicht abgenommen. Sagte sie sich. Mehrmals. Viel zu oft.

Dann, mit der unbarmherzigen Logik der Detektivin: Und wieso hat dann die Porschefarbe Platz darunter gefunden?

Weg.

Heck, meck, Katzendreck, wie Paul Hjelm zu sagen pflegte, wenn er einen Sonnenstich hatte. Was dann und wann vorkam.

Aber nein. Dag. Was ist aus Dag geworden? Totaler Bruch. Keine Kinder. Keine Verbindung. Plötzlich war man verschwunden aus dem Leben des anderen.

Ihr waren Gerüchte zu Ohren gekommen. Er hatte damals schon zuviel getrunken. Dann war er wegen Trunkenheit im Dienst suspendiert worden. War es nicht so? Nein, sie wußte es nicht. Sie erinnerte sich aber sehr deutlich daran, wie er ihr den Ring über den Finger gestreift hatte. In diesem rosenroten kleinen Ecklokal in Haga. Die rosenroten Wände. Die Rose in der Hand. Doch, bestimmt war er auf die Knie gefallen. Das konnte sie nicht geträumt haben. Und diese Worte, die …

Eine Schlagzeile auf einem Aushänger vor einem Seven Eleven – genau da, wo die Fleminggata die Scheelegata kreuzt – unterbrach sie in ihren Gedanken.

Nicht schon wieder.

›Extrameldung. Polizei erschießt Asylbewerber. Tödliche Schießerei in Flemingsberg.‹

Es muß schon einiges passieren, um Kerstin Holm aufzuhalten, wenn sie zur Arbeit joggt, aber jetzt blieb sie tatsächlich stehen. Abrupt. Ließ die lautstarken Proteste ihrer Beinmuskeln ungehört. Es war so trostlos. Eine Gewaltspirale ohne Ende. Die Gewalt gegenüber der Polizei nahm auffallend zu. Und gemäß einer unabhängigen Untersuchung hatte die Polizei nach den Polizistenmorden von Malexander eine spürbare Neigung an den Tag gelegt, zur Waffe zu greifen. Gar nicht davon zu reden, wie sie plötzlich gegen die Demonstranten in Göteborg losgeschlagen hatte. Die Migrationsbehörde trug aktiv dazu bei, für Asylbewerber auf der Flucht Fallen aufzustellen, und vor gar nicht langer Zeit war an einem anderen Ort in Schweden ein Flüchtling auf ähnliche Art und Weise erschossen worden.

Also wieder einmal.

Sie seufzte tief und versuchte, die Beinmuskeln wieder in Schwung zu bringen. Sie hatten schon nachgegeben. Sie konnte richtig spüren, wie die Mikrofasern wie Gummibänder gedehnt wurden, um beim geringsten kleinen Fehltritt zu reißen. Mit den vorsichtigen Schritten eines Minenräumers lief sie die letzten Meter die Scheelegata hinunter zum Rathaus, das zum immer noch klarblauen Septemberhimmel aufragte. Es war, als berührte sie kaum den Boden. Elfengleich schwebte sie am Polizeipräsidium entlang die Kungsholmsgata aufwärts bis zu dem Punkt, wo die Straße an der östlichen Grenze des Kronobergsparks ein Ende mit Schrecken fand. Erreichte die Polhemsgata und den Eingang der Reichskriminalpolizei. Als sie durch die schwerbewachten Türen eintrat und Schweiß über die polizeilichen Korridore verspritzte, wurde ihr klar, daß sie auf dem gesamten Weg keinen einzigen kleinen Wolkenzipfel gesehen hatte.

Dennoch wurde es eindeutig Herbst.

Sie stieß die Tür zum Umkleideraum der Frauen auf. Da stand ihre jüngere Kollegin Sara Svenhagen, den Kopf in ihrem Spind. Über den Jeans war ihr Oberkörper nackt. Sie warf sich rasch ein Handtuch um. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Kerstin Holm die Kollegin von der Seite. Das genügte.

Die kleine Wölbung des Bauchs war unverkennbar.

Und Sara sah, daß sie es sah. »Sag nichts«, bat sie ein bißchen verlegen und sah aus, als wäre sie mit den Fingern in der Keksdose ertappt worden.

Kerstin Holm nahm Sara Svenhagen in den Arm und drückte sie lange. Als sie dann ein wenig zurücktrat und sie betrachtete, kam es ihr vor, als wäre Sara von einem verklärenden Licht umhüllt.

Einem Spätsommerlicht.

»Wie weit bist du denn schon?« platzte Kerstin schließlich heraus.

»In der vierzehnten Woche«, sagte Sara.

»Und hast nichts gesagt!«

»Und werde auch nichts sagen. Und du auch nicht.«

»Nein. Nein. Nein. Ich auch nicht.«

Kerstin ließ Saras Arme los und fand keine Worte. Sie verstand eigentlich nicht, warum sie so überwältigt war. Übertrieb sie nicht ein bißchen?

»Ich frage mich, ob ich nicht vielleicht auch duschen muß«, lachte Sara.

Kerstin hob den Arm und roch. Die Frage war zweifellos berechtigt. Sie lachte kurz und ging zu ihrem Spind an der gegenüberliegenden Wand.

Sara warf das Handtuch in den Spind und zog sich einen sackartigen Pulli von der bauchverhüllenden Sorte über. »Hast du die Schlagzeilen gesehen?« fragte sie pulligedämpft.

»Mach jetzt nicht diesen Morgen kaputt«, rief Kerstin zurück, während sie ihre Joggingsachen auszog und sich der Dusche zuwandte.

Das Wasser war so kalt, daß sie sich wunderte, nicht von Eiszapfen durchlöchert zu werden. Während sie auf das warme Wasser wartete, steckte Sara den Kopf herein und zeigte auf die Uhr: »Vier Minuten und dreiundvierzig Sekunden.«

»Verschwinde, du Scheusal«, sagte Kerstin Holm.

Zuerst glaubte sie, ihre Periode bekommen zu haben, doch das Datum stimmte nicht. Das rosenrote Wasser, das in den Abflußwirbel der Dusche gesogen wurde, hatte eine andere Quelle. Sie schaute auf den linken Ringfinger, und tatsächlich zog sich von dort ein dünnes rotes Rinnsal abwärts, um immer farbloser zu werden und im glucksenden Abfluß zu verschwinden.

Wie lange sollte sie noch an ihr mangelndes Urteilsvermögen erinnert werden? Es war wie eine sich zäh in die Länge ziehende und ein wenig lächerliche Strafe. Schande als Strafe.

Sie versuchte, den Ring abzudrehen. Er saß an und für sich nicht besonders fest, aber jeder Versuch, ihn zu bewegen, war wie ein Schnitt mit dem Messer.

Schließlich war sie es leid, ihn abdrehen zu wollen, und zog statt dessen mit Gewalt. Lieber ein kurzer, intensiver Schmerz als ein in die Länge gezogenes Grummeln.

Sie bekam ein mikroskopisch kleines rotes Fitzelchen zu fassen und riß es aus der Haut. Ein Blutstrom im Miniaturformat quoll hervor.

Wie Wasser durch aufbrechendes Eis quillt.

Ihr Blick fiel auf den Ring. Die Inschrift. Sie hatte sie lange nicht angesehen. ›Auch viele Wasser löschen die Liebe nicht.‹

Und da kniete er wieder in diesem rosenroten Restaurant. Dag. Dag Lundmark. Und auf einmal waren die Worte ganz deutlich: ›Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz und wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod, und ihr Eifer ist fest wie die Hölle. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, daß auch viele Wasser nicht mögen die Liebe auslöschen, noch die Ströme sie ertränken. Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so gälte das alles nichts.‹

Das Hohelied.

Dag …

Sie schloß die Augen. Der Gang der Zeit. Alles, was danach geschehen war …

Aber damals, genau da, war es unwiderstehlich gewesen. Er konnte die Worte auswendig, wie ein sprudelnder Quell. Er kniete in diesem rosenroten Restaurant und hatte sich die ganze Mühe gemacht. Ihretwegen. Der Liebe wegen. Das lange, verzwickte Zitat, der Ring mit der Gravierung, die roten Rosen, das Knie auf dem Fußboden der Stammkneipe. Schwer zu vergessen. Unmöglich zu verdrängen.

Und jetzt? Warum jetzt? Aufgrund eines rücksichtslosen Porsches? Wohl kaum.

Kaum deshalb.

Sie schüttelte den Kopf und schob den Ring wieder auf den Finger.

Wie ein Pflaster. Auf die Wunde.

Dann trocknete sie sich ab und zog sich an. Die Zeit war ihr nicht gnädig, sie würde ein paar Minuten verspätet erscheinen. In der Kampfleitzentrale, dem total fehlbenannten kleinen Konferenzraum, in dem die A-Gruppe sich zu ihren morgendlichen Sitzungen zu treffen pflegte.

Sie rannte durch die Korridore und die Treppen hinauf und gelangte auf sicheres Gelände. A-Gruppen-Gelände. Die Tür der Kampfleitzentrale war nur angelehnt. Davor stand eine keineswegs unbekannte Gestalt und zeigte albern auf eine nicht vorhandene Uhr am Handgelenk.

Diese dämliche Geste.

Besonders bei Paul Hjelm, der in seinem ganzen Leben bestimmt noch nie eine funktionierende Uhr am Handgelenk hatte.

Er massierte sein unerwartet gut rasiertes Kinn. Als wisse er, was ihnen bevorstand. Als habe er einen Insidertip bekommen.

Der Scheißkerl.

Aber das dachte sie erst eine Minute später.

»Wir sollen zu Hultin rein«, sagte er nur.

»Wer wir?« sagte sie.

»Du und ich«, sagte er.

»Was du nicht sagst«, sagte sie.

»Nicht wahr?« sagte er.

»Und die anderen?« sagte sie.

»Die nicht«, sagte er.

Es war mit anderen Worten ziemlich ätzend.

Sie traten an die Tür von Kriminalkommissar Jan-Olov Hultin. Sie war geschlossen. Sie klopften.

Und traten ein.

Hultin saß hinter seinem Schreibtisch und sah aus wie immer. Alles andere hätten sie auch als schockierend empfunden. Nicht wie immer war dagegen, daß noch jemand anwesend war.

Es war selten jemand außer Jan-Olov Hultin in Jan-Olov Hultins Büro. Und wenn andere Personen anwesend waren, handelte es sich meist um Mitglieder der A-Gruppe. Oder – ein bißchen weniger willkommen – um Waldemar Mörner, den formellen Chef der A-Gruppe, den Reichskasper. Der Mann, der neben dem Schreibtisch stand und stramm aussah, gehörte keiner der genannten Kategorien an. Er war ungefähr in Pauls und Kerstin Alter, vielleicht etwas über vierzig, verfügte jedoch über etwas, was ihnen fehlte – und sie wußten, daß es ihnen fehlte. Einen autoritären Blick.

Und natürlich einen dunklen Anzug.

Kerstin warf einen Blick auf Paul. Er stand wie versteinert.

Hultin befingerte seine Nase. Weil sie ziemlich umfangreich war, dauerte das eine ganze Weile. Nachdem dieses Projekt abgeschlossen war, sagte er neutral: »Paul, du kennst ja Kommissar Niklas Grundström.«

Niklas Grundström streckte die Hand aus, Paul Hjelm tat das gleiche, wenn auch mit erkennbarem Widerwillen. Kerstin streckte ihre Hand aus. Sie fühlte sich ein wenig außen vor.

»Niklas Grundström hat jetzt die Abteilung für interne Ermittlungen unter sich«, fuhr Hultin fort.

»Ich hatte schon vermutet, daß es so kommen würde«, sagte Paul Hjelm.

»Er will eure Hilfe.«

Da ging Kerstin ein Licht auf. Vor Urzeiten. Paul war wegen Regelwidrigkeiten im Zusammenhang mit einer Geiselnahme in Hallunda angeklagt gewesen. Der damals die Klage geführt hatte, war kein anderer als Niklas Grundström. Und es war Jan-Olov Hultin, der ihn damals gerettet hatte.

»Hilfe?« fragte Paul Hjelm skeptisch. »Er will unsere Hilfe?«

»Wie wäre es, wenn du mit ihm selbst redest«, sagte Hultin grantig.

Grundström fuhr sich durch sein blondes Haar – das bedenklich schütter geworden war, dachte Paul mit Genugtuung.

Das nahm Kerstin auf jeden Fall an.

Grundström räusperte sich und sagte: »Habt ihr heute schon die Schlagzeilen gelesen?«

Kerstin seufzte. Na gut denn. Sie sollte nicht darum herumkommen.

»Was ist passiert?« fragte Hjelm kurz.

»Wir wissen es nicht sicher«, sagte Grundström. »Wir hoffen, daß ihr es für uns herausfindet.«

»Personalmangel?«

»Er weigert sich, mit unseren Leuten von der Internabteilung zu reden.«

»Das hat euch doch nie gehindert.«

Niklas Grundström machte eine kleine Pause und blätterte sinnlos in einem Papierstapel. »Seit ich die Abteilung übernommen habe«, sagte er, »versuchen wir, eine neue Strategie umzusetzen. Die Anzahl der Ermittlungen ist höher denn je, das wißt ihr, und in dieser Lage müssen wir eine funktionierende Arbeitssituation aufrechterhalten können. Die Existenz der Abteilung für interne Ermittlungen insgesamt ist in Frage gestellt. Immer öfter werden Forderungen nach unabhängigen Ermittlungen gegen angeklagte Polizeibeamte laut, wie im Fall Osmo Vallo. Dann wird es bedeutend härter als heute, Polizist zu sein. Und es ist schon hart genug. Ich habe die wasserdichten Schotten zwischen uns und euch abbauen wollen. Deshalb brauche ich eure Hilfe.«

Paul und Kerstin wechselten Blicke.

Glaubwürdig? Tja, vielleicht. Aber mit Einschränkungen.

»Warum gerade unsere?« fragte Kerstin Holm.

Niklas Grundström seufzte tief und biß in den sauren Apfel: »Weil es heißt, daß ihr die Besten seid.«

»Die Besten worin?« fragte Paul, um noch einen weiteren Biß ins Saure zu provozieren.

»Die besten Vernehmungsleiter. Bist du jetzt zufrieden?«

Kerstin sprang ein: »Erzähl schon.«

Grundström holte ein Blatt Papier heraus, auf das er während der folgenden Darstellung keinen einzigen Blick warf: »Gestern nachmittag wurde die Stadtteilpolizeiwache Huddinge tätig aufgrund eines Hinweises, daß fünf zur Abschiebung verurteilte afrikanische Flüchtlinge sich in einer Wohnung im Ortsteil Flemingsberg versteckt hielten. Vier Polizeiassistenten trafen …«

»Aufgrund eines Hinweises?« unterbrach Hjelm tonlos.

»Eines Hinweises«, bekräftigte Grundström sinnlos.

»Eines anonymen Hinweises?« fuhr Hjelm ebenso tonlos fort.

Grundström wand sich ein wenig. »Der Hinweis kam von der Migrationsbehörde. Darf ich weitermachen?«

»Aber selbstverständlich.«

»Vier Polizeibeamte begaben sich zu der angegebenen Wohnung und sammelten die Flüchtlinge ein. Einer von ihnen, ein Winston Modisane aus Südafrika, konnte jedoch durch ein Fenster aus der Wohnung fliehen und gelangte über die Brandleiter auf das Dach des Hauses. Einer der Beamten verfolgte ihn. Auf dem Dach angekommen, schoß Modisane auf ihn. Der Beamte erwiderte das Feuer – mit einem einzigen Schuß. Er traf direkt ins Herz. Winston Modisane war auf der Stelle tot. Es gelang uns, den Vorfall bis heute früh aus den Medien herauszuhalten. Gewisse gewiefte Blätter haben es jedoch in der Frühausgabe gebracht.

Paul und Kerstin sahen sich an, doch es war Hultin, der sagte: »Aber das hört sich ja nach einer regelrechten Schießerei an …«

Grundström schnitt eine Grimasse und sagte: »Es gibt gewisse erschwerende Umstände …«

»Wie zum Beispiel?«

»Wie zum Beispiel, daß die Einsatzgruppe die Tür einschlug, ohne vorher zu klingeln. Wie daß der betreffende Beamte erst kürzlich nach längerer Suspendierung wieder in Dienst getreten war. Nach menschlichem Ermessen hätte er entlassen werden müssen, aber irgendwo hat irgendwer Gnade vor Recht ergehen lassen. Ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse.«

Etwas in Kerstin Holm geriet in Bewegung. Ein tiefes und unmittelbares Unbehagen. »Warum war er suspendiert?« fragte sie mit einer so eigentümlichen Stimme, daß Paul Hjelm sie entgeistert anstarrte.

»Wegen Alkoholproblemen«, sagte Niklas Grundström kristallklar.

Und das tiefe und unmittelbare Unbehagen wurde rosenrot.

Grundström fuhr erbarmungslos fort: »Er heißt Lundmark. Dag Lundmark.«

3

Mitten im Zentrum von Flemingsberg, genauer gesagt im Diagnosväg, nicht weit von der Post, ragte Giottos im dreizehnten Jahrhundert entworfener Campanile zum Himmelsgewölbe empor. Auf der anderen Seite von Hälsovägen erstreckten sich am Ufer des Arno die Uffizien, vollgehängt mit Botticellis, Raffaels, Michelangelos und Leonardo da Vincis. Und unten am Huddingeväg, gleich diesseits der roten Ampel, lag der Dom mit Brunelleschis mächtiger roter Kuppel.

Oder auch: Arto Söderstedt hatte Sehnsucht nach Italien.

Viggo Norlander hatte diesen Zustand wirklich reichlich satt. Er lag wie ein Schleier vor den Augen des Kollegen, und Viggo meinte zu sehen – wie in einem kitschigen Reklamefilm –, wie die toskanischen Szenerien einander auf diesem Schleier ablösten. Und das war äußerst anstrengend. »Verdammt, Arto«, schnauzte er. »Das da ist die total triste Kirche von Flemingsberg. Das da ist das noch tristere Krankenhaus von Huddinge. Und dies hier ist Södertörns Hochschule. Nichts anderes.«

Arto Söderstedt betrachtete ihn mit himmlischer Geduld. »In deiner Welt vielleicht«, sagte er und streckte sich.

Sie standen auf einem Hausdach zehn Stockwerke über Flemingsbergs Zentrum und blickten über den sonnenbeschienenen südlichen Vorort, der die vielleicht allerunerträglichsten Bauwerke des Millionenprogramms umfaßte. Vor wenigen Jahren noch hatte Flemingsberg den schlechtesten Ruf von allen Stockholmer Vororten – sogar noch schlechter als Tensta und Alby, Fittja und Rinkeby –, doch seit einiger Zeit besserte sich dieser Ruf. Das lag vor allem an Södertörns Hochschule, die sich über das gesamte Zentrum hinzog. Eine Hochschule, die auch die Desillusioniertesten wieder an eine Zukunft für das schwedische Universitäts- und Hochschulwesen glauben ließ. Obwohl sie mit haarsträubendem Verlust geführt wurde. Sie war eine Prüfung für die Regierenden. Alle liebten diese Hochschule, und wenn sie meilenweit über den Rand des Konkurses hinaus betrieben wurde – niemand würde es wagen, sie zu schließen.

Vielleicht waren derartige Machtmittel vonnöten.

»Ich verstehe dich nicht«, klagte Viggo Norlander. »Du wärst beinah hops gegangen da unten in Italien. Sie haben dir eine Pistole in die Fresse gedrückt, daß die Zähne nur so flogen. Alle deine Illusionen vom Paradies sind ein Scherbenhaufen. Und trotzdem sehnst du dich jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde zurück.«

»Sieh mal da«, sagte Arto Söderstedt und zeigte auf etwas.

»Na gut, wenn du nicht antworten willst«, sagte Norlander beleidigt und folgte dem Zeigefinger des Kollegen hinüber zum Nachbardach, auf dem blau-weiße Plastikbänder im Wind flatterten, als wollten sie die Krähen verscheuchen.

Dann seufzte Viggo Norlander tief.

»Sie sind alle ziemlich gleich«, sagte Söderstedt mit Engelsgeduld und wandte sich um. Er ging zur Tür des Raums, der wie ein kleines Haus auf das große Haus gesetzt war; dahinter führte eine Treppe zum Dachboden.

Norlander ging grummelnd hinterher.

Es war das dritte Mal, daß sie das falsche Haus erklommen hatten.

»Aber jetzt sind wir dicht dran«, sagte Söderstedt aufmunternd.

Viggo Norlander fühlte sich nicht aufgemuntert.

Obwohl der grummelnde Viggo Norlander inzwischen hauptsächlich eine Maske war – sie entsprach dem, was man von ihm erwartete, und aus reiner Freundlichkeit hielt er daran fest. Im Grunde war er ein glücklicher Mensch, frischgebackener Vater einer zweiten mirakulösen Tochter in ebenso vielen Jahren. Im Alter von zweiundfünfzig. Er bewegte sich im Kreis zarter Mädchen wie unter Engeln. Er war schon im Paradies, also brauchte er sich nicht danach zu sehnen. Und folglich erschien ihm die ständige Sehnsucht seines Kollegen als ziemlich – läppisch, ganz einfach. Kindisch.

Anderseits hatte er nie richtig begriffen, was mit Arto Söderstedt in Italien eigentlich passiert war.

Ein beträchtlicher Teil des letzten großen Falls der A-Gruppe hatte sich in Europa, vor allem in Italien abgespielt, außerhalb der Reichweite aller, nur nicht von Söderstedt. Und er hatte nicht mehr erzählt, als was rein professionell gesehen von ihm verlangt wurde.

Aber etwas fehlte.

Puzzleteile.

Er hatte behauptet, seine Frau sei schwanger, aber als sie wieder nach Hause kamen, war davon keine Spur zu sehen.

Er hatte ein Vermögen geerbt, aber jetzt tat er, als hätte es nichts dergleichen gegeben.

Er war als Europol-Polizist erfolgreich gewesen, hatte aber nicht einen Augenblick daran gedacht, Kapital daraus zu schlagen.

Er hatte mindestens einen Kriegsverbrecher aus dem Zweiten Weltkrieg zur Strecke gebracht, aber kein Wort darüber verloren, wie es eigentlich zugegangen war.

Der heimgekehrte Arto Söderstedt war ganz einfach ein Wunder an Zurückhaltung.

Doch damit mußte Viggo Norlander zu leben lernen. Söderstedt schloß sich wie eine Muschel, und entweder war er dabei, eine Perle herzustellen – oder er wurde gerade gargekocht.

Fressen oder gefressen werden, dachte Norlander verwirrt und zwängte sich in den nach Urin stinkenden Aufzug, nur um sich daran zu erinnern, daß der außer Betrieb war. »Wir lassen es an Effizienz mangeln«, sagte er zum Aufzugspiegel.

»Du jedenfalls«, sagte Söderstedt, öffnete die Aufzugtür von außen und vollführte eine galante Geste hin zur langen und wenig einladenden Treppe.

Norlander war overdressed. Ihm gefiel das Wort, nicht aber die Sache. Er meckerte vor sich hin, während sie Stockwerk um Stockwerk nach unten kreisten. Ich bin overdressed. Ich bin overdressed.

Was ganz einfach bedeutete, daß er eine viel zu dicke Jacke trug, genauer gesagt eine schwarze Steppjacke vom denkbar plumpesten Modell. Wie üblich war er völlig unfähig gewesen, das Wetter richtig einzuschätzen. Er hatte am Morgen einen Blick aus dem Fenster und dann aufs Thermometer geworfen und – das Falsche gewählt. Dünne Sachen bei Kälte, warme Sachen bei Wärme. Das war unfehlbar.

Die Jacke war als Arbeitskleidung gänzlich ungeeignet, weil es eine halbe Minute dauern würde, aus allen krausen Falten die Pistole herauszufummeln. Zum Glück hatte er es nie ausprobieren müssen. Und morgen würde die Steppjacke im Flur bleiben. Egal, wie das Wetter war.

Und heute hatte er nicht die Absicht, die Waffe zu ziehen.

Sie gelangten nach unten und traten auf die Straße. Söderstedt blieb eine Weile stehen und richtete den Blick zum klarblauen Himmel. Norlander hatte nichts dagegen. Er legte die Hände an die Knie, beugte sich vor und atmete aus.

Und das ihnen, die gar nicht hier hätten sein sollen.

Die Morgensitzung in der Kampfleitzentrale war eingestellt worden. Statt dessen hatte Kriminalkommissar Jan-Olov Hultin sie in sein Büro gerufen und sie in inoffiziellem Ton gebeten, sich in Flemingsberg eine Wohnung anzusehen. »Ihr sollt nur mal die Lage peilen«, hatte er gesagt.

»Nur mal die Lage peilen?« hatte Norlander in extrem vielsagendem Ton erwidert.

Was mit großer Akkuratesse ignoriert wurde. »Ja«, antwortete Hultin neutral.

Das also hatte es damit auf sich.

Zum Glück funktionierte der Aufzug im Nachbarhaus. Ansonsten unterschieden sich die Häuser in keinem einzigen Detail. Sie waren ganz einfach identisch.

Es war zu vermuten, dachte Norlander, daß so die Hölle aussah. Alles identisch. Nichts hob sich heraus. Man bewegte sich von Ort zu Ort, von Höllenfeuer zu Höllenfeuer, und alles war genau wie alles andere.

Im neunten Stock hielt der Aufzug. Es war nicht schwer, die Wohnung zu finden. Die letzte Tür im Flur war ziemlich demoliert und wurde außerdem von einem gelb-schwarzen Aufkleber und einem kleinen blau-weißen Plastikband geziert.

Leider war die Tür offen.

Im Wohnungsinnern waren Bewegungen zu erkennen.

Norlander seufzte.

Er dachte an seine Schicht um Schicht in Daunenpolster eingebettete Dienstwaffe. Er dachte an das gerade erst geleistete Versprechen – ›heute hatte er nicht die Absicht, die Waffe zu ziehen‹. Er dachte an das alte Versprechen, das er seiner Lebensgefährtin Astrid und seinen Töchtern Charlotte und Sandra gegeben hatte: Nein, ich werde nicht sterben. Dann begann er, am Reißverschluß zu fummeln.

Die Mühe hätte er sich sparen können. Der Mann, der ihn durch den Türspalt anschaute, war anständig gekleidet und hielt ihnen einen Polizeiausweis entgegen. »Verschwinden Sie«, sagte er forsch. »Polizei.«

»Hier auch«, sagte Arto Söderstedt, hielt seinen Polizeiausweis dagegen und fuhr fort: »Arto Söderstedt und Viggo Norlander, ›Spezialeinheit beim Reichskriminalamt für Gewaltverbrechen von internationalem Charakter‹.«

Der Mann betrachtete sie mißtrauisch. Dann sagte er: »Die A-Gruppe?«

»The one and only.«

»Das hier ist unser Fall.«

»Ich nehme an, ihr seid von der Abteilung für Internes?«

»Dann begreifst du auch, warum ihr wieder gehen müßt.«

»Nein«, sagte Söderstedt mit einem engelgleichen Lächeln.

Zum Teufel auch, dachte Viggo Norlander und betrachtete seinen vollkommen weißen Kollegen, der von hereinfallendem Sonnenlicht umhüllt war. Er sieht tatsächlich aus wie ein Engel.

»Euer Chef, Kommissar Niklas Grundström, hat uns um Hilfe gebeten«, verdeutlichte Söderstedt.

Der Mann wurde nachdenklich. Er war gute fünfzig und gehörte zweifellos zur alten Garde interner Ermittler. »Das zu glauben fällt mir sehr schwer«, sagte er, aber es war ihm anzusehen, daß er es glaubte, es war ihm anzusehen, daß er seinen Chef verfluchte, und es war ihm anzusehen, daß es nicht das erste Mal war.

Das fand auf jeden Fall Viggo Norlander und kam sich scharfsinnig vor.

»Du kennst doch sicher eure neue Politik?« sagte Söderstedt und streute mit einem Wedeln seiner Engelsflügel Salz in die Wunden.

Der Mann sah maßlos vergrätzt aus, tat eine Weile so, als überlegte er, und ließ sie dann herein.

Das erste, was ihnen begegnete, war ein Spiegel. Er begegnete ihnen von unten. Norlander war froh, daß er overdressed war. Die dicken Winterstiefel hielten den Scherben stand. Und da Arto Söderstedt den Boden nicht berührte, sondern darüber schwebte, kam auch er nicht zu Schaden.

Der anständig gekleidete Kollege sah ein wenig enttäuscht aus. Ein bißchen Leiden hätte ihnen wohl nicht geschadet. Den Eindringlingen.

»Bist du hier … zur Bewachung?« fragte Norlander.

»Ich schließe unsere Untersuchung ab«, sagte der Mann.

»Wie heißt du?«

»Åke Danielsson.«

»Du schließt also eure Untersuchung ab, Åke? Und was bedeutet das?«

»Hör auf«, sagte Åke Danielsson.

Während dieser stimulierende Wortwechsel vor sich ging, nahm Arto Söderstedt die Gelegenheit wahr, sich einen Eindruck von der Wohnung zu verschaffen, in der fünf afrikanische Flüchtlinge sich vor dem Gesetz versteckt gehalten hatten. Aus dem mikroskopisch kleinen Flur kam man direkt in die Küche. Es war eine Zweizimmerwohnung, spartanisch möbliert, der Fußboden übersät mit den Überresten der Zerstörung. Türsplitter, Spiegelscherben – und ein alter Wecker. Er hob ihn vom Küchenfußboden auf und betrachtete ihn. Er zeigte Viertel nach vier. Der Todesaugenblick. Oder fast der Todesaugenblick.

»Rührt nichts an«, sagte Åke Danielsson, allerdings jetzt fast ein wenig bittend. Seine Forschheit war wie weggeblasen.

»Warum nicht?« sagte Söderstedt, ohne den Blick von dem kaputten Wecker zu wenden. »Habt ihr vergessen, eine Tatortuntersuchung zu machen?«

Aber ihm war nicht danach, zu sticheln. Er legte den Wecker dahin zurück, wohin er offenbar gehörte. Auf den Fußboden. Dann ging er in das angrenzende Zimmer. Es war ein Schlafzimmer. Zwei Betten und drei zusammengerollte Matratzen. Kahle Wände. Durchgangswohnung. Kein Grund, sich häuslich einzurichten. Nichts, was einem leid tat, wenn man sie in aller Eile verlassen mußte. Nichts, woraus man vertrieben werden konnte.

Arto Söderstedt kannte das Gefühl.

Wenn auch auf einer wesentlich privilegierteren Ebene.

Auch er war vertrieben worden. Aus dem Paradies.

Doch das war eine andere Geschichte.

Vor dem nächstliegenden Fenster führte eine Brandleiter aufs Dach. Ein blau-weißes Band versperrte den Zutritt. Söderstedt wandte sich zu Danielsson um und machte eine kleine Geste zum Fenster hin. Danielsson antwortete mit einer hilflosen Grimasse, und Söderstedt riß das Fenster auf.

»Das stand also offen?« fragte er.

Danielsson trat ans Fenster und nickte. »Vermutlich stand es ständig offen«, sagte er. »Ein vorbereiteter Fluchtweg.«

»Und wie würdest du bis hierhin den Ablauf des Geschehens rekonstruieren?«

Danielsson tippte sich mit den Fingerspitzen an die Stirn. Es sah aus, als versuchte er, die Töne der Rekonstruktion auf der Tastatur des Großhirns zu improvisieren. »Fünf Flüchtlinge am Küchentisch. Kaffeebecher. Sie tranken Kaffee, als vorschriftswidrig die Tür eingeschlagen wurde. Der Spiegel fiel von der Wand, der Wecker vom Tisch. Chaos. Der Flüchtling, der dem Fenster am nächsten ist, faßt den Fluchtweg ins Auge.«

»Winston Modisane«, sagte Söderstedt.

Danielsson nickte und fuhr fort: »Er stürzt zum Fenster und springt raus. Der Kollege folgt ihm, ohne zu wissen, daß Modisane bewaffnet ist.«

»Dag Lundmark«, nickte Söderstedt und zeigte zum Fenster. »Wollen wir auch mal ihren Spuren folgen?«

Åke Danielsson vollführte eine unwillige Geste zum Fenster hin. Söderstedt glitt hinaus. Danielsson ächzte hinterher. Norlander ebenso.

Die Brandleiter, die aufs Dach führte, war alles andere als solide und bog sich unter der gesammelten polizeilichen Last.

Sie stiegen über die nächste Sektion blau-weißen Plastikbands und betraten das Dach. Hier oben war nichts außer einem kleinen Aufbau, der wie ein kleines Haus aus dem großen herauswuchs. Söderstedt ging hin. Er faßte an die Türklinke, und die Tür öffnete sich. Er schloß sie wieder.