Das Bett bewegte sich unter mir. Zu sehr für einen 25-Kilo-Hund. Selbst wenn er aus vollem Lauf mit allen vieren voran daraufgesprungen wäre. Er hätte auch deutlich weniger Platz benötigt, um sich neben mir auszustrecken. Warmer Atem kitzelte die Haut direkt unter meinem Ohr. Gleich darauf strichen Lippen sanft über die Seite meines Halses. Joaquín. Ich spürte seine nassen Haare neben dem Träger meines Nachthemds. Er hatte sich ein kleines Stück über mich gebeugt, um mich küssen zu können. Wie er es immer tat, wenn er kurz nach Sonnenaufgang von der Jagd zurück, und nach einer Dusche in mein Bett kam. »Wo ist Jasper?« Joaquín hatte ihn in Boston aus dem Tierheim holen und nach Santa Reyada bringen lassen. Ohne mir etwas davon zu sagen. Lope hatte einfach irgendwann mit einer Transportbox im Auto vor der Tür gestanden. Als Überraschung für mich. Rafael war seitdem der Meinung, dass er jetzt wusste, wie es aussah, ›wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt‹. Ich regte mich träge – ohne die Augen zu öffnen – , während er sich endgültig neben mich legte, seine Brust an meinem Rücken und einen Arm locker über mir, schmiegte mich an ihn. Zu Anfang war es mir trotz allem schwergefallen, ihn so dicht bei mir zu ertragen. Inzwischen war ich weit entfernt vom bloßen ›ertragen‹. Im Gegenteil.
»Joggen.«
»Joggen?« Ich drehte mich ein bisschen, blinzelte ihn verschlafen über die Schulter an. »Du willst mir jetzt aber nicht erzählen, dass mein Hund alleine seine Runden irgendwo auf dem Gelände von Santa Reyada dreht. Joggend.« Er hatte einen Kratzer im Gesicht, knapp an der Braue vorbei. Die Augen diamantfahl glitzernd. Die Eckzähne beängstigende Fänge. Die Stimme ein raues Knurren, das nur noch sehr selten zu seinem eigentlichen weichen Bariton zurückkehrte. Entsetzlich schön. Nosferatu. So nah.
»Als ich zurückkam, war er in der Halle.« Jasper hatte gelernt, Türen zu öffnen. Sehr zum allgemeinen Leidwesen. Vielleicht hatte er es aber auch schon vorher gekonnt. Oder hatte in Rosa eine willige Helferin gefunden. »Und wollte raus. Er hat Rafael eingesammelt. Oder Rafael ihn, ganz wie man es drehen möchte. Ich habe die beiden vom Bad aus gesehen.«
Rafael war also zurück. Inzwischen hatte ich einen vagen Verdacht, was er tat, wenn er immer wieder für Tage oder die ein oder andere Woche verschwand. Ich hatte auch schon darüber nachgedacht, ihn zu fragen, was er dafür nehmen würde, wenn er Tomás de Silva für mich ins Jenseits schickte. Und ob ich in Raten zahlen konnte, falls Sieben Komma Vier Millionen Dollar nicht reichen würden. Notfalls würde ich mir irgendwo einen Job suchen. Vielleicht würde Joaquín mir aber auch einfach den Rest leihen? »Seit wann geht Rafael joggen? Und um diese Uhrzeit.«
»Seit er der Meinung ist, Fett anzusetzen und langsam zu werden. Und um diese Uhrzeit, damit niemand etwas davon mitbekommt. – Aber du weißt von nichts.«
»Pfft. Rafael. Fett und langsam. Klar.« Eine zubeißende Klapperschlange bewegte sich in Zeitlupe im Vergleich zu Rafael. Ich drehte mich wieder zurück.
Joaquín vergrub das Gesicht in meinem Haar, rückte sich ein bisschen bequemer zurecht. Dass er dabei ein paarmal für einen Sekundenbruchteil stockte oder ein Atemzug gepresster klang als der vorherige, verriet mir mehr, als ich wissen wollte. Ich verschränkte meine Finger mit seinen. Vorsichtig. Weil quer über seinen Handrücken und das Handgelenk hinauf ein weiterer Kratzer verlief. Deutlich tiefer als der in seinem Gesicht. Drei dieser Schmetterlingspflaster klebten darüber und hielten ihn zusammen. Seine schwarzen Fingernägel hoben sich scharf von meiner Haut ab.
Es war, wie er damals am Pool gesagt hatte: Sie ließen ihn dafür bezahlen, dass sie ihn nicht zum Geächteten machten und für rechtlos erklärten, ihm Santa Reyada nicht wegnahmen, ihm sogar nach außen seine Macht als Patron der de-Alvaro-Familie vor den anderen Hexern der Hermandad und des Ordre ließen. Doch im Inneren hatte ihn sein eigenes Konsortium kaltgestellt. Zumindest versuchten sie es. Allen voran Tomás. Hinter verschlossenen Türen fanden gnadenlose Machtkämpfe statt. Jede Entscheidung von Joaquín wurde abgeblockt oder in ihrer Ausführung möglichst boykottiert. Sie forderten nur noch und gaben nicht mehr. Und ich hasste sie mit jedem Treffen, von dem Joaquín frustriert und wütend zurückkam, mehr.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich in das dämmrige Morgenlicht vor mir.
Normalerweise bekam ich auf diese Frage ein halb scherzhaftes ›Keine besonderen Vorkommnisse‹, doch diesmal: Stille. Ich rutschte ein kleines Stück von Joaquín weg und rollte mich gänzlich herum. Er hatte den Kopf auf seinen angewinkelten Arm gebettet. An der Schulter prangte ein dickes, weißes Pflaster. Die Spitze der tätowierten Schwingenkralle verschwand noch darunter. Da war etwas in seinem Blick … »Was ist passiert?« Der Gedanke war schlagartig da. Und zog mir die Kehle zusammen. »Irgendetwas von Cris?« Von dem es nach wie vor keine Spur gab. Oder gab es die inzwischen doch?
Ein Kopfschütteln.
»Was dann?«
»Der Alte hat mir eine Nachricht zukommen lassen.«
›Der Alte‹ – sein Großvater. Der noch immer ebenso verschwunden war wie Cris, allerdings weiterhin die Fäden in diesem Nosferatu-Krieg zu ziehen schien. Ich holte tief Luft. »Und welche?«
Er zögerte, sah mir in die Augen. »Ob ich sicher bin, dass sein Bannfluch nicht doch ›gegriffen‹ hat.«
»Du meinst …«
»Sí. Ob ich sicher bin, dass er mich nicht vielleicht doch kontrollieren kann.«
Mein Herz schlug plötzlich in meiner Kehle. Die unzähligen Schnitte auf seiner Haut waren verheilt. Die meisten, ohne eine Spur zu hinterlassen. Die meisten. Aber nicht alle. Auch wenn keine der Narben ein vollständiges Siegel ergab. Soweit ich das beurteilen konnte. »Und? Was meinst du?«
»Es fühlt sich nicht so an.«
»›Aber‹ …?« Ich kannte ihn inzwischen gut genug, um die Dinge zu hören, die er so manches Mal nicht aussprach.
»Ich frage mich immer wieder, ob er nicht vielleicht doch Erfolg hatte. Und sei es auch nur teilweise. Und ich es nur nicht spüren kann. Noch nicht, möglicherweise. Immerhin habe ich dir damals etwas von deinem Blut von der Haut geleckt.« Er nahm meine Hand in seine, zog sie an seine Lippen. »Ich weiß theoretisch, wie dieser Bannfluch funktioniert, aber ich kann ihn weder reproduzieren, noch finde ich irgendwo etwas über ihn. Selbst in den ältesten Kodizes nicht.« Mit dem Daumen streichelte er meine Fingerknöchel. »Ich habe Angst, dass er mir befiehlt, dir wehzutun, wenn er tatsächlich Erfolg gehabt hat.«
Ich schüttelte den Kopf, drückte meine Handfläche gegen seine. Versuchte, ihn nicht merken zu lassen, dass sich etwas in meinem Magen zu einem harten Knoten zusammengezogen hatte. »Das hast du nie und das wirst du nicht. Egal was er dir befehlen würde. Ganz nebenbei sind die Karten inzwischen ja neu gemischt. Immerhin hast du jetzt eine Moreira zur Blutbraut. Wenn du grübelst und dir Sorgen machst, hat er genau das erreicht, was er will: dich verunsichert.«
Sekundenlang sagte er nichts, sah mir nur in die Augen … Bis er sich aufrichtete, sich zu mir lehnte. Seine Lippen glitten über meine, legten sich darauf. Er küsste mich. Langsam. Zart. Sanft. Und in den Tiefen irgendwie hungrig zugleich. Wie er es immer tat.
»Te quiero, mi Sanguaíera, mi luz«, flüsterte er an meinem Mund, ehe er sich schließlich wieder von mir löste, sich zurückgleiten ließ, mich in der Bewegung mitzog.
Ich sträubte mich nicht. Doch anstatt den Kopf auf seine Schulter zu legen, setzte ich mich ein kleines Stück auf, stützte mich neben ihm in den Kissen ab – und lehnte mich meinerseits über ihn. Sah einen Moment auf ihn hinab. Zwei. Drei. Dann beugte ich mich zu ihm und erwiderte seinen Kuss. Zärtlich. Entschieden. Ließ mir alle Zeit der Welt, bevor ich meine Lippen wieder von seinen nahm, mich neben ihn legte, näher an ihn heranrutschte, mich an ihn schmiegte und den Kopf auf seine Brust bettete, vorsichtig darauf bedacht, dem Pflaster an seiner Schulter nicht zu nahe zu kommen. Ich schloss die Augen, spürte seine Hand federleicht auf meinem Rücken und all das andere, das es nur zwischen uns gab, lauschte auf seine und meine Atemzüge.
Noch war ich dabei zu begreifen, was es bedeutete, eine Blutbraut zu sein. Eine echte Blutbraut. Nicht nur die Frau im Schatten, die einem Hexer der Hermandad von Zeit zu Zeit ihr Blut gab, um zu verhindern, dass er Nosferatu wurde. Und eines war klar: Ich hatte mich zu lange in den Schatten versteckt, um freiwillig dort zu bleiben. Nein. Ich war Lucinda Moreira. Die Blutbraut von Joaquín de Alvaro. Dem wahrscheinlich mächtigsten Hexer, den die Hermandad jemals hervorgebracht hatte. Und dem Einzigen unter ihnen, den nur noch ein Hauch davon trennte, endgültig zum Nosferatu zu werden, und der dennoch eine Blutbraut an seiner Seite hatte.
Santa Reyada war mein Zuhause geworden. Joaquín gehört zu Santa Reyada. Ganz egal, ob er Tomás de Silva oder Jesús Ignacio de Alvaro hieß: Wer es wagte, mir auch nur eines von beiden wegnehmen zu wollen, hatte ein ernsthaftes Problem.
Gut möglich, dass das der ein oder andere beim Lesen gedacht hat. Und vielleicht sucht er hier gerade nach den Übersetzungen. – Keine Sorge: Man muss kein spanisch sprechen, um in den jeweiligen Szenen verstehen zu können, worum es geht.
Wer trotzdem wissen möchte, was die Jungs da an den entsprechenden Stellen sagen, kann das im Internet auf www.cbtlynnraven.de oder www.lynn-raven.com nachlesen.
Eure Lynn