Joachim Ringelnatz
Schöne Gedichte
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A giraffe on an bicycle von Ryan Retiro Ashburn
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Gewaltigen Erfolg erzielt,
Wer eine große Rolle spielt.
Im Leben spielt zum Beispiel so,
Ganz große Rolle: der Popo.
Denkt nach, dann könnt ihr zwischen Zeilen
Auch mit geschlossenen Augen lesen,
Daß Onkel Ringelnatz bisweilen
Ein herzbetrunkenes Kind gewesen.
Erstes
Lieber Gott, ich liege
Im Bett. Ich weiß, ich wiege
Seit gestern fünfunddreißig Pfund.
Halte Pa und Ma gesund.
Ich bin ein armes Zwiebelchen,
Nimm mir das nicht übelchen.
Zweites
Lieber Gott, recht gute Nacht.
Ich hab noch schnell Pipi gemacht,
Damit ich von dir träume.
Ich stelle mir den Himmel vor
Wie hinterm Brandenburger Tor
Die Lindenbäume.
Nimm meine Worte freundlich hin,
Weil ich schon sehr erwachsen bin.
Drittes
Lieber Gott mit Christussohn,
Ach schenk mir doch ein Grammophon.
Ich bin ein ungezognes Kind,
Weil meine Eltern Säufer sind.
Verzeih mir, daß ich gähne.
Beschütze mich in aller Not.
Mach meine Eltern noch nicht tot
Und schenk der Oma Zähne.
Kleine Lügen und auch kleine
Kinder haben kurze Beine.
Das Abc ist äußerst wichtig,
Im Telefonbuch steht es richtig.
Der Klapperstorch hat krumme Beine.
Die Kinder werfen ihn mit Steine.
Aber Kinder bringt er keine.
Der Spanier lebt in fernen Zonen
Für die, die weitab davon wohnen.
Und der Osterhase legt
(Bald sehr eitel, bald bewegt)
Rührei oder Spiegelei.
Schauerlich stöhnt er dabei.
Sechs Beine hat der Elefant.
Er wird auch Mißgeburt genannt.
Die Guh gibt Milch und stammt aus Leipzig.
Wer zuviel Milch trinkt, der bekneipt sich.
Der Ochse gibt statt Milch: Spinat.
Er spielt am Nachmittage Skat.
Bist du schon auf der Sonne gewesen?
Nein? – Dann brich dir aus einem Besen
Ein kleines Stück Spazierstock heraus
Und schleiche dich heimlich aus dem Haus
Und wandere langsam in aller Ruh
Immer direkt auf die Sonne zu.
So lange, bis es ganz dunkel geworden.
Dann öffne leise dein Taschenmesser,
Damit dich keine Mörder ermorden.
Und wenn du die Sonne nicht mehr erreichst,
Dann ist es fürs erstemal schon besser,
Daß du dich wieder nach Hause schleichst.
Setze Maikäfer in Tinte. (Es geht auch mit Fliegen.)
Zweierlei Tinte ist noch besser, schwarz und rot.
Laß sie aber nicht zu lange darin liegen,
Sonst werden sie tot.
Flügel brauchst du nicht erst rauszureißen.
Dann mußt du sie alle schnell aufs Bett schmeißen
Und mit einem Bleistift so herumtreiben,
Daß sie lauter komische Bilder und Worte schreiben.
Bei mir schrieben sie einmal ein ganzes Gedicht.
Wenn deine Mutter kommt, mache ein dummes Gesicht,
Sage ganz einfach: »Ich war es nicht!«
Unter dem Bett ist der Schacht.
Der wird entweder mit Bettdecken dunkel gemacht,
Oder ihr spielt das Spiel bei der Nacht.
In den Schacht schüttet ihr erst recht viel Kohlen.
Die muß der Bergmann auf dem Bauche herausholen.
Ein Licht oder Spirituskocher und zum Graben
Eine Schaufel muß jeder Bergmann haben.
Außerdem muß er vor allen Dingen sich hinten
Ein Stück Leder aus Schuh oder Ranzen anbinden.
Dann baut ihr aus Tisch und Stuhl und Fußbank drei Stufen,
Dort, wo der Eingang sein soll.
Jeder, der runterkriecht, muß erst »Glückauf« rufen
Und schaufelt eine Zigarrenkiste voll Kohlen voll.
Jeder, der rauskriecht, muß dann ganz dreckig sein.
Und jedesmal müssen alle »Glückauf« schrein.
Geben euch eure Eltern was hinten drauf,
Dann habt ihr doch hinten das Leder und ruft nur:
»Glückauf«.
Wenn dich der Paul oder jemand, den du kennst,
Schwein schimpft oder wenn du ihn Rindvieh nennst,
Dann habt ihr euch beleidigt.
Dann müßt ihr afrikanisches Duell machen.
Ich bin der Schiedsrichter, der bei Ehrenwort euch vereidigt.
Niemand darf auch nur mit der Wimper lachen.
Jeder schweigt. Und ihr stellt euch dabei
Gegenüber. Mit sechs Handbreit Abstand. Und dann
Zähle ich langsam bis drei.
Darauf spuckt jeder dem anderen ins Gesicht
Möglichst so lange, bis der nicht mehr sehen kann.
Mich anspucken gilt aber nicht.
Wer zuerst sagt, er habe genug abgekriegt,
Der ist besiegt
Und muß sich von mir eine runterhauen lassen,
Ohne sich wehren oder mich anfassen.
Darauf dürft ihr euch nicht mehr hassen,
Sondern müßt euch bezähmen
Wie Männer von Ehre und Stand.
Jeder reicht dem andern die Hand.
Weil die Helden in Afrika sich wegen Spucke nicht schämen.
Nur für Kinder, die keinen Schiß haben
Wer was erfindet, wird furchtbar reich.
Was man erfindet, ist ganz gleich.
Wenn man nur allerlei Dinge zusammenmischt,
Noch länger, als bis es zischt, und das Richtige rausfischt,
Dann wird man in wenigen Stunden
Berühmt oder macht Gold.
Ich hab auch schon mal was zur Hälfte erfunden,
Aber Wolfgang, mein Bruder, wollte nicht mehr. –
Wenn ihr das etwa fertig erfinden wollt,
Will ich’s euch sagen. Aber es ist sehr, furchtbar sehr schwer.
Das allerwichtigste ist die teure
Furchtbar gefährliche Salzsäure.
Entweder findet ihr die im Klosett
Hoch oben auf einem Brett.
Oder ihr müßt euch unter das Dienstmädchen stecken.
Dürft aber ja nicht dran lecken.
Erst legt ihr einen Goldfisch oder anderen Fisch –
Es kann auch ein Rollmops sein –
Nicht etwa auf den Tisch,
Sondern: Auf Elfenbein.
Und zwar auf die weißen Tasten von dem Klavier.
Müßt aber die Fische vorher mit Bier
Und Zahnpulver kneten
Und auch erst tottreten,
Damit sie auch liegenbleiben.
Nun müßt ihr Seife, dann Zwiebel darüber reiben.
Dann müßt ihr Pfennige, Nachtleuchterstücken
und anderes Kupfer tief in die Fische drücken
Und nun darüber langsam Salzsäure träufeln.
Dann holt ihr schnell eine Schaufel (eigentlich zwei
Schäufeln)
Voll glühender Kohlen.
Wolfgany ließ mich damals die zweite Schaufel nicht holen.
Der dumme Ochse ist ja zu unverschämt.
Aber ihr müßt das zu Ende bringen.
Wenn ihr noch Soda und Wachs und so was zu nehmt,
Dann wird’s schon gelingen.
Und wenn eure Eltern was wollen,
Dann müßt ihr zum Trotz in die glühenden Kohlen fassen.
Und sagt nur ganz barsch: Sie sollen
Sich lieber und recht bald begraben lassen.
Für einen großen Backfisch
Du kannst doch schweigen? Du bist doch kein Kind
Mehr! – Die Lederbände im Bücherspind
Haben, wenn du die umgeschlagenen Deckel hältst,
Hinten eine kleine Höhlung im Rücken.
Dort hinein mußt du weichen Käse drücken.
Außerdem kannst du Käsepfropfen
Tief zwischen die Sofapolster stopfen.
Lasse ruhig eine Woche verstreichen.
Dann mußt du immer traurig herumschleichen.
Bis die Eltern nach der Ursache fragen.
Dann tu erst, als wolltest du ausweichen,
Und zuletzt mußt du so stammeln und sagen:
»Ich weiß nicht – ich rieche überall Leichen –.«
Deine Eltern werden furchtbar erschrecken
Und überall rumschnüffeln nach Leichengestank
Und dich mit Schokolade ins Bett stecken.
Und zum Arzt sage dann: »Ich bin seelenkrank.«
Nur laß dich ja nicht zum Lachen verleiten.
Deine Eltern – wie die Eltern so sind –
Werden bald überall verbreiten:
Du wärst so ein merkwürdiges, interessantes Kind.
Wo man hobelt, fallen Späne.
Leichen schwimmen in der Seine.
An dem Unterleib der Kähne
Sammelt sich ein zäher Dreck.
An die Strähnen von den Mähnen
Von den Löwen und Hyänen
Klammert sich viel Ungeziefer.
Im Gefieder von den Hähnen
Nisten Läuse; auch bei Schwänen.
(Menschen gar nicht zu erwähnen,
Denn bei ihnen geht’s viel tiefer.)
Nicht umsonst gibt’s Quarantäne.
Allen graust es, wenn ich gähne.
Ewig rein bleibt nur die Träne
Und das Wasser der Fontäne.
Kinder, putzt euch eure Zähne!!
Bülow, Nolle, Witte, Zoo …
Auf dem Dache sitzt ein Floh,
Der sich nicht zu helfen wo.
Konikoki Kakadu …
Rose auf und Rose zu.
Ferkel Ei und Ferkel Zwei.
Wer nicht fehlt, ist mit dabei.
Stachus, Kios, Kaos, Kies,
Spinne, Speise, Scheiße, schieß.
Sexu Elefant Asie.
Fische haben nie kein Knie.
Ritze Rotze Ringelratz
Zwei Miezeschwein, ein Grunzekatz.
Mein Großpapa heißt Lali,
Der wird des Nachts ganz lila.
Ein Federchen flog über Land;
Ein Nilpferd schlummerte im Sand.
Die Feder sprach: »Ich will es wecken!«
Sie liebte, andere zu necken.
Aufs Nilpferd setzte sich die Feder
Und streichelte sein dickes Leder.
Das Nilpferd öffnete den Rachen
Und mußte ungeheuer lachen.
Es war einmal ein kleiner Funke.
Das war ein großer Erzhallunke.
Er sprang vom Herd und wie zum Spaß
Gerade in ein Pulverfaß.
Das Pulverfaß, das knallte sehr;
Da kam sofort die Feuerwehr
Und spritzte dann mit Müh und Not
Das Feuer und das Fünkchen tot.
Der gute König Magarone
Trug einen Stein in seiner Krone.
Es war ein schöner Edelstein,
Er funkelte wie Sonnenschein.
Ein böser König kam aus Polen,
Um sich den Edelstein zu holen.
Sie stritten sich fast zehn Minuten,
Der böse König mit dem guten.
Dann kam ein fürchterlicher Krieg.
Der gute König kam zum Sieg.
Und schenkte – weil er sich so freute –
Den Edelstein an arme Leute.
Es schwebte eine Seifenblase
Aus einem Fenster auf die Straße.
»Ach nimm mich mit dir«, bat die Spinne
Und sprang von einer Regenrinne.
Und weil die Spinne gar nicht schwer,
Fuhr sie im Luftschiff übers Meer.
Da nahte eine böse Mücke,
Sie stach ins Luftschiff voller Tücke.
Die Spinne mit dem Luftschiff sank
Ins kalte Wasser und ertrank.
Es fiel einmal ein Kuckucksei
Vom Baum herab und ging entzwei.
Im Ei da war ein Krokodil;
Am ersten Tag war’s im April.
Herr Müller hatte einen Floh,
Der stach Herrn Müller irgendwo.
Herr Müller dankte für die Ehre,
Dann nahm er eine lange Schere
Und schnitt ihn in zwei gleiche Teile.
Jedoch, nach einer kurzen Weile,
Da wurden aus dem einen Floh
Zwei neue Flöh’ daraus. – Oho!
Da sprach der eine von den beiden:
»Man muß nicht einen Floh zerschneiden.«
Ein Schneider eine Nadel fand,
Die stach den Schneider in die Hand.
Der Schneider sprang entsetzt zurück,
Die Nadel sprach, ich bring’ dir Glück.
Der König hörte Schneiders Leid,
Und er bestellte sich ein Kleid.
Der Schneider nähte dieses gleich;
Am andern Tage war er reich.
So hat die Nadel über Nacht
Dem armen Schneider Glück gebracht.
Ein Samenkorn lag auf dem Rücken,
Die Amsel wollte es zerpicken.
Aus Mitleid hat sie es verschont
und wurde dafür reich belohnt.
Das Korn, das auf der Erde lag,
Das wuchs und wuchs von Tag zu Tag.
Jetzt ist es schon ein hoher Baum
Und trägt ein Nest aus weichem Flaum.
Die Amsel hat das Nest erbaut;
Dort sitzt sie nun und zwitschert laut.
Ein Wassertropfen fiel vom Himmel;
Es war ein ungezog’ner Lümmel.
Im Grase schlief ein dummer Hase,
Der Tropfen fiel auf seine Nase.
Der Hase dachte sich dabei,
Daß er jetzt totgeschossen sei.
Er sprang in seinem großen Schreck
Aus seinem sicheren Versteck.
Der Jägersmann stand an der Straße
Und schoß ihn wirklich in die Nase.
Es war ein Knopf an Fritzens Mütze,
Der machte ungezogne Witze.
Erst strampelte er stundenlang,
Worauf er von der Mütze sprang.
Er fiel auf einen Kieselstein,
Dort schlief er ganz ermüdet ein.
Und eine Schlange sah den Schläfer;
Sie dachte sich, es sei ein Käfer.
Und weil der Käfer ihr gefiel,
So fraß sie ihn mit Stumpf und Stiel.
Ein kleines Steinchen rollte munter
Von einem hohen Berg herunter.
Und als es durch den Schnee so rollte,
Ward es viel größer als es wollte.
Da sprach der Stein mit stolzer Miene:
»Jetzt bin ich eine Schneelawine.«
Er riß im Rollen noch ein Haus
Und sieben große Bäume aus.
Dann rollte er ins Meer hinein,
Und dort versank der kleine Stein.
Es war ein kleiner, böser Junge,
Der zeigte jedermann die Zunge,
Ging statt zur Schule auf die Straße
Und drehte allen eine Nase.
Als seine Eltern beide tot,
Kam er in bitterliche Not.
Und lebt nun – weil er sonst nichts kann –
Als armer Leierkastenmann.
Es war ein armes kleines Mädchen,
Das stickte nur mit kurzen Fädchen;
Ich glaube, Lina war ihr Name.
Sie wurde eine schöne Dame,
War fleißig, brav und lernte gerne,
Da kam ein Prinz aus weiter Ferne.
Der sagte: »Liebe gute Lina,
Komm mit mir auf mein Schloß nach China.«
Dort sitzen sie nun alle beide
Auf einem Thron von gelber Seide.
Stäubchen stob durch die Stube.
Dort saß ein kleiner Bube
(Der Stäubchen wie ein Riese erschien)
Vor einem Stadtplan von Berlin.
Stäubchen lachte: »Berlin ist klein!«
Drang in Bübchens Nase hinein
Und ließ sich von dem Riesen
Wieder ins Weltall niesen.
Ein Sauerampfer auf dem Damm
Stand zwischen Bahngeleisen,
Machte vor jedem D-Zug stramm,
Sah viele Menschen reisen
Und stand verstaubt und schluckte Qualm
Schwindsüchtig und verloren,
Ein armes Kraut, ein schwacher Halm,
Mit Augen, Herz und Ohren.
Sah Züge schwinden, Züge nahn.
Der arme Sauerampfer
Sah Eisenbahn um Eisenbahn,
Sah niemals einen Dampfer.
Es weint ein Kind.
Ein Luftballon mit dünnem Zopf
Und kleiner als des Kindes Kopf
Entflieht im Wind.
Und reist und steigt verwegen.
Ein Nebel wallt.
Ein Fehlschuß knallt.
Dann fällt ein sanfter Regen.
Rundrote Riesenbeere
Rollt müde und verschrumpft
In einem Wipfelmeere,
Hat austriumpht.
Witziger Kräherich
Bringt seinem Bräutchen
Ein hohles Häutchen,
Die aber ärgert sich.
Es war ein scheues Wort.
Das war ausgesprochen
Und hatte sich sofort
Unter ein Sofa verkrochen.
Samstags, als Berta das Sofa klopfte,
Flog es in das linke, verstopfte
Ohr von Berta. Von da aus entkam es.
Ein Windstoß nahm es,
Trug es weit und dann hoch empor,
Wo es sich in das halbe, bange
Gedächtnis eines Piloten verlor.
Fiel dann an einem Wiesenhange
Auf eine umarmte Arbeiterin nieder,
Trocknete deren Augenlider.
Wobei ein Literat es erwischte
Und, falsch belauscht,
Eitel aufgebauscht,
Mittags dann seichten Fressern auftischte.
Und das arme, mißbrauchte,
Zitternde scheue Wort
Wanderte weiter und tauchte
Wieder auf, hier und dort.
Bis ein Dichter es sanft einträumte,
Ihm ein stilles Palais einräumte. –
Kam aber sehr bald ein Parodist
Mit geschäftlich sicherem Blick,
Tauchte das Wort mit Speichel und Mist
In einen Aufguß gestohlner Musik.
So ward es publik.
So wurde es volkstümlich laut.
Und doch nur sein Äußeres, seine Haut,
Das Klangliche und das Reimliche.
Denn das Innerste, Heimliche
An ihm war weder lauschend noch lesend
Erreichbar, blieb öffentlich abwesend.
Es sang eine Nacht …
Eine Nachti …
Ja Nachtigall am Sachsenplatz
Heute morgen. – Hast du in Berlin
Das je gehört? – Sie sang, so schien
Es mir, für mich, für Ringelnatz.
Und gab mir doch Verlegenheit,
Weil sie dasselbe Jauchzen sang,
Das allen Dichtern früherer Zeit
Durchs Herz in ihre Verse klang.
In schöne Verse!
Nachtigall,
Besuche bitte ab und zu
Den Sachsenplatz;
Dort wohne ich. – Ich weiß, daß du
Nicht Verse suchst von Ringelnatz.
Und hatten doch die Schwärmer recht,
Die dich besangen gut und schlecht.
Ein ganz kleines Reh stand am ganz kleinen Baum
Still und verklärt wie im Traum.
Das war des Nachts elf Uhr zwei.
Und dann kam ich um vier
Morgens wieder vorbei,
Und da träumte noch immer das Tier.
Nun schlich ich mich leise – ich atmete kaum –
Gegen den Wind an den Baum
Und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips.
Und da war es aus Gips.
»Wo sitzt«, so frug der Globus leise
Und naseweise die weise, weiße,
Unübersehbar weite Wand,
»Wo sitzt bei uns wohl der Verstand?«
Die Wand besann sich eine Weile,
Sprach dann: »Bei dir – im Hinterteile!«
Nun dreht seitdem der Globus leise
Sich um und um herum im Kreise –
Als wie am Bratenspieß ein Huhn,
Und wie auch wir das schließlich tun –,
Dreht stetig sich und sucht derweil
Sein Hinterteil, sein Hinterteil.
»Oh«, rief ein Glas Burgunder,
»Oh, Mond, du göttliches Wunder!
Du gießt aus silberner Schale
Das liebestaumelnde, fahle,
Trunkene Licht wie sengende Glut
Hin über das nachtigallige Land – –«
Da rief der Mond, indem er verschwand:
»Ich weiß! Ich weiß! Schon gut! Schon gut!«
War einmal ein Bumerang;
War ein weniges zu lang.
Bumerang flog ein Stück,
Aber kam nicht mehr zurück.
Publikum – noch stundenlang –
Wartete auf Bumerang.
Die Nacht war kalt und sternenklar,
Da trieb im Meer bei Norderney
Ein Suahelischnurrbarthaar. –
Die nächste Schiffsuhr wies auf drei.
Mir scheint da mancherlei nicht klar,
Man fragt doch, wenn man Logik hat,
Was sucht ein Suahelihaar
Denn nachts um drei am Kattegat?
Lustig quasselt der seichte Bach.
Scheinchen scheppern darüber flach.
Stumm gegen die Wellchen steht ein Stein,
Sieht – wie mir scheint –
Ernst aus und verweint.
Denn es macht traurig, unbequem zu sein.
Angegriffen und doch unversehrt
Rollt ein Bächlein zu Tale.
Und ein Stahlhelm ist umgekehrt
Eine stillende Schale.
Mancher Dieb wird erwischt.
Jedes Leben erlischt.
Zu dem Staubgefäß in der Dolde
Schleicht sich auch mancher Dieb –
Ich weiß gar nicht mehr, was ich sagen wollte –
Sei lieb!
Ein Kehlkopf litt an Migräne
Und schrie wie eine Hyäne,
Er schrie sich wund.
Doch als ihm niemand zu Hilfe kam
Und niemand ein Geschrei vernahm,
War er auf einmal – – – gesund.
Ein Pinsel mit sehr talentvollen Borsten,
Der mußte viel hungern und viel dorsten.
Er war 60 Jahre alt und hieß Tipfelchen.
Aus festem Tannenholz war sein Stiel.
Er malte, und was er malte, gefiel.
Doch, wie gesagt, er litt Hunger und Durst.
Da kam eine junge fettige Wurst.
Sie wog 500 Gramm und war vom Stamme Rindvieh.
Kaum hatte der Pinsel die Wurst gesehn,
Blieb er stehn.
Bückte sich tief dabei,
Knickte dann schief entzwei.
Die Wurst aber, mit Namen Schulze,
Sagte: »Mein lieber Tipfelchen,
Hier hast du ein Wurstzipfelchen,
Male mir mal drei Meter Sulze.«
Jetzt schlägt deine schlimmste Stunde,
Du Ungleichrunde,
Du Ausgekochte, du Zeitgeschälte,
Du Vielgequälte,
Du Gipfel meines Entzückens.
Jetzt kommt der Moment des Zerdrückens
Mit der Gabel! – – Sei stark!
Ich will auch Butter und Salz und Quark
Oder Kümmel, auch Leberwurst in dich stampfen.
Mußt nicht so ängstlich dampfen.
Ich möchte dich doch noch einmal erfreun.
Soll ich Schnittlauch über dich streun?
Oder ist dir nach Hering zumut?
Du bist ein so rührend junges Blut. –
Deshalb schmeckst du besonders gut.
Wenn das auch egoistisch klingt,
So tröste dich damit, du wundervolle
Pellka, daß du eine Edelknolle
Warst und daß dich ein Kenner verschlingt.
Sie waren mir immer nah.
Obwohl ich sie selten sah,
Die Sohlen meiner Schuhe.
Sie waren meinen Fußsohlen hold.
An ihnen klebt ewige Unruhe
Und Dreck und Blut und vielleicht sogar Gold.
Sie haben sich aufgerieben
Für mich und sahen so selten das Licht.
Wer seine Sohlen nicht lieben
Kann, liebt auch die Seelen nicht.
Mir ist seit einigen Tagen
Das Herz so schwer.
Ich muß meine Sohlen zum Schuster tragen,
Sonst tragen sie mich nicht mehr.
Es war einmal ein Kragenknopf
Mit einer Mechanik am Kopf.
Der Kragenknopf saß im Genick.
Er schnipste mit der Mechanik,
Worauf mit unheilvollem Klang
Ein Kragen, der den Hals umschlang,
Elastisch aus der Angel sprang.
Ein Finger mühte sich durch Knipsen,
Ihn wieder richtig einzuschnipsen,
Doch weil ihm das nicht wollte glücken,
Ergriff besagter Kragenknopf
Schnell die Gelegenheit beim Schopf
Und rutschte an des Menschen Rücken
Mit nie geahnter Blitzesschnelle
Hinab nach jener düstern Stelle,
Die sich der arme Mensch verletzt,
Wenn er sich auf was Spitzes setzt.
Es war eine Schnupftabaksdose,
Die hatte Friedrich der Große
Sich selbst geschnitzelt aus Nußbaumholz.
Und darauf war sie natürlich stolz.
Da kam ein Holzwurm gekrochen,
Der hatte Nußbaum gerochen.
Die Dose erzählte ihm lang und breit
Von Friedrich dem Großen und seiner Zeit.
Sie nannte den alten Fritz generös.
Da aber wurde der Holzwurm nervös
Und sagte, indem er zu bohren begann:
»Was geht mich Friedrich der Große an!«
Ein männlicher Briefmark erlebte
Was Schönes, bevor er klebte.
Er war von einer Prinzessin beleckt.
Da war die Liebe in ihm erweckt.
Er wollte sie wiederküssen,
Da hat er verreisen müssen.
So liebte er sie vergebens.
Das ist die Tragik des Lebens!
Zu seinem 81. Geburtstag
Den Kammerjäger Emanuel Pips
Vom linken Ufer des Mississipps
Mochte jedermann leiden.
Er war äußerst bescheiden.
Er trug acht Zentimeter Rips
Als Anzug und einen Seiden-
Faden in Grün als Schlips,
Fragte niemals nach Rennbahntips,
Hatte überhaupt keinen Grips,
Aß einmal am Tage (potato-ships),
Trank alkoholfreie Salzwasserflips,
Wurde trotz alledem magenkrank
Und starb am Schwips.
Seine kleine Büste aus Gips
Steht unter anderen Nippes
Heute auf meinem Bücherschrank.
Berichtigung: Kammerjäger Pips
Schrieb sich eigentlich innen mit Yps-
Ilon, doch war so bescheiden und lieb,
Daß es ihm gleich war, wie man ihn schrieb.
War einmal ein Schwefelholz,
Das sich mit erhabnem Stolz
Einen Anarchisten nannte
Und ein ganzes Haus verbrannte.
Dieses war schon ungewöhnlich,
Doch es kannte auch persönlich
Meyers Taschenlexika,
Ganz speziell das Bändchen »A«,
Weshalb es sich nach dem Brande
An besagtes Bändchen wandte
Mit den Worten: »Sag, was ist
Eigentlich ein Anarchist?«
»Nein«, schimpfte die Ringelnatter, »die Mode
Von heutzutage, die wurmt mich zu Tode.
Jetzt soll man täglich, sage und schreibe,
Zweimal die Wäsche wechseln am Leibe.
Und immer schlimmer wird’s mit den Jahren.
Es ist rein um aus der Haut zu fahren!«
So schimpfte die Ringelnatter laut,
Und wirklich fuhr sie aus der Haut.
Der Vorfall war nicht ohne Bedeutung,
Denn zoologisch nennt man das Häutung.
Es war ein Brikett, ein großes Genie,
Das Philosophie studierte
Und später selbst an der Akademie
Im gleichen Fache dozierte.
Es sprach zur versammelten Briketterie:
»Verehrliches Auditorium,
Das Leben – das Leben – beachten Sie –
Ist nichts als ein Provisorium.«
Da wurde als ketzerisch gleich verbannt
Der Satz mit dem Provisorium.
Das arme Brikett, das wurde verbrannt
In einem Privatkrematorium.
»Sie faule, verbummelte Schlampe«,
Sagte der Spiegel zur Lampe.
»Sie altes, schmieriges Scherbenstück«,
Gab die Lampe dem Spiegel zurück.
Der Spiegel in seiner Erbitterung
Bekam einen ganz gewaltigen Sprung.
Der zornigen Lampe verging die Puste.
Sie fauchte, rauchte, schwelte und rußte.
Das Stubenmädchen ließ beide in Ruhe
Und doch: Ihr schob man die Schuld in die Schuhe.
Das Schlüsselloch, das im Haustor saß,
Erlaubte sich nachts einen Spaß.
Es nahten Studenten
Mit Schlüsseln in Händen.
Da dachte das listige Schlüsselloch:
Ich will mich verstecken,
Um sie zu necken!
Worauf es sich wirklich seitwärts verkroch.
Alsbald nun tasteten die Studenten
Suchend,
Fluchend,
Mit Händen
An Wänden.
Und weil sie nichts fanden, zogen sie weiter.
Schlüsselloch lachte heiter.
(Die Herren erreichten ihr Zimmer nimmer.
Eigentlich war die Sache noch schlimmer.
Ich selbst war nämlich bei den Studenten –
Doch lassen wir es dabei bewenden.)
Es trafen sich von ungefähr
Ein Wolf, ein Mensch sowie ein Bär,
Und weil sie lange nichts gegessen,
So haben sie sich aufgefressen.
Der Wolf den Menschen, der den Bär,
Der Bär den Wolf. – Es schmeckte sehr
Und blieb nichts übrig als ein Tuch,
Drei Haare und ein Wörterbuch.
Das war der Nachlaß dieser drei.
Der eine Mensch, der hieß Karl May.
Ein Pflasterstein, der war einmal
Und wurde viel beschritten.
Er schrie: »Ich bin ein Mineral
Und muß mir ein für allemal
Dergleichen streng verbitten!«
Jedoch den Menschen fiel’s nicht ein,
Mit ihm sich zu befassen,
Denn Pflasterstein bleibt Pflasterstein
Und muß sich treten lassen.
»Ruhe ist viel wert«,
Sagte das Nilpferd
Und setzte sich in ’was Weiches.
Der Elefant tat ein Gleiches.
Es lebte an diskretem Orte
Ein Stückchen Seife, bester Sorte,
In einem Porzellanbehälter.
Das ward mit jedem Tage älter.
Weil es mit Moschusduft durchhaucht,
Ward es vom Menschen gern gebraucht.
Einstmals – das wann und wie ist schnuppe –
Geriet es in die Erbsensuppe.
Der Mensch benahm sich miserabel.
Er stach die Seife mit der Gabel,
Beroch sie roh und rief: »Pfui, Spinne!«
Da schwanden ihr vor Angst die Sinne.
Die Badewanne prahlte sehr.
Sie hielt sich für das Mittelmeer
Und ihre eine Seitenwand
Für Helgoländer Küstenland.
Die andre Seite – gab sie an –
Sei das Gebirge Hindustan,
Und ihre große Rundung sei
Bestimmt die Delagoabai.
Von ihrem spitzen Ende vorn
Erklärte sie, es sei Kap Horn.
Den Kettenzug am Regulator
Hielt sie sogar für den Äquator.
Sie war – nicht wahr, das merken Sie? –
Sehr schwach in der Geographie.
Dies eingebildete Bassin.
Es wohnte im Quartier latin.
Es waren einmal zwei Gummischuh,
Die waren stehen gelassen.
Ihr Herr, der suchte sie immerzu
Und konnte sie nirgend fassen.
Er suchte sie nah und suchte sie fern,
Er suchte sie vorn und hinten,
Und die Gummischuhe suchten den Herrn
Und konnten ihn nirgend finden.
Der Herr durchsuchte die ganze Welt;
Die Gummischuhe desgleichen,
Und wenn die Sache so weitergeht,
So werden sie nie sich erreichen.
Es bildete sich ein Gemisch
Von Stachelschwein und Tintenfisch.
Die Wissenschaft, die teilt es ein
In Stachelfisch und Tintenschwein.
Der Fisch bewohnt den Ozean.
Gefährlich ist es, ihm zu nahn.
Das Tintenschwein trifft man in Büchern,
An Fingerspitzen, Taschentüchern.
Es ist – das liegt ja auf der Hand –
Dem Igelschwein noch sehr verwandt.
Lackschuh sprach zum Wasserstiebel:
»Lieber Freund, du riechst so übel.
Und du bist nach meiner Meinung
Eine störende Erscheinung.
Darum muß wohl von uns beiden
Einer dieses Schuhhaus meiden.«
Stiefel lächelte dazu
Und begann: »Verehrter Schuh,
Wenn du jenes Sprichwort kennst:
Alles ist nicht Gold, was glänzt,
Nimm es besser dir zu Herzen,
Denn die Welt, sie liebt zu schwärzen,
Was da glänzt, auch zieht sie keck
Das Erhabne in den Dreck.
Will dein Lack mir auch gefallen,
Teurer Schuh, bedenke doch,
Wenn der Lack in Staub zerfallen,
Lebt das fette Leder noch.
Niemals hieltest du den nassen
Kalten Wasserfluten stand,
Denn die Elemente hassen
Das Gebild von Menschenhand.«
Und der Schuh verbeugte sich.
Darauf sprach er ernst und würdig:
»Freund, ich überzeugte mich,
Daß du mir ganz ebenbürtig.
Leider war mir anfangs duster,
Was mir jetzt Gewißheit ist,
Daß du Meisterwerk vom Schuster
Wasser-Dichter Stiefel bist.«
Ein Taschenkrebs und ein Känguruh,
Die wollten sich ehelichen.
Das Standesamt gab es nicht zu,
Weil beide einander nicht glichen.
Da riefen sie zornig: »Verflucht und verdammt
Sei dieser Bureaukratismus!«
Und hingen sich auf vor dem Standesamt
An einem Türmechanismus.
Frau Teemaschine sang auf dem Feuer.
Der Beifall war ganz ungeheuer.
Ja, ihre Base Petroleumkanne
War von dem Liede ganz gefangen.
Ihr rannen die Tränen über die Wangen
Und tropften gerade in eine Pfanne,