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Inhaltsverzeichnis
 
 
 

»Liebe ist die Kraft, die die Sonne bewegt und alle anderen Sterne.«
Dante Alighieri

1
Voyager
Was nutzt der schlauste Kopf, wenn man ihm dumme Fragen stellt? So viel wie ein Porsche auf einem Feldweg. Was nutzen wissenschaftliche Spitzenkräfte und Super-Elektronenhirne und eine Weltraumbehörde, die sich mit einer so dämlichen Frage beschäftigen wie der, ob es außer uns noch anderes Leben in diesem Kosmos gebe?
Gut, es wird natürlich nach »intelligentem« Leben gefragt, weil da die Dämlichkeit nicht so ins Auge springt, aber das macht keinen Unterschied. Damit es einen Unterschied machte, müsste nämlich erst einmal bewiesen werden, dass es unintelligentes Leben überhaupt gibt. Diesen Beweis dürften unsere Naturwissenschaftler kaum erbringen können, ist ihnen doch selbst die menschliche Intelligenz ein nicht einzuordnendes Rätsel.
Hinter der Fragestellung nach weiterem intelligenten Leben im Kosmos verbergen sich derart viele ungeprüfte und unbeweisbare Vorgaben, dass wir zu Anfang einmal die sogenannte Suche nach unseren Brüdern und Schwestern im All einer eingehenden Betrachtung würdigen werden, um dabei in der Absurdität des Vorhabens die Absurdität der Vorgaben zu erkennen.
Da sind zuerst einmal die beiden amerikanischen Raumsonden Voyager 1 und 2, die im Spätsommer des Jahres 1977 ins All geschickt wurden. In der Geschichte der Raumfahrt ist das fast schon ein historisches Datum. Betrachtet man jedoch das Programm vor allem von Voyager 2, muss man erkennen, dass sich die Raumsonde letztlich immer noch in der Startphase befindet. Dabei ist der erste und wohl gewichtigere Teil des Programms bereits zu aller Zufriedenheit erledigt. Der bestand in einer unglaublichen Reise durch unser Sonnensystem mit einem Besuch bei fast allen ferneren Planeten, mit dem ausdrücklichen Auftrag, von dort so viele Fotos wie möglich nach Hause zu schicken und zahlreiche weitere Informationen. Das hat bis dahin bewundernswert gut geklappt, brauchte aber seine Zeit. Das schnellste Flugobjekt, das der Mensch je gebaut hat, verließ die Erde im August 1977 und erreichte Jupiter im Juli 1979, Saturn im August 1981, Uranus 1986 und Neptun schließlich 1989. Die zurückgefunkten Informationen schaffen den Weg zum Glück in etwa vier Stunden.Auf Geschwindigkeiten und Entfernungen werden wir in einem späteren Kapitel noch genauer eingehen, im Moment dagegen lieber den zweiten Teil der Voyager-Reise begutachten.
Inzwischen nämlich hat unsere bis jetzt so erfolgreiche Sonde das Sonnensystem verlassen und befindet sich auf dem schnellsten Weg zu anderen Sonnen, wo sie als Botschafterin der Erde fungieren soll. Eine bestimmte Adresse als Ziel hat ihr niemand mitgegeben, aber falls der liebe Zufall sie in der Nähe einer intelligenten Zivilisation vorbeifliegen lässt, wird diese sich des seltsamen Flugobjektes schon bemächtigen und so die irdische Botschaft empfangen. So dachten zumindest Gerald Ford, der 38. Präsident der Vereinigten Staaten, und ein paar ausgesuchte Denker der NASA, Amerikas Raumfahrtbehörde. Vielleicht hofften sie sogar auf Antwort.
Um sich – oder besser gesagt uns alle – den vermeintlichen Brüdern im All geziemend zu präsentieren, haben die geistreichen Schöpfer der Idee allerlei hübsche Kleinigkeiten im Bauch der Sonde versteckt. Da ist vor allem eine kupferne Langspielplatte, die golden aussieht. »Sounds of Earth« heißt das Werk – Laute der Erde. Eine Abspielnadel ist für alle Fälle beigelegt, und ein paar Anweisungen zum Gebrauch finden sich auch auf der Hülle, neben Angaben zum Aufenthaltsort der Erde und zur augenblicklichen Epoche.
Hat der vermeintlich ausreichend intelligente Außerirdische alles verstanden und die Platte endlich aufgelegt, dann schallt ihm erstmal ein fröhliches »Guten Morgen!« in 56 oder mehr Sprachen entgegen. Dann darf er sich eineinhalb Stunden hervorragende Musik aus fünf Kontinenten anhören, auch ein Humpback-Wal wird zu vernehmen sein und ein paar irdische Geräusche mehr. Außerdem gibt es noch eine Schachtel mit Fotos von allen möglichen Situationen und jede Menge wissenschaftliche Spielereien wie beispielsweise die Aufzeichnung der elektrischen Aktivität eines Gehirns, eines Herzens, eines oder vermutlich zweier Augen und einiger Muskeln. Und natürlich schöne Grüße an alle von allen. Es ist anzunehmen, dass der Außerirdische sofort telegrafiert: »Grüße erhalten – stop – love – stop – ankomme Freitag, 18.35 Uhr ZZB – stop – E.T. 2.« Dass hier auf Erden dann niemand weiß, was 18.35 Uhr ZZB sind, ist noch das geringste Problem bei diesem allzu schönen Plan.
Ein weitaus größeres Problem ist die Tatsache, dass auch im besten Fall, wenn nämlich schon im ersten Sonnensystem ein williger Eingeborener mitspielt – dass auch in diesem allerbesten Fall Zigtausende von Jahren vergehen werden, bis das Teil überhaupt angekommen ist. Und wenn es erst im zweiten Sonnensystem passiert, dann eben noch ein paar zigtausend mehr. Das liegt an den großen Entfernungen im Raum und an den vergleichsweise kleinen Geschwindigkeiten solcher Raumfahrzeuge. Darauf werden wir später zurückkommen. Im Augenblick begnügen wir uns mit der Erkenntnis, dass in den nächsten 40.000 Jahren mit keinerlei Echo auf diese Voyager-Mission zu rechnen ist. Angesichts der Verhältnisse auf der Erde muss man sagen, dass da mit großem Aufwand viel Geld sehr weit zum Fenster hinausgeworfen worden ist.
Und das, obwohl wir ja bis jetzt vom besten aller Fälle ausgegangen sind. Ein Katastrophenfall für das Unternehmen wäre neben unzähligen anderen vorstellbaren Szenarios zum Beispiel, dass der vom Zufall auserwählte Außerirdische nicht nur genauso intelligent ist wie ein durchschnittlicher Erdenbürger, sagen wir mal aus Gelsenkirchen-Buer, sondern an jenem fernen Tag einfach furchtbar schlechte Laune hat, weil er sich mit seiner vergleichbar intelligenten Gemahlin in der Wolle gehabt hat. Möglicherweise endet so die erste Begegnung zweier intelligenter Kulturen mit einem kräftigen Fußtritt oder ein paar Schlägen mit einer Eisenstange.
Was bringt eigentlich gerade uns zu der Annahme, dass unsere lieb gemeinte Botschaft freudig erregt aufgenommen wird? Es muss doch einem intelligenten Beobachter auffallen, dass zumindest hier auf der Erde jedes Leben den Atem anhält und versucht unbemerkt zu bleiben oder gar zu entkommen, wenn ein Mensch sich nur bemerkbar macht. Und gerade das ist ohne Frage ein klares Zeichen von Intelligenz! Der Großteil kosmischer Wesen wird sich wohl beim Anflug unserer Sonde einfach mucksmäuschenstill verhalten und erleichtert aufatmen, wenn’s vorbei ist. Und nichts ist passiert. Und bei dem nächsten Stern, wieder 20.000 Jahre später, lachen sie sich einfach schlapp, wenn Voyager vorbeikommt. Wäre auch nicht dumm.
Betrachtet man zum Beispiel das Schicksal der Indianer, muss man doch zugeben, dass es alles andere als intelligent wäre, einfach freudestrahlend auf einen unbekannten Erdenbürger zuzulaufen, um sich einige Minuten später abgeschlachtet wiederzufinden. Und damit sind wir beim wohl größten Problem der menschlichen Suche nach weiterer Intelligenz gelandet: Was bringt unsere Wissenschaftler zu der Annahme, dass sie diesmal besser als bisher imstande wären, ein intelligentes und beseeltes Wesen überhaupt zu erkennen? Die Geschichte der Wissenschaft unserer Zeit ist eigentlich eine Geschichte der Ignoranz.
Es ist gerade 500 Jahre her, dass eine »Neue Welt« entdeckt wurde, und hundert Jahre, wirklich wahr, hundert Jahre haben die höchsten Herren und die schlausten Köpfe diskutieren und untersuchen müssen, ob denn Indianer eine Seele haben. Als es dann feststand, gab es nur noch die Hälfte von ihnen, und bis es sich herumgesprochen hatte, war fast keiner mehr da. Ganz hat es sich immer noch nicht rumgesprochen.
Dass es sich bei Walen und Delfinen um höchst intelligente Wesen handelt, bezweifeln heute nur noch diejenigen, die sich nie mit dem Thema beschäftigt haben. Leider ist das weitaus die Mehrheit, und es steht zu befürchten, dass auch keine Wale mehr da sind, wenn es sich herumgesprochen hat. John C. Lily, der mehr als ein Jahrzehnt mit Delfinen gearbeitet hat, sagt darüber zwei Dinge. Erstens, dass die Grenzen der Verständigung bei uns liegen, was bedeutet, dass Delfine intelligenter sind als wir. Darauf lässt auch ihr komplexeres Gehirn schließen. Und dann sagt er, dass es lächerlich ist, im Weltraum nach Intelligenz zu suchen, wenn man sie vor der eigenen Nase nicht erkennt.
Was würde denn passieren, wenn die erhofften Außerirdischen wie Quallen aussehen oder wie Ameisen oder wie rosa Wolken? Welcher Wissenschaftler kann behaupten, dass Intelligenz in rosa Wolken sich nicht manifestieren könnte? Unsere eigene Intelligenz scheint eindeutig an das Gehirn gebunden zu sein, aber ist das zwingend? Und sitzt sie im Gehirn oder bedient sie sich desselben nur? Fest steht, dass man Tausende von Hirnen zerschnippelt hat, und noch niemand hat auch nur ein Milligramm Intelligenz gefunden.
Und fest steht auch, dass wir das Resultat unserer Umwelt sind. Unsere Form von Leben ist tatsächlich an unseren Planeten gebunden, unsere Augen gibt es wegen unseres Lichts und unsere Lungen wegen unserer Luft. Gerade deswegen muss man doch annehmen, dass in völlig anderen Umwelten völlig anderes Leben entsteht. Und wer kann sagen, dass Intelligenz bei 2000° Kelvin nicht existieren kann? Wieder würden hundert Jahre vergehen, bis die Ersten begriffen hätten, dass diese Invasion von Feuerbällchen oder großen Regenwürmern, von Gummibällen oder fliegenden Filzhüten, von leuchtenden Calamares oder singenden Pferdeschwänzen – dass das die Außerirdischen sind, die der Einladung von Voyager gefolgt sind. Und wieder wäre keiner mehr da.
So gesehen muss man hoffen, dass die gesuchten intelligenten Wesen intelligent genug sind, keinen Mucks von sich zu geben, um sich das Gröbste zu ersparen. Trostreich ist zu wissen, dass eventuelle Kontakte frühestens in 20.000 Jahren stattfinden – wenn überhaupt.

2
MOP
20.000 oder 40.000 Jahre waren wohl auch der NASA zu viel. So wurde dann am 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas – damit keine Zweifel aufkommen – ein neues Programm gestartet, das bisher aufwendigste. Es heißt MOP, Microwave Observing Project, oder auf deutsch: Mikrowellen-Beobachtungs-Vorhaben. In zwei entscheidenden Bereichen ist es dem Voyager-Unternehmen weit voraus. Es arbeitet mit Lichtgeschwindigkeit und braucht so nur 2 Jahre, wo Voyager 20.000 Jahre braucht. Und es versucht keine Botschaft an den Mann zu bringen, wenn man den mal so nennen darf. Ganz im Gegenteil besteht das Projekt in der aufwendigsten Suche nach eventuell zu empfangenden Botschaften.Voyager ist wie der Versuch, eine Nadel über einem Stadion abzuwerfen und dann zu horchen, ob jemand »au!« schreit. MOP horcht einfach so, ob überhaupt wer schreit.
Die Idee ist alles andere als neu. Seit dreißig Jahren gibt es solche Programme, und keines hat bis jetzt Resultate gezeigt. Neu ist bei MOP die Größenordnung des Projekts. Zehn Jahre lang werden drei große Radioteleskope, darunter das von Arecibo in Puerto Rico mit seinem 300-Meter-Reflektor, das All auf einigen Zigmillionen Frequenzen gleichzeitig nach Radiosignalen abhorchen. Ein eigens entwickelter Superempfänger und die leistungsfähigsten Rechner ermöglichen es, aus der unglaublichen Menge von Signalen die wenigen herauszusuchen, die eventuell von anderen Zivilisationen stammen könnten. Das sind vor allem periodische Signale und solche, deren Frequenz nach einem bestimmten Muster schwankt.
Die Idee ist auch gar nicht schlecht.Wenn wir uns die Erde einmal von außen vorstellen, aus der Position eines eventuellen Beobachters auf einem anderen Planeten, dann hat vor hundert Jahren auf diesem bis dahin absolut ruhigen Himmelskörper ein Ausbruch von Radiosignalen begonnen, der ständig wächst. In bestimmten Wellenlängen sind wir gewiss ein sehr auffälliger Stern. Heute dürfte vor allem die massive Ausstrahlung von Fernsehprogrammen rund um die Uhr und rund um den Planeten ein kosmisches Phänomen sein. Und die Signale der ersten Fernsehsendungen Ende der 1940er-Jahre sind jetzt fast 50 Lichtjahre entfernt von uns in alle Richtungen unterwegs. Die Bilder vom Fall der Mauer können demnächst in der Umgebung von Wega empfangen werden. Und wenn zur gleichen Zeit dort eine kosmische Olympiade ausgestrahlt worden wäre, so könnten wir die Signale heute auffangen und je nach technischem Wissen verwerten. Für wie intelligent wird uns ein Außerirdischer halten, dem es gelingt, eines unserer Fernsehprogramme zu entziffern?
»Das ist genau das, was wir am liebsten hätten – ein Fernsehsignal erwischen«, sagt Frank Drake, der Leiter des Projekts, das auch SETI heißt, Search for Extra Terrestrial Intelligence. Und dann sagt er, im gleichen Interview, dass seiner Meinung nach eine Chance von 50 Prozent besteht, dass »ein Kontakt hergestellt wird«. Aber da irrt Herr Drake möglicherweise. Trotz des großen Aufwands ist der Kosmos größer. Die zehn Jahre der Suche entsprechen dem Versuch, an einer Bahnstrecke wie Hamburg-Lüneburg nach einem kurzen Blick über die Schulter auszusagen, ob dort Züge verkehren. Wenn man Glück hat, kommt tatsächlich gerade einer vorbei. Sonst kann man eigentlich nur mit der Schulter zucken.
Die außerirdische Zivilisation, die wir suchen, kann uns in wissenschaftlich-technischer Hinsicht weit überlegen sein. Sie kann ebenso gut auf dem gleichen Niveau sein, sie kann in der Entwicklung unterlegen sein und sie kann ohne Weiteres auf eine ganz andere Art kommunizieren, mikrowellenunabhängig. Oder wie Frank Drake befürchtet: »Es ist möglich, dass sie Kabelfernsehen haben.« Dieser Gedanke ist nicht so lächerlich, wie es scheint. Tausende von Jahren menschlicher Hochkulturen sind verstrichen, ohne dass Mikrowellen in Gebrauch waren. Seit gerade hundert Jahren benutzen wir sie, und bis jetzt täglich mehr – aber irgendwann werden sie uns wahrscheinlich so altertümlich erscheinen wie heute die pferdelose Kutsche des Carl Benz oder eine Schellackplatte mit 78 Umdrehungen.