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Inhalt
Zitat
Zur Aufmerksamkeit eine halbe Parade
Kapitel 1
Studieren geht über Probieren
Kapitel 2
Sie wollen also reiten lernen?
Kapitel 3
Gleich ein eigenes Pferd?
Kapitel 4
Was zieht man an?
Kapitel 5
Na, dann setzen Sie sich mal drauf!
Kapitel 6
Ja nicht in strammer Haltung!
Kapitel 7
Warum schreit er bloß so?
Kapitel 8
Ach, Sie haben Lehrbücher gelesen?
Kapitel 9
Über die Kunst, gemischt zu fühlen
Kapitel 10
Immer noch nichts vom Zügel?
Kapitel 11
Sie werden geworfen – und wie!
Kapitel 12
Achtung, Kurve!
Kapitel 13
Die Hände – endlich!
Kapitel 14
Zeigt her eure Füße!
Kapitel 15
Hochmut kommt vor dem Fall
Kapitel 16
Der Geist ist willig ...
Kapitel 17
Die Sache mit dem Pferdefuß
Kapitel 18
Galopp – langsam zum Mitschreiben!
Erstes Zwischenspiel
Im Sattel durch Andalusien
Kapitel 19
Mit Gas bremsen?
Zweites Zwischenspiel
Ein Albumblatt für Tenno
Kapitel 20
Auf dem Wendekreis
Kapitel 21
Rückschritt für Fortgeschrittene
Kapitel 22
Immer eins vor dem anderen
Kapitel 23
Des rechten Weges stets bewusst
Kapitel 24
Am Zügel
Kapitel 25
Im Gelände
Drittes Zwischenspiel
Wallfahrt nach Mekka
Kapitel 26
Die Sporen hätten wir – was jetzt?
Kapitel 27
Das letzte Wort
Bildteil
Wichtige Adressen
Impressum
Niemand sollte aus dem heiteren Ton dieses Buches schließen, Reiten sei vielleicht doch keine so ernste Sache – nicht weil es oft in Samt und Seide geschieht, mit Sporenklirren und Handkuss, sondern weil es auf dem Rücken von Lebewesen geschieht.
Horst Stern
Ein Vorwort, das dem Autor am Herzen liegt und die nicht gemeinten Leser davor bewahren soll, sich über dieses Buch für ihr Geld zu ärgern.
Dieses Buch geht von der ungebräuchlichen Vorstellung aus, dass die schon auf dem Markt befindlichen Reitlehren – wenigstens soweit ich sie kenne – einen Fehler haben (der diesem Werk nicht anhaftet): Ihre Verfasser sind Meister im Sattel. In ihren silbrigen Haaren spielt der Gipfelwind der Vollendung, und die Zeit hat aus ihren Hosenböden längst schon jegliche Erinnerung an wunde Stellen – falls sie sie je hatten – getilgt. Sie sind dem Kentaur-Ideal nahe; ein durchhängender Zügel, eine eingeknickte Hüfte, ein hochgezogener Absatz sind für sie so schwer begreiflich wie für unsereins das Abspringen von der Straßenbahn mit dem falschen Fuß oder im Auto das Verwechseln von Gas und Bremse.
Mit einem Wort: Sie sind zu gut. Nichts als Theorie ihre Ausflüge in die Niederungen des Gefühls, denen der Anfänger sich in Herz, Hirn und Hose ausgesetzt sieht! Um dem abzuhelfen, hatte der Verlag die glückliche Idee, einen im Umgang mit brennenden Problemen erfahrenen Journalisten in die Reitlehre zu schicken, mit dem Ziel, es in dieser Kunst – möglichst ohne Gehirnerschütterung – bis zur mittleren Reife zu bringen und dann dem interessierten Leser in einer Sammlung von frischen Reportagen das mühevoll erworbene Rüstzeug weiterzugeben.
Auch geht dieses Buch davon aus, dass die Leser nicht übermäßig oft ein Rittergut oder einen Papa mit einem solchen besitzen werden; dass sie sich vielmehr das Geld, welches das höchste Glück dieser Erde nun einmal kostet, zu Fuß verdienen müssen, bevor sie es auf dem Rücken der Pferde ausgeben können; dass sie also nicht mehr als zwei, drei Stunden die Woche im Sattel verbringen können – auf Pferden, die meist nicht nur jenseits von Böse, sondern auch jenseits von Gut sind. Kurzum: Das Gefühl ist auf nüchtern gestimmt. Die weiße Binde bleibt vorerst im Schrank. An drei Sorten Menschen richtet sich dieses Buch:
Das Buch richtet sich mit Sicherheit nicht an Reiter, die im Pferd so etwas wie einen Mercedes 600 sehen. Vom süßen Leben ist nicht die Rede.
Der ungewöhnlichen Form und nicht selten despektierlichen Sprache seines Buches wegen hatte sich der Verfasser darauf eingerichtet, von der Fachkritik mit Rossbollen, sozusagen, beworfen und vom Verlag höflichst aufgefordert zu werden, sich die gesamte erste Auflage, weil unverkäuflich, selber in den Schrank zu stellen.
Stattdessen gab es Zucker von der Kritik, und vom Verlag kam ein Brief: »… bitten wir Sie erfreut, uns mit einer kritischen Durchsicht des Buches bei der Herausgabe der zweiten Auflage behilflich zu sein.«
Und da ist sie nun, die zweite Auflage, kritisch durchgesehen und zur Zufriedenheit, so hoffe ich, auch derer geraten, für die ein Pferd keinen Schwanz, sondern einen Schweif hat. Auch habe ich jene Wackeren der alten Schule versöhnt, die es mir sehr verargten, dass ich zum Reiten in kurzen Unterhosen geraten hatte. Und sie haben ja recht: dass Pferde heute schon 10 000 Mark und mehr kosten, das ist weiß Gott neumodisch genug. Es müssen nicht auch noch kurze Unterhosen sein.
H. S.
Mittlerweile, so höre ich vom Verlag, ist dies Buch die wohl meistgekaufte Reitlehre der Welt geworden. Da darf ich mich hier kurzfassen; es braucht der preisenden Worte nicht mehr, kann es doch hierzulande kaum noch einen Reiter, eine Reiterin geben, die »Die Sporen vom Stern« nicht kennen. Dennoch haben wir, Verlag und Autor, das Buch erneut kritisch durchgesehen. Deutliche Spuren des Alters fanden wir an ihm im Grunde wiederum nur in den Kaufpreisen von Pferd und Zubehör; das haben wir – nach oben – korrigiert. Wir haben aber auch die Illustrationen durchforstet, einiges neu gezeichnet und manches neu fotografiert. Die Reitfehler werden nun, einem oft geäußerten Leserwunsch nach Gleichberechtigung der Geschlechter folgend, nicht mehr nur von jungen Damen begangen; es sitzt jetzt auch das männliche Geschlecht schon mal zur Erheiterung und Belehrung des Lesepublikums krumm und schief zu Pferde.
Verblieben im Buch sind die Bilder von »Tenno«, dem längst dahingegangenen Trakehner-Professor, der konnte, was kein menschlicher Lehrer kann: einen jungen Reiter in die nächsthöhere Klasse bringen, indem er ihn sitzen ließ. Es ist dies Buch das einzige meiner Bücher, das ich – Pardon – mit dem Hintern schrieb (das erklärt wohl seinen phänomenalen Erfolg), und es war Tenno, der mir diese Feder führte. Ihn im Buch zu belassen, war nicht nur mir, sondern auch seinem damaligen Besitzer, Herrn Rolf Keller, Verleger und Initiator der »Sporen«, Bedürfnis.
Um Nachsicht muss ich diejenigen Leser bitten, deren Briefe ich nicht selber beantworten konnte. Ich bin nach wie vor ein Ein-Mann-Betrieb, der den Wettlauf mit seiner vielen Post längst verloren hat. Bemerkenswert unter den Zuschriften zu diesem Buch fand ich zwei Briefe, von denen der eine mich stolz, der andere heiter machte. Eine Dame schrieb mir, sie danke mir für die vielen amüsanten Nächte, die sie mit mir verbracht habe, und ein Reitlehrer ließ mich wissen, es hätten sich, seit es dies Buch gäbe, seine Stimmbänder deutlich erholt. Welcher Brief mich stolz machte und welcher heiter, das sage ich nicht.
Auf denn also ins dritte Hunderttausend!
H. S.
Dies ist ein kurzes Vorwort. Es hängt mit meiner Sprachlosigkeit darüber zusammen, dass dieses Buch noch immer ein Erfolg ist. Über 35 Jahre sind vergangen, seit ich es schrieb. Es hat 17 Auflagen erlebt und galoppierte mit rund 300 000 verkauften Exemplaren an die Weltspitze aller Reitlehren. Der Grund für diese ungebrochene Beliebtheit mag sein, dass die »Sporen vom Stern«, wie das Buch in Reiterkreisen seit langem heißt, eben keine reine Reitlehre ist, sondern hippologische Unterhaltung mit höchstem Nutzwert für Reitanfänger. Und humorhaltigem Erinnerungswert für schon Sattelfeste.
Nun, mit der vorliegenden 18. Auflage, kommt das Buch in neuem Gewand daher. Auch das Innenleben hat sich verjüngt. Dem Verlag gebührt Dank dafür, dass er den »Sporen« – wieder einmal – die Sporen gab, damit der Galopp des Buches anhält bis ins nächste Jahrtausend.
H. S., Irland, im November 1996
Wir gratulieren! 50 Jahre Sterns »Sporen«, über 500.000 verkaufte Exemplare – das ist ein Grund zu feiern. Für Horst Stern, der diese erfolgreichste Reitlehre der Welt schrieb. Und für das Kosmos-Pferdeprogramm, das den Leitgedanken dieses Buches, nämlich das Pferd als Persönlichkeit zu begreifen und seine Bedürfnisse zu respektieren, in allen seinen Publikationen weitergetragen hat.
Als Horst Stern den Auftrag für sein erstes Pferdebuch bekam, ahnte niemand, dass dies der Startschuss für die erfolgreichste Reitlehre der Welt sein würde. Horst Stern sollte reiten lernen, um eine Reitlehre schreiben zu können. Was in einer verlegerischen Vision seinen Ursprung hatte, entwickelte sich zur Passion des Autors. Horst Stern wurde zum einfühlsamen Pferdekenner und zum kritisch hinterfragenden Reiter, der den Leser wortgewandt, witzig und lehrreich durch die Höhen und Tiefen der Reitstunden begleitete. Dieses Buch steht für Partnerschaft und für ein faires Miteinander. 50 Jahre begleitet es nun unser Pferdeprogramm, es hat bis heute nichts von seiner Faszination verloren und wir hoffen, dass es noch lange vielen Reitern den richtigen Weg in den Sattel und zum Pferd weist.
Ein Kapitel, welches sich bemüht, den geneigten Leser in die richtige Schule zu schicken, und welches ihm zu erklären versucht, warum es zweierlei Pferde gibt: gute und solche, auf die er zu sitzen kommt.
Man beginnt sein Reiterleben nicht mit dem Kauf von Sporen, sondern mit einer Schnüffeltour durch die erreichbaren Etablissements, in denen das Reiten gelehrt wird.
Da sind – in allen besseren Städten – ein Reit- und Fahrverein und ein bis drei private Reitställe. Wofür Sie sich entscheiden, ist keine Frage des Geldes; der Unterricht kostet überall etwa gleich viel. Es ist schon eher eine Frage der Pferde; doch das können Sie noch nicht beurteilen, erstens, weil Sie nichts davon verstehen, und zweitens, weil Sie sich das Pferd, das unter Ihnen zu leiden haben wird, ja doch nicht aussuchen können. Es ist eine Frage der Menschen. Man lernt nicht reiten, wie man Autofahren lernt: Nach einer absehbaren Zahl von Stunden hat der Prüfer auch mit dem Dümmsten Mitleid und gibt es ihm schriftlich, dass er von nun an offiziell sich und andere in Gefahr bringen darf. Reiten gefährdet ernstlich niemanden, von der ersten Stunde an nicht, doch lernt man unendlich viel länger daran. Bis man die Gänge, das Gas und die Bremse nur gefunden hat! Von ihrer properen Bedienung gar nicht zu reden. Die Wahl der Reitschule ist also für Sie zunächst eine Frage der Menschen, die dort reiten, denn Sie müssen, wenn es Ihnen wirklich ernst ist, jahrelang mit ihnen umgehen.
Setzen Sie sich in die Kasinos und in die Reiterstübchen, die zu jedem Reitunternehmen so zwingend dazugehören wie zum Pferd der Schweif. Erfahren Sie auch beim zweiten oder dritten Besuch immer wieder aufs Neue, von wem sich die Damen dauerwellen und bei wem sie schneidern lassen, wie vorteilhaft in den Winterferien die Exklusivität der Zürser »Alpenrose« gegenüber dem doch schon leicht verpöbelten »Taoro« auf Teneriffa abschneidet, dann ist zu befürchten, dass Sie im falschen Zug sitzen. Spricht man hingegen von Pferden und von eigenen Fehlern, belegt der Stall auf namhaften Turnieren nicht nur die besten Tribünenplätze, sondern auch gute Plätze in Springen und Dressur, dann ist anzunehmen, dass man Ihnen hier das Reiten wohl beibringen wird.
Weder so noch so muss dies stimmen. Abgesehen davon, dass Zürs und Teneriffa ja auch wirklich hörenswerte Ferienorte sind, gibt es in leicht versnobten Instituten nicht selten Reitlehrer, die solche Luft nur widerwillig atmen und sich mit wahrer Leidenschaft eines Schülers bemächtigen, der zu erkennen gibt, dass er der Pferde wegen, nicht seiner 500-Euro-Stiefel zuliebe, in den Unterricht kommt. Und was die pferdebesessenen Betriebe wiederum angeht, so betreiben sie das Geschäft der Anfängerausbildung nicht selten mit der seelischen Grimasse eines Gourmets, der sich aus Liebe zu einer Frau gezwungen sieht, ihre ordinären Bratkartoffeln zu preisen.
Wie man’s anfängt, ist es falsch. Aber man muss ja mal anfangen. Fangen wir also endlich an.
Sie haben sich für einen Betrieb entschieden, und da sitzen Sie nun – nein, noch lange nicht auf einem Pferd – auf den staubbedeckten Zuschauerplätzen der Reithalle, einem mehr oder weniger großen Rechteck von der Gemütlichkeit einer Bahnhofshalle. Glücklich darin sind nur die Spatzen, die sich um die Rossbollen raufen. Für den Reiter ist die Halle ein höchst notwendiges Übel; in ihr sitzt er sein Lernpensum ab, bewegt sich und sein Pferd, wenn Wetter oder Ausbildungsstand ihn daran hindern, Gottes freie Natur aufzusuchen. Schwitzkasten im Sommer, Eiskeller im Winter. Doch wer sich zu gut für sie dünkt, hat den Sinn des Reitens nicht begriffen. »Tür frei, bitte!«, schallt es zu Ihnen herüber. In der ein Meter fünfzig hohen Holzbande, die das Bahnrechteck umzieht, wird eine Tür aufgestoßen. Jemand führt sein Pferd herein. Sein Tür-frei-Ruf warnte Reiter, die schon in der Bahn sind, vor einer Kollision.
Der feine Mann lässt sich sein Pferd vorführen, wie morgens das Auto vom Chauffeur. Ein Pferdepfleger stellt es ihm hin, schnallt den Sattelgurt nach, zieht die Bügel herunter und hält das Pferd fest, damit es seinem Herrn nicht durch Davonlaufen zeigen kann, wie wenig es von ihm hält. Endlich ist er droben.
Der Reiter bringt sein Pferd selbst in die Bahn, prüft, wenn er nicht auch gesattelt und gezäumt hat, Sattel und Kopfzeug, schwingt sich behänd und ohne dass sein Pferd sich von der Stelle rührte, über den Sattel, sitzt weich ein, nimmt den rechten Bügel auf, ordnet die Zügel und reitet an. Lachen Sie nicht über den Dicken da, der sich prustend, mit einem Bein im Bügel, auf dem anderen seinem antretenden Pferd hinterherhoppelnd, in den Sattel quält. Warten Sie ab, bis Sie zum ersten Mal aufsitzen. Sie werden sich wundern. Immer mehr Pferde werden in die Bahn geführt. Die Spatzen schilpen ärgerlich: »Wieder überhaupt keine Ruhe heute beim Essen!« Es herrscht Einbahnverkehr, stellen Sie fest; alle reiten in der gleichen Richtung, außen an der Bande um die Bahn herum und auf großen Kreisen, die Langsamen weiter innen. Schritt, Trab, Galopp. Regellos. Jeder etwas anderes. Es gibt Stauungen, Knäuel von Pferdeleibern in einer Ecke, und Sie denken: So kann das doch nicht weitergehen!
So geht das auch nicht weiter. Der Herr Lehrer erscheint. »Guten Morgen, die Herrschaften!«, oder auch: »Guten Abend, die Herrschaften!« Je nachdem. Geritten wird von morgens um sieben bis abends um acht oder neun. »Guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen!«, murmelt es von den Pferden herunter, und damit ist der Austausch von Höflichkeit zwischen Reitern und Lehrern für eine Stunde beendet.
»Abteilung bilden!«, schnarrt es. »Anfang Waldfee. Dann Stelldichein, Sausewind, Aida, Deutschmeister, Stahlgewitter, Prinz, Larifari, Degenknauf …« und noch ein halbes Dutzend Pferdenamen. Reitlehrer rufen ihre Schüler meist beim Namen ihrer Pferde: »Vorwärts, Fahnenjunker!« oder »Kopf hoch, Tosca!« Ein bisschen Verachtung für die Stümper schwingt darin mit, doch überwiegt das Praktische: Die Pferde bleiben meist jahrelang im Stall, die Schüler weniger. So schwer hatten sie es sich nicht gedacht. Also gehen sie wieder – zum Auto, zum Tennis, zum Golf zurück. Neue kommen. Wer soll die Namen alle behalten!
»Anfang hier!«, ruft es von der Waldfee herunter; ihr Reiter hebt die Hand. Stelldichein geht dahinter. Sausewind, äpfelnd, folgt. Und so weiter. Eine lange Schlange aus Pferdeleibern, alle im Schritt, die Zügel lang.
»Zügel aufnehmen!«, schnarrt es jetzt. »Im Arbeitstempo … Terrrrrrrab! Leichttraben!«
So fährt ein Zug an: unsichtbare Spannung von vorn nach hinten, mit kaum merkbarer Verzögerung rollt Wagen um Wagen an, der gleiche Räderrhythmus, das gleiche Tempo. Fünfzehn Pferde vollführen genau das. Vom ersten Tritt an reiner Takt in allen Beinen, eine Pferdelänge Abstand von Tier zu Tier, nicht mehr, nicht weniger. Fünfzehn mit Leder besetzte Hosenböden heben und senken sich taktrein über den Sätteln. Immer schwungvoller werden die Gänge, immer weiter treten die Hinterbeine unter den Leib, die schönen Hälse runden sich, die geschlossen kauenden Mäuler kommen herunter, an den Zügel, die ersten Schaumflocken fliegen … Na bitte, denken Sie, hier bin ich richtig! Das ist ein Bild! Und Pferde sind das, die gehen ja von allein! Langsam.
Möglicherweise sind Sie hier richtig. Aber was Sie soeben sahen, sagt nichts aus darüber, ob Sie hier auch Chancen haben, richtig reiten zu lernen. Von diesen Pferden wird keines für Sie gesattelt; sie gehen nicht im Schulbetrieb. Es sind Privatpferde, kostbare Geschöpfe nicht selten, die Sie sich – vielleicht – leisten, die Sie aber noch nicht reiten können.
Lösen Sie sich noch keine Karte für den Unterricht. Folgen Sie mir bitte erst zum Schwarzen Brett des Unternehmens, an dem der Reitplan angezwickt ist. »Schulpferde-Abteilung (Anfänger)«, steht da, unter, sagen wir: »Donnerstag 19-20 Uhr.« Treffen wir uns also am Donnerstagabend in der Halle. Zügeln Sie Ihre Ungeduld. Sie fallen noch früh genug herunter.
Nicht wahr, das ist weniger erhebend, das haben Sie in der »Reitvorschrift für eine Geliebte« nicht gelesen: Pferde, deren Fell schon ein bisschen stumpf ist, kein Schachbrettmuster auf dem Hintern, keine zierlich geflochtene Mähne; unter den Sätteln, die, schwarz von jahrelangem Gebrauch, abgewetzt und heruntergesessen sind, keine weißen oder roten Schabracken, sondern eine alte Kommissdecke; stumpf auch das Zaumzeug, die Zügel hart und verdreht; geflickt die Bügelriemen, rostfleckig die Bügel …
Mein Gott! denken Sie, bin ich hier richtig? Wie der Herr, so’s Gescherr … Langsam.
Ein Sattel kostet zwischen 400 und 3000 €. Das Kopfzeug noch einmal 150 €. Die Bügel und Bügelriemen noch einmal 50 €. Bis Sie der Schule das Geld für einen neuen Sattel und neues Zaumzeug eingebracht haben, müssen Sie schon ein paar Jahre reiten, zu 20 oder 30 € die Stunde. Auch sind Pferdepfleger rar. Wer mistet denn gern einen Stall aus, wenn ihm woanders, sagen wir als Gärtner, ein Fernsehapparat ins Zimmer gestellt wird? Und zuerst kommen die Privatpferde und ihr Sattelzeug an die Reihe, denn die bringen das Geld ins Haus – zwischen 300 und 500 € im Monat. Und schließlich: Man kann auch knochenharte Zügel wie eine Gummistrippe halten. Man kann auch auf einem abgewetzten Sattel sitzen, ohne mit dem Gesäß zu klappen. Man kann auch in rostfleckigen Bügeln die Absätze tief stellen.
Wer freilich reitet, um nach der dritten Runde schon die Freundin ins Parkett der Reithalle zu setzen, der wird sich an der Schäbigkeit des Handwerkzeugs stoßen.
»Im Arbeitstempo … Terrrrrrrab! Leichttraben!«, schnarrt der Herr Lehrer. So sieht ein Zugunglück aus: Die Wagen reißen, wie von einem eigenen Willen getrieben, auseinander, stellen sich quer, schießen aus dem Gleis, gehen eigene Wege. Fünfzehn Pferde tun genau das. Drei gehen Schritt, als ginge sie der Betrieb hier nichts an. Vier fallen in Galopp und tummeln sich mitten in der Bahn. Sechs traben müde daher, das Maul bewegungslos voraus wie eine Stoßstange, die Hufe lustlos schlurfend, wie in Filzpantoffeln, im Dreck. Und zwei stehen still, ein Denkmal der Machtlosigkeit ihrer Reiter. Der Herr Lehrer trägt seinen Abscheu so sichtbar im Gesicht wie einen drei Tage alten Bart. Wen sollte er hier auch wohl korrigieren – den da, der seinem galoppierenden Gaul im Maul hängt, um sich einen festen Halt zu verschaffen? Oder den da, der seinem dumpf stillstehenden Ross die Absätze in die Flanken haut und sich dabei, Schwung holend, vornüberbeugt? Oder den da, der im Schritt von einer Gesäßhälfte auf die andere rutscht, wie ein Stück Butter auf einer heißen Pellkartoffel? Oder den da, der bei jedem Auffußen seines trabenden Pferdes dem armen Tier so hörbar ins Kreuz fällt, dass man meinen könnte, er boxe mit ihm? Nur vier oder fünf Reiter geben ein Bild ab, das Sie entfernt an jenes erinnert, welches Sie neulich sahen, als die Privatpferdeabteilung ritt; sie haben Sporen angeschnallt, sind Herr ihrer Pferde und könnten auch wohl reiten, stünde ihnen nicht nach jedem zehnten Trabtritt ein Hindernis quer im Weg in Gestalt eines Reiters, der seinem Pferd mit Händen und Füßen Vorschläge in dieser oder jener Richtung macht, Vorschläge, die das Pferd annimmt oder auch nicht annimmt …
»Mein Gott!«, denken Sie, »bin ich hier wirklich richtig? Kann man so reiten lernen?« Sie haben recht: So kann man wirklich nicht reiten lernen. Aber das ist schon wieder ein anderes Kapitel.
Hier wird dem ungläubigen Leser, der in Einzelstunden nur ein Vergnügen für höhere Töchter sieht, zu beweisen versucht, dass es mit dem Reitenlernen nicht anders ist als mit dem Kauf einer neuen Hose: je teurer sie ist, desto billiger.
Das Schwerste am Reiten ist: nicht genug Geld. Das Zweitschwerste: zu wenig Zeit. Über beides spricht man in Reiterkreisen nicht und schreibt man in Reitbüchern nicht. Man hat es. Punkt! Höchstens, dass man den Zeitmangel diskutiert. Denn keine Zeit haben, das heißt beinahe schon: Geld haben. Sie glauben mir nicht? Ich bitte Sie, halten Sie mir entgegen, das ist doch die Welt nicht: die 50 € Einstand in der Privatschule oder die 50 bis 250 € Mitgliedsbeitrag pro Jahr im Reit- und Fahrverein! Na, und dann noch jede Woche eine Stunde Abteilungsreiten für 20 oder 30 € und hin und wieder ein paar Euro Sattelgeld für den Pferdepfleger – das wird man doch wohl schaffen! Natürlich, das schafft man. Nur Reiten lernen, das schafft man so nicht. Aber wir müssen uns wohl erst einigen, was wir unter Reitenkönnen verstehen. Es gibt Reiter, die schon viele Jahre reiten und dennoch ihrem Pferd auf die Füße schauen müssen, um sagen zu können, ob es links oder rechts galoppiert; sie fühlen es nicht. Sie fühlen auch im Zügel nicht, ob ihr Pferd zufrieden und losgelassen auf dem Gebiss kaut; sie brauchen das Ohr dazu, und dann ist es schon falsch. Nimmt man sie von ihrem eigenen Pferd, an das sie sich gewöhnt haben, herunter und setzt sie auf ein anderes, dessen Gänge härter sind, das sich schwerer sitzen lässt, so klappt ihr Gesäß im Sattel, sobald der Trab stärker wird. Sie haben sich und auch ihr Pferd dran gewöhnt: Am Zügel ziehen heißt: »langsamer« – am Zügel reißen heißt: »halt!«. Das fällt nicht einmal auf, sie machen das sehr geschickt, denn sie können ja – nicht nur nach der eigenen Meinung – reiten. Sie fühlen sich wohl auf dem Pferd, und sie fühlen sich sicher. Sie reiten in der Bahn, und sie reiten im Gelände. Sie springen sogar ein bisschen und reiten jedes Jahr eine Jagd. Das ist eine ganze Menge.
Und es wäre auch ganz in Ordnung, paarte sich solches Können mit der Absicht: Ich will ein bisschen Spaß haben, weder mir noch meinem Pferd allzu wehe tun, einen Bauch verhüten oder ihn, ist er schon da, in Grenzen halten; vor allem aber will ich mir nicht den Kopf, neben allen meinen Sorgen im Geschäft, auch noch über die Feinheiten der Reitkunst zerbrechen!
Das wäre ein sympathischer Mensch. Ich suche ihn immer noch. Doch nehmen wir an, ich hätte ihn in Ihnen, lieber Leser, gefunden. Dann machen Sie es so – reiten Sie jede Woche eine Stunde, vielleicht auch zwei, in einer Abteilung. Machen Sie aus Ihren bescheidenen reiterlichen Ambitionen auch keinen Hehl vor Ihrem Lehrer, denn um bescheidene Schüler kümmert sich jeder Lehrer am liebsten; er wird Sie in jeder Stunde ein paarmal öfters korrigieren, als er das sonst vielleicht täte. Und wenn die Stunde herum ist, findet er für Sie, bevor die nächste Abteilung einreitet, möglicherweise ein paar Minuten Zeit, Ihnen dies oder das zu beantworten, vorausgesetzt Sie gehören zu den seltenen Reitschülern, denen ein ungutes Gefühl im – Pardon! – Hintern Anlass ist, sich den Kopf zu zerbrechen. Es könnte sogar sein, dass Ihr Lehrer, wenn Sie von der sympathischen Art sind, wie ich Sie mir vorstelle, darüber nachdenkt, ob sich für Sie unter den Schulpferden nicht eines finden lässt, das einen körperlichen oder geistigen Vorzug hat, der geeignet ist, einen körperlichen oder geistigen Nachteil, den Sie vielleicht haben, auszugleichen. Auf diese Weise können Sie in zwei Jahren von sich sagen: Ich bin aus dem Gröbsten heraus. Diese Feststellung hat Sie dann – bei angenommenen 100 Reitstunden – etwa 1500 € gekostet. Eine Summe, für die Sie sich, in einem Jahr, aber auch 55 Einzelstunden hätten kaufen können, um dann festzustellen: Ich kann reiten! – Reiten, versteht sich, nicht als Kunst, sondern als Gebrauchssport aufgefasst, und körperliche Eignung vorausgesetzt.
Aber ich sehe schon, Sie glauben mir nicht, dass man innerhalb eines Jahres in 50 Stunden mehr lernt als binnen zwei Jahren in hundert. Darf ich Sie also zu einem kleinen Versuch einladen? Er ist ganz harmlos, doch sehr überzeugend. Wenn Sie zehn oder auch fünfzehn Abteilungsreitstunden hinter sich haben, also (bei einer Stunde die Woche) ein Vierteljahr lang geritten sind, im Schritt, im Trab und auch schon im Galopp, wenn Sie durchaus das Gefühl haben dürfen: Es geht doch schon ganz ordentlich, dann machen Sie mal an einem ruhigen Nachmittag einen außerplanmäßigen Besuch in der Schule. Bitten Sie um das Pferd, das Ihnen das Liebste ist, und sagen Sie dem Lehrer, Sie möchten einmal, frei vom Zwang, Kommandos befolgen zu müssen, mit dem Kopf ergründen, was sich da so eigentlich unter Ihrem Hosenleder tut. Führen Sie Ihr Pferd dann in die Bahn, sitzen Sie auf, und geben Sie die Hilfe zum Anreiten, wie Sie das zehn Stunden lang oder länger geübt haben. Drei Dinge können jetzt passieren:
In jedem Fall aber werden Sie diese Stunde lang vor ihrem Ende durch Absitzen beenden, an der Kasse 20 € bezahlen – und dennoch für mindestens 15 € profitiert haben.
Dies sind die drei Lehren:
Der Weg dazu heißt: Einzelunterricht. Je früher Sie ihn beschreiten, desto eher kommen Sie zum Ziel. Aber glauben Sie ja nicht, Sie bräuchten bloß das Geld dafür hinzulegen. Sie haben eine Menge Konkurrenten im Kampf um die Zeit des Lehrers: der Schüler sind zu viele, der Lehrer zu wenige. Manche Schulen schließen einen Kompromiss: Sie geben bis zu drei Reitern zugleich Einzelunterricht. Aber das ist kein Einzelunterricht, das ist eine kleine Abteilung. Zwar besser als eine große, aber eben doch eine Abteilung. Ihr Pferd hat wieder zwei Kumpane, hinter denen es Sie herziehen kann, wie es zwar ihm, aber nicht Ihnen passt. Und dann: Sie zahlen 20 € (oder gar noch mehr) und bekommen doch nur für 10 den Marsch geblasen.
Sagen Sie der Schulleitung, Sie wollten Einzelunterricht. Sagen Sie es höflich. Und sagen Sie auch, Sie wollten das nicht,
… und weil Sie, bekämen Sie die Einzelstunden nicht, eben leider, leider das Etablissement wechseln müssten.
Und tun Sie’s dann auch. Möglicherweise bekommen Sie bei der Konkurrenz auch nicht, was Sie suchen. Klären Sie das ganz präzise, bevor Sie sich beim alten Club aus- und beim neuen einschreiben lassen. Gehen Sie lieber wieder in Ihren alten Stall zurück. Denn wenn es schon mit den Pferden keinen rechten Spaß macht, so sollen einem wenigstens die Leut’ gefallen, denen man, so man öfters vom Pferd fällt, öfters einen Kognak zahlen muss. Aber das kriegen wir erst später. Was immer Sie an Gründen aufführen für Ihren Wunsch, mit einem Lehrer allein zu sein, sagen Sie nie, es läge an den Pferden, dass Sie so geringe Fortschritte machten. Keine auf Gewinn bedachte Reitschule der Welt kann Anfängern schwungvoll gehende, sensible, feinste Hilfen annehmende Pferde zur Verfügung stellen; sie gingen sofort durch unter den groben, nicht selten brutalen Händen, denen sie in dauerndem Wechsel ausgesetzt wären, und schließlich müsste solche Behandlung sie in kurzer Zeit so abstumpfen, dass sie sich in nichts unterscheiden würden von den Tieren, denen von Anfängern so oft die Schuld am eigenen Unvermögen gegeben wird.
Das ist eben die Katze, die sich in den eigenen Schwanz beißt: Man kann blutige Anfänger nicht gut auf fein gerittene Pferde setzen, aber man kann auf stumpfen, im Manegebetrieb gefühllos geklopften Pferden auch nicht gut reiten lernen. Man kann auf solchen Tieren höchstens sitzen lernen, die Schenkel ruhig, die Hände noch ruhiger halten. Das ist alles. Und das ist das Wichtigste!
Wenn Sie so weit sind, dann erst haben Sie allen Grund, nach besseren Pferden Ausschau zu halten.
Aber das ist bereits wieder ein neues Kapitel.
Ein Kapitel, welches beim jetzigen Stand der Dinge noch nicht der Rede wert ist, weshalb es auch nur wohltuend kurz geriet, doch immerhin dem Leser verrät, dass man auch halbe Pferde haben kann.
Werfen Sie das Buch nicht in die Ecke; ich sage Ihnen schon noch, wie man reitet!
Gleich ein eigenes Pferd also? Wenn Sie mich fragen: nein! Denn wenn ein gutes Pferd einem schlechten Reiter endlich beigebracht hat, wie man gut reitet, ist es kein gutes Pferd mehr, und Sie müssten ihm dann Ihrerseits wieder beibringen, wie sich ein gutes Pferd reiten lässt. Die Missverständnisse, die sich dabei ergeben können, sind nicht minder kompliziert, als wollten Sie versuchen, nach Beethovenschen Noten das Schreibmaschinenschreiben zu lernen. Auch ist es für Anfänger wichtig, möglichst viele Pferde zu reiten, denn jedes fühlt sich im Gang anders an. Reitet man immer dasselbe Tier, schlafen die Reflexe ein. Man ist bald so aufmerksam wie ein Ehemann im fünfzehnten Dienstjahr. Und das Pferd bricht auch nicht mehr in Tränen aus, wenn man mal grob wird.