Manon Garcia
Wir werden nicht unterwürfig geboren
Wie das Patriarchat das Leben von Frauen bestimmt
Aus dem Französischen von Andrea Hemminger
Suhrkamp
Für Esther, Eve und Salomé
Feministische Bücher sind in der Regel eine prospektive Erinnerung an eine Bewegung, die immer weitergehen muss; die Bücher von Mary Wollstonecraft und Simone de Beauvoir sind auch herausragende philosophische Werke und sollten als solche gelesen werden. Da man Frauenbücher in einer speziellen Rubrik führt (von Frauen, über Frauen, für Frauen), lässt sich die Hälfte der potentiellen Leser starke Lektüren entgehen.
Michèle Le Dœuff, L'Étude et le Rouet
Selbst die unabhängigsten und feministischsten Frauen ertappen sich dabei, dass sie den ihnen zugeworfenen eroberungslustigen Blick der Männer mögen, dass sie sich wünschen, in den Armen ihres Partners ein unterwürfiges Objekt zu sein, oder dass sie Arbeiten im Haushalt – die kleinen Freuden sorgfältig gefalteter Wäsche, eines schön angerichteten Frühstücks für die Familie – Tätigkeiten vorziehen, die mutmaßlich erfüllender sind. Sind diese Wünsche, diese Freuden mit ihrer Unabhängigkeit unvereinbar? Handelt es sich um einen Verrat an den Jahrhunderten des Feminismus, die ihnen vorausgingen? Kann man darauf warten, dass die Männer den »ersten Schritt« machen und die Gleichheit der Geschlechter fordern? Die Ambivalenz der Frauen in diesen Fragen springt im Alltagsleben oder wenn man eine sogenannte »Frauenzeitschrift« aufschlägt, ins Auge: Die Frauen werden dazu aufgerufen, frei zu sein, ihre eigene Karriere zu haben, sich von den Männern nicht entwürdigend behandeln zu lassen, und gleichzeitig sind diese Magazine voll von Ratschlägen und Normen, wie man am besten zu einem anziehenden Sexualobjekt, einer hilfsbereiten Ehefrau, einer perfekten Mutter wird.
Nach der Weinstein-Affäre haben sich diese Widersprüche in den Äußerungen über die Schauspielerinnen niedergeschlagen: Waren sie bloße Opfer? Verwandelten sie sich nicht selbst, zuweilen mit sichtlichem Vergnügen, in hinreißende Objekte der männlichen Begierde? Gingen sie nicht einfach »für den Erfolg ins Bett«? Die Blindheit für die Realitäten der männlichen Dominanz überlagerte sich zuweilen mit Tabus über die weibliche Unterwerfung, und das Medienrauschen ergriff oft Partei für diejenigen, die fanden, dass die Schweine zu schnell denunziert wurden und dass die Frauen sich gerne »belästigen« ließen.
Das vorliegende Buch soll diese scheinbaren Widersprüche mit Hilfe der Philosophie analysieren, und zwar insbesondere der Philosophie Simone de Beauvoirs. Wie jedes philosophische Buch will es keine fertigten Antworten geben, sondern die Komplexität der Welt und der gelebten Erfahrungen aufzeigen. Es geht nicht darum, ein für alle Mal zu entscheiden, ob die Frauen Opfer oder Widerständlerinnen sind, ob alle Männer schuldig sind oder nicht, ob es auf das Individuum oder auf die Gesellschaftsstruktur ankommt. Die Unterwerfung der Frauen unter die Männer zu studieren bedeutet im Gegenteil zu untersuchen, wie die Geschlechterhierarchien in der Gesellschaft die Erfahrungen von Frauen formen.