Dr. Rainar Nitzsche wurde am 27.12.55 in Berlin geboren, ging im Saarland zur Schule und lebt in Kaiserslautern, wo er Biologie studierte und über Brautgeschenke bei Spinnen promovierte. Er ist gelernter Buchhändler und gründete 1989 den Rainar Nitzsche Verlag. Seit 2015 veröffentlicht er nicht mehr in seinem eigenen Verlag, sondern als Autor seine Belletristik und Kunstbücher in Buchform und als E-Books bei BoD und neobooks.
Seit seiner Jugend fotografiert er Tiere, insbesondere Insekten und Spinnen, die sich in seinen Sachbüchern: u. a. Spinnen kennen lernen, Spinnen-Sex und mehr, aber auch in den Kunstbüchern mit Verfremdung wiederfinden: u. a. Spinnenkunstwelten 2 (2010), Spinnen fantastisch verfremdet (2016), Aliens (2016).
»Spinnerei« nennt er seine Belletristik (Lyrik und Prosa): Die anspruchsvollen Fantasyromane Die Pfadwelten (Gesamtausgabe 2015): Der Leuchtende Pfad des Magiers (1998, 2015), Wandlungen der Drei (2004, 2015), Wüsten-Berges-Himmels-Weiten (2005/2015), Ins All - Im Eins (2005/2015) (Reise durch die Bioregionen und Kulturen der Erde und den Kosmos). Thematisch geordnete Sammelbände fantastischer Kurzprosa: Die Mondintrilogie: Ruf der Mondin (1992), Im Licht der Vollen Mondin (1996), Mondin-Schein und Sein (2001) (Nachtgeschichten), Aton - Vater Sonn (2001, Taggeschichten), Still riefen uns die Sterne (2001, Weltraumgeschichten), Von Engeln, Erleuchtung und Ewigkeit (2006, meditative Texte), Spinnentraumgespinste (2007/2008, Spinnengeschichten), Das Schlafende steht auf aus seinen Träumen (2010, Fantastisches). Die hiermit vorliegende zweite Auflage von Spiegelwelten deiner Seele (2001, Spiegelungen), wurde vollständig überarbeitet, erweitert und korrigiert.
Magisch-fantastisch-lyrische Kurzprosa
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Impressum
Rainar Nitzsche
Spiegelwelten deiner Seele
Magisch-fantastisch-lyrische Kurzprosa
Fehlerkorrigierte 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Die 1. Auflage erschien Januar 2001 im Rainar Nitzsche Verlag.
Fotografie und Effekte, Lektorat und Computersatz:
Dr. Rainar Nitzsche.
© 2016 Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 9783741268175
Den stillen Seen
dieser Erde
und aller anderen Welten
Den ersten Spiegeln
außerhalb und innerhalb
von uns
Tritt ein
in die Spiegelwelten
deiner Seele!
So viele Bilder und Klänge
aus diesem und
vielen anderen Leben!
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Sind es die Berge, die da schreien?
»Hoch! Hoch! Hoch!«, krächzen die Stimmen aus den Höllen.
»Tief!«, hallt das Echo aus den Himmeln wider.
Ich habe deine Augen gesehen, worin ich versank. Was aber geschah dann? Was war vorher? Wer bin ich? Und wer bist du, die mich niederrang und stürzte? Das Wort fällt mir nicht ein, das Wort!
Schreiend renne ich nun über taubenetzte Wiesen, zerfetze Spinnennetze.
Andere Wesen, die da aufrecht auf zwei Beinen stehen und gehen und laufen und rennen, leben hier. Sind sie wirklich? Da und da und hier! Überall sind sie. Wie die Fliegen haben sie sich vermehrt.
Ich aber bin der schwarze Engel. Mein Name ist AMOK. So steche und schlage ich sie alle nieder. Blutend weint mein Messer tausend Tode.
Welten spiegeln sich in deinen Augen, Welten. In dir, dachte ich, liegen Welten verborgen. Aber Spiegel heißt doch ... Welten in mir! Ja, in mir, in dir, in uns! Welten schufen wir uns, Welten voller Leben!
Manchmal sah es noch bittend auf, zitterndes Fleisch. Wie es weinte und vor Schmerzen brüllte und fluchte und betete, all dieses Menschengetier!
Komm, lass uns hinuntergehen und fühlen, Mensch unter Menschen sein!, dachten wir einst vor langer Zeit. Jetzt fällt es mir wieder ein. Ich tat es. Du aber bliebst zurück.
Hier bin ich nun und lebe als Mensch unter Menschen. Noch immer! Zugleich aber bin ich dort draußen, wo Himmelsharfen fern verklingen und Höllenstimmen begeistert schreien. Und so ist eins gewiss: Niemals sind es die Berge, die da schreien.
»Komm!«, sprach der Andere in den Spiegeln vor mir. Und das Wort war Weinen in meinen Ohren: »Komm!« Also folgte ich seinem leisen Ruf und trat ein in das Land, wo Wahnsinn schreit aus allen Mündern und Mäulern, wo Stille nicht ist, nie sein kann, wo sie weinen und lachen ohne Ende.
»Schau!«, sang seine Stimme nun in mir. Und ich sah menschengleiche Wesen durch blühende Wiesen rennen, verharren vor ihren Schwestern, den Stab erhoben, sah sie lachen und schreien und kichernd sich zerschlagen ihre Blumenhäupter.
Dann irgendwann traf ich den mit schwarzem Haupt und ohne Gesicht. Er hob seine schwarzen Arme empor. Sein schwarzer Umhang wehte mir entgegen. Es war ein Mantel aus Flattertieren, aus Fledermäusen, aus kleinen Vampiren. »Fresst!«, hörte ich ihn flüstern in mir. »Dort kommt euer Futter, ein Mensch, der trägt viel Blut mit sich.«
Also erhob sich lautlos der Schwarm, löste sich alles auf, das ihn einhüllte, flog auf mich zu und senkte sich nieder auf meine Brust, auf Schultern und Arme und Gesicht. Dort ruhte für einen Augenblick - eine Ewigkeit - ihr Schwarz auf meiner weißen Haut, auf meinem strahlenden Kleid aus Licht. Denn auch aus meinem Körper waren alle Farben längst gewaschen. Denn in dieser Welt gibt es nur Schwarz und Weiß. Denn hier lebt Wahnsinn wirklich, ist Welt gespalten in Böse und Gut. Und hier ist er, bin ich und niemand sonst in diesem einen Augenblick.
Lächelnd in meinem vampirnen Kleid sah ich den anderen an. Dann reichte ich ihm meine rechte Hand, ergriff seine linke. Wir hielten uns bei den Händen. Beide schrien wir einmal, zweimal, sterbend und wiederkehrend, auf. Kein dritter Schrei war hier und dort zu hören, jetzt nicht und niemals sonst. Und nichts geschah danach.
Ich stand noch immer vor dem Spiegel, allein. Da war kein Spiegelbild von mir. Ich drehte mich um, sah nicht mehr zurück und ging schweigend und lächelnd einer anderen Zukunft entgegen.
Spiegel, dachte er noch, Spiegel, überall Spiegel. Er sah sich um und sah sich an, sah endlos sein Spiegelbild in Spiegeln gespiegelt, ringsum und überall.
Am Ende bin auch ich ein Spiegel?
Doch wenn da kein Körper vor einem Spiegel stand, wovon sollte dann ein Spiegelbild sein?
Denn das war da, stand sicher fest, noch immer unbeweglich im Spiegel dort vor ihm: das Bild. Aber widergespiegelt, zurückgeworfen von ihm in den Spiegel, und wieder zurück und endlos hin und her. Wie kann das sein?
»Wo bin ich?«, fragte er sich verwundert.
Immer wieder sprach er die Worte laut zu sich selbst: »Wo bin ich? Wo bin ich? Wo bin ich?« Dann noch einmal langsam und laut, klar und deutlich, Wort für Wort: »Wo bin ich?«
Und die Klänge brandeten zurück. Irgendwo gespiegelt, irgendwie verändert erreichten sie ihn: »WO BIN ICH? Wo Bin Ich? wo bin ich? bin ich? wo bin bin? wo wo? ich?« Immer leiser, dunkler wie das gespiegelte Bild seines Körpers verklangen seine eigenen und doch nun so anders klingenden Worte im Raum. Und auch das Licht auf dieser weiten Ebene, auf der er stand, ein Gräsermeer zu seinen Füßen, nahm immer mehr ab. Dämmerung.
Die Nacht, dachte er, jetzt naht die Nacht, von der ich mein Leben lang träumte, diese eine lautlose Nacht - Stille - Sein.
»Nein!«, brüllte etwas in ihm noch einmal auf.
Doch seine Ohren vernahmen seinen inneren Schrei schon längst nicht mehr. Stille und Schwärze wuchsen unaufhaltsam. Die Spiegel wichen zurück. Die Echos verklangen. Keine Mondin, keine Sterne, nichts leuchtete ihm auf seinem Weg durch die Finsternis. Tastend und mit vorgestreckten Händen setzte er Fuß vor Fuß.
Nein, nicht bei mir zu Hause, sondern in einer anderen Wohnung schaue ich in die Ferne - TV. Doch der Bildempfang ist nicht sonderlich gut. Die Darstellungen wechseln von scharf und farbig über schwarzweiß zu unscharf. Antenne umstellen wie einst einmal geht nicht, denn es ist Kabelempfang. »Ist etwa der Receiver defekt?«, frage ich und entdecke im selben Augenblick, dass das Kabel zwischen Receiver und Fernseher in Kurven halb rausschauend und weiß übermalt in die Wand eingelassen ist. Wurde es etwa dabei beschädigt?
Mein Bruder antwortet: »Habe den Receiver auf Reisen im Flugzeug mitgenommen. Vielleicht ist ihm das nicht gut bekommen und er hat sich überhitzt.«
Mag sein, wie es will, Probleme mit der Technik, wir alle kennen das. Es ist vorbei, noch nicht vergessen und doch Vergangenheit. Denn jetzt erblicke ich mich im Spiegel. Sind nur noch wenig Haare da oben auf meinem Kopf. Wie bin ich denn zu dieser Glatze gekommen? Ganz plötzlich über Nacht? Vergeht die Zeit so schnell?
Ich streiche mir darüber. Schuppen fallen.
»Kommt das etwa vom Sonnenbrand?«, flüstere ich, denn die Haut ist rot, scheint sich gänzlich abzulösen. Und das Schlimmste von allem: Es hört einfach nicht auf. Es ist, als fiele Schnee aus dunklen Winterwolken. Ja, mein Kopf, mein ganzer Körper, das Zimmer, alles hat sich verdunkelt. Ich ...
Schneeflocken schweben weiß durch Schwärze. Sie hören nicht auf zu fallen, sind alles, was von den Dingen bleibt.
»Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist ...
Nein! Nicht rot, sondern tot!«
Seltsam, seltsam, die Augen aufgerissen weit aufgerissen und doch so blind!, dachte der - nun ja, seine Seele, sein Geist, der sich im Spiegel ein letztes Mal erblickte.
Von vielen Dingen träumte ich bei Nacht. Doch gerade erwacht, war da nur das Bild von einem schwarzen Schatten. Als ich meine Augen öffnete, sah ich ihn gerade noch sich von meinem Bett erheben. »Halt!«, rief ich ihm schlaftrunken nach. Doch es war zu spät. In diesem Augenblick war er auch schon davongeschwebt, verschwunden.
Jetzt erst fiel mir auf, was in meinem Zimmer anders war als sonst: das Licht! So hell war es doch noch nie gewesen! Verwundert sah ich mich um.
Nirgendwo brannte eine Lampe!