Saramee - Stadt der Vertriebenen
Schattenspiele
Autor: Michael Schmidt
Saramee Band 5
Einleitung – In der Nassen Feder
Christoph Weidler
Trotz des seit Tagen anhaltenden dichten Regens hatte sich die Taverne mittlerweile ein wenig gefüllt. Einige im Viertel hatte es, aus ihren durch die feuchte Luft muffig riechenden Heimen, in Richtung der Nassen Feder gelockt. Sie waren allen Anschein nach froh, wenigstens für ein paar Momente dem erdrückenden Gefühl des eingesperrt seins zu entkommen und ihre, durch den Dauerregen bedingten, trüben Gedanken bei einem Krug Wetah abzulenken.
Morgan ließ seinen Blick über das lockere und recht entspannte Treiben in der Taverne wandern. Es ist doch immer wieder erstaunlich! Egal ob arge Probleme, Widrigkeiten oder die zermürbende Regenzeit – die Bewohner der Stadt machen immer das Beste aus ihrer Lage und lassen sich nicht ihren Mut nehmen.
»Über was denkst Du nach?« Kara schaute seinen Tresennachbarn neugierig an.
»Über nichts Wichtiges. Nur, dass das Leben doch seltsam ist und wir, egal was uns das Schicksal Schlechtes will, dennoch immer wieder aufstehen und weitermachen.«
»Das Schicksal? Eher doch die Götter! Ich denke, dass sie munter ihre Spiele mit uns treiben, während wir nur Figuren auf dem großen Brett eines Spiels namens Leben sind. Ansonsten hast Du aber Recht! Wenn man ganz unten auf dem Boden liegt, dann gibt es nur einen Weg, und das ist wieder aufstehen und weitermachen«, erwiderte Kara.
»Kara, Du weißt genau, an Götter glaube ich schon lange nicht mehr. Nein ... ich denke wenn, dann ist alles, was einen trifft, Schicksal. Manchmal hat man die Wahl zwischen zwei Wegen und manchmal nicht.« Morgan drehte nachdenklich den Krug in seinen Händen.
»Und was ist Dein Weg?«
Morgan dachte lange nach, bevor er Kara antwortete. »Da bin ich mir nicht immer so sicher, aber das wird die Zukunft zeigen.«
Kara boxte Morgan freundschaftlich in die Seite. »Morgan, alter Freund. Ich glaube, die Regenzeit zehrt so langsam auch an Deinen Nerven. Und was die Götter, oder wie Du es nennst, das Schicksal betrifft: Es kommt immer anders als man denkt. Ich erzähle Dir mal eine Geschichte über einen Jungen, der sich diese Frage über Schicksal und Götter sicherlich schon unzählige Male gestellt hat. Vielleicht bringt Dich die Geschichte ja auch auf etwas andere Gedanken …«
Schattenspiele
Michael Schmidt
Der Reisende raffte seinen grauen Umhang und verließ das Portal. Er streifte sich die langen Haare aus dem Gesicht. Sein Haaransatz wurde immer höher, im gleichen Maße schienen die restlichen Haare störrischer zu werden. Der kleine Mann schnüffelte durch seine spitze Nase. Immer noch dieser Geruch. Dieser ganz spezielle Geruch, der den Portalen anhaftete, den er nirgendwo sonst jemals wahrgenommen hatte.
Er war mittlerweile fast vierzig Jahre alt, doch die Reisen durch das Portal waren immer wieder ein ganz besonderes Erlebnis für ihn. Und das, obwohl er schon unzählige Male diesen Weg benutzt hatte. So oft, er konnte sich an die einzelnen Reisen gar nicht mehr erinnern. Trotzdem gab es keinen Gewöhnungseffekt. Es wirkte immer wieder fremd.
Er schüttelte die Benommenheit ab. Es war ein immer wieder belastendes Gefühl, durch die Portale zu reisen. Der Übergang in eine scheinbar andere Welt war es, der einem eine Gänsehaut verursachte. Diese Ferne, diese unendliche Weite. Ein Hauch von Ewigkeit, ein Gefühl der Größe, die einem vor Augen führte, wie winzig doch das eigene Leben war.
Diese universelle Größe zerrte hungrig an seinen Kräften und er fühlte jedes Mal, wie ein Teil seiner Lebenskraft verloren zu gehen schien. Ob es jedem Reisenden so ging? Er hatte selten ähnliche Klagen gehört.
Aber das war jetzt auch unwichtig. Er streifte die düsteren Gedanken ab und sah den Turoswächter an. Es handelte sich um einen schmaler Mann, gekleidet in dem traditionellen Gewand des Kultes, das lange Haar zu einem Zopf gebunden, der nach hinten in die Höhe ragte und ihn noch größer erschienen lies, als er sowieso schon war.
Der Kult der Turoswächter hat das Monopol für die Reisen von Stadt zu Stadt, von den verschiedenen Plätzen der Welt, auch den sehr weit entfernten. Und die Stadt Saramee war am einfachsten durch ein Portal zu erreichen, der Seeweg war gefährlich und hatte schon so manches Menschenleben gekostet. Piraten kontrollierten die Gewässer und was diesen entging, erledigten die Riffe. Es gab auch Berichte über Seeungeheuer, jedoch war sich der Fremde sicher, dass diese Teil der sarameeschen Gerüchte waren, denen man keinen Glauben schenken musste.
Es gab noch einen weiteren Weg über das Gebirge, doch dieser wurde von marodierenden Banden kontrolliert, die manches Mal Wegzoll nahmen, oft genug aber auch das Leben der Reisenden. Kein Weg, den ein vorsichtiger Mann wählte. Der Fremde war ein vorsichtiger Mann und nahm so doch lieber das Portal in Kauf. Mit all seinen Nachteilen.
Der Wächter deutete zur Tür. Er war ein Mensch und nicht der eigentliche Führer durch die Tore. Dies machten die Xer, ein menschenähnliches Volk mit brauner Haut und weißen Haaren. Die kohlschwarzen Augen und der harte Zug um den verkniffen zusammen gepressten Mund wirkten einfach unheimlich, ein anderer Ausdruck fiel ihm nicht ein.
Ja, er würde sogar behaupten, die Xer entsprach seinen Vorstellungen des Bösen. Der Fremde war froh, seinem Führer entronnen zu sein. Es war ein gedrungenes Exemplar seiner Gattung gewesen, die Schulter etwas breiter wie bei einem Menschen, dabei aber wesentlich kleiner. Der Buckel verwachsen wie bei allen Xer, trotzdem waren sie beweglich und flink, was man auf den ersten Blick nicht erwarten würde.
Der Reisende schauderte immer noch. Er hatte den Tod geatmet, ähnlich, wie man es in manchen Nächten auf einem Friedhof verspürte. Die Gestalt war ihm zuwider und er war froh gewesen, als der Turoswächter übernahm und ihn zum Ausgang führte. Gerüchten zu Folge aßen die Xer ihre Toten.
Der Fremde raffte sich auf und schob die abschweifenden Gedanken zur Seite. Ja, es wurde Zeit, in die Stadt und ihr ganz spezielles Flair einzutauchen. Seine Häscher waren ihm auf den Fersen und seine Spur nur wenige Stunden alt. Je länger er an einem Ort verweilte, desto mehr bestand die Gefahr, dass sie ihn wider Erwarten aufspüren würden. Er zögerte ein letztes Mal.
War es die richtige Entscheidung gewesen, direkt in die Höhle des Löwen zu gehen? Sich in dessen ureigenstem Reich zu verstecken? Hier, wo sein Gegenspieler besonders mächtig war?
Sicher war er sich gewesen. Sicher, dass seine Verfolger ihn hier am wenigsten suchen würden, aber mittlerweile sank seine Zuversicht rapide. Ein ungutes Gefühl breitete sich in der Magengegend aus und ließ ihn das schmale Gesicht verziehen.
Nun, er hatte keine Zeit zu verlieren, das sagte ihm sein Instinkt. Dem Wächter zunickend schickte er sich an, das Tor zu verlassen. Er prüfte ein letztes Mal seine Jackentasche und stellte erleichtert fest, dass die Münze noch an der Stelle war, wo er sie eingenäht hatte.
Unwillkürlich zögerte er den letzten Schritt hinaus. Fast so, als wollte er irgendetwas rückgängig machen. Da stieß ihn der Turoswächter an der Schulter an und forderte ihn auf, das Portal zu verlassen. Ein Herz fassend betrat die staubigen Straßen von Saramee. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
* * *