Gefahr in den Ruinen

Maja von Vogel

KOSMOS

Umschlagillustration von Ina Biber, Gilching

Umschlaggestaltung von Sabine Reddig

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele

weitere Informationen zu unseren Büchern,

Spielen, Experimentierkästen, Autoren und

Aktivitäten findest du unter kosmos.de

© 2020 Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-440-50257-0

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Hitzewelle und Eiskonfekt

Die Hitze traf Marie wie ein Schlag. Sie blinzelte in die gleißende Sonne, während sie aus dem Haus auf die Terrasse trat und ein großes Tablett zur Sitzgruppe balancierte. Ihre Freundinnen Kim und Franzi hatten es sich bereits in den gemütlichen Sesseln im Schatten des Sonnenschirms bequem gemacht. Kim gähnte und Franzi streckte träge die sonnengebräunten Beine aus.

»Ist das heiß heute!«, stöhnte Kim. »Ich bin eben auf dem Fahrrad fast weggeschmolzen. Der arme Pablo ist auch völlig fertig.« Sie kraulte den Spaniel-Mischling mit dem wuscheligen schwarz-weißen Fell, der hechelnd zu ihren Füßen lag, zwischen den langen Schlappohren.

Marie setzte das Tablett vorsichtig auf dem Couchtisch ab.

»Kleine Erfrischung gefällig?« Sie stellte dem Hund eine Schale mit Wasser hin und Pablo begann sofort, gierig zu trinken. »Für uns hab ich auch was Kaltes.«

»Ist das etwa Eiskonfekt?« Kim setzte sich auf. Die Aussicht auf etwas Süßes schien ihre Lebensgeister zu wecken. Kim war die größte Naschkatze der ganzen Stadt und konnte Eis, Kuchen, Schokolade und Gummibärchen einfach nicht widerstehen.

Marie nickte. »Greift zu!« Sie reichte Kim den Teller mit den eisgekühlten Pralinen, ließ sich auf dem Lounge-Sofa nieder und verteilte drei Gläser. »Wenn wir uns schon nicht von außen abkühlen können, dann wenigstens von innen.« Eigentlich hatten sich die drei !!! heute im Waldschwimmbad treffen wollen, doch das war ausgerechnet während der heißesten Woche des Jahres wegen dringender Wartungsarbeiten geschlossen.

Franzi steckte sich eine mit Vanilleeis gefüllte Praline in den Mund und verdrehte genießerisch die Augen. »Superlecker!«

Marie nahm einen Glaskrug vom Tablett und schenkte sich und ihren Freundinnen etwas zu trinken ein. »Sommerferien sind doch einfach herrlich, oder?«

Kim nickte. »Keine Schule, keine Hausaufgaben, kein Stress …einfach nur chillen und das tun, worauf man Lust hat. Ein Traum!«

»Nur schade, dass wir gerade keinen Fall haben«, stellte Franzi fest.

»Stimmt«, sagte Marie. »Das wäre eine nette Abwechslung.«

Die drei !!! waren nicht nur Freundinnen, sondern auch Detektivinnen. Gemeinsam hatten sie schon viele Fälle gelöst, zuletzt kurz vor den Sommerferien, als sie einen Skandal im Fußballverein aufgedeckt hatten.

»Ist doch gar nicht so schlecht, auch mal Zeit für andere Dinge zu haben«, meinte Kim. »Ich hab in den letzten Wochen zwei Kurzgeschichten und eine Reportage geschrieben.«

»Cool!« Franzi nickte anerkennend. »Wenn du so weitermachst, wirst du bestimmt bald eine berühmte Autorin und Journalistin.«

Kim winkte ab. »Schön wär’s. Na ja, immerhin wird die Reportage über Leistungsdruck im Jugendfußball, die ich zusammen mit David geschrieben habe, nach den Ferien im Sportteil der Neuen Zeitung abgedruckt.«

»Ehrlich?« Marie verteilte Strohhalme in die Gläser. »Das ist ja toll!«

»Wir haben uns auch gefreut«, sagte Kim.

»Wie läuft’s denn so mit David?«, erkundigte sich Franzi.

Kim zuckte mit den Schultern. »Gut. Wir verstehen uns prima und sind beim Schreiben ein eingespieltes Team.«

»Mehr nicht?«, fragte Marie.

Kim schüttelte den Kopf. »Nein! Wir sind einfach nur befreundet, klar?«

Marie zog die Augenbrauen hoch. Kims heftige Reaktion sprach Bände. Kim und David kannten sich aus einem Reportage-Workshop und trafen sich seit einiger Zeit regelmäßig zum Arbeiten oder auch einfach nur so. Es war nicht zu übersehen, dass David bis über beide Ohren in Kim verliebt war. Aber Kim wollte nichts davon hören und David war offenbar zu schüchtern, um ihr seine Gefühle zu gestehen.

»Ist ja gut«, sagte Franzi versöhnlich. »Freunde sind schließlich auch etwas Schönes.«

»Genau!« Kim fuhr sich mit beiden Händen durch ihre kurzen dunklen Haare. »Außerdem bin ich total zufrieden mit meinem Leben. Ich hab viel Zeit zum Schreiben und für den Detektivclub, muss mich nicht mit nervigen Gefühlen herumärgern und hab keinen Liebeskummer.«

»Stimmt, Liebeskummer ist echt die Hölle.« Marie verzog das Gesicht.

»Aber zwischen dir und Holger ist doch alles in Ordnung, oder?«, vergewisserte sich Franzi.

Marie lächelte. »Ja, es läuft super. Seit ich meine blöde Eifersucht überwunden habe, geht es mir viel besser. Ich darf gar nicht daran denken, wie peinlich ich mich manchmal benommen habe …«

Marie dachte nur ungern an diese Zeit zurück. Es war ein Schock für sie gewesen, als Holger sich in Selma, ein Mädchen vom Parkouring, verliebt hatte. Doch nach einer Beziehungspause hatte Holger sich für Marie entschieden. Sie war zwar glücklich darüber gewesen, hatte es aber nicht geschafft, ihm sofort wieder zu vertrauen. Die Angst, er könnte noch etwas für Selma empfinden, war einfach zu groß gewesen. Die Eifersucht hatte sie fast aufgefressen. Ein Albtraum! Sie hatte sogar überlegt, Holger heimlich hinterherzuspionieren oder ihn absichtlich eifersüchtig zu machen. Zum Glück hatten Kim und Franzi sie davon abgehalten.

Doch das war jetzt vorbei. Marie vertraute ihm endlich wieder hundertprozentig und genoss jede gemeinsame Minute, die sie mit ihrem Freund Holger verbrachte.

»Ich bin nachher mit Blake verabredet«, erzählte Franzi. »Wir wollen im Baggersee eine Runde schwimmen.«

»Nervt es dich noch, dass er so gerne im Mittelpunkt steht?«, fragte Kim.

»Manchmal.« Franzi seufzte. »Aber das ist nun mal seine Art. Ich versuche, ihn so zu akzeptieren, wie er ist. Am besten klappt es, wenn wir nur zu zweit sind.« Sie nieste dreimal hintereinander.

»Heuschnupfen?«, fragte Marie.

Franzi nickte und putzte sich die Nase. Letzte Woche hatte sie einen Allergietest gemacht, bei dem ein leichter Heuschnupfen festgestellt worden war. Zum Glück musste sie keine Medikamente nehmen, sondern kam mit einem Nasenspray gut zurecht. »Ich bin so froh, dass ich nur gegen Gräserpollen und nicht gegen Pferde oder andere Tiere allergisch bin.« Franzi war nicht nur sehr sportlich, sondern sie liebte auch Tiere über alles, besonders ihr Pony Tinka und ihr hinkendes Huhn Polly.

Kim griff nach ihrem Glas und saugte an dem rot-weiß geringelten Strohhalm. »Schmeckt köstlich! Was ist das?«

»Zitronen-Basilikum-Limonade«, antwortete Marie. »Selbst gemacht!«

»Von dir?«, fragte Franzi.

»Nein, von Oma Agnes.«

Wie aufs Stichwort trat Maries Stiefoma auf die Terrasse. Sie nickte Kim und Franzi zu und stellte einen Teller mit klein geschnittener Honigmelone auf den Tisch.

»Ich dachte, ihr mögt vielleicht eine gesunde Erfrischung.«

»Danke.« Marie hielt Oma Agnes den Teller mit dem Eiskonfekt hin.»Möchtest du?«

Oma Agnes kämpfte kurz mit sich, dann griff sie nach einer leicht geschmolzenen Praline und steckte sie in den Mund.

»Lecker«, stellte sie etwas überrascht fest. »Auch wenn das Eis bestimmt nicht mit echter Bourbon-Vanille hergestellt wurde, sondern mit künstlichen Aromastoffen.«

Marie grinste. »Mal ehrlich, ein paar künstliche Aromastoffe bringen uns schon nicht um.«

»Wahrscheinlich hast du recht.« Oma Agnes seufzte. »Esst trotzdem auch etwas Obst, das ist bei der Hitze viel besser verträglich.« Sie ging zurück ins Haus.

»Sie macht eindeutig Fortschritte«, stellte Franzi fest. »Vor ein paar Wochen wäre es noch undenkbar gewesen, dass sie als absoluter Gesundheitsfreak ein Stück Eiskonfekt isst.«

Oma Agnes war die Mutter von Tessa, der zweiten Frau von Maries Vater. Maries Mutter war vor vielen Jahren gestorben und ihr Vater hatte vor einiger Zeit wieder geheiratet. Marie kam mit Tessa super klar. Auch mit Lina, Tessas zwölfjähriger Tochter, verstand sie sich inzwischen ganz gut. Außerdem gehörte noch der kleine Finn, Maries und Linas dreijähriger Bruder, zur Patchworkfamilie.

Oma Agnes war seit ein paar Monaten immer wieder Gast in der Villa der Grevenbroichs, manchmal sogar für mehrere Wochen, angeblich um Tessa mit Finn zu helfen.

»Ja, sie ist viel entspannter geworden, was das Thema Ernährung angeht. Es muss nicht mehr alles hundertprozentig gesund und bio sein.« Marie zeigte auf die Glaskaraffe. »Stellt euch vor, in der Limonade ist sogar Zucker!«

Franzi lachte. »Aber garantiert fair gehandelter Rohrohrzucker aus dem Bioladen, oder?«

»Natürlich!« Marie grinste. »Außerdem überlässt Oma Agnes es jetzt mir, wann ich abends das Licht ausmache, und meckert nicht mehr dauernd über gefährliche Handystrahlung und die schlechte Erziehung der heutigen Jugend.«

»Bleibt sie noch lange bei euch?«, fragte Kim.

»Keine Ahnung. So viel ich weiß, hat sie sich immer noch nicht mit Opa Herbert vertragen.«

Marie hatte erst kürzlich herausgefunden, was der wirkliche Grund für Oma Agnes’ ausgedehnte Besuche war: Sie hatte Streit mit ihrem Mann. Auslöser war Opa Herberts geheimes Süßigkeitenlager in der Garage gewesen, das Oma Agnes entdeckt und radikal geräumt hatte – sämtliche Süßigkeiten waren im Mülleimer gelandet!

»Ich dachte, sie wollte sich bei ihm entschuldigen«, sagte Kim.

»Wahrscheinlich schafft sie es nicht, über ihren Schatten zu springen«, vermutete Marie. »Dabei macht Opa Herbert doch extra ihretwegen einen vegetarischen Kochkurs und isst viel weniger Süßigkeiten als früher. Wenn ich nur wüsste, wie ich ihr helfen kann!«

Anfangs war es Marie nur darum gegangen, Oma Agnes so schnell wie möglich loszuwerden. Doch inzwischen war ihr die alte Frau mit dem herben Charme ans Herz gewachsen und es tat Marie weh, sie unglücklich zu sehen.

»Und wenn wir ein bisschen Amor spielen?«, fragte Franzi.

Marie setzte sich auf. »Was meinst du damit?«

Franzi lächelte verschmitzt. »Wir geben Opa Herbert einfach ein paar Tipps, wie er seine Frau zurückerobern kann.«

»Superidee!« Marie angelte sich ein Stück Melone vom Teller. »Am besten, ich ruf ihn gleich heute noch an. Es wird höchste Zeit, dass die beiden sich wieder vertragen.«

Finn hüpfte auf die Terrasse. Als er das Eiskonfekt auf dem Tisch entdeckte, ging ein Strahlen über sein Gesicht. »Krieg ich auch was?«

»Klar«, sagte Marie großzügig. »Bedien dich.« Sie fuhr ihrem kleinen Bruder durch die strubbeligen Haare, während er sich in Rekordtempo die restlichen Pralinen in den Mund stopfte.

»Hmm!« Finn schleckte sich die geschmolzene Schokolade von den Fingern und grinste glücklich. Dann kniete er sich neben Pablo und begann, den Hund zu streicheln. »Kann ich mit Pablo spielen?« Er sah zu Kim hoch.

Kim nickte. »Natürlich. Das heißt, wenn Pablo nicht zu müde ist.«

»Komm, Pablo!« Finn sprang auf.

Der Hund erhob sich sofort und folgte Finn in den weitläufigen Garten der Villa. Finn holte einen alten Fußball unter einem Rhododendron-Busch hervor und kickte ihn in Pablos Richtung. Pablo schnappte sich den Ball und rannte davon.

»Na warte, ich krieg dich!«, rief Finn und nahm die Verfolgung auf.

Kim beobachtete die beiden kopfschüttelnd. »Wie kann man bei dieser Hitze nur freiwillig durch die Gegend rennen? Ich bekomme vom Zusehen schon Schweißausbrüche.«

»So kriegt Pablo wenigstens ordentlich Bewegung«, sagte Franzi. »Das Gassigehen kannst du dir heute sparen.«

»Stimmt.« Kim sank etwas tiefer in ihren Sessel und trank noch einen Schluck Limonade.

Eigentlich gehörte der Hund Kims Brüdern Ben und Lukas. Die Zwillinge liebten Pablo zwar heiß und innig, aber wenn es darum ging, mit ihm rauszugehen, hatten sie immer tausend Ausreden parat. Deshalb blieb der tägliche Hundespaziergang oft an Kim hängen, was ihr meistens nicht allzu viel ausmachte.

Plötzlich ertönte ein heller Klingelton. Die drei !!! begannen gleichzeitig, nach ihren Handys zu suchen. Marie zog ihr Smartphone aus der Tasche ihres geblümten Sommerkleids, aber sie hatte keine Nachricht bekommen.

»Sorry, das war ich.« Kim blickte auf das Display ihres Handys. »Eine Nachricht von David.«

»Was schreibt er denn?«, erkundigte sich Franzi so harmlos wie möglich.

Kim runzelte die Stirn. »Er will wissen, wo ich stecke. Angeblich muss er mich unbedingt sehen, jetzt sofort. Scheint ein Notfall zu sein.«

Marie grinste. »Wohl eher ein Fall von akuter Sehnsucht.«

Kim ging nicht auf die Bemerkung ein. »Ist es okay, wenn er herkommt? Dann schicke ich ihm die Adresse.«

»Klar, von mir aus.« Marie trank ihre Limonade aus. Ob David beschlossen hatte, Kim ausgerechnet heute seine Liebe zu gestehen? Oder was konnte sonst so dringend sein?

Marie erhob sich, um noch ein Glas aus der Küche zu holen und den fast leeren Krug nachzufüllen. Als sie wieder auf die Terrasse kam, bog David gerade um die Hausecke.

»Das ging aber schnell«, wunderte sich Kim. »Bist du geflogen?«

»Nein, ich bin mit dem Rad gekommen.« David grinste schief. »Allerdings bin ich ziemlich gerast. Wahrscheinlich krieg ich gleich einen Hitzschlag.« Auf seiner Stirn glänzten Schweißtropfen und sein schwarzes T-Shirt war ganz verschwitzt.

»Trink erst mal was.« Marie schenkte David ein Glas Zitronen-Basilikum-Limonade ein. Er griff dankbar danach und trank es in einem Zug leer.

»Was gibt es denn so Dringendes?«, fragte Kim. »Ist etwas passiert?«

David fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Das weiß ich noch nicht so genau.« Er holte tief Luft. »Ich brauche eure Hilfe. Mein Bruder ist verschwunden.«

Nichts für Feiglinge

»Wie bitte?« Kim starrte David an.

»Mein Bruder ist verschwunden«, wiederholte David. »Er wollte mich gestern Abend anrufen, aber das hat er nicht getan. Auf dem Handy erreiche ich ihn nicht und zu Hause ist er auch nicht … So langsam mache ich mir echt Sorgen!« Seine Stimme zitterte.

»Setz dich erst mal hin.« Marie deutete auf das Sofa.

David ließ sich mit einem Seufzer in die weichen Polster fallen und Marie schenkte ihm Limonade nach.

»Erzähl uns bitte alles der Reihe nach.« Kim hatte sich von der ersten Überraschung erholt und sofort in den Detektivmodus geschaltet. Sie zog ein abgegriffenes Heft aus ihrer Umhängetasche, das sie als Detektivtagebuch für unterwegs benutzte. »Dein Bruder heißt Timo, oder?« Kim schlug das Heft auf und zückte einen Kugelschreiber. »Wie alt ist er?«

David trank einen Schluck, ehe er antwortete. »Timo ist zweiundzwanzig. Er studiert Sport und Französisch auf Lehramt und wohnt im Studentenwohnheim in einer Zweier-WG.«

»Wann hast du ihn zum letzten Mal gesehen?«, fragte Franzi, während Kim eifrig mitschrieb.

David überlegte. »Das ist schon länger her. Aber wir haben uns zwischendurch immer mal wieder Nachrichten geschickt oder telefoniert. Gestern Abend wollte er mich anrufen, um sich zu verabschieden.«

»Sich verabschieden?« Marie runzelte die Stirn. »Warum?«

»Timo wollte ein paar Tage wegfahren«, erklärte David. »Es sind ja gerade Semesterferien.«

»Wo wollte er denn hin?«, fragte Kim.

»Nach Frankreich und vielleicht weiter bis nach Spanien. So genau wusste er das noch nicht. Er wollte einfach in den Zug steigen und losfahren.«

Kim hielt einen Moment inne und klopfte mit dem Kugelschreiber auf das Heft. »Und wenn er einfach schon in den Urlaub gestartet ist?«

David schüttelte den Kopf. »Timo wäre nie weggefahren, ohne sich von mir zu verabschieden. Das ist so ein besonderes Ritual zwischen uns. Wir sehen uns zwar im Alltag nicht jeden Tag, aber wir sind regelmäßig in Kontakt. Ich weiß immer, wo Timo gerade steckt und was er so treibt, und umgekehrt.« Davids braune Augen waren dunkel vor Sorge. »Ihm muss etwas passiert sein!«

»Was ist mit euren Eltern und Timos Mitbewohner?«, wollte Marie wissen. »Vielleicht haben die eine Ahnung, wo er ist?«

»Die glauben alle, Timo sei schon im Urlaub.«

»Aber du glaubst das nicht«, stellte Franzi fest.

»Nein.« David schüttelte den Kopf. »Timos Handy ist seit gestern Nachmittag ausgeschaltet. Das macht er sonst nie. Es ist ihm total wichtig, immer erreichbar zu sein.«

»Vielleicht ist der Akku alle und er kann ihn im Zug nicht aufladen«, sagte Franzi.

»Außerdem war ich vorhin in Timos WG«, berichtete David. »Er hat seinen Laptop nicht mitgenommen. Der steht noch auf dem Schreibtisch. Dabei wäre er nie ohne Notebook weggefahren.«

»Nicht mal in den Urlaub?«, fragte Marie.

»Nein! Timo ist leidenschaftlicher Hobbyfotograf. Gerade im Urlaub braucht er den Laptop, um jeden Abend seine Fotos hochzuladen.«

»Also, ich weiß nicht …« Franzi zwirbelte skeptisch eine rote Haarsträhne zwischen zwei Fingern. »Für mich klingt das so, als könnte es für Timos Verschwinden auch eine völlig harmlose Erklärung geben.«

Marie nickte. »Finde ich auch. Er ist spontan etwas eher in den Urlaub gestartet und hat vergessen, sich von dir zu verabschieden. So was kommt vor. Vielleicht will er seine Ruhe haben und hat deshalb sein Handy abgestellt. Oder der Akku ist tatsächlich leer. Und den Laptop hat er zu Hause gelassen, weil er im Zug möglichst wenig Gepäck haben will.«

»Oder weil er Angst hat, der Laptop könnte unterwegs geklaut werden«, ergänzte Franzi.

»Eine Vermisstenanzeige bei der Polizei können wir uns jedenfalls sparen«, stellte Kim fest. »Dafür ist Timo noch nicht lange genug verschwunden. Er ist schließlich erwachsen und kann tun und lassen, was er will.«

»Wahrscheinlich sitzt er gerade irgendwo in Südfrankreich und trinkt Café au Lait, während wir uns hier die Köpfe heißreden.« Marie lächelte David beruhigend zu, aber sein Gesicht blieb ernst.

»Das glaube ich nicht.« David zögerte kurz, bevor er weitersprach.

»Ich … ich hab euch noch nicht alles erzählt. Ich hab einen ganz konkreten Verdacht, was Timo passiert sein könnte.«

Kim, die das Detektivtagebuch gerade wieder in ihre Tasche stecken wollte, erstarrte mitten in der Bewegung. »Was für einen Verdacht?«

David kaute auf seiner Unterlippe. »Unsere Eltern wissen nichts davon. Timo bringt mich um, wenn er mitkriegt, dass ich sein Geheimnis ausgeplaudert habe. Ihr müsst mir versprechen, niemandem etwas zu verraten, okay?«

Die drei !!! nickten.

»Versprochen«, sagte Kim.

David stieß einen tiefen Seufzer aus. »Timo ist Urbexer.«

»Ur-was?«, fragte Marie.

»Urbexer«, wiederholte David. »Das ist die Abkürzung für Urban Explorer. Wisst ihr, was das ist?«

Jetzt machte es klick bei Marie. »Sind das nicht diese Leute, die in leer stehende Häuser einbrechen?«

»Urbexer brechen nirgendwo ein«, widersprach David. »Sie erkunden und fotografieren Lost Places, also verlassene Orte. Das können zum Beispiel stillgelegte Fabriken, Krankenhäuser, verfallene Villen oder Schulen sein. Timo war auch schon in einem verlassenen Hotel und in einer alten Kirche.«

»Das klingt spannend«, sagte Kim, nachdem sie sich ein paar Notizen gemacht hatte. »Aber ist das nicht gefährlich?«

»Kommt darauf an«, meinte David. »Wenn man aufpasst und sich an die Regeln hält, kann eigentlich nicht viel passieren. Allerdings hält sich Timo nicht immer an die Regeln.«