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Es ist elend kalt an diesem späten Märztag. Der Ostwind fegt durch die Straßen, wirbelt den Staub auf und lässt nichts davon merken, dass im Kalender schon vor einer Woche Frühlingsanfang war.
Peter Steffen steht missmutig vor dem nüchternen — unfreundlichen Bahnhofsgebäude in X. Vor wenigen Minuten ist bekannt gegeben worden, dass der Zug nach Berlin mal wieder Verspätung hat, „wahrscheinlich“ 30 Minuten.
Das bedeutet, noch fast eine dreiviertel Stunde hier draußen herumfrieren — denn die Räume in dem halbzerstörten Bahnhofsgebäude sind ungeheizt und genau so kalt, wie es hier draußen ist, dazu voller Menschen: Also, dann schon lieber hier draußen warten. Die Zeit wird ja auch so vergehen.
Peter zieht sich den Schal fester um den Hals und versenkt dann beide Hände, so tief es nur geht, in die Taschen seines Mantels: Er wird ein bisschen auf- und abgehen — immer noch besser, als auf der Stelle anfrieren.
Also los, mal um die Ecke gucken, wer da noch vom Städtchen kommt, um mit dem Zug mitzufahren ...
Also da hinten die Dame im grauen Pelzmantel, — das könnte doch — ja, das ist sie ja: Mensch, da kommt ja Hildegard ...die Hilde W...
Erst war sie drei Jahre seine erstklassige Sekretärin, dann 5 Monate seine Freundin und Geliebte ...oh, Peter hat schon oft an diese lustvollen und wilden Nächte gedacht ..., an diesen wundervoll gewachsenen Körper mit seiner seidenweichen makellos reinen Haut, mit ..., ach Peter weiß gar nicht, was am schönsten an dieser jungen Frau mit ihren damals 25 Jahren war ...
Und er kommt auch nicht mehr zum Nachdenken — denn Hilde: Hilde hat ihn entdeckt und kommt mit ihren schnellen und elastischen Schritten (wie er diesen stolzen Gang liebte: Aber nicht umsonst war sie ja einmal Gymnastiklehrerin) auf ihn zu: Das Gesicht vom scharfen Ostwind gerötet, ein paar blonde Locken wehen unter ihrer Kappe hervor, die großen grauen Augen strahlten:
„Peter, Du hier? Fein, dass ich Dich treffe! Ich will auch nach Berlin — ich hole Gerhard vom Bahnhof ab! Gestern kam das Telegramm aus Hamburg, der Transport aus Kamerun ist gestern ausgeladen worden — und um heute soll der Zug in Berlin sein ...!“
„Hildefrau, das ist ja mal eine gute Nachricht! Ich freue mich für Dich — wird ja auch Zeit, dass Du endlich mal weißt, wie es ist, wenn man richtig verheiratet ist! Gerhard wird schön Rache nehmen, für die Zeit, die er in Kriegsgefangenschaft war — aber die Hauptsache ist ja: Du hast ihn wieder. Denk mal, wenn Du nun auch warten und warten, und immer wieder warten müsstest, wie die vielen Frauen, die nur wissen, dass ihr Mann im Osten war — Hilde, Du hast Glück gehabt dabei, und Glück wünsche ich Euch Beiden für die Zeit, die nun kommt. Aber Ihr werdet es schon schaffen, nicht?“ Und Peter drückt ihr herzhaft die Hand ...
„Doch, Peter“, sagt die kleine Frau und wird etwas ernster. „Gerhard war verwundet, ich erzählte Dir ja, ein Kamerad hat ihn damals im letzten Augenblick aus dem brennenden Unterstand herausgeholt. Aber er hat noch einiges abgekriegt, Granatsplitter im Kopf und im linken Unterschenkel, schrieb er. Aber, Du hast schon Recht — Hauptsache, er ist wieder da! Peter, ich freue mich ja so ...„
Die kleine Frau ist ganz glücklich — so richtig in Stimmung, die ganze Welt zu umarmen. Peter wird von ihrer guten Laune angesteckt:
„Also, das wird ja heute Abend ein Fest zu zweien werden, was, Hildefrau?“ Er macht ein Spitzbubengesicht und sagt ihr ins Ohr ...„Schade, dass ich heute Abend nicht Mäuschen in Eurem Schlafzimmer sein kann — sehr schade!“ Er ist tief betrübt!
Aber Hilde lacht und sagt nur: „Frechdachs! Wie immer schon! Aber lass nur, ich werde schon berichten und Dir erzählen, wenn es was zu erzählen gibt. Du hast mir ja mal versprochen, dass Du immer für mich da sein würdest, wenn ich mal einen Rat brauchte oder mir das Herz freireden möchte ...das gilt doch noch, ja?“
„Aber klar, Hilde“, sagt Peter und ist ein bisschen gerührt, „vielleicht ist es mal ganz gut, wenn man sich mit jemand aussprechen kann. Und ich bin ja nun mal eine ganze Stiege älter, als Du ...ich bin jederzeit für Dich da! Wie versprochen! Und wo ich wohne, weißt Du ja ...!“
Und damit nimmt er Hildes Arm und sie laufen ein Stück weg von dem öden Bahnhof und wieder zurück — und dann kommt wirklich der Zug und ist natürlich schon knüppeldick voll, aber es ist doch noch für beide ein Stehplätzchen in einem gedrängelt vollen Abteil zu finden ...Und ab geht es nach Berlin.
Als sich nachher beide mit ihren Trümmerhaufen in der großen Stadt verabschieden, sagt Peter:
„Alles, alles Gute, kleine Hildefrau, und heute Abend werde ich in Gedanken bei Dir sein — soll ich Dir was gestehen ...? Ich beneide Gerhard um die Nacht, die er vor sich hat mit einer so entzückenden Frau ...“
„Abwarten“, sagt Hilde und lacht ihn an, „morgen früh weiß ich, wie es heute Nacht war — hoffentlich so, wie ich mir es vorstelle. Gerhard muss ja erst einmal Gisela kennen lernen — 6 Jahre alt ist die Göre nun schon und hat ihren Vater noch nie gesehen ...und er sie auch nicht ...Aber er will ja unbedingt noch einen Jungen von mir haben — da werde ich wohl ganz schön ran müssen. Irgendwann muss ich ja doch dran glauben —, vielleicht suche ich in einem halben Jahr einen Kinderwagen ...?“
„Also bei der Suche helfe ich Dir, Hilde, tschüs für heute! Und lass bald von Dir hören!“
Noch ein Winken hin und her ...und dann geht jeder seiner Wege. Eine kurze Weile sieht Peter ihr noch nach, wie sie mit ihren schnellen Schritten in der Menschenmenge vor dem großen Bahnhof ihren Weg sucht, dann ist sie für heute verschwunden ...
„Hat der Kerl ein Schwein mit einer solchen Frau“, denkt Peter, „hoffentlich weiß er zu schätzen, was er da hat ...Aber das sind ja nicht meine Sorgen ...“
Und damit macht er sich seinerseits auf den Weg zu seiner Wohnung, draußen im Vorort.
Monatelang hört Peter nichts von Hilde. Aber dann, im Oktober, an einem Samstagnachmittag klingelt bei ihm das Telefon:
„Tag, Peter! Hier ist Hilde! Peter ...kann ich Dich mal sprechen? Ich bin jetzt hier am Bahnhof?“
„Hildefrau — welch freudiger Schreck am frühen Nachmittag! Natürlich kannst Du kommen, ich erwarte Dich also in zehn Minuten ...Tschüs, bis dahin!“
Und dann kam sie und saß auf der Couch, rank und schlank, in einem dunkelbraunen Kleid, das ihr mal wieder unglaublich gut stand ...sie sah zum Anbeißen aus ...!
„Also, Hilde, nun leg mal los ...! Freude? ...Kummer?“
Sie lächelte etwas gezwungen: „Na ja — Du hast schon richtig geraten, Peter ...Kummer ...!“ Sie macht eine kleine Pause ...Peter wartet. Dann nimmt sie mit einem Ruck den Kopf hoch und sieht ihm voll ins Gesicht:
„Peter, ...Gerhard geht fremd ...!“ Das starre Lächeln bleibt ...
„Hilde, ...Menschenskind! Das ist doch wohl nicht möglich! Fremdgehen? ..., wo er Dich hat ...?“
„Ja, ich bin eben nicht genug für ihn! Die sind im Camp ja alle übergeschnappt, Peter. Hitze, unvorstellbar gute Verpflegung, Langeweile bis zum Erbrechen ...denn arbeiten durften sie nicht — also gut, Gerhard kam hier an mit 180 Pfund Lebendgewicht. Ich wog 102 Pfund bei den Hungerkarten. Na ja, und dann fast 6 Jahre ohne Frauen! Also, für Gerhard steht eisern fest: Das Schicksal hat ihn sechs Jahre um das Erlebnis „Frau“ betrogen . . .“
„Aber, Hilde, er hat doch Dich ...!“ Und wie ich Dich kenne ...Du bist im Bett doch einfach ein Erlebnis: In punkto Erotik ein Naturtalent, wie ich keines sonst kenne, voll Temperament bis zum Überlaufen, ja zum Kuckuck, ...was wünscht sich denn Dein Mann bloß ...?“
„Abwechslung, Peter. Immer was Neues, mal wieder eine andere Hautfarbe, andere Haare, andere Touren ...„
„Versteh ich nicht, Hilde, ...verstehe ich einfach nicht . . .“
„Ich verstehe es ja auch nicht, Peter! Du kennst mich ja und wirst mir es glauben ...ich bin bestimmt nicht zimperlich und mache alles mit, aber ich kann es Gerhard einfach nicht recht machen. Sein größter Ärger ist natürlich, dass ich immer noch keinen dicken Bauch habe ...trotz seines Fleißes! Denn ich muss ganz schön hinhalten ...Jeden Abend werde ich vorgenommen und bekomme eine Spritze . . .“
„Na, na, Hilde ..., jeden Abend? Schließlich gibt es
ja für Euch Frauensleute ein paar Tage im Monat, wo Ihr „TABU“ seid und Schonzeit habt!“