HARRY HARRISON

 

 

 

DIE STAHLRATTE FÄHRT ZUR HÖLLE

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

 

1. KAPITEL

2. KAPITEL

3. KAPITEL

4. KAPITEL

5. KAPITEL

6. KAPITEL

7. KAPITEL

8. KAPITEL

9. KAPITEL

10. KAPITEL

11. KAPITEL

12. KAPITEL

13. KAPITEL

14. KAPITEL

15. KAPITEL

16. KAPITEL

17. KAPITEL

18. KAPITEL

19. KAPITEL

20. KAPITEL

21. KAPITEL

22. KAPITEL

23. KAPITEL

24. KAPITEL

25. KAPITEL

26. KAPITEL

27. KAPITEL

28. KAPITEL

29. KAPITEL

 

 

 

 

 

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1. KAPITEL

 

Ich kippte ordentlich Whisky auf die Eiswürfel und maß sie mit einem finsteren Blick – dann goss ich noch etwas drauf. Als ich das Glas jedoch anhob und mit gluckerndem Vergnügen trank, fiel mein Blick auf die in die Wand oberhalb der Bar eingebaute Uhr.

Es war erst zehn Uhr morgens.

Auweia, Jim, du schüttest dich jeden Tag etwas früher zu. Ich knurrte vor mich hin. Na und? Gehörte die Leber nun mir oder nicht? Ich sabberte das Glas gerade leer, als der Hauscomputer mich mit einer volltönenden, gebildeten – etwa auch höhnischen? – Stimme ansprach.

»Jemand nähert sich dem Hauseingang, Herr.«

»Toll. Ist sicher der Laufjunge vom Schnapsladen, was?« Meine Stimme troff vor Sarkasmus, aber Computer können so was natürlich nicht aufnehmen.

»Keinesfalls, Herr. Franzis Fusel- und Feinkostladen liefert nämlich per Rohrpost. Ich identifiziere das sich nähernde Lebewesen als Rowena Vinicultura. Sie hat ihren Flitzer auf dem Rasen vor dem Haus abgestellt und entsteigt ihm gerade.«

Meine Laune verschlechterte sich schon, als der Name durch meine Trommelfelle kroch. Von allen wunderschönen Langweilern auf Lussuoso war Rowena wahrscheinlich die schönste – und ganz sicher die langweiligste. Ich wollte fliehen oder Selbstmord begehen, bevor sie hereinkam. Ich war gerade in den hinteren Teil des Hauses unterwegs, um mich eventuell im Schwimmbecken zu ersäufen, als die Stimme des Hausboters mich auf der Stelle verharren ließ.

»Miss Vinicultura ist wohl auf die Kunststoffmatte vor der Tür gefallen, auf der in sechs Sprachen WILLKOMMEN steht.«

»Was soll das heißen, gefallen?«

»Ich glaube, die Beschreibung ist zutreffend. Sie schloss die Augen, und ihr Leib erschlaffte. Dann bewegte sie sich langsam dem Boden entgegen. Nun liegt sie reglos da, und ihre Augen sind noch immer geschlossen. Ihr Puls hat sich, wie die Mattendruckplatte registriert, deutlich verlangsamt und schlägt unregelmäßig. Ihr Gesicht weist Schnittwunden und Schrammen auf …«

Die Stimme des Dings folgte mir, als ich durchs Haus zurücklief.

»Tür aufmachen!«, schrie ich. Sie schwang weit auf, und ich stürzte hinaus.

Rowenas Kameengesicht war bleich, ihr schwarzes Haar kunstvoll zerzaust, ihr stattlicher Busen hob und senkte sich langsam. Auf ihren Wangen war Blut, und sie hatte eine sich bläulich verfärbende Schramme auf der Stirn. Ihre Lippen bewegten sich. Ich ging näher heran.

»Weg …«, sagte sie kaum hörbar. »Angelina … weg …«

Mir war, als sei meine Körpertemperatur um dreißig Grad gesunken. Doch dies verlangsamte mich nicht im geringsten. Während ich nach Rowena griff, gelang es mir, die Nummer 666 in meinen Armbandrechner einzugeben.

»Wo ist das medizinische Hausbehandlungszentrum?«, schrie ich, während ich die Arme unter ihre warmen Schenkel und ihren weichen Rücken schob und sie so vorsichtig wie möglich hochhob.

»Am Bibliothekssofa, Herr.«

Ich rannte los und ignorierte den kalten Knoten der Verzweiflung, den ihre Worte in mir hatten wachsen lassen. Da Angelina und ich unermesslich reich waren, hatten wir den medizinischen Hausdienst noch nie in Anspruch genommen. Ich hatte beim Unterschreiben des Mietvertrags nur einen kurzen Blick auf das Kleingedruckte geworfen; bei der Miete, die wir zahlten, mussten die medizinischen Einrichtungen mindestens so gut sein wie die eines Provinzkrankenhauses. Als ich Rowena in die Bibliothek getragen hatte, war das Sofa in der Wand verschwunden. An seiner Stelle kam ein Untersuchungsbett aus dem Boden. Als ich sie auf das Lager legte, schlängelten sich auch schon die Detektoren des Medboters aus der Decke. Ein Analysator saugte sich an meinem Nacken fest, und ich scheuerte ihm eine.

»Nicht mich! Sie! Auf dem Bett da, du dösiger Blechkopf!«

Ich ging außer Reichweite, als sich die Maschine mit mechanischem Enthusiasmus an die Arbeit machte. Auf dem Bildschirm tauchten die ersten Messungen auf. Sie zeigten alles – von der Temperatur und Pulstätigkeit bis zum endokrinen Gleichgewicht, die Leberfunktionen, das Haarfollikelwachstum und alles, was man messen und bewerten konnte. Alles war da zu lesen.

»Sprich! Rede!«, kommandierte ich. Ein Rascheln elektronischer Aktivität ertönte, als die verschiedenen Fachprogramme sich zusammentaten, den Input sortierten, verglichen, sich untereinander verständigten und in einer schnellen Mikrosekunde einigten.

»Patient hat Gehirnerschütterung und Prellungen.« Die computererzeugte Stimme war tief, männlichen Geschlechts und klang beruhigend. »Die Schrammen sind nicht schlimm. Sie wurden gereinigt und verschlossen.« Wie geschäftig die blitzenden Gerätschaften waren. »Die nötigen Antibiotika wurden injiziert.«

»Bring sie zu sich!«, raunzte ich.

»Falls Sie damit meinen, Sir, dass es Ihr Wunsch ist, den Patienten ins Bewusstsein zurückzuholen, so wird dies gerade getan.« Falls Computer überhaupt eingeschnappt klingen können – dieser hier klang so.

»Wasch’n’lohsch?«, murmelte Rowena mit leicht verschleierten, doch wunderbar purpurnen Augen.

»Es reicht noch nicht«, sagte ich. »Gib ihr irgendein Stimulans oder so was. Ich muss mich mit ihr unterhalten.«

»Der Patient ist traumatisiert …«

»Aber nicht besonders schlimm. Hast du selbst gesagt. Bring sie nun zum Reden, du überteuerte Ansammlung von Speicherchips, sonst schließe ich deinen ROM, deinen PROM und deinen EPROM kurz!«

Das reichte wohl. Rowenas Augen blinzelten und schauten mich an.

»Jim …«

»Höchstpersönlich, meine allerliebste Rowena. Gleich geht’s dir wieder gut. Und jetzt erzähl mir von Angelina.«

»Weg …«, sagte sie. Und klimperte mit ihren luxuriösen Wimpern. Ich spürte, dass ich mit den Zähnen knirschte und rang mir ein Lächeln ab.

»Das sagtest du schon. Wohin ist sie weg? Warum ist sie weg? Wann ist sie …« Ich hielt die Klappe, denn ich geriet allmählich in Rage.

»Im Tempel der Ewigen Wahrheit …« Das war alles, was sie sagte, bevor sie die Augen wieder schloss. Und es genügte mir.

Als ich zur Tür hinausrannte, schrie ich dem Hausboter zu: »Mach sie gesund! Bewach sie! Ruf einen Krankenwagen!«

Die Polizei erwähnte ich nicht, denn ich wollte nicht, dass diese Plattfüße sich in meine Ermittlungen einmischten.

»Einschalten!«, schrie ich dem Atomkrad zu, als ich in die Garage kam. »Tor auf!«

Ich landete im Sattel, trat voll drauf und riss, als ich ins Freie schoss, die untere Hälfte des Garagentors ab, da sie sich nicht schnell genug öffnete. Es gelang mir, ein auf dem Pflaster herumschlenderndes Pärchen zu verfehlen, fegte zwischen zwei Fahrzeugen hindurch und jagte auf die Straße. Dabei brüllte ich in das Kradphon, da ich es für vorteilhaft hielt, wenn das Fahrzeug wusste, wohin ich wollte.

»Straßenkarte, Notzugriff. Der Tempel der Ewigen Wahrheit – Koordinaten.«

Auf der nun gesprungenen Windschutzscheibe wurde ein Stadtplan sichtbar, und ich fegte mit kreischenden Reifen um die nächste Ecke. Als ich mich wieder aufrichtete, sah ich, dass das Kom-Licht blinkte. Es konnte nur eine Antwort auf meinen Notruf sein, denn nur Angelina, James und Bolivar hatten Zugang zu dieser Nummer, wenn ein Ruf hinausging.

»Angelina, bist du’s?«, schrie ich.

»Hier ist Bolivar. Was ist los, Papa?«

Ich erklärte es ihm kurz und bündig, und als James sich zuschaltete, wiederholte ich alles noch mal. Ich hatte zwar keine Ahnung, wo die beiden sich gerade aufhielten – ich würde es schon noch erfahren –, aber es reichte mir schon, dass ich wusste, sie waren informiert und unterwegs. Wir hatten die Nummer 666 zum ersten Mal verwendet. Notfall Erster Klasse. Lasst alles fallen und kommt her. Ich hatte ihn erfunden, als sie aus dem Haus und ihrer eigenen Wege gegangen waren. Um ihnen in Zukunft helfen zu können, hatte ich mir dabei gedacht. Doch nun war ich derjenige, der um Hilfe schrie. Sie schalteten ab. Sie vergeudeten weder meine Zeit noch meine Aufmerksamkeit mit unnötigen Kommentaren. Sie hatten mir zugehört und würden kommen.

Ich jagte um die letzte Ecke und trat auf die Bremse.

Öliger Rauch schraubte sich in die Höhe – und erstarb schon unter dem weißen Sprühnebel eines Feuerwehrkopters, der über einem ruinierten Gebäude kreiste. Die kalte Umklammerung in meinem Brustkorb wurde nun körperlich. Ich brauchte einen Moment, um die Beherrschung zurückzugewinnen und atmete konzentriert. Dann rannte ich auf die Ruinen zu. Zwei Männer in blauen Uniformen standen mir im Weg und lagen augenblicklich rücklings im Dreck. Dann tauchte ein größerer vor mir auf, mit allerhand Lametta an den Schulterklappen; hinter ihm wimmelte es von seinen Untergebenen. Ich erlangte die Kontrolle über meine adrenalingeschüttelten Reflexe und schaltete das Gehirn ein.

»Mein Name ist DiGriz. Ich habe Grund zu der Annahme, dass sich meine Frau da drin aufhält …«

»Wenn Sie bitte zurücktreten, und …«

»Nein.« Ich spuckte das Wort förmlich aus, und er wich automatisch zurück. »Ich zahle Steuern. Eine Menge Steuern. Für Ihr Gehalt. Ich habe mehr Erfahrung mit Polizeiarbeit als Sie.« Ich vernachlässigte, auf welcher Seite des Gesetzes ich meine Erfahrungen gesammelt hatte. »Was wissen Sie über die Sache?«

»Nichts. Feuerwehr und Polizei sind gerade erst eingetroffen. Aufgrund eines automatischen Alarmrufs.«

»Dann sage ich Ihnen, was ich weiß. Dies ist – oder war – der Tempel der Ewigen Wahrheit. Eine Überlebende ist gerade in mein Haus gekommen. Rowena Vinicultura. Sie hat gesagt, meine Gattin sei hier.«

Ich hörte das Summen des Polizeicomputers in seinem Ohrstöpsel. »Admiral Sir James DiGriz. Wir werden alles unternehmen, was in unserer Macht steht, um Ihre Gattin … Angelina zu finden. Ich bin Captain Collin und stelle fest, dass Ihr Status Ihnen erlaubt, auf eigene Gefahr und Verantwortung an den Ermittlungen teilzunehmen.«

Als wir nach Lussuoso gekommen waren, hatte ich rein reflex- und rechtmäßig meinen gefälschten Rang als Admiral der Flotte angegeben. Voraussicht zahlt sich doch immer aus.

Wir folgten einem großen und gut isolierten Feuerwehrboter in die Ruinen hinein. Er pflügte einen sauberen Weg für uns frei, besprühte dann und wann ein rauchendes Überbleibsel, zeichnete für spätere Untersuchungen jede seiner Bewegungen auf und räumte alle Hindernisse aus dem Weg. Eine hängende Tür kreischte auf und fiel zu Boden, und wir betraten das qualmende Innere dessen, was einst ein sehr großer Gemeindesaal gewesen war. An sausenden Rotoren hängende Robotlampen schwebten über uns dahin und erleuchteten das rauchgefüllte Innere.

Zerstörung, wohin man blickte. Aber nirgendwo waren Leichen zu sehen. Der kalte Knoten war noch immer in meinem Zwerchfell. Der Raum war üppig mit geschnitztem Holz und – nun qualmenden – Vorhängen verziert gewesen. Reihen von Kirchenbänken standen der zerstörten Seite gegenüber, wo der Rauch am dicksten war. Kondensatoren reinigten bereits die Luft, und die Schwebelampen bestrahlten ruinierte und verdrehte Maschinerie.

»Hier bleiben wir erst mal«, sagte Captain Collin. »Jetzt übernimmt das Katastrophenteam.«

Das Katastrophenteam wurde von einem einzelnen metallgrauen Roboter verkörpert. Er war zweifellos mit von Brandspezialisten und Gerichtsmedizinern zusammengestellten Expertenprogrammen vollgepackt und verfügte über Detektoren und Sonden von mikroskopischer Effizienz. Zwar sagte mir die reine Logik, dass er viel bessere Arbeit leisten konnte als wir im Dunkeln herumtastenden Menschen, doch am liebsten hätte ich ihm in den Arsch getreten und wäre an ihm vorbeigelaufen.

»Siehst du irgendwelche … Leichen?«, schrie ich.

»Keine lebenden Wesen. Keine Registrierung menschlicher Leichen oder animalischer Kadaver. Nein, ja. Korrektur. Rote Flüssigkeit am Boden. Ermittlungen laufen. Es ist menschliches Blut.«

Meine Kehle war fast zu. Meine Stimme knarrte, und ich hatte Schwierigkeiten beim Sprechen. »Primärtest. Blutgruppe?«

»Test läuft. Null positiv, Rhesusfaktor negativ.«

Den Rest hörte ich nicht mehr. Er spielte keine Rolle. Angelina hatte Blutgruppe B, Rhesusfaktor negativ. Ich entspannte mich, aber nur ein wenig.

In wenigen Minuten waren zwei wichtige Fakten geklärt worden. Abgesehen von dem Blutstropfen gab es keine sichtbaren menschlichen Überreste oder Spuren von Lebenden und Toten. Es gab einen vernichteten Saal, und daneben den verbrannten und zerschmetterten Raum, der große Mengen elektronischer Gerätschaften enthielt. Und eben diese waren dem Anschein nach bewusst zerstört worden, damit es keine Möglichkeit mehr gab, ihren Zweck zu erkennen.

Aber wo war Angelina?

 

Ich wartete, bis die Gebäuderuine untersucht und nachuntersucht worden war. Man entdeckte nichts Neues, so dass ich an der Brandstelle nur meine Zeit vergeudete. Die Polizei hatte jeden Raumer gefilzt, der den Planeten seit der Explosion verlassen hatte und wollte es auch weiterhin tun. Weder Angelina noch jemand, der ihr nur entfernt glich, war an Bord irgendeines Schiffes gewesen. Hier konnte ich nichts mehr tun.

Ich fuhr langsam nach Hause und hielt mich an sämtliche Verkehrsregeln. Hielt wegen der Fußgänger an und winkte sie über die Straße. Rollte durch die Überreste des Garagentors und stellte das Krad ab. Dann ging ich gleich an die Bar, kippte den abgestandenen Drink aus und bereitete mir einen kleinen, aber steifen Ersatz vor, um mich dann an die E-Mail-Ausdrucke zu begeben. Die Zwillinge waren unterwegs. Beide hielten sich nicht auf dem Planeten auf, so dass es einige Tage dauern würde, bis sie ankamen. Obwohl sie nicht in die Einzelheiten gingen, wusste ich, dass sie in diesem Moment im Begriff waren, das schnellste Transportmittel des bekannten Universums zu kaufen, jemandem abzuschwatzen, jemanden zu bestechen oder es gar zu stehlen. Sie würden kommen. Auch wenn unsere kleine Sippe die Außenwelten und ihre Werte möglicherweise ablehnte, es machte unseren familiären Zusammenhalt nur stärker.

Doch nun mussten wir auf eine vor sich hintrottende Technik warten, die die Ruinen des Tempels der Ewigen Wahrheit unter die Lupe nahm und untersuchte und bewertete, bevor sie uns ein kohärentes Bild dessen vorlegen konnte, was dort geschehen war. Ich konnte nichts tun, bevor diese Meldung kam. Ich wollte Rowena im Krankenhaus kontaktieren, aber man wimmelte mich ab. Ich durfte ihr erst Fragen stellen, wenn sie sich etwas erholt hatte. Lussuoso war reich, technisch beschlagen und konnte die Suche und Analyse so gut wie jeder andere Planet betreiben, den wir je gesehen hatten, wenn nicht gar besser. Ich konnte diese Welt zwar nicht ausstehen, aber technische Kompetenz musste ich ihr zugestehen. Mein Geist versuchte fortwährend, alle schrecklichen Möglichkeiten aufzulisten, die Angelinas Verschwinden betrafen …

Häng dich nicht dran auf, Jim, sagte ich mir. Du hast dich für eine Lebensweise entschieden, die andere Menschen möglicherweise nicht nur für eigenartig, sondern sogar für kriminell halten. Ich wünschte mir allmählich, ich wäre bei meinen Gaunereien geblieben und hätte die Sondereinheit nie gesehen. Auf der richtigen Seite des Gesetzes verspürt man immer Unbehagen. Deswegen bedauerte ich es noch mehr, nach Lussuoso gekommen zu sein. Aber damals hatte ich es für eine gute Idee gehalten.

Lussuoso war eine Paradieswelt und unglaublich teuer. Um hierherzuziehen, hatte ich Bankkonten anzapfen müssen, an denen ich seit vielen Jahren nicht gewesen war. Ich hatte sogar einige längst überfällige Schulden eintreiben müssen, was auch nicht gerade leicht gewesen war. Ich meine in dem Sinne nicht leicht, dass der Einsatz schwerer Waffen vonnöten gewesen war und am Ende einige Leute im Krankenhaus gelandet waren. Ein Verbrecherleben zahlt sich nicht immer aus – besonders dann nicht, wenn einem die Sondereinheit mit unwillkommenen Aufträgen am Hals hängt. Natürlich ist es ganz schön aufregend, hin und wieder das Universum zu retten, aber in barer Pinke bringt es nichts ein. Das gleiche war geschehen, als ich mich um die Präsidentschaft von Paraiso Aqui beworben hatte. Es hatte zwar Spaß gemacht, aber keinen müden Peso eingespielt. Deswegen mussten Angelina und ich zwischen unseren legalen Jobs ein paar andere erledigen, die unsere Koffer gefüllt und die der anderen geleert hatten. Wir hatten genug für die Regenzeit auf die Seite gebracht. Aber hier schien ja nur die Sonne. Es war die Sache trotzdem wert gewesen, denn Angelina war hier glücklicher als je zuvor. Wenn sie lächelte und mich küsste, vergaß ich sogar, wie sehr ich diesen Planeten hasste. Dabei hatte alles so einfach angefangen.

»Hast du schon mal was von Lussuoso gehört?«, hatte sie gefragt.

»Ein neues Getränk? Oder irgend etwas, das man sich in die Haut schmiert?«

»Spiel nicht immer den Deppen, Jim DiGriz. Wer nicht taub ist, muss doch wissen, dass der Planet in aller Munde ist …«

»Ersatznervenkitzel und purer Neid. Es gibt nicht einen unter Trillionen, der es sich leisten könnte, einen Tag dort zu verbringen.«

»Wir schon. Ich gehe jede Wette ein.«

»Natürlich …«

Natürlich. Berühmte letzte Worte. Sie sprangen mir über die Lippen, weil ich gerade bestens entspannt war und einen Sprung in der Schüssel hatte. Im Nachhinein wurde mir sonnenklar, dass meine Liebste jedes Wort dieser simplen Konversation geplant und orchestriert hatte. Sie ist eine Frau, die alles kriegt, wenn sie erst einmal weiß, was sie haben will.

Lussuoso. Ein berühmter Mythos, eine Legende, die in allen galaktischen Seifenopern vorkam. Eine Paradieswelt. Bewohnt nur von Stinkreichen und noch reicheren. Anfangs hatte mich das Phänomen fasziniert, also hatte ich einige Nachforschungen angestrengt. Mein Einkommen war exotisch genug, um schnell zu erfahren, warum der Planet so anziehend war.

Er war das galaktische Zentrum für Verjüngungskuren. Und diese waren so schrecklich teuer, dass man Millionär sein musste, um auch nur die Preisliste zu sehen. Die Behandlung war zwar schmerzlos, dauerte aber lange. Je nachdem, wie die Hinfälligkeit des Kunden vorangeschritten war, konnte sie Jahre dauern. Da Kliniken langweilig waren und das Projekt nicht unter irgendwelchen finanziellen Beschränkungen leiden musste, hatte man den ganzen Planeten zu einer Urlaubswelt terradeformt. Die Luxusvillen stachen sich gegenseitig in jugendlichem Überschwang aus. Opern, Bühnen und Unterhaltung aller Art waren in Hülle und Fülle vorhanden. Man konnte jeden Sport betreiben, vom Tiefseetauchen und Fischen bis zum Bergsteigen und der Jagd. Doch die Kliniken und Praxen, in denen die Reichen jünger und – falls möglich – ärmer wurden, versteckten sich vor diesem allesfressenden Kapitalismus. Sie waren ein Tabuthema und wurden nie erwähnt – doch waren sie der einzige Grund für die Existenz des Planeten.

All dies hatte ich herausgefunden und auf der Stelle vergessen. Angelina hingegen nicht. Als sie eines Tages, bevor wir zum Essen gehen wollten, vor dem Korridorspiegel stehenblieb, wusste ich, mein Schicksal war besiegelt. Sie hatte mich am Wickel. Der Ofen war aus. Sie patschte auf ihr makellos frisiertes Haar, wie es die Frauen alle naselang tun und trat dann näher an ihn heran. Sie berührte mit ihrer feinen Fingerspitze einen Augenwinkel.

»Jim – ist das da etwa ein Krähenfuß?«

»Natürlich nicht. Das meinst du nur, weil das Licht so fällt.«

Im gleichen Moment, in dem ich diese freundlichen, wahren und einfachen Worte sprach, wirbelten die Gedanken in meinem Kopf schon in Richtung Zukunft. Jahre einer glücklichen Ehe hatten mich eine wichtige Tatsache gelehrt – wenn nicht gar mehrere: Frauen haben eine merkwürdige Art, sich auszudrücken. Eine einfache Frage wie Hast du Hunger? kann bei ihnen Ich habe Hunger bedeuten. Oder Hast du vergessen, dass wir heute zum Essen ausgehen wollen? Oder Ich habe zwar keinen Hunger, aber ich weiß genau, dass du mich gleich zum Essen einladen wirst. Etc. pp. Deswegen kann ein mögliches Krähenfüßchen, das man kurz nach einer einfachen Frage über den Planeten Lussuoso stellt, im Verein mit einer vergoldeten Broschüre, die rein zufällig auf dem Nachttischchen liegt, nur eins bedeuten. Ich lächelte.

»Ich habe allmählich das Gefühl, dass diese Welt einem kaum noch etwas Neues bietet und mich langsam aber sicher langweilt. Hast du schon mal daran gedacht, nach einem, na ja, glanzvolleren und aufregenderen Planeten Ausschau zu halten?«

Sie fuhr herum und küsste mich begeistert. »Jim – du kannst ja Gedanken lesen! Was hältst du von …?«

War doch Wurscht, was ich davon hielt. Ich dachte in erster Linie an längst vergessene Bankkonten.

Aber es war die Sache wert gewesen. Für eine Weile. Angelina war von Zeit zu Zeit abwesend, aber wir sprachen nie über Verjüngungskuren. Ich muss jedoch gestehen, dass ich nach der ersten Sichtung gewisser Grautönen in meinem Haar und der leichten Neigung zur Kurzatmigkeit nach ernsthafter Betätigung eigentlich nichts gegen die eine oder andere medizinische Sitzung einzuwenden hatte. Schließlich zahlte ich dafür. Und Lussuoso war wirklich so fröhlich und unterhaltsam, wie die Broschüren behaupteten. Unser Haus war wunderschön, und unsere Freunde noch schöner. Ich weiß gar nicht, wie schön all diese Leute gewesen waren, bevor sie wunderschön geworden waren – aber nun waren sie wirklich ansehnlich. Kein Alter soll dich welken, noch die Zeit dich beeinträchtigen lassen. Früher hatte man immer gesagt, man könne sich mit Geld nicht alles kaufen, aber dieses Klischee nimmt niemand mehr in den Mund. Auf Lussuoso waren alle Menschen jung, wunderbar anzuschauen und reich. Oder hauptsächlich reich – und deswegen auch jung und schön.

Ich hatte nicht lange gebraucht, um herauszukriegen, dass sie außerdem stinklangweilig waren.

Wer haufenweise Geld verdient, setzt offenbar nur Leute in die Welt, die nur ans Geldverdienen denken.

Nun bin ich ja kein Snob – nicht im geringsten. Im Kreis meiner Freunde und Bekannten gibt es wunderbare Typen aus allen Bereichen des Lebens: Bluffer und Kenner, Fälscher und Förster, Polizisten und Politiker, Wissenschaftler und Prediger. Sie sind alle unterhaltsam und auf eine Menge seltsamer und interessanter Arten gute Gesellschaft.

Doch nach einem Monat war ich zu allem bereit, was nichts mit Lussuoso zu tun hatte. Vielleicht Selbstmord, ein Wiedereintritt ins Militär, vielleicht eine Schwimmpartie in einem Schwefelsäuresee. All dies erschien mir erstrebenswerter.

Aber ich hatte ausgeharrt und aus zwei Gründen mehr getrunken: Erstens hatte ich einen satellitengroßen Haufen für medizinische Behandlungen bezahlt und wollte auch etwas davon haben. Zweitens, und das war noch wichtiger, vergnügte sich Angelina ungeheuer. Unsere Lebensweise hatte sie zuvor daran gehindert, weibliche Bekannte oder enge Freundinnen zu haben. Ihre mörderische frühe Existenz, bevor die psychiatrische Behandlung sie zu einem zivilisierteren, wenn auch weiterhin kriminellen Menschen gemacht hatte, lag weit zurück und war hoffentlich vergessen. Wenn wir zusammen waren, sprachen wir nie über die frühen Jahre, in denen ich – wer kann es heute noch fassen? – auf der anderen Seite des Gesetzes aktiv und sie eine flüchtige Kriminelle gewesen war. Sie war sogar eine ziemlich üble Kriminelle gewesen, und ich hatte nicht verstanden, dass jemand, der so schön war, so hinterhältig und grausam sein konnte. Bis sie mir vertraut, mich lieben gelernt und das Medaillon mit dem Geheimnis ihrer Vergangenheit geöffnet hatte. Ihre Schönheit war das Ergebnis eines Chirurgenskalpells. Es hatte sie von dem, was sie früher gewesen war, zu dem gemacht, was sie heute war. Nur ihre kriminelle Existenz hatte sie befähigt, die Operationen zu bezahlen. Und deswegen und wegen unseres übermäßigen Lebensstandards hatten wir ein auf vielerlei Weise einsames Leben geführt. Wir waren zwar nicht allein gewesen, aber unser Leben war sicher anders verlaufen als das von 99,99 Prozent aller anderen normalen Menschen.

Als wir die Zwillinge bekommen hatten, war es für uns beide eine neue Erfahrung gewesen, und zwar eine, nach der ich mich nicht unbedingt gesehnt hatte. Aber ich hatte mich, wie Angelina stets zu sagen pflegte, zum Besseren hin verändert, und sie musste es wissen. Als die Jungs aufwuchsen, hatten wir dafür gesorgt, dass sie die bestmögliche Erziehung bekamen. Wir hatten oft darüber gesprochen und schließlich übereingestimmt, dass sie das Leben führen sollten, das den größten Reiz auf sie ausübte. Als sie alt genug gewesen waren, hatten wir sie in aller Fairness in einige interessantere Aspekte unseres Daseins eingeführt. Und ich freue mich, sagen zu können, dass sie sie auf der Stelle annahmen. All dies hatte uns sehr beschäftigt, und da Angelina nie enge Freundinnen gehabt hatte, hatte sie die Bekanntschaft des schöneren Geschlechts offenbar nie vermisst. Doch nun hatte sie sie im Überfluss.

Sie gingen zusammen aus und unternahmen etwas. Was, habe ich nie genau erfahren. Aber sie hatten ihr Vergnügen. Sie hatte den Tempel der Ewigen Wahrheit sogar mal erwähnt, und nun wünschte ich mir, ihr genauer zugehört zu haben. Sie hatte freilich nicht sonderlich interessiert geklungen und war nur aufgrund der Beharrlichkeit einer Freundin dort hingegangen.

Und nun das! Ich nippte eifrig an meinem Drink und widerstand dem Nachschenken.

»DiGriz«, rief ich, kaum dass der Kommunikator angeschlagen hatte.

»Hier ist Captain Collin, Admiral. Wir haben einige neue und sehr verwirrende Neuigkeiten über den Tempel der Ewigen Wahrheit. Könnten Sie vielleicht mal in mein Büro kommen?«

Noch während er sprach, war ich aus der Tür.

2. KAPITEL

 

»Was haben Sie gefunden?«, fragte ich schroff, als ich in Captain Collins Büro stürzte. Er telefonierte gerade und hob die Hand, um mir zu signalisieren, dass ich warten sollte.

»Ja. Danke. Ich verstehe.« Er legte auf. »Es war das Krankenhaus. Scheint, dass Mrs. Vinicultura an posttraumatischer Amnesie leidet …«

»Sie hat alles vergessen, was passiert ist?«

»Genau. Zwar gibt es Verfahren, die einen Zugriff auf ihre Erinnerungen erlauben, aber Sie müssen warten, bis sie sich von dem Schock erholt hat.«

»Haben Sie mich etwa deswegen herbestellt?«

»Nein.« Er schob einen Finger hinter seinen Kragen und wirkte peinlich berührt – vorausgesetzt, es ist einem übermuskulösen Polizeicaptain überhaupt möglich, so zu wirken.

»Wir sind auf Lussuoso ziemlich stolz auf unsere Sicherheit und die Gründlichkeit unserer Akten …«

»Wollen Sie damit sagen«, unterbrach ich ihn, »dass man die Sicherheit Lussuosos aufs Kreuz gelegt hat und Ihre Akten zweifelhaft sind?«

Er öffnete den Mund, um mich zu widerlegen. Dann schloss er ihn wieder und sackte in seinem Sessel zusammen. »Sie haben recht. Aber es ist das allererste Mal.«

»Einmal ist schon zu viel. Erklären Sie’s mir.«

»Es geht um den Tempel der Ewigen Wahrheit. Er wurde offenbar ordnungsgemäß als berechtigte Religion eingetragen. Die Gemeinde hat genaue Aufzeichnungen gemacht und regelmäßig ihren finanziellen Status gemeldet, obwohl Religionen natürlich keine Steuern zahlen. Der Laden ist wohl wie geschmiert gelaufen. Die Leitung ist uns bekannt und – doch das bleibt unter uns – wir wissen alles über die Mitglieder.«

»Sie wissen alles über sie? Würden Sie das bitte erläutern?«

Collin schaute unbehaglich drein. »Nun, wie jeder zivilisierte Planet praktizieren auch wir die galaktische Konstante absoluter Religionsfreiheit. Sie haben doch sicher vom interstellaren Religionsfreiheitsgesetz gehört?«

»Ganz vage, in der Schule.«

»Das Gesetz ist nicht vage. Die Geschichte der Religion ist eine Geschichte der Gewalt. Religion tötet allzu oft, und vom Töten hatten wir genug. Deshalb darf kein Staat oder Planet eine amtliche Religion haben. Die Freiheiten des Gottesdienstes und der Versammlung sind für eine Zivilisation von grundlegender Wichtigkeit.«

»Und was ist mit den Deppen-Kulten?«

»Darauf wollte ich gerade kommen. Die galaktischen Gesetze verlangen von uns, dass wir uns in keine Religion einmischen und uns streng an diese Vorschrift halten. Doch da die Schwachen und Jugendlichen Schutz benötigen, sehen wir uns sämtliche Religionen gründlich an, und zwar legal und mit größter Vorsicht. Wir stellen fortwährend Untersuchungen an, um dafür zu sorgen, dass keine religiösen Rechte verletzt werden, dass jede Religion die Freiheit hat, auf ihre Weise ausgeübt zu werden, dass die Rechte Minderjähriger nicht verletzt werden, dass Gemeindeglieder absolute Wahlfreiheit haben …«

»Mit anderen Worten: Sie bespitzeln jeden Kirchgänger, weil Sie wissen wollen, was die Leute dort machen.«

»Genau«, knurrte Collin abwehrend. »Aber die Unterlagen sind sicher weggeschlossen, und man kann nur im Notfall und von höchster Ebene aus auf sie zugreifen.«

»Na schön. Wir haben einen Notfall, und es ist auf sie zugegriffen worden. Packen Sie aus.«

»Rowena Vinicultura gehört zu den ältesten Angehörigen des Tempels. Sie sucht ihn regelmäßig auf. Sie hat Ihre Gattin genau viermal zu Séancen, Sitzungen oder wie man es auch nennt, mit dort hingenommen.«

»Und?«

Collin wirkte nun wieder unbehaglich. »Unsere Akten sind, wie schon gesagt, detailliert und vollständig. Es ist nur so, dass der Leiter des Tempels der Ewigen Wahrheit, ein gewisser Meister Fanyimadu …«

Seine Stimme wurde leiser. Er stierte die Schreibtischplatte an. Ich beendete den Satz für ihn.

»Meister Fanyimadu taucht in keinem Eintrag und keiner Ihrer Akten auf.«

Er nickte, ohne mich anzuschauen. »Wir wissen, wo er wohnt und haben seine Anwesenheit im Tempel dokumentiert. Doch um die Religionsfreiheit zu erhalten, haben wir nicht mehr getan.«

»Nichts ermittelt? Keine Datenvergleiche mit der Einwanderungsbehörde oder der Kripo?«

Er schüttelte schweigend den Kopf. Ich schaute finster drein.

»Wollen wir doch mal raten. Sie wissen weder, wie er auf diesen Planeten gekommen ist, noch ob er noch hier weilt oder ihn verlassen hat. Stimmt’s?«

»Es gab … ein gewisses Versagen der Kommunikation; ein Versehen.«

»Versehen!« Ich explodierte, sprang auf und ging wütend in seinem Büro auf und ab. »Versehen! Feuer, Blut, eine Explosion, eine Frau im Krankenhaus, und meine Gattin ist verschwunden – und das nennen Sie ein Versehen?«

»Es ist unnötig, dass Sie jetzt die Nerven verlieren …«

»O nein!«

»… denn wir fahren mit den Ermittlungen fort und haben schon einige Fortschritte gemacht.« Collin ignorierte meine Häme. »Das im Tempel gefundene Blut wurde einer eingehenden Analyse unterzogen, bis in die molekulare und atomare Struktur hinein. Die Ergebnisse wurden mit denen jedes anderen Menschen auf dem Planeten verglichen. Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, führen wir eine Kartei sämtlicher Personen, die je hier ärztlich untersucht wurden. Im Augenblick sind die Computer dabei, diese immense Datenmenge miteinander zu vergleichen. Als ich Sie anrief, war die Suche bereits auf unter zwanzig Möglichkeiten reduziert. Während unseres Gesprächs habe ich den Fortschritt anhand dieser Angaben weiter verfolgt.« Er tippte auf einen Schreibtischbildschirm. »Nun kommen nur noch fünf Personen in Frage. Nein – vier. Warten Sie mal … Jetzt sind es nur noch drei. Aber zwei von ihnen sind Frauen! Der einzige Mann ist …«

Als er den Papierstreifen aus dem Schlitz zog, wandten wir uns wie ein Mann um und eilten zur Tür.

»Wer?«, rief ich im Laufen. Er las den Namen ab, ohne den Schritt zu verlangsamen.

»Professor Justin Slakey.«

»Wo?«

»Keine sechzig Flugsekunden von hier.«

Zumindest damit hatte er recht. Der Kopter war schon in der Luft, als wir uns durch die Luke warfen. Das Militär musste die Nachricht im gleichen Augenblick bekommen haben wie die Polizei, denn über uns röhrte eine Armada militärischer Düsenmaschinen. Noch bevor wir zur Landung ansetzten, sahen wir, dass die Bullenkopter schon am Boden waren und Bewaffnete ins Freie sprangen, um ein Haus zu umzingeln. Mit brüllenden Rotoren gingen wir auf einem gepflasterten Innenhof nieder. Collin hatte eine Riesenkanone gezückt und war mir um einen Sekundenbruchteil voraus, als wir die Tür eintraten.

Das Haus war leer, der Vogel ausgeflogen.

Dem Anschein nach fehlte ein Koffer, denn in einer Reihe von vier weiteren, die nebeneinander im Schlafzimmer standen, klaffte ein Loch wie eine Zahnlücke. Das Garagentor stand sperrangelweit offen. Ein Kom-Offizier schlenderte herein, salutierte und entnahm seinem Brusttornister einen Zettel.

»Er ist weg, Sir«, sagte er. Collin knurrte und griff nach dem Papier.

»Professor J. Slakey, Passagier auf dem interstellaren Raumer Glücksstern. Abgeflogen …« – er schaute auf und setzte eine grimmige Miene auf – »vor etwa einer Stunde.«

»Dann sind sie also schon im Hyperraum und können erst angefunkt werden, wenn sie wieder auftauchen.« Ich überdachte die Möglichkeiten. »Sie nehmen natürlich mit den Behörden seines Zielortes Kontakt auf. Ein Unterfangen, das normalerweise funktionieren müsste … Aber wir haben es nicht mit einer normalen Situation zu tun. Ich hege den starken Verdacht, dass der Verdächtige uns nicht nur in einem weit voraus ist. Wenn sie mit dem Zielort des Schiffes Verbindung aufnehmen, wird es uns wahrscheinlich nicht das geringste nützen, weil der Raumer an einem Ort landet, der nicht in seinen Papieren steht. Wenn Sie mich fragen, Captain, haben Sie ihn verloren. Aber Sie können mir wenigstens sagen, wer er ist und wohin er angeblich wollte.«

»Das ist der schlimmste Teil. Er ist wirklich Professor Slakey. Sobald sein Name auftauchte, habe ich eine Suche angeordnet. Ich habe gerade eine Meldung der medizinischen Behörden erhalten. Er ist Physiker von interstellarem Ruf und wurde von der Ärztekommission hierhergebeten. Man hat keine Ausgaben gescheut, um sich seiner Dienste zu versichern. Hat irgendwas mit der Entropieverzögerung zu tun, die man in unseren Hospitälern anwendet.«

»Klingt vernünftig. Wenn man die Entropie verzögert, verlangsamt man auch das Altern. Und darum geht es doch auf diesem Planeten. War er echt?«

»Zweifellos. Ich hatte das Privileg, ihm einst auf einer Veranstaltung zu begegnen. Sämtliche Anwesenden, die Wissenschaftler – in der Mehrzahl Physiker – zeigten große Ehrfurcht vor seinem Talent und seiner hier geleisteten Arbeit. Ich erhalte gerade die Meldung« – er deutete auf seinen Ohrstöpsel –, »dass niemand glauben will, er könnte irgend etwas mit der Fanyimadu-Persönlichkeit zu tun haben.«

»Sie auch?«

Bevor Collin antworten konnte, ertönte draußen ein lautstarker Wortwechsel, dann wurde die Tür aufgestoßen, und ein Polizist eilte zu uns hinein. Er hielt einen Isolierbehälter in der Hand.

»Die Suchgruppe hat ihn gefunden, als sie sich in den Trümmern des Tempels der Ewigen Wahrheit umschaute, Captain. Er lag unter der zertrümmerten Tempelmaschinerie. Wir hatten keine Ahnung, was es ist. Erst als der Klumpatsch gehoben wurde. Es ist eine … menschliche Hand.«

Er stellte den Behälter auf den Tisch, und wir blickten schweigend durch seine transparente Seite auf die zerquetschte und verstümmelte Hand, die er enthielt. Ich empfand einen langen Augenblick der Panik, doch dann erkannte ich eindeutig an der Größe und Form, dass es sich um eine Männerhand handelte.

»Hat jemand daran gedacht, die Fingerabdrücke abzunehmen?«, fragte ich.

»Jawohl, Sir. Man hat sie zum Vergleichen geschickt …«

Das Klingeln des Telefons unterbrach den Mann. Captain Collin hielt den Hörer ans Ohr, lauschte und legte langsam wieder auf.

»Positive Identifikation. Die Hand gehört … Professor Slakey.«

Ich deutete auf den Behälter. »Wenn Sie einen Beweis brauchen – da ist er. Die beiden sind ein- und dieselbe Person. Zuerst der Bluttest, jetzt das. Slakey ist Fanyimadu. Halten Sie mich über alles auf dem laufenden, verstanden?«

Ich wartete nicht auf eine Antwort. Ich machte auf dem Absatz kehrt und ging. Dabei rief ich Collin über die Schulter zu: »Ich gehe davon aus, dass sämtliche Details über Slakey in meinem Kom-Trichter sind, wenn ich zu Hause ankomme.«

Das zum Thema Polizei und Behörden. Es war höchste Zeit, dass ich mich an die Arbeit machte. Ich funkte ein Taxi an, wies den Fahrer an, man solle meinen Wagen vom Polizeipräsidium abholen – eine Sondervergünstigung der Reichen ist die, so viel wie möglich auf die Domestiken abzuladen – und plante jeden Schritt, der unternommen werden musste.

»Lassen Sie mich hier raus«, befahl ich, als wir einen Kilometer von meinem Haus entfernt waren. Ich war zu gereizt, um mich in Luxus umherkutschieren zu lassen. Ich wollte zu Fuß gehen – und nachdenken. Ich hatte das untrügliche Gefühl, dass die Polizei nicht in der Lage war, mir Antworten auf meine Fragen zu liefern. Man hatte sie geradezu genial ausgetrickst. Aber hatte ich mehr auf dem Kasten?

Die Häuser waren luxuriös, von wunderschönen Gärten umgeben, und die Luft klang von Vogelgezwitscher üppig wieder. Ich hörte wenig, sah nichts. Als ich den Weg zum Eingang meines Hauses entlangging, war ich mir freilich bewusst, dass die Tür einen Spalt offenstand. Ich hatte sie beim Weggehen zugemacht. Diebe? Unmöglich – auf dem herrlichen Planeten Lussuoso wurde man zumindest mit denen fertig. Ich lächelte, als ich hineinging. James sprang auf die Beine, und wir umarmten uns herzlich. Oder war es Bolivar?

»Ich bin James, Papa«, sagte er, da er meine Schwäche kannte. »Irgendwann musst du aber mal lernen, uns auseinanderzuhalten.«

»Mach ich. Du trägst meist blaue Hemden.«

»Das hier ist grün. Da musst du dir schon was Besseres einfallen lassen.«

Er schenkte mir einen Drink ein, hielt seinen schon in der Hand, und ich berichtete von den Fortschritten – bzw. den Nicht-Fortschritten – der Polizei. Dann sprach James das aus, was wir beide bisher vermieden hatten.

»Ich bin sicher, es geht Mama gut. Na ja, sie ist verschwunden. Und zweifellos in Schwierigkeiten. Aber sie ist in unserer Familie der zäheste Knochen.«

»Und sie hat natürlich immer noch irgendwo ein As im Ärmel.« Ich bemühte mich, die düstere Stimmung aus meiner Stimme herauszuhalten, aber es ging nicht. James packte meine Schulter und drückte fest zu.

»Irgend etwas Schreckliches ist geschehen. Aber wenn diese Rowena weg sagt, meint sie damit nicht tot. Also müssen wir uns an die Arbeit machen, um sie zu finden, und damit hat es sich.«

»Genau.« Ich vernahm die Rauheit in meiner Stimme; die Sentimentalität einer alten, ergrauten Ratte. Genug. »Genau das machen wir. Wenn die diGriz-Sippe es nicht hinkriegt, kriegt es niemand hin.«

»Darauf kannst du dich verlassen! Ich habe eine Nachricht von Bolivar. Er müsste bald hier sein. Er war in einem Raumer unterwegs, auf einer lunarologischen Forschungsfahrt. Er hat alles stehen- und liegenlassen und müsste inzwischen mit Überlicht fliegen.«

»Lunarologie? Welche Veränderung. Ich dachte, er sei Börsenmakler geworden?«

»War er auch. War ihm aber zu langweilig. Er hat seine Millionen zusammengerafft – er hat, da bin ich mir ziemlich sicher, mehr als seine Klienten –, seine Anzüge verbrannt und sich einen Raumer gekauft. Und was machen wir jetzt?«

»Wir schicken noch einen, wenn du Lust hast.« Ich fiel in einen Sessel. »Gib mir einen hundertprozentigen Alten Grübelsaft. Vor uns liegt einige Arbeit.«

»Zum Beispiel?«

»Zuerst können wir die Zusammenarbeit mit den Behörden vergessen. Sie haben bisher nur in falschen Richtungen ermittelt, und es kann nur noch schlimmer werden.«

»Aber wir kriegen es besser hin.« Er sprach es als Tatsache aus, nicht als Frage.

»Das steht mal fest. Die Bürokraten werden eine unglaublich detaillierte und gründliche Suche nach diesem Slakey durchziehen. Wir machen das nicht.« Ich sah, dass er die Stirn runzelte und musste lächeln. »Wenn ihre Suche erfolgreich ist, was ich bezweifle, werden wir schnell genug davon hören. Inzwischen werden wir alles über den Tempel der Ewigen Wahrheit in Erfahrung bringen, was wir können. Wir schauen dem Gaul sozusagen ins Maul. Die Angehörigen der Kirche werden uns sagen, was wir wissen wollen.« Ich schwenkte die Mitgliederliste, die ich der Polizei ohne allzu große Schwierigkeiten aus der Nase gezogen hatte. »Und mit dreien dieser Damen sind wir sehr gut bekannt. Fangen wir also an?«

»Sobald ich mich rasiert und ein frisches Hemd angezogen habe. Ich bin nämlich ein echter Frauentyp und komme bei den Damen bestens an.«

Ich seufzte glücklich. Kann natürlich sein, dass es Leute gibt, die dies als Strunzerei bezeichnet hätten, aber für mich sprach er einfach die Wahrheit. In unserer Familie hält man nichts von falscher Bescheidenheit. »Mach das. Ich gebe inzwischen dem Familienwagen Zunder.«

Ein Ausdruck, der keinerlei Bedeutung hat, da dieser gesunde Planet möglicherweise die strengsten Anti-Luftverschmutzungsgesetze der Galaxis hatte. Hier landet man wahrscheinlich schon im Knast, wenn man nur an Verbrennungsmotoren denkt. Auf Lussuoso werden die Fahrzeuge mit Nuklear- oder Elektrobatterien angetrieben. Oder sie laufen, wie unser luxuriöser Spreadeagle, mit Energie, die in einem Schwungrad gespeichert ist. Es schloss sich nachts an die Stromversorgung an, und der Motor legte los. Tagsüber wurde er zu einem Generator, und das sich drehende Rad erzeugte den Strom für die Fahrwerke. Für alle sechs. Ein schweres Schwungrad, das zu einem großen Wagen passte – ich hatte an nichts gespart. Als ich pfiff, fuhr der Robotfahrer das Ding aus der Garage. Sein Kunststoffkopf nickte mir zu und lächelte dümmlich. Die goldplattierte Tür zum Passagierabteil hob sich himmelwärts. Leise, mich willkommen heißende Musik erklang.

Ich setzte mich aufs Sofa, und der Fernseher ging an. Es war eine Nachrichtensendung, die aber keine Nachrichten brachte, die ich hören wollte. »Sport«, sagte ich, und ein Rennen mit Hochgeschwindigkeitsballons wurde gezeigt. Als James auftauchte, servierte mir die Bar gerade ein Glas Champagner.

»Boah!«, sagte er. »Echtes Gold?«

»Natürlich. Ebenso echt wie die Diamantscheinwerfer und die beschreibbare Windschutzscheibe. Hab keine Kosten gescheut.«

»Wohin?«, fragte er und nippte an seinem Drink.

»Vivilia von Bruhn steht als erste auf der Liste. Wahrscheinlich sogar auf jedermanns Liste. Ist unglaublich reich und begehrenswert attraktiv. Ich habe sie angerufen; sie erwartet unseren Besuch.«

Vivilia fegte ins Freie, um uns zu begrüßen. Sie lächelte mitfühlend und gestattete es ihren prächtigen Augen, winzige rote Ringe zu tragen, weil sie ausdrücken wollte, dass sie über die letzten Ereignisse unglücklich war. Natürlich hatten die Nachrichtensendungen sie ihr in grausigen Einzelheiten beschrieben. Sie trug etwas durchsichtiges Graues, das Teile ihrer sonnenbraunen Haut enthüllte, sobald sie sich bewegte. Sie sah zu gut aus, um echt zu sein, wie fünfundzwanzig, vielleicht auch sechsundzwanzig. Wirklich zu gut, um echt zu sein. Ich wagte nicht, mir ihr wahres Alter vorzustellen, sie war zu alt. Sie hielt mir eine feingliedrige Hand entgegen. Ich nahm sie und küsste sie leicht, ein Stück oberhalb der Knöchel.

»Lieber, armer Jim«, seufzte sie. »Welche Tragödie.«

»Es wird alles gut ausgehen. Darf ich dir meinen Sohn James vorstellen?«

»Was für ein toller Mann. Wie nett, dass du gekommen bist. Waldo, mein Gatte, ist auf einer seiner langweiligen Jagdpartien und sprengt irgendwelche wilden Tiere in die Luft. Wenn du also einen Platz zum Schlafen brauchst …«

Vivilia vergeudete keine Zeit. Während Waldo seine Robotraubtiere vernichtete, ging auch sie ein bisschen auf Raub aus. Aber sie war wahrscheinlich alt genug, um Jims Ur-Urgroßmutter zu sein. Was bedeutete, dass sie über einige Erfahrung verfügte … Ich verdrängte den Gedanken und machte mich an die Arbeit.

»Vivilia, du kannst uns helfen, Angelina zu finden. Du musst uns alles sagen, was du über den Tempel der Ewigen Wahrheit weißt.«

»Du bist so eindringlich, Jimmy. Ich bin sicher, dass dein Sohn nach der langen …«

»Erst die Fakten, dann die Lust«, raunzte ich.

»Ungehobelt, aber sachlich.« Sie lächelte, denn man konnte sie nicht beleidigen. »Ich erzähle euch alles, was ich weiß.«

So erfreulich diese Aussicht auch war, es hätte viel zu lange gedauert. Ich beschränkte ihre Lebensgeschichte auf das Wesentliche. Es erwies sich als sehr interessant.

Aufgrund der auf Lussuoso herrschenden olympischen Intensität an Langeweile waren Sport, Eskapismus und Religionen Dinge, für die man sich interessierte. Meister Fanyimadu war anfangs auf verschiedenen Soireen und Parties aufgetaucht, seine faszinierenden Überzeugungen hatte nur die Intensität seines Blickes übertroffen. Gelangweilte Damen hatten sich den Tempel der Ewigen Wahrheit einmal angeschaut, und die meisten waren auch ein zweites Mal zurückkehrt. Der Grund dafür war leicht verständlich. Vivilia erklärte es.

»Es waren weniger die Tröstungen der Religion als das eindeutige Versprechen ewiger Glückseligkeit. Nicht, dass er keine guten Predigten hielt: keineswegs. Er ist, was den Inhalt seiner Predigten angeht, besser als jedes Fernsehprogramm. Er predigt nämlich, dass man, wenn man oft genug in den Tempel kommt, mit großer Inbrunst betet – und natürlich auch großzügige Spenden gibt –, unter Umständen einen kurzen Ausflug in den Himmel machen kann.«

»Himmel?«, fragte ich in dem Versuch, mich an das wenige zu erinnern, was ich über Theologie wusste.

»Natürlich, der Himmel. Hast du etwa noch nie etwas davon gehört? Oder kommt er in deiner Religion etwa gar nicht …«

»Papa ist praktizierender Atheist«, sagte James. »Wie wir alle.«

Vivilia zog vielsagend das Näschen hoch. »Tja, ich nehme an, im Zeitalter des Realismus und der sozialen Gleichheit sind die meisten Menschen so. Aber es hat auch eine Kehrseite, wenn man das Eigentliche der Gesellschaft anbetet. Es ist langweilig, so praktisch zu sein. Deswegen kann man verstehen, warum einige von uns, die sensibler sind, nach einer höheren Bedeutung streben.« Diesmal zog ich vielsagend die Nase hoch, aber sie ignorierte mich liebenswürdigerweise. »Hättest du in der Schule besser aufgepasst und den Angewandten Religionsunterricht nicht ignoriert, wüsstest du all dies längst. Der Himmel ist ein Ort, an den wir nach dem Tod gehen, wenn wir gut waren. Man lebt dort bis in alle Ewigkeit herrlich und in Freuden. Ich weiß, dass es übermäßig simpel und sehr unlogisch klingt. Ich und viele andere Frauen haben ebenso gedacht, als wir zum ersten Mal vom Himmel und von der Hölle hörten. Aber wie gesagt, um dem Himmel Gewicht und Würde beizusteuern, kann man diesen Ort – zumindest zeitweise – besuchen. Ich habe nämlich, seit ich dort war, eine gewisse Menge an, sagen wir mal, Leichtgläubigkeit verloren.«

»Hypnotische Suggestion«, mutmaßte ich.

»Jimmy, wenn du das sagst, klingst du ebenso wie Angelina. Sie hat die Nase gerümpft und genauso darüber gehöhnt. Ich habe ihr erzählt, dass ich nicht anders dachte, als meine Freundinnen mir von ihren himmlischen Ausflügen berichteten. Aber ich merke sofort, wenn ich hypnotisiert werde – und ich war nicht in Trance. Ich weiß nicht mal, wie ich den Prozess des Himmelbesuches beschreiben soll. Aber ich war wirklich da. Meister Fanyimadu hielt meine Hand, und die unglaublich dämliche Rodebudd meine andere. Ich glaube nicht, dass sie genug Grips hat, um jemanden zu hypnotisieren. Und doch waren wir gemeinsam im Himmel und haben die gleichen Dinge erlebt. Es war einfach wundervoll; zu schön, um es mit bloßen Worten zu erklären. Es war sehr … eingebend.« Sie hatte die Anmut, zu erröten, als sie das Wort aussprach. Eingebung war nämlich etwas, das ihr normalerweise fehlte.

»War auch Angelina im Himmel?«, fragte ich. »Sie hat mir nämlich nie etwas davon erzählt.«

»Davon weiß ich nichts. Es würde mir nie einfallen, in den Geheimnissen anderer Menschen herumzuschnüffeln.«

Sie übersah meine angesichts ihrer absurden Aussage gerunzelte Stirn. Weiter wollte sie nicht in die Einzelheiten gehen. Ihrer Ansicht nach konnten auch wir den Himmel schauen, wenn wir genügend Glauben aufbrachten. Sie wirkte in dieser Hinsicht sehr entschlossen und sicher; sie war ein Fels von Glauben. Erst als sie das Thema wechselte und James am Arm nahm, um ihm das Haus zu zeigen, wurde mir klar, dass ich mich verziehen sollte. Sie ließ James nur zögernd gehen, aber ein wie aufs Stichwort eintreffender Anruf Bolivars, der sich auf dem Raumhafen befand, lieferte uns einen triftigen Grund zur Flucht.

Als wir zum Raumhafen fuhren, ertappte ich mich dabei, dass ich eine finstere Miene aufsetzte und immer wütender wurde.

»Grrr …«, sagte ich schließlich.

»Das war ein sehr hübscher Knurrer, Papa. Hättest du was dagegen, ihn ein wenig zu erläutern?«

»Nein, hab ich nicht! Ich bin wütend, James – und werde mit jeder Minute wütender. Wir haben es zwar mit einer Menge von Rätseln zu tun, aber eins ist ganz und gar nicht rätselhaft: dieser Scharlatan und seine Betrügerkirche machen mich rasend.«

»Ich dachte, du hättest eine Schwäche für schräge Vögel?«

»Hab ich auch – aber nur, wenn sie die Stinkreichen übers Ohr hauen. Ich nehme weder Witwen und Waisen noch solche Leute aus, die es sich nicht leisten können. Und ich arbeite für Geld. Du weißt schon, die schönen bunten Läppchen mit den Politikerköpfen …«