Nachwort

Die Gesellschaft für Goldschmiedekunst als Vermittlerin

von Werten und Wertschätzung des Schmucks

Seit über 80 Jahren unterstützt die Gesellschaft für Goldschmiedekunst als gemeinnützige, international agierende Vereinigung die Schmuck- und Gerätgestaltung durch unterschiedliche Projekte. Sie setzt sich gleichermaßen für den Künstler ein, der sich mit den kleinteiligen aus Gold und Edelsteinen gefertigten Kleinodien beschäftigt, wie auch den Schmuckmacher, der mit den unterschiedlichsten Materialien – Kunststoff, Papier, unedle Metalle – kleine schmückende Objekte für den Körper schafft – beiden gilt die Wertschätzung ihrer Arbeiten gleichermaßen. Bei allen Fördermaßnahmen der Gesellschaft stand und steht heute noch die Anerkennung der handwerklich außergewöhnlichen Leistung im Vordergrund, die sich ähnlich wie bei Gebrauchsgegenstände aus Porzellan, Glas oder Holz immer mehr vom Handwerk zum Kunstwerk wandelt. Durch Wettbewerbe, Preisverleihungen und Ehrungen wird das herausragende Stück, der außergewöhnliche Künstler ausgezeichnet. Bei allen ihren Bemühungen um die Förderung der Schmuckkunst, musste sich die Gesellschaft für Goldschmiedekunst immer wieder von neuem der kritischen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Wertigkeit von Schmuck stellen. Die inhaltlichen Schwerpunkte ihrer unzähligen Wettbewerbe zeigen, dass man mit den unterschiedlichsten Themen der Wertigkeit und Bedeutung von Schmuck immer wieder eine neue Gewichtung zukommen lassen kann.

Über lange Zeit war Schmuck und seine Wertigkeit über das Material definiert, in den letzten 50 Jahren hat sich dieser Aspekt deutlich verändert. Auch wenn sich bereits um 1900 erste Anzeichen für eine neue Definition des Schmucks abzeichneten, dauerte es noch viele Jahre bis diese Diskussion auf breiter Basis geführt wurde – sie ist bis heute nicht entschieden. Mit dem sich immer mehr ausbreitenden Künstler- oder Autorenschmuck werden neue Bedeutungsansätze für Schmuck geschaffen, die nicht immer Allgemeingültigkeit erreichen.

Für viele definiert sich der Wert eines Schmuckstücks nach wie vor über die Kostbarkeit des Materials, die künstlerische Gestaltung wird nicht hinterfragt – dies gilt vor allem für die Massenproduktion. Eine ihrer ersten „Belohnungen“ hat die Gesellschaft für Goldschmiedekunst kurz nach ihrer Gründung im Jahre 1933 mit der Vergabe des Goldenen Ehrenrings geschaffen. Bis heute wurden 41 international renommierte Künstler, für ihre außergewöhnliche Leistung auf dem Gebiet der Schmuck- oder Gerätgestaltung mit einem Goldenen Ring geehrt. Gold als Material des Ringes ist über die Jahrzehnte hinweg gleich geblieben, die stilistische Unterscheidung beruht auf der Anwendung besonderer Techniken oder Hinzufügung ergänzender Materialien. Das Symbol des Adlers mit ausgebreiteten Flügeln hat sich maßgeblich verändert, ein jeder Ehrenringträger hat dem von ihm gefertigten Ring seine eigene Handschrift verliehen und ihm so eine ganz besondere Wertigkeit zukommen lassen.

Schmuck erzählt schon immer Geschichten, spielt mit Symbolen und Botschaften, nicht selten sind diese humorvoll und spielerisch umgesetzt. Im Jahre 1973 wurde von der Gesellschaft für Goldschmiedekunst ein Wettbewerb mit dem Titel Preziöses Bestiarium ausgeschrieben, zehn Jahre später waren Wettbewerbsteilnehmer eingeladen, mit „Phantastischen Figurationen“ im Schmuck zu spielen. Preziöses Bestiarium zeigte sich in den eingereichten Schmuckstücken von rund 400 Teilnehmer aus 15 Ländern. Die Darstellungen reichen vom naturalistischen Abbild bis hin zur freien Interpretation mit Witz und Humor. Wilde Tiere, Bestien hatten ebenso ihren Platz gefunden wie die sanften, gezähmten Tiere.

An Fabulierkunst und bildnerisches Vermögen der Schmuckgestalter appellierte das Thema des Friedr. Wilh. Müller Wettbewerbs Phantastische Figurationen: Poesie, Verstand und Witz waren gleichermaßen anzutreffen. Nixen und Satyrn waren ebenso gefragt wie Harlekin, Tarzan, Superman, Athleten oder Fabelwesen.

Im Katalog zum Wettbewerb EXPERIMENTA’72 Objets d’art, body-sculptures und Schmuck findet sich ein Zitat von Curt Heigl Das Experiment, das Wagnis sind die Grundbedingungen allen künstlerischen Schaffens und jeden Fortschritts. In ihrem Beitrag kommentierte Ulla Stöver den Wettbewerb mit den Worten „Alle Fesseln schienen gesprengt. Man will Zeichen setzen, Signaturen, unverwechselbar individuelle Merkpunkte für die Augen. Man will nicht mehr dekorieren, der ‚schöne Schein‘ hat seine Anziehungskraft weitgehend verloren. Ästhetik ist kein Maß mehr. Die Goldschmiedekunst ist in Bewegung geraten (…)“. Mit dem weiteren Wettbewerb Schmuck in Bewegung – Bewegung im Schmuck (1987) wurde das Thema der Veränderung des Schmucks im Bezug zum Körper noch einmal aufgegriffen. Die Bewegung als Leitmotiv des Wettbewerbs – technisch, optisch oder kinetisch im Schmuck umgesetzt, war eine Fortsetzung dessen, was in der freien Kunst bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts seinen Anfang genommen hatte.

Mit den Wettbewerbsthemen Strukturen in Gold, Der Goldene Faden – Texturen in Gold (1980), Die Welt der Perlen oder Eine einzige Perle (1985) sollten die sinnlichen Reize des Schmucks angesprochen werden. Neue Gestaltungsideen für klassische Materialien wie Gold und Perlen waren gefragt, nicht das Extravagante oder Außergewöhnliche stand im Vordergrund. Auch bei der Ausschreibung von Blumen des Schönen (1977) war die Darstellung der Schönheit, in Form einer Blume mit eindeutigen Materialvorgaben von Gold, Edel- und Schmucksteinen sowie Perlen gefragt. Die Funktion des Schmucks als Instrument der Idealisierung und Verherrlichung begann in der Antike und findet im zeitgenössischen Avantgarde Schmuck ihre Fortsetzung. Gold oder Edelsteine wie auch Schmuckstücke werden seit Menschengedenken mit besonderen Anlässen in Verbindung gebracht, die Beschenkten sollen ausgezeichnet oder geehrte werden. Gold stand Pharaonen, Königen und Kaisern zu, es galt als Spiegel von Herrschermacht und göttlicher Herrlichkeit. Schmuck stand schon immer auch für das Bedürfnis nach Auszeichnung gegenüber Anderen und die Hervorhebung der eigenen Person.

Der Chemnitzer Künstlerbund veranstaltete 2015 unter dem Titel Ausgezeichnet! Most excellent! ein internationales Ausstellungsprojekt für Künstler und Studierende zum Thema Helden, Orden, Dekorationen. Künstler aus allen Bereichen der Kunst – der Malerei, der Bildhauerei, der Fotografie, der Videokunst, der Keramik und der Schmuckkunst setzten sich auf vielfältige Weise mit dem Thema auseinander. Die Definition des Helden wurde hinterfragt und Orden wurden für ganz andere und neue Personenkreise geschaffen, auch hier zeigte sich, dass die ursprüngliche Wertigkeit heute keine Allgemeingültigkeit mehr besitzt: „Schmuck-Kunst für Helden.“

Christianne Weber-Stöber

Gesellschaft für Goldschmiedekunst e.V.

Deutsches Goldschmiedehaus Hanau

Referenzen

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René Girard, Figuren des Begehrens: Das Selbst und der Andere in der fiktionalen Realität; LIT Verlag, 2012

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Johannes Moser, Einführung in die Europäische Ethnologie, Vorlesung LMU München 2008/2009 www.volkskunde.uni-muenchen.de/vkee…/vorl_einfuehrung.ppt

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Dank

Schreiben benötigt Freiräume. Ich danke meiner Familie, mir diese Existenzialitäten wie selbstverständlich zu gewähren. Ich danke Tassilo für seine Geduld beim Probelesen.

Ich danke Jörg Hechel für sein unerschütterliches und beflügeltes Lektorat. Großer Dank für das Nachwort und konstruktive Gespräche geht an Dr. Christinne Weber-Stöber.

Besonderer Dank geht auch an alle Schmuckkünstler für ihre Unterstützung durch die Fotos ihrer Arbeiten. Wo nicht anders erwähnt, stammen die Fotos ihrer Arbeiten von ihnen selbst.

Großer Dank geht auch an Christiane Hackl, die Inhalte der Geschichten in Gestaltung umsetze.

Auf den Ausgrabungen des Archäologen Prof. Dr. Christopher Henschilwood beruhen die Voraussetzungen zu diesem Buch. Die Grundlagenforschung von Prof. Dr. Marjan Vanhaeren inspirierte und ermutigte dazu, einer Theorie um Schmuck weiter nachzugehen. Die intensiven Gespräche mit ihr und Prof. Dr. Wulf Schiefenhövel waren wegweisend. Besonders herzlichen Dank dafür.

Innovation oder Mimesis

Warum wir Schmuck tragen

Schmuck ist eine der ältesten kulturellen Errungenschaften des Menschen. Wenn Schmuck heute immer noch gefertigt wird und Verwendung findet, darf angenommen werden, dass Schmuck eine ganz grundlegende und essentielle Möglichkeit der Kommunikation darstellt. Im Laufe der Geschichte hätte sich andernfalls diese Ausdrucksform längst verloren. Schmuckschaffende behaupten sogar, Schmuck sei eine eigene Sprache und man könne sich transnational und transkulturell damit verständigen.

Doch folgen wir den Argumenten aus aktuellen Forschungsergebnissen von Archäologen (siehe Quellen im Anhang): Diese Forscher untersuchen früheste Schmuckfunde und unterstreichen die Sichtweise, dass Schmuck das Mittel der Wahl ist, um sich auszudrücken und ohne große Worte verständlich zu machen – seit seiner Entstehung in der mittleren Steinzeit. Schmuck verstärkt die charakteristischen und enthüllt die verborgenen Seiten der eigenen Persönlichkeit. Ihn zu tragen hilft den Menschen seit jeher, die eigene Persönlichkeit zu definieren, sie nach außen zu projizieren und die eigene Ausstrahlung zu verstärken.

Dieser Vorgang der Selbst-Definition, die Inhalte, die einem selbst wichtig sind zu bestimmen und zu beschreiben und sie dann nach außen hin sichtbar zu machen, nennt sich „Mimesis“.

Ein kurzer Blick hinter den Begriff „Mimesis“ sei gestattet: Griechische Philosophen wie Platon stellten fest, dass wir alle unsere Aktivitäten von anderen gelernt und übernommen haben. Nur in der möglichst genauen Imitation sind unsere Handlungen verständlich und daher verstehen wir auch, was andere tun und warum. Doch es war Platons Schüler Aristoteles, der „Mimesis“ neu betrachtete. Für ihn war „Mimesis“ in erster Linie erworbenes Wissen, auch und gerade durch die „Imitation der Umgebung“. Er stellte weiterführend jedoch fest, dass wir im Rahmen der Künste sogar in der Lage sind, die emotional unerträglichsten Situationen auszuhalten und uns mit diesen Extremen auseinander zu setzen. Wir können uns sogar emotional mit ihnen verbinden und geistig damit identifizieren. Gerade weil wir wissen, dies ist nicht die Realität sondern es besteht stets eine Möglichkeit des Ausstiegs aus dieser manchmal bedrohlichen und gelegentlich zu intensiven Situation.

Umgekehrt bietet „Mimesis“ die gleichen Möglichkeiten: Durch die Künste können auch wir selbst unsere eigenen, tiefen Emotionen ausdrücken und unsere innersten Triebkräfte nach außen sichtbar machen. Ein angstfreier Austausch von Erfahrung, Wissen und Wertvorstellungen kann in diesem Umfeld beginnen und wird zu gegenseitigem und tiefer gehendem Verständnis führen.

Was hat die Fähigkeit zur „Mimesis“ mit Schmuck zu tun?

Die beiden Archäologen Christopher Henschilwood und Karen van Niekerk haben um das Jahr 2000 n. Chr. herum rund 75.000 Jahre alte Schmuckelemente in Blombos Cave in Südafrika ausgegraben und der Forschung zugänglich gemacht.

Sie fanden kleine Objekte, die nicht zum täglichen Überleben dienten wie z.B. Waffen oder Werkzeuge. 44 Muschelschnecken waren alle sorgfältig an der gleichen Stelle durchbohrt worden, um sie dann an Schnüren zu Ketten zu verbinden. Die Muschelschnecken zeigen nicht nur eine technische Neuerung – es war das bislang bekannte erste Mal, dass ein Loch in etwas gebohrt und eine Schnur durch gefädelt wurde – die Muscheln wurden sogar auf unterschiedliche Art auf der Schnur aufgereiht. Doch gerade dadurch, dass sich der Schmuck dem täglichen Nutzen und direkter Nutzbarkeit entzog, war er umso wertvoller und bedeutender, mutmaßen die Forscher. Diese Schmuckstücke sind einer der frühesten Beweise, dass bereits prähistorische Menschen in der Lage waren, in Symbolen zu denken, sich mit Symbolen zu umgeben und sich in diesen verständlich zu machen.

Das eröffnet den Blick auf eine Reihe von gesellschaftlichen Aspekten, die bereits in dieser frühen Gruppe von Menschen relevant waren. Der Schmuck wurde von Individuen getragen und verlieh ihnen eine neue Möglichkeit, die eigene Rolle auf völlig neuartige Weise innerhalb der Gruppe sichtbar zu machen. Verschiedene Stärken und Hierarchien wurden dadurch erkennbar verdeutlicht. Schmuck zu tragen, stabilisierte die Gruppe nach innen und außen.