Sei kein Opfer ... und kein Täter

Das Praxisbuch zu den Themen Kommunikative Deeskalation, Gewaltprävention und Zivilcourage

Text: Copyright © 2014 Tim Bärsch

Grafiken, Cover und Satz: Copyright © 2013/2014 Tim Bärsch

Coverfoto: Sunnyi Mews / Nils Wolff (Fotodarsteller: Tim Bärsch, Nils Wolff, Sami E., Osama El-Zein) Copyright © 2014 Tim Bärsch

Fotos im Buch: Thomas Müller (Darsteller: Tim Bärsch, Frank Müller)

Covergestaltung: G. Zimmermann (www.guidozimmermann.com)

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter dnb.d-nb.de abrufbar.

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783735714169

BaER® Akademie Essen

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Email:kontakt@baer-sch.de

Inhaltsverzeichnis

Vor (denken) Wort

Eines Tages verstreute Schlau-Hein Brotkrumen um sein Haus. „ Was tust du da?“, fragte ihn ein Freund, der gerade vorbei kam. „Ich halte Elefanten von meinem Hause fern“, erklärte Schlau-Hein. „Aber wieso denn?“, fragte der Freund, „in dieser Gegend gibt es doch gar keine Elefanten.“ Schlau-Hein nickte: „Da kannst du mal sehen, wie zuverlässig mein Mittel wirkt.“

Was hilft wirklich in einer Gewaltsituation? Man kann hinterher immer leicht sagen, was falsch gelaufen ist. Aber was funktioniert? Wenige vermeiden „alle“ gefährliche Situationen und gehen nicht unter Menschen. Einige trainieren Selbstverteidigung, tragen Waffen oder versuchen andere einzuschüchtern. Manche lesen Bücher über Deeskalation. Doch auch da gibt es sehr verschiedene Ansätze. Viele Autoren packen Menschen einfach in Schubladen und schreiben allgemein von Tätern und Opfern (oder ein Polizist aus München schreibt von „Würstchen“). Es gibt aber nicht die Immer-Opfer oder die Immer-Täter. In einer bestimmten Situation sind Menschen „Täter“ oder „Opfer“. Natürlich ist es einfach, Menschen zu sortieren und zu sagen, die mit dem weißen Cowboy-Hut sind die Guten und die mit dem schwarzen Hut die Bösen. Ich mag dieses Wild-West-Denken à la George W. Bush nicht. Mein Ansatz lautet:

Seien Sie in der Situation kein Opfer und kein Täter!

Lassen Sie nicht zu, dass Ihre Grenzen überschritten werden. Aber überschreiten Sie auch nicht die Grenzen der anderen.

Doch dies ist nicht immer so einfach. Und es ist auch nicht so, dass man dieses Verhalten an einem Tag erlernen kann. Für die Deeskalation ist ein ganzheitliches und lebenslanges Lernen notwendig. Ganzheitlichkeit bedeutet die Verbindung von Kopf, Herz und Hand. Durch den Kauf dieses Buches haben Sie Ihr „Wollen“ (Herz) signalisiert. Ich möchte das „Wissen“ (Kopf) mit diesem Buch an Sie weitergeben. Das „Können“ (Hand) bekommen Sie durch Ihre Erfahrungen und im gesicherten Rahmen eines Seminars vermittelt. Es hilft aber auch schon, wenn Sie schwierige Situationen im Kopf durchgehen. Leistungssportler nennen dies Mental-Coaching. So können Sie Möglichkeiten durchspielen und sind besser vorbereitet. Trotzdem gibt es natürlich keinen 100%-Schutz.

„Du musst hart an dir arbeiten, um deine Gedanken so zu ordnen, dass sie einfach werden.“ Steve Jobs

Die 10. Gebote der Deeskalation

1. Zeigen Sie eine positive Haltung gegenüber Menschen!

siehe Seite → (Nach (denken) Wort)

2. Nehmen Sie Ihre Umgebung aufmerksam wahr!

siehe Seite → (Wahr-nehmung)

3. Beruhigen Sie sich in Stresssituationen selbst!

siehe Seite → (Stressbewältigung)

4. Denken Sie an Ihre eigene Sicherheit!

siehe Seite → (Gefahren abwehren)

5. Holen Sie sich (gegebenenfalls) Hilfe durch direkte Ansprache!

siehe Seite → (Hilfe holen)

6. Beachten Sie Ihre und andere Bedürfnisse!

siehe Seite → (Bedürfnisse)

7. Erst zuhören, dann denken – dann erst reden!

siehe Seite → (Aktiv zuhören)

8. Teilen Sie Beobachtungen mit (und keine Wertungen)!

siehe Seite → (Sachebene nutzen)

9. Seien Sie flexibel!

siehe Seite → (Mal oben – mal unten) und → (Ablenkung)

10. Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl!

siehe Seite → (Bauch schlägt Kopf)

1. Grundlagen

„Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie passten auch heute noch.“ George Bernard Shaw

Jeder Mensch kann in Gefahr geraten (Opfer) oder selbst gefährlich (Täter) sein. Ich muss nicht auf Diktaturen und Kriege verweisen, um zu zeigen, was „normale“ Menschen tun und zulassen können*.

Und dabei können Ihnen nicht nur Unbekannte gefährlich werden. Bei sexuellen Gewaltdelikten sind die Täter sogar zu über 90% Väter, Onkel, Freunde, Ex-Freunde und Bekannte. Es ist also viel seltener der dunkle Unbekannte im Park oder in der Tiefgarage.

Ziel sollte es immer sein, weder als Opfer noch als Feind wahrgenommen zu werden. In der Kommunikation sollten Sie weder angreifen noch sich unterordnen, egal ob körperlich, sprachlich oder körpersprachlich. Manchmal bemerkt man diese Vorgänge gar nicht oder erst sehr spät. Deshalb ist eine gute Selbstwahrnehmung sehr wichtig.

Zusatzinformationen:

* 1961 gaben Menschen beim Milgram-Experiment anderen Menschen Elektroschocks, nur weil ein „Professor“ es ihnen sagte. 65% gingen bis zu einer tödlichen Dosis. Dieses Ergebnis wurde immer wieder bestätigt. 2010 sollten in Frankreich Testpersonen an der neuen Fernsehshow „La Zone Extrême“ mitwirken. Bei Fehlern wurde der Kandidat von der Testperson mit Stromschlägen von 20 bis zu 460 Volt bestraft. Anfangs stöhnte der Kandidat nur. Später schrie er vor Schmerzen und flehte nach Abbruch. Doch die Moderatorin und das Publikum feuerten die Testperson an. Ab 380 Volt war von dem Kandidaten nichts mehr zu hören. Dennoch schickten ihm 81% der Testpersonen einen Schlag von 460 Volt hinterher. Etliche zögerten zwar, versuchten zu mogeln oder die Moderatorin umzustimmen. Doch am Ende griffen sie zum Hebel. Dabei wussten sie nicht, dass der Stromschlag fingiert und der Kandidat ein Schauspieler war.

1.1. Situation heute

„Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Sokrates

Weltweit versterben 56 Millionen Menschen pro Jahr. 9 Millionen verhungern, 8 Millionen versterben durch verschmutztes Wasser, 1,2 Millionen haben einen Verkehrsunfall und 1 Millionen begehen Suizid. Gewaltverbrechen gehören aber auch heute noch zu einer der häufigsten Todesursachen. Über 500.000 Menschen sterben im Jahr durch Gewaltverbrechen. Allein in der Stadt San Pedro in Honduras werden drei Menschen pro Tag ermordet. In Deutschland gibt es um die 700 Morde pro Jahr. Vor 20 Jahren waren es noch über 1.000 Morde.

Etwa 140.000 Fälle von gefährlicher und schwerer Körperverletzung werden pro Jahr in Deutschland angezeigt. Von 1960 bis 2007 gab es von Jahr zu Jahr mehr Anzeigen. Doch seit 2007 gibt es weniger Strafanzeigen pro Jahr.

Schulhofprügeleien„Dunkelfeld“.