Er nennt sich Joachim Friedrich. Sie sich Hortense Ullrich. Er ist ständig auf Lesereisen, bemüht sich aber redlich, von Zeit zu Zeit seine Familie in Bottrop zu sehen. Sie sitzt in Bremen und versucht vergeblich, zwei aufmüpfige Hunde, zwei chaotische Teenager-Töchter und gelegentlich ihren Mann zu erziehen. Die beiden hatten absolut nichts miteinander gemeinsam. Außer ihrem Erfolg als Autoren und ihrem Humor. Bis eine E-Mail von Hortense Ullrich an Joachim Friedrich den Roman PinkMuffin@BerryBlue auslöste ...
Er nennt sich BerryBlue. Sie sich PinkMuffin. Er wuchtet Sahnetorten im Café seiner Eltern. Sie ist eine aufmüpfige Tochter aus gutem Hause. Die beiden hatten absolut nichts miteinander gemeinsam. Bis sie sich über E-Mail kennengelernt und die verrücktesten Abenteuer erlebt haben. Und das, ohne sich je zu begegnen. Das soll sich nun endlich ändern. Doch kaum wollen die beiden sich treffen, da überschlagen sich die Ereignisse: PinkMuffin fliegt mit zwei Schweinen nach Arabien und BerryBlue mit zwei Gangstern nach Japan. Ein Polizist wirft Brause ein und ein Gangster schluckt Seife. Und das ist erst der Anfang ...
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Sushi-Mord!
MAX!
Ich brauche Deine Hilfe! Echt! Sprichst Du Japanisch? Neben meinem Bett sitzt nämlich eine Frau in einem Kimono – ’ne Geisha oder so was. Total freundlich, aber ich fürchte, sie bringt mich um!
Sie hat mindestens drei Kannen grünen Tee in mich hineingeschüttet, dazu jede Menge Reisgebäck und ungefähr 25 Sushi-Röllchen. Das Problem ist nämlich: Sie spricht nur Japanisch! Jedes Mal, wenn ich etwas auf Deutsch, Englisch oder sonst einer Sprache, von der ich in der Schule mal ein paar Brocken gelernt habe, sage, lächelt sie freundlich, antwortet auf Japanisch und trippelt los, um mit immer neuem Futter zurückzukommen. Wenn das nicht aufhört, platze ich! Wahrscheinlich eine neue japanische Kampfsportart: den Gegner mit Sushi außer Gefecht setzen.
Zum Glück gibt es hier einen Laptop mit Internet-Anschluss. Wahnsinn, oder? Den habe ich mir gleich geschnappt, als sie mal wieder unterwegs war, um Essen zu besorgen: Miso-Suppe! Hast Du die schon mal gegessen? Schmeckt echt – na ja, ist ja auch egal. Jedenfalls liege ich nun stocksteif auf meinem Bett und schreibe Dir diese Mail. Ich bemühe mich sehr, sie nicht anzuschauen und die Klappe zu halten. Aber ich spüre, dass sie mich lächelnd beobachtet. Wahrscheinlich wartet sie auf ein Zucken, das sie als Wunsch zur Nahrungsaufnahme interpretieren kann. Ich bin vom Café meiner Eltern ja schon einiges gewohnt, aber – ach, hatte ich erwähnt, dass ich in Japan bin?
Ja, ich weiß, wir wollten eigentlich nach Arabien fliegen. Da bist Du ja inzwischen wahrscheinlich auch. Wie ist es denn so in Abu Dhabi? Wäre echt gern mitgekommen, aber es ist irgendwie anders gelaufen. Muss ich Dir später mal erzählen. Jetzt aber hilf mir bitte! Was heißt »Ich bin satt« auf Japanisch?
Schreib mir bald! Oder schick ein Wörterbuch!
Berry
PS: Geht es den Schweinen gut? – Ach ja, und Dir geht es hoffentlich auch gut.
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Soll das ein Witz sein?!
Find ich nicht lustig. Wenn Deine Eltern Dir verboten haben, mit meiner Großmutter und mir nach Abu Dhabi zu fliegen, dann gib es einfach zu und schreib nicht solche schwachsinnigen Mails.
MAX
PS: Den Schweinen geht es blendend. Scheich Rashid hat sie nicht nur begeistert als unser Gastgeschenk angenommen, er hat sie sogar zu Ehrengästen ernannt. Die beiden haben eine eigene Suite in seinem Palast und sie sitzen mit uns am Tisch!
Gotthilf grunzt jedes Mal, wenn ein neuer Gang aufgetragen wird, und zwar so laut, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht, und Genoveva schmatzt hemmungslos. Meine Großmutter guckt »indigniert«, erträgt die etwas würdelose Situation jedoch mit »Contenance«.
Den Vorrat von Euren Walkürenbällchen hat Scheich Rashid aufgegessen (ich hatte nicht das Herz, ihm zu sagen, dass sie eigentlich für die Schweine gedacht waren) und dann hat er gesagt: »Der Mann, der solche Köstlichkeiten herzustellen vermag, sei gepriesen. Man lasse ihn zu mir bringen und ich werde ihn belohnen. Ihm wird die Ehre zuteil, mir ab jetzt als Wesir der Backstube zu dienen.«
Wäre Dein Vater an dem Job interessiert?
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Das ist kein Witz!
MAX!
Ich bin wirklich in Japan! Meine Eltern haben mir erlaubt, mit Euch nach Abu Dhabi zu fliegen!
»Wenn Frau von Hardenberg dich eingeladen hat, darfst du das nicht ablehnen, mein Junge. Und das Café kommt auch ein paar Tage ohne dich aus«, hat mein Vater gesagt.
Damit war die Sache gegessen. Da hat auch das »Ogottogott« meiner Mutter nichts mehr dran geändert.
Aber ich brauche jetzt wirklich Deine Hilfe! Die Geisha redet mich immer mit »Hardenberg-san« an. Jedenfalls habe ich das so verstanden. Ob die denkt, ich wäre Du oder Deine Oma oder Dein Vater? Ich habe ihr schon ein paarmal gesagt, dass ich Berry Kranz heiße. Aber das hat nur dazu geführt, dass sie wieder rohen Fisch in mich reingestopft hat. Ich glaube, da liegt irgendeine Verwechslung vor oder so was. Aber frag nicht, wie ich hierhergekommen bin. Das schreibe ich Dir später.
Berry
PS: Das ist kein Witz! Ehrlich!
PPS: Schön, dass es Gotthilf und Genoveva gut geht. Ich hatte auch Walkürenbällchen für sie mitgenommen. Finde ich übrigens gut, dass sie dem Scheich schmecken. Vielleicht hat mein Vater ja tatsächlich Interesse. Kannst Du herausfinden, wie viel man als Scheich-Konditor so verdient?
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Kopfverletzung?!
Mensch, Berry, ich glaub Dir echt kein Wort.
Nie im Leben bist Du in Japan. Ich tippe auf geistige Umnachtung. Ist Dir in der letzten Zeit was Großes, Schweres auf den Kopf gefallen? Untersuch bitte Deine Birne auf äußere Verletzungen!
Lass mich Dir mal auf die Sprünge helfen, vielleicht kehrt Deine Erinnerung ja doch noch zurück: Wir (meine Großmutter, Du und ich) wollten zwei mühsam befreite Laborschweine in Sicherheit bringen, damit sie nicht auf einem Teller landen.
Kommt Dir bekannt vor? Zumindest vage? Okay, dann weiter: Meine Großmutter bot an, sie ihrem Freund Scheich Rashid in Abu Dhabi zum Geschenk zu machen, da man in arabischen Ländern kein Schweinefleisch isst und Geschenke in Ehren hält.
Sind wir uns so weit einig? Gut, dann weiter im Text: Du solltest meine Großmutter und mich am Flughafen treffen, damit wir gemeinsam nach Abu Dhabi fliegen können. Aber Du warst nicht am Flughafen, also haben meine Großmutter und ich die Schweine-Rettungsaktion allein durchgezogen.
Ich fand’s ziemlich blöd, dass Du nicht gekommen bist, aber bitte. (Hatte angenommen, dass Du wieder mal verhaftet worden bist, haha.)
So, und jetzt behauptest Du, Du schreibst mir ’ne Mail aus JAPAN??!! Das soll ich ernst nehmen??!!
Also: Falls Du wirklich dort bist, dann komm verdammt noch mal auf demselben Weg zurück, wie Du dorthin gekommen bist. (Falls es ’ne Astralreise ist, dann geh zurück in Deinen Körper und wach auf!!)
Und dass die Dich dort »Hardenberg-san« nennen und verwechselt haben, ist unwahrscheinlich. Mein Vater hat durch seine Kosmetikfirma zwar ziemlich viele Geschäftspartner und Lizenznehmer in der ganzen Welt, aber nicht in Japan. Haha, NOCH nicht, aber wenn Du gerade da bist, kümmer Dich doch ums Business. Immerhin bist Du ja jetzt der Sohn eines Wesirs. (Vielleicht sollte ich den Scheich auf »Großwesir« hochhandeln, das erhöht bestimmt Deine Geschäftschancen in Japan.)
So, jetzt haben wir alle herzlich gelacht und nun ist Schluss mit dem Blödsinn. Sag endlich, was wirklich los ist. Ach ja, und falls Du immer noch der Meinung bist, in Japan zu sein und mit Sushi gemästet zu werden, hab ich einen Tipp für Dich: HÖR SOFORT AUF, SUSHI ZU ESSEN! Das kann doch wohl nicht so schwer sein.
Und überhaupt würde es mir helfen, wenn Du mal kurz erzählst, was passiert ist, nachdem Du mir in Deiner Mail geschrieben hattest, Du fliegst mit uns nach Abu Dhabi und wir sehen uns am Flughafen. »Bis gleich!«, waren Deine letzten Worte, Du Knallerbse!
Muss jetzt runter, die Schweine werden in einer feierlichen Zeremonie offiziell in die Familie des Scheichs aufgenommen. Ich glaube, das wird so was wie ’ne Krönungsfeier.
Gruß,
MAX
PS: Oh, Berry, gerade schießt mir ein Gedanke durch den Kopf: Falls Du nicht mit uns geflogen bist, weil Du Flugangst hast ... mach Dir keine Vorwürfe und fühl Dich nicht schlecht, da bist Du nicht der Einzige. Das Problem haben viele. Steh dazu, bekenne es offen und wir tun etwas dagegen. Okay?
Statistisch gesehen ist das Flugzeug übrigens immer noch sicherer als ein Auto. Wie heißt es so schön: Das Gefährlichste an einer Flugreise ist die Fahrt mit dem Auto zum Flughafen. Haha.
Also, falls Du es Deinen Eltern nicht gesagt hast und nun auf Tauchstation gegangen bist, damit sie annehmen, Du seist geflogen, relax, teil es ihnen mit, sie haben bestimmt Verständnis dafür. Ich fände es auch besser, Du gibst es zu und irritierst mich nicht mit so albernen, unglaubwürdigen Japan-Mails.
Also, Kopf hoch, es gibt Schlimmeres! Ich such Dir ein Seminar gegen Flugangst raus, sobald ich wieder daheim bin.
Mach’s gut!
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Ich wollt, ich wär ein Schwein
Hi, MAX,
ich habe weder Flugangst noch befinde ich mich auf einer Astralreise oder im Weltraum oder vor Angst bibbernd im Keller unseres Cafés! Ich liege in einem Zimmer eines japanischen Luxushotels in einem Bett, mir ist schlecht und ich habe Angst, dass mir vor lauter rohem Fisch Kiemen wachsen!
Da kannst Du Dir vielleicht vorstellen, dass ich Gotthilf und Genoveva beneide – und Dich auch! Eine Krönungszeremonie für Schweine bei einem arabischen Scheich ist bestimmt cooler als Sushi in einem japanischen Hotel.
Außerdem hast Du gut reden. Wie soll ich denn damit aufhören? Sicher, die Geisha ist total freundlich, aber sie hält mir die Dinger so lange unter die Nase, bis ich den Mund aufmache. Das letzte Mal habe ich so was erlebt, als ich noch ein kleiner Junge war und den Spinat nicht essen wollte, den meine Mutter mir vorgesetzt hat. Da hatte ich auch keine Chance.
Nun ist der lächelnde Folterknecht gerade wieder unterwegs. Ich habe wohl den Fehler gemacht, mir Deine Mail laut vorzulesen. Ja, so weit ist es mit mir schon gekommen. Ich führe Selbstgespräche! Jedenfalls hat sie das wohl irgendwie falsch verstanden.
»Hai, Hardenberg-san«, hat sie gehaucht, mich angelächelt, sich kurz verbeugt und ist aus dem Zimmer getrippelt.
Bin mal gespannt, was sie wieder anschleppt.
Jedenfalls habe ich jetzt endlich Zeit, Dir zu erzählen, was passiert ist.
Nachdem ich Dir geschrieben hatte, dass ich komme, bin ich gleich runter in unser Café. Ich hatte ja nicht viel Zeit und musste meine Eltern noch überreden. Eigentlich wollte ich unter vier Augen mit ihnen sprechen, aber das ist im Café Kränzchen nicht möglich, vor allem, wenn man eine Serviererin hat, deren Stimme auch noch die letzte unserer Stammomis versteht, selbst wenn die ihr Hörgerät auf die niedrigste Stufe gestellt hat und Kassandra flüstert.
Und dieses Mal schreit sie sogar: »Nach Abu Dhabi? Mit den Hardenbergs? Super, Berry! Das darfst du dir nicht entgehen lassen!«
Sekunden später steht alles an Stammgästen, was Füße, aber keine Zähne mehr hat, um uns herum. Als ich sehe, dass sie ihre Kuchenteller in der Hand halten und ihre Kaffeetassen auf der Theke abstellen, weiß ich, es wird ’ne öffentliche Veranstaltung.
Ich versuche sie nicht zu beachten und sage mit gedämpfter Stimme zu meiner Mutter: »Dann kann ich MAX endlich treffen. Und ihre Oma ist auch dabei.«
»Das ist es ja gerade, was mir Sorgen macht, Berry. Diese Leute sind so reich und so bekannt in unserer Stadt. Und wir sind nur eine kleine Konditorenfamilie.«
»Ja und?«, rufe ich. »MAX macht das nichts aus. Und bei ihrer Oma habe ich einen Stein im Brett seit der Sache mit dem kostbaren Bild.«
»Kostbar!«, schnauft meine Mutter. »Und außerdem kennst du dieses Mädchen noch nicht einmal.«
»Sicher kenne ich sie!«, rufe ich. »Nur eben nicht persönlich, aber über unsere Mails. Wir wollen uns schon lange mal treffen!«
»Und dann heißt sie auch noch Max«, schnauft meine Mutter weiter.
»Ach, Mama! So heißt sie doch gar nicht! MAX ist die Abkürzung von Mathilda Antonia Xenia!«
»Und warum nennen ihre Eltern sie dann Max?«
»Ihr Vater nennt sie Toni, weil ihm Antonia am besten gefällt, ihre Mutter nennt sie Xeni und ihre Großmutter sagt Mathilda zu ihr. Jeder, wie es ihm gefällt. Und ihr gefällt halt MAX am besten – und mir auch.«
Meine Mutter schüttelt den Kopf. »Diese reichen Leute leben tatsächlich in einer anderen Welt. Vier Namen für ein einziges Kind!«
»Wenn ich mit ihr nach Abu Dhabi fliege, kann ich ja versuchen, ihre Oma zu überreden, sich auf einen Namen zu einigen.«
Meine Mutter schüttelt den Kopf, allerdings nicht mehr so heftig.
Es ist Zeit für meine letzte Trumpfkarte: »Bitte, Mama!«
Du kennst sicher dieses »Bitte, Mama«. Man muss es in einem bestimmten Ton sagen, dann funktioniert es – jedenfalls bei mir. In den Augen meiner Mutter erkenne ich brechenden Widerstand.
»Aber dann gleich bis nach Australien«, versucht sie es noch einmal.
»Mama! Abu Dhabi liegt in –«
»Mallorca! Da war ich schon mal«, ruft Klara Bömmelmann dazwischen. Du weißt schon, eine der Zwillingsomas, die unseren Privatdetektiv Kuhlhardt so cool finden.
Ihre Schwester Gertrud schüttelt den Kopf. »Aber Klärchen, du meinst sicher Teneriffa.«
»Nordfee!«, ruft Oma Czybulski, die Gebisslose.
Kurz darauf ist ein Streit darüber entbrannt, auf welchem Erdteil Abu Dhabi wohl zu finden sei. Als der Pfarrer, der von den Omas aus seinem Kirchenchor gerade mal wieder mit Eierlikör abgefüllt wird, sich bereit erklärt, in seinem Autoatlas nachzusehen, erscheint mein Vater. Wahrscheinlich hat ihn der Lärm aus seiner Backstube gelockt.
Ich nutze die Gelegenheit, ziehe ihn beiseite und erkläre ihm die Sache.
Na ja, das Ergebnis habe ich Dir ja schon geschrieben. Er ist einverstanden und meine Mutter ruft: »Ogottogott!«
In Lichtgeschwindigkeit packe ich also meinen Koffer und mein Vater spendiert mir sogar das Taxi zum Flughafen.
Doch genau dort nimmt das Unglück seinen Lauf, wenn ich das mal so sagen darf.
»Wohin geht’s?«, fragt der Taxifahrer.
»Zum Flughafen.«
»Aha. Und wohin genau?«
»Nach Abu Dhabi. Das liegt in Arabien«, füge ich sicherheitshalber noch hinzu.
»Das weiß ich auch«, schnauft der Taxifahrer. »Abu Dhabi ist die Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate. Die recht unterschiedlichen Bewohner sind traditionell großzügig, hilfsbereit und gastfreundlich. Herkömmliche Sportarten sind Kamel- und Pferderennen, Bootsregatten und Perlentauchen. Die größten Attraktionen sind Wüstencamping und der Besuch von Gold- und Gewürzbasaren sowie Windkraftwerken. Außerdem –«
»Äh – danke. Warum fragen Sie dann?«, unterbreche ich ihn.
»Ich möchte gern wissen, zu welchem Terminal ich fahren soll.«
»Ach so. Keine Ahnung.«
Der Taxifahrer wirft mir über seinen Rückspiegel einen genervten Blick zu. »Fluggesellschaft?«
»Weiß ich leider auch nicht. MAX und ihre Oma – ich meine Frau von Hardenberg haben ge-«
»Ach, die Hardenbergs!«, ruft der Taxifahrer. »Dann weiß ich Bescheid. Die Hardenbergs fliegen immer vom Privatterminal ab.«
Ich weiß ja, wie reich Ihr seid. Darum denke ich, dass Ihr es Euch wohl leisten könnt, ein eigenes Flugzeug zu haben.
»Genau. Privatterminal«, sage ich deshalb und der Taxifahrer gibt Gas.
»Ich habe schon ein paar von deren Managern dorthin gefahren«, erzählt er während der Fahrt weiter. »Einmal sogar den Chef selber. Feiner Mann.«
»Stimmt«, sage ich und denke an meine peinlichen Auftritte, bei denen ich Deinen Vater kennengelernt habe.
Sorry, ich muss mal kurz unterbrechen. Die nächste Fuhre Sushi ist da. Ich sitze zwar mit zusammengepressten Lippen vor dem Computer und vermeide es, diesen lächelnden Folterknecht anzusehen, aber allmählich nervt es mich, mit einem Sushi-Röllchen unter der Nase zu schreiben.
Wenn ich sie abgewimmelt habe, schreibe ich weiter. Wenn Du nichts mehr von mir hörst, bin ich geplatzt!
Berry
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Bananenhirn!
Ja, wir haben ein Privatflugzeug. EINS! Keine Flotte. Und unser Flieger war für Abu Dhabi eingeplant und nicht für Japan! Ist Dir denn nicht aufgefallen, dass wir nicht an Bord waren??!! Es war ausgemacht, dass Du mit meiner Großmutter, den Schweinen und mir fliegst. Hat Dich unsere Abwesenheit denn nicht stutzig gemacht, Du Bananenhirn?
Und jetzt erzähl bitte den Rest Deiner absurden Geschichte, vielleicht fange ich ja irgendwann an, Dir zu glauben!
MAX
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Aufbruch zu einer sehr langen Reise
Hi, MAX,
danke für Deine tröstenden Worte. Bin echt gerührt! Hast Du noch nie was falsch gemacht? Was weiß ich, wie viele Flugzeuge Ihr habt. Euer Haus wimmelt schließlich auch von Angestellten aus aller Welt.
Ich bin zwar etwas enttäuscht über so wenig Mitgefühl, aber ich erzähle Dir trotzdem, was noch passiert ist. Das kann ich, weil ich die Sushi-Fee abgewimmelt habe. War übrigens ganz leicht. Ich habe einfach gesagt: »Haben wir nicht wunderschönes Wetter heute?«
Da ist sie gleich aufgesprungen. »Hai, Hardenberg-san.« Dann hat sie sich verbeugt und weg war sie.
Wahrscheinlich holt sie mir wieder etwas zu essen, aber zumindest habe ich ein paar Minuten Ruhe vor ihr und kann Dir die Geschichte weitererzählen.
Ich sitze also im Taxi und freue mich darauf, Dich endlich zu sehen. Na ja, um ehrlich zu sein, werde ich immer nervöser, je näher wir dem Flughafen kommen.
Als der Taxifahrer vor dem Privatterminal hält, wird mir klar, dass man hier die Bömmelmann-Zwillinge auf dem Weg nach Mallorca oder Teneriffa nie antreffen würde. Mann, ist das vornehm! Jede Menge dienstbare Geister mit dienstbaren Mienen und noch dienstbareren Uniformen. Nur Deine Oma und Dich kann ich nirgendwo entdecken. Ich frage mich gerade, ob ich zu früh oder zu spät komme, da fallen mir zwei Typen auf. Die stehen in einer Ecke und beäugen mich abschätzend. Sie tragen etwas zu kleine blaue Anzüge, obwohl sie selbst nicht sehr groß sind, dafür aber breit. Allerdings ist das, was sich unter ihren zugeknöpften Anzugjacken abzeichnet, kein Fett, sondern Muskeln.
Bodyguards!, schießt es mir durch den Kopf. Vielleicht Eure Bodyguards? Sie sehen zwar ausländisch aus, aber schließlich habt Ihr ja auch ein französisches Hausmädchen, einen englischen Gärtner und einen arabischen Friseur.
Ich nähere mich ihnen vorsichtig und sehe, wie sich ihre Muskeln spannen. Ich versuche sie anzulächeln, damit sie nicht denken, ich wolle sie angreifen.
»Entschuldigen Sie bitte, kennen Sie die Familie von Hardenberg?«, frage ich, so höflich es mir möglich ist.
Da geht ein so heftiger Ruck durch die beiden, dass ich erschreckt zurückspringe. Ich sehe mich schon in alle Einzelteile zerlegt in einem Krankenwagen liegen und wünsche mir, ich hätte Kassandra, unsere Serviererin, mitgenommen. Du weißt ja, die hat einen schwarzen Gürtel in jeder erdenklichen Kampfsportart und hat mich schon ein paarmal gerettet. Doch dieses Mal wäre es gar nicht nötig gewesen, denn die beiden rufen etwas über meinen Kopf hinweg. Ich kann nicht verstehen, was es ist, erkenne noch nicht einmal die Sprache.
»Wie schön, dass Sie endlich gekommen sind!«, höre ich dann eine Stimme hinter mir. »Da hat sich unser Warten ja gelohnt!«
Also doch zu spät, denke ich noch und sehe mich um. Ein Typ kommt auf mich zu, auch in einem blauen Anzug, auch recht klein, aber dünn, sein Anzug passt ihm also. Er strahlt mich an und ich erkenne schlagartig, dass es sich um einen Japaner handelt. Während er auf mich zukommt, verbeugt er sich nämlich ständig. Während des Laufens! Könnte ich nie. Ich würde dauernd stolpern.
Ich schöpfe immer noch keinen Verdacht. Warum solltet Ihr keine japanischen Bodyguards oder Piloten haben?
»Ich möchte gern –«
»Sie müssen nichts sagen!«, unterbricht er mich und macht eine besonders tiefe Verbeugung. »Alles ist vorbereitet. Seit Wochen! Wir warten nur auf Sie.«
»Tut mir leid. Ich musste noch mit dem Taxi – seit Wochen? Aber Frau von Hardenberg –«
»Wie geht es der gnädigen Frau?«, fragt mich der Typ und strahlt mich an.
»Äh – gut, glaube ich. Ich hoffe nur, sie ist nicht böse, dass sie auf mich warten musste.«
»Das hoffe ich auch!«, lacht der Typ. »Aber nun muss sie nicht mehr lange warten. Wie gesagt, es ist alles vorbereitet. Unser Geschäft wird schnellstmöglich erledigt sein.«
»Das ist gut«, sage ich und denke, er redet von unserer Rettungsaktion für Gotthilf und Genoveva.
Also lasse ich mich durch die Sicherheitskontrollen schieben. Ich werde nicht untersucht und muss noch nicht einmal meinen Ausweis zeigen. Es reicht, dass der dünne Japaner »von Hardenberg« raunt. Vielleicht liegt es aber auch an den japanischen Bodyguards, die uns auf leisen Sohlen folgen.
Schließlich stehe ich vor einem imposanten Düsenjet, an dessen geöffneter Tür wieder zwei Japaner stehen und sich verbeugen. Nur tragen die keine Anzüge, sondern Fliegeruniformen.
Ich weiß, ich hätte jetzt stutzig werden müssen, aber Du musst zugeben, dass man bei Deiner Familie mit allem rechnen muss.
»Dann gute Reise«, sagt der Dünne.
»Fliegen Sie nicht mit?«, frage ich.
»Nein, leider nicht. Mein Auftrag ist es, hier auf Sie zu warten, bis Sie zurückkommen.« Er zeigt auf die Bodyguards. »Die Dienstbefohlenen werden Sie begleiten. Und selbstverständlich stehen die Bar und die Küche zu Ihrer Verfügung. Der Kopilot ist ein hervorragender Koch.«
Er wendet sich an einen der Piloten und sagt etwas auf Japanisch. Das heißt, es hat sich mehr wie ein Befehl angehört.
Der Pilot verbeugt sich tief und murmelt eine unterwürfige Zustimmung. Jedenfalls hat das für mich so geklungen.
»Darf ich Ihnen ein Kompliment machen?«, sagt der dünne Japaner, als mich die Bodyguards ins Flugzeug schieben. »Ihr junges, ja geradezu jugendliches Aussehen ist ganz außerordentlich bewundernswert. Sie sind selbst das beste Beispiel für die hervorragende Qualität Ihrer Kosmetikprodukte.«
»Meine Kosmetikprodukte?«, rufe ich. »Aber ich bin doch nicht –«
In dem Augenblick schließt der Kopilot die Tür. Bevor ich auch nur noch ein Wort herausbringe, hat er mich auf einen der breiten Ledersessel verfrachtet, mich angeschnallt, sich verbeugt und ist ins Cockpit verschwunden. Die beiden Bodyguards setzen sich mir gegenüber und mustern mich finster. Verzweifelt sehe ich mich um. Was hätte ich dafür gegeben, die imposante Gestalt Deiner Oma zu entdecken – oder Dich! Aber ich bin allein.
Kurz darauf setzt sich das Flugzeug in Bewegung.
Ich unterbreche mal kurz, weil ich den Computer zur Seite stellen muss. Ich möchte nicht, dass die Miso-Suppe auf die Tastatur tropft, wenn die Geisha mich damit füttert.
Ich melde mich gleich wieder.
Berry
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Fernweh
Oh Berry! Oh nein! Du bist eine solche Sumpfeule! So was Blödes kann wirklich nur Dir passieren!
Deine Anweisung war, zum Flughafen zu kommen und meine Großmutter und mich dort zu treffen. Das kann doch nicht so schwer sein! Dafür braucht man kaum mehr Grips als ein Hamster! Womöglich ist es aber auch die unterbewusste Suche nach Abenteuer, ein unkontrollierbarer Fluchtmechanismus oder schlicht und ergreifend Fernweh, was dich dazu bringt, solche absurden Situationen zu provozieren. Also, wenn du zurück bist, solltest du mal zum Therapeuten.
Egal. Jetzt müssen wir Dich also irgendwie wieder zurückholen. Und die Nahrungszufuhr stoppen. Ich werde mal versuchen, vorsichtig ein Gespräch mit meiner Großmutter zu führen, vielleicht kann sie ja was für Dich tun.
Gruß,
MAX
PS: Halte durch.
PPS: Von der Krönungsfeier erzähl ich Dir später.
PPPS: Mir geht’s blendend.
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Welcome to Moscow!
Hi, MAX!
Klar! Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als in einem japanischen Hotelzimmer zu liegen und mit Miso-Suppe gefüttert zu werden. Wenn das die Erfüllung von Fernweh ist, dann frag ich lieber unseren Pfarrer, ob er mir ein passendes Reiseziel in seinem Autoatlas suchen kann.
Na ja, jedenfalls habe ich brav meine Miso-Suppe ausgelöffelt und die Geisha ist zufrieden. Allmählich gewöhne ich mich sogar an den Geschmack. Wenn ich nur wüsste, was die von mir wollen! Mir ist schon der Verdacht gekommen, dass sie mich zu einem dieser Sumo-Ringer mästen wollen. Ich habe mal gelesen, dass die hier in Japan wie Popstars gefeiert werden. Vielleicht wäre das ja was für mich. Hängt wahrscheinlich davon ab, wie lange es noch dauert, bis mich jemand von dieser Kalorien-Geisha befreit! Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass das bald passiert.
Bevor die nächste Suppe kommt, erzähle ich besser mal, wie es weitergegangen ist, als der Flieger mit mir und meinen japanischen Freunden abgehoben ist.
Ja, ich weiß, ich war da vielleicht ein ganz klein wenig zu naiv. Aber es hätte doch sein können, dass Du und Deine Oma mit Eurem richtigen Flugzeug und der richtigen Crew schon vorgeflogen seid und ich mit Eurem Ersatzflugzeug und der Ersatzcrew folgen soll.
Allerdings kommt mir der Flug schon ein wenig lang vor, obwohl ich keine Ahnung habe, wie lange man nach Abu Dhabi fliegt. Das Essen, das der Kopilot kocht, schmeckt wirklich prima und sogar die beiden Muskelpakete prosten mir lächelnd mit einem Zeug zu, das der Kopilot in kleinen Porzellanfläschchen serviert und das die beiden aus noch kleineren Porzellanbecherchen trinken.
»Sake! Sake!«, rufen die beiden vor jedem Schluck.
»Ja. Sake. Prost«, grüße ich zurück und nuckle an meiner Cola.
Nach einer halben Ewigkeit geht die Maschine endlich in den Sinkflug und landet schließlich.
Ich schaue aus dem Fenster und wundere mich über die vielen Bäume – zumindest für eine Wüstenstadt. Erst als ich das Schild »Welcome to Moscow« entdecke, stirbt auch der letzte Rest Hoffnung in mir, dass wir in Abu Dhabi gelandet sind.
Der Kopilot erscheint, verbeugt sich und sagt: »Stopover.«
»Stopover?«, rufe ich. »But where are we going to? What’s the destination of this flight?«
Ich weiß, ich hätte diese Frage schon früher stellen können, aber irgendwie habe ich mich nicht getraut und ich hatte ja auch immer noch die Hoffnung – na ja, Du weißt schon.
Der Kopilot verbeugt sich wieder. »Tokyo, Hardenberg-san.«
»Tokyo?«, kreische ich. »Nicht Abu Dhabi? Ich will aber nicht nach Tokyo und ich bin auch nicht der Sohn von Hardenbergs. Die haben eine Tochter! Die heißt MAX und mit der wollte ich doch nach –«
Am Lächeln des Kopiloten erkenne ich, dass er mich nicht versteht oder es ihm völlig egal ist, was ich ihm erzähle.
»Tokyo, Hardenberg-san«, wiederholt er nur.
»Tokyo!«, rufen die beiden Muskelprotze und prosten mir zu.
»Ja, schöne Stadt«, sage ich leise und nehme mir vor, einen Japanischkurs zu besuchen.
Wir sind dann tatsächlich nach Tokyo geflogen. Direkt vor dem Flugzeug wartete eine große japanische Limousine. Kurze Anweisung der Bodyguards auf Japanisch und ab ging es in ein japanisches Hotel. Dort wieder kurze japanische Anweisung und ich hatte meinen japanischen Schlüssel für mein japanisches Hotelzimmer, in dem schon meine japanische Sushi-Fee auf mich wartete. Währenddessen hatte ich nicht die geringste Chance, irgendjemanden irgendetwas auf Deutsch oder Englisch zu fragen. Flugzeug – Auto – Hotel – Zimmer – das war’s.
Vorhin habe ich mal einen Blick vor die Tür riskiert. Die Bodyguards standen davor und haben mich sanft ins Zimmer zurückgeschoben. Na ja, so weit man mit ungefähr einer Tonne Muskeln »sanft« schieben kann.
Was soll das alles? Ich habe auf dem Flughafen doch nur nach Deiner Oma gefragt! Warum bringen die mich nach Tokyo, halten mich gefangen und füttern mich mit Sushi und Miso-Suppe? Für einen Sumo-Ringer bin ich viel zu dünn und von rohem Fisch und Wassersuppe nimmt man doch nicht zu! Da wären unsere Walkürenbällchen schon besser geeignet.
Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als abzuwarten. Vielleicht erfahre ich ja morgen, was ich hier soll – wenn ich dann noch aus dem Bett komme.
Wenn ich kann, melde ich mich wieder!
Berry
PS: Du hast mir übrigens immer noch nicht geschrieben, was »Ich bin satt« auf Japanisch heißt. Weiß Deine Großmutter es nicht oder will sie es Dir nicht sagen? Hoffentlich ist sie nicht sauer auf mich!
PPS: Haben Gotthilf und Genoveva eine schöne Krone bekommen? Sind die jetzt Schweinescheiche oder so was? Oder muss Genoveva in den Harem?
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Japanischkurs
Hi, Belly-san!
»O naka ga ippai«, heißt der Zaubersatz. Das kannste allerdings nur sagen, wenn Ihr Euch sehr gut kennt, also zumindest auf Du und Du seid, haha. Biste doch bestimmt mit Deiner Geisha inzwischen, oder?
Ach so, das heißt übrigens: »Ich bin satt.«
Ich hoffe, es klappt. Ist zwar nur ’ne kleine Erleichterung für Deine Situation, aber wir müssen ja irgendwo anfangen.
Das Gespräch mit meiner Großmutter, hm, nun ja, sagen wir mal so: Es lief nicht nach Plan. Leider.
Wir saßen auf dicken plüschigen Kissen und haben supersüßen Pfefferminztee getrunken. Das heißt, meine Großmutter saß natürlich nicht auf einem Kissen auf dem Boden. Als einer der Scheich-Diener eine einladende Geste in Richtung Kissen und Boden machte, schoss sie ihm einen Blick zu, dass er sich sofort zu Boden warf und um Vergebung wimmerte. Dann schleppte er schnell einen Stuhl herbei. So viel zu: Sitten und Gebräuche anderer Kulturen respektieren und annehmen.
Wir haben auf Scheich Rashid gewartet und ich dachte, das ist der geeignete Moment, mal das Gespräch auf Dich und die Bredouille, in der Du steckst, zu bringen.
Ich wollte zunächst Deinen japanischen Rettungssatz in Erfahrung bringen. Und da meine Großmutter es sich ja zu eigen macht, in den Restaurants, in die sie geht, in der jeweiligen Landessprache zu bestellen, müsste Japanisch zu ihrem Repertoire gehören.
»Was heißt eigentlich: ›Ich bin satt‹ auf Japanisch?«
»Ana Scheba-an.«
»Das klingt aber irgendwie arabisch.«
»Ist es auch.«
»Du hast mich falsch verstanden. Ich wollte wissen, was es auf Japanisch heißt.«
»Ich habe dich nicht falsch verstanden, ich sehe nur keinen Grund, wieso du diesen Satz in einer Sprache wissen möchtest, für die du zurzeit keine Anwendung hast.«
»Ich ... also ... mein Zimmermädchen ist eine Japanerin und sie füttert mich ständig.«
Der Blick meiner Großmutter trifft mich hart. Ich glaube, ich hab davon einen blauen Fleck bekommen.
»Mathilda?!«, sagt sie nur eisig und ich schlucke.
Ich mache einen Rückzieher. »Okay, das ist nicht der Grund.«
Sie ist noch nicht zufrieden und hebt eine Augenbraue.
»Genau genommen habe ich kein japanisches Zimmermädchen«, füge ich hinzu.
Sie nimmt einen Schluck Tee.
Und ich mache einen erneuten Vorstoß: »Sagst du es mir trotzdem?«
»O naka ga ippai.«
Ich nicke und murmle den Satz vor mich hin.
»Allerdings kannst du diese Formulierung nur verwenden, wenn du gut befreundet bist mit dem Adressaten«, fügt meine Großmutter noch hinzu.
Gut, Deinen Satz habe ich schon mal. Jetzt weiter. Nun muss ich ihr den Rest Deiner Geschichte erzählen. Eigentlich blöd, ich hätte ihr sagen sollen, wieso ich diesen Satz brauche. Aber Du kennst ja meine Großmutter, sie ist extrem einschüchternd. Mich schüchtert sie zwar nicht ein, mich verunsichert sie nur. Reicht aber auch schon, ist kein sehr bekanntes Gefühl für mich. Außerdem will ich unbedingt, dass sie Dich weiterhin mag, denn wenn Du erst mal auf ihrer Abschussliste stehst, kannste einpacken.
»Berry ist nicht mit uns geflogen«, fange ich mit dem Offensichtlichen an.
Meine Großmutter sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an. »Nun, ich danke dir für diese Mitteilung, Mathilda. Aber das ist mir durchaus aufgefallen.«
Schlechter Anfang.
»Was du mir vielleicht mitteilen solltest, ist der Grund, wieso er meine Einladung verschmäht hat.«
Auweia, sie ist sauer auf Dich.
»Oh, er ist in Japan«, rufe ich schnell.
»Aha«, meint sie dann etwas versöhnlicher. »Zugegebenermaßen war meine Einladung nach Abu Dhabi ja auch sehr kurzfristig. Wie ist das Wetter in Japan?«
»Gut. Äh, ich weiß nicht. Berry ist in einem Hotelzimmer und isst den ganzen Tag Sushi. Er war noch nicht draußen.«
Erneute Missbilligung. »Der Satz war also für Berry«, stellt sie fest. Dann schüttelt sie den Kopf. »Er fliegt nach Japan, spricht kein Japanisch und hält sich nur in einem Hotelzimmer auf? Er scheint ein Kulturbanause zu sein.«
Ich gucke auf ihren Stuhl. Na gut, dass sie nicht bereit ist, auf dem Boden auf einem Kissen zu sitzen, sollte ich ihr durchgehen lassen. Ich sage nichts.
Bin nicht sehr zufrieden mit dem Verlauf der »Wir-müssen-Berry-retten«-Aktion. »Er macht das ja nicht freiwillig«, versuche ich Dich zu verteidigen.
»Ist er geschäftlich dort?«
Jetzt zucke ich etwas zurück. Ist meine Großmutter derart weltfremd? Wieso sollte ein Teenager geschäftlich in Japan sein?