AUTOBIOGRAPHISCHE NOTIZ

Ich wurde am 6. Mai 1871 als einziges Kind des Landschaftsmalers Carl Ernst Morgenstern (Sohnes des Landschaftsmalers Christian Morgenstern) und seiner Ehefrau Charlotte Schertel (Tochter des Landschaftsmalers Josef Schertel) in München geboren und erlebte in unserm gegen Nymphenburg zu gelegenen – aller Kunst und heiteren Geselligkeit geöffneten – Hause mit parkartigem Garten glückliche, eindrucksreiche Kindheitsjahre. Meine Eltern reisten viel, zuerst aus Lebenslust, dann aus Rücksicht auf ein beginnendes Lungenleiden meiner Mutter, und nahmen mich schon von meinem dritten oder vierten Jahre an überallhin mit. Besonders ist mir eine lange Reise durch Tirol, die Schweiz und das Elsaß in Erinnerung, die im wesentlichen in einer von zwei unermüdlichen Juckern gezogenen Kutsche zurückgelegt wurde. Dazwischen und später waren es dann die (damals noch ländlichen) bayerischen Seedörfer Kochel, Murnau, Seefeld, Herrsching, Weßling und noch später schlesische Dörfer am Zobten und im Vorland des Riesengebirges, die dem sehr viel einsamen und stillfrohen Knaben unvergeltbar Liebes erwiesen. Solch freundliches Los ward ihm zumal durch die Lebensführung des Vaters, der als freier Landschafter sowohl, wie dann, als er an die Breslauer Kunstschule berufen worden war, Sommer um Sommer ins Land hinauszog; wozu noch kam, daß er ihn, als eifriger Jäger, bisweilen in seinen Jagdgebieten und Jagdquartieren mit sich hatte.

Diese Jahre waren grundlegend für ein Verhältnis zur Natur, das ihm später die Möglichkeit gab, zeitweise völlig in ihr aufzugehen.

Sie waren aber auch nötig, denn bald nach seinem zehnten Jahre, in dem er die Mutter verlor, begann der Ansturm feindlicher Gewalten von außen wie von innen. Was sich bisher, gehegt und verwöhnt, daheim und im Freien so durchgespielt hatte – mein Spielen bildet für mich ein eigenes sonniges Kapitel – zeigte sich dem äußeren Leben, wie es vor allem in der Schule herantrat, weniger gewachsen. Es war, als wäre das Leidenserbe der Mutter, das doch erst zwölf Jahre darauf zu wirklichem Kranksein führte, schon damals übernommen worden; denn wenn auch mancher frische Aufschwung immer wieder weiter trieb, so setzten doch mehr und mehr jene dumpfen Hemmungen ein, die ihn wohl nicht hätten so zu Jahren kommen lassen, wenn nicht irgend etwas in ihm ebenso zähe für ihn gestritten und ihn über das Schlimmste immer wieder von neuem hinweggebracht hätte. Vielleicht war es dieselbe Kraft, die, nachdem sie ihn auf dem physischen Plan verlassen hatte, geistig fortan sein Leben begleitete und, was sie ihm leiblich gleichsam nicht hatte geben können, ihm nun aus geistigen Welten heraus mit einer Treue schenkte, die nicht ruhte, bis sie ihn nicht nur hoch ins Leben hinein, sondern zugleich auf Höhen des Lebens hinauf den Weg hatte finden sehen, auf denen der Tod seinen Stachel verloren und die Welt ihren göttlichen Sinn wiedergewonnen hat.

Sie mag ihm auch den Jugend- und Lebensfreund zugeführt haben, FRIEDRICH KAYSSLER, dem die Sammlung »Auf vielen Wegen« (und wieviel anderes!) mit dem Danke gehört: »Wär der Begriff des Echten verloren / In Dir wär er wiedergeboren.«

In meinem 16. Jahre etwa wurde mir das erste Glück philosophischer Gespräche. Schopenhauer, vor allem auch schon die Lehre von der Wiederverkörperung, traten in mein Leben ein. Es folgte, Anfang der Zwanziger, Nietzsche, dessen suchende Seele mein eigentlicher Bildner und die leidenschaftliche Liebe langer Jahre wurde. Die Aufgabe, Ibsens Verswerke zu übertragen, führte mich 1898 nach Norwegen. Ich lernte Henrik Ibsens teure Person kennen und durfte in den Übersetzungen von »Brand« und »Peer Gynt« mich innerlichst mit ihm verbinden.

Das Jahr 1901 sah mich über den »Deutschen Schriften« Paul de Lagardes. Er erschien mir – Wagner war mir damals durch Nietzsche entfremdet – als der zweite maßgebende Deutsche der letzten Jahrzehnte, wozu denn auch stimmen mochte, daß sein gesamtes Volk seinen Weg ohne ihn gegangen war.

Noch sechs Jahre darauf schrieb ich in mein Taschenbuch:

Zu Niblum will ich begraben sein,

am Saum zwischen Marsch und Geest …

Zu Niblum will ich mich rasten aus

von aller Gegenwart.

Und schreibt mir dort auf mein steinern Haus

nur den Namen und: »Lest Lagarde!«

Ja, nur die zwei Dinge klein und groß:

Diese Bitte und dann meinen Namen bloß.

Nur den Namen und: »Lest Lagarde!«

Das Inselchen Mutterland dorten, nein,

das will ich nicht verschmähn.

Holt mich doch dort bald die Nordsee heim

mit steilen, stürzenden Seen –

das Muttermeer, die Mutterflut …

Oh, wie sich gut dann da drunten ruht,

tief fern von deutschem Geschehn!

Inzwischen war dem Fünfunddreißigjährigen Entscheidendes geworden: Natur und Mensch hatten sich ihm endgültig vergeistigt. Und als er eines Abends wieder einmal das ›Evangelium nach Johannes‹ aufschlug, glaubte er es zum ersten Male wirklich zu verstehen.

Die nächsten Jahre – des Austragens, Ausreifens, zu Ende Denkens – überstand er so, wie er sie überstand, eigentlich nur, weil ihm Gesundheit und Mittel fehlten, sich irgendwohin zurückzuziehen, wo er in völliger Unbekanntheit seine Tage hätte vollenden dürfen. Er war doppelt geworden und in der wunderlichen Verfassung, sich, sozusagen, groß oder klein schreiben zu können. (In »Einkehr«, »Ich und Du« und einer Sammlung Aufzeichnungen findet sich Einiges aus diesem Abschnitt.)

Er konnte in einem Kaffeehause sitzen und fühlen: »So von seinem Marmortischchen aus, seine Tasse vor sich, zu betrachten, die da kommen und gehen, sich setzen und sich unterhalten, und durch das mächtige Fenster die draußen hin und her treiben zu sehen, wie Fischgewimmel hinter der Glaswand eines großen Behälters, – und dann und wann der Vorstellung sich hinzugeben: Das bist Du! – Und sie alle zu sehen, wie sie nicht wissen, wer sie sind, wer da, als sie, mit SICH selber redet, und wer sie aus meinen Augen als SICH erkennt und aus ihren nur als sie!« … Und doch war solches Erkennen nur erst ein Oberflächen-Erkennen und darum letzten Endes noch zur Unfruchtbarkeit verurteilt.

So kam das Jahr 1908 –

DA traf ich Dich, in ärgster Not, den Andern!

Mit Dir vereint, gewann ich frischen Mut.

Von neuem hob ich an, mit Dir, zu wandern,

und siehe da: Das Schicksal war uns gut.

Wir fanden einen Pfad, der klar und einsam

empor sich zog, bis, wo ein Tempel stand.

Der Steig war steil, doch wagten wir's gemeinsam.

Und heut noch helfen wir uns, Hand in Hand …* [* Siehe Anmerkung]

Der Andre war Sie, die mein Leben fortan teilte; der Pfad war der Weg anthroposophischer Erkenntnisse, wie sie uns heute, in einziger Weise, durch RUDOLF STEINER vermittelt werden.

In dieser Persönlichkeit lebt ein großer spiritueller Forscher »ein ganz dem Dienste der Wahrheit gewidmetes Leben« vor uns und für uns dar.

Vor ihm darf auch der Unabhängigste sich von neuem besinnen und revidieren; vor ihm hat dies jedenfalls der getan, der immer am liebsten dem Worte nachleben wollte: – Vitam impendere vero* [* Siehe Anmerkung] (1913)

GEDICHTE

[Zwei Gedichte des Sechzehnjährigen]

DER Tod erst macht den Menschen frei;

hier lebt er in Ohnmacht und Sklaverei.

Und sollt' er auf Erden von neuem erstehn,

von neuem leben und strebend vergehn,

dann wird er doch schreiten im Wechsel der Zeit

zur Reife, zum Leben der Ewigkeit.

WENN leuchtend die Gestirne tauchen

im dunklen Äthermeer empor

und in geheimnisvollem Hauchen

die Welt umweht ein Dämmerflor,

entschwebt der Geist zu wachen Träumen

ins große heilige Reich der Nacht,

beschwingt nach unermessnen Räumen

von tiefer Phantasien Macht.

Im weichen Zauber solcher Nächte

scheint sich die Schöpfung zu entfalten,

und dunkel ahnen wir die Mächte,

die über unserem Leben walten.

[Zwei Gedichte des Achtzehnjährigen]

WIE oft wohl bin ich schon gewandelt

auf diesem Erdenball des Leids,

wie oft wohl hab ich umgewandelt

den Stoff, die Form des Lebenskleids?

Wie oft mag ich schon sein gegangen

durch diese Welt, aus dieser Welt,

um ewig wieder anzufangen

von frischem Hoffnungstrieb geschwellt?

Es steigt empor, es sinkt die Welle –

so leben wir auch ohne Ruh;

unmöglich, daß sie aufwärts schnelle

und nicht zurück – dem Grunde zu.

DU kannst dein eignes Leid nicht tragen,

es dünkt so tief dir und so schwer?

So mußt nach fremdem Leid du fragen,

versenken dich in fremde Klagen –

die eignen hörst du dann nicht mehr.

Das eigne Leid muß klein dir scheinen,

wenn du bedenkst das Weh, die Not,

durch die viel tausend Augen weinen!

Wenn du von allem Schmerz den deinen

nur kennst, so bist du seelisch tot.

Morgenfahrt

Im Morgendämmer fuhr ich über Land –

die Äcker stumm – die Wälder schwarz und tot –

bis endlich an des Himmels fernstem Rand

sich Streifen zeigten, gelb und rosig rot.

Nicht lange, und wie Feuer und wie Blut

entstieg der Ball den Nebeln feucht und kalt

und übergoß die Flur mit Purpurglut

und wandelte in wogend Gold den Wald.

Und auch auf mich im Wagenzwielicht traf

ein Blitz, mich strahlend wappnend wie zum Streit,

und küßte meine Seele aus dem Schlaf:

Ein Flammengruß aus der Unendlichkeit.

IN stillster Nacht

in tief geheimnisvoller Stunde

kam es zu mir auf leisen Engelsfüßen.

Aus allen Tiefen, allen Höhn

umschwoll es mich wie klagendes Getön,

wie einer tiefen Sehnsucht Grüßen.

In stillster Nacht

in tief geheimnisvoller Stunde,

da hab ich mich für alle Zeit

aus heilig heitrem Herzensgrunde

der Schönheit Sonnenreligion geweiht.

Theomachie

Schon mancher Stein hat mir geredet,

wenn ich mit Phanta's Zauberstab ihn schlug

und Seelen, die Äonen stumm verträumt,

erschlossen sich mir in geweihter Stunde.

So dazuliegen, wenn sich eng und enger

des Luftgewebes Maschen ziehn, vom Dunkel

gesättigt, und aus schwimmenden Konturen

ein zweites Sein dem Aug entgegengeistert.

Prolog zu »In Phanta's Schloß«

Längst Gesagtes wieder sagen,

hab ich endlich gründlich satt.

Neue Sterne! Neues Wagen!

Fahre wohl, du alte Stadt,

drin mit dürren Binsendächern

alte Traumbaracken stehn,

draus kokett mit schwarzen Fächern

meine Wunden Abschied wehn.

Kirchturm mit dem Tränenzwiebel

als vielsagendem Symbol, Holperpflaster, Dämmergiebel, Wehmutskneipen, fahret wohl!

Hoch in einsam-heitren Stillen

gründ ich mir ein eignes Heim,

ganz nach eignem Witz und Willen,

ohne Balken, Brett und Leim. 

Rings um Sonnenstrahlgerüste

wallend Nebeltuch gespannt,

auf die All-gewölbten Brüste

kühner Gipfel hingebannt.

Schlafgemach –: mit Sterngoldscheibchen

der Tapete Blau besprengt,

und darin als Leuchterweibchen

Frau Selene aufgehängt.

Längst Gesagtes wieder sagen,

ach! ich hab es gründlich satt.

Phanta's Rosse vor den Wagen!

Fackeln in die alte Stadt!

Wie die Häuser lichterlohen,

wie es kracht und raucht und stürzt!

Auf, mein Herz! Empor zum frohen

Äther, tänzergleich geschürzt!

Schönheit-Sonnensegen, Freiheit-

Odem, goldfruchtschwere Kraft

ist die heilige Kräftedreiheit,

die aus Nichts das Ewige schafft.

Phanta's Schloß

Die Augenlider schlag ich auf.

Ich hab so groß und schön geträumt,

daß noch mein Blick in seinem Lauf

als wie ein müder Wandrer säumt.

Schon werden fern im gelben Ost

die Sonnenrosse aufgezäumt.

Von ihren Mähnen fließen Feuer,

und Feuer stiebt von ihrem Huf.

Hinab zur Ebne kriecht der Frost.

Und von der Berge Hochgemäuer

ertönt der Aare Morgenruf.

Nun wach ich ganz. Vor meiner Schau

erwölbt azurn sich ein Palast.

Es bleicht der Felsenfliesen Grau

und lädt den Purpur sich zu Gast.

Des Quellgeäders dumpfes Blau

verblitzt in heitren Silberglast.

Und langsam taucht aus fahler Nacht

der Ebnen bunte Teppichpracht.

All dies mein Lehn aus Phanta's Hand!

Ein König ich ob Meer und Land,

ob Wolkenraum, ob Firmament!

Ein Gott, des Reich nicht Grenze kennt.

Dies alles mein! Wohin ich schreite,

begrüßt mich dienend die Natur:

ein Nymphenheer gebiert die Flur

aus ihrem Schoß mir zum Geleite;

und Götter steigen aus der Weite

des Alls herab auf meine Spur.

Das mächtigste, das feinste Klingen

entlauscht dem Erdenrund mein Ohr.

Es hört die Meere donnernd springen

den felsgekränzten Strand empor,

es hört der Menschenstimmen Chor

und hört der Vögel helles Singen,

der Quellen schüchternen Tenor,

der Wälder Baß, der Glocken Schwingen.

Das ist das große Tafellied

in Phanta's Schloß, die Mittagsweise.

Vom Fugenwerk der Sphären-Kreise

zwar freilich nur ein kleinstes Glied.

Erst wenn mit breiten Nebelstreifen

des Abends Hand die Welt verhängt,

und meiner Sinne maßlos Schweifen

in engere Bezirke zwängt –

wenn sich die Dämmerungen schürzen

zum wallenden Gewand der Nacht

und aus der Himmel Kraterschacht

Legionen Strahlenströme stürzen –

wenn die Gefilde heilig stumm,

und alles Sein ein tiefer Friede –

dann erst erbebt vom Weltenliede,

vom Sphärenklang mein Heiligtum.

Auf Silberwellen kommt gegangen

unsagbar süße Harmonie,

in eine Weise eingefangen,

unendlichfache Melodie.

Dem scheidet irdisches Verlangen,

der solcher Schönheit bog das Knie.

Ein Tänzer, wiegt sich, ohne Bangen,

sein Geist in seliger Eurythmie.

O seltsam Schloß! bald kuppelprächtig

gewölbt aus klarem Ätherblau;

bald ein aus Quadern, nebelnächtig,

um Bergeshaupt getürmter Bau;

bald ein von Silberampeldämmer

des Monds durchwobnes Schlafgemach;

und bald ein Dom, von dessen Dach

durch bleiche Weihrauch-Wolkenlämmer

Sternmuster funkeln, tausendfach!

Das stille Haupt in Phanta's Schoße,

erwart ich träumend Mitternacht: –

da hat der Sturm mit rauhem Stoße

die Kuppelfenster zugekracht.

Kristallner Hagel glitzert nieder,

die Wolken falten sich zum Zelt.

Und Geisterhand entrückt mich wieder

hinüber in des Schlummers Welt.

Der Nachtwandler

Sanfter Mondsegen über den Landen.

Schlafstumm Berge, Wälder, Tale.

In den Hütten erstorben die Herde;

an den Herden eingenickte Großmütter,

zu deren Knieen offne Enkel-Mäulerchen

unter verhängten Äuglein atmen.

Auf Daunen und Strohsack 

schnarchendes Laster, schnarchende Tugend.

Wachend allein: Diebe, Dichter,

Wächter der Nacht; und auf Gassen, in Gärten

und in verschwiegenen Kammern

lispelnde Liebe.

Sanfter Mond! Du segnest,

weil du nichts andres kannst.

Aber am Herzen

zehren dir Neid und Groll,

weil die Menschen dich also mißachten,

daß sie zu Bett gehn, wenn du kommst.

Ärgerlich ziehn sie die Vorhänge zu

und du stehst draußen

und – segnest milde deine Verächter.

Sanfter Mond! manchmal auch

lugen Herrschergelüste gefährlich vor

unter deiner Demut.

Dann rufst du in verträumte Gehirne:

»Auf! auf!

Ich bin die Sonne!

Kommt! Es ist Tag!«

Und der blöden Schläfer

glaubt es dir mancher

und steigt ernsthaft aus seinen Kissen

und geht gravitätisch

über die Dächer.

Scheel sehen die Kater ihn an.

Er aber wandelt und klettert,

als hätt ihm sein Arzt

die Alpen verschrieben.

Wie? Freundchen!

Hätt ich dich heut gar ertappt?

Mir dünkt, da unten

käm solch ein Wandler!

Armer Fremdling,

– besser Hemdling –

wer bist du?

Welchem Bette enflohst du?

Opferlamm

mondlicher Lüsternheit,

meilenweit mußt du gewandert sein!

Redet er nicht im Schlaf? horch!

»Wer ich bin? …

Eine lebendige Litfaß-Säule

etiquettiert von oben bis unten:

Staatsbürger

Gemeindemitglied

Protestant

Hausbesitzer

Ehemann

Familienvater

Vereinsvorstand

Reserveleutnant

Agrarier

christlicher Germane

Antisemit

Deutschbündler

Socialmonarchist

Bimetalist

Wagnerianer

Antinaturalist

Spiritist

Kneippianer

Temperenzler –«

»Wie« ruf ich,

und nie »Mensch?«

Aber da reißt

der Schläfer die Augen auf,

und – »Mensch?«

von verzerrten Lippen heulend

stürzt er

fehltretend

die Felswand hinab,

von Zacke zu Zacke

im Bogen geschleudert.

Ich aber,

ich »Mörder«,

muß unbändig lachen.

Ich kann nicht anders.

Gott helfe dem Armen!

Amen!

Der beleidigte Pan

Auf der Höhlung

eines erstorbenen Kraters

blies heute Pan

wie Schusterjungen

auf Schlüsseln pfeifen.

Er pfiff »die Welt« aus,

dies sonderbare

zweideutige Stück

eines Anonymus,

das Tag für Tag

uns vorgespielt wird

und niemals endet.

O pfeife doch minder,

teurer Waldgott!

Halt Einkehr, Pan!

Wer hieß dich denn

unter Menschen gehen? …

Mondbild

Groß über schweigenden

Wäldern und Wassern

lastet der Vollmond,

eine Ägis,

mit düsterem Goldschein

alles in reglosen Bann

verstrickend.

Die Winde

halten den Atem.

Die Wälder ducken sich

scheu in sich selbst hinein.

Das Auge des Sees

wird stier und glasig:

als ob eine Ahnung

die Erde durchfröre,

daß dieser Gorgoschild

einst ihren Leib

zertrümmern werde …

Als ob eines Schreies

sie schwanger läge,

eines Schreies voll Grausen,

voll Todesentsetzen …

Εσσεται ημαρ!

Geier Schwermut

Lieb sind mir und heilig

die Götter, Phanta,

an deren Tisch

du mich ludest.

Doch Eines schmerzt mich:

Sind diese Götter

aus meinem ureigensten Ich

herausgezeugt?

Sind sie unsere,

ganz allein unsere Söhne,

Phanta?…

Noch bin ich

nur ein Prometheus,

mit ehernen Ketten

festgeschmiedet

ans Riesenkreuz

der Vergangenheit,

des Felsenstamm

und Felsenarme

gefügt und geschichtet

aus Quaderblöcken

alter Kulturen.

Aber am Herzen

frißt mir

der Geier Sehnsucht.

Langsam füllt sich

zu Füßen mir

die Schale

mit meinem Herzblut.

Laß mich allein,

herrlichstes Weib,

das die Erde mir gab!

Erst wenn rot

bis zum Rand

den goldenen Gral

die Flut erfüllt,

kehr mir zurück!

Dann will ich Dich taufen

mit meinem Blut,

meine schwirrende Schwalbe,

mein heimatlos, heidnisch Kind.

Und dann, denk ich,

Freundin Phanta,

soll unser Bund

erst beginnen.

Epilog

Am Schreibtisch finde ich mich wieder,

als wie aus krausem Traum erwacht …

Vor mir ein Buch seltsamer Lieder,

und um mich stille Mondesnacht.

Ich schaue auf den kleinen Ort,

aus dem mein Geist im Zorn geflohn –

Nachtwächter ruft sein Hirtenwort

zu greiser Turmuhr biedrem Ton …

Wie knochige Philisterglatzen

erglänzt des Pflasters holprig Beet …

Und auf den Giebeln weinen Katzen

um ein versagtes tête-à-tête.

Euch also, winklige Gemäuer,

durchschnarcht von edlen Atta Trolls,

bewarf ich einst mit wildem Feuer

aus den Vulkanen meines Grolls!

Ich sah in eurer Kleinlichkeit

die Welt, die in mir selbst ich trug:

es war ein Stück Vergangenheit,

das ich in eurem Bild zerschlug.

Von oben hab ich lachen lernen

auf euer enges Kreuz und Quer!

Wer Kurzweil trieb mit Sonn' und Sternen,

dem seid ihr kein Memento mehr!

In tiefentzückten Weihestunden,

fernab dem Staub der breiten Spur,

hab ich mich wieder heimgefunden

zum Mutterherzen der Natur!

In ihm ist alles groß und echt,

von gut und böse unentweiht:

Schönheit ist Kraft ihm, Kraft ihm Recht,

sein Pulsschlag ist die Ewigkeit.

Wen dieser Mutter Hände leiten

vom Heut ins Ewige hinein,

der lernt den Schritt des Siegers schreiten,

und Mensch sein heißt ihm König sein!

Malererbe

Die Spanne, die nicht Träumen ist noch Wachen,

beschenkt mich oft mit seltsamen Gedichten:

Der Geist, erregt, aus Chaos Welt zu machen,

gebiert ein Heer von landschaftlichen Sichten.

Da wechseln Berge, Täler, Ebnen, Flüsse,

da grünt ein Wald, da türmt es sich granitten,

da zuckt ein Blitz, da rauschen Regengüsse,

und Mensch und Tier bewegen sich inmitten.

Das sind der Vordern fortgepflanzte Wellen,

die meinen Sinn bereitet und bereichert,

das Erbe ihrer Form- und Farbenzellen,

darin die halbe Erde aufgespeichert.

Die Nachtigall erzählt

»Gestern sah ich aus der Linde

einem Mägdlein in sein Buch.

Golden war der Blätter Rinde

und der Einband blaues Tuch.

›Der Geliebten!‹ stand emphatisch

vorn in Arabeskenschrift,

und der Sänger sang ekstatisch

von der Liebe Rausch und Gift.

Fünf mal fünfundzwanzig Seiten

und kein echter Laut und Hall –

doch dafür in jedem zweiten

Liede ich, die Nachtigall.

›Schluchzend‹, ›jubelnd‹, ›klagend‹, ›lachend‹,

wie's gerad dem Herrn zu paß. –

Leutchen, schlechte Verse machend,

wißt ihr, ich verbitt mir das! …

Und ich schlug in meiner Linde

dunkelgrünem Zauberschloß,

daß dem jungen schönen Kinde

heiß das Blut zum Herzen schoß.

Seine Hand sah ich es pressen

auf die Augen, tränenaß …

Und das Büchlein glitt, vergessen,

nieder in das hohe Gras.«

Frühling

Wie ein Geliebter seines Mädchens Kopf,

den süßen Kopf mit seiner Welt von Glück,

in seine beiden armen Hände nimmt,

so faß ich deinen Frühlingskopf, Natur,

dein überschwenglich holdes Maienhaupt

in meine armen, schlichten Menschenhände,

und, tief erregt, versink ich stumm in dich,

indes du lächelnd mir ins Auge schaust,

und stammle leis dir das Bekenntnis zu:

Vor so viel Schönheit schweigt mein tiefstes Lied.

IHR wißt und ahnt es freilich nicht,

was Gott abschwören heißt;

wie groß und traurig der Verzicht

für einen edlen Geist.

Nicht, daß die Bitten es verwarf

bedrückt ein heißes Herz,

doch daß es nicht mehr danken darf,

das ist sein tiefster Schmerz.

Gesicht

Ich sah dem Tod ins Angesicht;

ich sah nicht, daß er grinste, –

er stand in aller Sterne Licht,

sein hehres Bild verbargen nicht

phantastische Gespinste.

In seiner Linken aber hing

ein Ring durchbrochner Larven,

in denen leiser Wind sich fing,

daß es davon in Tönen ging

von vielgestimmten Harfen.

Es waren tote Sterne, die

ihm diese Gastgeschenke

wie Teile einer Harmonie

gelassen; und nun trug er sie,

als ob er ihrer denke.

Was werden wir dem Herrn der Herrn

für eine Larve sticken,

wenn wir, ein ausgebrannter Stern,

ihm einst die Schale von dem Kern

unsrer Kulturen schicken? …

Meine Kunst

Die Welt ist mein Stein,

aus dem ich mit drängendem Hammer

mir mein Grabmonument

tiefsinnig schlage.

Zu tausend Stößen

stemm ich den Meißel

gegen den harten Fels,

in Ritzen und Löcher

schütt ich den Sprengstoff

großer Gefühle.

Und doch wird es

ein Torso bleiben,

ein Block, vielbehauen

doch unvollendet …

O daß es, wenn heiße Augen

einst zu ihm aufschaun,

wie jenes pygmalionische Bild

Leben gewönne,

hinunterstiege von seinem Sockel

umarmt, umarmend,

ein segnendes Lebendiges,

ein tiefbeglückendes,

einsamen Geistern

ein Trost.

Werbe, dränge, ringe mein Stahl,

zwinge den Fels!

Vielleicht, daß doch

Baldurs Schönheit

einst sich aus ihm

erhöbe.

Inmitten der großen Stadt

Sieh, nun ist Nacht!

Der Großstadt lautes Reich

durchwandert ungehört

der dunkle Flug.

Sein stilles Antlitz

weiß um tausend Sterne.

Und deine Seele, Menschenkind? …

Bist du nicht Spiel und Spiegel

irrer Funken,

die gestern wurden,

morgen zu vergehn –

verlorst

in deiner kleinen Lust und Pein

du nicht das Firmament,

darin du wohnst –

hast du dich selber nicht

vergessen,

Mensch,

und weiß dein Antlitz noch

um Ewigkeit?

Der einsame Christus

Wachet und betet mit mir!

Meine Seele ist traurig

bis an den Tod.

Wachet und betet

mit mir!

Eure Augen

sind voll Schlafes –

könnt ihr nicht wachen?

Ich gehe,

euch mein Letztes zu geben –

und ihr schlaft …

Einsam stehe ich

unter Schlafenden,

einsam vollbring ich

das Werk meiner schwersten Stunde.

Wachet und betet mit mir!

Könnt ihr nicht wachen?

Ihr alle seid in mir,

aber in wem bin ich?

Was wißt ihr

von meiner Liebe,

was wißt ihr

vom Schmerz meiner Seele!

O einsam!

einsam!

Ich sterbe für euch –

und ihr schlaft!

Ihr schlaft!

Der Wissende

Wer einmal frei

vom großen Wahn

ins leere Aug

der Sphinx geblickt,

vergißt den Ernst

des Irdischen

aus Überernst

und lächelt nur.

Ein Spiel bedünkt

ihn nun die Welt,

ein Spiel er selbst

und all sein Tun.

Wohl läßt ers nicht

und spielt es fort

und treibt es zart

und klug und kühn –

doch lüftet ihr

die Maske ihm:

er blickt euch an

und lächelt nur.

Wer einmal frei

vom großen Wahn

ins leere Aug

der Sphinx geblickt,

verachtet stumm

der Erde Weh,

der Erde Lust,

und lächelt nur.

ZWEI TRÄUME

Der gläserne Sarg

Zwölf stumme Männer trugen mich

in einem Sarge von Kristall

hinunter an des Meeres Strand,

bis an der Brandung Rand hinaus.

So hatte ich's im Testament

bestimmt: Man bette meinen Leib

in einem Sarge von Kristall

und trage ihn der Ebbe nach,

bis sie den tiefsten Stand erreicht.

Der Sonne ungeheurer Gott

stand bis zum Gürtel schon im Meer:

An seinem Glanze tränkte sich

wollüstig noch einmal die Welt.

Ich selber lag in rotem Schein

wie ein Gebilde aus Porphyr.

Da streckte katzengleich die Flut

die erste Welle nach mir aus.

Und ging zurück und schob sich vor

und tastete am Sarg hinauf

und wandte flüsternd sich zur Flucht.

Und kam zurück und griff und stieß

und raunte lauter, warf sich kühn

darüber, einmal, vielemal.

Und blieb, und ihrer Macht gewiß,

umlief frohlockend sie mein Haus

und pochte dran und schäumte auf,

als ihrer Faust es widerstand.

Und hoch und höher wuchs und wuchs

das Wasser um mein gläsern Schloß.

Nun wankte es, als hätt ein Arm

und noch ein Arm es rauh gepackt,

und scholl in allen Fugen, als

ein Wellenberg auf ihm sich brach

und es wie ein Lawinensturz

umdröhnte und verschüttete.

Und langsam wich der nasse Sand.

Und seitlings neigte sich der Sarg.

Und, unterwühlt und übertobt,

begann er um sich selber sich

schwerfällig in die See zu drehn.

Zu mächtig, daß die Brandung ihn

zum Strand zu schleppen hätt vermocht,

vergrub er rollend sich und mich

in totenstillen Meeresgrund.

So lag ich denn, wie ich gewollt.

Und dunkle Fische zogen still

zu meinen Häupten hin und her.

Und schwarzer Seetang überschwamm

mein Grab. Und mein Bewußtsein schwand.

Der Stern

Ich träumte einmal, ich läg, ein blasser Knabe,

in einem Kahne schlafend ausgestreckt

und meiner Lider fein Geweb durchflammte

der hohen Nacht geheimnisvoller Glanz

Und all mein Innres wurde Licht und Schimmer,

und ein Entzücken, das ich nie gekannt,

durchglühte mich und hob mein Wesen

in eine höhere Ordnung der Natur.

Ein leises Tönen hielt mich hold umfangen,

als zitterte in jedem Sternenstrahl

der Ton der Heimat, die ihn hergesendet.

Ein Ton vor allen aber traf mein Herz

und ließ die andern mehr und mehr verstummen

und tat sich auseinander wie der Kelch

der Königin der Nacht und offenbarte

von seinem Grunde mir ein süßes Lied …

»Wir grüßen dich in deine stillen Nächte

als deiner Zukunft tröstliche Gewähr,

es schalten ungeheure Willensmächte

in unsrer Tage blindem Ungefähr.

Sie ziehn dich von Gestaltung zu Gestaltung,

heut schleppst du dich noch schweren Schrittes hin,

doch bald begabt dich freiere Entfaltung

mit reicherer Natur und höherm Sinn.

So wandeln wir auf leichten Tänzerfüßen,

die wir dereinst auch dein Geschick geteilt,

und dürfen dich mit einem Liede grüßen,

das dich auf Strahlen unsres Sterns ereilt.

O flüchte bald nach unsern Lustgefilden

und laß der kalten Erde grauen Dunst,

o sähst du, zu welch göttlichen Gebilden

uns schuf des Schicksals heiß ersehnte Gunst!

Auf Blumen wandeln wir wie leichter Falter,

aus Früchten saugen wir der Kräfte Saft,

uns ficht kein Elend an, zerbricht kein Alter,

der frühern Leiden lächelt unsre Kraft.

Denn allzu schön, als daß wir uns entzweiten,

erschuf uns das Gestirn, das uns gebar –

wir können uns nicht Schmerz und Not bereiten,

die Schönheit macht uns aller Feindschaft bar!

Wir lieben uns aus tiefsten Herzensgründen,

wir trinken unsres Anblicks Glück und Huld,

wir wissen nichts wie ihr von fahlen Sünden,

und keinen ängstigt das Gespenst der Schuld.

O komm! daß sich die dornenlose Rose

auch deiner Schläfe duftend schmiegen kann!

Die schönste Schwester diene deinem Lose

und schenke dich dem schönsten Mann – o komm –!«

Da unterbrach ein dumpfer Glockenton

die reinen, feinen Stimmen jener Welt.

Ich richtete mich halb im Bette auf –

und sah viel Sterne durch mein Fenster glühn …

und sank zurück. Und weiter floß die Nacht.

Vöglein Schwermut

Ein schwarzes Vöglein fliegt über die Welt,

das singt so todestraurig …

Wer es hört, der hört nichts anderes mehr,

wer es hört, der tut sich ein Leides an,

der mag keine Sonne mehr schauen.

Allmitternacht, Allmitternacht

ruht es sich aus auf dem Finger des Tods.

Der streichelt's leis und spricht ihm zu:

»Flieg, mein Vögelein! flieg, mein Vögelein!«

Und wieder fliegt's flötend über die Welt.

IN einer Dämmerstunde wars einmal, daß mir

der Tod aus meines Spiegels Grund entgegensah,

ein junger Mann, gleich mir an Angesicht und Wuchs.

»Ich fürchte Dich, mein großer Schatten, nicht«, sprach ich.

»Du hast mich allzu früh mit Dir vertraut gemacht.

Ich weiß, Du wirst mir nie im Schrecken nahn, noch je

das Antlitz dem verzerm, auf dessen klarer Stirn

der stille Glanz gelassenen Sich-Bescheidens wohnt.

Du wirst mir einst als Bruder kommen, nicht als Feind.«

ZWEI ELEMENTARPHANTASIEN

I

Meeresbrandung

 Warrrrrrrte nur …

wie viel schon riß ich ab von dir

seit den Äonen unsres Kampfs –

 warrrrrrrte nur …

wie viele stolze Festen wird

mein Arm noch in die Tiefe ziehn –

 warrrrrrrte nur …

zurück und vor, zurück und vor –

und immer vor mehr denn zurück –

 warrrrrrrte nur …

und heute mild und morgen wild –

doch nimmer schwach und immer wach –

 warrrrrrrte nur …

umsonst dein Dämmen, Rammen, Baun,

dein Wehr zerfällt, ich habe Zeit –

 warrrrrrrte nur …

wenn erst der Mensch dich nicht mehr schützt –

wer schützt, verloren Land, dich dann?

 warrrrrrrte nur …

mein Reich ist nicht von seiner Zeit:

er stirbt, ich aber werde sein –

 warrrrrrrte nur …

und will nicht ruhn, bis daß du ganz

in meinen Grund gerissen bist –

 warrrrrrrte nur …

bis deiner höchsten Firnen Schnee

von meinem Salz zerfressen schmilzt –

 warrrrrrrte nur …

und endlich nichts mehr ist als Ich

und Ich und Ich und Ich und Ich –

 warrrrrrrte nur …

II

Die Flamme

»So sterben zu müssen –

auf einer elenden Kerze!

Tatenlos, ruhmlos

im Atemchen

eines Menschleins

zu enden! …

Diese Kraft,

die ihr alle nicht kennt –

diese grenzenlose Kraft!

Ihr Nichtse! …

Komm doch näher,

du schlafender Kopf!

Schlummer,

der du ihn niederwarfst –

ruf doch dein Brüderlein Tod –

er soll ihn mir zuschieben –

den Lockenkopf –

ich will ihn haben – haben!

Sieh,

wie ich ihm entgegenhungre!

Ich renke mir alle Glieder

nach ihm aus …

ein wenig noch näher –

näher –

ein wenig –

so –

jetzt vielleicht –

wenn's glückt –

ah! du Hund!

Er will erwachen?

still –

still –

so ist's noch besser!

Der Pelz am Mantel –

der Pelz – der Pelz –

hinüber – hinüber –

ah! faß ich dich – hab ich dich –

hab ich dich, Brüderchen –

Pelzbrüderchen, hab ich dich – ah!

Hilft dir nichts –

wehr dich nicht mehr!

Mein bist du jetzt –

Hand weg!

Wasser weg!

Mein bist du jetzt!

Wasser weg!

Wart, da drüben ist

auch noch für mich –

so –

den Vorhang hinauf –

fängst mich nicht mehr –

Tuch – Tuch –

jetzt bin ich Herr!

Siehst du, jetzt breit ich mich

ganz gemächlich im Zimmer aus –

laß doch den Wasserkrug!

Laß doch das Hilfgeschrei!

Bis sie kommen,

bin ich schon längst

in den Betten und Schränken –

und dann könnt ihr nicht mehr herein –

und ich beiß in die Balken der Decke –

die dicken, langen, braunen Balken –

und steig in den Dachstuhl –

und vom einen Dachstuhl –

zum andern Dachstuhl –

und irgendwo –

werd ich wohl Stroh finden

und Öl finden

und Pulver finden –

das wird eine Lust werden!

Das wird ein Fest werden!

Und wenn ich die Häuser alle zernichtet –

dann wollen wir mit Wäldern

die Fische in den Flüssen kochen –

und ich will euch hinauftreiben

auf die kältesten Berge –

und da droben

sollt auch ihr meine Opfer werden,

sollt ihr meine Todesfackeln werden –

und dann wird alles still sein –

und dann –«

Kleine Geschichte

Litt einst ein Fähnlein große Not,

halb war es gelb, halb war es rot,

und wollte gern zusammen

zu einer lichten Flammen.

Es zog sich, wand sich, wellte sich,

es knitterte, es schnellte sich –

umsonst! es mocht nicht glücken

die Naht zu überbrücken.

Da kam ein Wolkenbruch daher

und wusch das Fähnlein kreuz und quer,

daß Rot und Gelb, zerflossen,

voll Inbrunst sich genossen.

Des Fähnleins Herren freilich war

des Vorgangs Freudigkeit nicht klar –

indes, die sich besaßen,

nun alle Welt vergaßen.

Anmutiger Vertrag

Auf der Bank im Walde

han sich gestern zwei geküßt.

Heute kommt die Nachtigall

und holt sich, was geblieben ist.

Das Mädchen hat beim Scheiden

die Zöpfe neu sich aufgesteckt …

Ei, wie viel blonde Seide da

die Nachtigall entdeckt!

Den Schnabel voller Fäden,

kehrt Nachtigall nach Haus

und legt das zarte Nestchen

mit ihrem Golde aus.

Freund Nachtigall, Freund Nachtigall,

so bleib's in allen Jahren! –:

Mir werd ein Schnäblein voll Gesang,

dir eins voll Liebchens Haaren!

Das Häuschen an der Bahn

Steht ein Häuschen an der Bahn,

hoch auf grünem Hügelplan.

Tag und Nacht, in schnellem Flug,

braust vorüber Zug um Zug.

Jedesmal bei dem Gebraus

zittert leis das kleine Haus –:

»Wen verläßt, wen sucht auf

euer nimmermüder Lauf?«

»O nehmt mit, o bestellt,

Grüße an die weite Welt!«

Rauch, Gestampf, Geroll, Geschrill …

Alles wieder totenstill.

Tag und Nacht dröhnt das Gleis.

Einsam Häuschen zittert leis.

Der Urton

Fernher schwillt

eines Dudelsacks

einförmig-ewigwechselnde

Melodie:

Unaufhörlich

hebt und senkt sich

über dem Urton

ihr unerfaßliches Spiel.

. . . . . . . . . . . .

Auf dem ehernen Tische

Unendlichkeit

liegt unermeßlicher Sand gebreitet.

Da streicht ein Bogen

die Tafel an:

Einen Ton

schwingt und klingt

die fiebernde Fläche.

Und siehe!

Der Sand

erhebt sich und wirbelt

zu tausend Figuren.

Aus ihnen,

den tanzenden

tönenden

glühenden

schlingen sich Tänze,

binden sich Chöre,

winden sich Kränze,

umringen sich,

fliehen sich,

finden sich wieder.

Aber das Spiel

der Formen, Farben und Töne

durchbrummt

unaufhörlich,

beherrscht

fürchterlich – unerfaßlich

der tiefe Urton.

. . . . . .

fern verschwillt

des Dudelsacks

einförmig-ewigwechselnde

Melodie.

Dorf, Wald, Welt

versinkt mir

schweigend in Nacht.

Der einsame Turm

Wer laut von diesem längst verlassnen Turm

der Tannen Ringwald überrufen wollte,

und trüge, was er riefe, stärkster Sturm,

er ahnte, daß es nie sein Ziel errollte.

So einsam steigt der alte Bau empor;

er fühlte Fürsten einst auf seinen Stufen,

bis, dunkler Taten schauerlich verrufen,

sein stiller Reiz der Menschen Gunst verlor.

Nur, daß von Jägern sich zuweilen wer

vorbei verirrt, von wanderfrohen Seelen,

von Bettelpack, und wer die Kreuz und Quer

den Forst durchschleicht, sich Holz und Wild zu stehlen;

nur, daß an seinem Fuß zuweilen sich,

wie heut, Zigeunervolk sein Reisig schichtet

und mit der Bogen wehmutwildem Strich

sein Weltweh in den fremden Frieden dichtet.

In allen Kronen hängt noch goldner Glanz …

Die Sonne säumt noch, ihren Tag zu enden …

Der Söllerblöcke halb zerfallnen Kranz

umlodert noch ihr scheidendes Verschwenden.

Und aus dem Purpur schwillt es wie ein Born,

ein Strom von Tönen –: Abends erst Erschauern

erregt des Turms uraltes Äolshorn,

der Sonne nachzujauchzen, nachzutrauern.

Die Heimatlosen drunten horchen auf – –

und einer nimmt die Geige von den Knieen

und strebt mit manchem jähen Sprung und Lauf

des Winds Gesang phantastisch zu durchziehen.

Und wie so Wind und Seele sich verweben,

erwachen mehr und mehr der treuen Geigen.

Ein aller Leidenschaften schluchzend Leben

erstürmt des Himmels immer tiefres Schweigen.

Gefangen folgt zuletzt die ganze Schar

der Windposaune wunderlichen Launen.

Nun rast es tollkühn, unberechenbar …

Nun stockt es wie in fragendem Erstaunen …

O Sonne! Sonne! Mutter! Mutter! flehen,

verzweifeln, weinen, drohen all die Stimmen und

drohn und flehn in immer bangren Wehen,

je mehr des Tages Brände rings verglimmen.

Doch droben – seht ihr? die Zigeunerin!

Entstahl sie sich dem Kreis der braunen Söhne?

Wo kam sie her, das Weib? Wie kam sie hin?

Wie wächst sie hoch in schattenhafter Schöne!

Und hört ihr – hört! wie ihre Lippen singen –

ein Lied, das endlich alles überwindet,

in sich die andren Stimmen alle bindet,

damit Natur und Menschheit sie umklingen.

Es ist das tiefe Lied der Einsamkeit,

das Königslied der großen Ungekrönten,

das Klagelied der würdelosen Zeit,

das Trutzlied aller nur mit sich Versöhnten,

und ist der Weisheit gütiger Gesang,

des Willens jungendewiges. »Es werde!«,

der Liebe Durst und Pein und Überschwang;

es ist das Schicksals-Hohelied der Erde.

Der Wald ward still. Kein Hauch im Wipfelschweigen.

Der Sterne Chor bewegt sich klar herauf …

Und schlanke Leiber, edle Häupter zeigen

sich hoch vom Turme seinem ersten Lauf.

Die überall Verstoßenen, sie wohnen

in der Unendlichkeit azurnem Zelt –:

Um ihre Stirnen brennen bleiche Kronen,

und ihre Seelen sind der Sinn der Welt.

Geier Nord

Der Geier Nord fliegt übern Wald,

in einen grauen Sack gekrallt,

er hat nicht leicht zu tragen.

Er fliegt zu niedrig ob der Erd',

die Fichten drohen ihm Gefährd',

die dort so spitzig ragen.

Da … schon … da hängt das Wolkentuch!

Hörst du des Geiers grausen Fluch?

Er muß es fahren lassen:

Und aus dem aufgerißnen Sack

spreun lustig sich auf Tann und Hag

Frau Holles weiße Massen.

Erdmännlein halten hohle Hand

und schmücken mit dem Glitzer-Tand

laut kichernd ihre Weiblein.

Die stelzen hoch daher, doch weh!

schon schmelzen die Geschmeid' aus Schnee,

und naß sind alle Leiblein.

Am Himmel kommt der Nord zurück

mit einem neuen Wolkenstück –

doch wieder bleibt es hängen.

Wenn das so fort geht –, Leutlein, rennt

nach Haus, sonst wird das Element

euch ernstlich noch bedrängen!

Das Völklein läuft. Der Geier gibts

voll Trotz nicht auf – unendlich stiebts

aus aufgespießten Säcken.

Den ganzen Tag, die ganze Nacht …

Wohl tausend Stück, von ihm gebracht,

den Waldgrund nun bedecken.

Künstlerideal

O tiefe Sehnsucht, die ich habe,

erfülltest du dich einst einmal,

daß ich nach dieses Lebens Grabe

mich wiederfänd in Lust und Qual –

in einem neuen Künstlerwerden,

in einem Gott des Tons, des Steins …

daß ich in ewigen Gebärden

so webte am Gewand des Scheins.

Ob Not und Leid des Schöpfers Lose,

nur Schöpfer sein bedünkt mich wert;

aus bittren Dornen flammt die Rose,

nach der mein ganzes Blut begehrt.

Oh, immer neu mit vollen Händen,

der Schönheit Meister, aufzustehn,

von Welt zu Welt, mit hehren Bränden,

ein unbekannter Gott, zu gehn!

Krähen bei Sonnenaufgang

Noch flieht der Blick des jungen Tags

der Berge nebelgraue Gipfel,

und schon entschwebt, gemeßnen Schlags,

die erste Krähe ihrem Wipfel.

Der schwankt, befreit von schwerer Last,

daß rings die Zweige sich bewegen:

Fahlsilbern sprüht von Ast zu Ast

des Frühtaus feiner Flüsterregen.

Doch eh sein Flüstern noch erstickt,

enttönt ein »Krah« dem stillen Raume:

Der Vogel hat am Wolkensaume

das erste blasse Rot erblickt.

Auf allen Wipfeln wacht es auf

und schüttelt sich und ruft nach Taten …

In lautem Streiten und Beraten

erhebt sich endlich Hauf um Hauf.

Nur zwei Gewitzte warten schlau,

bis alles nach und nach verstoben,

sie wissen einen nahen Bau,

den gestern Jäger ausgehoben.

Ein Käuzleinflügel harrt hier noch,

die Kecken lecker zu belohnen –:

das Paar umkreist erregt das Loch …

Braungolden glänzt das Meer der Kronen …

Eins und alles

Meine Liebe ist groß

wie die weite Welt,

und nichts ist außer ihr,

wie die Sonne alles

erwärmt, erhellt,

so tut sie der Welt von mir!

Da ist kein Gras,

da ist kein Stein,

darin meine Liebe nicht wär,

da ist kein Lüftlein

noch Wässerlein,

darin sie nicht zög einher!

Da ist kein Tier

vom Mücklein an

bis zu uns Menschen empor,

darin mein Herze

nicht wohnen kann,

daran ich es nicht verlor!

Meine Liebe ist weit

wie die Seele mein,

alle Dinge ruhen in ihr,

sie alle, alle,

bin ich allein,

und nichts ist außer mir!

Der alte Steinbruch

Tief im Walde, tief im Walde

bildet, fern der Wege Reich,

eines Bruchs verlaßne Halde

einen kleinen, stillen Teich.

Moosbewachsne Blöcke

ragen aus der seichten Regenflut,

Falter und Libellen jagen

über bunter Lurche Brut.

Aber wenn im Abendbrande

hinterm Wald die Glut verraucht,

stößt und rudert es vom Rande,

kriecht und klettert, plumpst und taucht.

Und der Unken Urgroßahne

– niemand weiß, wann Gott ihn schuf –

ruft, daß er sein Weibchen mahne,

seinen dunklen Werberuf.

Daß das Froschgeschlecht nicht sterbe,

bleibt zuletzt nicht einer still:

Denn der Tümpel ist ein Erbe,

das getreu gewahrt sein will.

Liebeskranke Grunzer fliehen

der bewegten Weibchen Schlund;

immer kühnre Harmonieen

füll'n den dämmertrauten Grund.

Bis des Mondes Goldhorn endlich

neuen Schimmers alles speist:

Nun erwahrt sich unabwendlich

trunkner Nächstenliebe Geist …

Tief im Walde, tief im Walde

schwärmt Froschbräutigam und -braut

in versteckter Steinbruchhalde,

bis der letzte Stern ergraut.

An die Wolken

Und immer wieder,

wenn ich mich müde gesehn

an der Menschen Gesichtern,

so vielen Spiegeln

unendlicher Torheit,

hob ich das Aug

über die Häuser und Bäume

empor zu euch,

ihr ewigen Gedanken des Himmels.

Und eure Größe und Freiheit

erlöste mich immer wieder,

und ich dachte mit euch

über Länder und Meere hinweg

und hing mit euch

überm Abgrund Unendlichkeit

und zerging zuletzt

wie Dunst,

wenn ich ohn Maßen

den Samen der Sterne

fliegen sah

über die Äcker

der unergründlichen Tiefen.

Der freie Geist

Oh, das ist Glück, wenn so zerschlagen

die Welt zu deinen Füßen liegt;

wohin dich deine Flügel tragen,

ist aller Raum und Zeit besiegt.

Du schnellst dich tanzend durch die Weiten

und lachst der Menschen Wert und Wort,

ein Stück Natur aus Ewigkeiten,

selbst Urteil, Stunde, Maß und Ort.

Geheime Verabredung

Glühend zwischen dir und mir

Julinächte brüten;

gleiche Sterne dort und hier

unsern Schlaf behüten.

Wähl das schönste Sternelein,

will das gleiche tuen; –

morgen droben Stelldichein

auf geheimen Schuhen.

Gibst du nur nichts anderm Raum,

als mich dort zu finden,

wird ein gleicher süßer Traum

dich und mich verbinden.

Auf dem Strome

Am Himmel der Wolken

erdunkelnder Kranz …

Auf schauerndem Strome

metallischer Glanz …

Die Wälder zu seiten

so finster und tot …

Und in flüsterndem Gleiten

vorüber mein Boot …

Ein Schrei aus der Ferne –

dann still wie zuvor …

Wie weit sich von Menschen

mein Leben verlor! …

Eine Welle läuft leise

schon lang nebenher,

sie denkt wohl, ich reise

hinunter zum Meer …

Ja, ich reise, ich reise,

weiß selbst nicht wohin …

Immer weiter und weiter

verlockt mich mein Sinn …

Schon kündet ein Schimmer

vom morgenden Rot –

und ich treibe noch immer

im flüsternden Boot.

Bestimmung

Von dieser Bank hinauszuträumen,

wenn ferner Erdsaum, lichtverwaist,

entgegen den gestirnten Räumen

die Sonne dampfend überkreist! …

Da fühle deine treue Erde,

wie sie ihr Weltwerk schafft und schafft,

daß jedes Land gesegnet werde

von ihrer Mutter trunkner Kraft!

Und wie du heiß die Arme breitest,

von mächtigem Gefühl erfaßt,

und dein Gemüt zur Menschheit weitest,

die dumpf und dunkel liebt und haßt –

ergreifst du, was du bist, von ferne,

und, was du darfst, und, was du mußt,

und wirst dir deiner guten Sterne

von neuem still und stolz bewußt.

Gebet

O Friede, der nun alles füllet,

erfüll auch uns mit süßer Ruh,

und bis ein Tag sich neu enthüllet,

deck uns mit trauten Träumen zu.

Wie manches, was des Tages Wille

mit rechter Klarheit nicht ergreift,

dem hilf, daß es in deiner Stille

zu freundlicher Vollendung reift!

Wen Schicksalsschläge grausam trafen,

den laß vergessen, was geschehn;

wer neid- und haßerfüllt entschlafen,

den laß versöhnt den Morgen sehn!

So allem, dem gleich uns auf Erden

zuteil des Lebens schwankes Los,

laß deines Segens Tiefe werden,

gib Kraft aus deinem heiligen Schoß!

Stilles Reifen

Alles fügt sich und erfüllt sich,

mußt es nur erwarten können

und dem Werden deines Glückes

Jahr und Felder reichlich gönnen.

Bis du eines Tages jenen

reifen Duft der Körner spürest

und dich aufmachst und die Ernte

in die tiefen Speicher führest.

GLÜCKLICH, die wir auf der Zeiten

Wasserscheide noch geboren,

zwiefach Rauschen in den Ohren,

zweier Welten Grenze schreiten –

Ruhend an den Quellentoren

dunkelnder Vergangenheiten,

in der Zukunft Morgenbreiten

großen Auges nun verloren.

Dort der Kindheit Seligkeiten …

Götterträume, vielbeschworen …

Bräuche, die Millionen weihten …

Hier, noch fern in Rosenfloren,

neuer Erde Sichbereiten …

Völker, neuem Kampf erkoren.

Nomen – Omen

Ward ich, Brüder, wohl geschaffen,

euch mit Licht zu kränzen,

eure Fahnen, eure Waffen

silbern zu beglänzen?

Ja, von jenem Frühgestirne,

das die Morgenwandrer kennen,

fühl ich mir in Herz und Hirne

einen Funken brennen.

In der Zeitnachtnebel Brauen

laßt mich euch vom Tage künden –

Seht, das ungeheure Grauen

will sich schon entzünden!

WOHL kreist verdunkelt oft der Ball;

doch über den paar Wolken droben,

da blaut das sterndurchtanzte All

und läßt sich von den Göttern loben.

Die liegen auf den Wolkenbergen,

wie Hirten einer Fabelwelt,

und wissen kaum von all den Zwergen,

die das Gebirg im Schoße hält.

Sie lachen mit den weißen Zähnen

den Göttern andrer Sterne zu –.

Komm, Bruder, laß die leeren Tränen,

wir sind auch Götter, ich und du!

Dunkle Gäste

Was willst du, Vogel mit der müden Schwinge –

du pochst umsonst der Seele Glasvisier;

du willst, daß ich dein Lied der Klage singe,

ich aber will, du sterbest außer mir.

Sieh, in mir ist es wie ein Turm am Meere,

der seine Flammen in die Ferne brennt,

daß manches Tier aus all der dunklen Leere

ihm zuschwebt übers schwanke Element.

Allein umsonst: An seinen starken Scheiben

erlahmt der dunklen Gäste kranke Sucht. –

Sieh, meine Flammen wollen golden bleiben,

sie sind kein Herd für trüber Wandrer Flucht.

Begegnung

Wir saßen an zwei Tischen – wo? – im All …

Was Schenke, Stadt, Land, Stern – was tut's dazu!

Wir saßen irgendwo im Reich des Lebens …

Wir saßen an zwei Tischen, hier und dort.

Und meine Seele brannte: Fremdes Mädchen,

wenn ich in deine Augen dichten dürfte –

wenn dieser königliche Mund mich lohnte –

und diese königliche Hand mich krönte –!

Und deine Seele brannte: Fremder Jüngling,

wer bist du, daß du mich so tief erregest –

daß ich die Kniee dir umfassen möchte –

und sagen nichts als: Liebster, Liebster, Liebster –!

Und unsre Seelen schlugen fast zusammen.

Doch jeder blieb an seinem starren Tisch –

und stand zuletzt mit denen um ihn auf –

und ging hinaus – und sahn uns nimmermehr.

WER doch den trüben Wahn erfunden,

daß keine Seele glücklich sei!

Ich war's, ich bin's! in reichen Stunden

von aller kleinen Trübsal frei.

Nicht wahrlich, da mit heisrem Atem

die Menge mir den Weg verbellt, –

doch nun Suleika sich und Hatem

mit goldnen Liedern mir gesellt.

Nun, da Natur mich treu umbreitet

mit Tannen, hehr wie Hafis' Geist,

und drüber mir die Blicke weitet,

bis, wo der letzte Fels vereist.

Wie sollt ich da nicht Mensch sein mögen,

ein weltverleumderischer Tropf!

So gern sie auch herunter bögen

den heitren, hochgemuten Kopf.

WIE kann ein Tag voll so viel Schmerz

so wunderherrlich enden,

ein Abend an mein einsam Herz

so reiches Glück verschwenden!

O Mund entflammt, o Aug entfacht

in schauerndem Begegnen!

O aller Wunder holde Nacht,

wie magst du so mich segnen!

Leise Lieder

Leise Lieder sing ich dir bei Nacht,

Lieder, die kein sterblich Ohr vernimmt,

noch ein Stern, der etwa spähend wacht,

noch der Mond, der still im Äther schwimmt;

denen niemand als das eigne Herz,

das sie träumt, in tiefer Wehmut lauscht,

und an denen niemand als der Schmerz,

der sie zeugt, sich kummervoll berauscht.

Leise Lieder sing ich dir bei Nacht,

dir, in deren Aug mein Sinn versank,