»Und dies hier,« sagte der Bakteriologe, eine kleine Glasscheibe unter das Mikroskop schiebend, »ist ein Präparat des berühmten Cholerabazillus – der Cholerakeim.«
Der blaßgesichtige Mann blickte in das Mikroskop. Er war augenscheinlich nicht an derartige Dinge gewöhnt und hielt eine schlaffe, weiße Hand über sein eines, unbeschäftigtes Auge. – »Ich sehe recht wenig,« sagte er.
»Drehen Sie hier an der Schraube,« sagte der Bakteriologe. – »Vielleicht ist das Mikroskop nicht richtig eingestellt für Sie. Nur den Bruchteil einer Drehung nach rechts oder links ...«
»Ah! Jetzt sehe ich!« sagte der Besucher. – »Nicht besonders viel zu sehen übrigens. Kleine Streifchen und Fetzchen Rosa. Und doch könnten diese kleinen Partikelchen, diese bloßen Atomchen; sich vervielfältigen und eine ganze Stadt verwüsten! Wundervoll!«
Er richtete sich auf, zog das Glasplättchen aus dem Mikroskop und hielt es gegen das Fenster. – »Kaum sichtbar,« sagte er, das Präparat äußerst genau betrachtend. Er zögerte. – »Sind sie – lebendig? Sind sie gefährlich – so?«
»Diese hier sind getötet und gefärbt,« sagte der Bakteriologe. »Was mich betrifft, so wünschte ich, wir könnten jedes einzelne von diesen Dingern im ganzen Weltall töten und färben!«
»Ich vermute,« sagte der Blaßgesichtige mit einem leichten Lächeln, »Sie werden sich nicht gerade drum reißen, derartige Dinger im lebenden – ich meine, im aktiven Zustand um sich zu haben?«
»Im Gegenteil – wir sind dazu gezwungen,« sagte der Bakteriologe. – »Hier zum Beispiel« – – er ging durchs Zimmer und nahm von einem Haufen versiegelter Tuben eine in die Hand. – »Das da ist die Sache in lebender Verfassung. Eine Kultur von wirklichen lebenden Krankheitsbazillen.« Er zögerte. – »Auf Flaschen gezogene Cholera, sozusagen.«
Ein schwaches Aufleuchten der Befriedigung zeigte sich eine Sekunde lang im Gesicht des blassen Mannes. – »Eine gefährliche Sache – so um sich zu haben!« sagte er, die kleine Tube mit den Augen verschlingend. Der Bakteriologe beobachtete die krankhafte Erregtheit im Ausdruck seines Besuchers. Dieser Mann, der ihn heute nachmittag mit einem kurzen Empfehlungsschreiben eines alten Freundes aufgesucht hatte, interessierte ihn schon allein durch den Gegensatz ihrer beiderseitigen Veranlagungen. Das schlichte schwarze Haar und die tiefen grauen Augen, der hagere Ausdruck und das nervöse Wesen, das sprunghafte und doch so scharfe Interesse seines Gastes bildeten eine ganz neue Abwechslung gegenüber den phlegmatischen Bemerkungen des gewöhnlichen wissenschaftlichen Arbeiters, der den hauptsächlichen Verkehr des Bakteriologen bildete. Es war vielleicht nur natürlich, angesichts eines Zuhörers, auf den die tödliche Bedeutung des Gegenstands so augenscheinlich starken Eindruck machte, die Sache im wirkungsvollsten Licht darzustellen ...
Er hielt nachdenklich die Tube in der Hand. – »Ja, hier drin ist die Pestilenz gefangen. Man braucht nur solch eine kleine Tube über einer Quantität Trinkwasser zu zerbrechen – braucht nur zu diesen winzigen Lebenspartikelchen, die man erst färben und mit zur äußersten Schärfe eingestelltem Mikroskop untersuchen muß, um sie überhaupt zu sehen, und die weder Geruch noch Geschmack haben, ich sage, man braucht nur zu ihnen zu sagen: Gehet hin, vermehrt euch, vervielfältigt euch, füllt die Brunnen – und der Tod – ein geheimnisvoller, unaufspürbarer Tod, ein plötzlicher und furchtbarer, grimmiger Tod voller Schmerzen und Würdelosigkeit wäre losgelassen auf diese Stadt und würde umherziehen und seine Opfer suchen. Den Gatten würde er von der Gattin reißen, das Kind von der Mutter, den Staatsmann von seiner Arbeit, den Arbeiter von seiner Mühsal. Er würde den Wasserleitungen folgen, würde die Straßen entlang schleichen, da ein Haus auswählen und heimsuchen, und dort ein anderes, wo sie ihr Trinkwasser nicht abkochten, er würde in die Brunnen der Mineralwasserfabrikanten schleichen, in den Salat hineingewaschen werden und im Eis und Gefrorenen auf der Lauer liegen. In den Pferdetrögen würde er liegen und schlummern und in den öffentlichen Brunnen darauf warten, daß sorglose Kinder ihn tränken. Er würde in die Erde sickern, um an tausend unvermuteten Orten in Brunnen und Quellen wieder aufzutauchen. Bloß in die Wasserleitung brauchte man ihn zu gießen – und noch eh' man ihn ankündigen oder wieder einfangen könnte, hätte er die Hauptstadt schon dezimiert.«
Er hielt plötzlich inne. Man hatte ihm schon öfter gesagt, Rhetorik sei seine schwache Seite.
»Aber hier ist er sicher verwahrt, sehen Sie – ganz sicher verwahrt!« Der blaßgesichtige Mann nickte. Seine Augen funkelten. Er räusperte sich. – »Die Anarchisten, diese Schufte, sagte er, sind doch Narren – blinde Narren, daß sie mit Bomben arbeiten, wenn sie derartige Dinge haben könnten! Ich glaube – –«
Ein sanftes Klopfen ließ sich an der Tür vernehmen. Der Bakteriologe öffnete. – »Nur eine Minute, Schatz!« flüsterte seine Frau. Als er wieder im Laboratorium erschien, sah sein Besucher eben nach der Uhr. – »Ich hatte keine Ahnung, daß ich Ihnen eine ganze Stunde Ihrer Zeit geraubt habe!« sagte er. – »Zwölf Minuten bis vier. Um halb vier hätte ich eigentlich wegmüssen. Aber Sie haben wirklich zu viel Interessantes hier. Nein, wirklich, ich darf mich keinen Augenblick länger aufhalten. Um vier Uhr hab' ich eine Verabredung.«
Und unter wiederholten Dankesäußerungen verließ er das Zimmer. Der Bakteriologe begleitete ihn bis an die Tür und kehrte dann durch den Korridor nachdenklich ins Laboratorium zurück. Er sann über die Ethnologie seines Gastes nach. Auf alle Fälle war der Mann kein germanischer Typ und auch kein gewöhnlicher romanischer. – »Ein krankhaftes Produkt unter allen Umständen fürchte ich!« sagte der Bakteriologe zu sich selber. – »Wie gierig er die Kulturen von Krankheitskeimen anstierte!« Ein beunruhigender Gedanke kam ihm plötzlich. Er wandte sich zu der Bank neben dem Dampfbad und darauf hastig seinem Schreibtisch zu. Dann befühlte er eilig seine Taschen und stürzte nach der Tür.
»Vielleicht habe ich es auf den Korridortisch gelegt!« sagte er.
»Minnie!« rief er im Korridor mit heiserer Stimme.
»Ja, Schatz!« klang es von fern.
»Hab' ich was in der Hand gehabt, als ich eben mit dir sprach, Schatz?« – Pause.
»Nichts, Schatz. Ich weiß noch – –«
»Hölle und Teufel!« schrie der Bakteriologe, schoß wie der Blitz zur Haustür hinaus und die Stufen hinunter auf die Straße.
Minnie, als sie die Tür heftig zuschlagen hörte, lief erschrocken ans Fenster. Ganz unten auf der Straße stieg soeben ein schlanker Mann in eine Droschke. Der Bakteriologe, ohne Hut, in gestickten Morgenschuhen, rannte wild gestikulierend auf diese Gruppe zu. Er verlor einen Pantoffel, aber er sah sich nicht darnach um. – »Er ist verrückt geworden!« sagte Minnie. – »Natürlich, seine greuliche Wissenschaft!« Sie öffnete das Fenster und wollte ihm nachrufen. Dem schlanken Mann, der sich plötzlich umsah, schien ebenfalls der Gedanke an Geistesgestörtheit zu kommen. Er deutete hastig auf den Bakteriologen, sagte etwas zu seinem Kutscher, die Tür der Droschke flog zu, die Peitsche knallte, die Hufe des Pferdes klapperten, und in einem Moment hatten die Droschke und der sie leidenschaftlich verfolgende Bakteriologe das Ende der Straße erreicht und waren um die Ecke verschwunden.
Minnie starrte noch eine Minute regungslos aus dem Fenster. Dann zog sie den Kopf zurück. Sie war völlig betäubt. – »Nun ja, exzentrisch ist er ja,« überlegte sie. – »Aber so in London herumstürzen – mitten in der Hochsaison – in Socken – –!« Ein glücklicher Gedanke kam ihr. Sie setzte hastig ihren Hut auf, ergriff ihres Mannes Stiefel, ging in den Korridor, nahm seinen Hut und einen leichten Überzieher vom Kleiderständer, trat vor die Haustür und rief eine Droschke an, die zum Glück eben vorüberkroch. – »Die Straße hinunter und um Havelock Crescent – und sehen Sie zu, ob wir einen Herrn finden, der in einem Sammetjackett und ohne Hut dort herumläuft.«
»Sammetjackett und ohne Hut, gnä' Frau. Schön, gnä' Frau!« Und der Kutscher trieb sein Pferd so gleichmütig an, als führe er sein Lebenlang jeden Tag nach dieser Adresse.
Wenige Minuten später ward die kleine Gruppe von Droschkenkutschern und Müßiggängern an der Droschkenhaltestelle bei Haverstock Hill durch eine in wütender Fahrt einherrasselnde Droschke mit einer ingwerfarbenen Schindmähre von einem Gaul aufgescheucht.
Während sie vorüberfuhr, waren alle stumm. Dann – als sie entschwand – sagte ein stämmiger Biedermann, der unter dem Namen »Das alte Tuthorn« ging:
»Harry Hicks war das. Was hat denn der für 'ne Fuhre?«
»Der führt heut' seine Peitsche gut, Donnerwetter!« sagte der Laufbursche von der nächsten Kneipe.
»Holla!« rief der arme alte Tommy Byles. – »Da kommt noch so'n verrücktes Huhn an! Kuckuck noch mal!«
»Das ist der alte George,« sagte das Tuthorn. »Und hat auch 'nen Verrückten – du hast's erraten! Was? Klettert der Kerl nicht aus der Droschke raus? Ob er hinter Harry Hicks her ist, was?«
Die Gruppe auf dem Droschkenhalteplatz belebte sich. Chorus: »Drauf George!« »Immer los!« »Du kriegst ihn schon!« »Flott, voran!«
»Feines Rennpferd!« sagte der Laufbursche.
»Da soll aber doch gleich ... schrie das alte Tuthorn. »Aufgepaßt! Jetzt tu' ich bald selber noch mit! Da kommt noch einer! Sind denn alle Droschken in ganz Hampstead heut' morgen übergeschnappt?«
»Ein weibliches Lebewesen, diesmal!« sagte der Laufbursche.
»Lauft hinter ihm drein,« sagte das alte Tuthorn. »Sonst ist's gewöhnlich anders rum.«
»Was hat sie denn in der Hand?«
»Sieht fast aus wie ein Böller.«
»So ein verfluchter Ulk! Drei gegen einen – und alle hinter George her!« sagte der Laufbursche. »Da!«
Unter einem wahren Sturm von Applaus fuhr jetzt Minnie vorüber. Angenehm war es ihr gerade nicht; aber sie war sich bewußt, ihre Pflicht zu erfüllen, und ratterte Haverstock Hill hinunter und Camden Town High Street hinauf ... immer die Blicke inbrünstig auf die ausdrucksvolle Hinterfront des alten George gerichtet, der ihr landstreicherisches Ehegespons auf so unbegreifliche Weise entführte ...
Der Mann in der vordersten Droschke saß zusammengekauert in einer Ecke; die Arme hatte er eng übereinandergepreßt; die kleine Tube, die so ungeheure Vernichtungsmöglichkeiten enthielt, krampfhaft in die Hand geklammert. Ihm war ganz eigentümlich angstvoll und frohlockend zumute. In der Hauptsache hatte er Furcht, man könnte ihn einholen, eh' er seine Absicht ausgeführt hatte; dahinter aber lauerte ein unbewußtes, aber weit größeres Entsetzen vor der Grauenhaftigkeit seines Verbrechens. Aber das Frohlocken überwog doch bei weitem die Furcht. Noch kein Anarchist hatte sich vor ihm an diesen Gedanken gewagt. Ravachol, Vaillant, all die hervorragenden Persönlichkeiten, die er immer um ihren Ruhm beneidet hatte, schrumpften zu nichts zusammen neben ihm! Er brauchte nichts als die Wasserleitung zu suchen und die kleine Tube über einem Reservoir zu zerbrechen. Wie wundervoll er doch das alles geplant – das Empfehlungsschreiben gefälscht, sich in das Laboratorium eingeschlichen, und wie glänzend er auch gleich die Gelegenheit beim Schopf ergriffen hatte! Endlich, endlich würde die Welt von ihm hören! Tod, Tod, Tod! Immer hatten sie ihn behandelt wie einen, der nichts Besonderes zu sagen hatte. Die ganze Welt hatte sich verschworen, ihn drunten zu halten. Aber er würde sie schon noch lehren, es ihnen schon noch zeigen, was das heißt: einen Menschen so beiseite schieben! Was war denn das für eine wohlbekannte Straße? Great Saint Andrews Street – natürlich! Und wie stand es überhaupt? Er lugte vorsichtig aus dem Droschkenfenster. Der Bakteriologe war kaum fünfzig Schritte hinter ihm. Das war schlimm. Man würde ihn vielleicht doch noch erwischen und anhalten. Er suchte in seinen Taschen nach Geld und fand auch ein Goldstück. Das warf er durch die Luke vorn dem Kutscher zu. »Schneller!« rief er. »Bloß weiter – fort!« Das Geldstück verschwand augenblicklich aus seiner Hand. »Jawohl!« sagte der Kutscher, und das Fenster flog wieder zu und die Peitsche sauste um die feuchten Flanken des Pferdes. Die Droschke schwankte; der Anarchist, der noch halb aufgerichtet dastand, stemmte die Hand, die die kleine Glastube enthielt, auf das Spritzleder, um sich im Gleichgewicht zu erhalten. Er fühlte, wie das spröde Ding zersprang, und die Bruchstücke auf den Boden der Droschke hinunterklirrten. Mit einem Fluch fiel er auf seinen Sitz zurück und stierte trübselig die zwei oder drei Tropfen an, die auf dem Spritzleder hingen. Ihn schauderte.
»Na ja. Also vermutlich werd' ich der erste sein! Bah! Immerhin ein Märtyrer. Das ist schon was. Trotzdem – es ist doch ein miserables Ende. Ob es wirklich so weh tut, wie sie sagen?«
Gleich darauf kam ihm ein Gedanke. Er tastete zwischen seinen Füßen herum. In dem zerbrochenen Ende der Tube war noch ein kleiner Tropfen stehengeblieben; den trank er aus – um sicher zu gehen. Es war doch immerhin besser, sicher zu gehen. Auf jeden Fall – er war treu!
Dann plötzlich dämmerte es ihm, daß eigentlich keine Notwendigkeit mehr vorlag, vor dem Bakteriologen zu flüchten. In Wellington Street befahl er dem Kutscher zu halten und stieg aus. Auf dem Trittbrett glitt er aus, und ihm war seltsam wirr zumute. Wie schnell es wirkte, dies Choleragift! Er winkte den Kutscher davon und blieb dann, die Arme über der Brust gefaltet, auf dem Trottoir stehen, um die Ankunft des Bakteriologen zu erwarten. Etwas Tragisches lag in seiner Pose. Das Bewußtsein unausweichlichen Todes verlieh ihm eine gewisse Würde. Mit einem herausfordernden Lachen begrüßte er seinen Verfolger.
» Vive l'Anarchie! Sie kommen zu spät, lieber Freund! Ich hab' es getrunken! Die Cholera ist im Gang!«
Der Bakteriologe guckte ihn von seiner Droschke aus durch die Brille mit neugierigen Augen an. »Also Sie haben es getrunken! Ein Anarchist! Jetzt verstehe ich – endlich!« Er war im Begriff, noch mehr zu sagen, hielt aber plötzlich inne. Ein Lächeln zitterte um seine Mundwinkel. Er öffnete die Tür der Droschke, wie um auszusteigen; worauf der Anarchist ihm ein tragisches Lebewohl zuwinkte und in der Richtung nach Waterloo Bridge davoneilte, wobei er Sorge trug, auf seinem Weg so viel Leute als nur möglich anzurempeln. Der Bakteriologe war so ganz versunken in diesen Anblick, daß er kaum ein leises Erstaunen äußerte, als Minnie mit Hut und Stiefeln und Überzieher neben ihm auftauchte. »Wie lieb von dir, daß du mir meine Sachen bringst!« sagte er, noch immer ganz verloren in Betrachtung der entschwindenden Gestalt des Anarchisten.
»Setz' dich in die Droschke!« sagte er, noch immer dem andern nachstarrend. Minnie war jetzt ganz davon überzeugt, daß er verrückt geworden war, und gab dem Kutscher auf eigene Verantwortung hin ihre Adresse. »Stiefel anziehen? Aber natürlich, Schatz!« sagte er, als die Droschke umdrehte und dadurch die davoneilende dunkle Gestalt, die jetzt in der Entfernung sehr klein erschien, seinen Blicken entzog. Auf einmal überfiel ihn ein grotesker Gedanke, und er lachte auf. Worauf er bemerkte: »Aber doch – es ist recht ernsthaft! Siehst du – der Mann ist zu mir gekommen – einfach als Besucher. Er ist ein Anarchist. Ach nein – nicht ohnmächtig werden! Sonst kann ich dir's ja überhaupt nicht erzählen. Ich wollte ihm gern ein bißchen imponieren – wußte ja nicht, daß er ein Anarchist war – und nahm eine Kultur von der neuen Spezies von Bakterien, von denen ich dir erzählt habe – die bei verschiedenen Affenarten blaue Flecken erzeugen und für immer festhalten; und in meiner Dummheit sagte ich, es wäre die asiatische Cholera. Und gleich darauf ging er durch mit dem Gift, stahl es und wollte die Londoner Wasserleitungen damit vergiften. – Na ja, eine schöne Bescherung hätt' er ja wohl anrichten können für diese Stadt der Zivilisation! Und jetzt hat er es selber alles geschluckt! Ich kann ja selbstverständlich nicht voraussagen, was eigentlich geschehen wird – aber du weißt doch – die junge Katze damals und die Hunde und der Sperling – alle haben sie sich blau gefärbt – blaue Flecken – so recht himmelblau. Das Scheußliche an der ganzen Geschichte ist bloß, es wird mich wer weiß wieviel Zeit und Geld kosten, wieder neue zu präparieren.
»Was! Den Überzieher anziehen? An so einem heißen Tag? Warum denn? Weil wir vielleicht Mrs. Japper begegnen könnten? Aber Schatz – Mrs. Japper ist doch kein Durchzug! Warum soll ich denn einen Überzieher anhaben – an so einem heißen Tag – bloß weil Mrs. ... Na ja, schön!«
Die Kunst des Ausstopfens hat ihre Geheimnisse. Hier ein paar wenige, die mir der Ausstopfer einmal in gehobener Stimmung erzählte. Er erzählte sie mir zwischen dem ersten und vierten Glas Whisky, in der Zeit, wo der Mensch nicht mehr vorsichtig und doch noch nicht betrunken ist. Wir saßen zusammen auf seiner Bude; es war sein Arbeits-, Wohn- und Schlafzimmer und war – wenigstens für den Sinn des Gesichts – durch einen Perlenvorhang von der stinkenden Höhle getrennt, in der er seinem Handwerk oblag.
Er saß auf einem Liegestuhl, und seine Füße – an denen er, in der Art von Sandalen, die heiligen Reliquien von einem Paar Zeugpantoffeln trug – lagen auf dem Kaminsims, zwischen den Glasaugen, – wenn sie nicht damit beschäftigt waren, herumliegende Kohlenstücke zu zertrampeln. Seine Hosen, nebenbei – die allerdings mit seinen Triumphen nichts zu schaffen haben –, waren aus einem unglaublich scheußlichen, gestreiften Wollstoff, so wie man ihn machte zur Zeit, als unsere Großväter Backenbärte trugen, und die Krinoline Mode war. Ferner hatte er schwarzes Haar, ein rötliches Antlitz und feurig braune Augen; und sein Rock bestand in der Hauptsache aus Fettflecken – auf einer Unterlage von Baumwollsamt. Seine Pfeife endete in einem Porzellankopf, auf dem die Grazien prangten, und seine Brille saß immer schief, so daß das linke Auge einen unverhüllt, klein und durchdringend anfunkelte, während das rechte undeutlich, vergrößert und milde durch das Brillenglas schimmerte. Und seine Worte lauteten folgendermaßen: »Auf der ganzen Welt ist kein Mensch, der ausstopft wie ich, Bellows! Kein Mensch! Ich habe Elefanten ausgestopft und Motten ausgestopft, und die Dinger waren nachher lebendiger und schöner als vorher. Ich habe auch menschliche Lebewesen ausgestopft – hauptsächlich Amateur-Ornithologen. Aber einmal hab' ich einen Nigger ausgestopft.
»Nein, es gibt kein Gesetz, das es verbietet. Ich stellte ihn mit allen zehn Fingern von sich gespreizt auf und benützte ihn als Hutständer; der Schafskopf von Homersby fing einmal spät nachts eine Keilerei mit ihm an und verdarb ihn. Das war vor Ihrer Zeit. Es ist schwierig, Häute zu kriegen; sonst würd' ich mir einen neuen machen.
»Widerwärtig? Kann ich nicht finden. Mir scheint, die Ausstopferei ist ein ganz vielversprechender Geschäftszweig. Nr. 3 neben Beerdigung und Verbrennung. Man könnte alle seine Lieben um sich behalten. Derartiger Krimskram im Haus herum wäre mindestens ebensoviel wert wie jede andere Gesellschaft und weit weniger kostspielig. Man könnte sie als Automaten herrichten, daß sie dies oder jenes tun könnten.
»Natürlich müßt' man sie firnissen; aber darum brauchten sie auch nicht mehr zu glänzen, als massenhaft Menschen es von Natur tun. Der alte Manningtree mit seinem kahlen Schädel ... Und jedenfalls – man könnte mit ihnen reden, ohne daß man unterbrochen würde. Sogar mit Tanten. Die Ausstopferei hat eine große Zukunft, verlassen Sie sich drauf. Es gibt da Ausgrabungen ...«
Er verstummte plötzlich.
»Nein, ich glaube, das darf ich Ihnen nicht erzählen.« Er zog nachdenklich an seiner Pfeife. »Ja, bitte! Nicht zuviel Wasser!
»Selbstverständlich – was ich Ihnen jetzt erzähle, bleibt unter uns! Sie wissen, daß ich ein paar Dronten und einen großen Alk gemacht habe. Nicht? Man sieht, daß Sie Amateur in der Kunst des Ausstopfens sind. Lieber Freund, die Hälfte von allen großen Alken, die existieren, sind ungefähr ebenso echt wie das Schweißtuch der heiligen Veronika oder der heilige Rock zu Trier. Wir machen sie aus Mövenfedern und dergleichen. Und die großen Alkeneier ebenfalls.«
»Großer Gott!«
»Ja. Wir machen sie aus feinem Porzellan. Ich sage Ihnen – es lohnt sich. Sie bringen ... eins hat erst neulich 300 Pfund eingebracht. Das war übrigens wirklich echt, glaub' ich; aber natürlich, sicher ist man da nie. Sie werden sehr fein gearbeitet, und nachher muß man sie staubig machen; denn keiner, der eins von diesen kostbaren Eiern besitzt, hat je die Kühnheit, das Ding zu reinigen. Das ist das Schöne dran. Sogar wenn ihnen ein Ei verdächtig vorkommt, so mögen sie es nicht gern zu genau untersuchen. Es ist unter allen Umständen ein zerbrechliches Kapital!
»Das haben Sie nicht gewußt, daß die Kunst des Ausstopfens sich zu solchen Höhen versteigt! Bester Junge, sie versteigt sich noch viel höher. Ich habe die Natur selber nachgeahmt. Einer von den echten, großen Alken« – seine Stimme sank zu einem Flüstern herab – »einer von den echten, großen Alken ist von mir hergestellt! »Nein. Sie müssen Ornithologie selber studieren und dann herausfinden, welcher es ist. Und – noch mehr – ein ganzer Ring von Händlern hat mir angetragen, eins von den noch unerforschten Klippengebieten nördlich von Island mit meinen Exemplaren auszustaffieren. Vielleicht – später einmal. Vorläufig hab' ich eben jetzt ein anderes kleines Geschäft vor. Haben Sie je was vom Dinornis gehört?
»Das ist einer von den großen Vögeln, die seit einiger Zeit in Neuseeland ausgestorben sind. Man nennt ihn gewöhnlich ›Moa‹– eben weil er ausgestorben ist; weil kein ›Mo–a‹ da ist. Was? Na, also von dem hat man Knochen gefunden, und in ein paar Sumpfgegenden sogar Federn und vertrocknete Stücke Haut. Und ich werde also – na, ich brauch' mir wirklich kein Gewissen draus zu machen – einen vollständigen, ausgestopften Moa fälschen! Ich kenn' da draußen einen Burschen, der vorgeben wird, er hätte das Ding in einer Art antiseptischem Sumpf gefunden und es gleich ausgestopft, weil es sonst auseinandergefallen wäre. Die Federn sind etwas Besonderes, aber ich hab' auf eine einfach großartige Weise entdeckt, wie man versengte Straußenfedern zurechtmachen kann. Jawohl, das ist der neue Geruch, den Sie vorhin bemerkten. Sie können die Fälschung bloß mit dem Mikroskop herausfinden, und es wird ihnen kaum dran liegen, darum ein gutes Exemplar zu zerschneiden.
»Auf die Art, sehen Sie, tu' auch ich ein bißchen das meinige für den Fortschritt der Wissenschaft.
»Aber all das heißt schließlich nur die Natur nachahmen. Ich habe meinerzeit noch mehr getan. Ich hab' sie übertrumpft!« Er nahm seine Füße vom Kaminsims herunter und beugte sich vertraulich zu mir herüber. »Ich habe Vögel erschaffen!« sagte er leise. » Neue Vögel. Verbesserungen. Wie noch kein Vogel je dagewesen ist!«
Während einer eindrücklichen Pause nahm er seine frühere Stellung wieder ein.
»Ich habe die Welt bereichert; jawohl! Einige von den Vögeln, die ich gemacht habe, waren Kolibris, schöne kleine Dinger! Aber ein paar waren einfach famos. Das Famoseste war die Anomalopteryx jejuna. – Jejunus-a-um – leer – so benannt, weil tatsächlich nichts drin war; ein vollständig leerer Vogel – bis auf das Ausstopfmaterial. Der alte Javvers hat das Ding jetzt, und ich glaube, er ist fast ebenso stolz darauf wie ich. Ein Meisterstück, Bellows! Es hat die ganze dumme Plumpheit des Pelikans, den ganzen feierlichen Mangel an Würde des Papageis, die ganze schlottrige Unbeholfenheit des Flamingos und das ganze chromatische Durcheinander der chinesischen Ente. Nein, was für ein Vogel! Ich machte ihn aus den Skeletten eines Storchs und eines Tukans und einem Mischmasch von allerhand Federn. Wissen Sie, Bellows, diese Art von Ausstopferei ist eine wahre Freude für den wahren Künstler in seiner Kunst.
»Wie ich darauf kam, es zu machen? Einfach genug, wie alle großen Erfindungen. Eins von den jungen Genies, die wissenschaftliche Notizen für unsere Zeitungen schreiben, erwischte eine deutsche Abhandlung über die Vögel von Neuseeland und übersetzte einen Teil davon mit Hilfe eines Wörterbuchs und seines Mutterwitzes – er muß der Sohn einer sehr großen Familie und einer sehr kleinen Mutter gewesen sein! – und verhedderte sich zwischen der lebenden Apteryx und der ausgestorbenen Anomalopteryx – redete von einem fünf Fuß hohen Vogel, der im Busch der nördlichen Insel vorkomme und sehr selten und scheu und nur schwer zu erlangen sei usw. Javvers, der sogar für einen Sammler ein ganz wunderbarer Ignorant ist, las die Paragraphen und schwor, er würde sich das Ding um jeden Preis verschaffen. Belagerte sämtliche Händler mit seinen Nachfragen. Man sieht, was ein Mensch durch Beharrlichkeit und Willenskraft erreicht. Ein Vogelsammler, der schwört, er würde sich ein Exemplar eines Vogels verschaffen, der nicht existiert, der nie existiert hat, der einfach, weil er sich seiner eigenen ruchlosen Scheußlichkeit schämte auch jetzt nicht existieren würde – wenn er nicht müßte. Und er bekam ihn! Er bekam ihn!
»Noch ein Glas Whisky?« fragte der Ausstopfkünstler, sich aus einer flüchtigen Betrachtung der Geheimnisse der Willenskraft und der Sammlerwut emporraffend. Und er fuhr, neugestärkt, fort, mir zu erzählen, wie er eine entzückende Nixe zusammengebraut hatte, und wie ein Wanderprediger, der ihretwegen keinen Zulauf hatte, sie in Burslem Wakes zertrümmerte, weil das Götzendienerei oder noch schlimmer sei. Aber da alle drei bei dieser Geschichte beteiligten Parteien – der Schöpfer, das Publikum, das das Nixlein gern erhalten hätte, und der Zerstörer – sich in Worten ausdrückten, die gänzlich ungeeignet für die Veröffentlichung sind, so muß dieses fröhliche Ereignis vorläufig darauf verzichten, gedruckt zu werden.
Der Leser, dem die dunkeln Wege des Sammlers unbekannt sind, mag
vielleicht geneigt sein, an meinem Ausstopfkünstler zu zweifeln.
Aber soweit es sich um die Eier des großen Alk und die gefälschten
ausgestopften Vögel handelt, können – wie ich
weiß – hervorragende ornithologische Gelehrte seine Worte
bestätigen. Und die Notiz über den neuseeländischen Vogel ist
tatsächlich in einer Tageszeitung von tadellosem Renommee
erschienen; der Ausstopfer hat noch eine Nummer und hat sie mir
gezeigt.
Ich zeichne diese Geschichte auf, nicht weil ich erwarte, daß man sie glauben wird, sondern um womöglich dem nächsten Opfer einen Weg zum Entrinnen zu bahnen. Ihm vielleicht wird mein Unglück Nutzen bringen. Mein eigener Fall, das weiß ich, ist hoffnungslos, und ich bin jetzt auch in gewissem Maße auf mein Schicksal gefaßt.
Mein Name ist Edward George Eden. Ich bin geboren in Trentham in Staffordshire, wo mein Vater Gartenbaubeamter war. Ich verlor meine Mutter mit drei und meinen Vater mit fünf Jahren. Mein Onkel, George Eden, nahm mich darauf an Kindesstatt an. Er war Junggeselle, hatte sich von unten heraufgearbeitet und war in Birmingham als unternehmender Journalist wohlbekannt. Er sparte nichts an meiner Erziehung, feuerte mich zum Ehrgeiz an, in der Welt vorwärtszukommen, und hinterließ mir bei seinem Tod, der vor vier Jahren erfolgte, sein gesamtes Vermögen, so ungefähr fünfhundert Pfund nach Ausbezahlung aller Abzüge. Ich war damals achtzehn. In seinem Testament riet er mir, das Geld zur Vollendung meiner Ausbildung anzuwenden. Ich hatte mir schon die Medizin zum Beruf erwählt, und dank seiner über das Grab hinausreichenden Großmut und dem Glück, das ich bei einer Bewerbung um ein Stipendium hatte, wurde ich Student der Medizin an der Universität in London. Zur Zeit des Beginns meiner Geschichte wohnte ich in University Street 11, in einer kleinen Dachstube, die sehr schäbig ausgestattet und zugig war und nach dem Hof zu ging. Der kleine Raum diente mir zum Wohnen und Schlafen, denn ich war entschlossen, meine Mittel bis zum letzten Pfennig möglichst nutzbringend zu verwerten.
Ich wollte eben ein Paar Schuhe zum Flicken nach einem Laden in Tottenham Court Road tragen, als ich zum erstenmal dem kleinen Mann mit dem gelben Gesicht begegnete, mit dem mein Leben jetzt so unentwirrbar verknotet ist. Er stand am Rand des Trottoirs und starrte, wie im Zweifel mit sich selbst, die Türnummer an, als ich öffnete. Seine Augen – es waren glanzlose, graue Augen mit roten Rändern – fielen auf mich, und sein Gesicht nahm sofort einen Ausdruck runzliger Liebenswürdigkeit an. »Sie kommen gerade im richtigen Moment!« sagte er. »Ich hatte die Nummer Ihres Hauses vergessen. Guten Tag, Mr. Eden!«
Ich war etwas erstaunt über diese vertrauliche Anrede, denn ich hatte den Mann mein Lebtag nicht gesehen. Ich ärgerte mich auch ein bißchen, daß er mich mit den Stiefeln unterm Arm überraschen mußte. Er bemerkte meinen Mangel an Herzlichkeit.
»Sie besinnen sich, wer zum Henker ich eigentlich bin, was? Ein Freund – seien Sie ganz versichert! Ich habe Sie schon früher gesehen, wenn auch Sie mich nicht gesehen haben. Kann ich irgendwo hier mit Ihnen reden?«
Ich zögerte. Die Schäbigkeit meines kleinen Zimmers droben war nicht für jeden ersten besten Fremden. »Vielleicht könnten wir die Straße entlanggehen,« sagte ich. »Ich bin leider verhindert –« Mit einer Handbewegung vollendete ich den unausgesprochenen Satz.
»Das trifft sich ausgezeichnet!« erwiderte er und wandte sich erst nach der einen, dann nach der andern Seite. »Nach welcher Richtung wollen wir gehen?«
Ich ließ meine Stiefel im Hausflur zu Boden gleiten. »Hören Sie mich an!« sagte er plötzlich. »Es handelt sich da um eine ganz langstielige Geschichte. Kommen Sie mit, Mr. Eden, und frühstücken Sie mit mir. Ich bin ein alter Mann und nicht besonders stark in Auseinandersetzungen; und bei meiner dünnen Stimme und dem Wagengerassel ...«
Dabei legte er überredend eine knochige, zittrige Hand auf meinen Arm.
Ich war noch nicht so alt, als daß ein alter Mann mir nicht hätte ein Frühstück anbieten dürfen. Trotzdem war ich nicht so ganz erfreut über die plötzliche Einladung »Ich möchte lieber –« begann ich. »Aber ich möchte lieber,« fiel er mir ins Wort. »Und eine gewisse Rücksicht dürfen meine grauen Haare ja wohl beanspruchen.« So willigte ich denn ein und ging mit ihm.
Er führte mich zu Blavitski. Ich mußte langsam gehen, um mich seinen Schritten anzupassen. Und bei einem Frühstück, wie ich es noch nie gekostet hatte, sah ich ihn mir, während er meinen einleitenden Fragen geschickt auswich, näher an. Sein glattrasiertes Gesicht war verfallen und runzlig, seine eingeschrumpften Lippen hingen über einem falschen Gebiß, und sein weißes Haar war dünn und ziemlich lang; er kam mir klein vor – freilich, die meisten Leute kamen mir klein vor – und seine Schultern waren rund und vorgebeugt. Während ich ihn beobachtete, mußte ich wohl oder übel bemerken, daß auch er mich musterte, indem er seine Augen, in denen ein sonderbarer Ausdruck von Gier lag, über mich hinlaufen ließ, von meinen breiten Schultern auf meine sonnverbrannten Hände und wieder hinauf zu meinem sommersprossigen Gesicht. »Und jetzt,« sagte er, als wir unsere Zigaretten ansteckten, »muß ich Ihnen sagen, um was es sich handelt.«
»Ich muß Ihnen vor allem sagen, daß ich ein alter Mann bin, ein sehr alter Mann.« Er hielt einen Moment inne. »Und der Zufall will, daß ich Vermögen besitze, das ich nun bald werde zurücklassen müssen, und daß ich kein Kind und niemand habe, dem ich es hinterlassen könnte.«
Mir kam der Gedanke an einen Vertrauenstrick, und ich beschloß, ein scharfes Auge auf den Rest meiner fünfhundert Pfund zu haben.
Er fuhr fort, sich über seine Einsamkeit zu ergehen und die Sorge, die es ihm mache, eine geeignete Verwendung für sein Geld zu finden. »Ich habe ja diesen und jenen Plan erwogen – Wohltätigkeitsanstalten, Stiftungen, Stipendien, öffentliche Bibliotheken – und bin am Ende zu dem Entschluß gekommen« – er heftete seine Augen auf mein Gesicht –, »daß ich mir irgendeinen jungen Menschen suchen will – von hohem Streben und reiner Gesinnung – und arm, gesund an Leib und Seele, und ihn kurzerhand zu meinem Erben machen, ihm alles geben, was ich habe.« Er wiederholte: »Ihm alles geben, was ich habe. So daß er mit einem Male aus aller Sorge und allem Kampf, in denen die harmonischen Kräfte seiner Natur sich entwickelt haben, zu Freiheit und Macht erhoben werden soll.«
Ich versuchte, möglichst wenig Interesse zu zeigen. Mit sehr durchsichtiger Heuchelei sagte ich: »Und ich soll Ihnen, etwa in meiner Eigenschaft als Mediziner, helfen, diese Persönlichkeit zu finden?«
Er lächelte und blickte mich über seine Zigarette weg an; und ich lachte auch ein bißchen, wie er so stillschweigend meine erkünstelte Bescheidenheit entlarvte.
»Was für eine Karriere könnte solch ein Mensch haben!« sagte er.
»Es erfüllt mich mit Neid fast, wenn ich daran denke, wie ich aufgehäuft habe, damit ein anderer verbrauchen kann –«
»Aber es sind Bedingungen dabei, selbstverständlich, Lasten, die er auf sich nehmen müßte. Er müßte zum Beispiel meinen Namen annehmen. Man kann nicht alles erwarten, ohne selbst etwas zu geben. Und ich müßte einen Einblick haben in seine sämtlichen Lebensverhältnisse, ehe ich ihn annehmen könnte. Er muß durch und durch gesund sein. Ich muß seine Vorgeschichte kennen, muß wissen, wie sein Vater und Großvater gestorben sind, die genausten Erkundigungen über sein Privatleben müssen eingezogen werden –«
Dies dämpfte meine geheime Selbstbeglückwünschung ein wenig. »Und verstehe ich also recht,« begann ich, »daß ich –?«
»Ja!« sagte er fast heftig. »Sie! Sie!«
Ich erwiderte kein Wort. Meine Phantasie führte wilde Wirbeltänze auf, und mein angeborener Skeptizismus war nicht imstande, ihren Rausch zu dämpfen. Ich empfand auch nicht die geringste Spur von Dankbarkeit. – Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, oder wie ich es sagen sollte. »Aber weshalb gerade ich?« fragte ich schließlich. – – – Er hätte zufällig durch Professor Haslar von mir gehört, sagte er, als einem typisch gesunden und verständigen jungen Menschen, und er wünsche nach Möglichkeit sein Geld jemand zu hinterlassen, dessen Gesundheit und Unbelastetheit verbürgt seien.
Das war meine erste Begegnung mit dem kleinen, alten Mann. Mit sich selber tat er sehr geheimnisvoll; er wolle seinen Namen jetzt noch nicht nennen, sagte er. Und nachdem ich ihm noch einige Fragen beantwortet hatte, verließ er mich vor dem Eingang zu Blavitski. Ich bemerkte, daß er beim Bezahlen der Rechnung eine Handvoll Goldstücke aus der Tasche zog. Merkwürdig war es, wie er immer wieder die körperliche Gesundheit ganz besonders betonte. Wie wir es verabredet hatten, bewarb ich mich noch am selben Tag um eine hohe Lebensversicherung in einer ersten Versicherungsgesellschaft, und die ärztlichen Beiräte der Gesellschaft liefen mir in den nächsten acht Tagen fast das Haus ein. Aber auch das genügte ihm noch nicht, und er bestand darauf, ich müsse mich auch noch von dem berühmten Dr. Henderson untersuchen lassen. Es wurde Freitag in der Pfingstwoche, ehe er zu einer Entscheidung kam. Ganz spät am Abend – fast neun Uhr war es – rief er mich von den chemischen Gleichungen, über denen ich für mein Physikum büffelte, hinunter. Er stand im Hausflur unter der schwachen Gasflamme, und sein Gesicht war ein groteskes Durcheinander von Schatten. Er erschien mir noch zusammengefallener als das erstemal, und seine Wangen waren noch hohler.
Seine Stimme bebte vor Erregung. »Alles ist zu meiner Zufriedenheit ausgefallen, Mr. Eden,« sagte er. »Alles ist ganz und gar zu meiner Zufriedenheit ausgefallen. Und auf jeden Fall müssen Sie heute abend mit mir essen und Ihre – Thronbesteigung feiern.« Ein Hustenanfall unterbrach ihn. »Sie werden nicht lange zu warten brauchen,« fuhr er fort, sich mit dem Taschentuch die Lippen wischend, und griff mit seiner langen, knöchernen Klaue nach meiner Hand. »Ganz gewiß nicht mehr lange!«
Wir traten auf die Straße und riefen eine Droschke heran. Ganz deutlich besinne ich mich noch auf jede Einzelheit jener Fahrt – die rasche, angenehme Bewegung, der lebhafte Kontrast zwischen Gas- und Öllaternen und elektrischem Licht, das Menschengedränge in den Straßen, das Restaurant in Regent Street, zu dem wir fuhren, Und das üppige Abendbrot, das uns serviert wurde. Anfänglich brachten mich die Blicke, die der Kellner auf meinen groben Anzug warf, ein bißchen aus der Fassung, und die Kerne der Oliven genierten mich; aber als der Champagner mein Blut erwärmte, lebte meine Zuversicht wieder auf. Erst sprach der alte Mann von sich selber. Seinen Namen hatte er mir schon in der Droschke genannt: er war Egbert Elvesham, der große Philosoph, dessen Name mir schon von meinen Schuljahren her vertraut war. Ich konnte es kaum glauben, daß der Mann, dessen Intellekt schon so frühzeitig den meinen beherrscht hatte, diese große Abstraktion, sich plötzlich in dieser gebrechlichen, vertrauten Erscheinung verwirklichen sollte. Ich denke mir, jeder junge Mensch, der plötzlich unter Berühmtheiten geraten ist, hat etwas von meiner Enttäuschung durchgemacht. Elvesham sprach mir jetzt von der Zukunft, die die schwachen Ströme seines Lebens in Bälde trocken zurücklassen würden – für mich –! Von Häusern, Autorrechten, Kapitalanlagen; nie hatte ich geahnt, daß Philosophen so reich sein könnten. Fast mit einem Anflug von Neid sah er mir zu, wie ich aß und trank. »Was für eine Fähigkeit zu leben Sie haben!« sagte er und fügte dann mit einem Seufzer – einem Seufzer der Erleichterung, kam es mir damals vor, – hinzu: »Lang' dauert es nicht mehr.«
»O ja!« sagte ich – der Kopf wirbelte mir schon vor Sekt – »ich habe ja vielleicht eine Zukunft vor mir – und zwar eine ganz besonders angenehme, dank Ihrer Güte! Ich werde von jetzt ab die Ehre haben, Ihren Namen zu tragen. Aber Sie haben eine Vergangenheit. Und eine Vergangenheit, die meine ganze Zukunft aufwiegt.«
Er schüttelte den Kopf und lächelte – wie es mir schien, mit einer halbtraurigen Anerkennung meiner schmeichelhaften Bewunderung. »Ihre Zukunft!« sagte er – »würden Sie sie – ganz ehrlich – wirklich eintauschen?« Der Kellner kam eben mit Likören. »Sie werden vielleicht nicht ungern meinen Namen, meine äußere Stellung annehmen; aber würden Sie tatsächlich – und gern – meine Jahre auf sich nehmen?«
»Mit all dem, was Sie geleistet haben – ja!« sagte ich artig.
Er lächelte wieder. »Kümmel – zwei!« befahl er dem Kellner und wandte dann seine Aufmerksamkeit einem kleinen Papierpäckchen zu, das er aus der Tasche gezogen hatte. »Solche Stunden,« sagte er, »solche Nach-Mahlzeits-Stunden sind die Stunden der kleinen Dinge des Lebens. Da hab' ich ein Stückchen unveröffentlichter Weisheit.« Er öffnete das Päckchen mit seinen zitternden, gelben Fingern und zeigte mir ein kleines, mattrosa Pulver.
»Das –« fuhr er fort – »nun, Sie sollen selber raten, was es ist. Aber Kümmel – wenn man bloß die Spur von dem Pulver hier dareinstäubt – ist der reine Himmel!« Und seine großen, blaßgrauen Augen beobachteten mich mit einem unergründlichen Ausdruck.
Fast hatte es für mich etwas Verletzendes, daß dieser große Meister seinen Geist mit dem Aroma von Likören beschäftigen konnte. Trotzdem tat ich, als interessiere ich mich sehr für diese seine kleine Schwäche; ich war schon betrunken genug für solch kleine Kriechereien.
Er verteilte das Pulver in die kleinen Gläser, und indem er plötzlich mit seltsamer und unerwarteter Würde sich erhob, streckte er mir seine Hand entgegen. Ich tat es ihm nach, und die Gläser klangen zusammen. »Auf eine baldige Thronfolge!« sagte er und hob das Glas an die Lippen.
»Nicht darauf!« sagte ich hastig. »Nicht darauf!«
Er hielt inne. Das Glas war ungefähr in der Höhe seines Kinns, seine Augen flammten in meine.
»Auf ein langes Leben!« sagte ich.
Er zögerte. »Auf ein langes Leben!« wiederholte er dann mit einem plötzlichen bellenden Lachen; und – die Blicke ineinandergebohrt, leerten wir die kleinen Gläschen. Seine Augen hafteten fest in den meinen, und während ich das Zeug hinunterschluckte, hatte ich ein merkwürdig durchdringendes Gefühl. Der erste Tropfen auf meiner Zunge brachte mein Hirn in wütenden Aufruhr; es war, als empfände ich ein tatsächliches physisches Regen in meinem Schädel, und ein zischendes Brausen füllte meine Ohren. Ich fühlte nichts von dem Geschmack auf meiner Zunge, dem Aroma in meiner Kehle. Ich sah bloß die graue Eindringlichkeit seines Blicks, der in dem meinen brannte. Der Trank selbst, die Verwirrung meines Geistes, das Lärmen und Regen in meinem Kopf – – alles schien eine endlose Zeit zu dauern. Seltsame unklare Eindrücke von halbvergessenen Dingen wirbelten und schwanden an der Grenze meines Bewußtseins. Schließlich brach er den Bann. Mit einem plötzlichen hallenden Seufzer setzte er sein Glas nieder. »Nun?« sagte er.
»Wundervoll!« sagte ich, obschon ich das Zeug gar nicht geschmeckt hatte.
Mein Kopf wirbelte. Ich setzte mich. Mein Gehirn war ein Chaos. Dann ward mein Beobachtungsvermögen klar und scharf, als sähe ich alles in einem Konkavspiegel. Elveshams Benehmen hatte auf einmal etwas Nervöses, Hastiges. Er riß seine Uhr heraus und sah mit verzerrtem Gesicht darauf. »Sieben Minuten nach elf. Und ich muß heut' nacht ... – – sieben – fünfundzwanzig – Waterloo! Ich muß augenblicklich fort!« Er rief nach der Rechnung und kämpfte mit seinem Überzieher. Dienstbeflissene Kellner eilten herbei. Im nächsten Augenblick drückte ich ihm über dem Schutzleder einer Droschke zum Abschied die Hand – noch immer mit einem absurden Gefühl, als sei alles außergewöhnlich deutlich und scharf und einzeln ausgeprägt – so etwa – ja, wie soll ich es ausdrücken? – als sähe ich nicht bloß, sondern fühlte durch ein umgekehrtes Opernglas.
»Ah bah – – dies Zeug!« sagte er und preßte die Hand gegen die Stirn. »Ich hätt' es Ihnen nicht geben sollen. Sie werden morgen ein rasendes Kopfweh haben! Warten Sie einen Augenblick. Da!« Er händigte mir einen kleinen, flachen Gegenstand ein, der aussah wie ein Brausepulver. »Nehmen Sie das in Wasser, eh' Sie zu Bett gehen. Das andere war ein Narkotikum. Erst wenn Sie zu Bett gehen, hören Sie! Das wird Ihnen den Kopf wieder klar machen. So! Und nun ein letztesmal Ihre Hand – Futurus!«
Ich ergriff seine verschrumpften Finger. »Leben Sie wohl!« sagte er. Und nach der Art, wie er dabei die Lider senkte, dachte ich, er stehe ebenfalls ein bißchen unter der Wirkung seines hirnverdrehenden Mittels.
Noch einmal fiel ihm – mit einem Ruck – etwas ein. Er faßte in seine Brusttasche und zog ein zweites Paket heraus, diesmal eine Rolle von der Größe und Gestalt eines Rasierbestecks. »Da!« sagte er. »Fast hätt' ich es vergessen. Öffnen Sie es nicht, eh' ich komme morgen; aber nehmen Sie es jetzt mit.«
Es war so schwer, daß ich es fast hätte fallen lassen. »Schon recht!« lallte ich, und er grinste mir durch das Droschkenfenster zu, während der Kutscher sein Pferd durch einen Peitschenflitz weckte. Es war ein weißes Paket, das er mir gegeben hatte, an beiden Enden und mitten herunter rot versiegelt. »Wenn das nicht Geld ist,« dachte ich, »so ist es Platina oder Blei.«
Ich steckte es mit vieler Sorgfalt in die Tasche und wanderte mit wirbelndem Kopf durch die Regent Street-Bummler und die dunkeln Seitenstraßen hinter Portland Road nach Hause. Ich entsinne mich noch ganz deutlich meiner Gefühle während dieser Wanderung, so seltsam sie auch waren. Ich war immerhin noch so weit ich selbst, daß ich meinen sonderbaren Geisteszustand merkte und mich fragte, ob das Zeug, das ich getrunken hatte, vielleicht Opium gewesen sei – ein Gift, das außerhalb des Bereichs meiner Erfahrungen lag. Es ist jetzt schwierig zu erklären, inwiefern dieser geistige Zustand so ganz besonders eigentümlich war; am ehesten könnte man es so ungefähr als eine Art geistiger Kreuzsprünge bezeichnen. Während ich Regent Street hinaufwanderte, hatte ich in mir eine sonderbare Überzeugung, als müsse es Waterloo Station sein, und zugleich einen unerklärlichen Impuls, ins Polytechnikum zu gehen, just als ob ich in einen Zug einstiege.
Ich rieb mir die Augen, und es war Regent Street. Wie soll ich es beschreiben? Ein geschickter Schauspieler sieht einen ganz ruhig an; er schneidet eine Grimasse – und plötzlich – ein ganz anderer Mensch! Ich weiß nicht, ob es zu übertrieben klingt, wenn ich sage, daß mir in jenem Augenblick Regent Street just so vorkam? Nachdem ich mich schließlich überzeugt hatte, daß es wirklich Regent Street war, verwirrten mich allerlei phantastische Reminiszensen, die auf unerklärliche Weise auftauchten. »Hier war es,« dachte ich, »wo vor dreißig Jahren ich und mein Bruder Streit hatten.« Worauf ich, zum Erstaunen und Wohlgefallen einer Gruppe von Nachtschwärmern, in Lachen ausbrach. Vor dreißig Jahren existierte ich gar nicht, und eines Bruders hatte ich mich mein Lebtag nicht rühmen können. Das Zeug mußte ganz einfach flüssiger Wahnwitz sein; denn ein stechender Schmerz um diesen verlorenen Bruder wollte und wollte mich nicht loslassen. In Portland Road nahm die Verrücktheit wieder eine andere Form an. Ich fing an, mich auf Geschäfte zu besinnen, die längst verschwunden waren, und die Straße von heute mit der, wie sie ehedem gewesen war, zu vergleichen. Wirres und verstörtes Denken läßt sich ja gewiß wohl erklären nach alledem, was ich getrunken hatte; aber was mich beunruhigte, waren diese seltsam lebendigen Fatamorganaerinnerungen, die sich da in meinen Geist eingeschlichen hatten. Und nicht bloß die, die sich eingeschlichen hatten, sondern auch die, die verschwunden waren. Ich blieb vor der Tierhandlung von Stevens stehen und geißelte mein Hirn geradezu, um herauszufinden, in welcher Beziehung er eigentlich zu mir stand. Ein Omnibus fuhr vorüber; es klang auf und nieder wie das Rattern eines Zugs. Es war, als müßte ich diese Erinnerung aus einem fernen, tiefen, dunkeln Schacht herausgraben. »Aber natürlich!« sagte ich endlich. »Er hat mir ja zu morgen drei Frösche versprochen! Komisch, daß ich das habe vergessen können!«
Ich weiß nicht, ob man den Kindern heutzutage noch sogenannte Nebelbilder zeigt? Bei denen – das weiß ich noch – tauchte immer ein Bild auf, wie ein undeutliches Gespenst, und wuchs, bis es das vorhergehende verdrängt hatte. Genau so – schien es mir – kämpfte eine ganze Reihenfolge von neuen Empfindungen mit denen meines altgewohnten Ich.
Verwirrt und ein bißchen beängstigt ging ich über Euston Road nach Tottenham Court Road und bemerkte kaum, was für einen ungewohnten Weg ich da machte; denn sonst kürzte ich immer ab durch das dazwischenliegende Netzwerk von Seitenstraßen. Ich bog in die University Street ein und entdeckte, daß ich meine Hausnummer vergessen hatte. Nur mit großer Mühe rief ich mir meine »11« ins Gedächtnis zurück, und auch dann kam es mir vor, als sei es etwas, das irgendein längst vergessener Mensch mir gesagt hatte. Ich versuchte, meine Gedanken zu festigen, indem ich mir die Einzelheiten des Diners zurückrief; aber ums Leben konnte ich mir kein Bild von dem Aussehen meines Gastgebers machen. Ich sah ihn bloß als schattenhaften Umriß, ungefähr wie man sein eigenes Bild in einem Fenster, durch das man schaut, sehen würde. An seiner Stelle sah ich dagegen wie in einer seltsamen Vision mich selber, erhitzt, mit glänzenden Augen und sehr redselig, an einem Tisch sitzen.
»Ich muß das andere Pulver nehmen,« sagte ich. »Das wird ja immer unmöglicher!«
Ich suchte meine Kerze und die Streichhölzer – auf der falschen Seite des Flurs – und war im Zweifel, auf welchem Stockwerk mein Zimmer eigentlich lag. »Ich bin betrunken,« dachte ich. »So sicher wie was!« Und ich stolperte ganz unnötigerweise auf der Treppe, um diese Behauptung möglichst zu bestätigen.
Auf den ersten Blick kam mir mein Zimmer ungewohnt vor. »Blödsinn!« sagte ich und starrte umher. Es schien, als ob dies Aufraffen mir mein eigenes Ich zurückbrächte, und als ob das seltsame Fatamorganagefühl wieder zu dem konkreten, vertrauten würde. Da war noch immer der alte Spiegel, in dessen Rahmen meine Notizen über Eiweiß steckten. Mein vertragener Werktagsanzug lag auf dem Fußboden umher. Und trotzdem – so recht wirklich war es nicht. Ich fühlte, wie sich in meine Gedanken ein ganz seltsames Empfinden schleichen wollte, als säße ich in einem Eisenbahnwagen, in einem Zug, der eben anhielt, und als ob ich durchs Fenster auf irgendeine unbekannte Station hinausblickte. Ich umklammerte energisch den Bettpfosten, um mich meiner selbst zu vergewissern. »Wer weiß – es ist vielleicht eine Art Hellsehen!« sagte ich. »Ich muß an die Gesellschaft für Psychische Forschung schreiben.«