WILHELM SCHLÖTTERER
WAHN und WILLKÜR
Strauß und seine Erben oder wie
man ein Land in die Tasche steckt
Copyright © 2013 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
www.heyne.de
Redaktion: Johann Lankes
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich,
unter Verwendung zweier Fotos von © Gebert/picture-alliance/dpa und © U. Baumgarten/Getty Images
Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich
ISBN 978-3-641-12270-6
Inhalt
Vorwort
Einführung
1 Das Echo auf das Buch »Macht und Missbrauch«
Die Präsentation des Buches
Die Reaktion der Politiker und Spitzenbeamten
Die Reaktion der Medien und Bürger
2 Der Feldzug der Geschwister Strauß
Ankündigungen
Ein Strafantrag
Hochkarätige Hilfe
Die Konten von Strauß in der Schweiz
Die Justizministerin Beate Merk und eine Vorwarnung
Flucht zur Staatsanwaltschaft Bochum
Das Geständnis eines Münchner Staatsanwalts
Aufschlussreiche Aktionen der Geschwister Strauß
Das Urteil
I. Teil Das Vorbild F. J. Strauß
1 Der treu sorgende Landesvater Strauß
Der Garant von Recht und Sicherheit
Der Unbestechliche
Der ehrliche Steuerzahler
Der Patriot und der Milliardenkredit
Die Fürsorge für die Bauern
Die Fürsorge für die Bevölkerung der Oberpfalz
Die Fürsorge für die Kranken
Die Fürsorge für weniger betuchte Bürger
Die Fürsorge für die CSU
Die AVIA-Ölgesellschaft
Das öffentliche Wohl
2 Die Angst vor Strauß
Die Befürchtungen Adenauers und Krones
»Der Schöpfer der Bundeswehr« und seine Affären
Die Befürchtungen der Amerikaner
Die Angst der CSU-Minister in Bayern
3 Das Bargeldsystem des F. J. Strauß und sein Vermögen
Das Bargeldsystem
Der Umfang des Vermögens
4 Das Ansehen von F. J. Strauß und sein Bild von den Menschen
F. J. Strauß und sein Nimbus
Die Sicht des F. J. Strauß auf seine Mitmenschen
Hemmungslose Herrschaftspraktiken und Aufstieg und Fall eines Blenders
5 Der Herrschaftsstil der Strauß-Epigonen Stoiber und Seehofer
Stoibers Regentschaft
Die Verantwortlichkeit Edmund Stoibers für die Landesbank-Verluste und andere Finanzaffären
Seehofers Regentschaft
II. Teil Anspruch und Wirklichkeit
1 Christlichkeit und Sozialwohl
Das christlich-soziale Leitbild
Die christliche Sittsamkeit als politische Waffe und Werbeinstrument
Die christliche Sittsamkeit des F. J. Strauß
Die soziale Gerechtigkeit
Der soziale Umgang
Die getäuschte katholische Kirche
2 Praktiken im Schattenreich von Strafjustiz und Polizei
Der mysteriöse Tod des Leitenden Oberstaatsanwalts Jörg Hillinger
Der DOBA-Fonds MTC München-Berlin
Die Verluste der Landesbank und die Wahrheit
Die gelöschte Festplatte von Max Strauß
Die Siemens-Schmiergeldaffäre und eine geheimnisvolle CD
Die 700 000 Euro des Datenschutzbeauftragten in Liechtenstein und andere Merkwürdigkeiten
Der Komponist von Türkheim
Der beleidigte Justizminister a. D. Manfred Weiß
Der »geblitzte« und der bestrafte Landtagsvizepräsident
CDs aus Liechtenstein und der Schweiz
Die Erwartungen der politischen Spitze an Richter und Staatsanwälte
Die Außenansicht einer Justizministerin
3 Zermürbung und Zwangspensionierung
Der Ansbacher Polizeichef Werner Maluck
Der Kriminalhauptkommissar Klaus Deml und der Polizeiobermeister Josef Vogl
4 Psychiatrisierung
Die unheilbare Paranoia der hessischen Steuerfahnder
Die fehlgeschlagene Psychiatrisierung des Kunsthändlers Eberhart Herrmann und ein CSU-Politiker
Die paranoide Wahnsymptomatik des Ingenieurs Gustl Mollath
Ethik in der Psychiatrie
III. Teil Unrechtssysteme in der Demokratie
1 Die gegenwärtige Situation
Die Grundstruktur
Das Strafverfolgungs- und Haftungsrisiko
2 Verbesserungsvorschläge
Justiz
Rechnungshof
Die Schaffung eines Ombudsmanns
Steuergeheimnis und Amtsgeheimnis
Zukunftsperspektive
Nachwort
Literaturverzeichnis
Vorwort
Nach dem Buch Macht und Missbrauch habe ich nun ein zweites geschrieben. Denn Aufklärung tut not. In nahezu jeder meiner über 100 Lesungen und Vorträge wurde ich von Zuhörern gedrängt, weiteres Wissen preiszugeben, sie wollten noch mehr erfahren über die politischen Skandale. Neben dem Milliardendesaster der Landesbank wurde ich immer wieder befragt zum Thema Strauß: zur Starfighter-Affäre, zum DDR-Milliardenkredit, zu Schalck-Golodkowski und der Fleischfirma März, dem mysteriösen Tod der Marianne Strauß und dem Verschwinden der Festplatte von Max Strauß.
Manchen Skandal, den ich bereits im ersten Buch offengelegt habe, musste ich nochmals aufgreifen, weil sich inzwischen nicht wenige vertrauensvoll an mich gewandt hatten, um mir dazu Wichtiges mitzuteilen, insbesondere zu Strauß. Ihnen sei Dank und Anerkennung für ihren Mut und ihre Bereitschaft, sich für Rechtsstaatlichkeit einzusetzen. Der Kampf gegen Amtsmissbrauch und Korruption bedarf des Engagements vieler. Manche Umstände musste ich nochmals erwähnen, um das Schaubild zu vervollständigen. Das sind die Gründe für Wiederholungen.
Das vorliegende Buch wird viele fassungslos machen, es berichtet Unglaubliches, teils Unmenschliches. Wer an der Spitze des Staates steht, darüber aber gleichgültig oder gar billigend hinweggeht, weiter gewähren lässt und gegen Schuldige nichts unternimmt, sollte abtreten. Wer als Amtsträger Straftaten begangen, gefördert oder verdeckt hat, sollte vor Gericht gestellt werden.
Klargestellt sei: Wie schon das Buch Macht und Missbrauch ist auch dieses keineswegs ein Angriff auf die CSU, es zielt nur auf einige wenige Spitzenpolitiker der Partei. »Der kleine Mann in der CSU ist schon in Ordnung«, sagte in einem Interview vor Jahren der frühere Kultusminister Prof. Hans Maier. In keiner Partei sonst gibt es eine so tiefe Kluft zwischen den einfachen Parteimitgliedern und den wenigen, die die CSU beherrschen, sie für ihre Karriere benutzen, wie bei der CSU. Die Basis wird von oben für ihren Einsatz mit warmen Worten gelobt, hat aber nichts zu sagen, sie wird nur mit den nicht anstößigen Informationen versorgt. Nicht einmal die Landtagsfraktion hat etwas zu melden; wie schon unter Strauß und Stoiber führt sie auch unter Seehofer ein Schattendasein.
Die ehemaligen CSU-Spitzenpolitiker Günther Beckstein und Alois Glück haben jüngst fromme Bücher geschrieben. Becksteins Werk heißt Die Zehn Gebote. Dass er diese als stellvertretender Präsident der Evangelischen Landessynode in Bayern kennt, ist löblich. Befremdlich ist die erbauliche Lektüre dennoch: Sie lässt nicht erkennen, dass die Zehn Gebote auch in der bayerischen Politik gelten. Denn sündhafte Verstöße erzählt Beckstein nicht. Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, er sei ganz woanders Innenminister und kurzzeitig Ministerpräsident gewesen. Oder die Zehn Gebote seien neben den Gesetzen schon von Amts wegen stets eingehalten worden – kraft der Richtlinienkompetenz des jeweiligen christlichen Ministerpräsidenten.
Der stellvertretende Vorsitzende der Augsburger FDP, Toni Resch, lud mich für den 6. September 2010 zu einer Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung ins Gögginger Jugendstiltheater ein, wo der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement eine »Rede zur Freiheit« hielt. Anschließend wollte mich Resch einigen Politikern vorstellen, die in einer Runde beieinandersaßen. Zu meiner Überraschung war auch Günther Beckstein dabei. Als er sich erhob, sagte ich zu ihm: »Sie sind jetzt wahrscheinlich bei der Nennung meines Namens erschrocken.« Darauf Beckstein: »Etwas schon, aber nicht sehr. Denn ich komme ja in Ihrem Buch nicht oft vor und auch nicht sehr schlecht.« Er fügte hinzu: »Ich habe mich bei meiner Amtsführung immer darum bemüht, dass Recht und Gesetz eingehalten wurden.« Ich sagte nichts.
Warum wir uns ändern müssen lautet der umwälzend programmatische Titel von Alois Glücks Buch. Wenn Glück wirklich sich und seinesgleichen gemeint hat, muss man ihm nachdrücklich zustimmen. Rätselhaft aber ist, warum er erst jetzt einsichtig wird – nachdem er den hohen Stuhl des Präsidenten des Deutschen Katholikentags erklommen hat. Auf diesem Stuhl saß früher der integre Kultusminister Prof. Hans Maier, eine geistige und moralische Instanz. Ich habe in Glücks Buch geblättert und mir dann seine Lektüre erspart.
Im Oktober 2012 veröffentlichte Edmund Stoiber seine Memoiren, ebenfalls ein frommes Buch – im Sinn der Selbstbeweihräucherung. Weil die Welt sich ändert lautet der Titel. Zu den Memoiren Stoibers bemerkte Horst Seehofer in einem Grußwort, Stoiber habe darin ein hohes Maß an Rücksicht auf die politische Familie genommen: »Alles, was du schreibst, stimmt. Nur schreibst du auch über vieles nicht, was stimmt.« Die SZ kommentierte, die Memoiren würden so große Lücken aufweisen, als hätten sich die Motten vor der Drucklegung durchs Manuskript gefressen. Warum sah Stoiber sich veranlasst, so vieles auszublenden?
Die Scheinheiligkeit war immer schon das Kennzeichen bestimmter Hauptprotagonisten der CSU. Man tarnt sich als bekennender Christ, trägt die christlichen Werte wie eine Monstranz vor sich her, in Wirklichkeit aber schreckt man auch vor menschenverachtenden Praktiken mitunter nicht zurück. Man gibt vor, das Wohl der Bürger zu fördern, hat aber vor allem den Machterhalt und die eigene Karriere im Sinn. Man gibt vor, den sozialen Ausgleich zu wollen, begünstigt aber klammheimlich die Reichen und Superreichen. Man spiegelt Rechtsstaatlichkeit vor, praktiziert aber das Unrecht, schützt Straftäter und verfolgt Unschuldige. Tarnung und Täuschung sind das pseudopolitische Lebenselixier.
Die an Gustl Mollath verübte Schandtat ist die abscheulichste Ausgeburt dieser Skrupellosigkeit: Es war kein Justizirrtum, alle bekannten Fakten lassen auf vorsätzliches Handeln schließen! Den Arglosen gilt es die Augen zu öffnen. Doch es geht nicht allein darum, das Verwerfliche anzuprangern, sondern eine Umkehr zu erzwingen. Nach meinem ersten Buch prophezeite mir sarkastisch Erich Riedl, der frühere CSU -Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium: »Der Titel Ihres nächsten Buches wird bestimmt heißen: ›Es geht alles so weiter wie bisher!‹« Dieser Titel wäre in der Tat ebenso zutreffend wie der gewählte.
Aber es darf nicht so weitergehen!
Einführung
1 Das Echo auf das Buch »Macht und Missbrauch«
Die Präsentation des Buches
Im voll besetzten großen Saal des Literaturhauses in München wird am 9. Juli 2009 mein Buch Macht und Missbrauch vorgestellt. Unter den Zuhörern befinden sich mehrere Landtagsabgeordnete, hohe Beamte und viele Journalisten. Jürgen Horbach, der Vorstandsvorsitzende der VEMAG-Verlagsgruppe, in deren Fackelträger Verlag mein Buch erschienen ist, verweist in seinen einführenden Worten auf die Brisanz des Buches und das hohe Risiko zu erwartender Gegenschläge. Michael Stiller, über lange Jahre leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung für den Bereich der bayerischen Landespolitik, rückt in seiner Rede meinen früheren Widerstand gegen die massiven Gesetzwidrigkeiten bestimmter Spitzenpolitiker in den Vordergrund.
Fast 30 Jahre war ich im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen tätig. Als ich mich 1977 wegen rechtswidriger Machenschaften bei Entscheidungen von Steuerfällen mit Bezügen zu F. J. Strauß an den Bayerischen Landtag wandte, löste ich einen großen Skandal aus. Der Landtag setzte einen Untersuchungsausschuss ein, der Rechnungshof bestätigte jedoch meine Vorwürfe. Daraufhin verfolgte mich Strauß mit Disziplinarverfahren und Zwangsversetzung und verhinderte jahrelang meine Beförderung zum Ministerialrat. Diese konnte ich aber 1980 im Zuge seiner Kanzlerkandidatur erreichen. Großes Aufsehen erregte ich ein zweites Mal, als ich mich 1993 erneut an den Landtag wandte und meine durch Strauß veranlasste Diskriminierung schilderte. Strafverfahren und Disziplinarverfahren, die man daraufhin gegen mich einleitete, scheiterten kläglich. Jetzt, nach meiner Pensionierung, legte ich in meinem Buch diese und viele andere Missbräuche der Macht offen.
Als das Publikum nach der Lesung Fragen an mich stellt und von mir wissen will, was mich dazu veranlasst hat, dieses Enthüllungsbuch zu schreiben, antworte ich, dass ich den Gesetzwidrigkeiten und Straftaten bestimmter Spitzenpolitiker der CSU entgegenwirken und diese für die Zukunft verhindern sowie den Bürgern, die den Politikern bisher blind vertraut hätten, die Augen öffnen wolle. Darüber hinaus war es mein Anliegen, jenen Beamten, die pflichtgemäß Recht und Gesetz anwenden wollten, dafür aber »von oben« abgestraft wurden, eine Hilfestellung zu geben.
Lange hatte ich gebangt, ob das Buch wirklich erscheinen würde! Wer alles wurde doch darin angegriffen, bloßgestellt, teilweise schwerer Verfehlungen beschuldigt: Strauß, Streibl, Stoiber, mehrere Finanzminister und Justizminister, Ministerialdirektoren im Finanz- und im Justizministerium, ein Generalstaatsanwalt, Oberstaatsanwälte. Außerdem hatte ich aufs Korn genommen: Leo Kirch, Otto Beisheim, Karl Diehl, Eduard Zwick, Friedrich Jahn, Karl-Friedrich Flick, Franz Beckenbauer und weitere prominente Steuerpflichtige. Immer wieder fragte ich mich, ob nicht doch am Ende den Verlag der Mut verlassen würde.
Natürlich war jedes Wort, das ich geschrieben hatte, wohl überlegt. Der Vorstandsvorsitzende des Verlags und der Lektor waren mit mir Seite für Seite durchgegangen. Eine spezialisierte Anwaltskanzlei überprüfte zweimal Satz für Satz, verlangte vielfach die Vorlage von Beweisen. Um Gegenschläge zu erschweren, wurde das erstellte Personenverzeichnis im Buch nicht abgedruckt. Da zu befürchten war, jemand könnte versuchen, das Erscheinen des Buches zu verhindern, wurde es vom Verlag nicht in der halbjährlichen Vorschau, die an die Buchhandlungen versandt wird, sondern erst 14 Tage vor dem Erscheinungstermin per E-Mail und per Telefon angekündigt.
Das Buch hatten vor seiner Veröffentlichung überdies zwei Spitzenpolitiker der CSU begutachtet. Der eine, ein hoch angesehener früherer Minister, schrieb nach Durchsicht an den Verlag: »Das Buch ist notwendig und wichtig.« Der andere sagte auf meine Frage, ob ich irgendetwas in dem Buch falsch dargestellt oder ob ihn etwas überrascht hätte: »Nein, es sind die Fakten, nur die Fakten. Das Buch ist okay. Es sollte unbedingt veröffentlicht werden.«
Die Öffentlichkeit sollte durch zwei Anzeigen in der Süddeutschen Zeitung kurz vor der Präsentation im Literaturhaus auf das Buch hingewiesen werden. Doch unmittelbar vor Erscheinen der Annonce verlangte die Süddeutsche plötzlich vom Fackelträger Verlag die Abgabe einer zweiseitigen Haftungs- und Freistellungserklärung für den Text des Inserats. Als Jürgen Horbach, der Vorstandsvorsitzende des Verlags, empört der Süddeutschen vorhielt, so etwas habe er noch nie erlebt, man habe ja offensichtlich nur Angst vor der CSU, zog die Zeitung das Verlangen wieder zurück.
Die Reaktion der Politiker und Spitzenbeamten
Die CSU schwieg. Normalerweise reagieren Ministerpräsident und Minister auf Vorwürfe durch ihre Pressesprecher innerhalb von Stunden. Wie ich bald von Journalisten, aber auch aus der CSU erfuhr, soll Ministerpräsident Horst Seehofer die Order ausgegeben haben, kein Wort über das Buch zu verlieren. Die darin schwer angegriffenen einstigen Größen Edmund Stoiber, Erwin Huber und Günther Beckstein rührten sich nicht, Gerold Tandler und Georg von Waldenfels blieben stumm. Gesammeltes Schweigen allerorts. Huber soll jedoch ahnungsvoll und bedrückt schon nach der ersten Annonce in der Süddeutschen Zeitung , die das Buch ankündigte, gegenüber einem Journalisten geäußert haben, er sei es gewesen, der mich rehabilitiert habe, indem er ein von seinem Vorgänger von Waldenfels gegen mich eingeleitetes Disziplinarverfahren niedergeschlagen habe.
Stellten die früheren Justizminister Hermann Leeb und Manfred Weiß, der Justizministerialdirektor Wolfgang Held und der Generalstaatsanwalt Hermann Froschauer gegen mich einen Strafantrag wegen Verleumdung? Das Strafgesetzbuch war schließlich ihr Revier gewesen. Sie hüteten sich. Das überraschte mich nicht, war ich mir doch sicher, unumstößliche Beweise angeführt zu haben.
Distanzierten sich wenigstens Ministerpräsident Horst Seehofer und die Justizministerin Beate Merk von den im Buch beschriebenen Machenschaften und Verfehlungen bis hin zu Straftaten? Nein, sie schwiegen. Drückten sie den Opfern öffentlich ihr Bedauern aus? Mitnichten. Bemühte man sich um Wiedergutmachung oder Korrektur, soweit diese noch möglich war? Keineswegs, im Gegenteil. Die Steueramtsrätin Ingrid Meier, die bei dem Rüstungskonzern Diehl rechtswidrig daran gehindert worden war, 60 Millionen Mark an Steuern nachzufordern und wegen ihres Widerstands hiergegen beruflich abqualifiziert worden war (s. »Ursache Nr. 1: Politische Protektion in bestimmten Einzelfällen«, S. 212), erhielt von Finanzminister Georg Fahrenschon den Bescheid, sie sei überhaupt nicht benachteiligt worden. Der Regierungsdirektor Fischer-Stabauer, der sich erkühnt hatte, gegen Gerold Tandler ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung im Skandalfall des »Bäderkönigs« Eduard Zwick einzuleiten, und dem daraufhin die zuerkannte Eignung als Finanzamtsvorsteher wieder aberkannt worden war, erhielt keine Entschädigung, ja nicht einmal ein Wort der Entschuldigung. Und der frühere, ebenso mutige wie hervorragende Augsburger Staatsanwalt Winfried Maier, der trotz massiver Behinderung von oben die Strafverfahren gegen Holger Pfahls, Max Strauß, Walther Leisler Kiep, Karlheinz Schreiber und die Thyssen-Manager Hastert und Maaßmann durchgesetzt hatte, musste weiterhin auf der Position verharren, auf die man ihn, mutmaßlich weil er dort ungefährlich war, manövriert hatte: auf einer Richterstelle beim Oberlandesgericht München, wo er sich mit Familienrecht befassen durfte.
Dass Horst Seehofer keinerlei Mitgefühl mit Staatsdienern zeigte, denen bitteres Unrecht zugefügt wurde, war bemerkenswert und umso erstaunlicher, als er selbst früher ein kleiner Beamter an einem Landratsamt gewesen war.
Nach dem Erscheinen des Buches bestätigten mir Alfred Sauter, der wegen der ihm fälschlicherweise angelasteten Millionenverluste der Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft Bayern (LWS) als Justizminister zum Rücktritt gezwungen wurde, sowie der Staatssekretär a. D. im Bundeswirtschaftsministerium Erich Riedl, der beschuldigt wurde, vom Lobbyisten Karlheinz Schreiber 500 000 Mark Schmiergeld im Zusammenhang mit der Lieferung von Bundeswehr-Spürpanzern der Marke Fuchs an Saudi-Arabien erhalten zu haben, die sie betreffenden Sachverhalte seien völlig korrekt dargestellt.
Ein von mir im Buch nicht erwähntes früheres Kabinettsmitglied zeigte sich erschüttert und versicherte mir: »Ich stehe voll auf Ihrer Seite. Ich bin Ihr Mitstreiter.« Er verschenkte an Weihnachten mehrere von mir signierte Buchexemplare. Ein ehemaliger Staatssekretär äußerte nach der Lektüre gegenüber einem Kollegen: »Es ist unglaublich, was da alles passiert ist. Da war man dabei und wusste doch nichts.« Frühere CSU-Mitglieder des Landtags und des Bundestags kamen auf mich zu und bekundeten ihre Solidarität. In allen Gesprächen kam einer besonders schlecht weg: Edmund Stoiber. Immer wieder wurde sein eiskaltes, rücksichtsloses Verhalten gerügt.
Auf der anderen Seite stand eine Äußerung von Staatskanzleiminister Siegfried Schneider. Er soll auf die Frage, ob er das Buch gelesen habe, geantwortet haben: »Ja, aber da steht nichts Bewegendes drin.« Es war aufschlussreich, dass das, was die meisten Leser erschütterte, für ihn anscheinend ziemlich normal war.
Der Münchner Presseclub lud mich zu einer Lesung ein, zugleich versuchte er, einen CSU-Politiker als Widerpart in der Diskussion zu gewinnen. Doch seltsam: Kein einziger hatte Zeit, weder Günther Beckstein noch Alois Glück, Thomas Goppel und etliche andere, an die man herantrat. Die Geschäftsführung des Presseclubs sagte mir, so etwas habe es noch nie gegeben.
Die Reaktion der Medien und Bürger
Über das Buch berichteten zunächst nur die größeren Zeitungen. Der Chefredakteur des konservativen Rheinischen Merkur, Michael Rutz, CSU-Mitglied seit Jahrzehnten, schrieb: Das Buch »macht es zwingend notwendig, das Kapitel Strauß vollständig neu aufzuarbeiten. Das gilt für die CSU, wenn denn Parteichef Seehofer tatsächlich – wie versprochen – einen kompletten Neuanfang für die Partei vorhat. Das gilt aber auch für die Staatsanwaltschaft in Bayern.« Ich wurde um zahlreiche Interviews gebeten: von der Presse, vom Rundfunk und von privaten Fernsehsendern. Das Bayerische Fernsehen hingegen blendete sich vollständig aus. Offenkundig sah sich der für seine Linientreue berüchtigte Chefredakteur Sigmund Gottlieb verpflichtet, das kolportierte Schweigegebot Seehofers einzuhalten.
Immer mehr Leute kauften das Buch, es wurde ein Bestseller und verkauft sich auch heute noch gut. Gleichzeitig brach über mich eine Welle von Telefonanrufen und Zuschriften herein. Hatte ich viele Schmähungen und Anfeindungen erwartet, so wurde ich vom Gegenteil überrascht: allseits begeisterte Zustimmung und Anerkennung für den Mut, das Buch geschrieben zu haben. Viele äußerten, sie hätten schon immer das Gefühl gehabt, dass etwas faul sei, aber dass es so schlimm sei, hätten sie nicht gedacht. Das Erstaunliche war, dass die Absender und Anrufer durchwegs bekannten, sie seien langjährige CSU-Wähler oder CSU-Mitglieder. Es waren oft Unternehmer, leitende Angestellte, Professoren, Beamte, Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Notare, Gymnasiallehrer, Ärzte und ähnliche gehobene Berufe. Es schien, als hätte das Buch einen Bann gebrochen. Aus den Reihen der CSU erhielt ich nur einen einzigen Schmähbrief, er kam aus Durach bei Kempten und war in fehlerhaftem Deutsch geschrieben.
Wurde ich zunächst von Buchhandlungen zu Lesungen eingeladen, so folgten bald Einladungen der SPD, des Evangelischen Arbeitskreises für Arbeitnehmerfragen, des Bundes deutscher Kriminalbeamter, der Gewerkschaft ver.di, verschiedener Clubs, der Freien Wähler, der FDP-nahen Thomas-Dehler-Stiftung und insbesondere von Bündnis 90/Die Grünen.
Als ich im Dezember 2009 auf Einladung der Letzteren im Landtag eine Lesung hielt, forderte unter großem Beifall der Landtagsabgeordnete Sepp Dürr, den Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen umzubenennen. »Ein Krimineller taugt nicht als Namensgeber«, sagte er. In der Diskussion bestätigten zwei frühere Richter die von mir gerügten Missstände in der Justiz. Und eine Beamtin der Steuerstrafsachen- und Steuerbußgeldstelle München bekannte mutig, dass meine Schilderung der rechtswidrigen Eingriffe »von oben« zutreffe.
Der stellvertretende Vorsitzende der Bayerischen Finanzgewerkschaft schrieb in der Mitgliederzeitschrift, das Buch bringe »weitestgehend Fakten«. Er erinnerte daran, dass die Finanzgewerkschaft 1993 in einem an Finanzminister von Waldenfels gerichteten Protestschreiben gegen die »politische Protektion« gerügt hatte, dass durch rechtswidrige Weisungen »von oben« Millionenbeträge an Steuern bei bestimmten Steuerpflichtigen nicht festgesetzt oder erlassen wurden. Der Finanzminister habe sich gegen diesen Vorwurf in einem »geharnischten Schreiben« verwahrt.
Ein früherer Kollege aus dem Innenministerium, ebenfalls CSU-Mitglied seit Jahrzehnten, beklagte: »Strauß hat die Korruption nach Bayern gebracht, Stoiber hat den Niedergang des Staatsvermögens verschuldet.« Ja, man begann in der CSU über die eigenen Spitzenleute nachzudenken.
Der Salvatorprobe des Jahres 2010 sah die Öffentlichkeit mit Spannung entgegen. Wegen der unfassbaren Misswirtschaft führender CSU-Politiker in Sachen Landesbank erwartete man allseits eine geharnischte Fastenpredigt des Bruders Barnabas (Michael Lerchenberg). Am Donnerstag, dem 5. März, war es dann so weit. Ich schaltete den Fernseher ein.
Bruder Barnabas hatte seine »Nockher-Bergpredigt« bereits begonnen. Satz für Satz prangerte er die Missstände und Missgriffe an, geißelte er die zwanghaft süßsauer lächelnden Politiker. Plötzlich streckte er den Arm aus, deutete auf Horst Seehofer und Finanzminister Fahrenschon und rief: »Haben Sie Ihren Schlötterer schon gelesen?« Fahrenschon nickte. »Und Sie trauen sich das auch noch zuzugeben!«, setzte Bruder Barnabas nach. »Weil«, fuhr er fort, »der Herr Ministerpräsident hat ja die immerwährende Anbetung des schwarzen Götzen und Flugbenzin-Buddhas angeordnet« (gemeint war Strauß). Dann holte er unter dem Pultdeckel das Buch Macht und Missbrauch hervor, hielt es Seehofer entgegen, der verdutzt schaute. Der Fastenprediger weiter: »Aber damit niemals mehr ein bayerischer Finanzminister lügen muss: Hier, Herr Seehofer, für Sie, da Geben seliger ist denn Nehmen, ein Exemplar Schlötterer, als Parteispende gewissermaßen, zur Buße und inneren Reinigung. Und wenn Sie das Buch gelesen haben, dann werden Sie die Worte unseres Herrn Jesus verstehen, die da lauten: Die Sünden der Väter werden vergolten bis ins dritte und vierte Glied.«
Notgedrungen erhob sich Seehofer und nahm das Buch entgegen. Sich umdrehend, wollte er es sogleich weiterreichen, aber niemand nahm ihm die schwere Last ab. So legte er es vor sich auf den Tisch. Das Publikum lachte schallend. Seehofer, der, wie erwähnt, die Anweisung gegeben haben soll, über das Buch zu schweigen, wurde quasi höchst unfreiwillig zum prominentesten Werbeträger für das Buch. Das Fernsehen blendete die Titelseite des Buches mit dem Bild von F. J. Strauß in Großaufnahme ein.
Mich aber erfüllte eine innige Freude.