Lukas Hohler
Potenzial und Weisheit kollektiver Intelligenz
Der Grundkraft-Prozess für Organisationen
Copyright: © 2021 Lukas Hohler
Lektorat: Erik Kinting – www.buchlektorat.net
Satz: Erik Kinting
Umschlaggestaltung & Illustrationen: Philipp Schubiger
Titelfoto: Polina Kuzovkova, unsplash.com
Autorenfoto: Kawira Nyaga
Verlag und Druck:
tredition GmbH
Halenreie 40-44
22359 Hamburg
978-3-347-23915-9 (Paperback)
978-3-347-23916-6 (Hardcover)
978-3-347-23917-3 (e-Book)
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Der Autor
Lukas Hohler beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit zwischenmenschlichen Herausforderungen. Er hat in den USA und der Schweiz Prozessorientierte Psychologie nach Arnold Mindell studiert und einen M. A. in Conflict Resolution der Antioch University (Yellow Springs, Ohio, USA).
Mit Leidenschaft zieht es ihn immer wieder unter die Oberfläche von Spannungsfeldern, wo er gelernt hat, auf das kreative Potenzial von Herausforderungen zuzugreifen. Als Entwickler von Weiterbildungsprogrammen – u. a. für Führungs- und Lehrkräfte – ist er Autor diverser Handbücher. Als Unternehmer hat er mit www.grundkraft.net eine Trägerorganisation für die von ihm entwickelten methodischen Ansätze aufgebaut und 2008 die Organisation www.schulkraft.ch gegründet. Als Coach, Facilitator, Kulturentwickler und Dozent war und ist er in verschiedenen Ländern Europas, Afrikas und Nordamerikas tätig.
Lukas Hohler ist verheiratet und lebt in Zürich. Er engagiert sich in verschiedenen Zusammenhängen dafür, dass zwischenmenschliche Herausforderungen nicht als Endpunkt einer Fehlschaltung gesehen, sondern als Ausgangspunkt für eine Entwicklung behandelt und genutzt werden.
Inhalt
Danksagung
Vorworte
Ohne Spannung keine Energie – Organisationskultur im Wandel
Die Digitale Transformation braucht den Menschen
Ein Kreis schließt sich
Die Grundlagen des Grundkraft-Prozesses
Herleitung
Persönliche Herleitung
Was habe ich gelernt?
Die innere Haltung eines offenen Gasthauses
Entpersonalisieren von Erfahrungswelten
Etwas Magisches kann geschehen
Theoretische Grundlagen
Das Modell der drei Ebenen der Realität
Konsensrealität
Feldrealität
Essenzrealität
Deep Democracy (Tiefe Demokratie)
Die vier Konfliktphasen
Konfliktphase 1: Harmonie und Verdrängung
Konfliktphase 2: Ich/Wir gegen das andere
Konfliktphase 3: Ich/Wir mit dem anderen
Konfliktphase 4: Empathie und Metaposition
Vor- und Nachteile der vier Phasen
Konfliktphase 1: Von Gemeinschaftsgefühl bis Scheinharmonie
Konfliktphase 2: Von klaren Positionen bis zur Eskalation
Konfliktphase 3: Von der Grundkraft bis zur Verwässerung
Konfliktphase 4: Von der Kohärenz bis zum Verlust der Bodenhaftung
Fazit
Push- und Pull-Faktoren
Push: Konflikte und Disruption
Pull: Purpose und Vision
Kontextualisierung: Es geht um Kulturentwicklung
Die Bedeutung von Agilität und warum die Umsetzung große Schwierigkeiten bereitet
Metathese: Keine Agilität ohne Persönlichkeits- und Kulturentwicklung
These 1: Ein neuer sozialer und persönlicher Referenzrahmen ist erforderlich
These 2: Konflikte sind Ressourcen
These 3: Macht ist keine Konstante
These 4: Führung bedeutet Kohärenz schaffen und facilitieren
Agilität und der Grundkraft-Prozess
Zur Notwendigkeit von Innovationskulturen und welche Voraussetzungen dafür nötig sind
Schutz: Psychologische und emotionale Sicherheit / Vertrauen
Vielfalt: Diversität, Inklusion und Zugehörigkeit
Lernen: Eine neue Fehlerkultur
Kollaboration: Verständnis und Kompetenzen für die Zusammenarbeit
Leichtigkeit: Die Möglichkeit und Fähigkeit zu spielen, kreative Ideen zu entwickeln und der Mut zum Experiment
Rahmen: Strukturen, Zeit, Gefäße und Räume
Innovation und der Grundkraft-Prozess
Die Wichtigkeit der Kohärenz und wie ein gemeinsames Referenzsystem entstehen kann
Kohärenz braucht Führung
Kohärenz und Resilienz
Mitarbeiterengagement
Das ewige Problem der fehlenden Wertschätzung und Empathie
Der Ablauf des Grundkraft-Prozesses
Ablauf im Überblick
Vorbereitung: Wozu, wo und wie lange
Durchführung: Acht Schritte
Nachbearbeitung: Nächste Schritte erkennen, definieren und ermöglichen
Ablauf im Detail
Details zur Vorbereitung
Wozu das Ganze?
Welches Spannungsfeld bearbeiten wir?
Mögliche Anwendungsfelder
Innovation
Konflikte
Change Prozesse und Kulturentwicklung
Prozessplanung für die Durchführung
Facilitation
Zeitrahmen
Setting
Räumliches Setting
Virtuelles Setting
Details zur Durchführung
1. Feldanalyse: Identifizieren von Rollen und Geistrollen in einem Spannungsfeld
Das Erkennen und Benennen von Rollen
Das Erkennen und Benennen von Geistrollen
2. Mapping: Erstellen der Rollenlandkarte
3. Priorisieren: Welche Rollen hacken wir?
4. Hacken der Rollen in Kleingruppen
Grundübung zum Rollen-Hacken
Empathie für die Rolle aufbauen
Fragen an die Rollen
Zum Hintergrund der Fragen
5. Hacken der Rollen im Plenum
Klärungsfragen
Die Kleingruppen durch die Fragen führen
Hotspots
6. Die Netze einholen
7. Bull’s Eye
8. Abschluss und Framing
Details zur Nachbearbeitung
Die Ernte einfahren: Ziele der Nachbearbeitung
Kohärenz: Bedeutung schaffen
Emergenz: neue Wege erkennen
In der Gruppe und im Spannungsfeld
Auf den Hotspot-Parkplatz
Analyse: Schlussfolgerungen zur Weiterentwicklung
Rangdynamik im Spannungsfeld
Nutzen der Konfliktfelder
Nicht gehackte Rollen
Rückmeldung aus der Nachbereitung
Fallbeispiele
Recht und Innovation
Von Regeln zu Haltungen
Internationale Zusammenarbeit auf dem Prüfstand
Aus dem Streit in die Zusammenarbeit
Zurück zur Friedensarbeit
Rassismus besprechbar machen
Anhang
Organisatorische Checkliste für einen Grundkraft-Prozess
Ort der Durchführung: Ausstattung und Services
Material Facilitator/innen
Checkliste zum Rollen-Hacken
Arbeitsauftrag zum Hacken von Rollen in Kleingruppen
Weitere Fragen, die sich als hilfreich erwiesen haben:
Das berühmte Gedicht von Rumi
Das Gasthaus
Kontakt
Danksagung
Wie die meisten Bücher wäre auch dieses nicht ohne Unterstützung entstanden. Ich möchte alle, die daran mitgewirkt haben, an dieser Stelle namentlich erwähnen und mich von Herzen für die wertvolle Unterstützung bedanken.
Elke Schlehuber hat mich sehr ermutigt, dieses Buch zu schreiben. Ihr Feedback zur ersten Fassung war wegweisend und schließlich hat sie mit ihrem Vorwort dazu beigetragen, das Buch abzurunden.
Thomas Diener und Patrik Neuhaus haben frühe Versionen dieses Buches gelesen und mir genau die Anregungen gegeben, die notwendig waren, um es auf Linie zu halten. Merle Runge und Jonas Blecher haben mich von Anfang an ermutigt, meine frühen Gedanken und Experimente zu einem neuen Gruppenprozessverfahren weiterzuentwickeln und haben auch selbst immer wieder damit experimentiert. Merle Runge hat mir überdies ein schönes Fallbeispiel zugetragen. Jonas Blecher hat sich während der Arbeit an diesem Buch mit großer Leidenschaft als Pingpongpartner eingeschaltet und mir als erfahrener Anwender des Grundkraft-Prozesses detaillierte Rückmeldungen gegeben. Mit ihm habe ich das eine oder andere Detail zum Verfahren noch einmal verfeinert. Auch er hat ein spannendes Fallbeispiel beigetragen.
Die Diskussionen mit Stefan Metzger haben geholfen, den größeren Kontext meiner Arbeit zu vertiefen; auch über sein Vorwort bin ich sehr erfreut.
Thomas Schluep und Mille Bojer haben mir wertvolle Rückmeldungen zu den Fallbeispielen gegeben.
Ohne die enge Zusammenarbeit mit Angelika Kofler hätte ich den Inhalt dieses Buches nie so stringent hingekriegt, wie er jetzt daherkommt.
Philipp Schubiger schließlich hat mit seinem visuellen Feingefühl die Bilderwelt und den Umschlag gestaltet.
Über die unmittelbare Mitwirkung am Buch hinaus will ich auch weitere prägende Quellen meiner Inspiration würdigen:
Ohne Arnold Mindell und seine Entwicklung der Prozessarbeit wäre ich wohl nie auf die Bahnen eingebogen, auf denen ich jetzt unterwegs bin. Er hat mich als Lehrer, Supervisor, Therapeut und Wegbegleiter stets unterstützt und ermutigt, meinen ganz eigenen Weg durch das Leben zu gehen.
Max Schupbach hat mich fundamental dazu inspiriert, beruflich aufzubrechen, und war mir auf diesem Weg immer ein Vorbild. Überdies hat er mir zu vielen inspirierende Metaphern verholfen.
Timmy Myers hat mich gerade am Anfang meines beruflichen Werdegangs immer wieder liebevoll, aber bestimmt, ins Feuer geführt und mich angestachelt, meine Erkenntnisse aufzuschreiben.
Joe Goodbread war mit seinem Wissen und Humor ein wichtiger Partner, als ich mein erstes Methodenhandbuch schrieb.
Die jahrelange Zusammenarbeit mit Alexandra Vassiliou hat mich als Facilitator befähigt, mit einer Mischung aus Feingefühl und Klarheit auf den Punkt zu kommen. Sie hat auch immer die Entwicklung meiner Ideen konsequent unterstützt und angereichert.
Nader Shabahangi hat mich in San Francisco das Mindset des Entrepreneurs gelehrt, als ich ihm zwei Wochen auf Schritt und Tritt in seiner Rolle als Unternehmer und CEO überallhin folgen durfte, um dann mit ihm meine Erlebnisse und Gedanken bis in die Nacht zu diskutieren und im Anschluss mein erstes eigenes Unternehmen Schulkraft zu gründen.
Ohne meine Eltern Ursula und Franz Hohler wäre ich erstens schon einmal gar nicht hier und zweitens haben sie mir durch ihr eigenes kreatives Schaffen ein Selbstverständnis mitgegeben, im Leben das zu tun, was einen interessiert, und sich der Welt damit ohne Wenn und Aber zuzumuten.
Schliesslich bedanke ich mich von ganzem Herzen bei meiner Lebenspartnerin Kawira Nyaga. Immer wieder erfasst sie die Essenz meines Wesens, ermutigt und fordert mich heraus, mit den Erfahrungen in Verbindung zu bleiben, die wirklich zählen.
Vorworte
Der Grundkraft-Prozess ist aus meiner langjährigen Arbeit entstanden und wird in diesem Buch als Werkzeug für die Arbeit mit Gruppen und zur Kulturentwicklung in Organisationen vorgestellt.
Als Auftakt habe ich zwei Kolleg/innen mit unterschiedlichem Hintergrund und Erfahrungsspektrum gebeten, sich durch ihre Perspektive auf meine Sicht der Dinge zu beziehen: Elke Schlehuber und Stefan Metzger.
Elke Schlehuber ist eine erfahrende Organisationsentwicklerin und Buchautorin, die unzählige Veränderungsprozesse in Organisationen begleitet hat und sehr gut mit deren Komplexität und Tücken vertraut ist.
Stefan Metzger befasst sich als gelernter Maschinenbauingenieur mittlerweile mit den Herausforderungen der Digitalen Transformation, im speziellen mit Smart-City-Entwicklungskonzepten. Beide kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen über die vorrangig anstehenden zwischenmenschlichen Herausforderungen und dazu, wie uns der Grundkraft-Prozess in diesem Rahmen unterstützen kann.
Ohne Spannung keine Energie – Organisationskultur im Wandel
Elke Schlehuber, Development Coach, Organisationsentwicklerin, Facilitatorin, Co-Autorin von »Die heiligen Kühe und die Wölfe des Wandels«
Hierarchische Organisationen sind Konfliktkorsette. – Das sagt eine der vier Thesen zur Agilität, die Lukas Hohler in diesem Buch aufstellt und mit denen er ins Schwarze trifft. Wie oft bin ich in den vergangenen 25 Jahren, in denen ich Teamdialoge moderiere und Organisationen in Veränderungsprozessen begleite, über dieses Phänomen gestolpert. Es ist eine heikle Sache, in einem Team mit einem disziplinarischen Vorgesetzten einen Konflikt zu facilitieren, selbst und insbesondere dann, wenn dieser persönlich gar nicht anwesend ist. Konflikte werden eskaliert, man geht nicht auf einer Peerebene miteinander in den Ring, man erwartet ein klärendes Wort von oben und wenn es über diesen Weg nicht gelingt, weil der oder die Vorgesetzte selbst in den Konflikt verstrickt ist, dann greift die nächste Ebene zu strukturellen Lösungen: andere Aufgabenverteilung, neue Abteilung, Kampfhähne auseinandernehmen, weiter gehts, nichts gelernt.
Wie Macht verteilt ist und wie sie gehandhabt wird, so eine weitere These von Lukas Hohler, verändert sich in einem agilen Umfeld. Das ist auch meine Erfahrung, und zwar für alle. Denn wie von oben nach unten Macht ausgeübt wird, so auch von unten nach oben. Im Zweifelsfall wird man sich unten immer gegenseitig decken. Ist ja klar, denn wenn man den Rückhalt seiner Kolleg/innen verliert, dann steht man ganz alleine da. Das ist eine schlechte Position in einem Team, in dem man sich gegenseitig braucht, um seinen Beitrag zu leisten, ganz davon abgesehen, dass menschliche Nähe nur unter Gleichen möglich ist. Zu Vorgesetzten bleibt eine Distanz, da muss man vorsichtig sein, was man sagt und tut. Wenn wundert es da, dass Feedback- und Fehlerkultur so oft beschworen und so selten gelebt werden.
Wo Hierarchien abgebaut werden, wo Führungsarbeit auf viele Schultern verteilt werden soll, wo Mitarbeitende in multiplen Rollen unterwegs sind – hier Projektmitarbeiterin, dort Linienvorgesetzte, im nächsten Meeting beratende Fachexpertin, wo die Schutzfunktion von Hierarchie wegfällt – stellen sich neue Herausforderungen. Im Idealfall wird Führung dienend, Innovation existenziell, Interdisziplinarität selbstverständlich, Purpose orientierend, werden Selbstverantwortung und Committment selbstverständliche Bedingungen für Erfolg.
All das ist bekannt. Es wird viel darüber gesprochen und geschrieben. Aber wie kommt ein Team, eine Organisation dahin? Wie lassen sich entsprechende Fähigkeiten und Qualitäten entwickeln? Welche Sichtweisen, Frameworks, Methoden können diese Transformation unterstützen? Und braucht man neben neuen Mindsets nicht auch neue Heartsets? Also innere Haltungen, die es uns ermöglichen mit mehr Empathie, Neugier und Offenheit aufeinander zuzugehen und zusammenzuarbeiten?
Lukas Hohlers Methode des Grundkraft-Prozesses ist ein Verfahren, das auch dann angewendet werden kann, wenn es am schwierigsten wird. Dann, wenn eine Organisation mitten drin ist im strukturellen Wandel, wenn Polarisierungen und Konflikte sich häufen, wenn Dilemmata und Spannungsfelder überhandnehmen, wenn Inkongruenzen die Kommunikation erschweren, wenn die Neigung zu gegenseitigen Schuldzuweisungen steigt und der soziale Zusammenhalt in Gefahr ist, wenn Innovation längst überfällig ist. So wie Münchhausen sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht, ermöglicht der Grundkraft-Prozess einer Gruppe mit den Themen, Kräften und Polarisierungen, die konkret auf sie einwirken und sie am meisten herausfordern, live und in Echtzeit zu arbeiten. Für eine Gruppe und alle ihre Mitglieder ist es eine zutiefst transformative Erfahrung, einen Prozess zu durchlaufen, in dem es gelingt, sich den Kräften, die am Anfang als konfliktbehaftet, vielleicht unüberwindbar galten, gemeinsam zu stellen, sie zu meistern und schließlich als innovativ, erneuernd und ermächtigend zu erleben. Diese Erfahrung verändert das Selbst- und Welterleben, sie schafft neue Referenz- und Bezugssysteme. Schließlich sind unser Denken und Fühlen, unser Mindset und unser Heartset Teil dessen, was sich verändert und Teil dessen, was dem Wandel im Weg steht. Der Grundkraft-Prozess macht das erfahrbar und birgt so das Potenzial, Teams und Organisationen nicht nur in der Lösung von Konflikten, sondern auch in Innovationsfähigkeit und Kulturentwicklung zu unterstützen.
Lukas Hohlers Grundkraft-Prozess ist relativ einfach anzuwenden, er braucht lediglich ein wenig Zeit und Raum. Die Voraussetzungen und Gelingensbedingungen, das Verfahren und die Stolpersteine sind in diesem Buch wunderbar beschrieben. Führungspersonen und Teams können das Verfahren sehr gut ohne externe Unterstützung nutzen, nachdem sie den Prozess ein oder zweimal mit externer Facilitation durchlaufen haben.
Im kollektiven Wandel sind wir mittendrin. Mit ziemlicher Sicherheit sind neben anderem unser aller Fähigkeit, Spannungen und Konflikte nicht nur auszuhalten, sondern zu bearbeiten, um die darin verborgenen Informationen freizulegen, entscheidend dafür, wie dieser Wandel verläuft. Ohne Polarisierung keine Innovation, ohne Spannung keine Energie, ohne Energie kein Leben, ohne Leben keine Entwicklung.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Leser/innen, eine spannende, freudvolle und erkenntnisreiche Lektüre und viel Spaß im Experimentieren mit dem Grundkraft-Prozess in Ihrem Wirkungsfeld.
Die Digitale Transformation braucht den Menschen
Stefan Metzger, Chief Digital Officer der Stadt Luzern, Mitinitiator und Gründungsmitglied vom »Smart City Hub« und Member des »Pictet Smart City Advisory Boards«
Es war zu der Zeit, als ich das Smart-City-Programm für ein Technologieunternehmen aufbauen sollte. Mein Team und ich waren überzeugt davon, dass der digitale Wandel uns viele neue Chancen eröffnet und maßgeblich dazu beitragen kann, den Herausforderungen der Gegenwart mit ganz neuen Ansätzen zu begegnen. Mit viel Engagement versuchten wir, die verschiedenen Abteilungen und Bereiche von den Synergien in unserem Unternehmen zu begeistern. Wir zeichneten Zielbilder und zeigten auf, wie alle bestehenden Produkte und Lösungen ineinandergreifen und uns ganz neue Möglichkeiten eröffnen könnten. Doch unsere Begeisterung stieß nicht auf das erhoffte Echo. Viel hartnäckiger als angenommen mussten wir einen Umgang damit finden, dass trotz allgemeiner Zustimmung ganz vieles in den einzelnen Themensilos zu verharren schien. Hier galt nach wie vor: jeder Silo für sich, den Blick konsequent nach vorne auf das eigene bekannte und vorgeplante Umfeld gerichtet.
Es wollte uns einfach nicht gelingen, mit unseren guten sachlichen Argumenten und der Vermittlung von Sinnhaftigkeit dieses Bereichsdenken aufzubrechen und die Entscheidungsträger zu überzeugen, mutige Entscheide zu fällen. Offenbar tun wir uns schwer, ergebnisoffen aufeinander zuzugehen und gemeinsam an neuen, besseren Lösungskombinationen zu arbeiten. Sehr wohl hat die Digitalisierung alle Bereiche erfasst und man ist bemüht, einzelne Elemente, Prozesse oder Produkte digital zu transformieren, doch warum tun wir uns so schwer, diese Dinge miteinander zu kombinieren und Synergien zu nutzen? Warum bekommen wir immer wieder die Antwort, dass das alles grundsätzlich Sinn macht, aber eben doch nicht so einfach ist? Es wird think big, start small gepredigt, doch leider bleibt es dann meist beim start small und schrittweise beginnt sich dann auch das Denken auf think small zu reduzieren. Man spricht von Fokussieren und meint damit indirekt, in seiner eigenen Themenwelt zu bleiben. Warum tun wir uns so schwer, über den vielbesagten Tellerrand hinaus zu denken und mutig voranzuschreiten?
Wie es der Zufall manchmal will, habe ich zu dieser Zeit damit begonnen, mich regelmäßig mit Lukas auszutauschen. Wir haben viel über die Menschen gesprochen, über ihre Motivation und Motive, die oft dazu führen, das eine zu sagen und das andere zu tun. Trotz unseres doch sehr unterschiedlichen Hintergrundes trafen Lukas’ Faszination für die Dynamik der Arbeitswelt mit all ihren neuen Themen und mein Wunsch nach besserem Verständnis für die Mitmenschen in einer äußerst fruchtbaren Art und Weise aufeinander. Wir kamen immer mehr zu der Erkenntnis, dass man die Digitale Transformation mit den letztendlich grundlegend menschlichen Entscheidungsprozessen verknüpfen muss, um wirklich etwas bewegen zu können. Das war der Start zu vielen inspirierenden Zusammentreffen mit Lukas.
Ich beschäftige mich schon seit einigen Jahren mit der Digitalen Transformation. Im Glauben, dass es dabei um IT ginge, hielt sich meine Begeisterung dafür anfänglich in Grenzen. Mir war die greifbare Technik als Maschinenbauingenieur immer viel lieber als die abstrakte IT-Welt. Doch es kam, wie es kommen musste: die Welten verschmolzen. Alles ist heute irgendwie IT oder eben digital und man kann sich kaum davor verschließen. Im Laufe meiner Entwicklung realisierte ich, dass es bei der Digitalen Transformation um neuartige Prozesse, neue Denkweisen und ganz neue Geschäftsmodelle geht. Es ist wichtig, zu verstehen, dass die Digitale Transformation zwar die Technologie zwingend braucht, letztendlich aber vor allem im Wandel von Geschäftsmodellen und ganzen Firmenkulturen zu verorten ist. Dass dieser Veränderungsprozess immer schneller voranschreitet, ist allerdings dem technologischen Wandel geschuldet. Gordon Moore hat das bereits 1996 im bekannten Moore ’schen Gesetz definiert, das im übertragenen Sinne beschreibt, dass sich die Prozessorleistung der Computer alle zwei Jahre verdoppelt. Der Blick auf die führenden Tec-Firmen aus dem Silicon Valley und zunehmend aus Asien bestätigt, dass diese ihre technologischen Möglichkeiten von Jahr zu Jahr massiv erhöhen. Warum ist es aber so, dass die technologische Beschleunigung nicht stärker mit in einer gesellschaftlichen Entwicklung und Transformation einhergeht, die uns als Menschen näher zusammenbringt und dem Erhalt unserer Existenz dient? Aller Technik und Digitalisierung zum Trotz bleibt die wichtigste Kraft hinter allen Entwicklungen der Mensch. Was wir im Moment sehen und erleben ist ein Pendelausschlag in Richtung der absoluten Technologiegläubigkeit, der aber zunehmend erkennbar wieder zurückschlägt und sich im Sinne einer nachhaltigen und sozialen Entwicklung einpendeln wird.
Die Digitalisierung macht es möglich, dass wir uns zunehmend auf die menschlichen Fähigkeiten konzentrieren und alles andere den Maschinen, Computern und Algorithmen übergeben können. So spricht man in Forschungskreisen nicht mehr nur von AI (Artificial Intelligence) sondern zunehmend von IA (Intelligence Amplification), sprich der Unterstützung der menschlichen Intelligenz, statt diese durch künstliche Intelligenz zu ersetzen. Wenn wir es allerdings verpassen, durch regulierende Maßnahmen die Kontrolle dieser Entwicklung bewusst zu übernehmen, kann diese durchaus auch aus dem Ruder laufen. Überlassen wir den technologischen Fortschritt ungehemmt sich selber, werden wir Charles Darwins Verständnis von survival of the fittest im Alltag immer öfter begegnen. Das hat unlängst die Corona-Pandemie gezeigt, die auf der einen Seite lokale Läden hat sterben lassen, auf der anderen Seite den Onlinehändlern – allen voran Amazon – das beste Geschäftsjahr in der Unternehmensgeschichte beschert hat.
Diese Entwicklung ist im Smart-City-Umfeld immer deutlicher sichtbar. Vor rund 20 Jahren mit absolutem Technologie-Fokus gestartet, versteht man heute unter Smart City viel mehr die sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Entwicklung einer Gemeinde, Stadt oder Region. Die Menschen sind klar ins Zentrum gerückt und man spricht von Human Centered Smart Cities oder Liveable Cities. Das heißt allerdings auch, dass die Menschen das Zepter wieder aktiv in die Hand nehmen müssen. Eine elementare Voraussetzung dafür ist gegenseitige Empathie und Kohärenz. Wenn wir es schaffen, koordiniert und mit gemeinsamem Verständnis neue Lösungen zu entwickeln, dann wird uns die Digitale Transformation langfristig mehr Menschlichkeit bringen und Mehrwert für alle schaffen.
Wir sind also wieder am Ausgangspunkt: Solange wir in unseren Silos verharren und uns auf die vermeintlich bekannten Parameter unseres unmittelbaren Umfelds fokussieren, wird uns die digitale Transformation keine smarten Lösungen bringen. Wir werden sicherlich einiges optimieren können, sprich inkrementell innovieren, wirkliche Innovation entsteht aber vor allem durch die geschickte Kombination unterschiedlicher Perspektiven. Die Herausforderungen unserer Zeit brauchen immer dringender innovative Lösungen. So können wir nicht einfach die Straßen verbreitern und die Züge verdoppeln, um dem zunehmenden Mobilitätsbedürfnis zu genügen. Wenn wir nicht über den vielbesagten Tellerrand hinausdenken und zum Beispiel einerseits neue Arbeitsformen einführen und andererseits in der Raumplanung mehr Durchmischung und Diversität fördern, werden wir die künftigen Herausforderungen im Verkehr nicht lösen können. Hier kann Technologie sicherlich helfen, doch entscheidend wird die Veränderungsbereitschaft der verschiedenen Akteure, also der Menschen im Hintergrund sein.
Digitale Transformation bedeutet Veränderung, wie es im Kern des Begriffes bereits gefasst ist. Veränderung ist immer anstrengend und muss von Menschen gestaltet und getragen werden. Es erfordert von uns Menschen einiges an Offenheit, geistiger Flexibilität und Vertrauen, uns auf wirkliche Veränderungsprozesse einzulassen. Leider fehlt es oft an Mut und Demut, sich der komplexen und zunehmend unsicheren Zukunft zu stellen und diese aktiv zu gestalten. Wir reagieren auf diese Komplexität immer emotionaler, das Bauchgefühl und nicht der Verstand entscheidet. Genau deswegen wird es immer wichtiger, die Menschen hinter den Entscheidungsträgern abzuholen und sie auch auf der emotionalen Ebene miteinzubeziehen.
Genau hier kommt die Methode des Grundkraft-Prozesses wie gerufen. Lukas hat seine Erfahrung aus unzähligen Workshops und der Bearbeitung vieler Konfliktsituationen zusammengetragen und in seiner einfachen und gerade deshalb so wirksamen Methodik adaptiert. Mit dem Grundkraft-Prozess gibt er uns ein Werkzeug an die Hand, das durch ein gut strukturiertes und praktizierbares Verfahren dazu führt, dass wir gemeinsam Empathie und Verständnis für unterschiedliche Erlebniswelten aufbauen, die sich unter der Oberfläche von Positionen oder Rollen befinden. Das geschieht auf eine Art, die es eben gerade auch erlaubt, sich in der ganzen Bandbreite der Erfahrung der Teilnehmenden – kognitiv und emotional – an einem Prozess zu beteiligen, ohne sich dabei Blößen zu geben oder seine hierarchische Position zu gefährden.
Der Grundkraft-Prozess erlaubt es uns, besser zu verstehen, was Menschen antreibt sich so zu verhalten, wie sie es tun. Welche Motive wirken unter der Oberfläche, was treibt an und was schreckt ab? Wenn wir ein gemeinsames Verständnis für die tiefere Erfahrung unterschiedlicher Standpunkte entwickeln, entwickeln wir nicht nur Empathie und Wertschätzung, sondern werden mit großer Wahrscheinlichkeit auch erkennen, dass wir das gleiche Ziel haben. Wir öffnen uns einem gemeinsamen Zweck und Ziel und verlassen die Ebene der eigenen kurzfristigen Interessen und Perspektiven. Wenn wir die aktuellen Entwicklungen auf der Welt betrachten, so erlangt genau dieses Erkennen gemeinsamer Bedürfnisse und Ziele zunehmend Bedeutung.
Auf dieser Grundlage können wir den Schritt in eine lebenswerte Zukunft machen. Wir brauchen das kollektive Wissen, Beziehung und Kohärenz dafür. Technologie wird uns helfen, geografische und vielleicht schon bald auch zwischenmenschliche Distanzen zu überwinden. All das können wir nur bewerkstelligen, wenn wir Disziplinen verbinden, also letztendlich Menschen verbinden. Auch wenn die Digitalisierung erfolgreich in nahezu alle Lebensbereiche Einzug gehalten hat, stehen wir erst am Anfang einer spannenden Reise.
Trotz der großen Ungewissheit beim Blick in die Zukunft kann ich mit zunehmender Überzeugung sagen, dass wir uns – sofern es uns gelingt, den Menschen in seiner Ganzheit in die Digitale Transformation mit einzubeziehen – in eine menschlichere, persönlichere und gemeinschaftlichere Welt bewegen.