Gotthold Ephraim Lessing
Ernst und Falk – Gespräche für Freimaurer
Mit einer Einführung und Erläuterungen
von
Wolfgang Kelsch
Edition zum rauhen Stein
Editorische Notiz
Die Schrift „Die Erziehung des Menschengeschlechtes“, welche auch die „Gespräche für Freimaurer“ beinhaltet, ist ein Teil des aufklärerischen Werks von Gotthold Ephraim Lessing, der ja behauptet hat, die Freimaurerei sei auch im Fernstudium erlernbar, und legt damit den Grundstein für eine bis heute anhaltende Diskussion über die Anwendung des Rituals als kulturelle Performance.
Michael Kernstock
Herausgeber
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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
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ISBN 978-3-7065-5765-8
Unveränderter Nachdruck der Ausgabe des Bauhütten Verlags, Bonn, von 1981 Gedruckt mit freundlicher Genehmigung des Bauhütten Verlags, Bonn Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
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Einführung:
Lessings Freimaurergespräche in ihren historischen und gegenwärtigen Bezügen
Aufklärung und Freimaurerei im 18. Jahrhundert
Lessing und die Freimaurerei
Das große Schisma der Freimaurerei 1760–1782
Die Entstehung von Lessings Ernst und Falk – Gespräche für Freymäurer
Erstes Gespräch: Neugier und Mißverständnis
Zweites Gespräch: Ärger und Nachdenken
Drittes Gespräch: Der zündende Funke – Handeln
Viertes Gespräch: Feuer und Rauch – Hülle und Einkleidung
Fünftes Gespräch: Die Tischgesellschaft der wissenden Freunde – Freimaurerei in ihrer wahren Gestalt
Ernst und Falk – Gespräche für Freymäurer – Text
Erstes Gespräch
Zweites Gespräch
Drittes Gespräch
Viertes Gespräch
Fünftes Gespräch
Erläuterungen zu Lessings Gespräche für Freymäurer – Ernst und Falk, 1. – 5. Gespräch
Literaturhinweise
Zeittafel: Gotthold Ephraim Lessing – Leben und Werke
J. G. Herder: Nachruf für G. E. Lessing, 1781
Eine Neuausgabe von Lessings Freimaurergesprächen läßt einen merkwürdigen und zunächst schwer erkennbaren Gegensatz deutlich werden. Unbestritten wird keiner unserer „Klassiker“ so gern beschworen und zitiert wie Lessing. Da wird der Mensch und unerschrockene Kämpfer für Geistesfreiheit und Toleranz als Vor- und Leitbild eines freien Bürgers für unsere Zeit dargestellt. Soziologen, Pädagogen und Theologen sehen in ihm den Präceptor Germaniae. Das Werk und der Mensch erscheinen in ihrer Zielstrebigkeit und konsequenten Ausrichtung auf die Wahrheit als eine vorbildliche, musterhafte Einheit, die glasklare Präzision seines Stils mit seinen geschliffenen Formulierungen bietet sich für wirkungsvolle und richtungweisende Zitate an.
Abgesehen davon, daß bereits das Schema eines „deutschen Klassikers“, in das Lessing eingespannt wird, fragwürdig erscheint, stößt man bei weiteren Nachforschungen auf die Tatsache, daß jedes Zeitalter und jede Ideologie ihn für sich vereinnahmte. Das 19. Jahrhundert feierte ihn – unter Betonung der vaterländischen Aspekte – als einen Nationaldichter und Vertreter eines idealistischen Humanismus im Sinne des Bildungsbürgertums. Marxistische Interpreten preßten ihn in das Schema des bürgerlichen Klassenkämpfers gegen Fürstenwillkür und Standeshochmut, Tyrannei und Despotismus. Der nationalsozialistische Staat entdeckte seinen kämpferischen nordischen Geist, und die ideologische Pervertierung ging hier so weit, daß man die humanitärweltbürgerlichen Grundgedanken als zeitgebundene Fehlentwicklungen deutete, Nathan den Weisen ausklammerte, Minna von Barnhelm preußisch-antifranzösisch interpretierte und seinen Kampf gegen die Orthodoxie hervorhob.
Ist das Klischee des vorurteilslosen Kämpfers für Wahrheit und Recht, in den ihn Festredner unserer Tage gern pressen, der „wahre Lessing“? Trifft die Beschwörung der Lessingschen Toleranz wirklich seine Auffassung von Toleranz, wenn man seine wütenden und bissigen Ausfälle gegen seine literarischen und theologischen Gegner liest? Zeigt sich die Unsicherheit bei der Beurteilung nicht bereits deutlich in den Inszenierungen seiner Schauspiele, wenn Minna von Barnhelm als antimilitaristisches Tendenzstück auf der Bühne erscheint oder Nathan der Weise, seines Schemas als Weihespiel der Humanität entkleidet, in der komödiantischen Überspielung einer verworrenen Familiengeschichte dargeboten wird? Und wie steht es mit der Kenntnis der kunsttheoretischen, philosophischen und theologischen Schriften, nachdem die Rezeption des Laokoon oder der Hamburgischen Dramaturgie, die so große Spezialkenntnisse der Kunst- und Literaturtheorien des 18. Jahrhunderts voraussetzt, schon den Gymnasiasten und Studenten der vergangenen Jahrzehnte oft Unbehagen bereitete? Muß man nicht feststellen, daß der vielbeschworene Lessing – außerhalb der Fachwissenschaft – in Wirklichkeit unbekannt ist, zumal auch sein Leben in der ihm eigentümlich zurückhaltenden Gefühlswelt keine dramatischen Akzente aufweist und sein Wesen streng auf Wissenschaft und Theorie ausgerichtet ist? Aufgrund dieser Tatsache ist man versucht, Lessings bissiges Epigramm auf den vielzitierten und umschwärmten Klopstock, den Modedichter seiner Zeit, auf den Verfasser selbst zu beziehen:
Wer wird nicht einen Klopstock loben?
Doch wird ihn jeder lesen? – Nein.
Wir wollen weniger erhoben
und fleißiger gelesen sein.
Die merkwürdige Ambivalenz zeigt sich auch bei dem „Freimaurer Lessing“. Auch hier wird er gern in euphorischer Hochstimmung als „einer der Unsrigen“, als eines unerschrockenen Streiters für Humanität und Toleranz beschworen, gehen die Zitate oder die Ringparabel leicht von den Lippen, aber die spröde Doppelbodigkeit der Freimaurergespräche enttäuscht den flüchtigen Leser, zumal infolge der schwierigen Diktion manches unverständlich bleibt.
„Ernst und Falk – Gespräche für Freymäurer“ ist kein Lehrbuch, in dem man Wissenswertes über die Freimaurerei erfährt, und der Leser, der vielleicht eine kritische, aggressive Auseinandersetzung Lessings mit der Freimaurerei seiner Zeit, ihrer Fehlentwicklung und ihren verschlungenen Irrwegen zu finden glaubt, wird gleichermaßen enttäuscht, wo man eine deutliche Antwort erwartet. Handelt es sich wirklich nur um ein sehr fragmentarisches Nebenwerk, wenn man die Verhaltenheit der Diktion, das Abgleiten in spielerischundeutliche Andeutungen äußerlich wertet, die sofort von der eigentlichen Sache wegführen, wenn sie einmal erkannt ist? Liegt der Grund vielleicht doch in der Tatsache, daß sich Lessings Zugehörigkeit zum Bunde der Freimaurer in einer einzigen Teilnahme an einer Logenarbeit anläßlich seiner Aufnahme erschöpfte und anschließend in völliger Distanz zu dieser Loge endete? Fehlte ihm hier das gediegene Wissen um diesen Bund, so daß er sich in Theorien und Spekulationen verfing? Andererseits fällt bei der sorgfältigen Lektüre bald auf, daß Lessing genaue Kenntnisse der freimaurerischen Rituale sowie der zeitgenössischen freimaurerischen Literatur und Streitschriften hatte, auch wenn diese meist nur in versteckten Hinweisen deutlich werden, daß er das Konstitutionsbuch der englischen Großloge, das der Reverend James Anderson in mehreren Ausgaben verfaßte, sehr genau kennt, mehrfach zitiert und manche seiner Theorien daraus ableitet. Somit müssen die erst mehrere Jahre nach seiner Aufnahme in der Hamburger Loge entstandenen Freimaurergespräche – schon aufgrund ihres Titels „Gespräche für Freymäurer“ geradezu herausfordern, um einen Ansatzpunkt zur Deutung zu finden, der diesem so undurchsichtig erscheinenden Werke gerecht wird. Nach langen Jahrzehnten einer recht geringen Beachtung in der wissenschaftlichen freimaurerischen Literatur oder dem Versuch, diese Gespräche aufgrund einiger Zitate als eine Art Kanon humanitären freimaurerischen Denkens, als ein „Evangelium der Toleranz“ zu erklären – Versuche, die niemals überzeugend wirkten –, scheint die gesellschaftswissenschaftlich orientierte Geschichtsschreibung nunmehr den richtigen Weg gefunden zu haben, die undurchsichtigen Hintergründe, die zu der Konzeption des Werkes führten, durch genaue quellenkritische Forschungen freizulegen. Dadurch scheint auch die moderne Literaturwissenschaft in der Lage zu sein, hinter der zunächst undurchsichtigen Diktion, auch hinter manchen vorgespielten Banalitäten, den eigentlichen Sinn in einer virtuos angewandten Strategie der Vernunft zu entdecken. Zum Verständnis kann man nicht durch Zitierung ausgewählter Sätze mit humanistischem Grundcharakter kommen, sondern durch die Betrachtung des gesamten Werkes. Die Freimaurergespräche müssen also als eine in sich geschlossene Einheit gesehen werden. Und in dieser Sicht ist Lessings Werk keine esoterische Schrift, sondern „eine politische Schrift von hohem staatsphilosophischem Rang“1) in der sich die politische-emanzipatorische Selbstfindung des deutschen Bürgertums spiegelt. Hier wird nicht nur aufklärerisches Gedankengut vermittelt, sondern das Verhältnis der Gesellschaft zum Staat erfaßt. Nur die Erklärung der historischen Hintergründe aber kann zum Verständnis und zur Deutung dieses Werkes beitragen.
Wenn im Jahre 1788 der französische Schriftsteller Nicolaus de Bonneville die Freimaurerei als ein „Phänomen des menschlichen Geistes“ bezeichnete und wenn der Preußenkönig Friedrich II., der als Kronprinz im Jahre 1738 in diesen Bund aufgenommen war, von einer Institution sprach, die „den Geschmack und die Mode des Jahrhunderts gebildet habe“2), so kann diese Entwicklung nur vor dem Hintergrund der aufklärerischen Tendenzen dieses Jahrhunderts erklärt werden. Unter dem Leitgedanken der Menschenrechte, im Glauben, durch die Entwicklung der Vernunft die Menschheit durch Überwindung der religiösen, nationalen und ständischen Schranken zu einer höheren Vollkommenheit zu führen und im Glauben an die Toleranz in allen Lebensbereichen fanden sich Männer des Adels und des aufstrebenden Bürgertums zusammen, die moderne Reformideen im Sinne des aufgeklärten Absolutismus vertraten und die gesellschaftliche und staatliche, in absolutistischen Formen erstarrte, Ordnung weiterentwickeln wollten3).
1717 hatten sich in London vier bestehende Freimaurerlogen, in denen die Tradition der mittelalterlichen Dombauhütten bewahrt und gepflegt wurde, zu einer Großloge zusammengeschlossen. Bereits wenige Jahre später kam es zur Gründung von Logen in Frankreich, wo sich eine Elite von Aufklärungsphilosophen zur Freimaurerei bekannte. Mit der Gründung der Loge „Absalom“ in Hamburg beginnt in Deutschland 1737 die Geschichte der deutschen Freimaurerei. Es ist kein Zufall, daß gerade in Städten mit einem selbstbewußten, wohlhabenden und modern eingestelltem Bürgertum Freimaurerlogen gegründet wurden, die bald großen Einfluß ausübten. Neben Hamburg bildeten sich in Mannheim, Stuttgart, Köln, Frankfurt und Berlin bald freimaurerische Zusammenschlüsse, aber auch die Vielzahl der kleineren deutschen Residenzstädte – vor allem in Braunschweig – begünstigte Logengründungen wegen des dort herrschenden eigenständigen geistigen und kulturellen Lebens. Wenn der regierende Fürst oder Mitglieder des Herrscherhauses sich entschlossen, diesem Bunde beizutreten, folgten sehr bald die Hofbeamten, Offiziere und einflußreichen Bürger.
Die Faszination, die diese Neugründungen ausübten, sind aus den tragenden Gedanken der Aufklärung erklärbar, fand sich doch hier oft eine Elite des Geistes zusammen, die glaubte, in einem weltüberspannenden Bruderbund eine noch nach Ständen, Religionen und Nationen getrennte Menschheit auf eine neue Stufe der Entwicklung führen zu können. Die Freimaurer sahen ihre Logen als eine Kristallisation dieser Ideen, an deren Verwirklichung sie glaubten.
Der elitäre Grundcharakter der neuen Bünde und die bewußte Abkapselung in dem Bewußtsein, in den geschlossenen Logen Keimzellen dieser neuen Ideen zu sein, aber auch der Nimbus der Geheimhaltung altüberlieferter Rituale der mittelalterlichen Werkmaurer, die mit dem Schleier des Geheimnisses umkleidet waren und aus ihrer einstigen handwerklichen Vorstellungswelt symbolisch ausgedeutet und philosophisch erhöht wurden (spekulative Maurerei) trug dazu bei, daß bald nach den ersten Logengründungen die eingetretene positive Entwicklung einen gefährlichen Weg nahm, da Phantasten, Schwärmer und Sektierer, aber auch Scharlatane und Schwindler die ursprünglichen, humanitäraufklärerischen Ideen durch mystifizierende und sektiererische Tendenzen veränderten, indem sie die angeblichen geheimnisvollen Ursprünge der Freimaurerei aus uralten Mysterien der Antike oder des Orients ableiteten. Diese Entwicklung führte in eine Krise. Trotz des sich ausbreitenden Zwielichtes, in das die Freimaurerei durch angeblich neuentdeckte uralte Mysterien und Geheimnisse geführt wurde, muß die gemeinschaftsbildende Kraft der jungen Freimaurerlogen groß gewesen sein. Die Emanzipation des aufstrebenden Bürgertums im 18. Jahrhundert mit ihrer Aufklärungsmoral und ihren Reformtendenzen, mit ihrem neuen Bildungsbewußtsein und dem Glauben an die Kraft der Vernunft vollzog sich in den Freimaurerlogen.
Nur vor diesem Hintergrund ist das bohrende Interesse des jungen Lessing zu verstehen, das er für diese neue Institution hegte und von der er in Hamburg erfahren hatte, wo die Wirkung der neugegründeten Freimaurerlogen auf die Gesellschaft spürbar war. Er lernte unter den geistig interessierten Bürgern viele Freimaurer kennen, unter anderem den Buchhändler und Verleger Johann Christoph Bode, sowie Schauspieler und Künstler. In Berlin war sein Freund Friedrich Nicolai, Verleger, Schriftsteller und Buchhändler, führender Freimaurer, zumal dort die Freimaurerei durch die Mitgliedschaft des Königs, der selbst Logen gestiftet hatte, großen Auftrieb erhalten hatte. Und wenn Lessing seine Neugier hinter beißendem Spott verdeckte, so zeigte sich das Interesse des zweiundzwanzigjährigen jungen Literaten in einem satirischen Gedicht aus dem Jahre 1751, in dem er den Logen Geheimniskrämerei vorwarf:
Ich kenn ein drolligt Volk, mit mir kennt es die Welt, das schon seit manchen Jahren die Neugier auf der Folter hält, und dennoch kann sie nichts erfahren.
Hör auf, leichtgläubge Schar, sie forschend zu umschlingen!
Hör auf, mit Ernst in sie zu dringen!
Wer kein Geheimnis hat, kann leicht den Mund verschließen, das Gift der Plauderei ist, nichts zu plaudern wissen.
Und wissen sie auch was, so kann mein Märchen lehren, daß oft Geheimnisse uns nichts geheimes lehren, und man zuletzt wohl spricht: war das der Mühe wert, daß ihr es mir gesagt, und ich’s von euch begehrt?4)