Wolfgang Amadeus Mozart
Don Giovanni
Wolfgang Amadeus Mozart
Don Giovanni
Textbuch (Italienisch – Deutsch)
Einführung und Kommentar
von Kurt Pahlen
unter Mitarbeit von Rosmarie König
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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Bestellnummer SDP 33
ISBN 978-3-7957-9180-3

Originalausgabe Oktober 1981
© 2014 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz
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Inhalt
7   Zur Aufführung
9   Textbuch (Italienisch–Deutsch)
mit Erläuterungen zu Musik und Handlung
298    Inhaltsangabe
329    Zur Geschichte von Mozarts Don Giovanni
369    Zur Gestalt des »Don Juan«
390    Lorenzo Da Pontes Textbuch zu Don Giovanni
409    Don Giovanni nach Mozarts Tod
421    Nachdenklicher Epilog
434    Kurze Biographie Mozarts
445    Die Bühnenwerke Mozarts
Wolfgang Amadeus Mozart
(Silberstiftzeichnung von Doris Stock, 1789)
6
Zur Aufführung
TITEL
Don Giovanni
(Il Dissoluto Punito ossia Il Don Giovanni)1
Don Juan
(Der bestrafte Bösewicht oder Don Juan)1
BEZEICHNUNG
Dramma giocoso2
Oper in 2 Akten.
TEXT
Lorenzo Da Ponte
MUSIK
Wolfgang Amadeus Mozart
Die Partitur enthält eine Ouvertüre und 24 Musiknummern
URAUFFÜHRUNG
in italienischer Sprache
Gräflich Nostitzsches (National-)Theater
(heute Kajetan-Tyl-Theater) in Prag,
29. Oktober 1787 unter Leitung Mozarts
PERSONENVERZEICHNIS
Personen:
Don Giovanni (Don Juan),
ein äußerst leichtfertiger
junger Edelmann .. Bariton
Personaggi:
Don Giovanni, giovane
cavaliere estremamente
licenzioso …… Baritono
1
Unter dem in Klammern angegebenen Titel wurde die Wiener Erstaufführung (1788) durchgeführt, er steht auch auf der dabei verwendeten Partitur Mozarts. Bei anderen Aufführungen wird das Werk auch manchmal als Don Juan oder Der steinerne Gast angekündigt, was älteren Fassungen des Theaterstückes entspricht.
2
Da »Dramma giocoso« (Heiteres Drama) ein im Deutschen ungebräuchlicher, ja widersprüchlicher Ausdruck ist, wird bei übersetzten Aufführungen oft das Wort »Oper« statt jeder anderen Bezeichnung verwendet.
7
ZUR AUFFÜHRUNG
Donna Anna, dama promes-
sa sposa di Don Otta-….
vio……………….. Soprano
Don Ottavio………….. Tenor
Commendatore ……… Basso
Donna Elvira, dama di Bur-
gos abbandonata da Don
Giovanni……….. Soprano
Leporello, servo di Don
Giovanni………….. Basso
Masetto, contadino, amante
di…………………….. Basso
Zerlina, contadina.. Soprano
Coro di contadini e di conta-
dine. Servitori.
Coro di uomini, di sotterra.
Donna Anna, Verlobte
des Don Ottavio … Sopran
Don Ottavio ………….. Tenore
Komtur, Vater Donna Annas
…………………………… Baß
Donna Elvira, von Don Gio-
vanni verlassene Dame aus
Burgos ………………. Sopran
Leporello, Diener Don Gio-
vannis …………………… Baß
Masetto, Bauer, Bräutigam
der ……………………….. Baß
Zerlina, Bäuerin …… Sopran
Chor der Bauern und Bäue-
rinnen. Diener.
Unsichtbarer Männerchor
(Geister)
SCHAUPLATZ UND ZEIT
La scena si finge in una città
Ort der Handlung ist eine Stadt
della Spagna.
in Spanien.
(Keine Zeitangabe, doch am ehesten ins 17. Jahrhundert zu verlegen. Bei der Uraufführung als »zeitgenössisch« dargestellt, also in Mozarts Zeit
spielend: Ende des 18. Jahrhunderts)
ORCHESTERBESETZUNG
2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte; 2 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen; Pauken (2); Mandoline; I. und II. Violine, Bratsche,
Violoncello, Kontrabaß
Bühnenmusik: 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte; 2 Hörner, 3 Posaunen; Streicher; im Finale des I. Aktes in drei verschiedene Ensembles geteilt,
die gleichzeitig spielen
SPIELDAUER
Mehr als 3 Stunden, letztlich schwer anzugeben, da die Fassungen von Bühne zu Bühne schwanken. Zumeist werden die nach-komponierten
Arien Ottavios und Elviras gesungen.
8
Textbuch (Italienisch–Deutsch)
mit Erläuterungen
zu Musik und Handlung
ERLÄUTERUNGEN
Diese wohl großartigste Ouvertüre Mozarts, um die sich viele Anekdoten ranken – sicher ist nur, daß sie erst in der Nacht vor der Premiere niedergeschrieben wurde –, ist zweiteilig aufgebaut: eine langsame Einleitung (die Andante überschrieben ist, also keineswegs zu langsam angelegt werden darf) und ein sehr schneller Hauptteil, dessen Struktur einer freien Sonatenform entspricht. Die Grundtonart ist d-Moll, deren düstere, lastende, dämonische Stimmung die das Drama beherrschende Idee vorwegzunehmen scheint (wie beim letzten Zusammenstoß Giovannis mit dem »steinernen Gast« später sehr deutlich werden wird). Wichtig sind auch der im 8. Takt folgende verminderte Septakkord sowie der scharfe
Rhythmus der häufigen Synkopen, Anzeichen des künftigen Dramas:
(1)
10
OUVERTURA
OUVERTÜRE
11
OUVERTÜRE
ERLÄUTERUNGEN
Das scheint auch in weiteren Einzelheiten hörbar zu werden: in plötzlichen Sforzato-Schlägen, besonders aber wohl in den seltsamen
Skalen-Passagen der Geigen und Flöten:
(2)
Bei diesen bringt der Anstieg ein starkes Crescendo, das auf dem Höhepunkt stets einem plötzlichen Piano weicht, mit dem dann der
(harmonisch veränderte) Abstieg beginnt.
Beim Übergang in den bewegten Teil
(3)
kommt ein wenig Licht in die drückende Düsterkeit; D-Dur folgt auf das vorhergehende d-Moll. Aber das bedeutet kein Nachlassen der Dramatik.
Das unruhige Flackern des Vorspiels
12
OUVERTÜRE
13
ERLÄUTERUNGEN
ist einem ruhelosen Drängen gewichen – soll und kann man tonmalerische Interpretationen versuchen? Es wäre hier sehr naheliegend und sehr einfach: Da gibt es Giovannis gehetzte Seele, sein Getriebensein von Frau zu Frau, seine erotischen Begegnungen, ferner Annas Erschütterung und Rachsucht, Elviras zerstörte Welt, die trotzdem noch der Liebe offen ist, und schließlich Zerlinas heile Welt, die nur vorübergehend durch die Begegnung mit Giovanni ein wenig wankt. Dramatische, sogar durch
fugierte – aufeinanderfolgende – Einsätze noch gesteigerte Passagen,
(4)
die Giovannis Angriffe symbolisieren könnten, und eine zarte Antwort in den Streichern, die man sich als Bereitschaft der Frauen vorstellen könnte – aber alles das ist fraglich und nicht zu beweisen; denn keinerlei Äußerung des Komponisten ermächtigt uns zu außermusikalischen, also
tonmalerischen Interpretationen seiner Musik.
14
OUVERTÜRE
15
ERLÄUTERUNGEN
Daß in dieser Overtüre die Grundelemente des Dramas ausgedrückt sind, läßt sich nicht bestreiten, alles andere ist eine zweifelhafte, wenn auch reizvolle Art der Annäherung an ein grandioses Musikstück. Dieses schließt übrigens nicht, wie üblich, in der Grundtonart, sondern moduliert zuletzt in ein vorübergehendes C-Dur, das beim Aufgehen des Vorhangs
nach F-Dur übergeleitet wird.
Eine Art Ernüchterung scheint Platz zu greifen, Leporello stimmt,
verbittert, sein berühmt gewordenes Lied an:
(Fortsetzung des Notenbeispiels S. 18)
16
OUVERTÜRE / 1. AKT / 1. SZENE
ATTO PRIMO
Giardino – Notte.
SCENA PRIMA
Leporello, con ferraiolo, passeggia davanti alla casa di Donn’Anna; indi Don Giovanni e Donn’ Anna ed in ultimo il Commendatore
Nr. 1 Introduzione
Leporello:
Notte e giorno faticar
per chi nulla sa gradir;
piova e vento sopportar,
mangiar male e mal dormir!
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ERSTER AKT
Garten. – Nacht.
ERSTE SZENE
Leporello, in einen Mantel gehüllt, geht vor dem Hause der Donna Anna auf und ab; später Don Giovanni und Donna Anna, schließlich der Komtur
Nr. 1 Introduktion
Leporello:
Keine Ruh bei Tag
und Nacht,
Nichts, was mir Vergnügen
macht!
Schmale Kost und wenig
Geld …
Das ertrage, wem’s gefällt!
ERLÄUTERUNGEN
(5)
Bei Regen, Wind und Kälte die Schildwache seines Abenteuer
suchenden Herrn machen; nein, nicht länger! Ein Auffahren im
Orchester unterstreicht seine Rebellion schon im Vorspiel.
Bei seinem Entschluß, selbst den »Gentiluomo«, den Edelmann,
den Herren spielen zu wollen, nimmt seine Stimme eine leicht
parodistisch gefärbte Großartigkeit an.
Schritte und Stimmen unterbrechen seinen unerfüllbaren Traum,
er wird rasch wieder zum unterwürfigen, im Grunde ängstlichen
Diener (Leporello bedeutet »Hasenfuß«!), der sich in eine dunk-
le Nische drückt, wo er Zeuge der kommenden Szene wird.
Ein kurzes, aber sehr ausgeprägtes Orchestercrescendo jagt die Erregung nach Leporellos leisem Verschwinden im Nu zur höchsten Dramatik empor: Anna verfolgt den in ihr Schlafgemach eingedrungenen Giovanni bis auf die Straße, hat ihn gepackt und ist entschlossen, ihn nicht entkommen zu lassen, bevor sie nicht seine Identität festgestellt hat. Aufgeregte Schläge im Orchester schildern – wie atemlos – Annas Empörung und das förmliche
Ringen der beiden Menschen in der Nacht, zu deren
18
1. AKT / 1. SZENE
Voglio far il gentiluomo,
e non voglio più servir.
Oh, che caro galantuomo!
Voi star dentro colla bella,
ed io far la sentinella! …
Voglio far il gentiluomo,
e non voglio più servir …
Ma mi par che venga gente …
Non mi voglio far sentir.
(Si ritira)
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Ich will selbst den Herren
machen,
Mag nicht länger Diener sein!
Gnäd’ger Herr, Ihr habt gut
lachen:
Tändelt Ihr mit einer Schönen,
Dann muß ich als Wache
frönen …
Ich will selbst den Herren
machen,
Mag nicht länger Diener sein!
Doch was gibt’s? Ich höre
kommen.
Fort ins Dunkel schnell
hinein!
(verbirgt sich)
ERLÄUTERUNGEN
wild erregten Stimmen die Leporellos einen dunklen Kontrapunkt bildet:
(Fortsetzung des Notenbeispiels S. 22)
20
1. AKT / 1. SZENE
Anna (trattenendo Don Gio-
vanni):
Non sperar, se non m’uccidi,
ch’io ti lasci fuggir mai.
Giovanni (sempre cercando di
celarsi):
Donna folle! indarno gridi;
chi son io tu non saprai.
Leporello:
ehe tumulto! …
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Donna Anna (Don Giovanni am
Arme haltend):
Hoffe nicht, so lang ich atme,
Unerkannt zu fliehn von hier!
Don Giovanni (versucht, sich zu
verbergen):
Wer ich bin, Du töricht
Mädchen,
Nie erfährst Du das von mir!
Leporello:
Welch ein Lärmen!
ERLÄUTERUNGEN
(6)
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1. AKT / 1. SZENE
Oh ciel; che gridi!
Il padron in nuovi guai! …
Anna:
Gente! … servi!
al traditore! …
Giovanni:
Taci, e trema al mio
furore!
Anna:
Scellerato!
Giovanni:
Sconsigliata!
23
O Gott, ich zittre!
Händel zwischen ihm und ihr!
Donna Anna:
Eilt, ihr Leute!
Helft mir Armen! …
Don Giovanni:
Still, sonst kenn’
ich kein Erbarmen!
Donna Anna:
Ehrvergeßner!
Don Giovanni:
Fort, Verwegne!
ERLÄUTERUNGEN
Auf Annas Schreie ist ihr Vater, der Komtur, herbeigeeilt. Mit
einer ununterbrochen bewegten, immer mehr Entschlossenheit
ausdrückenden Orchesteruntermalung zwingt er Giovanni zum
Zweikampf, dem dieser bis zuletzt ausweichen will.
Dann stehen die beiden Feinde einander, mit der Waffe in der Hand, beim ungewissen Schein flackernder Fackeln gegenüber. Und nun malt Mozart das Duell musikalisch so aus, daß Regisseur und Darsteller eigentlich nichts als diesen Orchesterfiguren zu folgen haben. (Hier scheint Mozart sich des Fechtunterrichts entsonnen zu haben, den er als halbes Kind noch erhielt.)
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1. AKT / 1. SZENE
Leporello:
Sta aveder che il malandrino1
mi farà precipitar.
Anna:
Come furia disperata
ti saprò perseguitar.
Giovanni:
Questa furia disperata
mi vuol far precipitar.
Commendatore (con spada e
lume):
Lasciala, indegno!
(Donn’Anna, udendo la voce del
padre, lascia Don Giovanni ed
entra in casa)
Battiti meco!
Giovanni:
Va, non mi degno
di pugnar teco!
Commendatore:
Così pretendi
da me fuggir?
Leporello:
Potessi almeno
di qua partir!
Giovanni:
Misero!
Commendatore:
Battiti!
Giovanni:
Misero! attendi
se vuoi morir!
1   TV (Textvariante): Für »malandrino«
    steht auch »libertino«.
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Leporello:
Seine tollen Abenteuer
Werden mein Verderben sein.
Donna Anna:
Gleich der Furie sieh mich
rasen,
Dein Verderben will ich sein!
Don Giovanni:
Dieser Furie wildes Rasen …
Mein Verderben wird es sein.
Der Komtur (mit Degen und
Licht):
Laß sie, Verworfner!
(Donna Anna läßt Don Giovanni
los und geht ab, da sie den Kom-
tur kommen sieht)
Stell Dich zur Wehre!
Don Giovanni:
Dich zu besiegen
Wär’ wenig Ehre.
Der Komtur:
Mit eitlem Vorwand
Weichst Du mir aus?
Leporello:
O könnt’ ich heimlich
Doch fort von hier!
Don Giovanni:
Wehe Dir!
Der Komtur:
Her zu mir!
Don Giovanni:
Wohl denn, so sei es!
Du willst den Tod!
ERLÄUTERUNGEN
Die Waffengänge sind plastisch geschildert: Attacke, Abwehr, Attacke …
zuletzt ein rasches, dreimaliges Vorpreschen Giovannis gegen den Komtur, der darauf mit einem schneidend dissonanten Orchesterakkord schwer verwundet zu Boden sinkt. (Welch erschütternden Effekt konnte in Mozarts so weitgehend konsonanter Musik ein einfacher verminderter
Septakkord – h, d, f, as – hervorrufen!)
Ein leiser Abgesang beendet die tragische Szene. Da ist der sterbende Komtur, dessen ermattende Stimme Mozart sehr realistisch gestaltet hat, dann Giovanni, der ihn fast gefühllos
(7)
26
1. AKT / 1. SZENE
(Si battono. Il Commendatore è
mortalmente ferito)
Commendatore:
Ah, soccorso! … son tra-
dito …
27
(Der Komtur fällt, tödlich ver-
wundet)
Der Komtur:
Ach, zu Hilfe …
ERLÄUTERUNGEN
betrachtet, aber nicht von der Stelle weicht, bevor er vom Tod seines Gegners überzeugt ist (denn nur so kann er sicher sein, den Schauplatz unerkannt verlassen zu können), und schließlich Leporello, fast sichtbar schlotternd vor Angst, der drauflos plappert: ein seltsames Terzett dreier tiefer Männerstimmen, ja dreier Bässe, wenn Giovanni, wie es sehr oft der Fall ist, von einem solchen interpretiert wird (anstelle des wohl am
ehesten geeigneten Charakter- oder Kavalierbaritons).
Flöte und Fagott, zwei Oktaven voneinander getrennt, führen chromatisch absteigend die Sterbeszene zu Ende, die Bratsche begleitet
sie ein Stück des Weges.
Dann ändert sich die Stimmung. In raschem Zwiegespräch wird das Notwendigste zwischen Giovanni und Leporello besprochen, und wie stets in solchen Fällen verwendet Mozart das Cembalo und das in »Basso continuo«-Art geführte Cello(-Solo) zur Stützung der Stimmen: das erste Secco-Rezitativ des Werkes. Es bringt die Handlung schnell vorwärts, da es nur äußerst selten einer Gesangsmelodie Raum gibt, wird rhythmisch dem Duktus der Rede angepaßt, ist also flexibel wie ein Dialog, kann auch – von Mozart sinngetreu in Noten gesetzt – dessen Beto-
28
1. AKT / 1./2. SZENE
L’assassino m’ha ferito …
Leporello:
Qual misfatto,
qual eccesso!
Giovanni:
Ah! già cade il sciagurato …
Affannosa e agonizzante
già dal seno palpitante
veggo l’anima partir.
Commendatore:
E dal seno palpitante …
sento l’anima partir …
Leporello:
Entro il sen, dallo spavento,
palpitar il cor mi sento.
Io non sò che far, che dir.
(Il Commendatore muore)
SCENA SECONDA
Don Giovanni e Leporello
Recitativo
29
Weh’, mich fassen Todes-
schmerzen …
Leporello:
Welch Verbrechen,
Welch ein Frevel!
Don Giovanni:
Ha, da liegt der Unglückseige,
Windet sich in heißen
Schmerzen.
Bald aus tief durchbohrtem
Herzen
Wird sein schwaches Leben
flieh’n.
Der Komtur:
Aus dem tief durchbohrten
Herzen …
Fühl ich schon … das Leben
… fliehn.
Leporello:
Ach, vor Schrecken und vor
Zagen
Fühl ich alle Pulse schlagen.
Soll ich bleiben? Soll ich
fliehn?
(Der Komtur stirbt)
ZWEITE SZENE
Don Giovanni und Leporello
Rezitativ
ERLÄUTERUNGEN
nungen unterstreichen, Nuancen hervorheben und Wortdeutlichkeit erzielen. Es läßt dem szenischen Spiel Raum, das bei Arien, Duetten und anderen »gebundenen« Nummern zumeist zu kurz kommen muß, da die musikalische Genauigkeit (eventuell mit Blicken auf den Dirigenten) im Vordergrund steht. Wortwitze, Anspielungen, für den Handlungsablauf wichtige Erklärungen werden daher in Italiens Opern, zu denen »Don Giovanni« gehört, bis ins 19. Jahrhundert ins Secco-Rezitativ verlegt. (Das deutsche Singspiel. die französische Spieloper, die spanische Zarzuela behandeln solche Textstellen in gesprochenem Wort; in Italien wäre ein Nebeneinander von Sprechen und Singen völlig ausgeschlossen.)
(8)
30
1. AKT / 2. SZENE
Giovanni (sottovoce):
Leporello, ove sei?
Leporello:
Son qui, per mia disgrazia.
E voi?
Giovanni:
Son qui.
Leporello:
Chi è morto? voi o il vecchio?
Giovanni:
Che domanda da bestia! Il
vecchio.
Leporello:
Bravo! Due imprese leggia-
dre;
sforzar la figlia, ed ammazzar
il padre.
31
Don Giovanni (mit leiser
Stimme):
Leporello, wo bist Du?
Leporello:
Ach, leider bin ich hier!
Und Ihr?
Don Giovanni:
Nun, hier!
Leporello:
Seid Ihr tot oder der Alte?
Don Giovanni:
Welche Frage, Du Dumm-
kopf! Der Alte.
Leporello:
Bravo! Zwei recht artige
Stückehen:
Die Tochter verführen1 und
den Vater ermorden.
1
Das Wort »sforzar« – zwingen, nötigen, vergewaltigen – ist mit dem deutschen »verführen« unzulänglich, ja mißverständlich wiedergegeben.
ERLÄUTERUNGEN
Die folgende Szene bietet ein typisches Bild für Mozarts dramatisches Gefühl. Sie beginnt als Fortsetzung des Secco-Rezitativs. Mozart rückt die beiden in Sekundenschnelle aneinandergesetzten Szenen – die Flucht Giovannis und das Auftreten Annas, die mit der Dienerschaft herbeieilt, dem Vater beizustehen – mit Hilfe eines einzigen Akkords geistig auseinander: Von B-Dur geht es nach D-Dur – in so
tonartenempfindlicher Zeit eine sehr fühlbare Rückung.
Annas Erstarren beim Erblicken der Leiche unterstreicht Mozart durch
den Eintritt des Orchesters.
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1. AKT / 2./3. SZENE
Giovanni:
L’ha voluto: suo danno.
Leporello:
Ma Donn’Anna …
Cosa ha voluto?
Giovanni:
Taci, non mi seccar.
Vien meco, se non vuoi qual-
che cosa ancor tu.
Leporello:
Non vuo’ nulla, signor;
non parlo più.
(Partono)
SCENA TERZA
Don Ottavio, Donn’Anna e Servi
(con lumi)
Anna:
Ah! del padre in periglio
in soccorso voliam.
Ottavio (con ferro ignudo in
mano):
Tutto il mio sangue
Verserò, se bisogna:
ma dov’è il scellerato?
Anna:
In questo loco …
33
Don Giovanni:
Er wollt selbst sein Verderben.
Leporello:
Doch Donna Anna …
Was wollte die?
Don Giovanni:
Schweige und
folge mir; wo nicht …
(mit der Andeutung des Schla-
gens)
Dann belohn ich Dich, wie
Du’s verdienst.
Leporello:
Gnäd’ger Herr, ich
bin stumm wie das Grab.
(Beide ab)
DRITTE SZENE
Don Ottavio, Donna Anna mit
Dienern (die Fackeln tragen)
Donna Anna:
Schnell! dem Vater zu helfen,
Laß uns eilen, o Freund!
Don Ottavio (mit gezogenem
Schwerte):
Ihn zu beschützen,
Opfr’ ich freudig mein Leben.
Doch wo ist der Verwegne?
Donna Anna:
Hier muß er weilen …
ERLÄUTERUNGEN
Hier darf zweifellos von Tonmalerei gesprochen werden, denn die fallenden Sekundenschritte (As–G, C–H, Es–D) ahmen das erregte, sich ängstlich steigernde, seufzerartige Atmen Annas nach. Die Singstimme bleibt immer noch rezitativisch, greift aber weiter aus, wird ausdrucksvoller, und das Orchester nimmt nun die begleitende Funktion des Cembalos ein. Nur auf ein solches Accompagnato-Rezitativ (orchesterbegleitetes Rezitativ, im Gegensatz zum cembalogestützten Secco-Rezitativ) kann eine große Arie oder, wie hier, ein dramatisches Duett nahtlos folgen.
(Fortsetzung des Notenbeispiels S. 36)
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1. AKT / 3. SZENE
Nr. 2 Recitativo e Duetto
(Vede il cadavere)
Ma qual mai s’offre, o Dei,
spettacolo funesto agli occhi
miei!
35
Nr. 2 Rezitativ und Duett
(beim Anblick der Leiche)
Doch welch grauenvolles Bild
Enthüllt sich meinen Augen!
Gerechter Himmel!
ERLÄUTERUNGEN
(9)
36
1. AKT / 3. SZENE
Il padre! … padre mio! …
mio cara padre! …
Ottavio:
Signore …
Anna:
Ah! l’assassino mel trucidò …
Quel sangue …
quella piaga …
quel volto
tinto e coperto del color di
morte …
Ei non respira più … fredde
ha le membra …
Padre mio! … cara padre! …
padre amato! …
Io manco … io mora …
(Sviene)
Ottavio:
Ah! soccorrete, amici, il mio
tesoro!
37
Mein Vater … o mein Vater …
teuerster Vater! …
Don Ottavio:
Dein Vater …
Donna Anna:
Ach, tödlich traf ihn
Des Mörders Streich.
Dies Blut …
Diese Wunde …
dies Antlitz …
Bleich und erkaltet durch den
Hauch des Todes …
Kein Odem hebt die Brust …
kalt seine Glieder …
O mein Vater … liebster
Vater …
teuerster Vater …
ich wanke … ich sterbe …
(Wird ohnmächtig)
Don Ottavio:
Auf, bringet schnelle Hilfe
der Heißgeliebten!
ERLÄUTERUNGEN
Das höchst dramatische Rezitativ der beiden Stimmen ist für Mozarts Opernkunst bezeichnend. Aus kurzen stimmlichen und orchestralen Sätzen schöpft er ein Maximum an Spannung und innerer Bewegung. Das früher erwähnte (chromatisch abfallende) Seufzermotiv kehrt immer wieder und
schafft eine großartige Einheit der Stimmung.
Der Übergang ins Duett ist von Mozart eigens bezeichnet, die Gesangsphrasen werden melodienhafter, periodenhaft gegliedert, aber noch mehrmals im Verlauf des Stückes gehen Rezitativ und gebundene
Form (Duett) ineinander über.
(Fortsetzung des Notenbeispiels S. 40)
38
1. AKT / 3. SZENE
Cercatemi, recatemi qualche
odor, qualche spirto … Ah!
non tardate!
Donn’ Anna! … sposa! …
amica! … il duolo estremo la
meschinella uccide!
Anna:
Ahi!
Ottavio:
Già rinviene…
Datele nuovi aiuti.
Anna:
Padre mio!
Ottavio:
Celate, allontanate agli occhi
suoi
quell’ oggetto d’ orrore.
(Viene portato via il cadavere)
Anima mia, consolati, fa core!
Duetto
Anna (disperatamente)
Fuggi, crudele, fuggi!
Lascia ch’io mora anch’io’1
1   TV: Laseia ehe mora aneh’io.
39
O zaudert nicht, bringt La-
bung ihr, steht ihr bei! Welch
ein Jammer! – Ach eilt, ich
bitte!
O Anna … Freundin … Ge-
liebte! Des Schmerzes Über-
maß raubt der Armen das
Leben.
Donna Anna:
Ach …
Don Ottavio:
Sie erholt sich …
O bringt ihr neue Hilfe!
Donna Anna:
Ach, mein Vater …
Don Ottavio:
Ihr Freunde, dies Opfer uner-
hörten Frevels
Berget schnell ihren Blicken!
(Der Leichnam wird fortgetra-
gen)
O Du mein Leben! Erhole
Dich … erwache!
Duett
Donna Anna (verzweifelt):
Fliehe, Verräter, fliehe!
Laß mich mein Leben enden!
ERLÄUTERUNGEN
(10)
40
ora ch’è morto, oh Dio!
chi a me la vita diè.
1. AKT / 3. SZENE
Er starb von Mörderhänden,
Der mir das Leben gab!
Ottavio:
Senti, cor mio, deh! senti:
guardami un solo istante;
ti parla il caro amante
che vive sol per te.
Anna:
Tu sei! … perdon, mio
bene …
41
Don Ottavio:
Hör’ mich, o hör’, Geliebte!
Der Dir sein Leben weihte,
Der Freund steht Dir zur Seite,
Dein Eigen bis zum Grab!
Donna Anna:
Bist du’s … o Freund? … Ver-
,!
zeih’ mir!
ERLÄUTERUNGEN
Die bisher in Wechselgesang geführten beiden Stimmen vereinigen sich nun in paralleler Melodie auf gleichen Text: Bild der seelischen Übereinstimmung, des gleichen Strebens nach Strafe und Rache. Die hier stark verwendeten Koloraturen zeigen Mozarts noch fühlbare Herkunft
aus der Barockoper.
Wieder ein Dialog zwischen Herrn und Diener im Secco-Rezitativ, das die Nuancierung des Textes – mit vielen komischen Wendungen, wie eben in einem »dramma giocoso«, einem »heiteren Drama«, möglich, und eine
starke szenische Beweglichkeit gestattet.
Trotz aller Freiheit solcher Stellen ist der rhythmische Ablauf von Mozart recht genau angegeben: das rasche, aufgeregte Geschwätz Leporellos, der seine Angst übertönen will, die ruhigere,
42
1. AKT / 3./4. SZENE
L’affanno mio … le pene …
Ah! il padre mio dov’è?
Ottavio:
Il padre … lascia, o cara,
la rimembranza amara:
hai sposo e padre in me.
Anna:
Ah! vendicar, se il puoi,
giura quel sangue ognor.
Ottavio:
Lo giuro agl’occhi tuoi,
lo giuro al nostro amor.
Anna, Ottavio:
Che giuramento, oh Dei!
Che barbaro momento!
Fra1 cento affetti e cento
vammi ondeggiando il cor.
(Partono)
Strada. Notte
SCENA QUARTA
Don Giovanni, Leporello
Recitativo
Giovanni:
Orsù, spicciati presto.
Cosa vuoi?
1   TV: Anstelle von »fra« steht »tra«.
43
Der Schmerz, der Jammer …
entsetzlich …
Wo ist mein Vater? Sprich!
Don Ottavio:
Dein Vater? … Laß, o Teure,
Laß der Erinnrung Leiden!
Dein Gatte beschirmt als Vater
Dich.
Donna Anna:
Auf, schwöre mir zu rächen
Dieses vergossne Blut!
Don Ottavio:
Ich schwör’s bei Deinen
Tränen,
Bei unsrer Liebe Glut!
Donna Anna, Don Ottavio:
Mög’ Gott, zu dem wir
schwören,
Der Rache Ruf erhören!
Er spende Trost und Hilfe
gegen die herbe Pein!
Ach, welch ein Tag des Jam-
mers brach über uns herein!
(Sie gehen ab)
Straße. Nacht
VIERTE SZENE
Don Giovanni, Leporello
Rezitativ
Don Giovanni:
Wohlan! Heraus mit der
Sprache …
Was begehrst Du?
ERLÄUTERUNGEN
manchmal energische Ausdrucksweise Giovannis, die stets sehr ausdrucksvolle Deklamation. Ein Beweis, daß selbst das »notwendige Übel« (als das man die Rezitative manchmal empfunden hat) musikalische
und vor allem dramatische Möglichkeiten birgt.
(Etwas anderes kann hier nur angedeutet werden: Viele stark in Anspruch genommene Komponisten nahmen sich die Zeit nicht, die [Secco-] Rezitative selbst auszuführen; sie überließen es fortgeschrittenen Schülern oder »Spezialisten«. Das bedeutet, daß es für diesen Teil der Opern »Formeln« gab, routinemäßige Floskeln usw. Bei Mozart tritt dieser Fall nur in seiner letzten italienischen Oper, dem »Titus«, ein; alle anderen
Rezitative stammen von seiner eigenen Hand.)
An dieser Stelle werden die Ausdrucksmöglichkeiten des Secco-Rezitativs besonders spürbar. Leporellos förmliche (angstdiktierte) Anrede an seinen Herrn (»caro signor padrone«) wirkt ausgesprochen komisch durch die tiefe Stimmlage. Danach rafft er sich auf, man hört es deutlich, seine Rede wird etwas langsamer (Achtelnoten nach häufigen Sechzehnteln), und vor der Pointe »è da briccone« (»das eines Schurken«) gibt es eine ängstliche Atempause und noch dazu ein Anhalten auf »è«, so als wolle das Folgende
nicht über seine Lippen.
44
1. AKT / 4. SZENE
Leporello:
L’affar di cui si tratta è impor-
tante.
Giovanni:
Lo credo.
Leporello:
È importantissimo.
Giovanni:
Meglio ancora! Finiscila.
Leporello:
Giurate di non an dar in
collera.
Giovanni:
Lo giuro sul mio onore,
purchè non parli dei Com-
mendatore.
Leporello:
Siam soli.
Giovanni:
Lo vedo.
Leporello:
Nessun ci sente.
Giovanni:
Via.
Leporello:
Vi posso dire tutto liberamen-
te? …
Giovanni:
Sì.
Leporello:
Dunque, quand’è così1, caro
signor padrone,
la vita che menate
(all’ orecchio, ma forte)
è da briccone.
1   TV: Hier auch: »quando è cosi«.
45
Leporello:
Was mir am Herzen liegt, ist
sehr wichtig.
Don Giovanni:
Natürlich!
Leporello:
Von höchster Wichtigkeit!
Don Giovanni:
Desto besser. Heraus damit!
Leporello:
Erst schwört mir, mich ruhig
anzuhören.
Don Giovanni:
Ich schwör’s bei meiner
Ehre –
Nur den Komtur, den laß mir
aus dem Spiele!
Leporello:
Sind wir allein?
Don Giovanni:
Du siehst es.
Leporello:
Und niemand hört uns?
Don Giovanni:
Nein!
Leporello:
Und Ihr erlaubt mir, frei und
offen zu sprechen?
Don Giovanni:
Ja.
Leporello:
Nun denn, wenn dem so ist,
mein teuerster Herr Gebieter:
Euer Leben gleicht auf ein
Haar –
(ins Ohr, aber laut)
Dem eines Schurken.
ERLÄUTERUNGEN
Sogar Giovanni verschlägt es einen Augenblick die Rede: Bevor er aufbraust (»Temerario!«), vergeht eine kleine Weile, die das Cembalo mit
zwei Akkorden (und einem Übergang nach Moll) füllt …
Der Rest des Rezitativs ist der Charakterisierung Giovannis gewidmet. Nach dem Gewalttäter (Eindringen ins Schlafgemach Annas, Tötung ihres Vaters im Zweikampf), nach den Diskussionen mit seinem Diener (dem gegenüber er sein Wort nicht hält und den er bedroht) – nun endlich den Frauenverführer. Giovanni schwärmt von einer neuen »Eroberung« (die
wir nicht erleben) …
46
1. AKT / 4. SZENE
Giovanni:
Temerario! in tal guisa …
Leporello:
E il giuramento?
Giovanni:
Non sò di giuramento.
Taci, o ch’io …
Leporello:
Non parlo più, non fiato, o pa-
dron mio.
Giovanni:
Così saremo amici. Or odi un
poco:
sai tu perchè son qui?
Leporello:
Non ne sò nulla.
Ma essendo così tardi1, non
sarebbe
qualche nuova conquista?
Io lo devo saper per porla in
lista.
Giovanni:
Va là, che se’il grand’uom!
Sappi ch’io sono
innamorato d’una bella dama,
e son certo che m’ama.
La vidi, le parlai; meco al
casino
questa notte verrà …
(Viene dalfondo Donna Elvi-
ra)
1   TV: »Ma essendo l’alba chiara«.
47
Don Giovanni:
Ha, Vermeßner! Welche Spra-
che!
Leporello:
Wo bleibt der Schwur?
Don Giovanni:
Ich weiß von keinem
Schwur. –
Schweige … wo nicht …
Leporello:
Ich schweige still, wenn Ihr es
so befehlt.
Don Giovanni:
So sind wir wieder Freunde. –
Jetzt eine Frage:
Kennst Du den Grund meines
Hierseins?
Leporello:
Ich wüßte keinen;
Doch da der Morgen däm-
mert, gilt’s vermutlich
Einer neuen Erobrung?
Das wäre wichtig für mein
Register.
Don Giovanni:
Ei, wie schlau Du bist! Nun
denn, so wisse:
Ich brenne für eine reizende
Donna,
Und auch sie liebt mich innig.
Ich sah sie … ich beschwor
sie … und heute abend
Kommt sie zu mir in mein
Schlößchen …
(Aus dem Hintergrund naht
Elvira)
ERLÄUTERUNGEN
und »riecht« plötzlich – Leporello kommentiert es ironisch – den »Duft einer Frau«, erblickt sie dann von weitem (ihm abgewandt, so daß er nur ihre Gestalt bewundern kann) und fängt
sofort Feuer.
Ein längeres Orchestervorspiel leitet Elviras Arie sehr bezeichnend ein. Ihre starke innere Erregung spiegelt sich hier bereits musikalisch wider: scharfer Wechsel zwischen Forte und Piano, große melodische Sprünge (die sich in der Singstimme ebenfalls zeigen werden), rasende Streicherläufe. Dann setzt die Stimme ein: energisch, dem Ziel zugewendet, den »Barbaren« verurteilend, den »Treuebrecher«, den »Bösewicht«. (Die deutsche Fassung unterdrückt diese wilden Ausbrüche – soll man auf »nationale« Unterschiede im Temperament verlassener
Frauen schließen oder auf Übersetzungsprobleme?)
(Notenbeispiel S. 50)
48
1. AKT / 4./5. SZENE
Zitto: mi pare
sentir odor di femmina …
Leporello:
Cospetto!
Che odorato perfetto!
Giovanni:
All’aria mi par bella.
Leporello:
E che occhio, dico!
Giovanni:
Ritiriamoci un poco,
e scopriamo terren.
Leporello:
Già prese foco.
(Vanno in disparte)
SCENA QUINTA
I suddetti in disparte, Elvira in
abito da viaggio
Nr. 3 Aria
Elvira:
49
Doch still! Mir ist so …
Ich atme süßen Weiberduft …
Leporello:
Alle Wetter!
Welche feine Nase!
Don Giovanni:
Die Gestalt, o wie reizend!
Leporello:
Und welch scharfes Auge!
Don Giovanni:
Laß uns bei Seite gehen,
Um das Terrain zu sondieren.
Leporello:
Er fängt schon Feuer.
(Gehen beiseite)
FÜNFTE SZENE
Die Vorigen beiseite, Donna Elvi-
ra in Reisekleidern
Nr. 3 Arie
Donna Elvira:
ERLÄUTERUNGEN
(11)
Giovanni hat sich herangepirscht und vernimmt Elviras wütende Worte. Er wendet sich leise an Leporello und kommentiert, noch halb belustigt: »Hörst Du? Irgendeine Schöne, von einem Nichtsnutz verlassen!« (Die deutsche Übersetzung – »verlassen vom Geliebten« – trifft das italienische Wort »vago« nicht, zumindest nicht wörtlich; denn dieses bezeichnet, nicht sehr klassisch, einen Vagabunden, Herumstreuner, wertlosen, nichtsnutzigen Menschen.) Er macht sich lustig über sie (»Poverina!«, Arme, ist nicht ernst gemeint) und beschließt, die Unbekannte zu »trösten«. Was Leporello zur Feststellung nötigt, so habe er schon 1000 »getröstet«. (Die deutsche Fassung begnügt sich mit »tau-
50
1. AKT / 5. SZENE
Ah! chi mi dice mai
quel barbaro dov’è,
che per mio scorno amai,
che mi mancò di fé?
Ah! se ritrovo l’empio,
e a me non torna ancor,
vo’ farne orrendo scempio,
gli vo’ cavare il cor.
Giovanni (piano a Leporello):
Udisti? qualche bella
dal vago abbandonata …
Poverina!
Cerchiam di consolare iI suo
tormento.
Leporello:
Così ne consolò mille e otto-
cento.
51
Ach, werd’ ich ihn wohl fin-
den,
Der Liebe mir verhieß,
Der schmeichelnd mich
betörte
Und treulos dann verließ!
Floh mir der Undankbare,
Kehrt er mir nicht zurück,
Dann werd’ ihm Schmach und
Schande,
Vernichtet sei sein Glück!
Don Giovanni (leise zu Lepo-
rello):
Vernahmst du: eine Schöne,
Verlassen vom Geliebten! –
Ach, wie traurig!
Armes Mädchen!
Komm laß uns, sie zu trösten,
näher gehen!
Leporello:
So hab’ ich ihn schon Tausend
trösten sehen.
ERLÄUTERUNGEN
send«, aber beide bleiben, wie wir gleich sehen werden, weit hinter der
Realität zurück …)
Während die beiden Männer so ihre – weder edlen noch auch nur mitleidigen – Gedanken spinnen, bringt Elvira ihre Arie der tiefsten Enttäuschung, des bitteren Schmerzes zuende. Interessanterweise gibt Mozart ihr keinen wirklichen Arienschluß (also kaum Applausmöglichkeiten), sondern läßt die Musik mit den zärtlichen Worten Giovannis: »Signorina … « ausklingen und ins Secco-Rezitativ überleiten. So geht also das überraschende Erkennen (einer der szenischen Effekte des Stückes!) ohne Orchesteruntermalung vor sich, aber dafür mit voller Wortdeutlichkeit.
Elvira faßt sich schnell (ihre Überraschung ist die kleinere, da sie ja von Burgos nach Sevilla gereist ist, um Giovanni zu suchen) und belegt den für Augenblicke wortlosen Giovanni wiederum mit härtesten Bezeichnungen (die die deutsche Übersetzung hier nicht mehr
verschweigen kann).
Es dauert noch lange, bis Giovanni zu Wort kommt, Elvira hält ihm alles vor, was er ihr angetan hat – sie hat es sich selbst wohl oft genug vorgesagt, so daß sie es jetzt in gewaltigem Wortschwall dem Übeltäter ins Gesicht schleudern kann, was Leporello zum Ausspruch verleitet, sie rede »wie ein gedrucktes Buch« (»libro stampato«).
52
Giovanni:
Signorina …
Recitativo
1. AKT / 5. SZENE
Don Giovanni:
Schöne Donna!
Rezitativ
Elvira:
Chi è là?
Giovanni:
Stelle! che vedo!
Leporello:
Oh bella! Donna Elvira!
Elvira:
Don Giovanni! …
Sei qui, mostro, fellon, nido
d’inganni? …
Leporello:
Che titoli cruscanti!
Manco male
che lo conosce bene.
Giovanni:
Via, cara Donna Elvira,
calmate quella collera …
sentite …
Lasciatemi parlar …
Elvira:
Cosa puoi dire,
dopo azion sì nera?
In casa mia
entri furtivamente. A forza
d’arte,
di giuramenti e di lusinghe,
53
Donna Elvira:
Wer ist’s?
Don Giovanni:
Himmel! was seh’ ich!
Leporello:
O herrlich! Donna Elvira!
Donna Elvira:
Don Giovanni!
Du hier? Mann ohne Treu!
Meineidger Frevler!
Leporello:
Ei, was für schöne Titel!
Die kennt meinen Herrn ja
vortrefflich.
Don Giovanni:
Ach, teure Donna Elvira,
Besänftigt Euren Zorn …
ich bitte,
Vergönnt mir nur ein Wort …
Donna Elvira:
Was kannst du sagen
Nach so schwerem Frevel?
Du drängtest schmeichelnd
dich in meine Nähe mit tau-
send Künsten,
Mit falschen Eiden gelang es,
ERLÄUTERUNGEN
54
1. AKT / 5. SZENE
arrivi
a sedurre il cor mio:
m’innamori, o crudele!
Mi dichiari tua sposa. E poi,
mancando
della terra e del cielo al santo
dritto,
con enorme delitto
dopo tre dì da Burgos t’allon-
tani.
M’abbandoni, mi fuggi, e
lasci in preda
al rimorso ed al pianto
per pena forse che t’amai
cotanto!
Leporello:
(Pare un libro stampato.)
Giovanni:
Oh! In quanto a questo
ebbi le mie ragioni!
(a Leporello)
È vero?
Leporello:
È vero.
(ironicamente)
E che ragioni forti!
Elvira:
E quali sono, se non la tua
perfidia, la leggerezza tua?
Ma il giusto cielo volle ch’io
ti trovassi per far le sue, le
mie vendette.
Giovanni:
Eh, via!
55
Frevler, dir endlich,
Mein armes Herz zu betören
Und auf immer zu fesseln;
Du nanntest mich Gattin, und
dann –
Mißachtend die heiligen
Rechte des Himmels und der
Erde,
Entferntest du dich still wie
ein Dieb
Nach drei Tagen aus Burgos.
Mich verlassend entflohst du
Und gabst der Reue mich preis
und bittern Tränen,
Mich, die so treu und innig
Dich geliebt!
Leporello:
(Ah, sie redet wie ein ge-
drucktes Buch.)
Don Giovanni:
O, wenn Ihr wüßtet,
Welche Gründe mich zwan-
gen!
(zu Leporello)
Ist’s nicht so?
Leporello:
Ja wahrhaftig.
(ironisch):
die allerstärksten Gründe!
Donna Elvira:
Und welche Gründe, wenn
nicht frevelhafter Leichtsinn
und Treubruch ohneglei-
chen? –
Doch gerecht ist der Himmel:
Ich fand dich wieder, um mich
und ihn an dir zu rächen.
Don Giovanni:
Laß den Hader
ERLÄUTERUNGEN
Leporello, in höchst peinlicher Situation, stammelt sinnloses Zeug.
Aber auf Elviras neuerlichen Schmerzensausbruch – als sie
Giovannis Flucht entdeckt …
56
1. AKT / 5. SZENE
Siate più ragionevole …
(Mi pone a cimento costei.)
Se non credete al labbro mio,
credete a questo galantuomo.
Leporello:
(Salvo il vero.)
Giovanni (forte):
Via, dille un poco …
Leporello (sottovoce):
E cosa devo dirle?
Giovanni (forte):
Sì, sì, dille pur tutto.
(Parte non visto da Donn’ El-
vira)
Elvira (a Leporello):
Ebben, fa presto.
Leporello:
Madama … veramente …
in questo mondo
conciossia cosa quando fosse
che …
il quadro non è tondo …
Elvira:
Sciagurato!
Così dei mio dolor gioco ti
prendi?
Ah! voi! …
(verso Don Giovanni che non
crede partito)
Stelle! l’iniquo fuggì! …
misera me! … Dov’è?1 in
qual parte?
1   TV: Für »Dov’è« steht »Dove«.
57
und sei vernünftig.
(Wahrhaftig, das Weib macht
mich rasend.)
Willst meinen Worten Du
nicht glauben, so glaube doch
diesem Ehrenmann!
Leporello:
(Mit Vorbehalt!)
Don Giovanni (laut):
Komm und erzähle! …
Leporello (leise):
Was soll ich denn erzählen!
Don Giovanni (laut):
Ja, ja! Sag’ nur alles!
(Geht heimlich ab)
Donna Elvira (zu Leporello):
Wohlan, so rede …
Leporello:
Wahrhaftig … schöne Donna
… sintemal
Und alldieweil es männiglich
bekannt,
Daß ein Viereck nicht rund
ist …
Donna Elvira:
Ha, Vermeßner!
Du wagst es, meiner Leiden
noch zu spotten?
Und du …
(zu Don Giovanni, den sie
noch anwesend glaubt)
Himmel! Der Frevler entwich!
Weh mir Armen! Wohin ent-
floh er?
ERLÄUTERUNGEN
wird er ernster und gesammelter. Er rät Elvira das wahrhaft Beste, was er in diesem Falle raten kann: den Verbrecher laufen zu lassen, da er nicht
einmal ihrer Erinnerung wert sei.
Elvira geht darauf nicht ein (wie anders würde die Oper ver-
laufen, wenn sie es täte!), und so hält Leporello es für seine
Pflicht, ihr die ganze Wahrheit zu sagen.
Die ist grausam genug, und Leporellos Art, sie zu verkündigen, könnte nicht schlimmer sein. Vielleicht beginnt er wirklich in der Meinung, er tue nur seine »Pflicht« und führe die arme Verlassene zu einem
vernünftigen Verzicht.
Aber bald gehen Bosheit und Schadenfreude in dieser »Registerarie« mit ihm durch. Er selbst bleibt äußerlich ernst, aber das Orchester lacht
unbändig:
(Fortsetzung des Notenbeispiels S. 60)
58
1. AKT / 5. SZENE
Leporello:
Eh! lasciate che vada.
Egli non merta
che di lui ci pensiate.
Elvira:
I1 scellerato
m’ingannò, mi tradì …
Leporello:
Eh! consolatevi;
non siete voi, non foste e non
sarete
nè la prima, nè l’ultima.
Guardate:
questo non picciol libro è tutto
pieno
dei nomi di sue belle;
ogni villa, ogni borgo, ogni
paese
è testimon di sue donnesche
imprese.
Nr. 4 Aria
Madamina,
59
Leporello:
Ach, laßt ihn laufen,
wohin er will! Er verdient
nicht,
Daß Ihr sein noch gedenket.
Donna Elvira:
O, der Verbrecher,
Der mich täuschte und mich
verriet!
Leporello:
O tröstet Euch:
Denn Ihr seid, Ihr wart und
Ihr werdet
Nicht die Erste noch die Letzte
sein. Hier seht nur –
Dies korpulente Büchlein; da
sind verzeichnet
Die Namen seiner Schönen;
Jedes Städtchen, jedes Dörf-
chen ringsum im Reiche
Kennt meinen Herrn und
seine losen Streiche.
Nr. 4 Arie
Schöne Donna!
ERLÄUTERUNGEN
60
(12)
1. AKT / 5. SZENE
il catalogo è questo
delle belle che amò il padron
mio:
un catalogo egli è che ho
fatt’io;
osservate, leggete con me.
61
Dies genaue Register,
Es enthält seine Liebesaffä-
ren;
Der Verfasser des Werks bin
ich selber,
Wenn’s gefällig, so geh’n wir
es durch.
ERLÄUTERUNGEN
Auf diesen ersten Teil der Arie, mit der Bekanntgabe der Zahlen
schon beredt genug …
läßt da Ponte mit unverhohlener Freude noch einen zweiten Teil folgen, der sich mit den Einzelheiten von Giovannis Praktiken befaßt: ein Stück seltenen Zynismus in einer Oper (das übrigens nicht der Phantasie da Pontes entstammt, sondern bei seinem Vorläufer Giovanni Bertati in dem von Giuseppe Gazzaniga vertonten »Convitato di pietra« beinahe wörtlich zu finden ist). Interessant zu wissen wäre nur, inwieweit Mozart diesen Zynismus verstanden hat (ein Problem, das bei »Così fan tutte« entscheidend auftaucht) oder ob er einfach nur an ein gutes, wirkungsvolles Musikstück dachte. Hier gelingen ihm zwar Ironie und
Witz – wie immer –, aber kaum Bösartigkeit:
(13)
62
1. AKT / 5. SZENE
In Italia seicento e quaranta,
in Almagna duecento e tren-
tuna,
cento in Francia, in Turchia
novant’una,
ma in Ispagna son già mille
e tre.
V’han fra queste contadine,
cameriere, cittadine,
v’han contesse, baronesse,
marchesane, principesse,
e v’han donne d’ogni grado,
d’ogni farma, d’ogni età.
Nella bionda egli ha l’usanza
di lodar la gentilezza;
nella bruna, la costanza;
nella bianca, la dolcezza;
vuol d’inverno la grassotta,
vuol d’estate la magrotta;
è la grande maestosa,
la piccina è ognor vezzosa;
delle vecchie fa conquista
pel piacer di porle in lista;
ma passion predominante
è la giovin principiante;
non si picca – se sia ricca,
se sia brutta, se sia bella;
purchè porti la gonnella,
63
In Italien sechshundert und
vierzig,
Hier in Deutschland zweihun-
dert und dreißig,
Hundert in Frankreich und
neunzig in Persien –
Aber in Spanien schon Tau-
send und drei!
Mädchen sind’s von jedem
Stande,
Hier aus Städten, dort vom
Lande,
Bauernmädchen, Baronessen,
Kammerzofen und
Prinzessen,
Jeder Gattung und Gestalt,
Schön und häßlich, jung und
alt.
Bei Blondinen preist er vor
allem
Holde Anmut und sanftes
Wesen;
Bei Brünetten feste Treue,
Bei den Blassen süßes
Schmachten.
Volle sucht er für den Winter,
Für den Sommer schlanke
Kinder.
Große liebt er gravitätisch,
Ernst und vornehm,
majestätisch;
Doch die Kleine, die sei
possierlich,
Sei manierlich, fein und
zierlich.
ERLÄUTERUNGEN
Auch Leporello hat sich, wie zuvor sein Herr, aus dem Staube gemacht.
An seine lange (Register-)Arie schließt sich ein kurzes Rezitativ Elviras an, das weder musikalisch noch dramatisch von Wichtigkeit ist und darum
oftmals gestrichen wird.
64
voi sapete quel che fa.
(Parte)
SCENA SESTA
Donna Elvira sola
Recitativo
1. AKT / 5./6. SZENE
Daß dies Büchlein Stoff
erhalte,
Schwärmt er manchmal auch
für Alte;
Doch wofür er immer glühte,
Ist der Jugend erste Blüte.
Da’s ihm gleich ist, ob sie
bleich ist,
Ob sie bettelt oder reich ist,
Kirrt er Weiber jeder Sorte;
Ihm war keine je zu schlau.
Doch wozu auch all die
Worte?
Kennt ja selbst ihn ganz
genau!
(Er geht ab)
SECHSTE SZENE
Donna Elvira allein
Rezitativ
Elvira:
In questa forma dunque
mi tradì il scellerato! È questo
il premio
che quel barbaro rende
all’amor mio?
Ah! vendicar vogl’io
l’ingannato mio cor. Pria ch’ei
mi fugga
si ricorra … si vada … Io
sento in petto
sol vendetta padar, rabbia e
dispetto.
(Parte)
65
Donna Elvira:
Wie schmählich hinterging
mich
Dieser freche Betrüger! Soll
dies der Dank sein,
Daß ich ihm alles, alles dahin-
gab?
Rache doch will ich nehmen
Für mein blutendes Herz. Eh
er entfliehet,
Muß Vergeltung ich finden.
Nur ein Gedanke füllt die
Seele mir noch:
Zorn, und Verachtung.
(Ab)
ERLÄUTERUNGEN
Mit fast vollem, hell und froh tönendem Orchester malt Mozart die Welt der Bauern, ihren Tanz in froher Runde, ihre Unbeschwertheit. Eine heiterere, lebenslustigere Vorstellung der letzten noch fehlenden Hauptpersonen – Zerlina und Masetto – kann man sich nicht denken. Leichtfaßliche Melodien in volkstümlichen Terzen, ein beschwingter Rhythmus, -Takt, lustige »Vorschläge«, Naturklang der Hörner: eine – wie wir es heute nennen – »heile Welt«, die Mozart hörbare Freude macht. Zerlinas Aufruf zu Lebensfreude und Liebe findet im Chor begeistertes
Echo:
(14)
Masetto nimmt, ebenso froh gestimmt, die Melodie auf, singt aber deren (volkstümliche) Unterterz, geradeso, als begleite er seine geliebte Zerlina.
66
1. AKT / 7. SZENE
SCENA SETTIMA
Zerlina, Masetto e Coro di Conta-
dini d’ambo i sessi, che cantano,
suonano e ballano
Nr. 5 Coro
Zerlina:
Giovinette, che fate all’amore,
non lasciate che passi l’ età;
se nel seno vi bulica il core,
il rimedio vedetelo qua.
Che piacer! che piacer che
sarà!
Coro:
A, che piacer, che piacer
che sarà, la ra la ecc.
Masetto:
Giovinetti, leggeri di
testa,
non andate girando quà e là;
poco dura de’ matti la festa,
67
SIEBENTE SZENE
Masetto, Zerlina, mit singenden,
spielenden und tanzenden Bauern
und Bäuerinnen
Nr. 5 Chor
Zerlina:
O ihr Mädchen, zur Liebe ge-
boren –
Auf, benützet die blühende
Zeit!
Wenn ihr schmachtet, in Seh-
nen verloren,
Seht die Hilfe, sie ist schon
bereit!
O die Freude, die Freude ist
da!
Chor der Bäuerinnen:
Ah, o die Freude, die Freude
ist da, la la usw.
Masetto:
O ihr Burschen mit flattern-
dem Herzen,
Schwärmet ja nicht zu lange
umher!
ERLÄUTERUNGEN
Dann vereinen sich beide Stimmen, der Chor sekundiert, voll Sonnenschein und Lebenslust geht der Tanz zu Ende, gerade als Giovanni mit Leporello auftaucht. Einen Augenblick lang betrachten sie mit Wohlwollen – wenn auch Giovanni schon mit Hintergedanken – das Hochzeitsfest, das da mit Spiel und Tanz gefeiert wird.
Ein längeres Secco-Rezitativ treibt die Handlung voran, schürzt den dramatischen Knoten. Der anfänglich sich jovial gebende Giovanni versichert die »guten« Bauersleute seiner Huld und Gnade – er ist ja nach damaligem Recht möglicherweise ihr Feudalherr, soweit ihre Anwesen im Bereich seines Schlosses liegen –, und Leporello, ebenso entzückt wie sein Herr von der Fülle reizender Mädchen, tut handgreiflich das gleiche. Giovanni zeigt sich hier als echter Edelmann, liebenswürdig, herablassend, ohne den Standesunterschied zu betonen. Er weiß sehr genau, wie er auf Zerlina Eindruck machen kann, und das,
68
1. AKT /7./8. SZENE
ma per me cominciato non ha.
Che piacer! che piacer che
sarà!
Coro:
A, che piacer, che piacer
che sarà, la ra la ecc.
Zerlina e Masetto:
Vieni, vieni, carin
godiamo,
e cantiamo, e balliamo, e sal-
tiamo2
Vieni, vieni, carin
godlamo,
che piacer! che piacer che
sarà!
Coro:
A, che piacer, che piacer
che sarà.
La ra la, ecc.
SCENA OTTAVA
(Don Giovanni, Leporello e detti)
Recitativo
Giovanni:
Manco male, è partita … Oh
guarda, guarda
che bella gioventù, che belle
donne!
1   TV: Hier vor »godiamo« »e« eingeschoben.
2   TV: Für »saltiamo« auch »suoniamo«.
69
Freude bietet das Tändeln und
Scherzen,
Doch ein Weibchen erfreuet
noch mehr.
O die Freude, die Freude ist
da!
Chor der Bauernburschen:
Ah, O die Freude, die Freude ist
da! La la usw.
Zerlina und Masetto:
Komm, o komme,
zum Feste
Laßt uns tanzen und singen,
ihr Gäste!
O die Freude, die Freude ist
da!
Chor:
Ah, o die Freude, die
Freude ist da!
La la usw.
ACHTE SZENE
(Die Vorigen. Don Giovanni und
Leporello kommen.)
Rezitativ
Don Giovanni:
Gott sei Dank, daß sie fort ist!
… Ei sieh doch,
Das schmucke junge Volk! die
hübschen Mädchen!
ERLÄUTERUNGEN
nur das, ist seine Absicht. Es ist genaugenommen die einzige
echte Verführungsszene im ganzen Werk.
Er bezieht geschickterweise auch Masetto in das leutselige
Gespräch ein, lobt dessen Art, sich vorzustellen (»per servirla«,
»Euch zu dienen«), und läßt sich nicht sofort anmerken, wie bald
und in welcher Art er dieses »Dienen« wahrzumachen gedenkt.
70
1. AKT / 8. SZENE
Leporello:
Fra tante, per mia fe’,
vi sarà qualche cosa anche per
me.
Giovanni:
Cari amici, buon giorno.
Seguitate
a astare allegramente;
seguitate a suonar, o buona
gente.
C’è qualche sposalizio?
Zerlina:
Sì, signore,
e la sposa son io.
Giovanni:
Me ne consolo.
Lo sposo?
Masetto:
Io, per servirla.
Giovanni:
Oh, bravo! per servirmi;
questo è vero
parlar da galantuomo.
Leporello:
Basta che sia marito!
Zerlina:
Oh! il mio Masetto
è un uom d’ottimo core.
Giovanni:
Oh, anch’io vedete!
Voglio che siamo amici. Il
vostro nome?
Zerlina:
Zerlina.
Giovanni:
E il tuo?
71
Leporello:
Nun, unter so Vielen
Wird wohl auch für mich sich
etwas finden.
Don Giovanni:
Seid gegrüßt, liebe Freunde! –
Laßt euch nicht stören in
eurer Freude!
Singt und spielt immer zu, ihr
guten Leutchen!
Hier gibt’s wohl eine Hoch-
zeit!
Zerlina:
Ja gnäd’ger Herr,
Und ich bin die Braut.
Don Giovanni:
Ei, das freut mich!
Und der Bräutigam?
Masetto:
Ich, Euch zu dienen.
Don Giovanni:
Vortrefflich! mir zu dienen!
Das heißt gesprochen, wie ein
rechter Ehrenmann.
Leporello:
Ja, wie ein richt’ger
Ehemann.
Zerlina:
O, mein Masetto
Hat das beste Herz.
Don Giovanni:
Ganz wie ich selber. –
Darum laßt uns Freunde sein!
Wie ist Dein Name?
Zerlina:
Zerlina.
Don Giovanni:
Der Deine?
ERLÄUTERUNGEN
Immer noch verbirgt Giovanni seine wahre Absicht hinter der Geste des Edelmannes von Welt: Leporello möge alle in sein Schloß führen,
sie köstlich bewirten, unterhalten, froh und lustig sein lassen.
Alle, mit der einzigen Ausnahme Zerlinas: sie, die reizende Braut, wolle der Herr selbst geleiten. Masetto versucht – stets im Rezitativ, also mit völliger Wortdeutlichkeit und der Möglichkeit freien, ausdrucksvollen
Spiels – einen Protest.
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