Cover

Martin Schürz

Überreichtum

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

In vielen europäischen Ländern sind rechte Bewegungen im Aufwind. Oder mit den Worten Jan Zielonkas: Eine Konterrevolution ist in Gang gekommen. Im Jahr 1990 sah das noch ganz anders aus. Der Eiserne Vorhang war gefallen und Zielonkas Lehrer Ralf Dahrendorf begrüßte eine Revolution in Europa; es herrschten Euphorie und Aufbruchsstimmung.

Mittlerweile liegt die Europäische Union in Scherben, weil die politischen Eliten marktradikalen Ideen nachgelaufen sind und die liberale Demokratie verraten haben. Zielonka unterzieht die Entwicklungen einer unerbittlichen Analyse und formuliert ein starkes Plädoyer für eine offene Gesellschaft und eine Neuerfindung Europas.

»Zielonkas Buch spitzt eine Debatte zu.« FAZ

Vita

Dr. Martin Schürz ist Ökonom und individualpsychologischer Analytiker in Wien. Er forscht seit mehr als zwei Jahrzehnten zur Vermögensverteilung in Europa und ist Lektor an der Wirtschaftsuniversität in Wien. 2015 erhielt er den Progressive Economy Award des Europäischen Parlaments.

Inhalt

Einleitung

Probleme des Überreichtums

Gefühle zu Überreichtum

Tugenden und Laster

Kapitel 1
Was ist »über« an den Überreichen?

1.1 Messung von Reichtum

1.2 Reichtum in den USA und in Europa

1.3 Messung von Überreichtum

1.4 Diskreter Überreichtum versus sichtbarer Luxus

Kapitel 2
Was ist ungerecht am Überreichtum?

2.1 Die Bedeutung von Ungerechtigkeitsgefühlen

2.2 Dynastischer Überreichtum: Familienwerte

Kapitel 3
Überreichtum als Herausforderung für die Politik

3.1 Reichensteuer: Symbolische Bekämpfung des Überreichtums

3.2 Steuer auf Überreichtum ohne Leistung

3.3 Bildung als Ablenkung von Überreichtum

3.4 Mitgefühl mit der Mitte

3.5 Die Ehre des soliden Bankiers

3.6 Eigentümergesellschaft

3.7 Politik der Verachtung

Kapitel 4
Begründeter oder verdienter Reichtum

4.1 Legitimation des Reichtums über Leistung

4.2 Legitimation des Reichtums über Philanthropie

4.3 Verdienter versus unverdienter Reichtum

4.5 Überreiche Opfer

4.6 Heucheleien der Überreichen

Kapitel 5
Widerstreitende Gefühle zu Überreichtum

5.1 Innerer Reichtum

5.2 Habgier und Geiz

5.3 Schamloser Überreichtum

5.4 Armenbeschämung versus Überreichenbeschämung

5.5 Eitelkeit, Hochmut oder Stolz

5.6 Zornlosigkeit

5.7 Mitleid der Überreichen oder Mitleid mit den Überreichen?

5.8 Neidlosigkeit

5.9 Neidvorwürfe

5.10 Lasterhafte Tugenden der Überreichen

Schluss

Anmerkungen

Einleitung

1. Was ist »über« an den Überreichen?

2. Was ist ungerecht am Überreichtum?

3. Überreichtum als Herausforderung für die Politik

4. Begründeter oder verdienter Reichtum

5. Widerstreitende Gefühle zu Überreichtum

Schluss

Literatur

Einleitung

»Überreichtum« ist ein ungewöhnliches Wort. Als »Überreiche« bezeichnete der antike Philosoph Platon Reiche, die nicht tugendhaft seien.1 Heute wird bewundernd von »Superreichen« gesprochen, der kritische Begriff Platons ist in Vergessenheit geraten. Dieses Buch sucht den schillernden Begriff neu zu deuten, um die dramatische Vermögenskonzentration im 21. Jahrhundert besser zu verstehen.

Bei der Rechtfertigung der ungleichen Sozialordnung haben Überreiche stets viel Fantasie bewiesen. Doch Überreichtum geht nicht nur auf das moralische Versagen Einzelner zurück, sondern auch auf die staatliche Ordnung. Die Folgen betreffen die ganze Gesellschaft, denn Überreichtum verletzt Gerechtigkeitsprinzipien und gefährdet die Demokratie. Die leitende Frage dieses Buches ist: Was sichert die gesellschaftlich herausragende Position der Überreichen in einer Demokratie? Und die These lautet: Neben einer Politik der Verachtung, die keine Maßnahmen gegen Vermögenskonzentration ergreift, leistet eine Gefühlspolitik zugunsten der Reichen einen bislang unterschätzten Beitrag. Denn bei Gefühlen gibt es andere Trennlinien als bei Gerechtigkeitsprinzipien und ökonomischen Interessen. Da verschwimmen die Dichotomien von gerecht und ungerecht, arm und reich. Emotionen wie Neid, Gier oder Zorn teilen alle Menschen, egal, ob sie wohlhabend sind oder nicht. Überreiche im 21. Jahrhundert begründen ihre gesellschaftlichen Privilegien über ihre öffentlich inszenierten Tugenden. Sie stellen sich als mitfühlend und großzügig dar. Das demokratische Publikum ist fasziniert.

Insbesondere die Philanthropie mancher Vermögender rückt Großzügigkeit und Mitgefühl ins Zentrum. Die Grenzziehung verläuft dann zwischen guten Vermögenden und bösen Reichen.2 Das wohltätige Engagement vieler Vermögender wird meist begrüßt, während den bösen Reichen Schamlosigkeit und Exzess unterstellt wird. Die Tradition einer moralischen Verurteilung der Reichen geht bis in die Antike zurück. Bei Platon galten die Überreichen als lasterhaft und bei Aristoteles wurde die Habgier der Reichen verurteilt. Generell wird Gier seit Jahrhunderten als üble Wurzel des Reichtums gebrandmarkt.

Doch Kritik an den Reichen kann auch umfassender und subtiler ausfallen. In seiner Erzählung Junger Mann aus reichem Haus aus dem Jahr 1925 hatte Francis Scott Fitzgerald sie so formuliert: »Lassen Sie mich von den wahrhaft reichen Leuten erzählen. Das sind keine Menschen wie Sie oder ich. Sie besitzen und genießen früh und das verändert sie, macht sie weich, wo wir hart sind, zynisch, wo wir zuversichtlich sind, und das auf eine Art, die man nur schwer begreift, wenn man nicht selbst im Reichtum geboren ist. Sie halten sich aus tiefster Überzeugung für etwas Besseres als wir, weil wir erst einmal für uns selbst entdecken mussten, wie man sich im Leben einrichten und schadlos halten kann. Sie mögen noch so tief in unsere Welt einsteigen oder gar unter uns herabsinken, so glauben sie dennoch, etwas Besseres zu sein als wir. Sie sind eben anders.«3

Reichtum geht mit gesellschaftlichem Ansehen einher. Adam Smith, Gründervater der Ökonomie, hatte 1776 in seinem Hauptwerk Der Wohlstand der Nationen festgestellt: »Das Ansehen der Reichen ist zwar in jedem Zeitalter der Gesellschaft groß, aber am größten ist es wohl in den rohesten Zeiten derselben, sofern sie nämlich eine bedeutende Vermögensungleichheit aufzuweisen hat.«4 Dies trifft auf die Gegenwart zu. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung hat fast so viel an Vermögen wie der Rest.5 Und die drei reichsten Menschen besitzen so viel an Vermögen wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten zusammen.6 Den Vermögenden gelingt auch eine Steuervermeidung in Steueroasen viel leichter als dem Rest der Bevölkerung. Ein eigener Industriezweig hilft den Überreichen Steuern zu vermeiden.7 Auch steigt die Marktmacht von großen Konzernen bedenklich an. Wenige Giganten streichen einen Löwenanteil der Profite ein. Jüngst problematisierte diese Winner-take-most-Welt sogar der Internationale Währungsfonds in seinem Weltwirtschaftlichen Ausblick 2019. Die Einkommensungleichheit steigt an und die Vermögenskonzentration ist weltweit extrem.

In Smiths Theorie der ethischen Gefühle von 1759 finden sich moralpsychologische Überlegungen, die auch heute noch helfen, die Komplexität des Themas Reichtum zu erfassen. Bestimmte Gefühle sind für die Aufrechterhaltung von Überreichtum hilfreich. Smith bemerkte eine Neigung vieler Menschen, »die Reichen und Mächtigen zu bewundern und beinahe göttlich zu verehren und Personen in ärmlichen und niedrigen Verhältnissen zu verachten oder wenigstens zurückzusetzen«.8 Er erkannte, dass es nicht darum geht, ob die Reichen tugendhaft oder lasterhaft sind. Wichtiger ist, dass die meisten Menschen eher Reiche als Arme verehren. Auch der Zorn von ihnen richtet sich nicht gegen die Wenigen, die zu viel haben, sondern gegen die Vielen, die zu wenig haben: »Häufig sehen wir die achtungsvolle Aufmerksamkeit der Welt stärker auf die Reichen und Vornehmen sich richten, als auf die Weisen und Tugendhaften. Häufig sehen wir, daß die Laster und Torheiten des Mächtigen weit weniger verabscheut werden, als die Armut und Schwäche des Unschuldigen.«9

Moralische Gefühle der Empörung gegen den Exzess der Überreichen markieren aber vielleicht ohnehin nicht die Trennlinie zwischen Arm und Reich. Theodor W. Adorno hatte im Aphorismus »Tugendspiegel« seiner Minima Moralia eine Verschränkung von Reichtum und Tugend gesehen: »Reichtum als Gutsein ist ein Element des Kitts der Welt; der zähe Schein solcher Identität verhindert die Konfrontation der Moralideen mit der Ordnung, in der die Reichen recht haben, während zu gleich andere konkrete Bestimmungen des Moralischen als die vom Reichtum abgezogenen nicht konzipiert werden konnten.«10

Aus ökonomischer Perspektive scheint es bei Reichtum vorerst sowieso nicht um Tugenden und Laster, sondern nur um eine richtige statistische Messung von Vermögen und um konzise Analysen zu gehen. Die volkswirtschaftlichen Analysen der statistischen Daten zu Vermögen untersuchen Gründe der Entstehung von Reichtum und deren Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Finanzstabilität. In den letzten Jahren sind zahlreiche ökonomische Analysen zu Ungleichheit durchgeführt worden.11

Soziologisch liegt der Fokus auf Machtfragen. Überreiche verfügen über Macht und prägen die Gesellschaft, in der sie leben. Die enorme Vermögenskonzentration wird ermöglicht durch politische Maßnahmen wie Unternehmenssteuersenkungen, Privatisierungen, Duldung von Steueroasen, schwache Wettbewerbspolitik, Finanzliberalisierungen und Deregulierungen. Seit den 1980er Jahren ist das öffentliche Vermögen massiv zurückgegangen und das private Vermögen angestiegen. Thomas Piketty und Gabriel Zucman fanden für einige Industriestaaten heraus, dass Vermögen viel wichtiger wurde als Einkommen. So war 1970 das Haushaltsvermögen zwei bis drei Mal so hoch wie das Nationaleinkommen, 2010 bereits vier bis sechs Mal so hoch.12 Das Gewicht der Eigentümer und der in der Vergangenheit entstandenen Vermögen wächst und Einkommen verliert in Relation zu bereits vorhandenem Kapital an Bedeutung. Ist ein Vermögen erst einmal vorhanden, folgt es einer eigenen Dynamik. Weder in den USA noch in Europa haben führende Politikerinnen und Politiker die zunehmend ungleiche Verteilung der Vermögen im Blick gehabt. Maßnahmen, um dieser Ungleichheit entgegenzuwirken, waren geradezu tabuisiert – obzwar der wissenschaftliche Nachweis der negativen Auswirkungen von Vermögenskonzentration auf die Gesellschaft in vielen sozialwissenschaftlichen Publikationen erbracht worden ist.13

Die Frage, wer was verdient und ob es gerecht ist, dass einige Menschen so viel haben und viele so wenig, nötigt zu einem normativen Verständnis von Reichtum und leitet über zum Thema des Überreichtums. Die meisten philosophischen Theorien argumentieren, dass eine Umverteilung notwendig sei. Bei einer Kritik an Überreichtum kann es aber nicht allein um Gerechtigkeitsprinzipien gehen. Häufig sind unsere Kriterien der Beurteilung erfahrungsbasiert, stimmungsorientiert und gefühlsgeleitet. Wenn einige wenige Menschen dutzende Milliarden US-Dollar an Vermögen besitzen, während viele Menschen mit einem US-Dollar am Tag über die Runden kommen müssen, lässt das niemanden völlig unberührt. Zorn, Resignation oder Bewunderung bilden sich heraus. Im Alltag der meisten Menschen geht es nicht um eine philosophisch gerechte Verteilung von materiellen Ressourcen, sondern um Statuskonflikte, empfundene Ungerechtigkeit und Missachtung. Solche Konflikte reichen über materielle Fragen hinaus, betreffen die ganze Person und prägen die Einstellungen zu Überreichtum.

Die liberale politische Theoretikerin Judith Shklar hat in ihrem Buch Über Ungerechtigkeit bemerkt, dass ein Gerechtigkeitsfokus kein archimedisches Fundament zur Gesellschaftskritik bildet: »Ein Grund, warum es kein Heilmittel für Ungerechtigkeit gibt, liegt darin, daß selbst ziemlich rechtschaffene Bürger keines wollen. Dies ist nicht darauf zurückzuführen, daß wir uns uneins darüber sind, was ungerecht ist, sondern auf eine mangelnde Bereitschaft, den Frieden und die Ruhe aufzugeben, den die Ungerechtigkeit anbieten kann und anbietet.«14

Ob Reichtum gerecht oder ungerecht ist, wäre folglich nicht die entscheidende Frage, sondern ob die Ruhe, die die Ungerechtigkeit anbietet, andauert. Wenn arme Menschen den Reichen anhaltend bewunderndes Wohlwollen entgegenbringen, wird es nicht hinreichend sein, die Vermögenskonzentration zu messen, ihre Ursachen ökonomisch zu erforschen und die Ungerechtigkeit des Reichtums zu kritisieren. Gegenüber einem rationalistischen Blick auf die menschliche Natur ist Skepsis angebracht. Zu Überreichtum entwickeln Menschen sehr unterschiedliche moralische Gefühle. Auch ist Gefühlspolitik für die soziale Akzeptanz der gesellschaftlichen Privilegien der Überreichen bedeutsam. Eliten und die Politik halten in bestimmten historischen Phasen manche Emotionen für wünschenswert und lehnen andere ab. So wurden feindliche Gefühle wie Neid und Wut befeuert, in anderen Zeiten sollten Mitgefühl und Anteilnahme gestärkt werden. Gefühlszuordnungen hingegen laufen oft entlang bekannter Klassenlinien. Negative Gefühle wie Neid und Hass werden eher den Armen als Laster zugeschrieben, Großzügigkeit und Mitleid den Überreichen als Tugenden.

Probleme des Überreichtums

Ab einer bestimmten Vermögensgrenze kann eine Person als überreich betrachtet werden. Der Begriff überreich beinhaltet das Urteil, dass jemand zu viel hat. Das zu viel kann quantitativ bezogen werden auf eine bestimmte Vermögenshöhe. Menschen sind aber auch überreich, wenn sie auf Basis ihres Vermögens Gerechtigkeitsprinzipen verletzen, die Demokratie gefährden und andere Personen missachten. In einer Demokratie gilt das Prinzip politischer Gleichheit. Historisch zeigte sich stets ein Spannungsverhältnis zwischen politischer Gleichheit und ökonomischer Ungleichheit. Doch Überreichtum torpediert die politische Idee der Gleichheit in elementarer Weise und führt zu einem Muster ungleicher Responsivität der Politik. Diese reagiert stärker auf die Anliegen der Überreichen als auf die Wünsche des Rests.15 Der Befund aktueller empirischer Studien korrespondiert auch mit dem Verdikt von Adam Smith aus seinem Wohlstand der Nationen: »Die bürgerliche Regierung ist, insofern sie zur Sicherung des Eigentums eingeführt wurde, in der Tat zur Verteidigung der Reichen gegen die Armen oder dessen, der ein Eigentum hat, gegen den, der keines hat, eingeführt worden.«16

Wer über Reichtum spricht, wird rasch nach einer Zahl gefragt: Ab wann ist man reich? In einer repräsentativen Haushaltserhebung antworteten Befragte in Österreich, dass man ab einem Vermögen von 800 000 Euro reich sei.17 Überreich sind sie mit einem solchen Vermögen wohl kaum. Auch die Frage, ab wann reiche Menschen überreich werden, könnte mit einer Zahl beantwortet werden. Doch jeder Zahlenwert – ob 500 Millionen Euro oder eine Milliarde Euro – wird zu kontroversen Diskussionen führen. Während manchen Personen ein Vermögen von 10 Millionen Euro als zu viel erscheint, werden andere sogar eine Grenze bei 100 Millionen Euro als bevormundend oder freiheitsberaubend betrachten.

Über Statistiken allein sind Reichtumsfragen demnach nicht zu klären, sie müssen in ihren normativen Dimensionen betrachtet werden. Reiche haben nicht nur mehr Ressourcen, sondern sie haben auch mehr Möglichkeiten. Vermögen meint eine Potenzialität, die sich auf der Basis von Eigentum ergibt. Vermögen vermag etwas, schrieb der deutsche Soziologe Georg Simmel in seiner Philosophie des Geldes. Der Reiche wirkt nicht nur durch das, »was er tut, sondern auch durch das, was er tun könnte«.18 Vermögen gibt Macht: »Der Reiche genießt Vorteile, noch über den Genuß desjenigen hinaus, was er sich für sein Geld konkret beschaffen kann. Der Kaufmann handelt mit ihm solider und billiger als mit dem Armen, jedermann, auch der von seinem Reichtum profitiert, begegnet ihm zuvorkommender, als dem Armen, es schwebt eine ideale Sphäre fragloser Bevorzugtheit um ihn.«19

Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain thematisierte diese Bevorzugung der Vermögenden in einer Kurzgeschichte. Zwei reiche Exzentriker wetten darauf, was eine Eine-Million-Pfund-Note im Leben eines Armen ausmachen kann.20 Tatsächlich erweist sich die Wirkung eines sichtbaren Vermögens auf die Mitmenschen als enorm. So diniert der Held gratis, wird überall wohlwollend empfangen und gewinnt letztlich sogar die Hand einer reichen Erbin. Er muss seine – von der Bank of England gedruckte – Eine-Million-Pfund-Note gar nicht ausgeben. Allein die Wahrnehmung seines Reichtums verschafft ihm gesellschaftliche Privilegien.

Die Nachteile des Überreichtums für die Gesellschaft sind evident. Sie liegen in der gesellschaftlichen Privilegierung der Reichen und den damit einhergehenden Gefahren für die Demokratie. Der amerikanische Philosoph John Rawls hatte geschrieben: »[D]er Wert der Freiheit ist nicht für jedermann der gleiche. Manche haben mehr Macht und Reichtum und daher mehr Möglichkeiten ihre Ziele zu erreichen.«21 Da die Vermögensstreuung in der Gesellschaft gering ist, kann auch nicht verhindert werden, »daß ein kleiner Teil der Gesellschaft die Wirtschaft und indirekt auch die Politik steuert«.22

Überreichtum ruiniert den sozialen Zusammenhalt. »If the rich can write the rules then we have a real problem«, sagte der Wirtschaftsnobelpreisträger Angus Deaton.23 Die Mittel und Einflussnahmen der Überreichen erstrecken sich von Wahlkampfunterstützung über Lobbying und Parteienfinanzierung, kulturelle Hegemonie und Mediendominanz bis zu vielfältigen Exklusionsmechanismen im Alltag. Überreichtum impliziert ein Übermaß an politischen Einflussmöglichkeiten. Nur die sichtbarste Form sind Überreiche, die wichtige politische Positionen einnehmen. Grundlegender jedoch sind politische Maßnahmen seit den 1980er Jahren, die Steuerstrukturen und die Gesetzgebung zugunsten der Reichen stärkten. Die Macht der Überreichen beschneidet aber auch die Möglichkeiten deliberativer Demokratie. Ein rationaler Diskurs über Reichtum und Demokratie kann kaum noch entstehen. Arme Menschen mit zahllosen Ungerechtigkeitserfahrungen werden nicht gehört und intellektuelle Eliten diskutieren im Schatten der Macht. Meist tun sie dies ohne zufriedenstellende Daten zur Vermögensverteilung.

Gefühle zu Überreichtum

In Honoré de Balzacs Roman Vater Goriot wendet sich Baronesse Delphine von Nücingen an Eugen Rastignac: »Ist es nicht furchtbar, Geld und Gefühl miteinander zu verquicken?«24 Dabei kann sie sich doch nichts anderes als eine Symbiose zwischen beiden vorstellen.

Gefühle spielen beim Umgang mit Reichtum eine große Rolle. Die Achtung der Reichen geht über Eigeninteressen des Rests der Bevölkerung weit hinaus, argumentierte bereits der schottische Philosoph und Ökonom David Hume im 18. Jahrhundert. Es ist nicht nur unser Interesse an Annehmlichkeiten, welche die Reichen auch uns ermöglichen könnten, sondern die Achtung vor dem Vergnügen, das der Reichtum in unserer Fantasie den Reichen selbst bereitet. In unseren Vorstellungen entstehen Bilder von Glück, Behagen, Macht und der Befriedigung aller Wünsche.25 Wir behandeln die Reichen achtungsvoll und stellen uns Reichtum vor als »Überfluß, Zufriedenheit, Sauberkeit, Wärme von einem freundlichen Haus geschmackvoller Einrichtung, aufmerksamer Bedienung und von allem, was an Speisen, Getränken und Kleidung begehrenswert ist«.26 Hume suchte »unsere Wertschätzung der Reichen aus dem Mitgefühl für die Lust und den Vorteil herzuleiten, den sie selbst von ihrem Besitz haben«.27 Es ist folglich eine »uneigennützige Achtung vor dem Reichtum«.28

Bestimmte Gefühle erweisen sich aber auch als strategisch nützlich für den Erhalt von Reichtum. Glauben die Reichen, dass »in einem Palast ihr Magen besser oder ihr Schlaf gesünder sei als in einer Hütte?«29 Nach der Ansicht von Smith tun sie dies nicht, aber ein Palast eignet sich weit besser zum Protzen als ein kleines Haus. Und auch Thomas Hobbes fand eine Verknüpfung von strategischem Kalkül und sichtbarem Vermögen. Er formulierte in seinem Hauptwerk Leviathan von 1651: »So ist auch Reichtum, verbunden mit Freigiebigkeit, Macht, denn er verschafft Diener und Freunde. Reichtum ohne Freigiebigkeit ist nicht Macht, weil er nicht verteidigt, sondern Neider erweckt.«30 Großzügigkeit erlaube den Reichen, ihren Reichtum zu bewahren. Neid könnte ihn gefährden.

Aktuell ist die Wohltätigkeit, insbesondere in den USA, ein vorherrschendes Grundmuster gesellschaftlich anerkannten Reichtums. Philanthropie arbeitet über ein zur Schau gestelltes Mitgefühl. Adam Smith machte in seiner Theorie der ethischen Gefühle Sympathie zu seinem zentralen Thema. Mitgefühl muss sich nicht unbedingt auf Arme beziehen, sondern kann auch den Reichen entgegengebracht werden. Smith vermutete, dass die Attraktion der Reichen die ungleiche Gesellschaftsordnung stabilisiert: »Auf dieser Neigung der Menschen, für alle Affekte der Reichen und Mächtigen Teilnahme zu hegen, beruht jedoch die Unterscheidung der Stände und die Ordnung der Gesellschaft.«31

Habgier, Geiz und Hochmut wurden den Reichen in der Geschichte der Philosophie und in der Literatur oft moralisierend zugeschrieben. Doch nicht nur diese unangenehmen Charakterzüge, sondern auch Barmherzigkeit, Demut und Mitgefühl werden den Überreichen zugestanden. Gerade diese Gefühle sind für die Absicherung des Vermögens wichtig. Eine oberflächliche Sichtung der Gefühle würde willkommene Gefühle wie Mitgefühl und Barmherzigkeit auf der einen Seite, von schlecht beleumundeten Gefühlen wie Neid, Zorn und Gier auf der anderen Seite scheiden. Eine Dichotomie von guten und feindseligen Gefühlen greift aber zu kurz, denn menschliche Gefühle sind in der Regel mehrdeutig und vielfältig.

Wer eine zwischen Arm und Reich verfestigte Gesellschaftsordnung zu ändern sucht, muss zuerst verstehen, wie Vermögenskonzentration wahrgenommen wird, welche Gefühle den Überreichen entgegengebracht werden und welche Tugenden und Laster dieser kleinen Gruppe zugeordnet werden. Das Nachdenken über Reichtum endet allzu oft in einem Anprangern der Habgier von Reichen, einem Huldigen ihrer Großzügigkeit oder einem Diffamieren des missgünstigen Neides der Armen. Das greift zu kurz. Wäre Reichtum ohne Gier (Wagenknecht) weniger verletzend für die Armen als ein gierig angehäufter Reichtum? Und sind großzügige Reiche hilfreicher als geizige Vermögende beim gesellschaftlichen Anliegen der Einführung von Vermögenssteuern?

Beide Fragen sind negativ zu beantworten. Der Fokus muss auf die Funktionalität bestimmter Gefühle für die Erhaltung von Überreichtum gelegt werden. Ein Beispiel: Ehre etwa war ein ausgrenzendes aristokratisches Gefühl, das im 20. Jahrhundert an Bedeutung verlor. Doch Ehrfurcht und Ehrerbietigkeit vor den Überreichen haben sich bis heute gehalten.

Tugenden und Laster

Überreichtum basiert auf Vermögen. Der eigentliche Gegenbegriff zu Vermögen ist nicht Vermögenslosigkeit, sondern Unvermögen. Unvermögen ist aber eng verbunden mit dem gesellschaftlichen Verdikt über individuelle Verantwortung und Verantwortungslosigkeit. Unvermögen wird armen Menschen zugeschrieben. Während Vermögenslosigkeit einen sorglosen Lebensstil erlaubt, wenn das laufende Einkommen hoch genug ist, beschämt Unvermögen Menschen. Zu den moralischen Konnotationen des Reichtumsbegriffs schrieb Adam Smith: »Wir sagen im Englischen von einem reichen Mann, er sei viel und von einem armen, er sei wenig Geld wert«.32

Smith ging von einer hohen gesellschaftlichen Stellung der Vermögenden aus. Das eigene Vermögen müsse, ebenso wie die Würde, vor Angriffen verteidigt werden. Eigentumsrechte sind bei Adam Smith von Freiheitsrechten nicht zu trennen: »Um in der Welt angenehm zu leben, ist es ebenso notwendig, bei allen Gelegenheiten unsere Würde und unsere Stellung zu verteidigen, wie es nötig ist, unser Leben oder unser Vermögen zu verteidigen.«33

Für Platon war der Überreichtum bei der Tugendausübung hinderlich. Ein tugendhafter Mann, und nur um die Männer ging es in Platons Überlegungen, kann nicht überreich sein. Für Platon lagen die Charakterdefizite der Überreichen in deren mangelnder Tugend. Das wahre Glück im Leben hänge nicht davon ab, dass »man unablässig nach Reichtum trachtet, sondern davon, daß man den Reichtum mit Gerechtigkeit und Besonnenheit verbindet«.34 Ein Mittelmaß zwischen extremer Armut und Überreichtum zu erreichen, hat für Platon den Vorzug, dass man nicht faul und nachlässig wird: »Wenn ein Töpfer reich geworden ist, glaubst du da etwa, er werde dann noch Lust verspüren sich mit seiner Kunst abzugeben?«35

Auch heute geht es in öffentlichen Debatten oft um Narrative eines tugendhaften Verhaltens der Überreichen. Tugenden wie soziale Verantwortung und Großzügigkeit erhöhen deren gesellschaftliches Ansehen. Das entlastet die Politik dabei, die enormen Vermögensunterschiede in der Gesellschaft zu rechtfertigen. Die Politik kann dann auf Narrative zurückgreifen, die vom verdienstvollen Verhalten der Überreichen erzählen, um die geringe steuerliche Belastung von Reichen zu rechtfertigen. Eine beliebte semantische Unterscheidung findet sich etwa im Armuts- und Reichtumsbericht der deutschen Bundesregierung. Die Menschen müssten lernen, »Reiche von Vermögenden zu unterscheiden«.36 Während die Reichen bloß an ihren persönlichen Vorteil denken würden, täten die Vermögenden Wertvolles für die Gemeinschaft. Der Reiche handle demnach amoralisch und der Vermögende trotz Profitorientierung gemeinwohlorientiert. Bei der Tugendhaftigkeit würde es sich entscheiden, wer zu den Vermögenden und wer nur zu den Reichen zählt.37 Es geht in diesem Konzept folglich um eine Binnendifferenzierung zwischen tugendhaften und lasterhaften Reichen.

Diese Suche nach einem sinnvollen vulgo tugendhaften Leben spielt in Autobiografien reicher Menschen oft eine Rolle. Das vermutlich bekannteste Vorbild vieler Vermögender ist der amerikanische Großindustrielle Andrew Carnegie. Er propagierte, dass sich die Reichen am Gemeinwohl orientieren sollten: »Der Individualismus wird sich durchsetzen, aber der Millionär wird als Treuhänder für die Armen fungieren.«38

Reiche Menschen suchen in ihrem Leben gewiss nicht nur ihr Vermögen zu mehren, sondern auch die Sinnfrage zu beantworten. Wenn ein bestimmtes Niveau von Reichtum erreicht ist, kann sich ein Gefühl existenzieller Sinnlosigkeit einstellen. Diese Komponente wird in sozialwissenschaftlichen Überlegungen oft vernachlässigt. Sie ist aber wichtig, weil Reichtum für viele Menschen kein Ziel an sich ist, sondern ein Mittel für andere Zwecke. Es geht ihnen um Dinge, die besonders mittels Reichtum leichter erreichbar sind. Status, Macht und Ansehen sind hierbei zentral. Unendlichkeit mag die paradoxe Sehnsucht sein, die ein Streben nach Reichtum antreibt. Jedenfalls spielt Konsum oft eher eine nebensächliche Rolle. Meist reicht hierfür ohnedies das Einkommen der Überreichen.

Spuren der moralischen Unterscheidung zwischen Vermögenden und Reichen finden sich auch bei Hegel. Er bemerkte 1821/22 in seinen Vorlesungen knapp: »Es gibt auch reichen Pöbel.«39 Es sei so, dass dieser die »Macht des Reichtums nutzt, um sich aus vielem herauszuziehen, was anderen übel bekommen würde«.40 Der reiche Pöbel stellt sich mit seinem Vermögen gegen die Sitte, er ist verdorben und meint, sich alles erlauben zu können: »Der reiche Pöbel setzt so die Souveränität seiner rein ökonomischen Macht gegen die Souveränität des Staates und seiner Institutionen.«41

Negative Charakterzüge, die mit Reichtum verbunden sind, waren auch für Aristoteles leicht zu erkennen: »Die Reichen sind nämlich anmaßend und überheblich, da sie der Besitz des Reichtums irgendwie beeinflußt. Denn sie kommen sich so vor, als vereinigten sie alle Güter in ihrer Position. Der Reichtum ist ja eine Art Wertmaßstab für alles übrige, daher entsteht der Eindruck, daß alles durch ihn käuflich sei.« Aristoteles ging es um das Ideal einer selbstständigen Persönlichkeit und um eine tugendethische Positionierung im Leben. Charakterbildung hieß das Ziel, Reichtum in Maßen zählte dazu. Reiche hingegen seien protzig, »weil sie sich einbilden, auch die anderen strebten voll Neid nach demselben wie sie«.42 Aristoteles gab jedoch zu bedenken, dass sich die Reichen den Neid der anderen nicht nur einbilden. Sie haben aus gutem Grund ein anmaßendes Lebensgefühl. Denn stünden nicht die Weisen vor den Toren der Reichen und nicht umgekehrt?

Doch nicht alle fanden Laster der Reichen beklagenswert. Bernard Mandeville, dem Karl Marx Tribut ob seiner kühnen Analysen zollte, hat die zentrale Überlegung seiner Bienenfabel von 1714 kurz und bündig zusammengefasst: »private Laster, öffentliche Vorteile«. Mandevilles These von den privaten Lastern, die sich in öffentliche Tugenden verwandeln, wird von manchen als ein Gründungsdokument der kapitalistischen Gesellschaft verstanden.43

Mandevilles provokante Vorstellung war, dass eine rücksichtslose Verfolgung der eigenen Laster dem Gemeinwohl mehr diene als ein tugendhaftes Leben. Diese These ist in der Ökonomik als Mandeville-Paradoxon bekannt geworden. Die englische Gesellschaft war damals im Umbruch, denn das Großbürgertum gewann gegenüber dem Adel an Bedeutung. Mandeville sah die Gesellschaft gespalten in fleißige Arme und genusssüchtige, korrupte Reiche. Er rehabilitierte aber die Luxusorientierung der Reichen und zeigte die engen Grenzen der Tugend auf: »Dies hat mich oft veranlaßt, die Tugenden großer Männer unseren riesigen chinesischen Vasen zu vergleichen: sie nehmen sich prachtvoll aus und haben etwas ungemein Dekoratives an sich; ihrer Massigkeit und ihrem Werte nach zu urteilen, möchte man glauben, sie seien sehr nützlich, aber man schaue in Tausende von Ihnen hinein und man wird nichts darin sehen als Staub und Spinnweben.«44

Laster verderben den Charakter. Aber Laster sind nicht das Gegenteil von Tugenden. Sowohl die Generosität reicher Philanthropen als auch ihr Mitleid mit den Armen können lasterhafte Tugenden der Überreichen sein, die vorrangig helfen, die gesellschaftlichen Probleme des Überreichtums zu überdecken.

Kapitel 1
Was ist »über« an den Überreichen?

Vor über 40 Jahren schrieb der Ökonom John Kenneth Galbraith in Die Tyrannei der Umstände: »Von allen Klassen werden die Reichen am meisten beachtet und am wenigsten analysiert. So war es und so wird auch weitgehend bleiben.«1 Heute ist Ungleichheit zu einem sozialwissenschaftlichen Modethema geworden. Doch die empirische Datenbasis für Studien bleibt mangelhaft, auch unter Ökonomen ist das Wissen über Reichtum beschränkt.2

Im Ökonomenpanel werden regelmäßig Volkswirtschaftler, die einen Lehrstuhl an einer deutschen Universität innehaben, zu verschiedenen ökonomischen Themen befragt.3 Eine Frage im April 2016 lautete: »Hat die Vermögensungleichheit seit der Jahrtausendwende zugenommen?« Wir würden erwarten, dass zu einer so wichtigen Frage datengestütztes Wissen vorhanden ist.

Doch ein einhelliges Urteil ergab sich nicht. Im Gegenteil: Es tat sich ein großes Meinungsspektrum unter den Expertinnen und Experten auf. 71 Prozent der Befragten gaben an, dass die Vermögensungleichheit seit der Jahrtausendwende zugenommen habe. Der Rest der Ökonomen war anderer Meinung. Die nächste Frage lautete: »Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Vermögensungleichheit in Deutschland?« Nur etwa die Hälfte der Ökonomen sagte, die Vermögensungleichheit sei hoch. Was jeder Einzelne unter hoch oder niedrig verstand, blieb unklar. Für den einen wird ein Anteil des reichsten Prozents von 20 Prozent am gesamten Vermögen hoch sein, für andere hingegen niedrig. Damit entsprachen die Einschätzungen der Experten eher dem jeweiligen Bauchgefühl als validem Wissen.

Dieses Ergebnis irritiert, gerade weil es aus einer Wissenschaft kommt, die auf ihre Nähe zur Naturwissenschaft viel Wert legt. Dass bei Vermögensungleichheit so wenig an Datenkenntnis vorhanden ist und so viel an Meinungen und Überzeugungen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft akzeptiert wird, lässt staunen. Die Ökonomik liefert in der Tat keinen eindeutigen Befund zur Vermögensverteilung, und Reichtum ist kein Thema, zu dem Wirtschaftsexperten objektives Wissen haben.

Armut ist einfacher zu erforschen als Reichtum, da sich arme Menschen der bürokratischen Erfassung durch den Wohlfahrtsstaat nicht entziehen können. Der Staat kann die notwendigen Informationen zum Vermögen der Armen recht einfach bekommen, da die um staatliche Unterstützung ansuchenden Personen eine schriftliche Erlaubnis zur Abfrage von verschiedenen Vermögensinformationen abgeben müssen.4 Bei den Reichen ist das anders.

Nur in wenigen Ländern gibt es solide Daten zu Reichtum und in noch weniger Ländern gibt es öffentliche Berichte zur Vermögenskonzentration, die dem Parlament zur Kenntnis gebracht werden. Eine informierte öffentliche Debatte zur Entstehung und Verwendung von Reichtum wird so erschwert. Informationen über Reiche und deren Privilegien sind nicht zugänglich, sodass Reichtum wissenschaftlich unzureichend erforscht bleibt.5

Verschiedene Barrieren setzen der Forschung zu Reichtum enge Grenzen: Für eine hinreichend gute Datenbasis wäre eine Aufhebung des Bankgeheimnisses, Informationen zu Privatstiftungen im In- und Ausland und zum veranlagten Vermögen in Steueroasen notwendig. Ansonsten bleiben nur Mutmaßungen zur tatsächlichen Höhe des Vermögens der Reichen. Die unbefriedigende Datensituation erleichtert eine diffuse moralische Empörung in der Öffentlichkeit. Jeder kritische Diskurs zu Reichtum ist gefährdet ins Glauben, Meinen und Moralisieren abzugleiten. Oft spielen dann die eigenen lebensweltlichen Erfahrungen die entscheidende Rolle.

Die deutsche Bundesregierung legt regelmäßig einen Armuts- und Reichtumsbericht vor.6 Bislang gibt es fünf Ausgaben. Die Entstehungsgeschichte dieses Berichts zeigt die Widerstände, die mit der Erweiterung des Themas Armut um das Thema Reichtum einhergingen. Argumentiert wurde anfangs, dass Armut und Reichtum nicht in einen Bericht gehören. Armut sei unerwünscht, während Reichtum ein Ziel aller sei. Im ersten Bericht standen einem Armutsschwerpunkt von einigen hundert Seiten nur einige dutzend Seiten an Erörterungen über Reichtum gegenüber. Im letzten Bericht gibt es vermehrt Analysen zu Reichtum, aber die Datenlage bleibt unbefriedigend.7

Die Erhebung von Vermögensdaten ist so schwierig, weil Nichtteilnahme und Fehlangaben nicht sanktioniert werden. Die befragten Personen können dann entscheiden, ob sie antworten oder nicht. Und wenn sie antworten, ist unklar, wie präzise und zuverlässig die Angaben sind. Der sonst in unserer Gesellschaft hochgehaltene Wert der Transparenz gilt im Hinblick auf Reichtum nicht.8 Hier ist Datentransparenz unerwünscht und Datenrecherchen sind verpönt: »Vermögensstriptease Nein Danke« lautete ein Slogan der Interessensvertretung der Unternehmer in Österreich, auch die ehemalige Bundesministerin für Finanzen Maria Fekter wandte sich gegen Schnüffeleien im Privaten.9

Im Privaten existieren vielerlei Ängste vor Übergriffen. Ängste können Arme und Reiche einen. Schon Thomas Hobbes hatte bei der Konzeption seines Gesellschaftsvertrags dieses Misstrauen der Menschen im Sinn. Die Idee, dass zu Hause großes Vermögen versteckt wird, ist wirklichkeitsfern.10 Aber Menschen haben ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Sicherheit im privaten Bereich, egal, ob tatsächlich Banknoten und Diademe unter dem Kopfkissen liegen. Ihre Ängste können im Interesse der Überreichen aktiviert werden. In der Realität ist Reichtum eher in Steueroasen als in Eigenheimen zu finden. Menschen haben wenigsten zwei Intimleben und das Vermögen bildet für manche Menschen den intimeren Part.

In Österreich existiert erst seit 2016 ein sogenanntes Kontenregister, mittels dessen die Finanzbehörden bei Banken abfragen können, ob eine bestimmte Person dort ein Konto führt. Für eine Konteneinschau benötigen sie jedoch einen richterlichen Beschluss. Im Jahr 2017 wurden nur fünf Einsichtnahmen genehmigt.11 Hierfür müssen begründete Zweifel an den Angaben der Steuerpflichtigen vorliegen. Das Kriterium »begründet« macht das Unterfangen der Finanzbehörden zirkulär, denn für eine hinreichende Begründung wären Kenntnisse hilfreich.