Hugo von Hofmannsthal
Gedichte
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
goodpress@okpublishing.info
EAN 4064066117481
Inhaltsverzeichnis
DIE GESAMMELTEN GEDICHTE
VORFRÜHLING
ERLEBNIS
VOR TAG
REISELIED
DIE BEIDEN
LEBENSLIED
GUTE STUNDE
DEIN ANTLITZ …
WELTGEHEIMNIS
BALLADE DES ÄUSSEREN LEBENS
NOX PORTENTIS GRAVIDA
GLÜCKLICHES HAUS
BOTSCHAFT
TERZINEN ÜBER VERGÄNGLICHKEIT
MANCHE FREILICH …
EIN TRAUM VON GROSSER MAGIE
IM GRÜNEN ZU SINGEN
LIEDCHEN DES HARLEKIN
ZERBINETTA
GESANG DER UNGEBORENEN
LIED DER WELT
GESTALTEN
EIN KNABE
DER JÜNGLING IN DER LANDSCHAFT
DER SCHIFFSKOCH, EIN GEFANGENER, SINGT
DES ALTEN MANNES SEHNSUCHT NACH DEM SOMMER
VERSE AUF EIN KLEINES KIND
DER KAISER VON CHINA SPRICHT
GROSSMUTTER UND ENKEL
GESPRÄCH
GESELLSCHAFT
DER JÜNGLING UND DIE SPINNE
IDYLLE
PROLOGE UND TRAUERREDEN
PROLOG ZU DEM BUCH ›ANATOL‹
ZU EINEM BUCH ÄHNLICHER ART
ZUM GEDÄCHTNIS DES SCHAUSPIELERS MITTERWURZER
AUF DEN TOD DES SCHAUSPIELERS HERMANN MÜLLER
VERSE ZUM GEDÄCHTNIS DES SCHAUSPIELERS JOSEF KAINZ
ZU EINER TOTENFEIER FÜR ARNOLD BÖCKLIN
DIE GESAMMELTEN GEDICHTE
Inhaltsverzeichnis
VORFRÜHLING
Inhaltsverzeichnis
Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.
Er hat sich gewiegt,
Wo Weinen war,
Und hat sich geschmiegt
In zerrüttetes Haar.
Er schüttelte nieder
Akazienblüten
Und kühlte die Glieder,
Die atmend glühten.
Lippen im Lachen
Hat er berührt,
Die weichen und wachen
Fluren durchspürt.
Er glitt durch die Flöte
Als schluchzender Schrei,
An dämmernder Röte
Flog er vorbei.
Er flog mit Schweigen
Durch flüsternde Zimmer
Und löschte im Neigen
Der Ampel Schimmer.
Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.
Durch die glatten
Kahlen Alleen
Treibt sein Wehn
Blasse Schatten
Und den Duft,
Den er gebracht,
Von wo er gekommen
Seit gestern nacht.
ERLEBNIS
Inhaltsverzeichnis
Mit silbergrauem Dufte war das Tal
Der Dämmerung erfüllt, wie wenn der Mond
Durch Wolken sickert. Doch es war nicht Nacht.
Mit silbergrauem Duft des dunklen Tales
Verschwammen meine dämmernden Gedanken,
Und still versank ich in dem webenden,
Durchsichtgen Meere und verließ das Leben.
Wie wunderbare Blumen waren da,
Mit Kelchen dunkelglühend! Pflanzendickicht,
Durch das ein gelbrot Licht wie von Topasen
In warmen Strömen drang und glomm. Das Ganze
War angefüllt mit einem tiefen Schwellen
Schwermütiger Musik. Und dieses wußt ich,
Obgleich ichs nicht begreife, doch ich wußt es:
Das ist der Tod. Der ist Musik geworden,
Gewaltig sehnend, süß und dunkelglühend,
Verwandt der tiefsten Schwermut.
Aber seltsam!
Ein namenloses Heimweh weinte lautlos
In meiner Seele nach dem Leben, weinte,
Wie einer weint, wenn er auf großem Seeschiff
Mit gelben Riesensegeln gegen Abend
Auf dunkelblauem Wasser an der Stadt,
Der Vaterstadt, vorüberfährt. Da sieht er
Die Gassen, hört die Brunnen rauschen, riecht
Den Duft der Fliederbüsche, sieht sich selber.
Ein Kind, am Ufer stehn, mit Kindesaugen,
Die ängstlich sind und weinen wollen, sieht
Durchs offne Fenster Licht in seinem Zimmer –
Das große Seeschiff aber trägt ihn weiter,
Auf dunkelblauem Wasser lautlos gleitend
Mit gelben, fremdgeformten Riesensegeln.
VOR TAG
Inhaltsverzeichnis
Nun liegt und zuckt am fahlen Himmelsrand
In sich zusammgesunken das Gewitter.
Nun denkt der Kranke: ›Tag! jetzt werd ich schlafen!‹
Und drückt die heißen Lider zu. Nun streckt
Die junge Kuh im Stall die starken Nüstern
Nach kühlem Frühduft. Nun im stummen Wald
Hebt der Landstreicher ungewaschen sich
Aus weichem Bett vorjährigen Laubes auf
Und wirft mit frecher Hand den nächsten Stein
Nach einer Taube, die schlaftrunken fliegt,
Und graust sich selber, wie der Stein so dumpf
Und schwer zur Erde fällt. Nun rennt das Wasser,
Als wollte es der Nacht, der fortgeschlichnen, nach
Ins Dunkel stürzen, unteilnehmend, wild
Und kalten Hauches hin, indessen droben
Der Heiland und die Mutter leise, leise
Sich unterreden auf dem Brücklein: leise.
Und doch ist ihre kleine Rede ewig
Und unzerstörbar wie die Sterne droben.
Er trägt sein Kreuz und sagt nur: ›Meine Mutter!‹
Und sieht sie an, und: ›Ach, mein lieber Sohn!‹
Sagt sie. – Nun hat der Himmel mit der Erde
Ein stumm beklemmend Zwiegespräch. Dann geht
Ein Schauer durch den schweren, alten Leib:
Sie rüstet sich, den neuen Tag zu leben.
Nun steigt das geisterhafte Frühlicht. Nun
Schleicht einer ohne Schuh von einem Frauenbett,
Läuft wie ein Schatten, klettert wie ein Dieb
Durchs Fenster in sein eigenes Zimmer, sieht
Sich im Wandspiegel und hat plötzlich Angst
Vor diesem blassen, übernächtigen Fremden,
Als hätte dieser selbe heute nacht
Den guten Knaben, der er war, ermordet
Und käme jetzt, die Hände sich zu waschen
Im Krüglein seines Opfers wie zum Hohn,
Und darum sei der Himmel so beklommen
Und alles in der Luft so sonderbar.
Nun geht die Stalltür. Und nun ist auch Tag.
REISELIED
Inhaltsverzeichnis
Wasser stürzt, uns zu verschlingen,
Rollt der Fels, uns zu erschlagen,
Kommen schon auf starken Schwingen
Vögel her, uns fortzutragen.
Aber unten liegt ein Land,
Früchte spiegelnd ohne Ende
In den alterslosen Seen.
Marmorstirn und Brunnenrand
Steigt aus blumigem Gelände,
Und die leichten Winde wehn.
DIE BEIDEN
Inhaltsverzeichnis
Sie trug den Becher in der Hand
– Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand –,
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.
So leicht und fest war seine Hand:
Er ritt auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, daß es zitternd stand.
Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer: