»Liebe, liebe Anne Marie, bitte, bitte, nicht böse sein, daß ich Dir nicht aus den Flitterwochen heraus (dummes, leichtfertiges Wort) ausführlich, wie Du mich batest, geschrieben habe. Ich wußte ja, was Du lesen wolltest: »Adrian macht mich unaussprechlich glücklich.« Gewiß, ich liebe ihn. Warum hätte ich ihn sonst geheiratet? obwohl man mitunter heiratet, weil man keinen Mut hat, nicht zu heiraten, oder weil es sich eben so macht. Und Du, hinterlistiges Schwesterchen, hast Dein Händchen ja hübsch dabei im Spiel gehabt.
Wie beschreibe ich Dir nur mein Glück? Es ist wohl unbeschreiblich, nicht weil es so groß ist, aber – es ist so vieles Komplizierte dabei. Du weißt ja, ich finde Adrian schön. Sein weiches, dunkelblondes Haar, seine zarten Mädchenlippen, seine schlanke Jünglingsgestalt. Und vor allem seine romantischen Augen, die blaublumenhaften, die wie aus der Ferne blicken.
Auf der Hochzeitsreise hatte ich ein so eigentümliches Gefühl, als wäre, was ich da erlebte, nur eine erdichtete Geschichte, die mich in – ja – in großer, herzbeklemmender Spannung erhielt, und wenn ich wieder nach Hause käme, würde das eigentliche Leben seinen Fortgang nehmen, und alles würde natürlicher und gemütlicher verlaufen.
Er war während der Reise von zartester Aufmerksamkeit, vielleicht etwas zu kavaliermäßig. Er ersparte mir auch die kleinste Anstrengung. Ich hatte aber ab und zu das Bedürfnis mich anzustrengen. Verweichlichung macht nervös.
Und als ich nun wieder daheim war – so ganz daheim war ich doch nicht. Mama hatte die Einrichtung durchaus im Rulandstil besorgt, nur weniger kostspielig, keine Gobelins und Kunstwerke, aber sehr hübsch alles, persische Teppiche, Blumen, allerliebste Sächelchen. Im Ganzen eine poetisch zugestutzte, harmonische Wohlhabenheit. Der Vater hatte als spezielles Hochzeitsgeschenk ein Harmonium geliefert, um, wie er sagte, nach etwaigen Zankduetts ein purifizierendes Seelensolo anzustimmen. Ein Harmonium hatte ich mir vor Jahren einmal gewünscht, den Wunsch seitdem aber vergessen. Die Wohnung sieht sehr nach etwas aus. Ob nach mir? Am besten gefällt mir Adrians Zimmer. Er hat seine Junggesellen-Möbel behalten, altmodisch und kunstreich geschnitztes rötliches Mahagoni. Schön passen dazu ein paar feine Kupferstiche und alte Porträts mit dem Parfüm von Ahnensälen. Distinguierte Einfachheit.
Denke Dir, ich kann mich immer noch nicht entschließen, meine eleganten Ausstattungskleider zu tragen. Alle meine alten Sachen habe ich mitgenommen, und die trage ich am liebsten; ich komme mir dann weniger verheiratet vor, noch nicht so für alle Zeit an einen bestimmten Ort eingepflanzt, und als könnte ich noch frei durch den Garten des Lebens streifen. Unsinn! Als ob ich bei Mama frei gewesen wäre! Und doch hat die vage Vorstellung von einer großen, neuen Freiheit zu meiner Ehebereitwilligkeit beigetragen.
So – nun hast Du wohl schon zwischen den Zeilen gelesen, daß ich mich noch ein wenig fremd mit Adrian fühle, so ein bischen wie verzaubert in eine Gegend, wo man Weg und Steg noch nicht kennt. Aber sie wird schon kommen, die Vertrautheit, die anheimelnde Herzlichkeit. Vielleicht sind es gerade die flacheren, die konventionellen Menschen, die sich leicht in eine so neue, vertrauteste Vertrautheit finden. Am Tag vor der Hochzeit noch eine große Distance zwischen uns, eine Vorsicht in Wort und Gebärde, eine Scheu vor liebkosender Berührung. Und nun plötzlich – – dieses engste Beieinandersein, Tag und Nacht. Es fehlen da Uebergänge. Zuweilen läßt mich die Vorstellung, daß er mich im Schlafe sieht, nicht einschlafen. Ich weiß nicht, wie ich im Schlaf aussehe, vielleicht unangenehm. Es ist, als gehörte mir mein Schlaf nicht mehr. Du weißt, ich schlief sonst nicht gern im Dunkeln. Jetzt muß es ganz, ganz dunkel sein.
Alles, was ich da schreibe, ist geschraubt, ich weiß es. Das kommt, weil es ein Flitterwochenbrief sein soll. Wenn unsere Wahrhaftigkeit in die Tinte gerät, so kommt sie etwas verdunkelt wieder heraus. Ich suche aus der Tinte zu retten, was zu retten ist. Ja, ja, ich liebe ihn, meine Gefühle aber haben so etwas Glimmendes, Anfachungsbedürftiges. Kein Zugwind. Die Luft ist lau.
O, Anne Marie! Anne Marie! es ist oft eine so zornige Scham in mir – ich kann es nicht sagen – Du mußt es erraten. Und ich trage es ihm nach, daß ich mich schäme.
Siehst Du, meine liebe, liebe Schwester, an jenem Verlobungsabend, als der Mond so wunderbar erschien – ich stand auf der Veranda – und er mir sein schönes Gesicht zuwandte, da überkam mich ein rasendes Verlangen, mich an seine Brust zu werfen, mich ihm ganz und gar zu vermählen. Aber das zwingend Natürliche geht ja immer nicht, es geht nicht. Und er kam ja auch nicht, er kam nicht. Aber warte nur, warte, es wird alles schon werden, denn eine große und ehrliche Lust ihn zu lieben, hat
Deine Christel.«
Und zwei Monate später schrieb sie:
»Anne Marie! Anne Marie! sie sind vorbei, die Flitterwochen. Gott sei Dank! schon drei Monate verheiratet! Nun brauche ich kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen, um so weniger, da Du mich doch so dringend ersuchst, aus meinem Herzen keine Mördergrube zu machen. Also heraus! all ihr antiadrianischen Gefühle. Erschrick nicht! ich liebe ihn. Ich fasse meine Klagen gegen ihn in einen Satz zusammen: Er ist zu fein für mich, zu fein. Es ist da etwas in seiner Art und Weise – ich kann es nicht genau definieren, das – ja, es schüchtert mich ein. Etwa seine angeborene Vornehmheit, der gegenüber ich mir so rasselos vorkomme? Wir können es nicht leugnen, Anne Marie, unsere Eltern sind doch eigentlich Parvenüs. Mama hat die guten, anmutigen Formen erst erlernt. Sie fühlt sie als Besitz und ist stolz darauf. Und der liebe Vater – zu einem Reserveleutnant reicht's bei ihm nicht.
Ich bleibe immer in einer gewissen Distance von Adrian, was bei manchen häuslichen Angelegenheiten unbequem ist. Zuweilen komme ich mit dem Wirtschaftsgeld nicht aus und bringe es doch nicht über die Lippen, mehr zu fordern. Und ich kann ihm doch nicht statt Seezunge oder Steinbut einen Schellfisch vorsetzen. Er würde es gleich merken und mit einer berückenden Liebenswürdigkeit sagen: »Ah – Schellfisch!«
Ach Anne Marie, so lange das Geld eine so große Rolle in der Welt spielt, gerät man mit seiner Adelsmenschlichkeit in unangenehme Klemmen.
Bringt die Köchin – es geschieht selten – etwas Mißratenes auf den Tisch, so sieht er mich an, gleichgültig, vielleicht eine ganz kleine Nüance zu gleichgültig, und – ich verkrieche mich förmlich vor seinem Blick. Ich bin so leicht verzagt. Unser Epikuräer hätte gesagt: »Aber Christelchen, Christelchen, was für ein Fraß.« Und ich hätte ihm schnell einen hübschen, braunen Eierkuchen backen lassen, den er so gern mit Citronensaft ißt. Der Adrian, der ist überhaupt zu vornehm für Eierkuchen.
Neulich holte mich Maria Hill zu einer Volksversammlung ab. Als ich nach Hause kam, wußte ich gleich, was das Zittern seiner Nasenflügel bedeutete, und warum er – unmerklich zwar – von mir abrückte.
Ich komme von der Vorstellung nicht los, daß er mich mit seiner gelassenen Vornehmheit angreift, und ich müßte mich dagegen zur Wehr setzen. Und er thut doch eigentlich garnichts. Nur können seine stummen Lippen so beredt sein, wenn sie ein klein wenig zu geschlossen sind oder leise zucken. Mißbilligt er etwas, so ist es eine kaum wahrnehmbare Nüance in der Stimme, vielleicht ein zu leiser, oder ein zu nachlässiger Ton – und ich bin gekränkt.
Ich habe den Eindruck, daß er mir weit überlegen ist, und er sagt doch nichts, was meine Bescheidenheit rechtfertigt. Sein Wille beherrscht mich, ein stiller, zäher, passiver Wille, der mir immer, auch wenn er kein Wort sagt, fühlbar ist, wie die Prinzessin unter 12 Unterbetten die Erbse fühlte.
Wenn er ausgeht und mit dem Cylinder in der Hand in mein Zimmer tritt, habe ich im ersten Augenblick immer den Eindruck: da kommt jemand, Dich zu besuchen. Und oft wenn ich an ihn denke, hat er in meiner Vorstellung den chapeau claque unter dem Arm.
Er ist kein Errater von Stimmungen. Wenn meine Sinne wie in Harmoniumtönen vibrieren, intoniert er ein Scherzo, das zu leicht, oder eine Bachsche Fuge, die zu schwer für mich ist. Er kommt nicht darauf, daß in mir etwas vorgehen könnte, was in mir nicht vorgehen sollte. Sage ich etwas, was er in keiner seiner Denkrubriken unterbringen kann, so lächelt er fein und schickt mich auf den Mars.
Anne Marie, wenn ich die Hand auf's Herz lege, – nein, ich bin bis jetzt »im Garten der Ehe nicht hinaufgewachsen«. Im Gegenteil, ich erwerbe sogar einige schlechte Eigenschaften, die ich früher nicht hatte. Ich werde trotzig, rachsüchtig, hinterlistig, boshaft. Ich thue aus Trotz und Bosheit manches als Reaktion gegen seine ostentative Noblesse. Und hinterher thut mir dann meine Ordinärheit so leid. So recht mit Absicht brauche ich zuweilen ein vulgäres Wort wie: Fatzke, Mumpitz, Puschel (hörst Du Vaterchen reden?). Neulich fehlte nicht viel, und ich hätte »Schweinerei« gesagt, brachte es aber dann doch nicht fertig.
Der Vater hat uns ja an drastische Ausdrucksweise und Kraftworte gewöhnt. Adrians subtile Art, sich auszudrücken, gefällt mir eigentlich, aber manchmal auch nicht. Als der Vater neulich kam – der böse Epikuräer kommt so selten – da hörte ich gern, was früher meinen zarten Ohren mißfiel.
Er traf Julia bei mir, und als sie fort war, ließ er wieder seinem Haß gegen Schriftstellerinnen freien Lauf.
Er mißbilligt meine Intimität mit ihr, nur weil sie Schriftstellerin ist. (Habe ich Dir denn schon geschrieben, daß Mama sie jetzt – auf Konto ihrer möglichen späteren Berühmtheit – in ihrem Salon empfängt?) Die Schriftstellerinnen samt und sonders wären Gift und nichts anderes als Wegelagerinnen, die einem bis in die geheimsten Winkel hinein auflauern, um Honorar aus einem zu schinden. Da wären ihm die Schwiegermütter noch lieber. (Er hat gar keine.) Kein Weib, das sich mit Druckerschwärze verunreinige, könne je wieder rein werden. Ein Schriftsteller studiere gründlich, was er schreiben wolle. Zola habe sich wochenlang in Fabriken aufgehalten, ehe er über Industrielles schrieb. So arbeiteten Männer. Frauen, die schlügen im Konversationslexikon nach. Könnten sie durchaus ihren Thatendrängen nicht widerstehen, so sollten sie Stuhlbeine drechseln, Wände tünchen u.s.w. Vaterchen meint es natürlich nicht so ernst, er ist nur geistreich.
In Bezug auf Julia hat er nicht so ganz unrecht. Sie könnte recht gut die Lücken ihrer Bildung noch ausfüllen. Sie mag nicht. Immer noch lernen, lernen, jetzt, da alles in ihr zur Produktion dränge. Inzwischen entschwände ihr ja das Leben.
Zuweilen stürmt sie wie ein Wirbelwind in unser lärmloses, auf leise Töne gestimmtes Haus. Adrian behandelt sie mit einer konzentrierten, ich möchte beinah sagen, giftigen Höflichkeit. Er verbeugt sich vor ihr eine kleine Linie zu tief. Die arme, sonst so redebeflissene Julia wird ganz kleinlaut und verschüchtert in seiner Gegenwart.
Maria Hill dagegen ist ihm sympathisch, hauptsächlich wohl wegen ihrer Chemie, ein Zweig der Naturwissenschaften, den er selbst gern kultiviert hätte.
Mich amüsieren Julias Tollheiten. Ich suche sie aber zu dämpfen, aus Furcht, Adrian könnte etwas davon hören. Und richtig, neulich, als sie gar zu arg tollte, schickte er den Diener: »Ob etwas geschehen sei?« Ich wurde rot vor dem Diener. Das heischte Rache. Als er wie gewöhnlich vor seinem Gang ins Ministerium in mein Zimmer trat, überraschte ich ihn durch eine Cigarette, die ich so recht in flotter Halbweltsmanier rauchte, in einen Fauteuil geflegelt, den Kopf hintenüber, die Beine übereinander geschlagen, den kokett chaussierten Fuß von mir gestreckt.
Er sah mich ironisch an und wollte das Zimmer verlassen.
»Bitte, schlage die Thür nicht hinter Dir zu,« sagte ich, obwohl ich wußte, daß er nie dergleichen that. Da kam er schnell zurück, riß mir die Cigarette fort, und – ich finde kein feineres Wort – küßte mich ab, so ganz wild und toll drauflos, wie im Lied der wilde Knabe sein Mädchen küßt, und – er sagte »Mädel« zu mir, nicht einmal süßes Mädel. Ich war empört, aber nicht so sehr, wie ich hätte denken sollen.
Beim Abendessen blinzelte ich ihn von der Seite an, ob er anders sein würde als sonst, aber nein, vielleicht war er ein klein wenig liebenswürdiger, als hätte er ein Unrecht gut zu machen. Behalte mich lieb.
Christa.«
»Du, Anne Marie, ich fange jetzt an, ernsthaft zu studieren. Adrian ist nicht so geschmacklos, mir das Hören auf der Universität zu verbieten. Wenn ich aber im Fortgehen die Thür zu seinem Zimmer aufmache und ihm zunicke: »Adieu, lieber Adrian,« so ruft er mir mit übertriebenem Ernst nach: »Lerne nur brav.« Und ich ziehe mit dem Gefühl eines gescholtenen Schulmädchens ab.
Neulich hatte die Vorlesung eine halbe Stunde länger als gewöhnlich gedauert. Ich kam zum Mittagessen zu spät nach Hause. Er saß im Speisezimmer und las die Zeitung. »Gnädige Frau haben auswärts gespeist?« Er sagte es sehr freundlich. »Nein, ich habe einen Wolfshunger.« »Du bist vielleicht gegen gemeinsame Mahlzeiten?« »Beinah. Wenigstens halte ich sie nicht für eine sittliche Notwendigkeit. Du schickst mich ja mit Vorliebe – wenn wir verschiedener Meinung sind – auf den Mars, als auf einen höheren Stern. Und siehst Du, auf dem Mars – es steht in dem wunderhübschen Buch »Zwischen zwei Welten« – da gilt gemeinschaftliches Essen für unanständig.«
»Ah – darum frühstückst Du seit einiger Zeit allein?« »Nicht darum. Du stehst ja viel später auf als ich. Bis vor kurzem habe ich mich 1 – 2 Stunden mit der Sehnsucht nach dem Frühstück beholfen, nun eben nicht mehr.«
»Du fürchtest, daß eine Plauderei am Morgen der Wichtigkeit Deines Tagewerks die Weihe nehmen könnte?«
Ich mochte nicht mehr essen. Kalten Spott kann ich nicht vertragen.
Seine Korrektheit macht mich zuweilen ungeduldig, und doch – sonderbar, ich habe mich an seine äußerste Soigniertheit so gewöhnt, daß die leiseste Abweichung davon mich stört. Einmal waren in seinem blonden Bart ein paar Krümchen, oder was es sonst war, hängen geblieben; garstig kam es mir vor. Es widerstrebte mir sogar, ihn darauf aufmerksam zu machen. Dem lieben Epikuräer hätte ich die Eindringlinge gleich herausgezupft.
Ich meinte, ich könnte vertrauter mit ihm werden, wenn er – wenigstens im Hause – sich etwas legerer trüge. Da habe ich ihm zu Weihnachten einen Sammetrock geschenkt. Er belächelte den hübschen Braunen, zog ihn aber doch ab und zu aus Kourtoisie an. Er stand ihm nicht. Und als er ihn bald wieder bei Seite legte, war es mir recht.
Uebrigens, seit einiger Zeit leben wir ziemlich gesellig, auf Wunsch Adrians, der es seiner Stellung schuldig zu sein glaubt, und dann machte es sich auch so von selbst. Gesellschaften kosten so viel Zeit. Und mir bringen sie weder Anregung noch Amüsement, noch Heiterkeit, nicht einmal Befriedigung der Eitelkeit, denn eitel bin ich nicht und ich gefalle auch den Leuten nicht besonders, schweigsam wie ich bin. Mir fehlt das Talent zu reden, wenn ich nichts zu sagen habe. Es interessiert mich auch garnicht, wie mein Tischherr zur Rechten die Chinawirren lösen würde, und die Neugierde meines Nachbars zur Linken, wie der neue König von England sich machen wird, teile ich auch nicht.
Gewiß trifft man in den Gesellschaften auch hervorragende Menschen. Aber sie schreiben ihre Bücher und malen ihre Bilder zu Hause, und bei Gänseleberpastete und Fasanen in Schlagsahne erzählen sie Anekdoten und sagen Nichtigkeiten. Es ist immer, als sähe man in diesen Menschenansammlungen den Wald vor Bäumen nicht. (Das Bild paßt garnicht.) Der Einzelne wird von der Masse aufgesogen. Meine ungesellige Natur habe ich von Vaterchen geerbt, der sich ja selbst den Beinamen »Meidegast« zugelegt hat.
Alle Welt raisonniert auf unsere Art der Geselligkeit mit ihrem umständlichen Apparat, und alle Welt hört nicht auf, Gesellschaften zu geben und zu besuchen, zu welcher »Allewelt« ich auch gehöre.
Freilich, das Bild, das solche Gesellschaften bieten mit ihrer Lichtfülle, mit seltenen und schönen Blumen, den funkelnden Krystallen und Silbergeräten, ist reizvoll. Die wunderschönen modernen Damentoiletten tragen dazu bei, diese flittrigen, schillernden, schlangenhäutigen, glitzernden, duftigen, phantastisch zerfahrenen Gewänder, leuchtend wie Sonne, Mond und Sterne. Sphinxhaft, als wollte das Weib noch zu guterletzt, ehe die realisierte Emanzipation sie als Vollmenschen in das große Arbeitsfeld der Menschheit eingliedert, sich auf ihr intimes Nurweibtum konzentrieren.
Viele dieser schlanken Gestalten – Unterkleider sind ja ziemlich abgeschafft – sehen wie Blumen aus, die aus schlanken Stengeln emporgewachsen sind, und man hat die Wahl zwischen weißen Lilien, roten Mohnblumen, seltsam verschnörkelten Orchideen oder wild tollen Chrysanthemen. Ich hatte mich auch einmal entzückend phantastisch blumenhaft angethan. Als aber Adrian fragte, ob ich mich für einen wohlthätigen Zweck verkleidet hätte, rüstete ich wieder ab.
Mama hält mich natürlich für namenlos glücklich im Besitz des Barons von Lützow, um so mehr, da er Aussicht hat, nächstens Legationsrat zu werden. Der Vater aber, der schlaue Seelenspäher, der feine, feine Gedankenleser, der findet, daß ich mehr melancholisch als glücklich aussehe, was wahrscheinlich daher käme, daß ich noch immer auf Madamchen Abseits posiere, anstatt mich einzureihen. Er gebrauchte ein Bild: Da ist irgend ein Fest. Lange Wagenreihen nähern sich dem Festhaus. Einige ungeduldige Rosselenker fahren aus der Reihe heraus, in der Meinung, daß sie dann schneller ans Ziel gelangen. Aber das Auge des Polizisten wacht. Die Vorwitzigen müssen bis zuletzt warten.
So ein Lämmchen, (was ich sein soll), das Löwengedanken haben möchte und nur »Bäh« machen könne! Die Löwengedanken wären dem Wolf ganz egal; so lange das Lamm nicht brüllen lerne und nur bäh mache, fräße er es doch.
Adrian ist ja nun zwar kein Wolf, aber er frißt mich doch – nicht ganz.
Neulich im Theater sahen wir das erschütternde Drama eines Norwegers. Nach jedem Aktschluß frenetisches Händeklatschen, und als die Begeisterung ihren Höhepunkt erreicht hatte: Getrampel. Ich zuckte unter dem Lärm zusammen.
»Was ist Dir?« fragte Adrian.
Hast Du nicht, Anne Marie, bei tiefer Ergriffenheit im Theater ein Gefühl, als müßtest Du Dich von Deinem Sitz erheben, schweigend, als ginge eine Majestät vorüber, oder wie bei einer kirchlichen Handlung? Das sagte ich ihm ungefähr. Und seine Antwort:
»Wie nannte Dich doch Dein Vater?«
Ach unser lieber Epikuräer! Er nennt mich wohl Madame Abseits, aber er versteht mein Abseitiges so gut. Adrian versteht überhaupt nichts Abseitiges. Der wertet nie etwas um. Für ihn hat Nietzsche vergebens gelebt und geschrieben.
So, nun habe ich mich ausgeklagt – vorläufig – bis er wieder etwas ausfrißt – ja – ich sage absichtlich ausfrißt. Zu meiner Erholung sage ich's, nun gerade. Sei nicht böse.
Dein Christelchen.«
»Liebe Anne Marie, eigentlich – ich knüpfe an die letzten Worte meines vorigen Briefes an – frißt er alle Tage etwas aus. Er zehrt an mir, damit, daß er mich im großen und ganzen verneint. Ich habe nicht zu sein, wie ich bin – nein – ganz anders, nicht die alleinige, nur einmal in der Welt daseiende Christa, sondern die Frau Baronin Adrian von Lützow – eine Begleiterscheinung des Herrn Barons. Und trotzdem – trotzdem, ich liebe ihn, und ich finde sein Herz nicht! Weil es auch immer in Toilette ist, wie er selbst? Es giebt Menschen, die kann man sich so gut in all ihrer Schönheit nackt vorstellen, andere dagegen nur wohlgekleidet, ihre Nacktheit käme einem unanständig vor. Zu den letzteren gehört Adrian, der immer aus-und inwendig Wohlgekleidete, der glatte Assessor im Auswärtigen Amt. Ich gleite förmlich an seiner Glätte ab.
Wie der Vater, so hält er auch alle, die anders denken wie er, für Kranke, mindestens für Sonderlinge. Der Vater freilich dachte oft garnicht, wie er zu den ken glaubte. Adrian aber, der denkt allemal mit unbeirrbarer unerschütterlicher Sicherheit das, was er denkt; seine Ahnen helfen ihm dabei.
Apropos Ahnen: Eine Großtante von ihm, die Gräfin Oertzen, hält sich für einige Monate in Berlin auf, sie ist in Ostpreußen begütert. Eine kokette Urahne: silberweißes, zierliches Gelock, Hörrohr unter rosenrotem Federfächer, schleppende Sammet- oder Atlasgewänder. Ganz Anmut und Lächeln. Liebliche Worte auf der Zunge. Eine liebreizende Greisin. Ihr Kammerdiener hat eine Art Tonsur, sieht wie ein Abbé aus und trägt ein Sammetkäppchen. Die Kammerjungfer spricht nur französisch.
Sie schüchtert mich ein, die liebreizende Greisin. Sie ist hauptsächlich ihrer Nichte wegen nach Berlin gekommen, der Geheimen Legationsrätin von Bracht, die nach dem Tode ihres Mannes – er starb vor einigen Monaten – hierher gezogen ist.
Sehr fromm ist Justine von Bracht. Sie hält alle für böswillig, die keinen Glauben haben. Sie wollen nicht glauben, die Schufte! Sie lechzt nach einem himmlischen Jerusalem und liebt englisch gebratenes, blutiges Beefsteak mit englischem Senf, und starke Weine liebt sie auch, besonders Yquem und Burgunder. Und boshaft ist sie auch, hat aber nicht den Mut ihrer Bosheit. Nur was dieser oder jener über diese oder jene gesagt hat, bringt sie zur Kenntnis des Nebenmenschen, teils um die Schlechtigkeit der Gesellschaft damit zu illustrieren, teils um ihre sittliche Entrüstung daran auszulassen. Und dabei kann sie ihre schmunzelnde Lust an den Geschichten – besonders an den erotischen – nicht verbergen. Und gewöhnlich schließt sie ihre lüsternen Geschichten, indem sie die Hände faltet und ausruft: »Gott, Gott! was für Zustände!«
Ich amüsiere mich über sie. Sie hat Geist. Von einer etwas frech dekolletierten Dame sagte sie: »Sie hat Blößenwahn.« Neulich, in einer Gesellschaft, sei dieser Dame eine Ohnmachtsanwandlung zugestoßen. Glücklicherweise war ein Arzt in der Gesellschaft. Er riet der Gnädigen, schnell nach Hause zu fahren, sich anzuziehen und zu Bett zu gehen.
Man spricht von der Dame A. Frau von Bracht weiß aus authentischer Quelle: B., der angetraute Gatte von A., findet seine Gattin mit C. in einer Situation, in der er sie nie hätte finden sollen. (Frommer Augenaufschlag der Berichterstatterin.) B. ersucht C., das Lokal zu verlassen, und als er fort ist, sagt er zu A.: »Und Dir sage ich, C. wird nie mehr zu kleinen Diners eingeladen, nur zu den großen Abfütterungen.« »Gott! Gott! was für Zustände!«
Dieses Haus würde sie natürlich nie mehr betreten, um so weniger, da die Menüs dort nicht auf der Höhe ihrer Ansprüche ständen: Hecht, Kalbsbraten, Plinsen. Einmal wäre sogar Mayonnaise von Büchsen-Hummer vorgekommen.
Von den Diners pflegt sie kleine Blumensträußchen mit nach Hause zu nehmen, für ihre leeren Vasen; sie sagt aber, weil sie weißen Flieder und gelbe Tulpen so sehr liebe. Sie liebt aber auch goldbraune Chrysanthemen und rosenrote Anemonen.
Auch nachmittags, zu meiner Theestunde, komme ich mit den zufälligen Gästen auf keinen grünen Zweig. Man ist dabei so durchaus in Gottes Hand, daß man nie weiß, wen einem die Theestunde bescheren wird. Man fährt zusammen, wenn es klingelt. Gestern z.B. ließ ich mich in einer Anwandlung von Menschenhaß und in Erwartung einiger Lästigen verleugnen. Die Reue folgte dem Menschenhaß auf dem Fuße, denn nun kamen gerade sehr nette Leute.
Wie soll man es einrichten? Dem Geschmack des Dieners kann ich es doch nicht anheim geben, wen ich empfangen soll, da bleibt nur – entweder – oder, in welchem Fall ich mich immer lieber für das »oder« entscheide.
Unter den netten Leuten, um die ich neulich kam, war Jutta Engelhart. Erinnerst Du Dich ihrer? In der Schule waren wir befreundet, später kam sie mir aus dem Gesicht, ich hörte nur, sie sei ein arges Weltkind geworden. Nun habe ich sie einige Male in Gesellschaft getroffen, und wir haben uns wieder angefreundet. Den alten Adam aber – die Mondaine – hat sie gänzlich ausgezogen und ist in eine neue Haut geschlüpft, eine der alten diametral entgegengesetzte. Sie scheint sich immer nach einer Säule umzusehen, an die sie sich lehnen, nach einem Grabmal, auf das sie sich setzen kann. Sie sucht nach einer Erlöseridee, aber einer ganz neuen. Da sie bis jetzt keine gefunden, hält sie Umschau nach einem Meister, dem sie Jünger sein kann. Ob es Nietzsche oder Buddha sein wird – sie ist noch unschlüssig. Einen Sataniker à la Huysmans zöge sie vielleicht vor, die aber gedeihen auf deutschem Boden noch nicht. Anselmas Sataniker, der einzige, den ich kenne, ist auch kein gelernter, nur ein improvisierter. Und so in Zweifel versunken, hat sie sich vorläufig zu Stephan George entschlossen und ist Ephebin geworden. Du bist ungebildet genug, um nicht zu wissen, was das ist. Siehst Du, Anne Marie, alle feineren und freieren Geister haben heutzutage ein fieberhaftes Verlangen, sich aus der Menge herauszuheben, aus den Thälern des Schattens hinauf zu den sonnenbeglänzten (lieber noch mondscheinverklärten) Gipfeln. Und da sie als einzelne meist zu schwach für ein solches Unternehmen sind, so schließen sie sich in Gruppen oder Gemeinschaften zusammen, eine Art Stangenscher Expeditionen, ins Geistige übertragen.
Die Epheben nun, die stehen im Zeichen der Seele, exclusive aller gröberen, materiellen Momente. Das heißt, Seele ist noch ein zu bestimmt umrissener Begriff, ihre Seelen lösen in Farbe, Duft und Ton sich auf wie eine Perle – aber eine echte – in Wein – aber feinste Marke. Stimmung ist Seele, Seele ist Stimmung. Sie dressieren sich auf Körperlosigkeit, um ihrem Astralleib näher zu kommen.
Ich habe Landschaften von Jutta gesehen – sie ist nämlich Malerin. Ihre Bäume, Berge, Wasser, Wolkenmassen, nichts als in süßen Farbenharmonieen zerfließender Aether. Auf der Astralebene denke ich mir die Gegenstände so. Die Farben gleichen Tönen, goldgedämpfte Lichter spielen hinein, nichts ist fest, greifbar, mit einem Wort: furchtbar apart.
Jutta ist so stolz darauf, daß sie Nachts nicht schlafen kann, weil die Gestalten ihrer schöpferischen Einbildungskraft in wildem Reigen nächtlings ihr Lager umkreisen, bald Dämonen, bald Seraphisches.
Ihre Erscheinung deckt sich ungefähr mit ihrer Wesensart. Das kleine Gesichtchen, nett aber unbeträchtlich – Nebensache. Aber der Rahmen! eine aschblonde Mähne von phänomenaler Fülle. Hals, Arme, Hände lilienweiß, die Haut so dünn, man sieht das Blut hindurchrinnen. Und schlank, schlank ist sie, und knochenlos auch. Das ist eigentlich selbstverständlich bei den Epheben. Nahrhaft dürfen sie nicht leben. Noblesse oblige.
Vor bestimmten Bildern, bestimmten Dichtungen halten sie Andachten ab. Ueber alle andersgearteten Kunstleistungen lächeln sie hinweg.
Neulich, als Jutta nicht wußte, was sie lesen sollte, wollte ich ihr mit Bismarcks Memoiren aushelfen. Nein – nicht diese Memoiren, die läse ja jetzt alle Welt, Epheben lesen nur, was nicht alle Welt liest.
Man erzählt, wenn sie sich irgendwo im Namen ihres Meisters versammeln, so stände vor jedem Platz in einem Kelchglas – einem Lechterschen natürlich – eine weiße Lilie, aber einen langen Stengel muß sie haben. Einmal fand eine solche Versammlung bei Jutta statt. Stephan George selbst oder einer seiner Jünger las in tiefem Kirchenglockenton seine Verse.
Als sich aber herausstellte, daß Juttas bläuliches Kleid um einen Soupçon zu blau war, wurde die Vorlesung unterbrochen und erst wieder aufgenommen, nachdem sie durch einen Kleiderwechsel sich der Umgebung angestimmt hatte.
Ein andermal waren in diesen Kreis profane Elemente geraten, die die Stimmung verdarben. Nach ihrer Entfernung versuchte man durch eine poetische Vermummung die verlorene Stimmung wieder einzufangen. Requisiten: Ausgedrehtes elektrisches Licht, schwarze Schleier, mit Kerzen – von Wachs – in den Händen, vom bleichen Mondlicht umflossen, ein Umzug durch die Gemächer. Epheben haben nur Gemächer, keine Zimmer, wie sie auch nur Gewänder, aber keine Kleider tragen.
Uebrigens fehlt es dieser Gruppe nicht an Genie und Tiefe, nur etwas Pose und viel Bewußtheit ist dabei. Sie hat Geist, aber eigentlich mehr Geister, oder eigentlich nur die Schatten von Geistern. In ihren Farben ist Glut und Zartheit, die Glut aber wie durch Milchglas schimmernd, die Zartheit florschleierhaft. Ihre Musik: Aeolsharfen, womöglich in alten Burgen über Ruinen gespannt, oder Glockenläuten, aber wie aus weiten Fernen, oder von versunkenen Glocken, oder Orgelklänge von geweihter Jenseitigkeit. Daß Bälge dabei getreten werden, ist nicht angenehm. Sie kleiden sich entzückend. Auch eine Reform der männlichen Trachten streben sie an.
Du müßtest den Vater über diese Richtung toben hören. Was? mit der Klangfarbe der Worte wolle man Stimmung, wolle man Hohes, Tiefes, Unermeßliches ausdrücken? Wäre ja Rückkehr zum Urstand, zur Tierheit, wo der Löwe durch Brüllen schreckt, die Grille Sehnsucht zirpt, u.s.w. Er wundere sich nur, daß diese Leute im gemeinen Sonnenlicht spazieren gehen anstatt Mitternachtssonnen abzuwarten.
Alle Extreme würden von Poseurs oder Einfältigen vertreten. Wenn ihm z.B. jemand sagte, er dürfe keinen Tropfen Alkohol mehr trinken, der flöge zur Thür hinaus. Dietrichs Augen – er war bei Vaters Philippika zugegen – glänzten vor Entzücken und er schenkte sich das dritte Glas schweren Rotweins ein.
Nachdem Epikuräerchen sich aber weidlich ausgetobt, ließ er sich aus der Buchhandlung Stephan Georges Gedichte holen. Und fürder habe ich ihn nie mehr schimpfen hören. Ich habe den Lieben im Verdacht, daß ihm die Gedichte ausnehmend gut gefallen haben. Ich weiß es ja, er hat das feinste Verständnis für seelische Subtilitäten, er will es nur nicht Wort haben, der Trotzkopf. Adrian ist auch dieser Poesierichtung abgeneigt, er läßt sich aber Georges Gedichte nicht aus der Buchhandlung holen.
Wie ich dazu stehe? Mir sind die Epheben sympathisch, sehr sogar. Sie ziehen mich unwiderstehlich an mit ihrer konzentrierten Psychenhaftigkeit. Ich möchte aus Herzensgrunde gern Ephebin sein. Aber – ich kann nicht. Mir fehlt wieder einmal der Glaube. Es ist so reiner, gedämpfter Glanz bei ihnen, so holde Dämmerung, so feierliche Stille; in die Niederungen vulgären Gesellschaftstreibens steigen sie niemals hinab, und niemals fahren sie zweiter Klasse mit der Eisenbahn, immer nur erster, auch wenn sie gar kein Geld haben. Aber auch in dieser Gemeinschaft wird man auf bestimmte Ideen und Anschauungen eingeschworen. Immer Massenpsyche, wenn die Masse auch nur aus hundert Menschen besteht. Und ich bin für absolute Freiheit.
Ach Adrian und Freiheit! Dabei fällt mir Julia ein. Ich kriege immer einen Schreck, wenn die liebreizende Ahne bei mir ist und Julia in meinen Salon platzt, denn platzen, prasseln, zischen oder rauschen, anders thut es dieser Feuerbrand nicht.
Die Gräfin, die gehört hat, daß sie Schriftstellerin ist, fragt natürlich, was sie augenblicklich dichte? »Mich selbst,« antwortet sie; Sie müsse sich wenigstens ausschreiben, da das Ausleben, – was der Schriftsteller doch eigentlich wie das liebe Brot brauche – leider immer noch auf Schwierigkeiten stoße. Bei der unbeträchtlichsten Flottigkeit hieße es gleich: unmoralisch, womöglich lüderlich. »Das heißt, wenn wir uns im lebendigen Zustand ausleben wollen. Thun wir es als Romanheldinnen – ja Bauer, das ist ganz was Anderes. Da rast das Lesepublikum vor Entzücken über die Auslebedamen. Es geht ihm garnicht toll genug zu, und der Autor sackt Geld und Ruhm ein. War nicht in diesem Winter der Roman: »Renate Fuchs« das Ereignis der Saison? und dieses in der Erotik so flinke, flinke Mädchen, die Renate, wurde von den vornehmsten Kritikern als ein Ausbund schönster, ursprünglichster Weiblichkeit gepriesen; träfen die Herren aber im Leben mit diesem Ausbund zusammen, sie würden ihren Frauen und Töchtern verbieten, ihr auf zehn Schritte nahe zu kommen.«
Ich machte Julia ein warnendes Zeichen und bemerkte, daß durchaus nicht jedermann von dem Roman entzückt wäre. Ich dachte dabei an den Vater, der von dem Buch sagte: »es wäre das talentvollste Blech, das er je gelesen.«
Die Gräfin hatte verwundert und verständnislos zugehört, unwillkürlich aber rückte sie weiter von Julia fort. Die bemerkte es: »Warum rücken Sie denn von mir fort? die Distance zwischen uns ist schon groß genug. Sie denken, wie man vor 150 Jahren dachte; ich denke, wie man in 50 Jahren denken wird.«
Die liebreizende Ahne fragte trotz des angelegten Hörrohrs: »Was sagten Sie?«
»Nichts, was Sie verstehen könnten,« antwortete Julia unartig.
Die Vorwürfe, die ich ihr später über ihre Rücksichtslosigkeit der alten Dame gegenüber machte, wehrte sie mit ihrem unentwegten Radikalismus ab: Ach was – alt! ob alt oder jung, das wäre ihr ganz egal. »Ehrfurcht vor dem Alter! Unsinn! sie haben doch kein Verdienst, daß sie alt geworden sind. Und daß ihre etwaigen liebenswerten Gaben dabei flöten gegangen sind, giebt ihnen doch auch keinen Anspruch auf Ehrebietung. Mitleid, na ja, weil sie ja doch bald im Grabe ruhen! Hu!«
Julia schüttelte sich. Sie hat eine nervöse Angst vor dem Tode.
Julia interessiert Dich nicht besonders, aber Adrian! Du! Du! (Neckton.) Du willst immer von ihm hören – Gutes: Warte nur, im nächsten Brief. Addio.
Christelchen.«
»Dieser Brief, Anne Marie, soll wirklich mit Adrian anfangen, aber – na lies nur.
Es sind fortwährend kleine Reizungen und Reibungen, die mich nervös machen, und da thue und sage ich oft aus Trotz und übler Laune Manieriertes, Exzentrisches, über das mein besseres Ich sich nachträglich ärgert, obwohl bessere Ichs sich nicht ärgern sollten. Er mag mich nun gewiß erst recht nicht. Wenn er will, ich soll anders sein als ich bin, so kann er ja auch anders sein, als er ist.
Du fragst so bänglich, ob ich etwa unglücklich bin? Aber nein.
Du, Anne Marie, ich kriege jetzt einen Ehrgeiz, der sich gewaschen hat. Ich will auch schöner werden, so schön, daß Adrian überrascht sein soll, so schön, wie Du es bist, Du Prinzessin Immerschön. Ich habe nur so eine Sonntagshübschheit. Welke, kranke Frauen, die ich kenne, wenden Gesichtsmassage an, um blühender, frischer auszusehen. Ich bin klüger, ich weiß, die Schönheit muß von innen kommen, jeder Tropfen Blut hat Teil daran. Darum viele, viele rote Blutkörperchen, darum Gesundheit – erste Bedingung, Gesichtsmassage kann nebenher laufen. Statt Nerven – Nerv. Mein schwaches Herz soll stark werden, mein Blut soll lernen zu strömen wie ein Fluß, den der Wind peitscht, es soll tanzen wie ein Waldbach.
Ich unternehme weite Radfahrten, meist mit Maria Hill, seltener mit Julia, nie mit Anna Rötter – von wegen der Pumphosen.
Ist das Wetter zu schlecht um auszuradeln, so laufe ich bei offenen Fenstern im Sturmschritt durch die – sagen wir Gemächer und mache Lungenübungen dabei, u.s.w. u.s.w.
O, ich bin klug und weise, oder – solltest Du die Weise sein und recht haben, wenn Du sagst, ich lebte wie in einer Hängematte, immer in Bewegung, hin und her, und käme dabei doch nicht vom Fleck?
Gott sei Dank, die Stricke einer Hängematte zerschneidet eine gewöhnliche Schere, die Parzen brauche ich darum nicht zu bemühen, und ich laufe vorwärts – wohin? Nietzsche sagt (der muß schon heiser vom vielen Zitiertwerden sein), »am besten läuft man, wenn man nicht weiß wohin.«
Es ist nicht leicht, zu wissen, wohin man laufen möchte. Nietzsche sagt: (ich sage ja, er sagt immer) »Wenn es einen Gott gäbe, wie könnte ich es aushalten, kein Gott zu sein.« Ich sage: wie halte ich es aus, immer dieselbe zu sein, wenn es so viele herrliche Seelengegenden giebt, und man möchte sich doch um keine bringen. »Zwei Seelen wohnen ach in neiner Brust.« (Diesmal sagt Goethe anstatt Nietzsche, ich glaube, es giebt überhaupt außer Goethe und Nietzsche niemand.)
Zwei Seelen? nein, in meiner Brust wohnen mindestens ein Dutzend, eine ganze Kollektion von Seelen. Die Männer, die haben höchstens zwei, manchmal nur eine; das liegt daran, daß sie von jeher nur auf ein bestimmtes Fach geaicht worden sind. Entweder sie hobeln immer, oder sie machen immer Musik, treiben immer Mathematik oder gucken immer durch Fernröhre in die Sterne. Die Einseitigkeit ist ihnen zur zweiten Natur geworden, ihre erste ist gewiß auch ganz anders. Meine zwölf Seelen aber – siehst Du, die eine will ins Metaphysisch-Transcendental-Mystische sich versteigen. Eine andere möchte renaissancefürstinnenhaft in Brokatgewändern durch Paläste rauschen. Eine dritte schlüpfte gerne wohl – ab und zu – in ein goldsträhniges, lilientragendes Engelsbild. Ach ja, ich möchte rein sein, rein wie frischgefallener Schnee, und dann möchte ich wieder garnicht so übermäßig rein sein, weil Schnee mir so leblos, so tot vorkommt. Und Momente habe ich – freilich nur wenn kalter kalter Nord (siehe Adrian) mich anweht und ich friere – wo ich selbst vor einer Bajadere nicht zurückschrecke, die ein Gott mit in seinen Himmel reißt. (Gott! wenn Adrians Großtante oder seine Kousine diesen Brief läsen!) In selbstkenntnisreichen Stunden finde ich in mir etwas von Anselma, von Julia, von Maria Hill, auch von Klarissa. Diese Klarissa mit ihren Nervenzuständen interessiert mich ausnehmend. Wie ich gern – wenigstens zeitweise – eine Ephebin gewesen wäre, so möchte ich auch eine Sensitive sein, obwohl das eigentlich mehr Qual als Plaisir zu machen scheint. Es ist auch wohl nur, weil ich, wie Vaterchen sagt, immer für das Abseitige bin.
Klarissa ist melancholisch, träumerisch, oft traurig; traurig auch über ihre Gemütlosigkeit. Ihrer Familie steht sie kühl gegenüber, durch ihr seltsames Wesen ihr ganz entfremdet.
Sie hat Maria, der sie sich innig anschließt, mitgeteilt, sie müsse sich oft besinnen, wie ihre Mutter, ihre Geschwister aussähen, als wären es Menschen, die sie einmal gekannt und dann vergessen habe, ein Gefühl, das sie zuweilen auch in betreff ihrer eigenen Person habe. Als Kind kam sie sich mitunter alt, ganz alt vor. Fragte man sie, wie alt sie sei, so wußte sie nicht, war sie hundert oder zehn Jahr alt? Vage und unbestimmt schwebte ihr vor, als hätte sie schon Unendliches erlebt, könne sich nur nicht darauf besinnen.
Zuweilen, wenn sie gut und traumlos geschlafen, erwacht sie heiteren Sinnes, wachen Geistes. Frisch und froh geht sie im Morgenglanz durch die betauten Alleen des Gartens hinaus auf die Dorfstraße, Luft und Sonnenschein trinkt sie in vollen Zügen. Am Ende der Dorfstraße steht ein starker Eichbaum. Ein Specht hackt in den Stamm sein eintöniges: tap, tap! Und plötzlich ist ihr, als höre sie Nägel in einen Sarg schlagen, die in die Höhe gereckten Zweige der Eiche scheinen ihr die ausgestreckten Arme eines Verzweifelnden. Die Tautropfen Thränen, die von den Zweigen rieseln. Alles umflort. Ihr Frohsinn erloschen.
So jähem Wechsel ist sie beständig unterworfen.
»Mir ist,« sagte sie einmal, »als wäre ich auf einer Reise eingeschlafen, und wo ich hatte aussteigen wollen, bin ich vorbei gefahren. Und als ich endlich erwachte, war ich in einem fremden Lande – und nun weiß ich den Weg zurück nicht.«
Sie lernt und arbeitet in der Akademie ganz fleißig. Es interessiert sie aber nicht. Lieber sitzt sie stundenlang auf einem Platz, ohne etwas zu thun. Sie macht sich Gedankenspiele, wie ich in meiner Kindheit. Es sind aber eigentlich nur Schattenspiele, Schatten, hinter denen das eigentliche Leben sich verbirgt. Zuweilen sieht sie die Schatten leuchtend.
Sie begreift nicht, was die Menschen an dem Leben so interessant finden. Wenn es nichts Höheres, nichts Besseres giebt, was soll denn das ganze Leben?
Ihre Nerven sind von einer ganz unwahrscheinlichen Feinheit und Reizbarkeit. Sie reagieren auf Dinge, die andere nicht wahrnehmen. Sie fühlt unter anderem heraus, wenn Julia von ihrem Geliebten kommt. Sie rückt dann so weit als möglich von ihr fort. Immer aber schmiegt sie sich Maria an. Eines Tages aber hielt sie sich auch von ihr fern. Ob sie ihr etwas übel genommen habe, fragte die Chemikerin. »Nein.« Aber sie bat Maria, nach Hause zu gehen und sich ins Bett zu legen, sie wäre ja krank.
Maria protestierte lachend. Sie fühle sich kerngesund.
Am nächsten Tage erkrankte sie an Influenza.
Julia behauptet, Klarissa hätte einen chronischen Seelenschwips. Seelenschwipse mag ich. Du auch?
Christel.«
»Ich schrieb Dir, Anne Marie, daß ich Gesellschaften nicht mag, aber große, prunkvolle Feste, die mag ich, ab und zu wenigstens; Feste, wo – um mich banal auszudrücken – die Schönheit auf dem Thron sitzt, wo ein ganzes Orchester von Tönen der Freude hohe Säle durchbraust.
So ein Fest gab unser Krösus, der Industriekönig Hammerfeld. Seine geistreiche Frau, die die Griechin – nein, die Helenin posiert, mit einem Stich ins Decadence-Römerhafte, eignete sich für dieses Karnevalsfest, das im Zeichen des Dionysos stehen sollte.
Ich hatte mir etwas ganz der Gelegenheit Entsprechendes ausgedacht. Als rote, aber feuerrote Bacchantin setzte ich die Menschheit, die mich von der Seite nicht kannte, in Erstaunen. An den epheuumwundenen Spazierstock Adrians hatte ich meine langstielige Lorgnette befestigt. Im Haar, um die Schultern Weinlaub.