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Über Jaron Lanier

Foto: 2013, Insightfoto.com

Jaron Lanier, 1960 in New York geboren, ist Computerwissenschaftler, Unternehmer und Musiker. Er hat den Begriff der »virtuellen Realität« erfunden, lehrt an der University of California in Berkeley und arbeitet für Microsoft. Die Encyclopedia Britannica nennt ihn als einen der 300 wichtigsten Erfinder der Geschichte.

Fußnoten

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»Big Data« ist der allgegenwärtige Begriff, mit dem die enormen Datenmengen bezeichnet werden, die auf jede erdenkliche Art über alles und jeden gesammelt werden, damit die Algorithmen, die man auch als »künstliche Intelligenz« bezeichnet, scheinbar von allein funktionieren können. Doch allein die Tatsache, dass man Big Data braucht, zeigt, dass die Algorithmen nur eine andere Form menschlicher Tätigkeit sind – eine anonyme Form menschlicher Tätigkeit, bei der die tätigen Menschen nicht gewürdigt oder bezahlt werden. Big Data und die künstliche Intelligenz sind wirtschaftliche und politische Konstruktionen, die die meisten Menschen entrechten.

2

http://www.iom.edu/Activities/HealthServices/InsuranceStatus.aspx.

3

Wie etwa die kostenlosen Internetdienste für Verbraucher oder die Daten, die Finanzdienstleister oft sammeln und nutzen können, ohne dafür zu bezahlen.

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… allerdings werde ich am Ende des Buchs einige Vorschläge machen.

5

Ein »Server« ist einfach ein Computer in einem Netzwerk, der Anfragen an andere Computer weiterleitet. Desktop-Computer oder tragbare Computer sind für gewöhnlich nicht darauf ausgerichtet, Verbindungsanfragen von beliebigen Computern anzunehmen, daher sind sie keine Server. Eine »Cloud« ist eine Ansammlung von Servern, die koordiniert handeln.

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Wie vorausschauend, dass Aristoteles Musikinstrumente und Webstühle als Beispiele für Maschinen wählte, die eines Tages automatisch betrieben werden würden! Diesen beiden Maschinenformen kommt in der Vorgeschichte des Computers tatsächlich eine zentrale Rolle zu. An Jacquardwebstühlen wurden erstmals Lochkarten zur Steuerung der Muster eingesetzt. Diese Webstühle dienten als Inspiration für die Entwicklung der Rechenmaschinen. Die Musiktheorie und Notenschrift wiederum brachten das Konzept der abstrakten Berechnung voran, etwa Mozarts algorithmische Kompositionen und die sogenannten »musikalischen Würfelspiele« (»Anleitung zum Komponieren von Walzern vermittels zweier Würfel«). Beide Entwicklungen fanden gegen Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts statt.

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Dafür zu sorgen, dass sich die Saiten einer Lyra nicht verstimmen, ist nicht nur schwierig, sondern auch schmerzhaft. Man muss sie ständig drehen und drücken. Das geht manchmal so weit, dass die Finger bluten. Eine wahre Tortur. Die Rohrblätter bei einem Aulos (Blasinstrument) waren sicher auch ein Ärgernis, ständig waren sie entweder zu nass oder zu trocken, zu geschlossen oder zu offen. Man müht sich mit den Rohrblättern, bis sie kaputtgehen, dann macht man neue, die aber meistens auch nicht funktionieren.

8

Die Verwendung geht über die symbolische Bedeutung hinaus, denn die gespeicherte Information wird zunehmend unabhängig vom Symbol. Drei Muscheln bedeuten dasselbe wie drei Steine. Mit anderen Worten: Es muss damals schon eine frühe Form von Nerds gegeben haben.

9

Der Ethnologe David Graeber vertritt in seinem Buch Schulden: Die ersten 5000 Jahre die These, dass Schulden so alt wie die Zivilisation sind. Dennoch repräsentieren einfache Schulden vergangene Ereignisse und nicht die Erwartung eines zukünftigen Wertzuwachses. Diese Erwartung ist das, was wir als »Finanzierung« bezeichnen.

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Ich spreche hier nur vom moralischen Aspekt des Göttlichen, nicht vom Göttlichen an sich.

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Sowohl Anhänger des Progressivismus wie Thom Hartmann als auch Anhänger des Libertarismus wie Ron Paul kritisieren das Mindestreserve-System. Es wird oft als »betrügerisch« bezeichnet, als Werkzeug »internationaler Banker« oder eine Form der Leibeigenschaft. Ich bin zwar ebenfalls der Meinung, dass es viele Kritikpunkte am derzeitigen System gibt, doch meiner Ansicht nach richtet sich der Hass dieser Gruppierungen gegen Prinzipien, die eine positivere Darstellung verdient hätten.

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Ja, geschwächte Regierungen drucken bekanntermaßen Geld, um ihre eigene Haut zu retten, und stürzen den Markt damit in eine Abwärtsspirale, was nicht selten böse endet. Die Schaffung falscher Werte ist genauso verwerflich wie die Weigerung, echten Wert anzuerkennen.

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In der Vergangenheit basierte Wachstum auch auf anderen Faktoren wie Eroberungen und einer Bevölkerungszunahme, die heute nicht mehr in Betracht kommen.

14

Der Goldstandard führt uns zugegebenermaßen ein bisschen auf die falsche Spur, denn die Idee ist nicht in der breiten Bevölkerung verankert, bleibt aber ein fester Bestandteil bestimmter politischer Strömungen. Hier ist er relevant, weil die Idee, dass es eine konkrete Begrenzung der globalen Geldmenge geben sollte, auch die Diskussionen um die Schaffungen neuer Geldformen (wie Bitcoin) dominiert.

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Das Smartphone, das ich besitze (aus dem Jahr 2011) hat 32 Gigabyte Speicher, was in Bits etwa der Größenordnung der weltweiten Goldmenge in Feinunzen entspricht.

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Ich entschuldige mich hiermit bei meinen Lesern dafür, dass meine Bilder und Vergleiche manchmal etwas inkonsistent wirken. In diesem Beispiel stehen die Reichen auf der untersten Stufe des Wasserkreislaufs und sammeln die Flüssigkeit, die nicht durch die Deiche zurückgehalten wird, während sie sich in anderen Beispielen ganz oben befinden, was besser zu unseren üblichen Vorstellungen und Begriffen passt. In der Mathematik tauschen wir oft oben und unten, um Ideen zu visualisieren, die durch die eine oder andere Darstellung einleuchtender wirken. Wir suchen ständig nach Möglichkeiten, Abstraktionen mit unserem beschränkten Denken besser zu verstehen.

17

Wie wir noch feststellen werden, ist allein schon die Idee, etwas über ein Netzwerk zu kopieren, theoretisch fragwürdig, was von der ersten Generation der Netzwerkspezialisten und Informatiker auch erkannt wurde. Die Möglichkeit zum Kopieren ist eine relativ späte Ergänzung aus den Anfangszeiten der Netzwerke.

18

Es gibt in den USA Gesetze, die einem Musiker eine gewisse Summe garantieren, wenn eine physikalische oder »mechanische« Kopie einer Musikaufnahme gemacht wird. Für frühere Musikergenerationen war das eine mühsam erstrittene Absicherung.

19

Das zeigt Martin Ford in seinem Buch The Lights in the Tunnel aus dem Jahr 2009. Seiner Meinung nach werden immer mehr Arbeitsplätze verschwinden, sodass die Menschen in der Zukunft nur noch dafür bezahlt werden, dass sie klug konsumieren, weil sie in der Produktion völlig überflüssig geworden sind. Ich halte Fords Vorstellungen für zu wirtschaftsfeindlich und für zu düster, sie bilden jedoch einen interessanten Kontrast zu meinem Vorschlag.

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Damit sind Wikipedia und nicht-kommerzielle Tauschbörsen gemeint.

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Das geht über die traditionelle Vorstellung der Externalisierung von Kosten hinaus. Stattdessen werden automatisch Risiken externalisiert.

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Autoren und Verlage schrecken mittlerweile davor zurück, Amazon zu kritisieren. Für mich sind diejenigen, die wie Amazon die großen Server betreiben, nur ein Haufen Technikfreaks wie ich, deshalb weiß ich, dass sie mit Kritik umgehen können. Doch als ich das Buch bereits geschrieben hatte, ging Microsoft, wo ich als Forscher arbeite, eine Partnerschaft mit Barnes & Noble ein, dem Rivalen von Amazon, daher gelte ich fortan womöglich als parteiisch. Alle, die in der unglaublich miteinander verflochtenen Technikwelt tätig sind, geraten in Interessenskonflikte, wenn sie über die großen aktuellen Probleme schreiben, es geht gar nicht anders. Ich möchte hier so deutlich wie möglich sagen: Ich bin ein Teil dessen, was ich kritisiere. Ich profitiere von Zeit zu Zeit, indem ich mich aktiv an den Modellen beteilige, die ich gerne abschaffen würde. Das ist leider ein Nebeneffekt, wenn ich das mache, was ich gern tue. Andererseits möchte ich auch kein Akademiker oder distanzierter Beobachter sein, der die Technologie nur von außen kritisiert. Ich habe mich dafür entschieden, weiter in der Technikwelt aktiv zu sein, selbst wenn das heißt, dass ich dadurch vorbelastet bin. Ich lebe mit Widersprüchen, so ist das menschliche Dasein nun einmal, aber ich tue mein Bestes, solche Absurditäten nicht aus den Augen zu verlieren. Ich kann nur anbieten, offen das zu sagen, was ich denke.

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Ein »Bot«-Programm (»bot« von robot), das Preise festlegt oder andere Marktentscheidungen trifft, ist ein interaktiver Prozess und passt seine Reaktionen aufgrund neuer Daten ständig an. Wenn es nur einen solchen Bot gibt, stammen die Daten, auf die er reagiert, aus der Welt insgesamt. Wenn es jedoch viele Bots gibt, wird ein Teil der Daten, die er erhält, von anderen Bot-Programmen beeinflusst. Dadurch kann es zur auto matischen Absprache kommen. Nichtsdestoweniger gibt es den Vorwurf der altmodischen gezielten Absprachen und heimlichen Abstimmung. Siehe http://www.huffingtonpost.com/2012/08/22/travel-site-class-action-lawsuit_n_1821839.html.

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Das erinnert an das Modell von der »Tragik der Allmende«, entspricht ihm aber nicht ganz. Garrett Hardin erklärte in seinem berühmten Aufsatz »The Tragedy of the Commons« aus dem Jahr 1968, warum Kühe das Weideland im Gemeinbesitz vollständig abgrasen, während private Wiesen nicht überweidet werden, weil man dort auf eine langfristige Nutzung achtet. Die Kühe, die das Land überweideten, bekamen zumindest das Gras. Im Sirenenzeitalter müsste man dagegen eher von der »Tragik der Alarmiertheit« sprechen, weil dahinter eher Manie steckt statt Kurzsichtigkeit. Die Informationstechnologie kann alles so beschleunigen, dass Hektik ausbricht, eine Aufgeregtheit, die ablenkt. In unserer derzeitigen Vorstellung von einer Informationsökonomie bekommen die Kühe kein kostenloses Gras, sondern nur das Versprechen, dass ein paar wenige von ihnen berühmt werden könnten.

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Nur um das klarzustellen: Ich will damit nicht sagen, dass China heute über jede Kritik erhaben ist!

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Manche werden meine Einschätzung vielleicht als zu wohlwollend empfinden. Aber ich sehe eher einen kollektiven Fehler, keine spezielle Gruppe von Bösewichten.

27

Wie ich noch erklären werde, teile ich diese Ansicht, aber nur, wenn wir dafür nicht massiv Werte aus unseren Bilanzen streichen müssen.

28

Wenn nur ein Sirenenserver eine bestimmte Schwankung auf diese Art melkt, könnte man durchaus behaupten, dass das einen Nutzen hat, weil die Schwankung auf Ineffizienz hinweist, die der Sirenenserver ausgleicht. Wenn aber viele Sirenenserver dieselbe Schwankung ausnutzen, entsteht ein Rückkopplungssystem, bei dem sie ungewollt zusammenarbeiten, um sinnlos die übrige Welt zu melken.

29

Als Senator setzte sich Al Gore sehr für diese Vereinheitlichung ein. Er trat damit in die Fußstapfen seines Vaters, der das nationale System der Interstate Highways mit ermöglicht hatte.

30

Falls sich herausstellen sollte, dass sich die Ausgangsmasse günstig zu Hause (oder wo immer sie gebraucht wird) herstellen lässt, wird sich eine andere Unzulänglichkeit oder Unvollkommenheit finden, die einen Vorwand für eine Kartellbildung und künstlich erhöhte Kosten liefert.

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Kinect ist eine Kamera, die einen Körper dreidimensional erfasst und diese Daten dazu nutzt, die Körperbewegungen der Personen im Sichtfeld abzuschätzen, wodurch die Software die Personen als Avatare darstellen kann. Kinect war bei seiner Markteinführung das bestverkaufte Produkt der Unterhaltungsindustrie.

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Ich habe diesen Abschnitt vor der Wahl 2012 in den USA geschrieben. Möglicherweise wird sich Obamas Pflegeversicherung durchsetzen, doch unabhängig davon bleibt das hier beschriebene Grundmuster bestehen, es sei denn, man geht es grundlegender an als mit einer Reform zur Finanzierung der Gesundheitsfürsorge und Pflege.

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Ein »gerootetes« Gerät ist meist ein Smartphone oder Tablet-Computer, bei dem herstellereigene Nutzungsbeschränkungen vom Besitzer aufgehoben wurden. Es wird also nicht mehr von dem Unternehmen verwaltet, das es verkauft hat, sondern von seinem Besitzer, der es gekauft hat. So kann ein Smartphone nach einem Jailbreak zum Beispiel nicht-zugelassene Apps herunterladen.

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Silicon Valley setzt sich immer durch. Ein Jahr nachdem ich diesen Absatz geschrieben hatte, feierte eine App zum Aufspüren von Mädchen ihr Debüt in den Bars von San Francisco. »SceneTap« nutzt Kameras und maschinelles Sehen anstelle der Informationen Freiwilliger. Nein, ich habe nicht nachgeforscht, ob das Startup-Unternehmen von denselben Studenten gegründet wurde.

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Im Sommer 2011 sah es so aus, als würde sich in einem gigantischen Datenmeer des Genfer CERN eine ungeheuerliche Entdeckung verbergen: Neutrinos, die sich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen. Die überzeugende Täuschung überstand eine Reihe von Tests, bis sie einige Monate später widerlegt wurde.

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Die FMRI ist eine leistungsstärkere Version der bekannten Magnetresonanztomografie. Die FMRI wird meist zur Darstellung der Durchblutung von Hirnarealen verwendet, die zeigt, welche Bereiche des Gehirns im Moment besonders aktiv sind.

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Kickstarter ist nur ein Beispiel von vielen. Die Idee ist gerade sehr angesagt und wird in den USA durch eine entsprechende Gesetzgebung gefördert, etwa den Jumpstart Our Business Startups Act (abgekürzt JOBS) von 2012. Siehe http://www.forbes.com/sites/work-in-progress/2012/09/21/the-jobs-act-what-startups-and-small-businesses-need-to-know-infographic/.

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Antike Ärzte wie Hippokrates verstanden die ursprünglichen Temperamente als Kräfte oder Säfte, die den menschlichen Körper durchflossen. Sie standen sowohl für Flüssigkeiten (schwarze Galle, gelbe Galle, Schleim und Blut) als auch für Elemente (Luft, Feuer, Wasser, Erde) sowie einen bestimmten Persönlichkeitstypus. So wurde schwarze Galle beispielsweise mit dem Melancholiker in Verbindung gebracht.

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Das ist natürlich keine allgemeine Definition von Religion oder Spiritualität an sich. Ich weise andererseits auch immer darauf hin, dass der Materialismus in Sachen Grausamkeit und Verrücktheit mühelos mit der Religion mithalten kann. Ein Stalin muss sich hinter keiner Inquisition verstecken. Dennoch muss man einen Namen für dieses globale antike politische Phänomen finden.

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Es stimmt, dass der Mensch den technologischen Wandel in gewisser Weise ständig unterschätzt. Die Geräte der Informationstechnologie, die man sich beispielsweise in den sechziger und siebziger Jahren für Raumschiff Enterprise ausdachte (also Technik, die in ferner Zukunft genutzt werden würde), wirkt heute ziemlich antiquiert. Der Mensch kann das Ausmaß und die Bedeutung des technischen Fortschritts selbst zu seinen eigenen Lebzeiten nicht abschätzen. Andererseits gibt es immer noch kein fliegendes Auto für jedermann, und daran wird sich auch langfristig nichts ändern. Der technologische Wandel wird also genauso häufig über- wie unterschätzt.

41

Wenn wir zu den Lösungsvorschlägen kommen, werden wir überlegen, wie wir die Netzwerkarchitektur verändern könnten, um Probleme wie den Klimawandel besser zu bewältigen.

42

Ich spreche hier von der Fernsehserie. In den Star Trek-Filmen finden sich die von mir gelobten Eigenschaften nicht.

43

Bei Raumschiff Enterprise gibt es auch Androiden mit künstlicher Intelligenz, etwa den Pinocchio-ähnlichen Data. Der Trick ist jedoch, dass Data nicht vervielfältigt werden kann. Wenn es eine Milliarde Wesen wie Data geben würde, wäre er als Figur langweilig und außerdem eine Bedrohung für die Menschheit, wodurch die Serie eine düstere Wendung nehmen würde. Sie wäre dann eher wie Kampfstern Galactica.

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Der sogenannte »reversible« Computer, eine interessante experimentelle Maschine, vergisst nichts, sodass jede Berechnung sowohl vorwärts wie auch rückwärts ablaufen kann. Solche Geräte bleiben kühl! Dies ist ein Beispiel für die Wechselwirkung von Thermodynamik und Rechenarchitektur. Reversible Computer strahlen nicht so viel Abwärme ab. Vergessen erzeugt »Zufälligkeit« (randomness), was dasselbe ist wie das Aufheizen der Umgebung.

45

Zum Thema des unterschiedlichen Informationszugangs auf einem Markt verweise ich auf das Werk der Wirtschaftsnobelpreisgewinner von 2001, die sich jeweils auf verschiedene Weise damit befassen. http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/economics/laureates/2001/press.html.

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Wenn man beliebig viel Zeit und Computerkapazität zur Verfügung hätte, um die Berechnungen anzustellen, wäre das eine andere Sache, aber selbst mit der enormen Rechnerleistung des heutigen Cloud-Computings können wir viele Berechnungen, die von Interesse wären, nicht durchführen.

47

Während der Finanzkrise des frühen 21. Jahrhunderts entstand die Mode, zu wirtschaftswissenschaftlichen Konferenzen Mathematiker, Informatiker und Physiker einzuladen, um zu sehen, ob sich dadurch neue Ideen ergäben. Der Physiker Lee Smolin hat als Resultat einiger dieser Tagungen einen interessanten Artikel über multiple Gleichgewichte veröffentlicht: http://arxiv.org/abs/0902.4274.

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Es gibt Behauptungen, dass der Effekt kurzzeitig und unter bestimmten Umständen bereits beobachtet worden sei.

49

Musikalische Rhythmen werden gewöhnlich als Brüche angegeben, wie 4/4- oder 3/4-Takt, Letzterer auch als Walzer bekannt. Irrationale Zahlen lassen sich nicht als Brüche ausdrücken. Können sie aber als Rhythmus dienen? Würde Musik in einem solchen Takt die Menschen ansprechen? Conlon fand die Antworten: Ja. Und: Ja.

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Ich empfehle Ihnen, sich auf die Suche nach den alten Columbia- oder »1750 Arch«-Schallplatten zu machen, die viel besser als die später bei Wergo erschienen digitalen Aufnahmen sind.

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Ein gewöhnlich Steve Jobs zugesprochener Satz.

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Die Frage, ob die Realität insgesamt deterministisch sei, muss von der Gestaltung der menschlichen Gesellschaft getrennt betrachtet werden. Wegen der Grenzen der Messbarkeit, der Datenspeicherung und anderer Faktoren können wir das Wesen des Determinismus in physikalischen Systemen nicht definitiv testen. Die beiden am gründlichsten experimentell bestätigten physikalischen Theorien, die Quantenfeldtheorie und die Allgemeine Relativitätstheorie, legen widersprechende Einschätzungen des Determinismus zugrunde.

53

Geradezu besessen von Netzwerkeffekten waren diejenigen, die sich für das vordigitale Telefonsystem interessierten. Eine noch größere Bessenheit sind sie im Zeitalter der digitalen Netzwerke geworden. Das Metcalfe’sche Gesetz postuliert, dass ein Netzwerk so viel wert sei wie das Quadrat der Anzahl seiner Knoten. Das bedeutet, der Wert nimmt immer rasanter zu, wenn ein Netzwerk erst wächst. Ein Pionier der Erforschung ökonomischer Netzwerkeffekte ist der Wirtschaftswissenschaftler W. Brian Arthur.

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Der Mangel eines plausiblen Umsatzsteigerungskonzepts für Twitter bei Redaktionsschluss dieses Buches liegt an einem ähnlichen Vorgehen: viel Zuckerbrot, wenig Peitsche. Wenn Sie diese Zeilen lesen, kann sich das allerdings bereits geändert haben.

55

Jedenfalls, was die Suchfunktion angeht. Wenn man persönliche Daten in Google-Tools hochgeladen hat, sieht es schon wieder anders aus.

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Ein weiteres Beispiel ist Wikipedia. Ich verurteile Wikipedia nicht und habe in meinem letzten Buch ihre Stärken und Schwächen diskutiert. Wie ich aber bereits erklärt habe, beschneidet Wikipedia den Markt für bestimmte Berufe im Bereich Wissenschaft und Bildung auf lange Sicht. Auf kurze Sicht ist sie dabei, den Bildungssektor zu »demonetisieren«. Wikipedia kann daher ebenfalls als Sirenenserver bezeichnet werden. Sie schafft die Art falscher Effizienz, die »Schutzdeiche« verhindert.

Ein anderes interessantes Beispiel ist Craigslist. Das ist ein sympathisch idealistischer Sirenenserver, der gemäßigt profitorientiert ist. Er verlangt nur für bestimmte Arten von Anzeigen Gebühren, zum Beispiel von potenziellen Arbeitgebern, bietet aber die meisten seiner Dienste kostenlos an. Craig Newmark hätte sein Geschäft wahrscheinlich zu einem Riesen wie eBay oder Amazon ausbauen können. Stattdessen hat er einen Service geschaffen, der für gewöhnliche Menschen einen wichtigen Service bietet – der aber auch eine Krise bei den Lokalzeitungen auslöste, die von bezahlten Kleinanzeigen abhängig waren. Craigslist hat für mich etwas Tragisches, weil das Netzwerk so bescheiden und ethisch wie möglich auftritt und seine Kunden nicht ausspäht, aber trotzdem ein Sirenenserver ist.

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Gewöhnlich gibt es ein Verfahren, mit dem sichergestellt werden soll, dass alles getan wird, um menschliche Beteiligung so lange wie möglich auszuschließen, selbst wenn sie unumgänglich ist. Das Klischee, das wir alle kennen, ist, dass man zum Beispiel bei der Versicherungsgesellschaft anruft, weil einem der Sirenenserver die Übernahme einer wichtigen medizinischen Behandlung verweigert hat. Nach einer stundenlangen Odyssee durch das Labyrinth eines automatisierten Callcenters hat man endlich einen wirklichen Menschen am Telefon, wahrscheinlich in Indien oder auf den Philippinen. Es kann gut sein, dass seine Augen die ersten menschlichen Augen überhaupt sind, die Ihre Daten sehen, seit sie auf dem Sirenenserver gelandet sind!

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Es ist immer schwierig, über diese Sachen zu schreiben, weil man nie weiß, welche Phänomene im World Wide Web lange genug überleben, um den Lesern dieses Buches in ein, zwei Jahren noch etwas zu sagen. Pinterest ist ein schnell aufsteigender Star unter den konsumentenorientierten Web-Anbietern. Man kann dort Fotos und andere Daten aus dem Web auf virtuelle Pinnwände kopieren und sie mit anderen Nutzern teilen.

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Diese Beobachtung bezieht sich nur auf herkömmliche Personal Computer. Bei Mobiltelefonen hat Google meist einen strukturellen Vorteil, weil es bevorzugt platziert wird.

60

Karl Popper war ein österreichisch-englischer Philosoph und berühmt für seine Aussage, dass Wissenschaft niemals zur absoluten Wahrheit gelangt, sondern ihr nur immer näher kommt, indem sie Ideen falsifiziert und durch neue ersetzt, die irgendwann ebenfalls falsifiziert werden.

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Da ich nicht dabei war, erlaube ich mir auch kein Urteil darüber, ob Hightech aus dem Silicon Valley wirklich eine so große Rolle spielte. Allerdings kann ich es nicht mehr hören, wie wir uns mit Formulierungen wie »Twitter-Revolution« oder »Facebook-Revolution« für die Revolution anderer loben, als ob sich die ganze Welt nur um uns drehen würde. Die Journalistin Kathleen Baird-Murray, deren Mutter aus Myanmar stammt, wies mich darauf hin, dass die dortige Bevölkerung zur selben Zeit ähnliche Resultate ganz ohne das Internet erzielte.

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Ich bezweifle allerdings, dass die politischen Ansichten dadurch extremer geworden sind. Es gab schon immer extreme Haltungen. Die Politik hat Paranoia schon immer genährt und ausgenutzt. Die Texasphobie erwähne ich nur, weil sie das lustigste und harmloseste Beispiel war, das mir einfiel.

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Ich konnte keine Originalquelle für dieses Zitat finden, daher bin ich mir nicht sicher, ob es echt ist. Einmal zitierte ich Einstein – »Alles sollte so einfach wie möglich sein, aber nicht einfacher« – und wurde von einem Einstein-Biographen davon in Kenntnis gesetzt, es gebe keinen Beleg dafür, dass er das je gesagt habe. Und dann traf ich eine Frau, die Einstein gekannt und gehört hatte, wie er es sagte! In diesem Fall habe ich keine Ahnung, aber es ist ein super Zitat, von wem auch immer es stammen mag.

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Es gibt noch andere Probleme, auf die ich ausführlicher in meinem letzten Buch eingegangen bin. Beispielsweise verliert man auch die Fähigkeit, den Kontext auszuwählen, in dem man sich äußert, weil mehr und mehr Möglichkeiten über Sirenenserver ablaufen, wodurch die Fähigkeit schwindet, sich auszudrücken und einzigartige Perspektiven zu erkunden.

65

In einem noch früheren Artikel, aus dem Jahr 1945, mit dem Titel »As We May Think« (»Wie wir denken werden«), stellte Vannevar Bush das Gedankenspiel eines weiterentwickelten Mikrofilm-Lesegeräts vor, des sogenannten Memex, mit dem der Leser Mikrofilminhalte zu neuen Sequenzen zusammenmischen können sollte. Aber so gefeiert und einflussreich dieser Artikel auch war, lotete er die unvergleichlichen Möglichkeiten digitaler Architektur doch nicht aus.

66

Wie es der Zufall so will, arbeite ich zurzeit an einer Alternative zum Weltraumlift: einer gigantischen sogenannten »Railgun« – einem Schienenbeschleuniger, mit dem man Raumschiffe ins All schießen könnte.

67

Das klingt verwirrend, weil »Spitze« und »Wurzel« bei Netzwerken dasselbe bedeuten, anders als bei echten Bäumen. Andere Begriffe, mit denen das Konzept manchmal beschrieben wird, lauten »Quelle« und »Zentrum«. Wir müssen zur Beschreibung abstrakter Ideen nun einmal das von der Physik inspirierte und ererbte Vokabular verwenden. Sich an diese Verwirrung zu gewöhnen ist ein wichtiger Schritt hin zu einem vertrauten Umgang mit der digitalen Technologie.

68

Das könnte man mit dem »Kitten« von Verwerfungen oder der Schaffung künstlicher geologischer Brüche mit Hilfe von Sprengstoff in Gebieten erreichen, wo ein Erdbeben weniger Schaden anrichten würde, etwa in einem Ozean. Tja, das ist eine meiner verrückten spekulativen Nebenbeschäftigungen.

69

In einer humanistischen Ökonomie wären große Konzerne so wie heute Teil der Wirtschaft. Den großen Unternehmen würde es bei meinem Modell sogar bessergehen, nicht nur weil die Wirtschaft wachsen würde, sondern auch weil Regulierungen in einer Hightech-Informationsökonomie schrittweise vollzogen würden und nicht in gewaltsamen Brüchen.

70

Zu versuchen, etwas anhand der Frage zu berechnen »Was wäre, wenn in der Vergangenheit etwas anders verlaufen wäre?«, ist immer eine heikle Sache. Ist eine kontrafaktische Geschichtsschreibung überhaupt möglich und sinnvoll? Hätten wir es nicht immer mit chaotischen Situationen zu tun, bei denen winzige Unterschiede enorme Auswirkungen hätten? In einer humanistischen Informationsökonomie wäre das tatsächlich ein Problem. Hier ins Detail zu gehen würde den Rahmen des Buches sprengen, doch die grundlegende Idee lautet, eine Wirtschaftsform zu schaffen, die zu »linearen« Transaktionen anregt, um Chaos weitestgehend zu vermeiden. Wenn die Antwort auf die Frage »Was wäre, wenn die Dinge anders verlaufen wären?« chaotisch ausfällt und größtenteils sinnlos ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das tatsächliche Geschehen genauso chaotisch war. Es geht darum, dass der Kapitalismus so wenig wie möglich einem Glücksspiel ähnelt.

71

Wunschdenken, ich weiß. Die Investoren, die heute in Startup-Unternehmen investieren, wollen ihr Geld so schnell wieder zurückhaben, dass die von ihnen finanzierten Dienste nicht im realen Leben getestet werden können. Das wird sich hoffentlich ändern.

72

Dieser Vorgang soll auf der Mikroebene die Vorgänge verdeutlichen, die ablaufen, wenn Sie einen Kredit bekommen. Wenn Sie ihn abzahlen, schaffen Sie damit nicht nur mehr Geld, sondern stützen auch die Immobilienpreise im Umfeld Ihres Hauses und schöpfen damit im Grunde etwas von dem Geld, das Ihre Nachbarn schaffen, wenn sie Kredite aufnehmen.

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Wenn ich mit meinen Freunden aus dem Silicon Valley über diese Ideen rede, überlegen sie sofort, wie man bei einem solchen System betrügen, täuschen, Phishing betreiben oder es mit Spam zumüllen könnte. Ich will aber gar kein wasserdichtes System präsentieren, sondern nur zeigen, dass die gegenwärtige Praxis nicht die einzige Option ist. Natürlich ist es keine Frage, dass man bei der realen Umsetzung mit großer Sorgfalt und Geduld vorgehen müsste. Das Verfahren wird nie absolut sicher sein, aber es wird garantiert mehr Spaß und Vorteile für alle bringen, außerdem ist es vielleicht einfacher, es anzunehmen, als sich ihm zu widersetzen.

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Ich beschreibe hier ganz allgemeine Eigenschaften der Sirenenserver. Airbnb ist nur ein Beispiel, und ich hätte zahlreiche andere Websites angeben können, über die Menschen ihre Angelegenheiten effizient regeln, damit ein ferner Unternehmer ihr Geld einstreichen kann, ohne das Risiko mit ihnen zu teilen. Skout etwa, ein soziales Netzwerk, um andere Leute kennenzulernen, wurde von Vergewaltigern dafür genutzt, sich mit ihren minderjährigen Opfern zu verabreden. Siehe http://travel.usatoday.com/destinations/dispatches/post/2011/07/plot-thickens-airbnb-renter-horror-story/179250/1 und http://bits.blogs.nytimes.com/2012/06/12/after-rapes-involving-children-skout-a-flirting-app-faces-crisis/.

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Es sind auch kompliziertere Aktionen denkbar: Sie bilden zum Beispiel mit anderen aufstrebenden Personen, die etwas mit Ihnen gemeinsam haben, einen Risikopool. Vielleicht sind Sie junge, hoffnungsvolle Entscheidungsreduzierer, Modeschöpfer oder VitaBop-Rezeptentwickler. In einem Risikopool zusammen mit anderen haben Sie viel größere Chancen, Investoren anzulocken, als wenn Sie als Einzelkämpfer auftreten. Vielleicht könnten Sie der Zeitung einen Anteilsschein am Risikopool ausstellen und im Gegenzug dafür die Zeitung lesen.

Was die Zeitung betrifft, hätten Sie wahrscheinlich ein normales Abonnement erworben. Man sollte von der Zeitung nicht verlangen, Ihren ökonomischen Avatar zu verstehen oder ihn gutzuheißen, wenn Sie selbst Kapital schaffen können.

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Für die Umsetzung dieser Ideen müsste man natürlich noch zahlreiche Fragen klären – zum Beispiel die Frage, auf welcher Basis die »Was wäre wenn«-Berechnungen durchgeführt werden sollen: Wenn Sie zum Beispiel Ihre Meinung über die von Ihnen bevorzugten Transaktionsformen ändern, müssen sich die Änderungen proportional widerspiegeln. Das Verhältnis kann auf Grundlage der verwendeten Datenübertragungsrate berechnet werden oder aufgrund der im Internet verbrachten Zeit oder eines anderen groben Maßstabs. Wenn Sie sich für eine Stunde nach dem Prinzip »Pay as you go« im Internet aufhalten und nur dann zahlen, wenn sie es auch nutzen, sich später aber dafür entscheiden, eine Stunde kostenlos auszuprobieren, dann würde die Hälfte Ihres Einkommens in der Zeit (falls Zeit die Berechnungsgrundlage ist) von den Leuten kommen, die sich ebenfalls für das Prinzip »Pay as you go« (also: »Bezahlung nur bei wirklicher Inanspruchnahme«) entschieden haben, und die andere Hälfte von Leuten, die ebenfalls eine Stunde kostenlos ausprobieren.

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Ich wünschte, ich müsste nicht ausgerechnet Kredite als Beispiel verwenden, um diesen Punkt zu verdeutlichen, schließlich leidet die Welt immer noch unter den finanziellen Problemen, die durch verbriefte Hypothekenkredite verursacht wurden. Doch über viele Jahre waren Hypotheken ein zuverlässiger, sauberer Mechanismus. Die Vorgänge zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren eine Ausnahme und wurden durch den falschen Einsatz digitaler Netzwerke ermöglicht. Solche Fehlfunktionen zu verhindern, darum geht es mir hier.

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Es gibt einen klugen Witz, der besagt, wenn ein Programmierer erklärt, ein Projekt würde zwei Wochen dauern, bedeutet das eigentlich: »Ich habe keine Ahnung.« Wenn er hingegen sagt, es könnte ein Jahr dauern, stimmt es wahrscheinlich.

Was die großen Probleme in der realen Welt betrifft, höre ich von meinen Kollegen oft, eine Lösung oder ein Wandel werde in fünfzehn oder zwanzig Jahren eintreffen. Das ist ähnlich wie »zwei Wochen«. Wenn zur Lösung eines Problems wie der globalen Erwärmung oder des Trinkwassermangels schnelle technische Maßnahmen und konkrete Daten oder ein Zeitrahmen genannt werden, sollten Sie misstrauisch werden. Solche konkreten Zeitangaben bedeuten normalerweise, dass man keine Ahnung hat, wie lange es dauern wird. (Schön, dass Ihnen einfällt, dass ich genau diesen Zeitrahmen genannt habe, als es um den Einsatz von Robotern in der Altenpflege ging. Besser ging es eben nicht.)

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