Glitschig, eklig, bösartig – das sind nur drei der vielen unschmeichelhaften Eigenschaften, die wir Schlangen zuschreiben. Dabei trifft keine einzige von ihnen zu! Wie kaum eine andere Tiergruppe sind Schlangen mit negativen Vorurteilen behaftet, die auf blühender Phantasie, Sensationsgier oder schlicht auf Unkenntnis beruhen. Der Herpetologe Sebastian Lotzkat widerlegt das schlechte Image der Schlangen – indem er an die Stelle der Mythen die viel spannendere biologische Realität setzt. Lotzkat, der viele Monate in Lateinamerika auf der Suche nach neuen Schlangenarten verbracht hat, beleuchtet die wechselhafte Rolle der Schlange in menschlicher Weltanschauung und Kultur: von Adam und Eva über die Gorgonen bis zu Indiana Jones. Kurzweilig und fundiert zeigt er uns, was Schlangen wirklich sind: liebenswerte Tiere voller Schönheit, Kraft und Eleganz, mit einer schier unerschöpflichen Palette raffinierter Überlebenstricks.
Sebastian Lotzkat, geboren 1981, führten Rucksackreisen schon früh quer durch Europa und Lateinamerika, bevor er in Frankfurt Biologie studierte. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Senckenberg Forschungsinstitut, Autor, Science Slammer sowie freier Mitarbeiter des Senckenbergmuseums und des Palmengartens in Frankfurt. Im Rahmen seiner Promotion verbrachte er rund 12 Monate in den Regenwäldern Panamas, um die Vielfalt der dortigen Reptilien zu dokumentieren und dabei auch einige neue Arten von Echsen und Schlangen zu entdecken.
Bildnachweise:
S. 101: © Senckenberg, Sven Tränkner
S. 178/179: © 2015 Dr. Konrad Mebert, Schweiz
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© 2016 Carl Hanser Verlag München
www.hanser-literaturverlage.de
Herstellung: Denise Jäkel
Covergestaltung: Büro Alba, München
Illustrationen: Peter Palm, Berlin
Datenkonvertierung E-Book: Kösel Media, Krugzell
ISBN 978-3-446-44702-8
E-Book-ISBN 978-3-446-44710-3
Cover
Teaser
Impressum
Voll aggro!?
Von Göttern und Dämonen: Schlangen aus Menschensicht
»Nach drei Sekunden bist du tot!« – Schlangen in der Gerüchteküche
Schrecklich riesig: Menschen aus Schlangensicht
Jetzt mal ehrlich: Was sind Schlangen?
Die wunderbare Welt der wechselwarmen Wirbelwürmer
Mit Vorsicht zu genießen: wirklich gefährliche Schlangen
Zum Verlieben: absolut harmlose Schlangen
Kein Grund zur Sorge: Schlangen in Deutschland
Was kriecht denn da? Begegnungen mit Schlangen
»Nicht ohne meine Natter!« – Schlangen in Menschenhand
Kurzum: Keine Bange vor der Schlange!
Dank
Zum Weiterlesen …
»Pass auf, Junge, die ist voll aggro! Gleich springt sie dich an und sticht dir mitten ins Herz!« Der ältere Herr neben mir bekam sich kaum mehr ein. Mit vor Aufregung weit aufgerissenen Augen und hochrotem Kopf stand er wild gestikulierend etwa drei Meter von mir entfernt und konnte nicht fassen, was ich tat. Inzwischen hatten weitere Einheimische bemerkt, dass hier was los war. Zwischen Fassungslosigkeit und Sensationsgier traten manche nur nervös von einem Bein aufs andere, während andere lautstark in die Warnungen des Alten einstimmten. Zwei besonders kernige Burschen hatten bereits ihre Macheten gezückt, um für den vermeintlich unabwendbaren Angriff des Monsters gewappnet zu sein: nicht etwa eine Königskobra, sondern eine kleine braune Schlange, etwa einen halben Meter lang, die zusammengerollt auf einem Baumstumpf lag. Die eigentliche Sensation aber: meine Wenigkeit – ein komischer Kauz aus einem fremden Land, der offensichtlich nicht um die Gefahr wusste, die von diesem Viech ausgehen musste. Denn statt es heldenhaft zu zerstückeln, wie es jeder der Anwesenden schon mit Dutzenden solcher Killerbestien getan hatte, machte ich nur Fotos und ging dabei bis auf wenige Zentimeter an das Tier heran. Und damit nicht genug, jetzt berührte ich das Biest sogar! Kollektiver Aufschrei, gefolgt von verständnislosem Murmeln.
Als Biologe, der die Artenvielfalt von Schlangen und anderen Reptilien in Panama erforscht, habe ich viele solcher Situationen erlebt. Im geschilderten Fall machte ich vor meiner Unterkunft – die in der Einliegerwohnung der örtlichen Dorfkneipe für solcherlei Aktivitäten zugegebenermaßen mehr als ungünstig gelegen war – Fotos von dem Tier, um es für die Wissenschaft zu dokumentieren. Angesichts des Menschenauflaufs mit Zeter und Mordio tat mir das kleine Schlängelchen inzwischen einfach nur leid. Offenbar selbst höchst verängstigt von den aus seiner Sicht riesigen Wesen, die da um es herum trampelten und schrien, bewegte es sich keinen Millimeter von der Stelle und wagte kaum zu atmen. Um den Stress für uns beide gering zu halten, vor allem aber um die unschuldige kleine Schlange vor dem sicheren Tod durch Machete zu bewahren, brach ich die Fotosession ab und nahm sie erst mal mit ins Haus. Natürlich wusste ich genau, dass ich eine ungiftige und absolut harmlose Natter vor mir hatte – im Gegensatz zu den übrigen Anwesenden, denn in Panama ist (von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen) grundsätzlich jede Schlange höchst giftig, extrem aggressiv, dazu noch teuflisch boshaft und deswegen unverzüglich zu vernichten. Das kann zuweilen geradezu groteske Ausmaße annehmen und hat mir als Schlangenforscher, der auf intakte Tiere angewiesen ist, schon einiges an Überredungskunst abverlangt: zum Beispiel als ein Beamter der panamaischen Policia Nacional mit der Figur eines mittelgroßen Kleiderschranks wie selbstverständlich seine Pistole zog, entsicherte und durchlud, um einer in meiner Hand befindlichen, zugegebenermaßen sehr imposanten Zweieinhalb-Meter-Schlange das Lebenslicht auszupusten.
Eine negative Einstellung Schlangen gegenüber existiert nicht nur in Panama, sondern in vielen Gegenden dieser Welt. Viele empfinden bei ihrem Anblick Ablehnung, Ekel, Furcht und Hass. Auf der anderen Seite werden Schlangen seit jeher aber auch bewundert, geliebt, mystifiziert und verehrt, ja sogar vergöttert. Nur eines gibt es selten: Gleichgültigkeit. Die meisten Menschen, die schon mal eine Schlange gesehen haben, finden sie unweigerlich spannend. Selbst die leidenschaftlichsten Schlangenhasser können sich der starken Faszination, die von der Eigentümlichkeit dieser Tiere ausgeht, schwerlich entziehen.
Auch wenn ich selbst ein Spätzünder war, was den hautnahen Kontakt mit wild lebenden Schlangen anbetrifft, so bin ich doch seit ich denken kann von Schlangen begeistert. Das verdanke ich zweifellos der sehr naturnahen Erziehung durch meine Eltern und den unzähligen Kindheitserlebnissen mit Fröschen, Salamandern, Molchen, Eidechsen und Blindschleichen, denen wir auf irgendwelchen Waldspaziergängen regelmäßig begegneten. Absolute Highlights waren dabei die Ringelnattern, die man im Taunus auch ohne angestrengtes Suchen manchmal zu sehen bekommt. Auch meine allererste Schlange in freier Wildbahn war eine Ringelnatter, die durch das kristallklare Wasser des bayerischen Obersees schwamm. Ich sehe sie heute noch vor mir und erinnere mich bestens an die unglaubliche Faszination, die ihre geschmeidig schlängelnden Schwimmbewegungen auf mich ausübten – ab da war es um mich geschehen, wie ich heute weiß. Wobei, vielleicht wurden meine Weichen auch schon etwas früher durch die schicksalhafte Begegnung mit einer anderen Schlange gestellt: der legendären Anakonda im Senckenbergmuseum zu Frankfurt am Main. Die reißt dort mindestens seit 1927 ihr Maul unglaublich weit auf, während sie ein ausgewachsenes Wasserschwein verschlingt, das wesentlich dicker ist als sie selbst.
Nachdem ich mich während meiner Jugend mehr auf Interrail-Tickets, Rockmusik, Gerstensaft und die holde Weiblichkeit konzentriert hatte, drängte sich meine Schlangenliebe während des Biologiestudiums wieder mehr in den Vordergrund. Ich begann, gezielt nach Schlangen zu suchen – auf Exkursionen der Universität, aber auch in meiner Freizeit. Zum Ende meines Studiums bekam ich eine sagenhafte Möglichkeit, mich in dieser Hinsicht mal richtig auszutoben: Ich erhielt den Auftrag, einen mit Regenwald bedeckten Berg im Norden Venezuelas persönlich auf Lurche und Kriechtiere abzuklopfen. Die so erarbeiteten Artenlisten dieser beiden Tiergruppen waren ein Teil meiner Diplomarbeit, die ich in der Sektion Herpetologie (das hat nichts mit Herpes zu tun, sondern bezeichnet die Lehre von Amphibien und Reptilien) am Senckenberg Forschungsinstitut Frankfurt verfasste. Das liegt direkt hinter dem bereits erwähnten Senckenbergmuseum, wo ich direkt nach dem Diplom auch als Museumsführer anheuerte und seitdem Tausenden Besuchern die spektakulär fressende Anakonda vorstellen durfte. Als sich dann noch die Gelegenheit bot, nahtlos eine Doktorarbeit über die Reptilien im Westen Panamas anzuschließen, konnte ich unmöglich nein sagen. So kam es, dass ich mich während drei weiterer Jahre viermal in das Land zwischen den Amerikas begab und neben Kaimanen, Schildkröten und Echsen eben auch massenweise Schlangen fand, fing, dokumentierte und teilweise auch für die Wissenschaft konservierte. Alles in allem ein ziemlich schlangennahes Leben, das ich während der letzten zehn Jahre geführt habe. Regelrecht ophidiophil.
Seit ich als auf Reptilien spezialisierter Biologe und Museumsführer in einem Naturkundemuseum einerseits immer mehr über Schlangen lerne und andererseits immer wieder mit der ganzen Palette negativer Auffassungen über Schlangen konfrontiert werde, ist mir die Aufklärung über das wahre Wesen dieser Tiere ein wichtiges persönliches Anliegen. Denn immer wieder zeigt sich mir vor allem eines: dass Ekel, Angst und Abscheu Schlangen gegenüber in den allermeisten Fällen eng mit mangelnder Kenntnis und falschen Vorstellungen von diesen Tieren verknüpft sind. Wenn man sich hingegen etwas eingehender mit Schlangen beschäftigt, dann muss man sie eigentlich lieben. Oder wird sie wenigstens als faszinierende Tiere respektieren, sobald man sie besser kennenlernt. Fast überall, wo Schlangen vorkommen, wird ihnen aber in Volksglauben und Schauermärchen eine Gefährlichkeit und Boshaftigkeit unterstellt, die mit der biologischen Realität rein gar nichts zu tun hat. Und nicht erst seit dem 21. Jahrhundert werden solche Mythen und Fehlinformationen von fantasievollen Autoren und Filmemachern hemmungslos ausgeschlachtet, nach Belieben ergänzt, maßlos übertrieben und über die Medien weltweit verbreitet. Eine Schlange ohne Zögern zu töten, oder besser noch durch Zerkleinern oder Verbrennen vollkommen zu vernichten, ist für panamaische Bauern wie für Dr. Indiana Jones eine Selbstverständlichkeit und wird oft sogar als Heldentat gefeiert.
Tatsächlich aber gibt es keinen rationalen Grund, beim Anblick einer Schlange in blinde Panik oder berserkerhafte Prügelwut zu verfallen. Das gilt weltweit – sogar für tropische Regionen, in denen einige wirklich gefährliche Schlangenarten vorkommen, erst recht aber für Mitteleuropa, wo keine einheimische Schlange einen halbwegs gesunden Menschen ernsthaft schädigen kann. Deshalb möchte ich mit diesem Büchlein den Versuch wagen, ein wenig mehr Verständnis für Schlangen zu säen. Auf den folgenden Seiten will ich traditionellem Aberglauben, irrationalen Ängsten und den damit für diese faszinierenden Tiere (wie auch für die von derlei Ängsten geplagten Mitmenschen) verbundenen Nachteilen entgegenwirken. Indem ich in wissenschaftlich fundiertem Klartext und am Beispiel meiner eigenen Erfahrungen berichte, wie Schlangen wirklich sind: ein schillernd bunter Regenbogen perfekter Raubtiere voller Schönheit, Kraft und Eleganz, mit einer schier unerschöpflichen Palette raffinierter Überlebenstricks und atemberaubender Anpassungen. Kurzum, Schlangen sind beeindruckende Ergebnisse von Milliarden Jahren Evolution, die ihren Platz auf dieser Welt schon lange vor uns Menschen gefunden haben. Und uns Menschen, seit es uns gibt, in ihren Bann ziehen.