Deutscher Novellenschatz
BAND 11
Deutscher Novellenschatz, Band 11
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 97838496661199
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Die drei Schwestern. 1
Der tote Gast. 30
Das Schloss im Gebirge. 109
Der Drache. 130
Ludwig August Kähler
Ludwig August Kähler, geboren den 6. März 1775 zu Sommersfeld in der Neumark, studierte in Erlangen Theologie, wurde 1796 Hauslehrer, dann Pastorsadjunkt, 1809 Erzdiakonus in Cottbus, 1819 Professor und Konsistorialrat in Königsberg 1843 zur Ruhe gesetzt, starb am 5. November 1855 in Wogenab am Haff. Sein Roman „Hermann von Löbeneck“, 1808, fand zu jener Zeit großen Beifall. Aus seinen kleineren Erzählungen haben wir die gegenwärtige ausgewählt, die der heutigen Lesewelt zeigen möge, wie leichtgeschürzt, heiter und anspruchslos in ihren glücklicheren Stunden unsre erzählende Muse zu Anfang dieses Jahrhunderts mitten unter den herbsten nationalen Drangsalen sich noch zu bewegen vermochte.
***
1.
Ich ritt von Sir Drunkner nach Hause. Sir Drunkner hatte Energie; ein gewöhnliches philosophisches Räuschchen widerstand ihm, wie dem Löwen der Sieg über eine Maus; der Wein musste mit seinem Verstande so gewaltig und nicht selten glücklicher als die Giganten mit den Göttern kämpfen, wenn er sich wohlbefinden sollte. Wir hatten uns auf dem Kaffeehause kennen gelernt; er hatte mich nach Altona eingeladen, und ich mit dem kräftigen Briten so heldenmäßig getrunken, dass mir gerade noch so viel Gleichgewicht blieb, auf meinem Falben zu hängen, und so viel Besinnung, den Weg nach Hamburg ohne Boten zu finden.
Es war ein schöner, kühler Maimorgen; ich sog begierig die stärkende Luft, die mir entgegen duftete, in meine erhitzte Lunge ein, während mein Falber in kurzem Galopp mich forttrug, und ahndete Schlaf bis an den hellen Mittag, und Träume so hold und erquickend, wie der dämmernde Tag um mich her. In meines Vaters Kontor war Licht. Es nahm mich Wunder, weil es erst um drei war, und ich ging hinein. Mein Vater saß vor seinem Schreibtisch; neben ihm stand Schiffer Classen, sein alter Freund und Diener. Sie sahen mich beide verwundert an und winkten sich, wie mir's schien; ich bot einen guten Morgen und wollte gehen.
Guten Morgen, Heinrich, sagte mein Vater, es ist mir lieb, dass du da bist; ich habe Geschäfte mit dir. Classen, es bleibt dabei, Punkt zwölf Uhr mittags — es soll alles besorgt werden.
Classen ging. Auf Wiedersehen, junger Herr, brummte er im Gehen und schüttelte mir die Hand mit einem Lächeln, welches auf meinen Körper die schauderhafte Wirkung hatte, als wenn jemand in einen Apfelstiel schneidet, oder an den Fenstern schnirpst.
Heinrich — sagte mein Vater, als er fort war, ohne die Feder wegzulegen — richte dich ein, zu Mittag nach Frankreich zu reisen.
Nach Frankreich, lieber Vater? — und in welchen Geschäften?
Du sollst heiraten.
Heiraten? — wiederholte ich kleinlaut, denn ich sah mich schon im Geiste im Bratenrock mit dem Myrtenkranz geschmückt, an meiner Seite eine reich vergoldete, sauber geschnitzte Jungfrau, die, an mein Herz assigniert, Zeit meines Lebens als Ladenhüter darin bleiben sollte, und die frohen Tage der Jugend flohen weg, wie spielende Kinder, wenn ein Soldat oder ein Prediger kommt — natürlich fror mich noch stärker, als vorher. —
Ja — eine Tochter des Kaufmanns Gerson aus Bordeaux.
Wie, mein Vater? eine Braut, die ich nicht kenne?
Es ist ein gutes Haus — und du hast die Wahl unter drei Schwestern.
Und wenn mir keine gefällt?
Keine Narrheiten, Heinrich! sagte mein Vater sehr ernst; alles Ding hat seine Zeit, und ich habe den deinigen Zeit genug gelassen.
Wenn ich ein Fürst wäre —
Und wenn du ein Kaiser wärest, fiel er mir hitzig ins Wort, so wärest du nur ein lockerer Zeisig, der eines Vormundes bedarf, und mein Sohn. Hier ist der Brief von Herrn Gerson, dass er deine Ankunft erwartet, und hier ist meine Antwort. Zu Mittag reisest du.
Einige Abschiedsbesuche —
Sind nicht nötig. Hier ist ein Packet Karten. Du darfst nur die Namen darauf schreiben.
Ich nahm die Karten und ging auf mein Zimmer. Heiraten? — murmelte ich bei mir selbst — und eine kleine, gelbe, magere Französin, mit plattem Busen und unverschämten brennenden Augen, die keine Minute still sein und keinen Tag leben kann, ohne einmal für deinen Kopfputz gesorgt zu haben? — und warum denn nicht in Hamburg, wenn es denn einmal sein soll? etwa die lange blonde Mamsell Sörgel? oder die kurze, runde, braune Mamsell Watermann? oder die reiche, einäugige Mamsell Funk? oder die schöne, einfältige Mamsell Adler? oder — die — witzige —
Meine Gedanken verloren sich, und der Schlaf neigte meinen Kopf, wie Blei; ich war im Begriff, aus einer senkrechten Linie ziemlich schnell eine waagerechte zu bilden, als ich erwachte und klug genug war, mich aufs Bett zu werfen, wo ich bald in den Armen des Schlafes die Schönen in Bordeaux, wie die in Hamburg vergaß.
2.
Heinrich! — schallte es in meine Ohren. Ich sprang auf, rieb mir die Augen und sah starr vor mich hin; mein Vater stand vor mir.
Willst du dich nicht anziehen? es ist elf Uhr, dein Koffer ist gepackt, und das Essen ist fertig. Der Wind steht gut, es ist um jede Minute Schade.
Ich sah mich damisch um — auf einem Stuhle lagen Reisekleider — mein Vater ging, und Georg, mein Bedienter, kam und half mich aus- und wieder anziehen.
Kommst du mit? fragte ich ihn.
Ja, Herr Waltmann.
Das ist gut! rief ich getröstet; denn es gab keinen größeren Schelm, aber auch keine treuere Seele, als meinen Georg. Mein Vater bezahlte ihn, dass er ihm meine Unbesonnenheiten erzählte — was er unbedenklich tun konnte, weil ich selbst kein Geheimnis daraus machte — ich, dass er mir sie ausführen half. Die Aussicht auf die Reise fing mich an zu ergötzen, und wenn ich einmal zur Strafe für meinen Leichtsinn, wie ein Wilddieb an den Hirsch, an eine Frau gefesselt werden sollte, so war es doch angenehmer, sie in Frankreich unter drei Schwestern zu suchen, als wenn sie mir hier aus dem Magazin der Kaufmannstöchter fix und fertig, und gut konditioniert, ohne weiteres Vorspiel zugestellt worden wäre.
Ich aß zu Mittag mit besserem Appetit, als meine Eltern und meine Schwester, und nahm ihre Glückwünsche, Tränen und gute Lehren beim Abschiede mit gleicher Gelassenheit auf. Schiffer Classen wartete mit Schmerzen. Er nahm sich nicht die Zeit mich zu bewillkommnen — kaum war ich ins Schiff getreten, so gab er das Signal; und unter dem durchdringenden Geschrei der Matrosen hoben sich die Masten, die Wimpel flatterten, die Segel dehnten sich, vom Winde gebläht, und allmählich verschwand Hamburg und die Küste des geliebten Vaterlandes aus unsern Augen.
3.
Es war meine erste Seereise nicht; ich hatte einige Mal in Handelsgeschäften England besucht. Folglich fühlte ich keine Beschwerden, als die der Langenweile, welche ein so plötzlicher Wechsel der unterhaltendsten Debauche mit der plattesten Einförmigkeit mir allerdings doppelt fühlbar machen musste.
Freund Classen tat das Seinige, diesen Dämon zu bannen, und machte den Wirt auf gut seemännisch, indem er mir tüchtig zutrank. In der Tat, Sir Drunkner und alle meine lockeren Gesellen schwelgerischer Nächte waren armselige Buben gegen den alten runzeligen, eisenfesten, mit Kupfer ausgeschlagenen Schiffspatron. Sein geräumiger Mund schien das Spundloch eines wandelnden Weinfasses, und ich sah mit schreckensvollem Erstaunen die Bouteillen französischer und spanischer Weine sich zu Dutzenden allmählich darin ausleeren, bis mir endlich die Kraft mitzutrinken, wie zu sehen, gebrach, und Classen und Georg mich auf meine Hängematte brachten, wo ich schlief, dass der Sturm des Jüngsten Gerichtes mich durch sein Schütteln nicht hätte erwecken können.
Ich liebte den Wein als ein Mittel, den Reiz einer interessanten Gesellschaft zu erhöhen, und hatte, selbst bei dem übermäßigen Gebrauche dieses Mittels, den Zweck nie aus den Augen verloren. Diese Schiffssauferei empörte mich, als ich erwachte, mit einer Empfindung, als hätte ich einen betäubenden Schlag empfangen, und keine neubelebenden Erinnerungen hatte, als die des Satyrgesichts mir gegenüber und der Anzahl von Flaschen, die in seine unergründliche Kehle geflossen waren. Ich war verdrießlich und weigerte mich standhaft, wieder von vorn anzufangen, wozu Classen mich dringend einlud.
Er bequemte sich zu einer andern Unterhaltung, weil mir diese nicht anstand, und erzählte viel von Bordeaux, von Mr. Gerson und seinen drei Töchtern. Auch dieses Gespräch verdross mich; ich zwang mich, nichts zu hören, und ging endlich in mein Kabinett, um meinen Grillen nachzuhängen.
Mein Koffer fiel mir in die Augen; ich hatte ihn noch nicht untersucht, und beschloss es jetzt zu tun, mehr zum Zeitvertreib, als aus Neugier. Meine besten Kleider, meine feinste Wäsche — Briefe an verschiedene Handlungshäuser — ein Kästchen mit einem kostbaren Ringe und dergleichen Armbändern — — ich erriet die Bestimmung, und schob es unwillig auf die Seite — sieh da! wie eine mutwillige Geliebte lauscht in die Ecke gedrückt ein Beutel — ich hob ihn auf, und mein Herz pocht' vor Freude, während meine Hand ihn prüfend wiegt — ich öffne, und finde eitel Gold, an der Zahl richtige dreihundert Louisdors.
Ich hatte an manchem Abend so viel und mehr verloren und hätte noch am letzten Abend mit Sir Drunkner unbedenklich die doppelte Summe gewettet, dass ich heute keinen Fuß aus Hamburg setzen würde; aber in der letzten Zeit hatte das Geld dem Fehler seiner runden Gestalt etwas zu sehr bei mir nachgegeben, und es war am Morgen kein Louisdor in meiner Tasche, der nicht am Abend sich in einer andern befunden hätte. Natürlich war die Ebbe stärker, als die Flut, und trotz der freigebigen Unterstützung meines Vaters war ich sicher, auf jeder der zahlreichen Straßen Hamburgs einem Gläubiger zu begegnen. Wie viel meine Hüte dabei litten, versteht sich von selbst; doch waren sie zufrieden, wenn sie mich sahen, und auf ihr Befragen hörten, dass ich mich wohl befände. Es machte mir in diesem Augenblick unbeschreibliches Vergnügen zu denken, wie diese unglückliche Horde von Mittlern, Juden, Weinhändlern, Cafetiers, Rosskämmen u. s. w. ihre Schuhe jetzt um meinetwillen ebenso stark, aber vergeblicher anstrengen würde, als ich meine Hüte um ihretwillen; und ich hätte einem klugen Manne, der dieser geldgierigen Zunft im Zauberspiegel meine Gestalt, wie ich hier im Schiff in froher Sicherheit meine Goldstücke zählte, gezeigt hätte, den dritten Teil davon mit Vergnügen geben wollen.
Allmählich verlor ich den Geschmack an dieser Szene und sann ernstlich nach, was ich mit dem Gelde anfangen möchte. Ein böser Geist lockte mich, ein Spielchen mit Freund Classen zu versuchen, bei dem ich eine reiche Börse voraussetzen musste — aber der Henker traue den alten Sündern! Ich fürchtete, meinen Mann hier so gut, als bei der Flasche, und einen elenden Zeitvertreib mit schweren Kosten zu finden. Ein besserer Geist lenkte meine Gedanken auf Paris; ich hatte London gesehen, und sollte ihre Nebenbuhlerin vorübergehen? Georg wurde gerufen, und ich sagte ihm, was nötig war.
Legen wir nicht bald an? fragte ich Classen, als sich die Küste von Frankreich zeigte.
Wo? fragte er verwundert.
In Boulogne.
Warum?
Wissen Sie nichts, Freund? Hat Ihnen mein Vater nichts gesagt?
Kein Wort.
Dass ich hier ans Land steigen und über Paris nach Bordeaux reisen soll?
Ach Possen, Finten, faule Fische, lieber Sohn! rief er und lachte, dass er sich den Bauch hielt.
Ich hoffe, Herr Classen, sagte ich ernsthaft, dass Sie mich nicht als einen Gecken ansehen und behandeln werden. Georg, sage du, war das nicht der Befehl meines Vaters?
Georg zauderte etwas — ein finsterer Blick von mir, welchen Classen nicht bemerken konnte, weil er ihn forschend anstarrte, stärkte seinen Eifer, und er bekräftigte meine Aussage.
So, so! — hm! hm! — brummte Classen und fasste mich schief mit einem prüfenden Blick ins Auge, den ich aber mit unveränderlicher Fassung aushielt — das habe ich nicht gewusst — bitte um Vergebung!
Er steuerte nach Boulogne; in wenig Stunden waren ich und Georg samt dem Koffer am Lande und einige Stunden später auf dem Wege nach Paris.
4.
Ich jauchzte laut auf, als ich die Spitze von Notre Dame und bald darauf das Häusermeer rund herum erblickte. Jetzt, im Angesichte der ersten Stadt in der Welt, fiel mir ein zu bedenken, was ich da wollte.
Genießen? — was sonst? — aber wie am besten? nach einer kaufmännischen Einteilung? — und wäre das der Mühe wert? — ich wollte nicht vergebens dreihundert Louisdors und zum ersten Male in meinem Leben volle Freiheit haben. Nach meiner Ankunft mietete ich eine Chambre garnie, nahm den Titel eines Lord Johnsbury an und tummelte mich vierzehn Tage lang, zu sehen, zu hören und zu schmecken, was sich nur immer Ausgesuchtes sehen, hören und schmecken ließ. Mein britischer Name und noch mehr mein britisches Gold machte mir leichtes Spiel, und Alles neigte sich, mir zu dienen.
Ich trug den Solitär, der meiner Braut bestimmt war. Er war locker geworden, und ich trat in den Laden eines Juweliers, ihn seiner Kur zu übergeben. Zwei Damen kamen bald darauf. Die eine war bejahrt, die andere jung und schön, so schön, dass ich das erste Mal in meinem Leben mich von einer scheuen Bewunderung ergriffen fühlte und ehrerbietig Platz machte. Sie handelte um ein Paar Ohrgehänge; der Juwelier bot ihr zu viel, und sie gab sie zurück. Ich bezahlte den geforderten Preis und bat sie, sie zum Andenken anzunehmen.
Sie sind sehr großmütig, mein Herr, sagte sie errötend und heftete ihre strahlenden Augen so forschend auf mich, dass ich vor Furcht und Vergnügen zugleich erzitterte — und diese Juwelen sind recht artig; aber wenn sie noch schöner wären, dürfte ich sie nicht von einem Unbekannten annehmen.
Ich bat vergeblich. Unwillig über diesen Widerstand wandte ich mich endlich an die Ältere und bot ihr die Ohrgehänge an, indem ich sie ersuchte, mir wenigstens die Genugtuung zu verschaffen, dass ich die Unerbittliche in ihrer Freundin verbinden dürfte. Sie betrachtete meine Gabe mit vor Begierde funkelnden Augen und griff danach, nach einigem Zaudern. Die andere sah sie strafend an und schüttelte leicht den Kopf, als sie mein Geschenk nahm.
Sie gingen wieder, und ich unglücklicher Lord war einfältig genug, sie nicht weiter zu fragen. Erst zu Hause erwachte ich, wie aus tiefem Traum; das Bild des liebenswürdigen Mädchens schwebte mir vor, und ich hätte gern noch einmal dreißig Louisdors gegeben, um sie nur noch einmal zu sehen.
Das Glück begünstigte meine Wünsche. Im théatre français sah ich meine Damen in einer Loge. Ich eilte zu ihnen und hatte die Genugtuung, von meiner Alten recht zärtlich und von meiner Erkorenen nicht unfreundlich empfangen zu werden. Ich wollte nicht vergebens ein Lord, und in Paris sein. Mit so eitler Geschwätzigkeit, als ich zu erkünsteln vermochte, unterhielt ich die junge Dame, die mir von ihrer Hüterin augenscheinlich preisgegeben wurde. Ich war mit der Schilderung meiner Flammen so zudringlich, dass sich allmählich der Sonnenschein ihres bezaubernden Gesichtes verlor und ihre Mienen ihr Missfallen so unverkennbar aussprachen, dass ich mich gedrungen fand, sie mit Teilnahme zu fragen, was sie betrübte.
Nichts, mein Herr, erwiderte sie, und sah mich so ruhig ernst an, dass ich die Augen niederschlug — als dass wir uns Beide verkannt haben.
Diese Antwort nahm mir mit meiner Zuversicht die Sprache. Ich wandte mich endlich wieder an die Alte, sagte ihr meinen Namen, und wie sehr ich ihre nähere Bekanntschaft wünschte. Sie war zurückhaltender, als ich geglaubt hatte. Ich musste die ganze Litanei von der Unzuverlässigkeit junger Männer und von der Vorsicht junger Mädchen anhören, wie sie nur eine taktfeste Dueña ableiern kann, eh' ich zur Nachricht erhielt, dass sie bei gutem Wetter mit ihrer Nichte — wie freute sich mein böses Prinzip über diese Benennung — in den Tuilerien zuweilen spazieren ginge.
Ich hatte vergessen, nach der Stunde zu fragen, und das Gewicht des Wörtchens zuweilen nach meinen Wünschen geschätzt. Die vornehme Welt schlief noch, als ich schon in den Tuilerien revierte. Meiner Kasse, aber nicht meinem Magen zum Vorteil trieb ich mein Umherlaufen, bis der Abend einbrach und Niemand zurückblieb, als elende Nachtschwärmer und Schwärmerinnen. Das ging vier Tage so fort — es ließ sich keine Tante und Nichte blicken, und ich hätte vor Zorn und vor Sehnsucht vergehen mögen.
Schon neigte sich am fünften die Sonne, und ich verfluchte in toller Hitze mich und alle Damen in und außer Paris, als meine Ersehnte mit ihrer Sauvegarde erschien. Sie erschrak über meinen Anblick, ich weiß nicht, ob über mich selbst, oder über die Empfindungen, die sich unstreitig in meinem Gesicht ausdrückten. Ich vermochte ihnen nicht länger zu gebieten und bestürmte sie mit so ernstlichen Fragen, Bitten und Versicherungen, dass ihre vorsichtige Gelassenheit sich allmählich in Teilnahme zu verwandeln schien. Ich nahm dessen wahr, ihr den Solitär, den ich wieder am Finger hatte, anzubieten; und er saß an dem ihrigen fest, eh' sie noch die Gegengründe recht überlegen konnte.
Sie machen mich zum Kinde, sagte sie nach vergeblicher Gegenwehr; ich tue so großes Unrecht, Sie anzuhören, als diesen Diamant anzunehmen. Sie selbst aber verbinden sich eine Undankbare, die es nicht einmal ahnden lassen sollte, dass sie es wider ihren Willen ist.
Umsonst beklagte ich mich über diese Härte — ich erfuhr nicht mehr. Doch schnitt sie mir nicht alle Hoffnung ab, und in einer günstigen Minute bat ich die Tante heimlich um ihren Beistand und um den Namen ihrer Wohnung.
Ich habe meiner Nichte versprochen, sagte diese, Ihnen auf keine Weise zu helfen. Folglich kann ich Ihnen auch die verlangte Nachricht nicht geben. Doch, setzte sie lächelnd hinzu, wundert es mich, dass Sie erst der Frage bedürfen.
Ich erstaunte über meine Einfalt. Ohne Sorge ließ ich sie gehen und sandte meinen Lohnbedienten nach, ihnen von ferne bis in ihre Wohnung zu folgen. Er brachte mir bald die Nachricht, dass sie in der Nähe des Palais Royal wohnten.
5.
Ich fürchtete mich zu sehr vor meiner Geliebten, als dass ich gewagt hätte, noch heute diese Kenntnis zu benutzen. Innere Unruhe trieb mich von einem Orte zum andern. Ich konnte nirgends, selbst im Theater nicht, aushalten; Talmas Lebhaftigkeit schien mir heute frostig, und das gefühlvolle Spiel der Demoiselle Georges leere Affektation. Endlich ging ich ins Palais Royal, um wenigstens in ihrer Nähe zu sein.
Der Zufall führte mich in ein Zimmer, wo gespielt wurde. Es war mir eben recht. Ich pointierte, gewann — verlor — gewann wieder — verlor wieder — und nach zwei Stunden hatte ich keinen Sou mehr in der Tasche.
Die vierzig Louisdors, welche emigriert waren, kümmerten mich wenig; doch musste ich nach Hause gehen. Georg, sagte ich, als er mich auszog, und reichte ihm die leere Börse, fülle sie morgen wieder.
Haben Sie noch Vorrat? fragte er.
Wie? was ich dir gegeben habe —
Ist hin, bis auf zwanzig Louis, wovon der Wirt noch drei zu fordern hat.
Kerl, du hast mich betrogen!
Belieben Sie meine Rechnung zu sehen?
So schaffe Rat!
Zum Reisegelde?
Ich gehe nicht aus Paris, und wenn ich auf der Straße schlafen sollte, rief ich mit Hitze.
Die Jahreszeit ist recht angenehm, sagte er spöttisch lächelnd, ein Verliebter kann es allenfalls ohne Holz aushalten, und für den Magen wird der Himmel sorgen, der ihn gemacht hat.
Was fällt dir ein?
Nichts — ich ging heute in den Tuilerien, und Ihr Solitär blitzte durch die Hecke, die mich von Ihnen trennte, so gewaltig — aber, Gott steh' uns bei, Sie haben ihn ja verloren.
Geh! — du bist ein lauernder Schelm! — das Mädchen ist ein Engel.
Vom Palais Royal.
Der Mensch sagte das mit einer so tückischen Miene, dass ich ihn betroffen anstarrte. Ich will nicht hoffen, sagte ich ernsthaft —
Dass ich scherze? sagte er wie vorhin. B'hüt mich Gott! Sie ist die ehrbare Nichte einer frommen Tante, und sie verstehen sich beide recht gut auf Juwelen — apropos, es sind ja noch ein Paar Armbänder da, die zum Solitär gehören —
Schweig! rief ich finster. — Die Aussicht, in einer Stadt, wo ich Niemand kannte, in die bitterste Armut versetzt zu werden, und mich vielleicht einer verächtlichen Dirne aufzuopfern, war nicht die angenehmste — ihr Bild, das sich in den edelsten Zügen mit in feine Seele geprägt hatte, strafte den Argwohn Lügen — und doch, wenn ich alles, besonders das Benehmen der Tante erwog, schien Georg nicht ganz Unrecht zu haben. — Unschlüssig maß ich mit großen Schritten die Stube, als Mr. Brelon, mein Hauswirt, eintrat.
6.
Monseigneur verzeihen, sagte Mr. Brelon, ein echter Pariser, dass ich so spät Ihre Ruhe störe, aber ich schätze Monseigneur so hoch, dass ich nicht umhin kann, Ihnen eine Nachricht von großer Wichtigkeit mitzuteilen.
Ich bin Ihrer Gefälligkeit höchst verbunden, Mr. Brelon; haben Sie die Güte, zu sprechen.
Meine jüngste Tochter steht in der genauesten Verbindung mit Mr. Grosbaton, dem Kammerdiener des General Joubert; Mr. Grosbaton hat eine Schwester, welche die Gunst eines Polizeibedienten besitzt der eine Tochter hat, welche mit dem Portier des Lord Whitworth einigen Umgang hat; der Portier ist der genaue Freund einer Soubrette von Mylady, und die, Soubrette die Geliebte des Tafeldeckers Sr. Exzellenz des Gesandten —
Sie führen mich in eine unsichtbare Loge der Freundschaft, Mr. Brelon, welche für das gute Herz der Pariser einen neuen Beweis gibt; aber wollten Sie nicht die Gefälligkeit haben, mir die wichtige Nachricht mitzuteilen —
Den Augenblick; Monseigneur sollten nur erst die Quelle kennen lernen, um aus eigener Einsicht zu beurteilen, in welchem Grade sie authentisch ist.
Sehr klug, vortrefflich, Mr. Brelon, Sie verbinden mich unendlich.
Ich tue meine Schuldigkeit, Monseigneur, eine Schuldigkeit, welche mir die ehrerbietigste Ergebenheit gebietet.
Ohne Komplimente, Mr. Brelon.
Ich gehorche Ihren Befehlen, Monseigneur; der Tafeldecker Sr. Exzellenz hat der Soubrette erzählt und diese dem Portier, und dieser weiter, wie Monseigneur die Güte haben werden, sich noch zu erinnern —
Vollkommen, Mr. Brelon — fahren Sie nur fort.
Dass Se. Exzellenz bei Tafel die anwesenden Herren englischer Nation gefragt hätten, ob Sie das Glück hätten, den Lord Johnsbury zu kennen; nämlich Sie selbst, Monseigneur.
Ganz wohl, Mr. Brelon, sagte ich so herzhaft als ich konnte, und zwang mich auf eine nichtssagende Weise zu lächeln, um ihm glaublich zu machen, dass ich nichts dächte.
Die Herren hätten erwidert, sie hätten diese Ehre nicht; darauf hätten Se. Exzellenz erzählt, dass sie heute bei dem Lever des ersten Konsuls gewesen wären — der erste Konsul hätte sie selbst gefragt, ob sie Monseigneur kennten, und warum Sie ihm noch nicht vorgestellt worden wären — Se. Exzellenz hätten erwidert, dass sie keinen Lord Johnsbury kennten, doch an seiner Existenz nicht zweifeln wollten, und Monseigneur könnten vielleicht wichtige Gründe haben, sich nicht öffentlich zu zeigen. — Darauf hätte der erste Konsul gesagt: ein Mensch, der sich so nennt — Monseigneur verzeihen, dass ich so unhöflich bin, seine Worte zu wiederholen — macht seit einigen Tagen die Runde in den Tuilerien, und ich wünschte genau zu wissen, ob er auf Ihren Schutz Ansprüche hat.
Ich warf einen Blick auf Georg und las in seinen Mienen gleiches Schrecken, als durch meine Adern erstarrend lief.
Das wird ein Wildbret für die Polizei sein, sind die letzten Worte Sr. Exzellenz gewesen.
Ich beteure, Monseigneur, fuhr er fort, als ich stumm blieb, bei meiner Ehre und der Achtung, welche ich gegen Sie trage, dass ich nicht so niedrig bin, den mindesten Verdacht gegen einen Mann zu fassen, dessen edelmütiges Betragen jeder Nation Ehre machen würde; sollten Sie aber auf die Vermittlung Sr. Exzellenz nicht rechnen können — Monseigneur verzeihen meine Dreistigkeit — aber Ihre Sicherheit — die meinige —
Haben Sie keine Furcht, Mr. Brelon, sagte ich so ruhig als möglich und drückte ihm dankbar die Hand; ich hoffe, es ist so schlimm nicht, und im ärgsten Fall wird es mir nicht an Mitteln fehlen, meine Unschuld zu beweisen. Ich habe vielleicht etwas unvorsichtig darauf gerechnet —
Er zuckte die Achseln.
In England ist es so Sitte, und es fällt schwer, bequeme Sitten zu ändern. Ich danke Ihnen herzlich, und bitte Sie um Ihr gütiges Andenken. Georg soll meine Schuld berichtigen und noch in dieser Stunde Postpferde bestellen.
Er verbeugte sich tief, unter wiederholten Entschuldigungen, und nahm seinen Abschied.
7.
Die Aussicht, meinen Sommeraufenthalt im Temple oder Bisêtre angewiesen zu erhalten, oder eine Spazierfahrt nach Cayenne zu machen, hatte so wenig Reizendes, dass ich Georg auf der Stelle nach Postpferden fortjagte und selbst eiligst einpackte. Während dieses Geschäftes überlegte ich, wohin. Mit fünfzehn Louisdors — denn Herr Brelon hatte seine Rechnung, die nach Georgs Meinung drei Louis betrug , auf fünf gestellt, pour prendre congé — ließ sich keine Reise um die Welt machen; auf meine Geige durfte ich auch nicht reisen, so sehr mein Spiel immer im Liebhaberkonzert gerühmt worden war; und ich hatte mich daheim zu wenig um die Handlung bekümmert, um mich eines Handlungsfreundes von meinem Vater zu erinnern, deren es in Paris unstreitig mehrere gab, die mich unterstützen konnten. Nach Bordeaux, sagte ich endlich halblaut; wir wollen sehen, was der Schwiegerpapa und die bräutliche Dreifaltigkeit macht; ohne Geld kann doch der Alte den Schwiegersohn nicht lassen, und ich will so lange zwischen den Reizen seiner drei Töchter schwanken, bis sich eine Gelegenheit, ihnen glücklich zu entwischen, findet.
Die Pferde kamen, und es ging ohne Aufenthalt nach Orleans. Mein Reisegeld war sehr geschmolzen, und ich wollte bei Mr. Gerson nicht als ein Bettler einziehen. Die Armbänder meiner unbekannten Braut kamen mir wie gerufen; ich schickte Georg in Orleans zu einem Juwelier, sie zu verkaufen. Sie waren zweihundert Louisdors wert — Georg brachte mir achtzig dafür, die er unter der Bedingung genommen hatte, dass er erst um meine Einwilligung fragen wollte. Ich schüttete sie in meine Börse und reiste ab.
Die Fahrt nach Bordeaux ging schnell und angenehm. Zuweilen flog mein Herz wieder nach Paris zurück zu der schönen Unbekannten; aber mein ganzes Leben zu Paris glich einer Erscheinung im Traume, wie viel mehr diese Liebe von wenig Tagen? Allmählich verloren sich die Eindrücke, welche sie auf mich gemacht hatte, und als ich vor dem Hause des Mr. Gerson abstieg, fühlte ich die beste Laune von der Welt, mich in jede seiner Töchter der Reihe nach zu verlieben und dann nach Hamburg so schnell und frei und fröhlich zurückzureisen, als von Paris nach Bordeaux.
8.
Das Haus meines prädestinierten Schwiegervaters machte keine üble Miene. Mein Name schien dem Bedienten, der an den Wagen kam, so melodisch zu klingen, als ein Dutzend Goldstücke; er überhäufte mich mit Höflichkeit und führte mich zu Mr. Gerson.
Mr. Gerson war noch einen Kopf unter Pariser Maß, breitschulterig, mager und etwas schief gewachsen. Eine starke Platte verlängerte seine an sich hohe Stirn, und seine eingefallenen, lederfarbigen Wangen seine an sich riesenförmige spitze Nase. Umso kleiner hatte die Natur seine Augen und seinen Mund gebildet; aus jenen blitzte die Lebhaftigkeit eines Franzosen, wie die Strahlen der Sonne durch eine Glinze, und dieser spitzte sich wie eine Rosenknospe, auf gelben Grund gestickt. Er umarmte mich feurig, was ihm bei meiner ansehnlichen Figur nur durch einen Sprung gelang, welchen nur ein Franzose mit Anstand machen kann; und zu meiner Verwunderung strömten aus der Öffnung, die ihm statt des Mundes diente, so viel verbindliche Worte, dass ich meine Teilnahme durch nichts, als ein abwechselndes Monsieur! — ah — pardonnez — an den Tag legen konnte.
Es war ungefähr die Zeit des Abendessens, und nach einer Viertelstunde servierte ein Bedienter zu zwei Couverts. Gewiss, dachte ich bei mir selbst, hat dieser wackere Mann seine drei Töchter unter Schloss und Riegel, um dir für gute, aufrichtige Ware stehen zu können. Aber, wenn sie ihm ähnlich sind, werden ihre Bildnisse nie in der Galerie des Louvre hängen, und sie könnten vor Liebhabern nie sicherer sein, als wenn sie gesehen werden.
Zu meiner Zufriedenheit hatte Mr. Gerson so ausgesuchten Wein, dass ich bei der zweiten Flasche vergaß, ich sei nach Bordeaux gekommen, der Venus und den Grazien, nicht dem Bacchus zu opfern. Er selbst trank trotz einem neuen Franzosen und einem alten Deutschen. Allmählich glühten seine Wangen stellenweise wie Nordschein, und seine Augen zogen sich in demselben Maße zu einem fast unerkennbaren Punkt zusammen, als sein Herz sich zu unbegrenzter Liebe und Vertraulichkeit auszudehnen schien.
Ihr Herr Vater, sagte er, ist gewissermaßen der Urheber meines Glückes. Sie wissen wohl, dass ich bei ihm in Kondition gewesen bin.
Mein Vater hat mir davon gesagt.
Er empfahl mich an Mr. Pigeonneau, den ehemaligen Besitzer dieses Hauses und dieser Handlung. Ich hatte das Glück, ihm und seiner einzigen Tochter zu gefallen —
Ich finde das sehr natürlich, Mr. Gerson.
Sie sind sehr verbindlich, Mr. Waltmann — und so wurde ich der Erbe seines Vermögens. Meine Frau schenkte mir drei Töchter und starb, als sie mit der dritten im Kindbett lag.
Ich fühle die Schmerzen, die Sie ausgestanden haben.
Die Hölle kennt nichts Ähnliches; glücklicherweise fand ich eine weitläufige Verwandte, eine gute, leidliche Person, die sich nach meinem Charakter bequemte —
Welches Glück für einen so unglücklichen Witwer!
Und mir die Last der Erziehung und der Haushaltung abnahm, die sich mit meinen ausgebreiteten Geschäften nicht vertrug. Sie erwies mir diesen Dienst, bis meine Töchter herangewachsen waren; dann versorgte ich sie an einen meiner Kommis, dem ich statt der Ausstattung eine kleine Handlung etablierte.
Sie war dieser Belohnung würdig. Doch konnten Ihre Demoiselles Töchter Ihnen diesen Verlust ersetzen?
Ach, Mr. Waltmann, sie hatte sie aufs Beste erzogen, und zu Hausfrauen so gut, als zu Damen von gutem Ton gebildet. Ich vermisste nichts, was meine Zufriedenheit befördern konnte, wären sie nur weniger schön, oder wenigstens nicht alle drei gleich liebenswürdig gewesen.
Ein ganz außerordentliches Unglück, Mr. Gerson.
Ich gestehe Ihnen meine väterliche Schwachheit, ich hielt es anfangs für mein größtes Glück und war stolz darauf, dass ganz Bordeaux, ja die ganze Provinz nichts Ähnliches ausweisen konnte. Es fehlte nicht an Liebhabern —
Das versteht sich von selbst, und ich wundere mich nur, die Mauern Ihres Hauses noch in so gutem Stande zu sehen.
Die bald die eine, bald die andere sich geneigt zu machen suchten. Aber meine Töchter waren zu klug, zu gesetzt und der Lehren ihrer Pflegemutter zu eingedenk, um sich in ein Spiel von Empfindungen einzulassen, das wohl zu Abenteuern, aber nicht zu einer ehrenvollen Versorgung führt.
Wie alle Spiele, Mr. Gerson.
Sie äußern für Ihr Alter sehr lobenswürdige Gesinnungen, Mr. Waltmann. — Sie wollten ihre künftigen Männer erst kennen, und dann lieben; und Jeder, der sich um sie bewarb, erhielt Zutritt in meinem Hause, um meine Töchter gleichfalls näher kennen zu lernen, während er selbst sich der Prüfung bloßstellte.
Welche Weisheit! Gewiss, Ihre Töchter, Mr. Gerson, sind nicht bloß die Grazien, auch die Minerven von Frankreich!
In Wahrheit sehr gute Mädchen, Mr. Waltmann — aber diese lobenswürdige Vorsicht hatte sehr unangenehme Folgen. Kein junger Mann von Geschmack und Empfindung kam in mein Haus, der nicht bei näherer Bekanntschaft immer unschlüssiger in seiner Wahl geworden wäre. Sie wurde umso schwieriger, weil meine Töchter sich gegenseitig verbunden hatten, keinem eher die mindeste Aufmunterung zu geben, und jedes Gefühl von Liebe in sich selbst zu ersticken, bis eine von ihnen unter den angeführten Bedingungen die Wahl getroffen hätte.
Unglaublich, Mr. Gerson.
Ich würde selbst daran zweifeln, hätte ich nicht die Erfahrung selbst gemacht; aber, auf das Wort eines ehrlichen Mannes, wenigstens dreißig anständige Partien sind auf diese Weise für meine Töchter verloren gegangen.
Das macht zehn für jede; aber Sie betrüben mich tief, Mr. Gerson, durch eine Erzählung, die mich erwarten lässt, ich sei von Hamburg nach Bordeaux nur darum gereist, einen neuen Beitrag zur Ausfüllung des vollen Schocks zu gewähren.
Erlauben Sie — in einem freundschaftlichen Briefe an Ihren Herrn Vater beklagte ich mich darüber und schilderte ihm meine ganze Lage. Er antwortete mir, er hätte einen einzigen Sohn, einen talentvollen, gutgearteten —
Ich verneigte mich.
Aber etwas unordentlichen und seinem feurigen Temperamente sich zu sehr überlassenden jungen Mann —
Pardieu! rief ich, und kratzte meinen Tituskopf, mein Vater schmeichelt seinen Kindern nicht!
Und es würde ihn sehr freuen, ihn mit einer meiner Töchter verbunden zu sehen, wenn er ihr Herz und meinen Beifall gewinnen könnte. Ich antwortete ihm, dass mir nichts angenehmer sein könnte, als eine so genaue Verbindung mit dem Hause meines alten Freundes und Wohltäters — dass ich einem Manne von solchen Eigenschaften, als er seinem Sohne beilegte, meinen Beifall nicht versagen würde, weil ich die Unbesonnenheiten der Jugend gehörig zu würdigen wüsste.
Sehr verbunden, Mr. Gerson! da sieht man was Weisheit aus eigener Erfahrung vor gelernter voraus hat.
Ach! Mr. Waltmann! ein Franzose berührt und verbindet stets die Extreme.
Ich dachte im Stillen an den Vater und seine drei Töchter.
Und geht durch die Unordnung zur Regelmäßigkeit, und durch die Ausgelassenheit (libertinage) zu den Tugenden eines Familienvaters über.
Die Deutschen tun ein Gleiches, Mr. Gerson; nur wird ihnen der Übergang nicht so leicht.
Was aber das Herz meiner Töchter anbeträfe, so dürfte ich auf ihre kindliche Ergebenheit zu sehr rechnen, um zu fürchten, dass ich zu viel verspräche, wenn ich seinen Sohn meinen künftigen Schwiegersohn nennte.
Sie entzücken mich durch Ihre Güte, Mr. Gerson.