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DEBBIE
MACOMBER

Wolkenküsse

Short Story

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Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »Falling for Her« bei Ballantine Books, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC, New York.

E-Book-Ausgabe 2016

bei Blanvalet Verlag, einem Unternehmen

der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright der Originalausgabe © 2015 by Debbie Macomber

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2016 by

Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Copyright der Leseprobe aus Silver Linings © 2015 by Debbie Macomber

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de, München

Umschlagmotiv: www.buerosued.de und living4media/Jalag/Szczepaniak, Olaf

LH · Herstellung: kw

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-20850-9
V003

www.blanvalet-verlag.de

1

Ich bin ein eher unkomplizierter Typ mit einer komplizierten Vergangenheit. Als es vor ein paar Jahren so aussah, als würde mein Leben zu meiner persönlichen Hölle werden, erschien mir Cedar Cove als die ideale Stadt, um mich dort in einem Loch zu verkriechen, also tat ich genau das. Ich verfügte über die verschiedensten Fähigkeiten, hatte aber nicht die Absicht, einen geregelten Job anzunehmen. Ich brauchte das Einkommen nicht, das mir eine feste Arbeitsstelle einbringen würde. Ich hatte Geld genug, aber damit konnte ich mir kein Glück kaufen, und ganz sicher verhalf es mir nicht zu innerem Frieden.

Was ich brauchte, war eine Möglichkeit, meine Vergangenheit sowie die Fehler, die ich gemacht, und die Menschen, die ich verletzt hatte, zu vergessen. Der einzige Weg, dies zu erreichen, bestand für mich darin, mich der Aufgabe zu widmen, anderen zu helfen, weswegen ich Handwerker und Schreiner wurde. Ich kann die Jobs übernehmen, die mir zusagen, und die ablehnen, die mir nicht liegen. Meine Preise sind moderat, und ich bin gut in dem, was ich tue. Ich habe eine Beschäftigung und halte mich unter dem Radar. Und was am wichtigsten ist, ich hänge nicht dauernd in der Vergangenheit fest.

Während dieser letzten Jahre habe ich ein relativ unauffälliges Leben geführt, bis sich alles änderte – oder den Bach runterging, wie meine Mutter es ausgedrückt hätte. Ich habe nie verstanden, was dieser Spruch bedeuten sollte, bis ich Jo Marie Rose kennenlernte.

Jo Marie zog in die Stadt, nachdem ihr Mann in Afghanistan ums Leben gekommen war. Sie kaufte ein Bed & Breakfast der etwas gehobeneren Kategorie und benannte es in The Rose Harbor Inn um. Nicht lange nach ihrer Ankunft gab ihr jemand meine Nummer, und sie rief mich an, um mich mit der Anfertigung eines neuen Schildes für das B & B zu beauftragen.

Nach meinem ersten Eindruck von Jo Marie stand für mich fest, dass die Frau die reinste Pest war. Ich arbeite nach meinem eigenen Zeitplan und nicht nach dem anderer Leute. Jo Marie, die aus der Geschäftswelt kam, war anders gepolt. Wenn sie mich für einen Job anheuerte, wollte sie ihn möglichst gestern schon erledigt haben. Ich kann die Male nicht mehr zählen, die ich ihr gesagt habe, sie hätte sich an jemand anderen wenden müssen, wenn sie es derart eilig hätte. Das tat sie nie. Stattdessen ging sie mir um den Bart und bestach mich mit selbst gebackenen Plätzchen und einem Lächeln, das Beton zum Schmelzen bringen könnte.

Ich schnitzte ihr dieses Schild für das B & B. Jo Marie gefiel meine Arbeit, und ich muss zugeben, dass ich selbst auf das Ergebnis stolz war. Es hatte zwar länger gedauert, als ihr lieb war, aber am Ende war Jo Marie zufrieden. Zufrieden genug, um mich für eine lange Liste anderer Projekte anzuheuern, die auch das Anlegen eines Rosengartens und den Bau eines großen Pavillons umfasste.

Wegen der Verschönerungsarbeiten, die ich für sie ausführen sollte, verbrachte ich ziemlich viel Zeit mit ihr. Es dauerte nicht lange, bis ich merkte, dass sich hier ein Problem anbahnte: Ich genoss ihre Gesellschaft entschieden zu sehr. Ich entwickelte ein viel zu großes Interesse an dem, was sich in ihrer Welt abspielte, statt auf Distanz zu bleiben. Ich brauchte eine Pause, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Daher erfand ich einen Vorwand und sagte ihr, ich könne ein paar Tage nicht für sie arbeiten, weil ich mich um andere Projekte zu kümmern hätte. Was auch zutraf – na ja, gewissermaßen.

Ich hatte begonnen, eine Wiege zu schreinern. Gott allein weiß, warum. Die Idee dazu kam mir mitten in der Nacht, und ich konnte an nichts anderes mehr denken. Bevor ich wusste, wie mir geschah, hatte ich die Entwürfe gezeichnet und das Holz gekauft. In jeder freien Minute, die mir blieb, arbeitete ich an dieser Wiege. Das Design war wunderschön, das Kopfteil ein echtes Kunstwerk, auch wenn ich das selbst sage.

Bleibt die Frage: Was zum Teufel sollte ich mit einer Wiege anfangen? Die Schnitzerei auf dem Kopfteil stellt eine kunstvoll gestaltete Waldszene dar: Eine Eiche breitet ihre mächtigen Äste über dem Bodenbereich aus, und Geschöpfe des Waldes lassen sich im Geäst nieder. Die erste Figur, die ich schnitzte, war eine Eule, später nisteten sich Eichhörnchen ein und horteten in einem Astloch Nüsse für den Winter. Ein Kaninchen kauerte vor dem Stamm, und Bienen summten um einen geschickt verborgenen Stock herum.

An dem Morgen, nachdem ich mit dem Projekt begonnen hatte, fühlte ich mich frei: Es bestand keine Notwendigkeit, zu Jo Marie hinüberzueilen. Zum ersten Mal seit langer Zeit gehörten mein Tag und meine Zeit mir allein. Ich brauchte das. Komisch war nur, dass ich dem Drang – nein, dem Verlangen – widerstehen musste, eine Pause einzulegen und nach ihr zu sehen. Mittlerweile hätte sie den Kaffee für mich fertig, und sie wusste genau, wie ich ihn mochte. Die Frau hatte ein Talent dafür, die besten Plätzchen zu backen, die ich je gegessen habe. Ich konnte locker ein halbes Dutzend davon verdrücken, bevor ich mich an die Arbeit machte, und sie hatte immer einen reichlichen Vorrat da.

Ich hatte ihr Spiel längst durchschaut. Sie benutzte die Plätzchen als Köder, und das funktionierte besser, als ich es mir eingestehen mochte. Sowie ich auf und angezogen war, machte ich mich auf den Weg zu ihr. Es hatte sich so eingespielt, dass ich meine erste Tasse Kaffee mit Jo Marie trank, wenn sie nicht mit ihren Gästen beschäftigt war. Es war ein geringer Preis, dafür jeden Morgen um acht Uhr herum dort aufkreuzen zu müssen. Kam ich später, hatte Jo Marie die Plätzchen in der Gefriertruhe verstaut, und ich ging leer aus. Die Frau war ganz schön raffiniert.

Ich atmete die frische Morgenluft mit dem leichten Salzduft in tiefen Zügen ein, als ich zu meiner Werkstatt hinüberging. Ich war nicht in der Stimmung für Gesellschaft. Wenn ich ehrlich war, wollte ich die Außenwelt komplett aussperren. Jo Marie hatte mich dressiert wie ein Zirkuspferd, und ich hatte eine Entscheidung getroffen: Schluss damit. Ich würde die Kontrolle über mein Leben zurückgewinnen. Wegen ihr hatte ich eine Reihe anderer Jobs abgelehnt, ihren Projekten immer oberste Priorität eingeräumt.

Und heute würde ich diesen Kurs ändern. Die einzige Möglichkeit, sie mir aus dem Kopf zu schlagen, bestand darin, Ausflüchte zu erfinden, um mich von ihr fernzuhalten. Meine Gedanken kreisten viel zu sehr um Jo Marie, und ich würde Schritte unternehmen, um dem ein Ende zu setzen.

Mich geistig und körperlich mit Holzarbeiten zu beschäftigen half mir, meine Geister in Schach zu halten. Eine oder zwei Stunden lang gelang es mir, die Freunde, die ich zurückgelassen hatte, zu vergessen und das Übelkeitsgefühl zu verdrängen, das der Gedanke an sie in meiner Magengrube auslöste.

Dieser Tag gehörte mir allein, und ich gedachte, jede Minute davon auszukosten. Ich trug meine erste Tasse Kaffee in meine Werkstatt und schloss die Tür ab. Ich wollte weder gestört noch unterbrochen werden.

Alles ließ sich gut an, bis der Tisch, auf dem die Wiege und die Elektrowerkzeuge standen, plötzlich mit einem Geräusch, das laut genug war, um einem Überschallknall Konkurrenz zu machen, in sich zusammenbrach und meine Beine unter sich begrub. Augenblicklich durchzuckte mich ein sengender Schmerz. Ich biss die Zähne zusammen und holte tief Atem, weil ich fürchtete, das Bewusstsein zu verlieren. Kann sein, dass ich wirklich kurz ohnmächtig war.

Als sich der Raum nicht länger um mich drehte, versuchte ich den Tisch anzuheben, aber das erwies sich als unmöglich. Ich hatte keine Chance, die Kraft aufzubringen, ihn hochzustemmen oder unter den schweren Werkzeugen hervorzukriechen. Wenn ich mein Handy bei mir hätte, hätte ich Hilfe herbeirufen können, aber das lag im Haus. Ich hatte nicht behelligt werden wollen, und das war nun der Preis für meine Dummheit.

Die Schmerzen hielten unvermindert an, und ich spürte, wie ich zwischen Bewusstsein und Ohnmacht hin und her driftete. Weil ich Kontakte zu anderen Menschen bewusst auf ein Minimum reduziert hatte, konnte ich nur Spekulationen darüber anstellen, wie lange es dauern würde, bis ich gefunden wurde.