Zum Buch
Die CSU steht vor einer Zäsur: Parteichef Horst Seehofer will abtreten, spätestens im Jahr 2018. Doch nun hadert der alte König mit seinem Entschluss. Denn die CSU, die bislang so selbstverständlich zum Freistaat gehört wie der weiß-blaue Himmel, steht unter Druck, durch die Flüchtlingskrise und den Aufstieg der AfD. Bei den Bundes- und Landtagswahlen 2017 und 2018 geht es für die Partei nicht nur um die absolute Mehrheit in Bayern und den Einfluss in Berlin, sondern um ihre Zukunft.
SPIEGEL-Korrespondent Peter Müller berichtet vom Machtkampf, der hinter den Kulissen tobt: vom Ringen zwischen Seehofer und Bayerns Finanzminister Markus Söder und vom Kampf mit Kanzlerin Angela Merkel um die Seele der Unionsparteien.
Zum Autor
Peter Müller begleitet die CSU in Bayern und Berlin seit über zehn Jahren als Journalist, zunächst für »Welt am Sonntag« und »Handelsblatt«, dann sechs Jahre für den SPIEGEL. Er war mit Horst Seehofer im Bierzelt bei Straubing, als diesen die Enthüllungen über sein uneheliches Kind verfolgten, diskutierte mit Ilse Aigner bei Almwanderungen, ob man einem wie Söder trauen kann, und ließ sich von Söder seinen Nürnberger Stimmkreis zeigen, in dem die Eiscafés noch aussehen wie in den fünfziger Jahren. Müller ist Volljurist und hat in Harvard studiert, seit einigen Monaten arbeitet er als Korrespondent des SPIEGEL in Brüssel.
Peter Müller
Der Machtkampf
Seehofer und die Zukunft der CSU
Deutsche Verlags-Anstalt
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Umschlag: Büro Jorge Schmidt, München
Umschlagmotiv: Picture Alliance/dpa
Typografie und Satz: DVA/Andrea Mogwitz
Gesetzt aus der Minion
ISBN 978-3-641-20040-4
V002
www.dva.de
Für Inga
Inhalt
Los geht’s
Kapitel 1
Drei Ecken, ein Elfer: Seehofer und seine Nachfolger
Seehofer: Die letzten Stufen
Söder: Der Schaumkronenschläger
Aigner gegen Söder: Empathie gegen Ego
Weber und Guttenberg: Lachende Dritte?
Kapitel 2
Mia san mia: Seehofer, die Kanzlerin und die CSU in Berlin
Seehofer und Merkel: Eine politische Zugewinngemeinschaft
Das Betreuungsgeld: Bayerischer Zündstoff für Berlin
Der Fall Edathy: Härtere Bandagen
Die Maut: Dobrindts einsamer Kampf
Die Flüchtlingskrise: Bruch mit der Kanzlerin
Kreuth und kein Ende: Die Debatte um eine bundesweite CSU
Kapitel 3
Jahre der Entscheidung: 2008, 2013 – und 2018?
Sieg ohne Sicherheit: Die Nacht der bayerischen Landtagswahl 2013
Das Vermächtnis: Stoibers letzter Tag
Bayern im Wandel: 2008 und das Ende der absoluten Mehrheit
Stammkunde vor Laufkunde: Die neue Strategie für 2013
Der Schmutzkampagnero: Schlammschlacht gegen die Grünen
Die CSU unter Strom: Schlingerkurs in der Energiepolitik
Prawda.de: Das Aus für den »Bayernkurier«
Im War Room: Wahlkampf in den sozialen Netzwerken
Schon wieder eine Schicksalswahl: Die langen Schatten von 2018
Kapitel 4
Drama, Fallhöhe und Sturz: Seehofer und sein Personal
Eine Berliner Liaison: Doppelleben mit Folgen
Die Rückkehr: Sünder ohne Reue
Aufbruch mit Seehofer: Die Generation 50 minus X
Mann im Rausch: Wahlkampf mit Guttenberg
Ein paar Nummern kleiner: Die Brunzkartlerin
Die mickrigen Vier: Das Kreuz mit dem Berliner Personal
Mobbing eines Ministers: 460 Jahre – und dann das
Fehlbesetzung im Agrarressort: Minister im Fettnapf
In Seehofers Welt: Berater und Maschinisten
Kapitel 5
Aus Bayern in die weite Welt: Die CSU macht Außenpolitik
Ach, Europa! Die CSU, Brüssel und die Eurorettung
»Den Emir haben wir«: Mit Seehofer im Ausland
Im Champagnertrainingslager: Die CSU-Landesgruppe auf großer Fahrt
Und, wie geht’s weiter?
Dank und Literaturhinweise
Bildteil
Personenregister
Los geht’s
»Um in Bayern zu regieren, muss man sich auf die Spielregeln verstehen. In Bayern muss man, damit die Volksseele kocht und wieder still wird, simplere Mittel anwenden als in der übrigen Welt. Anderswo muss man krumm regieren: in Bayern senkrecht.«
Lion Feuchtwanger, »Erfolg«
Im Sommer vergangenen Jahres war die CSU eine Partei im Sinkflug, ein konservatives Auslaufmodell, ein bajuwarischer Witz. Die EU-Kommission in Brüssel hatte die Maut für Ausländer gestoppt, das Prestigeprojekt der Partei, und das Bundesverfassungsgericht erklärte ihr zweites Lieblingsvorhaben, das Betreuungsgeld, für verfassungswidrig.
Am Kabinettstisch in Berlin drohte die Handschrift der CSU zu verblassen, aus allen Ecken Deutschlands ergossen sich Spott und Häme über die Christsozialen, ein Zustand, der für die Partei schon immer gefährlich war. Betreuungsgeld und Maut, das wirkte mit einem Mal wie die politische Variante von Schuhplattln und Fingerhakeln. Die Vorstöße der CSU galten bloß noch als bayerische Spleens, als Schrullen einer übergeschnappten Regionalpartei. Folklore, unterhaltsam, aber unerheblich.
Hinzu kam ein Parteichef, der erkennbar nicht mehr bei Kräften war und der sich in Scharmützeln mit seinem drängelnden Thronfolger Markus Söder verschliss. Immer wieder ersann Horst Seehofer neue Finten, um seinen für 2018 selbst angekündigten Abschied hinauszuzögern. Es wirkte, als wüsste ein alter Mann nicht, wann es Zeit ist zu gehen. Wenn die einstige bayerische Staatspartei bei politisch Interessierten überhaupt noch eine Gemütsregung hervorrief, dann war es Mitleid. Für eine Partei, die schon immer zwischen Hybris und Selbstzweifeln schwankte, kam das einem Todesurteil gleich.
Ein Jahr später, im Herbst 2016, ist von diesem Mitleid nicht viel geblieben. Wenn schon, dann hat sich die Häme in Hass verwandelt, und das ist ein Gefühl, mit dem die CSU weit besser leben kann. Parteichef Seehofer sitzt so fest im Sattel wie seit der Landtagswahl 2013 nicht, als er mit der CSU die absolute Mehrheit der Sitze im bayerischen Landtag zurückeroberte. Und laut Umfragen käme die Partei beinahe auf 20 Prozent, wenn sie in ganz Deutschland antreten würde.
Der Streit um die Frage, wie viele Flüchtlinge Bayern und Deutschland aufnehmen können, katapultierte Seehofer zurück in die erste Reihe der deutschen Politik und, genauso wichtig, vielleicht zum ersten Mal ins Herz seiner Partei. Natürlich ist die Flüchtlingskrise eine große Belastung für Bayern, und in manchen Teilen Deutschlands wirkt Seehofer mit seiner Daueropposition gegen die eigene Kanzlerin wie ein weiß-blauer Donald Trump – rechts, populistisch, vielleicht sogar gefährlich. Doch für die CSU und ihren Vorsitzenden ist die Krise ein Lebenselixier.
Angesichts der Flüchtlinge, die nach Deutschland drängen und später der Anschläge in Bayern, beharrt Seehofer auf Abschottung, Grenzkontrollen und Obergrenzen, ausgerechnet der Chef der Schwesterpartei stieg so zum prominentesten Widersacher von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf. Bisweilen wurde die Debatte innerhalb der Unionsparteien so hart geführt, dass manche Beobachter fast schon mit Sehnsucht an die beinahe heile Welt von einst zurückdachten, an den Streit um so harmlose Dinge wie die Mütterrente etwa.
Die Flüchtlingskrise ist ein Machtkampf mit höherem Einsatz. Es geht um die Entscheidung, welches Land Deutschland künftig sein wird. Für die CSU als Partei ist das zugleich eine Überlebensfrage, was die Sache nicht entspannter macht. Denn Merkels »Wir schaffen das« droht der CSU dort zu schaden, wo schon immer über ihr Schicksal entschieden wurde – bei der bayerischen Landtagswahl. 2018 müssen die Christsozialen ihre absolute Mehrheit verteidigen. Von den Jahren von 2008 bis 2013 abgesehen, gelingt ihnen das seit Anfang der sechziger Jahre ununterbrochen. Die CSU ist eine Dynastie, nur die Wittelsbacher regierten Bayern länger.
»Wenn die Asylpolitik nicht korrigiert wird, dann geht das an die Existenz von CDU und CSU«, sagte Seehofer bereits im Oktober 2015. Der Satz löste viel Kopfschütteln aus, und er ist auch nicht ganz korrekt: Er stimmt nur für die CSU. Die CDU kann damit leben, dass ihre – wenigen verbliebenen – Ministerpräsidenten mit mageren Ergebnissen um die 30 Prozent und mit verschiedensten Partnern in Koalitionen von Jamaika bis Kenia regieren. Die Hürde für die Existenzberechtigung der CSU liegt höher – bei genau der Hälfte der Mandate im bayerischen Landtag. Die CSU ist eine Partei, die ständig am Abgrund balanciert.
Eine CSU ohne Alleinregierung in Bayern ist nichts, sagt Horst Seehofer mit der ihm eigenen Dramatik. Doch ausnahmsweise übertreibt er nicht. Das Herz der CSU schlägt in Bayern, zwischen der Wieskirche und dem Kloster Banz wurzelt ihre Stärke, hier hat sie knapp 144 000 Mitglieder, hier verfügt sie über Tausende Gemeinderäte, Bürgermeister und Landräte. In Kombination mit der Landesgruppe der CSU im Deutschen Bundestag kann ihr das eine Durchschlagskraft verleihen, die keine andere Unions-Landespartei zu erzielen vermag. Bayerns Ministerpräsident ragt daher aus der heute recht farblosen Gruppe der Länderregierungschefs heraus. Wenn er in Berlin verhandelt, sitzt der Freistaat mit am Tisch, und in Bayern gilt er manchen noch immer als eine Art Ersatz-Fürst.
Als Seehofer nach dem Verlust der absoluten Mehrheit 2008 Parteichef und bayerischer Ministerpräsident wurde, war die CSU in der Krise. Das langfristige Überleben der Partei stand auf dem Spiel, das macht seine ersten Jahre an der CSU-Spitze so entscheidend. 2018 wird erneut eine Schicksalswahl für die CSU und ihren Parteichef sein. Die Ausgangsbedingungen für einen Erfolg der Christsozialen sind nicht besser geworden, im Gegenteil: Das Verhältnis zur Kanzlerin ist auf lange Zeit zerrüttet, und mit der AfD hat ein neuer, gefährlicher Herausforderer am rechten Rand die Bühne betreten.
Für Seehofer geht es auch um seinen Platz in der Partei-Geschichte. 2018 wird sich entscheiden, ob sein Name für eine neue Ära in der CSU steht oder ob sein Wahlsieg 2013 nur ein Zwischenhoch war beim unaufhaltsamen Abrutschen zur CSU in die zumindest bundespolitische Bedeutungslosigkeit. Es wäre ein schnödes Ende, gut 40 Jahre, nachdem sich die Partei mit dem Kreuther Trennungsbeschluss 1976 für einen kurzen Augenblick sogar dazu aufschwingen wollte, Wähler in ganz Deutschland zu erobern.
Hinzu kommt, dass Seehofer derzeit an zwei Fronten ringt: Neben dem Machtkampf mit Merkel um die richtige Politik in Berlin geht ein zweiter Machtkampf in seine entscheidende Runde – der um die Nachfolge Seehofers. Selten seit den Zeiten von Franz Josef Strauß war das Machtzentrum der CSU so klar definiert, wie in den Seehofer-Jahren. Spätestens seit die Plagiatsaffäre Karl-Theodor zu Guttenberg im März 2011 in die USA wehte, gab es keine Alternative zu dem Mann, der erst durch das Wahldebakel 2008 überhaupt Parteichef werden konnte. Doch selbst die neugewonnene Popularität in der Flüchtlingskrise schützt Seehofer nicht vor der Debatte über sein Ende.
Eigentlich hatte Seehofer im Wahljahr 2013 angekündigt, 2018 abtreten zu wollen. Glaubt man den üblichen Regeln des Politikbetriebes, war diese Aussage ein schwerer Fehler. Ein Chef, der sich selbst ein Verfallsdatum gibt, wird zum Auslaufmodell oder, wie die Amerikaner sagen, zur »lame duck«. Die Macht, Ämter zu verschaffen oder zu strafen, schwindet. Bei Seehofer ist das nicht anders, zumal Markus Söder schon ewig in den Startlöchern steht. Bayerns Finanzminister will nicht als Prinz Charles der bayerischen Politik enden, er will nicht länger Thronfolger sein, sondern Regent. Doch putschen kann er nicht, zu tief steckt der Partei noch das Trauma vom Stoiber-Sturz 2007 in den Knochen.
Seehofer wiederum schiebt die Entscheidung seiner Nachfolge immer weiter auf, er zaudert, seine Ämter an Söder zu übergeben. Die beiden sind sich seit Jahren in herzlicher Abneigung verbunden. Es ist ein Gleichgewicht des Schreckens: Söder wartet auf seine Gelegenheit, Seehofer loszuwerden, und Seehofer darauf, seinem Kontrahenten den Aufstieg an die Spitze des Freistaates womöglich doch noch zu verbauen. Beide haben alte Rechnungen offen, auch das spielt eine Rolle.
Mehr als in anderen Parteien geht es in der CSU zu wie in einer großen Familie. Das verleiht den Rangeleien zwischen ihren Spitzenpolitikern eine besondere Würze. Persönliche Schwächen, frühere Ehepartner, heimliche Affären – man kennt sich und weiß vieles voneinander. Ilse Aigner und Markus Söder etwa ringen nicht erst heute um die Macht, sie wetteiferten schon vor über 20 Jahren an der Spitze der Jungen Union miteinander. In anderen Teilen Deutschlands wäre klar, wie ein Rennen zwischen Söder und Aigner ausginge, doch Bayern ist anders. Hier wurde, vor allem in der CSU, schon immer mit härteren Bandagen gekämpft. Und so geht es beim Duell um die Seehofer-Nachfolge auch um die Seele der Christsozialen und die Frage, welche Partei die CSU künftig sein wird: Will sie ihr Raufboldimage pflegen, oder sind die Tage der Kraftpolitik auch in Bayern gezählt?
Es menschelt in der CSU weit stärker als in der oft aseptischen großen Schwesterpartei. Das gilt umso mehr, als ihre Anführer sich sehr ähnlich sind. Viele eint ihre Aufstiegsbiographie und damit der Biss und die Härte, mit denen sie sich nach oben durchboxen. Seehofer und, mit Abstrichen, auch Söder kommen aus den sprichwörtlichen kleinen Verhältnissen, Ex-Parteichef Erwin Huber hatte nur einen Realschulabschluss, bevor er im Abendgymnasium das Abitur nachholte. Und der ehemalige Bundesfinanzminister und Parteichef Theo Waigel durfte nur deshalb aufs Gymnasium, weil sein Vater eigentlich wollte, dass er Pfarrer wird. Es sind Typen, am ehesten vergleichbar mit Altkanzler Gerhard Schröder, der als junger Mann nach einer Kneipentour am Zaun des Kanzleramts rüttelte, ein Personal wie geschaffen für Journalisten.
Dieses Buch ist keine Liebeserklärung an die CSU, natürlich nicht. Als Journalist, der über die CSU berichtet, muss man ihre Politik nicht mögen, im Gegenteil: Abstand gehört zum Geschäft. Und dennoch kann man die CSU ohne ein bisschen Sympathie für Bayern und seine Menschen nicht verstehen.
Zum ersten Mal länger traf ich Horst Seehofer im Sommer 2007. Der damalige Bundeslandwirtschaftsminister trat in einem Bierzelt bei Straubing auf, und wir waren zuvor in einem Café verabredet. Im Bierzelt warteten tausend Menschen auf ihn, Seehofer war spät dran und trotzdem die Ruhe selbst. Der Putsch gegen Edmund Stoiber in Kreuth war wenige Monate her, Seehofers uneheliches Kind in Berlin erst einige Wochen alt. Die Frage, wie er sich zwischen Geliebter in der Hauptstadt und Ehefrau in Ingolstadt entscheiden würde, überschattete seine Bewerbung für den Parteivorsitz. Im Bierzelt gab er am Abend die Antwort, um die er sich, zumindest in der Öffentlichkeit, lange gedrückt hatte. » Ich werde mich um alle meine vier Kinder kümmern und ihnen ein verantwortungsbewusster Vater sein«, sagte er. Und: »Die Familie Seehofer bleibt zusammen.« Muss man erst mal schaffen, dachte ich mir, in so einer Lage.
In den zehn Jahren, in denen ich über CDU und CSU aus Berlin berichtete, hatte ich mit keinem Spitzenpolitiker engeren Kontakt als mit Seehofer. Ich schrieb über ihn und seine Partei erst bei der »Welt am Sonntag«, dann beim »Handelsblatt« und später beim SPIEGEL. Ich fuhr mit ihm stundenlang durch Bayern, von Ingolstadt nach Nürnberg, von Nürnberg nach München, von Wahlkampfveranstaltungen in die Staatskanzlei, flog in seiner Entourage nach Brasilien, Israel und China und auch mal neben ihm in der ersten Reihe nach Paris, saß nach Parteitagen noch im kleinen Kreis bei ihm, als er mal wieder kein Ende fand. »Andi, jetzt trinken wir noch ein Bier«, sagte er zu seinem Sohn nach seiner Wahl zum Parteichef 2008. Dabei hatte er am Abend noch eine Verabredung mit Merkel in Berlin. Sie bot ihm das Du an.
Bald schon hatten wir auch in Berlin einen festen Termin – freitags, wenn der Bundesrat tagte. Seehofer fand die unterkühlten Beratungen in der Länderkammer schon immer langweilig, und dass er im Plenum lange Zeit zwischen dem rot-rot regierten Berlin und dem grün-rot regierten Baden-Württemberg sitzen musste, machte die Sache nicht besser. Also trafen wir uns regelmäßig in einem der angrenzenden Räume, mal in repräsentativen Gemächern, mal in einer Besenkammer, und besprachen, was anlag. Seehofers Sprecher aus Partei und Staatskanzlei wussten den Termin schon bald zu schätzen. Ihr Chef macht Strategien und Vorstöße oft nur mit sich alleine aus. Jetzt erfuhren sie, wie er die Lage in Berlin und in Bayern einschätzte. Dass für den SPIEGEL dabei immer mal wieder eine Nachricht heraussprang, schadete natürlich nicht.
Sicher, wie jeder Politiker erzählt Seehofer seine eigene Wahrheit, dafür traf ich ihn ja. Seehofer ist keine Plaudertasche, auch wenn viele Journalisten vom Gegenteil überzeugt sind. Er weiß ganz genau, was er sagen muss, um eine Geschichte zu befördern, und er weiß, wo die Grenze verläuft, jenseits derer ein Bericht aus vertraulichen Unterredungen mit Kanzlerin oder sonstigen Koalitionspartnern an Verrat grenzt. Auch so kann man gut erkennen, ob es in Seehofers Dauerbeziehung mit Angela Merkel gerade kriselt oder ob es gut steht. Wenn er viel erzählt oder sein Handy zückt, um eine SMS der Kanzlerin vorzulesen, stehen die Zeichen auf Sturm. Läuft es dagegen einigermaßen zu seiner Zufriedenheit, bleibt das Handy in der Tasche. Zum Glück lief es meistens nicht so gut.
Seehofer ist in letzter Zeit sehr dünnhäutig geworden, wenn es um die Berichterstattung über ihn und seine Partei geht. Seine Medienschelte unterscheidet sich nur noch wenig vom Lügenpresse-Geschwätz der AfD- oder Pegida-Sympathisanten. Ich habe ihn so nicht kennengelernt. Anders als viele Spitzenpolitiker kann Seehofer Kritik einstecken. Man konnte Freitag mit ihm reden, im SPIEGEL dann hart mit der CSU und ihrem Chef ins Gericht gehen und saß bei nächster Gelegenheit wieder friedlich zusammen.
Natürlich, einen dummen, manchmal harten Kommentar musste man sich gelegentlich schon gefallen lassen, aber das gehört dazu. »Sie muss ich auch noch ermorden«, warf er mir mal im Bundesrat nach einem besonders kritischen Artikel entgegen. Und wenn er mit seinem Unmut nicht bis zu unserem regelmäßigen Treff warten wollte, meldete sich die freundliche Vorzimmerdame aus der Staatskanzlei (»Reindl, Vorzimmer Ministerpräsident Seehofer«) schon Anfang der Woche und stellte ins Auto des Chefs durch. »Seehofer«, sagte er dann mit tiefer Stimme und machte eine Pause.
Und dann, ja dann ging’s los.