Inhalt

Vorwort

Ein Jahr lang Prinzessin

Die »Försterliesel«

»Der gestiefelte Kater«

Ein Bubenstreich mit Folgen

Einmal geschenkt bleibt geschenkt

Die kleine Hilfslehrerin

Aufklärung im Schweinestall

Ausgebombt

Das Mädchen mit der Ziehharmonika

Eine Bergmannstochter

Das Milchmädchen

Alle meine Pflichtjahrmädchen

Vorwort

Kaum dass mein erstes Buch über Großmütter erschienen war, erhielt ich einen Brief von einer älteren Dame, die sich sehr begeistert darüber äußerte. Aber nicht nur das, es lag auch ein handgeschriebenes Manuskript bei mit der Überschrift »Mädchen im Pflichtjahr« und der Anmerkung: »Darüber sollten Sie mal schreiben.«

Das Wort »Pflichtjahr« war mir nicht neu. Bereits in meiner frühen Kindheit hatte ich es aufgeschnappt. Meiner Mutter war nämlich 1943, kurz nach der Geburt ihres vierten Kindes, ein Pflichtjahrmädchen zugeteilt worden. Genaueres darüber wusste ich jedoch nicht. Nachdem ich die interessante Geschichte über das Pflichtjahr der oben erwähnten Frau gelesen hatte, war ich neugierig geworden und machte mich im Internet schlau.

Das »Pflichtjahr für Mädchen« war 1938 durch den damaligen Ministerpräsidenten Hermann Göring eingeführt worden. Am 15. Februar hatte er eine entsprechende Anordnung erlassen. Demnach waren alle weiblichen Personen zwischen dreizehn und fünfundzwanzig Jahren verpflichtet, ein Jahr lang in der Landwirtschaft oder in einem kinderreichen Haushalt zu arbeiten.

Anfangs wurden auch junge Männer, die gerade der Schule entwachsen waren, auf Bauernhöfe geschickt, um ein Pflichtjahr abzuleisten. Bald schon aber besann man sich, dass diese dem Staat nützlicher sein könnten, wenn man ihnen gleich eine militärische Ausbildung angedeihen lasse. Also blieb es bei dem Pflichtjahr für Mädchen.

Die offizielle Version lautete, dass die Mädchen und Frauen dadurch auf ihre künftige Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereitet werden sollten. In Wirklichkeit war ihr Einsatz vonnöten, um die fehlende Arbeitskraft der Männer zu ersetzen, die bald als Soldaten in den Krieg geschickt würden. Ausgenommen waren Frauen mit Kindern und solche, die ohnedies in den Bereichen Haus- oder Landwirtschaft tätig waren. Damit man eine Kontrolle darüber hatte, dass sich auch keine vor dieser Aufgabe drückte, war jede weibliche Person verpflichtet, ein Arbeitsbuch zu führen. In diesem musste die Gastfamilie eintragen, dass das Pflichtjahr ordnungsgemäß abgeleistet worden war. Wer diesen Nachweis nicht erbringen konnte, durfte weder eine Lehre noch ein Studium beginnen.

Als größte Arbeitseinsatzmaßnahme des Nationalsozialismus gehörte das »Pflichtjahr« schon unmittelbar zur Kriegsvorbereitung. Die Mädchen erhielten als billige Arbeitskräfte einen »Lohn« zwischen drei und fünfzehn Reichsmark im Monat, je nach Gutdünken ihrer »Arbeitgeber«.

Bei ihrem Einsatz waren die Jüngsten gerade dreizehn oder vierzehn Jahre alt und mussten arbeiten wie Erwachsene, was viele von ihnen körperlich und psychisch überforderte. Sich zu beschweren – bei wem auch? – nützte in der Regel nichts.

»Wie wir von unseren Soldaten erwarten, dass sie sich nicht vor Aufgaben drücken und fürchten, so können wir von jedem anständigen Pflichtjahrmädel erwarten, dass es sich nicht vor der Arbeit drückt, die das Vaterland von ihm fordert«, war eine der Parolen des Dritten Reiches.

Etwa 300.000 Mädchen kamen jährlich zum Einsatz. Natürlich sollte das Pflichtjahr auf sie auch erzieherisch im nationalsozialistischen Sinne wirken, was letztlich jedoch nur sehr begrenzt der Fall war. Da die Mädels sehr verstreut untergebracht waren, schien es kaum möglich, sie in Lagergemeinschaften zusammenzuführen, um sie ideologisch zu beeinflussen.

Um das Bewusstsein, Dienst für Deutschland zu leisten, auch ohne Lagergemeinschaft in den Mädchen wachzuhalten, gab es sogenannte Pflichtjahrestreffen, welche der BDM, der »Bund Deutscher Mädel« organisierte.

Der Reichsarbeitsdienst, kurz RAD genannt, war bereits 1935 eingeführt worden. Paragraf 1 des Gesetzes, das am 26. Juni 1935 erlassen wurde, lautete: »Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet, ihrem Volk im Reichsarbeitsdienst zu dienen.«

Für die weiblichen Personen hatte der RAD bereits ähnliche Ziele verfolgt wie im »Pflichtjahr«. Die sogenannten »Arbeitsmaiden« waren ebenfalls als Hilfe für Frauen und Mütter im Hause, im Stall und auf dem Feld eingesetzt. Nach dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich galt das Pflichtjahr auch für die dortigen Mädchen.

Ein weiterer Nebeneffekt, den man sich vom Pflichtjahr erhoffte, bestand darin, dass die Mädchen durch ihre Tätigkeit in den Haushalten dazu angeregt würden, bald selbst zu heiraten und fleißig Kinder zu kriegen, damit man möglichst viel »erbgesunden« Nachwuchs bekam – zum Ausgleich für die Verluste auf dem Schlachtfeld und den kriegsbedingten Geburtenrückgang. Doch diese Rechnung der Nationalsozialisten ging nicht auf. Viele der Mädchen setzten nach Ablauf ihres Pflichtjahres die vorher begonnene Ausbildung fort oder begannen wie vorher geplant eine solche.

Nun hatte ich nicht nur meine schöne Geschichte, ich wusste auch über das Pflichtjahr im Allgemeinen Bescheid. Aber was sollte ich damit anfangen? Vorerst verstaute ich sie also in der Schublade. Im Laufe der nächsten Jahre spielte mir das Schicksal weitere Pflichtjahrgeschichten in die Hand. Manche erreichten mich per Telefon, andere per E-Mail, durch Briefe oder wurden mir in persönlichen Begegnungen erzählt. Inzwischen hatte ich so viele beisammen, dass ich ein ganzes Buch daraus machen konnte.

Beim Lesen dieser Geschichten wünsche ich Ihnen
ebenso viel Freude, wie ich sie beim Schreiben und
Recherchieren erfahren habe.

Roswitha Gruber