Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Verlagsgruppe Random House
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1. Auflage 2015
© 1953, 1997, 2015 der deutschsprachigen Ausgabe:
cbj Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Neubearbeitung 2015
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Die Originalausgabe erschien 1944 unter dem Titel:
»Five Run Away Together« bei
Hodder and Stoughton Ltd, London.
Enid Blytons Unterschrift und »Fünf Freunde«
sind eingetragene Warenzeichen von Hodder and Stoughton Ltd.
© 2015 Hodder and Stoughton Ltd.
Alle Rechte vorbehalten
Übersetzung: Dr. Werner Lincke
Bearbeitung: Kerstin Kipker
Umschlagabbildung und Innenillustrationen: Gerda Raidt
Umschlaggestaltung: semper smile, München
SaS · Herstellung: AJ
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-17080-6
V004
www.cbj-verlag.de
Sommerferien
»George, setz dich endlich ruhig hin und tu etwas! Dauernd rennst du mit Timmy rein und raus. Wie soll ich mich denn dabei ausruhen?«
»Das tut mir leid, Mutter«, entschuldigte sich George und fasste Timmy am Halsband. »Aber mir ist so langweilig ohne die anderen. Wenn’s doch schon morgen wäre! Drei Wochen lang war ich jetzt allein!«
George ging zusammen mit ihrer Cousine Anne auf ein Internat; die Ferien verbrachten beide gewöhnlich mit Annes Brüdern, Julian und Dick. Das gab immer viel Spaß. Nun waren bereits drei Wochen der Sommerferien verstrichen. Anne, Dick und Julian waren mit ihren Eltern verreist, George aber musste bei Vater und Mutter bleiben und war deshalb nicht mitgefahren. Die drei sollten am nächsten Tag eintreffen, um zusammen mit ihr den Rest der Sommerferien im alten Felsenhaus zu verbringen.
»Lustig wird das, wenn sie alle wieder hier sind«, sagte George zu ihrem Hund Timmy. »Einfach großartig, Timmy, nicht wahr?«
»Wau«, meinte der und leckte ihr nacktes Knie.
George war wie immer angezogen wie ein Junge, mit kurzen Hosen und Pullover. Sie wäre viel lieber ein Junge gewesen und antwortete nie, wenn man sie Georgina rief. Alle mussten sie George nennen.
Mit Timmy zusammen lief das Mädchen hinunter an den Strand. Sie legte die Hand über die Augen und schaute hinüber zur Buchteinfahrt. Genau in der Mitte lag wie ein Wachtposten eine kleine, felsige Insel mit den Ruinen einer alten Burg.
»Diesen Sommer besuchen wir dich wieder, Felseninsel«, sagte George leise. »Bis jetzt hat’s noch nicht geklappt, aber bald bin ich so weit und dann komme ich. Ich muss doch nachsehen, ob alles rings um die alte Burg in Ordnung ist! Timmy, denkst du noch an unsere Abenteuer auf der Felseninsel im vorigen Sommer?«
Timmy erinnerte sich sehr gut, schließlich war er bei all den aufregenden Ereignissen auf der Insel dabei gewesen.
Zusammen mit den anderen war er in das tiefe Burgverlies eingedrungen, er hatte bei der Schatzsuche mitgeholfen und eine ebenso herrliche Zeit verbracht wie die vier Kinder. Leise bellte er auf.
Schon allein der Gedanke an ihre gemeinsamen Erlebnisse im vorigen Jahr war aufregend. Wenn Mutter uns nur eine Woche lang auf meiner Insel wohnen lassen würde!, dachte George. Es wäre das Schönste, das wir uns denken können.
Es war in der Tat Georges Insel. Genau genommen gehörte sie ihrer Mutter, doch die hatte das Eiland ihrer Tochter überlassen. Die Kaninchen, die Vögel, ja, alle Tiere darauf gehörten nun George. Es war wunderbar!
Am nächsten Tag holte George ihre Freunde mit dem Ponywagen ab. Am Bahnhof sah sie schon von Weitem drei Arme aus einem Fenster winken, und George rief begeistert: »Julian! Dick! Anne! Endlich!« Die drei stürmten mit großem Hallo aus dem Abteil.
»Hallo, George! Wie geht’s? Bist du aber in die Höhe geschossen! Wir müssen noch die Koffer aus dem Gepäckwagen holen, Moment!«, antwortete Julian.
Kurz darauf fiel Anne George um den Hals, riss sie fast um, und alle redeten gleichzeitig, um den anderen die letzten Neuigkeiten mitzuteilen, und dazu bellte noch Timmy ohne Unterlass.
»O Timmy, Lieber, du bist doch derselbe geblieben!«, sagte Julian lachend.
»Wau, wau, wau!«, antwortete Timmy.
»George, wie erholt du aussiehst! Wir werden noch viel Spaß haben«, stellte Dick fest.
»Wau, wau!«, bestätigte Timmy.
»Ruhe, Timmy, weg da, du hast ganz schmutzige Pfoten. Du guter Hund, es ist prima, dich wiederzusehen!«, sagte Dick.
»Wau!«, kam von Timmy als Antwort zurück.
Gemeinsam schleppten sie die Koffer und Reisetaschen zum Ponywagen. George schnalzte, und das Pony, das so lange brav gewartet hatte, trottete los.
»Hoffentlich ist deine Mutter nicht ernstlich krank«, sagte Julian, als er hörte, warum Tante Fanny nicht mitgekommen war. Er hatte sie sehr gern.
»Ich hoffe, dass es nur die Hitze ist«, meinte George. Man sah, dass sie in Sorge war.
»Und wie geht’s Onkel Quentin?«, fragte Anne. »Ist er gesund?«
Ihren Onkel hatten sie nicht ganz so gern, weil er leicht in Zorn geriet. Obgleich er die drei immer wieder in sein Haus einlud, hatte er doch kein rechtes Verständnis für Kinder.
»Mein Vater ist gesund«, erzählte George. »Er ist nur etwas besorgt um Mutter und reagiert deshalb oft nervös. Ihr müsst ein bisschen vorsichtig sein – ihr wisst ja, wie er ist.«
Die drei Geschwister nickten – sie verstanden.
»Fahren wir diesmal auch zur Felseninsel, George?«, fragte Anne. »Bitte, bitte! Seit vorigem Sommer waren wir nicht mehr dort …«
»Klar!«, versprach George mit strahlenden Augen. »Hört, was ich mir ausgedacht habe! Wir könnten hinüberfahren und einmal ganz allein eine Woche dort bleiben. Wie Robinson Crusoe leben …«
»Eine ganze Woche auf deiner Insel verbringen!«, jauchzte Anne. »Das klingt zu schön, um wahr zu sein.«
»Es ist unsere Insel«, sagte George. »Erinnert euch – ich habe sie mit euch geteilt!« Sie ließ das Pony halten. Die vier Kinder und der Hund schauten über die blaue Bucht zur Insel hinüber.
»Schaut, da liegt sie!«, rief George. »Ich kann es kaum erwarten hinüberzukommen. Bis jetzt ging’s nicht, weil mein Boot nicht in Ordnung war.«
»Jetzt ziehen wir alle miteinander hin«, sagte Dick. »Ich möchte gern wissen, ob die Kaninchen noch so zahm sind wie damals.«
»Wau!«, bellte Timmy in diesem Moment, der nur das Wort »Kaninchen« zu hören brauchte, um ganz aus dem Häuschen zu geraten.
Als sie das Felsenhaus erreichten, trat eine Frau mit griesgrämigem Gesicht aus der Hintertür, um ihnen beim Abladen zu helfen. Die drei Kinder kannten sie nicht.
»Wer ist das?«, wollten sie von George wissen.
»Die neue Köchin«, erklärte George. »Joanna musste zu ihrer Mutter fahren, die sich ein Bein gebrochen hat. Da hat meine Mutter diese Köchin eingestellt. Sie heißt Frau Stick.«
»Der richtige Name für sie«, murmelte Julian und grinste. »Sie sieht tatsächlich wie ein alter Stock aus. Hoffentlich bleibt sie hier nicht stecken. Es wäre schön, wenn Joanna bald wiederkommen würde. Ich mag die alte, dicke Joanna gern, sie war auch immer nett zu Timmy.«
»Frau Stick hat auch einen Hund«, sagte George. »Timmy kann ihn auf den Tod nicht leiden. Ein schreckliches kleines Vieh. Und er sieht aus wie von Motten zerfressen.«
Die anderen lachten und gingen ins Haus, um Onkel und Tante zu begrüßen.
Familie Stick
Am nächsten Morgen waren die Kinder schon in aller Frühe wach. Die Sonne schien durch die Fenster und von ferne rauschte die See.
Mit Bärenhunger ging es zum Frühstück. Da entdeckte Anne einen Jungen im Garten und fragte erstaunt: »Wer ist das denn?«
»Ach, das ist Edgar, der Sohn von Frau Stick«, sagte George. »Ich kann ihn nicht ausstehen. Bei mir nenn ich ihn nur das Ekelpaket.«
Edgar kam näher, als die anderen eintraten, und sang: »George, du alte Zicke!« Dabei sah er sie herausfordernd an. Er schien etwa Julians Alter zu haben, wirkte aber grobschlächtig und gemein.
George lief vor Zorn rot an. »Das grölt er immer. Ich kann ihn nicht ausstehen!«
Julian rief Edgar zu: »Halt doch den Mund! Das ist nicht lustig, nur blöd!«
»George ist …«, begann Edgar von Neuem mit einem frechen Grinsen.
Julian rückte einen Schritt auf ihn zu und im Nu war Edgar im Haus verschwunden.
»Viel ist an dem nicht dran«, stellte Julian höhnisch fest. »Ich wundere mich, dass du dich von dem ärgern lässt, George. Warum wehrst du dich nicht? Du bist doch sonst nicht so schüchtern!«
»Ich krieg immer eine Sauwut, wenn Edgar mich herausfordert. Aber weißt du, meine Mutter war in letzter Zeit wirklich nicht gesund, und wenn ich Edgar ärgere, dann geht Frau Stick bestimmt weg. Meine arme Mutter müsste dann alle Arbeit allein machen, das kann sie im Augenblick noch nicht. Also reiße ich mich zusammen.«
»Da musst du dich aber mächtig anstrengen«, sagte Julian und lachte. Er wusste, wie schwer es George fiel, ihr Temperament zu zügeln.
»Ich gehe mal schnell zu meiner Mutter und frage, ob sie das Frühstück ans Bett haben will«, sagte George. »Haltet Timmy einen Augenblick fest! Wenn Edgar wieder auftaucht, könnte er auf ihn losgehen.«
Julian fasste Timmy am Halsband. Solange Edgar im Garten war, hatte der Hund geknurrt. Nun stand er stocksteif mit hocherhobenem Kopf und schnüffelte. Seinem gesträubten Fell nach zu urteilen, war ihm ein verdächtiger Geruch in die Nase gestiegen.
Plötzlich kam ein verdreckter Hund aus der Küche gelaufen. Er hatte ein schmutziges weißes Fell, aus dem anscheinend einige Stellen herausgebissen worden waren. Den Schwanz hatte er zwischen die Beine geklemmt.
»Wauwauwauuu!«, bellte Timmy voll Kampfeslust und machte einen Satz auf ihn zu. Dabei riss er Julian um, sodass der Junge das Halsband loslassen musste. Wütend stürzte sich Timmy auf den anderen Hund, der angstvoll winselte und schnell versuchte, wieder in die Küche zu verschwinden.
»Timmy! Komm her!«, schrie Julian. Doch Timmy hörte nicht. Er war vollauf damit beschäftigt, seinen Feind in die Ohren zu beißen. Der kleine Köter bellte um Hilfe und in der Küchentür erschien Frau Stick mit einer Bratpfanne in der Hand.
»Ruft sofort den Hund zurück!«, kreischte sie. Sie schlug mit der Bratpfanne nach Timmy; der aber duckte sich so geschickt, dass sie ihren eigenen Hund traf, worauf der nur noch lauter kläffte.
»Schlagen Sie die Hunde nicht!«, brüllte Julian. »Sie tun ihnen doch weh. Hierher, Timmy! Timmy!«
Da erschien Edgar auf der Bildfläche. Er hob einen Stein auf und wartete auf eine günstige Gelegenheit, ihn auf Timmy zu schleudern.
Anne schrie auf und rief: »Untersteh dich, den Stein zu werfen, du kleiner Mistkerl!«
Mitten in diesem Durcheinander tauchte plötzlich Onkel Quentin auf. Er sah ärgerlich und gereizt aus. »Zum Donnerwetter! Was ist denn hier los? In meinem ganzen Leben habe ich noch keinen solchen Lärm gehört!«
Da stürzte auch schon George herbei, um Timmy zu retten. Sie rannte zu den beiden Hunden und versuchte Timmy wegzuzerren.
Ihr Vater brüllte sie an: »Weg da! Bist du denn verrückt geworden? Seit wann trennt man zwei raufende Hunde mit den bloßen Händen? Wo ist denn der Gartenschlauch?« Julian entdeckte ihn und stellte das Wasser an. Dann richtete er den Strahl auf die beiden Hunde, die überrascht auseinanderstoben. Nicht weit davon entfernt stand Edgar. Julian konnte es sich nicht verkneifen, ein wenig mit dem Schlauch zu wackeln und den Jungen zu bespritzen. Schreiend rannte Edgar davon.
»Lass den Blödsinn!«, schimpfte Onkel Quentin. »George, nimm Timmy sofort an die Leine! Frau Stick, habe ich Ihnen nicht gesagt, dass Sie Ihren Hund nicht frei im Garten herumlaufen lassen sollen? Ich wünsche nicht, dass so etwas noch einmal geschieht. – Wo ist das Frühstück? Natürlich wieder zu spät, wie immer!«
Später beim Frühstück fragte Onkel Quentin um Freundlichkeit bemüht, was die Kinder heute unternehmen wollten, denn die Stimmung war nach dem Zwischenfall recht gedrückt.
»Wir dachten an ein Picknick«, antwortete George sofort. »Ich habe Mutter gefragt. Sie hat es uns erlaubt, wenn Frau Stick uns etwas zu essen mitgibt.«
»Nun, große Mühe wird sie sich damit nicht gerade geben«, scherzte Onkel Quentin. »Aber fragen könnt ihr sie ja mal.«
Die Kinder schwiegen bedrückt.
»Wenn sie nur nicht Stinker mitgebracht hätte«, sagte George ärgerlich. »Alles wäre einfacher, wenn er nicht hier wäre.«
»Heißt so ihr Sohn?«, fragte Onkel Quentin erstaunt.
George grinste. »Aber nein. Es wäre übrigens kein schlechter Name für ihn, denn er hat bestimmt noch nie gebadet. Ich meine ihren Hund. Er heißt Tinker, aber ich sage immer Stinker, denn er stinkt wirklich furchtbar.«
Am Ende war es doch Tante Fanny, die mit Frau Stick über die Brote sprach. Mürrisch führte diese den Auftrag aus und überreichte die Brote mit sauertöpfischer Miene. Als die Kinder durch den Garten zum Strand liefen, lauerte Edgar ihnen auf und sang:
»George ist ’ne blöde Zicke
und gibt mit ihrer Insel an,
George ist ’ne blöde Zicke
und eine ekelhafte Angeberin!«
Julian drehte sich um und wollte sich auf ihn stürzen, aber George hielt ihn zurück. »Er geht sofort zu seiner Mutter und verpetzt uns. Wenn sie dann kündigt, hat meine Mutter keine Hilfe mehr. Ich muss eben damit fertigwerden. Wir wollen an etwas anderes denken, nicht an dieses kleine Ekel. Ich hasse seine Fratze und seine kleinen, zusammengekniffenen Augen!«
»Wau!«, bellte Timmy zustimmend.
»Und Timmy hasst den elenden Schwanz und die kleinen Ohren von Stinker«, übersetzte George seine Hundesprache, und alle mussten lachen. Gleich fühlten sie sich wohler.