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Über das Buch

Die Herausforderungen auf dem Weg zu einer gerechteren, nachhaltigeren Gesellschaft sind enorm, und die Uhr tickt. Doch in vielen von uns schlummert der Same des Wandels. Überall gibt es Menschen, die Initiativen auf die Beine stellen, alte Gewohnheiten ändern. Sie werden aktiv und führen so den Wandel in der Gesellschaft herbei. Freilich fehlt es uns manchmal am nötigen Instrumentarium, an Modellen, an denen wir uns orientieren können, ja selbst an der nötigen Hoffnung. Doch mit Zuversicht und der nötigen Bewusstheit können wir den kritischen Punkt erreichen, der das Zünglein an der Waage in die andere Richtung ausschlagen lässt.

Vor dem Hintergrund ihrer naturwissenschaftlichen, philosophisch-spirituellen wie auch praktischen Erfahrungen gelingt es den vier Autoren, Resignation in Hoffnung zu verwandeln. Angesichts der gesellschaftlichen Sinnkrise und der ökologischen Katastrophen zeigen sie Gegenmittel auf.

Wenn wir uns selbst verändern, können wir den Wandel in der Welt herbeiführen.

Christophe André, Jon Kabat-Zinn, Pierre Rabhi, Matthieu Ricard

Wer sich verändert, verändert die Welt

Mit Ilios Kotsou und Caroline Lesire
Aus dem Französischen von Elisabeth Liebl

Kösel

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Se changer, changer le monde« bei L’Iconoclaste, Paris

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Copyright © 2013 Editions de l’Iconoclaste, Paris

Copyright für die deutsche Ausgabe © 2014 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlag: Fuchs_Design, Sabine Fuchs

Umschlagmotiv: plainpicture / Franco Cozzo, Shutterstock / Oko Las

Lektorat: Imke Oldenburg

Herstellung und Satz: Nadine Wagner, München

ISBN 978-3-641-14359-6
V002

Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem gesamten lieferbaren Programm finden Sie unter

www.koesel.de

»Ich glaube nicht, dass wir irgendetwas in der äußeren Welt in Ordnung bringen können, wenn wir es nicht zuvor in uns selbst geordnet haben.«

Etty Hillesum

Inhalt

Einführung

1
Antworten auf die Krankheiten unserer Zeit

Ilios Kotsou, Caroline Lesire, Pierre Rabhi und Matthieu Ricard

Meditieren oder engagieren?

Unsere Verantwortung annehmen

Empathie und Mitgefühl – Methoden für den Umgang mit sich und anderen

Veränderung tut not

Am Rande des Abgrunds

Ein neuer Ariadnefaden

2
Frei werden von einer Gesellschaft, die uns entfremdet

Christophe André

Die materialistische Seuche

Übermäßiger Konsum und Überfluss

Die negative Rolle von Geld

Monitore, digitale Spielereien und andere Aufmerksamkeitsräuber

Die Gefahren des Zeitdrucks

Was können wir konkret für die Gesellschaft tun?

Sich selbst ändern, um die Welt zu verändern?

3
Achtsamkeit: Die Revolution von innen

Jon Kabat-Zinn

Ein sicherer Hafen in tosender Brandung

Wandel durch Selbsterkenntnis

Die Achtsamkeitsrevolution

Wissenschaft und Bewusstsein

Achtsamkeit im Dienste der Patienten

Achtsamkeit entwickeln

Ob Individuum oder Institution: Wir müssen unseren Geist neu ausrichten

Sich ändern und die Welt verändern

4
Die Welt von morgen wird altruistisch sein

Mathieu Ricard

Verbundenheit mit anderen kann man lernen

Anderen helfen und sich selber besser fühlen

Innere Einfachheit und Glück

Die Gesellschaft verändern

5
Gemeinsam die Samen des Wandels legen

Pierre Rabhi

Welche Zukunft hat die Menschheit?

Genügsamkeit als Alternative

Für eine neue Beziehung zur Zeit

Vom Individuum zur Gemeinschaft

Das Bewusstsein erhebt sich

Sich der Erde annehmen heißt sich des Lebens annehmen

Die Utopie leben

6
Bewusstsein in Aktion

Caroline Lesire & Ilios Kotsou

Die Gefahren der Resignation

Die Hoffnung, nützlich zu sein

Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt

Der Wandel ist ansteckend

Kolibris sind überall

Schlusswort
Genau hier fängt alles an

Anhang

Projekte, die die Welt bewegen

Die Association Émergences

Über die Autoren

Anmerkungen

Bildnachweis

Einführung

Eines Tages, so erzählt eine indianische Legende, brach ein riesiger Waldbrand aus. Bestürzt und ohnmächtig sahen die Tiere dem Wüten des Feuers zu. Allein der kleine Kolibri machte sich zu schaffen und flog immer wieder, um ein paar Tropfen Wasser zu holen, die er aus seinem Schnabel auf die Flammen fallen ließ. Nachdem das Gürteltier seinem unsinnigen Treiben einige Zeit zugesehen hatte, rief es ihm zornig zu: »He, Kolibri! Bist du eigentlich noch ganz bei Trost? Mit deinen paar Tropfen Wasser wirst du dieses Feuer niemals löschen!« Daraufhin blickte ihm der Kolibri geradewegs in die Augen und sagte: »Kann sein. Aber ich tue, was ich tun kann.«

Vielleicht hatte der ein oder andere Leser ja schon Gelegenheit, dem französischen Schriftsteller und Umweltschützer Pierre Rabhi zu lauschen, wenn er mit verschmitztem Lächeln diese inspirierende Geschichte erzählt. In einer Zeit, da ein Viertel der Weltbevölkerung drei Viertel der Ressourcen dieses Planeten verbraucht, besteht ganz sicher die dringende Notwendigkeit, dass wir uns alle, Männlein wie Weiblein, in Kolibris verwandeln, wie den, von dem die Legende erzählt, denn nur so können wir den Lauf der Dinge verändern. Eben dazu möchte uns dieses Buch einladen, das von der Association Émergences inspiriert wurde, einer Vereinigung, die sich zum Ziel gesetzt hat, solidarisches Handeln mit der Arbeit an sich selbst zu vereinen.

Sicher waren Sie, wie wir alle, schon mehr als einmal erschüttert, empört oder zornig angesichts der Ungerechtigkeit, die auf dieser Welt herrscht. Und vermutlich haben auch Sie dabei den Wunsch verspürt, etwas dagegen unternehmen zu können … Meist aber fühlt man sich in solchen Momenten zu klein und zu schwach. Wer sind wir denn, dass wir am Zustand der Welt etwas ändern könnten? Wenn wir schon mit unseren Alltagsproblemen nicht zurechtkommen, wie können wir da etwas für die gesamte Menschheit tun?

Die Herausforderungen auf dem Weg zu einer gerechteren, nachhaltigeren Gesellschaft, die Mensch und Umwelt achtet, sind enorm, und die Uhr tickt. Doch in vielen Menschen schlummert der Same des Wandels. Wir halten es für wichtig, auf das Vorhandensein dieser Energie hinzuweisen und unseren Beitrag zu leisten, damit sie sich entwickeln kann. Überall gibt es Menschen, die Initiativen auf die Beine stellen, alte Gewohnheiten ändern, anderen Menschen helfen und über sich nachdenken. Sie werden aktiv und führen so den Wandel in der Gesellschaft herbei. Freilich fehlt es uns manchmal am nötigen Instrumentarium, an Modellen, an denen wir uns orientieren können, ja selbst an der dafür nötigen Hoffnung. Doch wenn wir Zuversicht und Bewusstheit entwickeln, können wir den kritischen Punkt erreichen, der das Zünglein an der Waage in die andere Richtung wandern lässt.

Dieses Buch vereint die Beiträge von vier Autoren und weisen Männern. Jeder leistet auf seine ureigenste Art einen Beitrag, um die Welt zu verändern, doch teilen sie alle den aufrichtigen Wunsch, auf den Geist ihrer Mitmenschen einzuwirken und ihr Herz zu berühren, damit unsere Gesellschaft sich wirklich wandeln kann.

Im ersten Kapitel gehen die Autoren der Frage nach, wie globale und individuelle Veränderung zusammenhängen. Nachdrücklich führen sie uns vor Augen, wie dringlich der Wandel ist, wenn wir nicht an einen Punkt gelangen wollen, von dem aus keine Umkehr mehr möglich ist. Im zweiten Kapitel, das aus der Feder von Christophe André stammt, beschreibt der Autor, wie wir durch die Gesellschaft uns selbst entfremdet werden, und zeigt Wege auf, wie wir uns dem widersetzen können. Im dritten Kapitel spricht Jon Kabat-Zinn darüber, wie sich eine veränderte Haltung uns selbst gegenüber positiv auf unsere Umwelt auswirkt. Natürlich ist hier die Rede von der Achtsamkeitsmeditation, die er rund um den Globus bekannt gemacht hat. Im vierten Kapitel lernen wir die Ideen Matthieu Ricards kennen, Ideen für eine vom Altruismus inspirierte Welt. In Kapitel 5 gibt Pierre Rabhi uns Einblick in das eigentümliche Band, das uns Menschen mit der Natur verbindet, denn ohne den Schutz der Natur kann auch der Same einer harmonischen Gesellschaft nicht heranreifen. Im sechsten Kapitel schließlich geht es um Strategien, wie wir aus unserem gewandelten Bewusstsein heraus aktiv werden können.

Auf den folgenden Seiten bieten uns diese vier Autoren immer wieder praktische Ideen an, die jeder von uns gemäß seinen individuellen Gegebenheiten umsetzen kann. Das Buch schließt mit Ideen, was Sie selbst tun können: Sie finden dort Adressen von Verbänden und konkrete Möglichkeiten, wie Sie selbst Teil dieses Wandlungsprozesses werden und sich mit anderen zusammentun können.

Schließen die Arbeit an sich selbst und das Engagement für einen sozialen Wandel einander aus oder ergänzen sie sich? Welche Hindernisse und welche Fallen erschweren die Veränderung? Wie hängen die Entwicklung unserer Bewusstheit und der Wandel der Gesellschaft zusammen? Welche Rolle spielen unsere zwischenmenschlichen Beziehungen für eine nachhaltige Veränderung? Das sind die Fragen, die in den einzelnen Kapiteln dieses Buches gestellt werden, wobei die Suche nach Antworten stets mit ganz konkreten, alltagstauglichen Handlungsvorschlägen verbunden ist.

Hoffnung – das ist es, was wir in Ihnen wachrufen möchten, während Sie diese Seiten lesen. Die Natur, deren Teil wir ja sind, verfügt über zahllose Ressourcen und birgt in sich eine unglaubliche schöpferische Kraft. Termitenhügel zum Beispiel, von ihren Bewohnern ganz ohne die Hilfe von Mathematikern und Ingenieuren errichtet, werden heute von Wissenschaftlern erforscht, weil ihr Belüftungssystem unseren Systemen überlegen ist. Am Termitenhügel zeigt sich ein Phänomen, das als Emergenz bezeichnet wird und das sich in den unterschiedlichsten Bereichen (Biologie, Ökologie) beobachten lässt: Vorhersagen über ein komplexes System – wie zum Beispiel einen Termitenhügel oder einen Bienenstock – können nicht einfach dadurch getroffen werden, dass man das Verhalten der einzelnen Elemente addiert. Das macht das Geheimnis und den Zauber dieses Phänomens aus: Gemeinschaftliches Handeln führt in seiner Gesamtheit zu Resultaten, die auf der Mikroebene nicht vorhersehbar sind. Die Natur lehrt uns immer wieder: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.

Dieses Buch versteht sich einerseits als Illustration dieses Naturgesetzes, andererseits möchte es auch so etwas wie ein Zündfunke sein, der jenes Kolibri-Prinzip aktiviert, das in dem einen vielleicht noch schlummert, bei den anderen hingegen schon konkrete Gestalt angenommen hat.

Ist die erfolgreiche Schaffung einer gerechteren, nachhaltigeren Welt für uns alle denn überhaupt anders möglich als durch das Zusammenwirken unserer individuellen Bemühungen?

Annie Griffiths, Ripple Effect Images

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Antworten auf die Krankheiten unserer Zeit

Ilios Kotsou, Caroline Lesire, Pierre Rabhi und Matthieu Ricard

Mittlerweile sind die sozioökonomischen und ökologischen Katastrophen, die sich auf diesem Planeten ereignen, kaum mehr überschaubar. Den meisten Menschen machen diese Krisen, denen scheinbar nichts und niemand mehr Einhalt gebieten kann, große Sorgen. Aber was können wir noch tun in einer globalisierten Welt, die anscheinend nur noch dem Diktat der Finanzmärkte und des maximalen Profits folgt? Welche Möglichkeiten haben wir, um Veränderungen anzustoßen und unseren Teil zu einer Kurskorrektur beizutragen?

Natürlich können wir uns engagieren: sozial, humanitär oder politisch. Eine andere Möglichkeit wäre, an uns selbst zu arbeiten, um in dieser schwierigen Welt zu mehr innerer Gelassenheit zu finden.

Wir sind die Welt. Wenn wir uns ändern, ändern wir damit zwangsläufig auch einen Teil der Welt. Er ist sicher nicht groß, aber er ist da, und er ist wichtig.

Meditieren oder engagieren?

Diese beiden Möglichkeiten werden meist als polare Gegensätze betrachtet. Gern zeichnet man vom »Aktivisten«, gleich welcher Couleur, ein überspitztes Bild: der Macher, der, sich selbst entfremdet und ohne Bewusstsein dafür, was auf dem Spiel steht und was sein Tun auslösen kann, zur Sache geht. Dem »Kontemplativen« hingegen hängt der Ruf an, ein egoistischer Zeitgenosse zu sein ohne Bezug zur Welt und seinen Mitmenschen, der sich nur für seinen Bauchnabel interessiert und unfähig ist, im praktischen Leben irgendetwas zuwege zu bringen. Bei genauerer Betrachtung dieser Problematik stellt sich jedoch die Frage, ob man in der Welt tatsächlich etwas nachhaltig beeinflussen kann, ohne dabei selbst auch ein anderer zu werden. Ist unser Eintreten für eine gerechtere Welt, die sich stärker mit unseren Idealen deckt, denn nicht eine günstige Gelegenheit, uns selbst auch ein wenig zu reformieren? Wie können wir also den aktiven und den kontemplativen Part in uns (wieder) zum Leben erwecken und miteinander versöhnen?

»Ich glaube nicht, dass wir irgendetwas in der äußeren Welt in Ordnung bringen können, wenn wir es nicht zuvor in uns selbst geordnet haben.« Dieser Satz der niederländischen Pädagogin Etty Hillesum, den wir dem Buch als Motto vorangestellt haben, gibt uns eine erste Antwort auf diese Fragen.

Heiter, neugierig und durch und durch modern, wurde sie im Alter von knapp dreißig Jahren nach Auschwitz deportiert. Ihre Tagebücher,1 die mit einer Postkarte, geschrieben an eine Freundin in dem Zug, der sie ihrem düsteren Schicksal entgegentrug, enden, legen Zeugnis ab von ihrer lebendigen und engagierten Spiritualität. Lassen Sie uns, den Spuren dieser großen Gestalt unserer Zeit folgend, die Gründe erforschen, warum wir mit der Veränderung der Welt bei uns selbst beginnen sollten.

Unser erstes Argument gründet sich, ganz pragmatisch betrachtet, darauf, dass wir die Welt sind. Wenn wir uns also ändern, ändern wir damit zwangsläufig auch einen Teil der Welt. Er ist sicher nicht groß, aber er ist da, und er ist wichtig. Außerdem sind wir der Teil der Welt, über den wir die größte Kontrolle haben. Der Astrophysiker Hubert Reeves meint, dass die aktuelle Umweltverschmutzung kein großes Problem ist … sondern sechs Milliarden kleine Probleme. Darauf basierend glauben wir, dass es durchaus möglich ist, sechs Milliarden kleine Lösungen auf den Weg zu bringen, damit es auf dieser Welt gerechter zugeht: Wir haben den Wandel in der Hand.

Während der Achtsamkeitsseminare, die ich gebe (Ilios), erzählen mir die Teilnehmer immer wieder, wie die Arbeit an ihrer Einstellung zu sich selbst sich auf die Beziehungen zu ihren Mitmenschen und ihrer Umwelt auswirkt. Unlängst meinte ein Firmenchef am Ende eines Kurses mir gegenüber: »Ich kam hierher, weil ich nach Methoden suchte, wie ich andere ändern kann. Mittlerweile habe ich eingesehen, dass jede Veränderung nur bei uns selbst beginnt.«

Unsere Verantwortung annehmen

»Da jeder Mensch Menschlichkeit in sich trägt, ist er auch im Rahmen seiner Gegebenheiten für die Menschheit verantwortlich«, schreibt der französische Philosoph Edgar Morin.2 Wir haben teil an dieser Welt und tragen daher auch Mitverantwortung für ihre Zukunft. Doch sind wir auch imstande, diese Verantwortung tatsächlich wahrzunehmen? Wissenschaftliche Studien, auf welche Christophe André in Kapitel 2 eingeht, deuten darauf hin, dass sich die Menschen unter dem Einfluss von Faktoren wie Geld, Stress, Werbung und so weiter von sich selbst abwenden. Konditioniert und manipuliert, werden wir uns selbst fremd. Wie können wir uns unter diesen Bedingungen die Selbstbestimmung über unser Handeln und unser Konsumverhalten zurückerobern?

Wie können wir verantwortlicher – nicht voller Schuldgefühle, sondern geschickter – agieren, um auf die bestmögliche Weise auf unsere momentane Situation zu reagieren?

In dem Sommer, bevor ich (Caroline) zu studieren anfing, fuhr ich nach Brasilien zu einer Begegnung mit den Straßenkindern von Recife. Als ich dann in einer der Sozialstationen, die sich um sie kümmern, eintraf, konnte ich die Tränen nicht zurückhalten. Vor mir standen Mädchen, die bestenfalls gerade mal so alt wie ich, oder sogar jünger, waren, bereits ein oder mehrere Kinder hatten und nicht selten vom Leben schon deutlich gezeichnet waren. Ich kam mir so ohnmächtig vor, so hilflos, und ich fühlte mich schuldig, weil ich in meinem kleinen behaglichen Winkel lebte, während sie nicht das Geringste besaßen. Doch Didier und Christine von der Organisation, die uns begleitete, sagten: »Schau dir an, wie sie sich freuen, nur weil sie euch treffen und mit euch reden können. Lass dich nicht von deiner Trauer auffressen, damit hilfst du ihnen nicht. Wenn du weinst, weinst du über dich selbst. Damit nimmst du dir nur deine Kraft. Bewahre die Trauer und die Empörung in deinem Herzen, denn sie werden dir später als Motivation dienen, diesen Mädchen und allen anderen, die deine Hilfe brauchen, zu helfen.« Bei dieser Gelegenheit sagte ich mir, dass ich vielleicht nicht viel tun konnte, dieses Wenige aber dennoch ein entscheidender Beitrag sein könnte, damit sich auf der Welt etwas zum Besseren hin bewegt. Seitdem mache ich mir jede noch so kleine positive Veränderung bewusst. Das hilft mir, vor allem in Momenten, in denen ich mich angesichts all der Ungerechtigkeit auf der Welt total ohnmächtig fühle.

Gandhi sagte: »Seid die Veränderung, die ihr in dieser Welt sehen wollt.« Wenn wir unser Leben nicht ausfüllen, wenn wir diesen Wandel nicht in den Alltag bringen, dann wird die Welt uns verändern und nicht wir die Welt.

Wie können wir mit unserer Traurigkeit umgehen, ohne dass sie uns in den Würgegriff nimmt? Wie können wir unsere Angst, unsere Empörung in sinnvolles Handeln übersetzen, das am Lauf der Dinge auch etwas verändern kann? Empört zu sein ist in der Tat ein wichtiger erster Schritt, doch der entscheidende Punkt ist, dass wir diese Empörung zum Motor eines Handelns machen, das auf die Verwirklichung eines konstruktiven Gegenentwurfs zielt und sich nicht in Kritik am Status quo erschöpft. Stéphane Hessel, berühmter Kämpfer für die Menschenrechte, ehemaliges Résistance-Mitglied und Autor von Empört euch!, betonte, nachdem sein Essay erschienen war, wie wichtig es sei, sich nicht nur zu empören, sondern sich über die Empörung hinaus bewusst zu machen, dass wir an den Umständen mitwirken, ja, dass wir Widerstand leisten müssen, um etwas schaffen zu können, und schaffen, um weiter und ohne Unterlass Widerstand zu leisten.3

Je größer unsere Empörung ist, desto größer muss auch unsere Achtsamkeit sein, damit unser Tun mit unseren Idealen übereinstimmt. Denn sind wir nicht mehr eins mit uns, haben wir die Verbindung zu uns selbst verloren, dann besteht die Gefahr, dass wir auch die Bindung an unsere Wertmaßstäbe verlieren. Entfremdung heißt, dass wir uns »fremd« werden, dass wir für uns selbst »der Andere« sind. Der Begriff beschreibt einen Prozess, bei dem der Einzelne seiner Selbstbestimmung beraubt wird, der freien Verfügung über seine Anlagen und Gaben (durch soziale Prägung, Werbung und gezielte Falschinformation).

Das, wogegen wir ankämpfen, wirkt auf uns zurück und kann am Ende uns und unser Handeln beherrschen. Dann laufen wir Gefahr, im Kampf gegen Ungerechtigkeit ungerecht, gewalttätig im Namen des Friedens und unmenschlich im Namen der Menschenrechte zu werden. Die Geschichte liefert uns unzählige Beispiele, wie jene, die sich im Namen hehrer Ideale erhoben, einmal an der Macht, sich nicht minder schlimm aufführten als jene, die sie bekämpft hatten. Ist unsere Achtsamkeit stark und unser Inneres friedvoll, so dürfen wir Hoffnung haben, dass aus dieser Haltung auch rechtes und gerechtes Handeln erwächst.

Gandhi sagte: »Seid die Veränderung, die ihr in dieser Welt sehen wollt.« Wenn wir unser Leben nicht ausfüllen, wenn wir diesen Wandel nicht in den Alltag bringen, dann wird die Welt uns verändern und nicht wir die Welt.

Eine Sufigeschichte

Mit zwanzig war mein einziges Gebet: »Mein Gott, hilf mir, diese Welt zu verändern, diese schreckliche, unerträgliche Welt, erfüllt von Grausamkeit und Unrecht.« Und ich kämpfte wie ein Löwe.

Bald ging ich auf die dreißig zu, und es hatte sich nicht viel verändert. Als ich vierzig wurde, war mein einziges Gebet: »Mein Gott, hilf mir, meine Frau, meine Kinder und meine Familie zu ändern.« Und wie ein Löwe kämpfte ich zwanzig Jahre, ohne etwas zu erreichen.

Nun bin ich alt, und mein einziges Gebet ist: »Mein Gott, hilf mir, mich selbst zu ändern.« Und die ganze Welt um mich herum wandelt sich.

Empathie und Mitgefühl – Methoden für den Umgang mit sich und anderen

Selbst wenn das, was augenblicklich auf der Welt geschieht, uns nicht kalt lässt, wenn wir dem etwas entgegensetzen wollen, so besteht dennoch die Gefahr, dass wir bald verbittert und mutlos werden, weil wir das Gefühl haben, dieser Herkulesarbeit nicht gewachsen zu sein. Ständig mit dem Leid anderer und mit Ungerechtigkeit konfrontiert zu sein, kann sehr schnell zu völliger Erschöpfung führen. Wir sprechen dann vom Burn-out oder der »sekundären Traumatisierung«, wie dieses Phänomen bei Angehörigen oder Menschen in Pflegeberufen genannt wird. Im Englischen spricht man auch von compassion fatigue, der Mitgefühlserschöpfung, wobei es sich eigentlich um eine mitfühlende Hilflosigkeit handelt, da Mitgefühl an sich nicht zu Erschöpfung führt, wie jüngste, unter der Leitung von Tania Singer durchgeführte neurowissenschaftliche Untersuchungen gezeigt haben. Manche versuchen, sich davor zu schützen, indem sie anderen Menschen und den eigenen Gefühlen aus dem Weg gehen. Für eine gewisse Zeit funktioniert das auch. Doch wie viele Menschen sind am Ende so erschöpft, dass sie nicht nur keinerlei Energie für ein wie auch immer geartetes Engagement aufbringen können, sondern als Person an dieser Erfahrung zerbrechen und sich von ihren Mitmenschen abwenden? Wie können wir dem schmerzlichen Schwinden der Menschlichkeit aus unseren zwischenmenschlichen Beziehungen entgehen, das entsteht, weil wir das Leid anderer nicht mehr ertragen können?

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Interessant ist auch das Ergebnis einer Studie, die unter der Leitung von Paul Condon5 von der Northeastern University in Boston prosoziales Verhalten untersuchte: Die Teilnehmer der Studie sollten sich auf den einzigen noch freien Sitzplatz im Wartezimmer einer medizinischen Praxis setzen. Sobald die Testperson Platz genommen hatte, schickte man eine Person mit Krücken ins Wartezimmer, die sich gegen die Wand lehnte und der deutlich anzusehen war, dass es ihr nicht gut ging. Die Personen, die sich bereits im Wartezimmer befanden, sollten keine Reaktion zeigen. Die Forscher verglichen nun das Verhalten der Testpersonen, die einen Meditationskurs besucht hatten, mit dem Verhalten von Testpersonen, die keinen besucht hatten. Teilnehmer aus der ersten Gruppe waren fünfmal eher bereit, der Person mit den Krücken ihren Sitzplatz anzubieten, als die Probanden aus der zweiten Gruppe.

Sich zu ändern beginnt damit, dass wir uns um uns selbst kümmern, indem wir unsere Anlagen zu Bewusstheit, Weisheit und Mitgefühl entwickeln. Wir selbst sind das Werkzeug, mit dem wir auf die Welt einwirken können. Die Arbeit an uns selbst ist gerade jetzt wichtig, da uns allmählich die Zeit davonläuft.