Cover

Impressum

Originalausgabe

© 2018 by Wilhelm Heyne Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House, Neumarkter Str. 28, 81673 München

www.heyne.de

Die Verwendung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Verbreitung mit elektronischen Systemen.

Redaktion: Ernst Dahlke

Bildredaktion: Tanja Zielezniak

Coverdesign: Eisele Grafik-Design, München

Layout/Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling/Kim Winzen

Grafiken: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling/Kim Winzen

Gesamtherstellung: Litotipografia Alcione S.r.l.

ISBN: 978-3-641-22954-2
V003

Danksagung

Mein besonderer Dank gilt Anne Jacoby sowie Dr. Kristina Jacoby für ihre großartige Unterstützung.

Haftungsausschluss

Die Ratschläge in diesem Buch sind sorgfältig erwogen und geprüft. Sie bieten jedoch keinen Ersatz für kompetenten medizinischen Rat. Alle Angaben in diesem Buch erfolgen daher ohne jegliche Gewährleistung oder Garantie seitens des Autors und des Verlages. Eine Haftung des Autors bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Bildnachweis

Bigstock: U1 (Dr. Alex),

Innenteil: Bei den Bildern vermerkt

Ein Wort zuvor

Warum wir guten Schlaf brauchen – und wie viel

Gut geschlafen

So kann’s nicht gut gehen

Gut schlafen heißt: gut leben!

Jeder schläft anders – und das ist gut so

Wie unsere innere Uhr funktioniert

Alles im Takt: Leben ist Rhythmus

Auf der Suche nach der inneren Uhr

Warum wir laufen sollten. Draußen.

Kein Schlaf ohne Eiweiß

Besser schlafen – besser denken

Schlafmangel macht krank

Und? Wie viel Schlaf brauchen wir nun?

Schlaflosigkeit macht dick – und dicker Bauch schläft schlecht

Schlechter Schlaf schadet dem Herzen – und Herzstolpern hält wach

Wenn die Seele nicht zur Ruhe kommt

Wie der Schlaf uns heilt –
jede Nacht

Extra: Geheimnis Tiefschlaf

Das Wunder heißt Wachstumshormon

Gute Nacht mit Melatonin

Sauerstoff ist Schlafstoff

Für süße Träume: GABA

Nachts, wenn das Wunder geschieht

Eine Mütze voll Schlaf

Wach sein: Lieber Alpha statt Beta

Einschlafen: Alpha und Theta

Tiefschlaf: endlich Delta

Kopfkino: REM-Schlaf

Aufwachen: Rückreise zu Alpha

Kreisläufe des Lebens

Das Leben läuft in Wellen – nicht in Strecken

Oft übersehen: die Vier-Stunden-Welle

Was wo im Körper los ist, wenn wir schlafen

Gehirn: Wo die Ideen sprudeln

Einfach fit: Herz und Blut

Verdauen und Entgiften: Leber und Darm

Nachts im Muskel

Wieder schön: Haut und Haare

Was uns am Schlafen hindert

Ewige Schlafstörer: Licht, Lärm & Co.

Es werde Licht. Aber bitte richtig.

Lüften: Eine gute Idee

Ruhe bitte!

Schlechte Schlafhelfer: Bier, TV & Pharma

Nebel statt Tiefschlaf

Wie Medikamente den Schlaf stören

Endlich besser schlafen

Ernährung: gutes ­Essen – guter Schlaf

Die Trias: Ernährung, Bewegung, Denken

Proteine bauen Körper und Geist auf

Schlafkiller Carbs: Warum Nudeln die Nachtruhe stören

Gute Fette wirken Wunder

Bewegung: Das Geheimnis der Regeneration

Das Nadelöhr: Laufen. Täglich.

Kraftsport am Tag – Wunder bei Nacht

Das Schlafgut-Rezept für Kraft

Ein bisschen Spaß muss sein

Gedanken aufräumen – endlich gut schlafen

Grübelfalle: Sorgen, Stress und Affengeschnatter

Meditative Bewegung

Sleep well! Das Sechs-Wochen-Programm

Das Prinzip macht den Unterschied

Ein offenes Programm

Woher soll ich die Zeit nehmen?

Was genau soll ich jetzt tun?

Sechs Wochen sind ein Anfang

Und was, wenn es immer wieder nicht klappt?

Danebenzielen

Fokus auf Gesundheit

Ihr persönliches Sleep-well-Programm:

Sleep-well-Programm: Ernährung – Bewegung – Denken

Anhang

Bausteine für einen heilsamen Schlaf

Pflanzliche Schlafmittel

Literatur

Sachregister

Ein Wort zuvor

Ja, Sie sind damit nicht allein. Schlafstörungen sind häufig. Noch viel häufiger, als Sie glauben. Können Sie ablesen am Schlaftablettenkonsum der deutschen Bevölkerung. Schlafmittel stehen mit an der Spitze aller täglich eingenommenen Pillen. Das muss einen Grund haben. Ich sehe es als Hilfeschrei. Millionen Menschen wissen sich nur noch mit Pillen zu helfen.

Am schlimmsten geht es den Berufstätigen zwischen 35 und 65 Jahren. Vier von fünf fühlen sich akut betroffen, so eine Kranken­kassenstudie (DAK). Damit haben Schlafstörungen seit 2010 um 66 Prozent zugenommen – und ganz nebenbei eine ganze Industrie begründet: mit Schlaflabors, Therapien, Duftkerzen und Wellenrauschen, ­Energiesprays, Beruhigungstees und Schlafcremes, mit Apps und Fitness­trackern, immer smarteren Lichtweckern und dickeren Matratzenbergen.

Deutschland schläft schlecht.

Und das ist ein gutes Geschäft. Wird denn auch geholfen? Oft eben nicht. Es ist wie bei der Prinzessin auf der Erbse: All die Mittelchen und Matratzen decken die eigentlichen Probleme nur zu. Sie bleiben aber da. Sie halten uns wach.

Dabei ist Schlafen das Natürlichste der Welt. So etwas wie Atmen, wie entspanntes Essen und Verdauen, wie freudiges Laufen und frohes Lachen … was uns oft auch nicht so leicht gelingt. Doch wenn wir den Weg zu einem Leben zurückfinden, das unserer Natur entspricht, dann müsste es ja auch wieder klappen: sich einfach hinlegen, einfach einschlafen, einfach träumen und schließlich erholt, frisch und munter, entspannt und froh wieder aufwachen. Sie wissen schon, welcher Dreiklang jetzt kommt:

Ernährung

Bewegung

Denken

Genetisch korrekt. So, wie es die Natur gewollt hat. Es läuft immer wieder darauf hinaus. Eine ganz einfache Weisheit, die wir in der Alltagshetze immer wieder links liegen lassen.

Schlafen ist für unser Leben, für unsere Leistungsfähigkeit und unsere Gesundheit mindestens so wichtig wie Wachsein. Ohne dass wir es merken, sind alle unsere Organe während des Schlafs genauso aktiv wie in den Stunden, in denen wir wach sind. Ohne unser bewusstes Zutun regenerieren alle Zellen, lernen wir, lassen wir neue Ideen aus uns heraussprudeln und erleben Heilung. Mehr noch: gutes Aussehen. Und … Glück!

Also: Schlafen Sie. Gut! Und wenn Sie nicht schlafen können, tun Sie alles Ihnen Mögliche dafür, dass Sie Ihren Schlaf wiederfinden. Eine ganz einfache und praktische Anleitung dazu bietet Ihnen dieses Buch.

Schlaf ist ein Elixier. Schlaf heilt. Kaum etwas ist als Booster Ihrer Leistungsfähigkeit effektiver als tiefer Schlaf. Lassen Sie uns in diesem Buch gemeinsam über den Schlaf nachdenken. Und den Tiefschlaf. Urquell unserer Energie.

Und dann: Fühlen Sie sich so hellwach wie noch nie zuvor!

Viel Freude dabei wünscht Ihnen

Ihr

Warum wir guten Schlaf brauchen – und wie viel

»Um sechs Uhr essen, ins Bett um zehn – ­verlängert das Leben auf zehnmal zehn.«

Englisches Sprichwort
aus dem 17. Jahrhundert

Ein gutes Drittel unseres gesamten Lebens verbringen wir schlummernd unter der warmen Bettdecke. Passiv. Muss das sein? ­Könnten wir nicht viel produktiver sein, wenn wir viel ­weniger schlafen würden? Im Gegenteil: Schlaf gehört zum Leben! Schlaf ist aktiv, Schlaf macht gesund und glücklich. Wer mit Tricks und Willenskraft versucht, so viel Schlaf zu vermeiden wie nur möglich, sieht ziemlich schnell ziemlich alt aus – und kann irgendwann gar nichts mehr tun.

Gut geschlafen

Riesenfirma, Riesengewicht, mit einer massiven Burn-out-Anamnese. Schluckt schon diverse Mittelchen, leider ohne Erfolg. Ein hochgebildeter, empfindsamer Mensch. Woher ich das weiß? In meinem Wartezimmer liegen Gedichtbändchen aus. Der Patient blättert darin und schaut mich im Sprechzimmer mit großen Augen an.

»Ich könnte heulen. Bei diesen Gedichten. Schon so lange keine mehr lesen können. Seit zehn Jahren kein Urlaub. Arbeite jeden Tag zehn Stunden, schlafe höchstens vier Stunden. Will raus aus dem Teufelskreis.«

Hat mir richtig leidgetan. Also habe ich mit ihm gesprochen, ihn motiviert, Ratschläge gegeben, Blut abnehmen lassen zur Analyse. Am nächsten Tag folgte dann eine Mail, die mir freilich jede Hoffnung raubte:

»Ich bin mit meiner Leistungsfähigkeit am Ende. Werde mich ausschließlich auf ihren Medikamentenplan konzentrieren. Das Buch, das Sie mir gestern mitgegeben haben, habe ich bereits zur Hälfte gelesen. Insgesamt war gestern ein anstrengender Tag für mich, zum Abendessen gab es Tofu mit Kartoffelbrei und Reis, und beim Essen habe ich an Sie gedacht … danach habe ich noch vier Bier getrunken. Heute früh habe ich meine Armada von Sportschuhen im Schrank gesehen, zum morgendlichen Joggen früh um 5.00 Uhr fehlte mir einfach die Kraft.«

So kann’s nicht gut gehen

»Oh mei!«, habe ich gedacht. Kartoffelbrei und Reis. Nach meinem Vortrag. Und dann vier Bier. Und dann keine Energie mehr zum Laufen. Hätte ich auch nicht. Wo soll das enden?

Nun, das Ende war überraschend glücklich. Wenige Monate später kam die folgende Mail. In einer völlig anderen Tonart. Freuen Sie sich doch einfach einmal mit:

»Seit meinem Besuch bei Ihnen hat sich einiges bei mir getan. Es hat mehrmals Klick in meinem Kopf gemacht.

Ergebnis: Ich jogge täglich früh um 5.30 für 30 bis 40 Minuten. Habe nach dem Besuch bei Ihnen 14 kg abgenommen.

Leicht und locker täglich zu joggen macht mir großen Spaß, und ich freue mich jeden Tag, früh in meine Sportschuhe zu schlüpfen und die frische Luft in meinem Körper zu spüren.

Kohlenhydrate habe ich komplett aus meinem Leben gestrichen. Ich freue mich auf Obst, Nüsse, Salat, Fleisch, Fisch und Gemüse. Was kann ich sagen, Herr Dr. Strunz, mein Leben hat sich wesentlich positiv verändert. Ich kann wieder durchschlafen, ich freue mich jeden Tag auf meine Familie und auf meine Tätigkeit hier.

Ich fühle mich topfit!!!!!

Ihnen ein ganz großes DANKE!!!!!

Diese Veränderung ist wirklich großartig!!!!!«

Nun, das sind ziemlich viele Ausrufungszeichen … also doch noch gewonnen. Glück gehabt. Ich habe tief durchgeschnauft. Nach dem Kartoffelbrei, dem Reis und den vier Bier hatte ich dieses Wunder eigentlich nicht mehr erwartet. Nun: Der gut gemeinte »Tritt in den Hintern« hat wohl schlussendlich doch gewirkt.

Lassen Sie uns ins Thema Schlafen einsteigen mit ganz grundsätzlichen Fragen:

Warum kann »gut schlafen« von Mensch zu Mensch so unterschiedlich aussehen? Und welche Schlafstörungen sind eigentlich etwas ganz anderes als Störungen?

Wie funktioniert unsere »innere Uhr«? Und wo ist diese Uhr überhaupt?

Wie kommt es, dass Schlafmangel krank macht? Umgekehrt aber auch: Warum rauben uns Krankheiten den Schlaf?

Gut schlafen heißt: gut leben!

Stress zwischen Autobahn und Büro, Stress mit Chef und Kollegen, Stress zwischen Steuererklärung und Fitnessstudio, Facebook und Netflix, Überstunden und Deadlines, Pubertät der Zöglinge und eigener Midlifecrisis, zwischen tausend Verpflichtungen und verpassten Chancen. Das ist die Liste der leidigen Schlafräuber, die uns zuerst in den Sinn kommt, wenn wir an Schlafstörungen denken. Ist auch alles nicht falsch. Aber: Ist es das wirklich? Das allein? Nein.

Ernährung: Richtig essen, gut schlafen

Was viel weniger bekannt ist, sind die durch Fehlernährung verursachten Schlafstörungen. Dabei sind die Zusammenhänge einfach: Wenn dem Körper Bausteine fehlen, kann er für den Schlaf entscheidende Hormone nicht »bauen«, dann kann er Sauerstoff nicht binden, dann kann er Stress nicht abbauen – und dann schlafen wir schlecht. Manchmal gar nicht.

Schlafen klappt nur, wenn der Körper gesund ist. Das heißt: Wenn wir nicht grobe Defizite im Blut haben. Bei sehr tiefem Magnesiumspiegel werden wir niemals innere Ruhe finden. Dann können wir auch nicht meditieren und die Meditation auch nicht dazu nutzen, endlich besser zu schlafen. Mit einem leeren Eisenspeicher werden wir niemals lang genug joggen können. Geht nicht. Dann werden wir das Laufen auch nicht nutzen können, um Stress abzubauen, um müde zu werden und schließlich ganz friedlich … zu schlafen.

Wenn es um gutes, um heilendes Schlafen geht, steht statt der Supermatratze etwas ganz anderes am Anfang: Molekularmedizin! Heißt übersetzt nichts anderes als ein einigermaßen funktionierender Körper. Und für Sie wiederum: Blutanalyse. Bluttuning. Eine unerlässliche Voraussetzung.

Bewegung: Wer nicht läuft, schläft auch nicht

»Weshalb Sie nicht schlafen können? Weil Sie nicht leben wollen«, das habe ich einem meiner Patienten kürzlich auf den Kopf zugesagt. »Sie akzeptieren nicht die Realitäten der Natur!« Der schaute dann ganz erschrocken. Aber es ist doch so: Der Körper ist geschaffen für harte Arbeit. Täglich. Ist geschaffen für das Laufen. Täglich. Eine ungemütliche Wahrheit.

Beweis? Wir haben nachweislich Muskeln. Wozu haben wir Muskeln? Um am Schreibtisch zu sitzen, zu denken, um uns unablässig zu ärgern? Dafür haben wir Muskeln? Natürlich nicht. Wir sind mit und aus Muskeln geschaffen. Damit wir diese benutzen. Täglich. Hart arbeiten. Lange laufen. Hinter der Beute her. Um am Abend, körperlich erschöpft … von selbst einzuschlafen.

Tief drin in den Zellen, in den Genen, da sitzt die gesamte knochenharte Geschichte der Menschheit. Die fordert ihren Tribut. Niemand kann seinen Körper betrügen. Nein: können Sie nicht. Der zahlt es Ihnen heim. Mit Schlafstörung.

Denken: Raus aus dem Rattenkäfig

Die dritte Baustelle nach Ernährung und Bewegung: klares Denken. Entspannung. Doch der Mensch sitzt im Rattenkäfig. Eingesperrt. Von allen Seiten bedrängt. Sorgen, Mühe, Plage, Stress, Mobbing, die Familie, der Chef, das Finanzamt, die Politik … Sie kommen aus diesem Käfig gedanklich nie mehr heraus. Und solange Sie im Rattenkäfig eingesperrt sind, werden Sie Schlafstörungen haben. Weil der Käfig Sie ja auch abends im Bett nicht loslässt. Weil Sie nicht etwa – so war das gedacht – nachts innerlich frei werden und … einschlafen. So wie Ihnen das jedes Kleinkind vormacht.

Es ist paradox: Vielen von Ihnen gelingt das entspannte Gleiten in den Schlaf deshalb nicht, weil sie es unbedingt wollen. Statt einfach Leben zuzulassen, wollen Sie! Sie wollen Ihr Leben mit harter Hand steuern. Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Familie, acht Stunden Schlaf. Gefälligst. Sie glauben felsenfest an streng geregelte Abläufe. Viele von Ihnen können nicht mehr »lassen«. Das Leben zulassen.

Mein Vorschlag: Vergessen Sie das mit dem Schlaf, der nicht kommt. Lassen Sie die Tablette einfach mal weg. Leben Sie einfach. Bleiben Sie wach. Einen Tag, zwei Tage, drei Tage, vier Tage … Der Schlaf wird kommen! Unausweichlich. Spätestens nach sieben Tagen. Gut, einverstanden: Die Übergangszeit ist unschön … der Schlaf aber ist heilsam.

Es trifft ja auch auf mich selbst zu. Nach 40 Jahren als Arzt darf ich Ihnen versichern: Es nutzt nichts, wenn wir an den Gitterstäben des Käfigs rütteln. Wir kommen ohnehin nicht raus aus dem Alltagsstress, aus den Sorgen, aus den Anforderungen, die Welt lässt sich nicht stoppen.

Gehen wir also den geschmeidigeren Weg. Statt uns gegen die Welt zu stemmen, ändern wir uns lieber selbst. Machen wir unser Innerstes unverwundbar, selbstbewusst, stark und öffnen wir so das Türchen des Rattenkäfigs. Es gibt genau zwei Möglichkeiten. Zwei Techniken, die jeder lernen kann, genauso wie die meisten von uns Radfahren erlernt haben:

Laufen. Ganz gleich, ob stundenlang am Fluss entlang, durch den Park oder den Wald. Wenn wir laufen, lassen wir den Rattenkäfig hinter uns zurück. Mental.

Meditieren. Täglich. Reine Übungssache. Damit öffnen wir das Türchen zum Unterbewusstsein. Wir treten hinaus in eine andere Welt. Und das können wir auch nachts im Bett tun. Und … einschlafen.

Gut schlafen heißt: gut leben!

»Wir sind die Hälfte unseres Lebens über blind«, hat der französische Denker und Naturforscher Jean-Jacques Rousseau einmal sehr treffend gesagt. Wir sind blind, ohne Kontrolle, ohne Bewusstsein, und das ausgerechnet in der unheimlichen Nacht. Kein Wunder also, dass wir den Schlaf gerne ausblenden. Und statt in Ruhe und voller Vertrauen einzuschlafen, lieber via Pille uns selbst das Licht ausknipsen.

Viele Menschen, oft sind es die besonders leistungsfähigen, wollen am liebsten gar nicht schlafen und stattdessen etwas Effektiveres tun: trainieren, arbeiten, irgendwas. Nur nicht »nichts« tun. Schon werden Mittel ersonnen, um die Schlafdauer zu optimieren – was für die meisten heißt: zu verkürzen. Tippen Sie gerne »Sleep Hacks« ins Netz, wenn Sie sich wundern wollen. Oder gruseln.

Wir stellen uns Leistung gerne als steilen, stets nach oben zeigenden Pfeil auf der XY-Achse vor. Verstehen das als Lebensprinzip. Das ist unser Antrieb. Die Anspannung. Das Machen. Das Tun. Das Wollen. Um tätig zu werden, müssen wir uns anspannen, sowohl geistig wie auch körperlich.

Aber: Ständige Aktivität ist nicht vorgesehen. Ständiges Tun. Darum hat die Natur uns den Schlaf geschickt. Den Gegenpol. Das Abspannen, das Entspannen. Die Erholung. Dieser Dualismus scheint existenziell. Ohne den periodischen und absolut verlässlich wiederkehrenden Wechsel von Licht und Dunkelheit wäre das Leben auf dieser Erde nicht so wunderbar entstanden, wie es geworden ist. Jede Ihrer Zellen und jeder mikroskopisch kleine Bestandteil Ihrer Zellen ist auf diesen Wechsel eingestellt. Mehr noch: existenziell davon abhängig.

Deshalb: Schlafen. Viel Schlafen. Eine gute Idee.

Viele Schlafstörungen sind gar keine

Verstehen Sie mich nicht falsch: Vor Willenskraft, vor Disziplin habe ich höchsten Respekt. Wettkämpfe lassen sich nur mit diesem »Biss« gewinnen, Unternehmen nur so erfolgreich führen. Aber: Wenn der Mensch seinen Willen so hoch trainiert, dass er sich von den Bedürfnissen seines Körpers abkoppelt, schlägt der irgendwann zurück. Garantiert!

Der Körper ist ein Resultat der Evolution des Lebens – und diese Evolution ist ewige Schwingung. Anspannung und Entspannung, Tag und Nacht, Hell und Dunkel, Leben und Tod. Aus Tod wird wieder Leben, Dunkel wird Hell, auf jede Nacht folgt ein Tag und auf jede Anspannung die ersehnte Ruhe.

In jeder kleinsten Struktur unserer Körperzellen ist diese Schwingung eingeschrieben. Wir Menschen sind so, wie wir sind, gerade weil wir uns im Zusammenspiel mit diesen äußeren Bedingungen entwickelt haben. Was nur heißen kann: Je geschmeidiger wir in diesem ewigen Wechselspiel mitschwingen, desto besser geht es uns. Körperlich und seelisch. Seele und Physik hängen sehr viel enger zusammen, als wir es oft glauben wollen.

Das ewige Hin und Her von Spannung und Entspannung ist für unser Leben existenziell. Und was tun wir? Wir setzen uns darüber hinweg. Mit Willenskraft, »Sleep Hacks«, Aufputschmitteln. Und dann? Bekommen wir die Quittung:

Schmerz.

Der häufigste Schmerz der zivilisierten Menschen ist Schmerz am Skelettapparat. Bekannt: Rücken, Nacken, Schultern, Knie. Denn am Skelett hängt unsere Muskulatur, und die wird bei permanenter Anspannung irgendwann verspannt. Überspannt. Knochenhart. Weil das weh tut, richtig unangenehm weh, rollt sogleich eine Riesenindustrie heran. Und lockert: mit Physiotherapie und Pillen, mit Sumpfbädern, Massagestühlen und Supermatratzen.

Was hilft’s? Wenig. Weil das innere Rasen weitergeht. Überreizte Nerven überall, seelischer Schmerz, Herzklopfen, Tinnitus, Angst. Wer kann so schlafen? Niemand. Und es geht immer weiter, weil das Übel nur zugedeckt wird.

Warum packen wir das Ganze nicht einfach einmal an der Wurzel? Warum wollen wir nicht sehen, dass die Ursache Spannung ist? Zu starke Anspannung? Dass wir das Lebensprinzip Anspannen – Entspannen nicht in der Balance gehalten haben?

Weil wir dann etwas ändern müssten: Eiweiß statt Kartoffelbrei, Wasser statt Bier, Laufen statt Fernsehen, sieben bis acht Stunden schlafen statt vier, regelmäßig Pause machen statt jahrelang ranklotzen ohne Pause. Den Hebel umlegen Richtung gesund. Das ganze Leben vom Kopf auf die Füße zurückstellen. Da kann einem schon mulmig werden, da braucht man schon Mut. Wem nur noch die Wahl bleibt zwischen ausbrennen und neu starten, der schafft das ganz gut. Siehe oben. Manch einer muss erst an die Wand laufen, bis er einsieht, dass Umdrehen eine ganz gute Idee sein könnte.

So weit müssen wir es aber nicht kommen lassen. Wenn ich mir durch den Kopf gehen lasse, mit welchen Beschwerden und mit welchen Vorstellungen Patienten mit Schlafstörungen in meine Praxis kommen, meine ich: Bevor wir so richtig tief in das Thema Schlaf einsteigen, bevor Sie (hoffentlich) Ihr Leben ein bisschen (warum nicht gleich: radikal?) umkrempeln, lassen Sie uns erst einmal aufräumen. Mit ein paar grundlegenden Missverständnissen:

Schlaf ist aktiv. Nicht passiv.

Schlaf ist komplex. Nicht nach vier Stunden abgehakt.

Schlaf ist individuell. Jeder schläft anders.

Schlaf ist episodisch. »Durchschlafen« geht nicht.

Schlaf folgt der Sonne. Nicht der Uhr.

Schlaf will Rhythmus. Nicht Entschleunigung.

Schlaf ist eine höchst aktive Angelegenheit

Wenn wir schlafen, sind wir zwar äußerlich passiv, sogar ziemlich schutzlos, wir sind aber nicht unproduktiv. Muskelbewegungen und Sinneseindrücke werden im Schlaf aktiv unterdrückt, unsere Zellen werden generalüberholt, wir lernen intensiv und haben mit etwas Glück die besten Ideen unseres Lebens. Seltsam, dass wir manches »zum Einschlafen langweilig« finden. Gerade das Einschlafen ist alles andere als ein langweiliger Vorgang. Wenn wir durch das Türchen zum Schlaf hindurchgeschlüpft sind, wissen wir nicht einmal mehr, dass wir schlafen!

Jeder braucht mehr als vier Stunden

Gerade die Anspruchsvollen im Sport und im Job glauben oft, dass die Besten der Besten mit vier Stunden Schlaf pro Nacht auskämen. Dieses Gerücht hält sich hartnäckig – und doch ist es nur ein Gerücht. Niemand kommt auf Dauer und bei bester Gesundheit mit nur vier Stunden aus, sogar fünf Stunden reichen kaum. Gesund sind wohl eher sieben bis acht Stunden. Dass sich insbesondere Ärzte im Schichtdienst oder Politiker in Marathonverhandlungen mit so wenig Schlaf begnügen, heißt nicht, dass sie es gerne tun, und erst recht nicht, dass es ihr Naturell wäre. Sie rennen in einem Hamsterrad mit unerbittlichen Arbeitszeiten und kommen damit klar, so gut es eben geht. Gesund ist das nicht. Und auch kein Anzeichen für große Geisteskraft. Übrigens sollen die ganz großen Geister, Goethe oder Einstein zum Beispiel, ungewöhnlich lange geschlafen haben …

Jeder schläft anders

Früher fühlten Patienten sich wie gerädert, wenn sie schlecht geschlafen haben. Heute fühlen sich Patienten wie gerädert, wenn ihre Schlaf-App der jüngsten Nacht einen nicht der vorprogrammierten Norm entsprechenden Verlauf attestiert.

Hallo? Aufwachen!

Wie eine Messkurve aussieht und wie viele Stunden exakt jemand geschlafen hat, das ist gar nicht so wichtig. Der Mensch kann in der Nacht ein Dutzend Mal aufwachen und sich am Tag trotzdem wohlfühlen. Er kann nach sechs Stunden aufwachen und erholt sein. Er kann von 20 bis 24 Uhr, dann wieder von 2 bis 4 Uhr und noch einmal von 5 bis 7 Uhr schlafen und putzmunter sein. Es gibt keinen »Idealschlaf«. Jeder Mensch schläft anders. Und wem es tagsüber gut geht, der hat offenbar gut genug geschlafen. Wann und wie genau, ist nicht relevant, solange ausreichend Tiefschlafphasen dabei waren. Oder, wie es der Neurobiologe Peter Spork schreibt (Spork 2016, S. 113):

Die Schlafdauer (ist) kein wirklich geeignetes Kriterium zur Diagnose eines Schlafproblems. Viel wichtiger ist das Befinden am Tag. Ist das in Ordnung, kann der Schlaf nicht so schlecht gewesen sein.

PETER SPORK

Niemand schläft »durch«

Und damit sind wir beim nächsten Irrtum. Patienten glauben häufig, sie hätten Durchschlafprobleme. Dabei schläft niemand durch. Jeder völlig normale und gesunde Mensch wacht in jeder Nacht etwa 28-mal auf – das hat der deutsche Schlafmediziner Jürgen Zulley von der Universität Regensburg herausgefunden. Der Witz dabei: Man erinnert sich nicht an das Aufwachen. Deshalb das Gefühl, man habe durchgeschlafen.

Entwarnung also für alle Menschen mit gefühlter Schlafstörung: Acht Stunden lang durchschlafen braucht man nicht, geht auch gar nicht. Weil es mit unserer Biologie nichts zu tun hat. Normal ist es, wenn wir zwei-, dreimal pro Nacht in den Tiefschlaf fallen. In den Deltazustand.

Taktgeber ist die Sonne, nicht die Uhr

Der Ostdeutsche frühstückt früh, der Rheinländer frühstückt später, noch später der Franzose. Am Abend deckt der Ostdeutsche früh seinen Tisch, dann der Rheinländer, Franzosen gehen spät zu Tisch und Spanier praktisch erst in der Nacht. Ist der Ostdeutsche also fleißiger als der Spanier? Natürlich nicht. Bei ihm geht bloß die Sonne früher auf. Der Unterschied zwischen dem östlichsten und dem westlichsten Punkt in Deutschland beträgt schon 36 Minuten. Und während der Sommerzeit liegen zwischen Mitternacht auf der Uhr und der »echten« Mitternacht in Santiago de Compostela zwei Stunden und 38 Minuten! (Roenneberg 2012, S. 217)

Wir haben es hier also weder mit Frühaufstehern im Osten noch mit Spätessern im Westen zu tun. Wenn wir genau hinschauen, sind diese »Kulturunterschiede« gar nicht vorhanden. Sie sind ein natürliches Ergebnis der künstlichen Einteilung von Zeitzonen. Die es im Übrigen noch gar nicht so lange gibt. Noch im 19. Jahrhundert hatte jede Stadt in Deutschland ihre eigene Zeit. Dann kam die Eisenbahn. Und mit dieser ersten großen Beschleunigungstechnik wurde es notwendig, die Uhrzeiten anzugleichen. Und wir wundern uns, dass wir uns ständig neben der Spur fühlen? Vor allem während der Sommerzeit?

Dass es jetzt irgendwo acht Uhr ist, das ist nirgendwo eine natürliche Gegebenheit. Es ist vielmehr ein technisches Orientierungsmittel, das selbst eine lange Entwicklungsgeschichte durchlaufen hat. Ein Produkt unserer Kultur. So ist es auch mit unserem Schlaf. Auch der ist längst zu einem Kulturprodukt geworden. Mehr noch: zu einem Konsumartikel. Pille rein, Schlaf an. Völlig wider die Natur.

Wir müssen nicht »entschleunigen«

Alles in der Natur folgt Rhythmen, und einer der wichtigsten Taktgeber ist der Lauf der Sonne. Bären, Zugvögel, Blumen, Würmer, Bakterien – allen diesen Lebewesen sind Rhythmen in die tiefsten Strukturen der Zellen eingeschrieben. Die wenige Millisekunden dauern oder 120 Jahre. Einer der längsten bekannten Rhythmen dauert tatsächlich 120 Jahre: So lange braucht die Bambusart Phyllostachys bambusoides von einer Blütezeit zur nächsten.

Dass unsere Welt immer schneller werde, immer stressiger, dass die rasante Entwicklung uns an die Grenze unserer physischen und psychischen Leistungsfähigkeit bringe, das lesen wir fast jeden Tag in der Zeitung. Ist wohl so. Na und? Besteht das Problem nicht vielmehr darin, dass wir keinen vernünftigen Rhythmus leben? Licht an, Licht aus. Smartphone an, Smartphone aus. Aktiv sein, schlafen. Genau dann, wenn unser Körper das braucht, und ganz unabhängig davon, was die Uhr dazu sagt. Oder Facebook-Freund Nummer 318.

»Der wahre Grund dafür, dass das Problem des Stresses bis heute nicht gelöst wurde, ist nicht die mangelnde Befolgung des Aufrufs zur Entschleunigung«, schreibt die Rotterdamer Philosophie-Professorin Marli Huijer. Der wahre Grund ist vielmehr (Huijer 2017, S. 21)

»die mangelnde Erkenntnis, dass nicht Hetze und Geschwindigkeit das eigentliche Problem sind. Das eigentliche Problem besteht aus der mangelnden Abstimmung der verschiedenen Geschwindigkeiten aufeinander, das heißt, es ist ein Problem der Rhythmik.«

MARLI HUIJER

Ein wichtiger Gedanke. Der nichts anderes sagt als: Viele unserer gravierenden Schlafstörungen wären vermeidbar. Streng genommen sind es nicht einmal Schlafstörungen. Es sind Rhythmusstörungen. Weil unser Terminkalender den Sonnenstand ignoriert und damit … unsere ganz simplen, ganz existenziellen Lebensbedürfnisse.

Jeder schläft anders – und das ist gut so

Urlaub. Mal scharf nachdenken: Gibt’s da Schlafstörungen? Meistens nicht. Und warum nicht? Weil der Mensch da ins Bett geht, wenn ihm der Sinn danach steht. Und am Morgen aufsteht, wenn er von alleine wach wird. Zwischendurch läuft er in der Sonne, schläft vielleicht eine Runde am Strand.

»Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden«, hat der große Denker Immanuel Kant geschrieben. Warum sollte also der menschliche Schlaf etwas »Gerades« sein, der bei jedem Menschen jede Nacht gleich verläuft? Dass die Bahn jeden Morgen zur gleichen Minute fährt und die Schulglocke zur gleichen Minute klingelt, ist eine Erfindung der Neuzeit. Ohne Uhr, ohne Strom, ohne elektrisches Licht wäre das gar nicht denkbar. Hat mit der menschlichen Natur überhaupt nichts zu tun. Läuft unseren Bedürfnissen zuwider. Schlafstörungen sind … Lebensstörungen.

Kannten wir so nicht immer – und Menschen aus anderen Zeiten und in anderen Kulturen erleben Schlafstörungen auch nicht so wie wir. Manche kommen nicht einmal auf die Idee, dass es »normal« sein könnte, gleichzeitig zu schlafen. Erlauben wir uns also einen Blick auf den Schlaf

in anderen Kulturen

wie ihn »Eulen« und »Lerchen« leben

wie ihn Männer und Frauen genießen

und auf den Schlaf, den Jugendliche oft erst so überaus spät finden.

Bei den Hadza ist immer jemand wach

Wenn alle gleichzeitig schlafen, kann niemand aufs Feuer aufpassen, vor Raubtieren und Räubern warnen. Aus evolutionärer Sicht ist es eine ziemlich gute Idee, dass immer jemand wach ist. Und bei Naturvölkern ist es bis heute so.

Als Forscher um Charles Nunn von der Duke University in Durham (USA) das Jäger- und Sammlervolk der Hadza im Norden Tansanias besucht haben, fanden sie ganz unterschiedliche Schlafzeiten.

Zwar legten sich die meisten Mitglieder der 20 bis 30 Personen umfassenden Gruppen gegen 22 Uhr zum Schlafen und wachten gegen sieben Uhr in der Früh auf. Manche aber legten sich viel früher hin, andere sehr spät. Manche standen nicht lange nach dem Einschlafen wieder auf und liefen irgendwohin. Während der gesamten Nacht gab es nur wenige Episoden von höchstens einer Minute, in der die gesamte Gruppe gleichzeitig schlief. Insgesamt war immer rund ein Drittel der Hadza in der Nacht aktiv oder döste.

(Samson et al. 2017)

Und bei uns? Gehört es sich nicht, in der Nacht herumzustromern. Oder sich tagsüber quer über den Schreibtisch zu legen, wenn sich nach dem Mittagessen in Bauch und Kopf eine wohlige Schläfrigkeit breit-macht. Hierzulande gilt öffentliches Schlafen als Zeichen von mangelnder Disziplin. Faulheit.

Ganz anders in Japan. Dort hat man schon vor Jahrhunderten Inemuri erfunden, den Anwesenheitsschlaf. Eine Idee der Samurai, die ihren Herrschern schlau versichert hatten, ganz locker beides zur gleichen Zeit zu können: aufpassen und schlafen. Mit dem Schwert in der Hand. Bis heute genießen öffentlich im Sitzen schlafende Menschen in Japan ein hohes Ansehen. Wer tagsüber so tief schlummern kann, der hat wohl bis spät in die Nacht hart gearbeitet.

Der Ärger über nächtlichen Lärm hält sich überall da wohl auch in Grenzen, wo Menschen zwanglos immer und überall schlafen dürfen. Nach Einschätzung der Japanologin Brigitte Steger geht man in den Ländern, in denen das Schlafen mitten am Tag normal ist, ganz entspannt mit nächtlichem Lärm und Tumult um. Aufgewacht? Macht nichts. Dann holt man den Schlaf eben später nach … (Grimm 2016, S. 88 f.).

Dass wir Menschen sieben oder acht Stunden am Stück schlafen müssen und dass das ausgerechnet in der Nacht stattfinden soll, ist also eine fixe Idee. Jedenfalls kein Naturgesetz. Vielleicht sollten wir uns zuerst von unseren starren Vorstellungen lösen. Dann wären wir dem Wunschtraum – endlich entspannt schlafen – schon einen großen Schritt nähergekommen.

Eulen und Lerchen – gibt’s die wirklich?

Wenn Menschen an anderen Orten und zu anderen Zeiten ganz anders schlafen als wir und viele unserer Schlafprobleme »hausgemacht« sind – was ist dann mit den Eulen und Lerchen, von denen man immer wieder hört? Stimmt es überhaupt, dass manche Menschen eher frühe Typen sind und andere genetisch bedingt jeden Tag später dran?

Ja und Nein.

Erst einmal zum Ja: Mittlerweile gilt es als gesichert, dass unser inneres Zeitsystem biologisch festgelegt ist. Es ist eine Frage der Gene – doch Genetik ist eine komplexe Angelegenheit. Es stecken so viele unterschiedliche Gene und Proteine hinter den Mechanismen unserer inneren Uhr, dass man mit einem Gentest nicht einfach herausfinden kann, welches die perfekte Schlafenszeit für einen Menschen ist.

Immerhin scheint es so zu sein, dass ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung zu normalen Tageszeiten wach und aktiv sind. Ein Sechstel gehört zu den extremen Frühaufstehern, die morgens um fünf oder sechs Uhr schon völlig entspannt von der Rennstrecke nach Hause kommen, um sich den zweiten Kaffee zu kochen. Ein weiteres Sechstel zählt zu den extrem späten Typen, die ihr Mittagstief gegen 18 Uhr erleben und erst dann so richtig produktiv werden, wenn die Lerchen schon längst wieder in den Federn liegen.

Eulen und Lerchen können mit ihrem natürlichen Tagesrhythmus tatsächlich zwölf Stunden voneinander abweichen. Es ist also gut zu wissen, wie der Partner oder die Partnerin tickt, wenn man sich im Alltag gelegentlich begegnen möchte.

Jetzt zum Nein: Niemand ist sein ganzes Leben lang Sklave seiner Chronobiologie, manche sagen auch »Uhrengene«. Zum einen kann man sich an veränderte Lebensrhythmen gewöhnen: Etwa um zwei Stunden lässt sich die eigene Komfortzeit ohne größere gesundheitliche Folgen nach vorne oder hinten schieben. Und zum anderen verstellt sich die innere Uhr im Laufe des Lebens mehrmals von ganz allein. Wer seine betagte Nachbarin regelmäßig um halb sieben in der Früh munter pfeifend bei der Gartenarbeit antrifft oder jemals versucht hat, einen Säugling abends nur deshalb ins Bett zu bringen, weil es halb sieben war, der wird es bestätigen können: Was als »normal« gilt oder nicht, das ist den inneren Uhren des Menschen egal. Völlig egal.

Und auch hier gilt wieder: Viele Schlafstörungen resultieren aus inneren Uhren, die richtig gehen, aber missachtet werden.

Warum Männer jüngere Frauen heiraten

Till Roenneberg, Professor am Institut für Medizinische Psychologie an der Universität München, erforscht die sogenannten Chronotypen des Menschen. Also Lerchen, Eulen und alle, die dazwischen leben.

Damit hat Roenneberg zwei wichtige Dinge herausgefunden, wobei wir den zweiten Befund als Scherz verstehen dürfen – natürlich mit einem Körnchen Wahrheit. Erstens: Der »Knick« in der chronotypischen Entwicklung eines Menschen ist das biologische Anzeichen für das Ende seiner Jugend. Und zweitens: Männer heiraten gerne etwas jüngere Frauen, weil sie dann … gemeinsam frühstücken können. (Roenneberg 2012, S 145; 260)

Sollten Sie je einem Jugendlichen begegnen, der um 22 Uhr freiwillig ins Bett und morgens um fünf froh gelaunt wieder herausspringt, können Sie sicher sein – das ist ein Ausreißer. Ein statistischer Ausreißer.

(Roenneberg2012, S.147):

Schläft nun ein ganz normaler Schüler gegen 23.30 Uhr friedlich ein und wird er um 5.30 Uhr geweckt, damit er den Vorortzug Richtung Schule erwischt, fehlen ihm in jeder Nacht zwei bis drei Stunden Schlaf. Im Schnitt. Wer erst um ein Uhr oder noch später eingeschlafen ist, dem fehlt noch mehr Schlaf. Und das, weil Jugendliche im Schnitt gut acht bis neun Stunden Schlaf brauchen. Wer zur Schule gehen muss, hängt hierzulande jahrelang im sozialen Jetlag fest. Mit zwei ernsten Konsequenzen: je später der biologische Chronotyp eines Schülers, desto schlechter seine Noten.

Mehr Schlaf = mehr Erfolg

Sehr frühe oder sehr späte Verpflichtungen sind immer dann überhaupt kein Problem, wenn jemand ohnehin als sehr früher oder ein sehr später Chronotyp geboren wurde. Alle anderen sehen alt aus. Und das sind viele.

Das sind dürre Zahlen – doch hinter den Zahlen stehen wir alle, die wir auf dem besten Weg sind, unsere Gesundheit zu ruinieren, weil wir das grundlegendste Bedürfnis unseres Körpers und unserer Seele nicht vernünftig unter einen Hut bekommen mit den Zeitplänen der Schulen, der Kliniken, der Werkstätten und Büros.

Wer früh aufsteht, ist nicht unbedingt fleißiger als andere – sondern folgt vielleicht nur seiner inneren Uhr.

Wer abends früh zu Bett geht, ist nicht unbedingt langweiliger als andere – auch der hat möglicherweise nur seine innere Uhr verstanden.

Wer mitten in der Nacht für ein, zwei Stunden aufwacht und Zeitung liest, die Steuererklärung schreibt oder bügelt, hat nicht unbedingt eine Schlafstörung – sondern vielleicht einen eigenwilligen und sehr gerade deshalb sehr gesunden Schlafrhythmus.

Wer sich während der Arbeitszeit ein paar Minuten Tiefschlaf gönnt, ist nicht faul – sondern weiß um die Geheimnisse des »Urquells der Energie«.

Vielleicht sind Schlafstörungen wie drückende Laufschuhe. Wenn die schmerzen, hat der Mensch keinen kranken Fuß, sondern den falschen Schuh.

Und ja, auch das: uns arrangieren mit den Dingen, die nicht zu ändern sind …