Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2004
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Titelfoto: Albert Gruber, © Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
eISBN 978-3-475-54684-6 (epub)
Paul Friedl
Der Wald singt sein ewiges Lied
Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht Veit Ameis, ein Mensch, der verzweifelt um seine Heimat ringt. Es sind die Landschaft des bayerischen Waldgebirges, der Kampf um das Brot des Bauern und das raue Leben eines vom Schicksal schwer Geprüften, die Paul Friedl eindringlich schildert und zu einem letztlich versöhnlichen Ende führt.
Dieser Roman wurde nach seinem ersten Erscheinen mit einem Preis der Schiller-Stiftung ausgezeichnet.
Über dem Bayerischen Wald lodert die Hochsommersonne. Die dunklen Waldgipfel streben gegen einen reinblauen Himmel. Im Dorfe Steinöd knistern die Dachschindeln auf den Bauernhöfen im Sonnenbrand, und im ausgetrockneten Bett des Kobelbachs gluckert leise ein Wässerlein um die Bachkieseln.
Die kargen Bergwiesen dörren braun im heißen Tag, und auf den grünen Feldern neigt sich das dünnständige Sommerkorn in der Reife. Die heiße Luft bewegt sich flimmernd über dem Dorf und dem Feldweg, der wie eine dunkle Narbe schräg den Berghang emporführt, vorbei an den Höfen zur Höhe, wo zwischen Birkenbuckel und Möserstein der dichte Wald des Kobelgrunds sich breitet.
Auf der halben Höhe steht schief und müde ein altes Holzkreuz. Der Rost hat die Inschrift, die ehemals auf dem Blechtäfelchen stand, zerfressen. Morsch und verwittert scharen sich um das Kreuz die Totenbretter des Ameishofs, lehnen sich Halt suchend an das alte Kreuz oder faulen auf dem Boden. So wie die Natur ihre Leiber zerfallen ließ im Friedhof des Dorfes, so haben Wind und Regen die Namen der längstverstorbenen Ameishofer gelöscht von den Brettern, die in diesem Dasein ihre letzte Ruhestätte waren. Neu und aufrecht steht nur das Totenbrett des letzten Ameishofer.
„Zum Andenken an den ehrengeachteten Herrn Ameis, ehemals Bauer am Ameishof, der im Alter von 78 Jahren selig im Herrn verschieden ist. R. I. P.
Ein Leben voll Leid und ohne Freud —
Dir winkt der Himmel, die Ewigkeit.“
Im dürftigen Schatten der Totenbretter tanzen die Mücken. Über die sonnenheißen Steine des Feldweges huscht eine Eidechse und verschwindet in dem gelben Grasbüschel am alten Wegweiser mit der zerborstenen Holztafel, die zu einem schmalen Fußsteig hinüber weist zum hohen dichten Tannenwald im Kobelgrund: „Zur Bauernmarter“.
Hier enden die Felder. Bis hinauf zum Wald dehnt sich ein trostloser, ausgebrannter Hang, übersät von riesigen grauen Granitblöcken und bestanden von einzelnen mageren Kronwittstauden, die in den seltsamsten Formen, geduckt wie schlafende Waldkäuze oder gereckt wie drohende Waldgeister, sich an den Felsen schmiegen.
Die Wegspur führt in das Dunkel des Kobelwalds. Eng beisammen, die halbverdorrten Astzinken ineinander verschlungen, wachsen hier die Schwarztannen, und kein Sonnenstrahl findet durch das Gewirr den Boden, auf dem die Baumnadeln faulen und von den Wurzeln der Stämme zehrend der Hexenpilz wächst. Durch kühles Halbdunkel läuft der Steig, vorbei an den braunen Kreuzwegstöcken, und endet pötzlich vor einem seltsam düsteren Holzbau. Aus unbehauenen Stämmen zusammengefügt, steht in der Stube des Waldes eine freudlose Kapelle. Dichtes Unterholz wuchert bis an die zerfallene hölzerne Galerie, die außen um das Kirchlein führt. Die alten Bäume, an denen der Bau lehnt, strecken ihre dürren Äste gegen die Wände.
Vielhundertjährige Tannen stehen dicht im Kreis und lassen durch ihr Nadeldach kaum ein Fleckchen Himmelsblau blicken. Der schiefe hölzerne Turm der Kapelle verschwindet in ihrem Astwerk und lehnt Halt suchend in einer Astgabel.
Vergessen ist in diesem Halbdunkel bei der Bauernmarter der heiße sonnige Tag, der hoch oben auf den Baumwipfeln glänzt. Hier ist ewiges Düster und der dumpfe, feuchte Geruch des faulenden Waldbodens.
Schnarrend taumelt eine Hornfliege zwischen den Stützen der Galerie, flappt gegen das einzige Fensterchen der Kapelle, zerreißt wütend ein Spinnennetz, das eine langbeinige Totenspinne zwischen den Balken aufgespannt hat, und entflieht der modernden Luft durch das Geäst, empor zum Himmel strebend.
Unter einem zerfallenden Baumstumpf schiebt sich träge eine Kröte mit schwarzem gelbgeflecktem Leib.
Im Innern der Kapelle ist es fast finster, und nicht gleich lassen sich Wort und Bild auf den alten schründigen Votivtafeln erkennen. Im Halbrund der Rückseite steht der Altartisch. Dort erhebt sich auf einem Postament eine sonderbare Figur. Ein Mann im ärmellosen Rock sieht flehend nach oben, die Hände über einer stachelbewehrten Keule gefaltet, diese schlagbereit ausholend. Große blaugläserne Kerzenleuchter stehen um die Figur, und Papierröschen, verblichen und verstaubt, schmücken den Altar.
Hinter der Figur ist an die bröckelnde Kalkwand ein rotes Kreuz gemalt, und die einstmals frische Farbe ist gedunkelt und gebräunt wie geronnenes Blut.
Ein einfacher Betschemel steht wurmzerfressen vor dem Altar. Sechs Holztafeln hängen je zu dreien an der linken und rechten Seitenwand und erzählen in grobschlächtigen, zum Teil kaum mehr kenntlichen Bildern eine seltsame Tragödie.
Als 1742 die Panduren unter ihrem Obersten Trenck den Bayerischen Wald heimsuchten, taten sich die acht Bauern von Steinöd mit ihren Dienstknechten zusammen, um dem Pandurenobersten Widerstand zu leisten. Sie lockten eine Abteilung des Raubgesindels in den Kobelgrund und erschlugen sie dort. Trenck nahm dafür aber blutige Rache und ließ alle Bauern von Steinöd, deren er habhaft werden konnte, im Wald von Kobel aufhängen. Den alten Ameis Balthes aber, der die Bauern angeführt hatte, ließ er lebend an den Baum nageln, unter dessen Nadeldach heute die Kapelle, genannt „zur Bauernmarter“, steht. Ein Jahr lang mußten sich die Steinöder, die den Panduren damals entronnen waren, in den tiefsten Wäldern versteckt halten.
Als sie endlich zurückkehren konnten in ihr Heimatdorf, fanden sie die schönen Höfe in Schutt und Asche. Doch ungebeugt schafften sie am Neuerstehen ihrer Höfe und gaben den Nachkommen die neue Heimat.
Neben der Kapelle steht das Datum des Sterbetages des letzten Ameis, dessen Dasein, wie auf seinem Totenbrett drunten am Wegkreuz zu lesen ist, voller Mühe war beinahe sein ganzes Leben lang.
Ein langbeiniger Weberknecht stelzt an der Wand hoch und verschwindet im offenen Dachgebälk. Durch das Dach der Bäume glänzt blausilbern der Himmel nieder. Irgendwo an einem alten Stamm klöpfelt ein Specht. Der einzige Laut in dem traurigen Waldesdunkel, der das Sommertagleben draußen nur ahnen läßt.
Hoch in den Lüften klingt heiser der Ruf eines Geiers.
Ein Herbsttag, verhangen, diesig und mit feinem Sprühregen.
Die Obstbäume um den Ameishof reckten ihre Äste schon starr und laublos gegen den düsteren Himmel. Auf den rupfigen Wiesenflecken, oben beim Feldkreuz, standen die Kühe und bissen unlustig in das letzte magere Gras von der Weide. Mürrisch brüllten sie in den unfreundlichen Spätnachmittag und äugten sehnsüchtig nach Hof und Stall. Beim Feldkreuz neben den Totenbrettern der Ameisbauern stand, frierend unter dem nässelnden Schauer, barfüßig ein Bub und zog den Rupfensack, den er zum Schutz gegen den Regen um die Schultern gehängt hatte, fröstelnd enger. Unter dem schmutzigen grünen Filzhütel, das der Bub auf dem Kopfe trug, strebte ein Schüppel gelockter Blondhaare über die Stirne, und die Blauaugen blitzten mißmutig aus dem hübschen Bubengesicht. Er lehnte sich an das Kreuz und starrte unwillig hinunter zum Ameishof, wartend, ob dort nicht das Zeichen zum Heimtreiben gegeben würde.
Ein kalter Zugwind wehte über die Berge, und unruhig fingen die Kühe zu gehen an.
Wollten dem Stall zu.
Da mußte der kleine Veitl laufen, um ihnen den Weg von der Wiese abzuschneiden und sie wieder zurückzutreiben. Die nassen Bloßfüße waren ihm rot geworden von der Kälte, und nun, da er im Winde stehen mußte, klapperten ihm die Zähne.
Und die Tränen kamen ihm in die Augen.
Heimtreiben durfte er nicht, wenngleich die Kühe nicht mehr fressen und immer wieder von der Wiese zu gehen suchten. Er mußte warten, bis der Vater pfiff! Wenn er eher eintrieb, dann —
Und waren so schwer zu halten, die guten Tiere, wenn sie zum Stall wollten! Unwillig und mit bösen Augen senkte die große Kalbin den Kopf und wollte gegen ihn angehen, als er sie mit dem Haselstecken vom Weg zurücktrieb. Zornig und die Bubenstirne in Falten ziehend, hieb er mit dem Stecken auf einen Felsblock, als wäre dieser Stein jemand, dem er etwas heimzuzahlen hätte.
Wozu mußte das arme Vieh in dieser Herbstkälte heraußen sein? Wo es doch nicht mehr fressen wollte und lieber im warmen Stall wäre? Wenn ein Stückel krank wird, dann hat doch wieder nur der Veitl schuld. Wenn er den Vater nicht gar so fürchten täte, dann triebe er einfach heim, aber er hatte genug an den Schlägen, die er wegen jeder Kleinigkeit bekam. Wenn er halt schon ein paar Jahre älter wäre, auf und davon tät er laufen, so schön wie daheim bekäm er es überall!
Jeder Bauer von Steinöd hatte seinen Hütbuben eingestellt, nur der Ameisbauer, weil er einer der größten im Dorf war, der mußte seinen Buben damit schikanieren, damit ihm der Lohn, den so ein Hütbub hat, zum Versaufen blieb.
Saufen wie ein Bürstenbinder und grob sein, daheim die Mutter und ihn schlagen, wenn er besoffen nach Hause kam, daß sie oft mitten in der Nacht aus dem Haus mußten — das und so war sein Vater. Aber im Wirtshaus, da war er lustig und redselig, sang mit den anderen und war der große Ameis. Daheim redete er den ganzen Tag kein gutes Wort und war immer fuchsteufelswild und saugrob.
Das war ein Leben — pah!
Ärger als bei den armen Besenbinderleuten drüben im Häusl, die sich höchstens einmal zankten und rauften, weil sie oft vor Not nicht wußten, was sie voreinander anfangen sollten. Der Ameisbauer aber, der im Gemeinderat saß, mit dem Pfarrer so schön und aufrichtig reden konnte und sich überall als den braven Mann hinstellte, der hatte es nötig, daheim einen solchen Lackel zu machen und auf die Mutter einzuschlagen, wenn er im Rausch und im Zorn war. Pah!
Wenn er erst aus der Schule ist, dann wird er, der Veitl, ausreißen und sich draußen im Gäu bei einem Bauern verdingen. Wenn er auch als der einzige Bub einmal den Hof kriegen sollte! Aber da war noch lange hin.
Daheim war er der Niemand, der Rotzbub und der Taugenichts, obwohl er den Hütbuben und den kleinen Knecht ersetzen mußte und nichts als Arbeit kannte, während die anderen Dorfbuben spielen konnten.
Ein kräftiger Regenschauer fegte über den Wald und den Hang her.
Frierend zog er das Filzhütel weiter über die Ohren und sah sich nach den Kühen um.
Herrschaftszeiten —
Die Rotscheck riß aus und rannte in queren Sprüngen dem Weg nach dem Hof zu! Hinterdrein stürmte die ganze Herde. Nun konnte er sie nicht mehr halten. Jetzt war es zu spät. Er mußte sie laufen lassen.
„Sauviecher!“ weinte er zornig und warf seinen Hüterstecken hinter der Herde her. Er traf damit die trächtige Kalbin, die als Letzte nachtrabte. In Schmerzen aufbrüllend, stieg sie hoch, raste davon und stürzte, den Zaun des Wurzgartens beim Hof überrennend, gegen das halb offenstehende Tennentor. Sie versuchte sich durch das Tor zu drängen, blieb eingeklemmt zwischen Wand und Verschlußbalken und stieß sich, im Bestreben, wieder freizukommen, ein Horn ab. Röhrend und zitternd vor Schreck und Schmerz blieb sie stehen. Die anderen Kühe drängten sich stoßend und brüllend vor der Stalltüre, als der Veitl laut weinend nachgelaufen kam.
„Jetzt ist es aus! Jetzt erschlagt mich der Vater!“ stöhnte der Veitl und machte die Kalbin frei. Er kam nicht mehr dazu, den Kühen die Stalltüre zu öffnen, denn gerade trat der Ameisbauer aus der Haustüre auf die steinerne Gred, den Steinplattenaufgang, der am Stall und Haus entlanglief.
Groß, mit breiten Schultern und lässig hängenden Armen, den Kopf in den Nacken gezogen, sah er mit den schwimmenden Augen des Säufers auf das brüllende Vieh. Das gedunsene verfärbte Gesicht wurde noch röter, und zornbebend schrie er, rauh und heiser:
„Wer hat dir geschafft, daß du eintreiben sollst!“
„Sind ja nimmer geblieben in dem Regen und in der Kälten“, schluchzte der Veitl, und stand, die Kalbin am Glockenriemen haltend, angstzitternd am Fuß der Gred.
„Wart nur und komm mir nur in die Stube, dann“ — wollte sich der Bauer drohend entfernen, als er plötzlich bemerkte, daß die Kalbin blutete und ihr ein Horn fehlte. Mit sich überschlagender Stimme kreischte er:
„Ja, Kreuzteufel! Lausbub, elendiger! Was ist denn mit der Kalbin!“
„Sie ist —“, stotterte der Veitl, da sprang aber sein wütender Vater schon auf ihn zu, schlug ihn mit der geballten Faust ins Gesicht, daß er auf die Steinplatten der Hausgred stürzte und ihm die Sinne schwanden.
Unter der Haustüre kam nun die Ameisbäuerin, verhärmt und erschrocken, und zuckte zusammen, als der Bauer den Buben zu Boden schlug. Sie duckte sich und hob abwehrend die Arme, als sich der Ameishofer nun schreiend vor Wut an sie wandte:
„Saubande! Jetzt wird es mir zu dumm! Alle jag ich euch noch vom Hof! Die Kalbin — schau dir die Kalbin an!“
Wie ein Rasender fuhr er herum, riß von der Stallwand die schwere Ochsenpeitsche und wollte damit in ohnmächtigem Zorn auf den reglos am Boden liegenden Veitl einschlagen. Da stand vor ihm der Sepp, der Großknecht, der aus dem Stadel gekommen war, entriß ihm die Peitsche und warf sie in weitem Bogen auf den Misthaufen. Dann wandte er sich gegen seinen Bauern, die großen Hände an den muskulösen Armen geöffnet, als wollte er damit zupacken und den Ameishofer der Peitsche nachwerfen. Ruhig sah er dabei den Wütenden an und knurrte:
„Willst ins Zuchthaus, du damischer Teufl? Schämst du dich net, du Unmensch!“
„Du?“ brüllte der Ameis auf. „Was willst denn du?“
„Was ich will? Die Peitschen nehm ich und laß dich durch, daß das Tanzen lernst!“
Verwundert und mit glotzendem Blick starrte der Bauer seinen Großknecht an, schüttelte den Kopf, bewegte den Mund, als wollte er von neuem losbrüllen, wandte sich aber dann rasch ab und stapfte ins Haus. Dabei stieß er noch rücksichtslos die angstzitternde Bäuerin zur Seite, daß sie an die Wand taumelte. Drinnen schlug er die Stubentüre zu.
Der Großknecht half dem Veitl auf, und dieser stand schwankend und zitternd, mit farblosem Gesicht und erloschenen Augen, und drohte wieder umzufallen. Die Bäuerin stützte ihn. Sie sagte nichts, und ihr Gesicht war hart und verschlossen.
„Tu den Buben ins Bett, Bäuerin“, knurrte der Sepp verbissen, „ich bring die Kühe in den Stall. Brauch dich nicht dazu.“
Frost und Nässe schüttelten den Veitl, als die Mutter ihn ins Haus zog, vorbei an der Stubentür, hinter der der Bauer wütend auf und ab stampfte. Die Bodenstiege hinauf schleppte die Mutter den Buben zu seinem Bett unterm Dach. Seine Blauaugen im furchtgrauen Gesicht wurden groß, und seine Zähne klapperten laut, als sie ihn zudeckte.
„Mutter“, jammerte er, „warum mag der Vater mich gar net? Ich hab die Kühe nimmer halten können!“ Er erhielt von der stummen, abgehärmten Mutter keine Antwort, denn gerade brüllte drunten in der Stube der Bauer nach ihr, und eiligst huschte sie die Stiege hinunter.
Zum Ausgehen fertig, stand der Ameisbauer in der Küche und fuhr sie grob an:
„Der Saubub bekommt heute nix zu essen, verstanden?“
Verschüchtert ging sie in weitem Bogen um ihn herum zum Herd, auf dem die Nachtsuppe kochte. Nun kam auch der Großknecht in die Stube, und barsch stellte ihn der Bauer:
„Und du, wenn du noch einmal aufmuckst gegen mich, dann kannst dir einen andern Dienstplatz suchen!“
Verächtlich betrachtete der breitschultrige Knecht das schwammige rote Gesicht mit den wässerigen Augen. Er wußte, daß er der einzige Mensch war, der noch mit dem Ameisbauern reden konnte und gegen ihn aufmucken durfte. Fünfzig Jahre auf einem Hof, vom Hütbuben zum Großknecht heraufgearbeitet, das wog selbst bei dem saugroben Ameis, der sich kaum mehr um seinen Hof kümmerte und sich auf seinen Knecht verlassen mußte. Im Gesicht des Großknechtes wetterte es, als wollte er zupacken und seinem Bauern einmal den Herrn zeigen. Aber der Sepp hatte sich in der Gewalt, und seine Verachtung ließ er dem Bauern in seiner Antwort spüren:
„Daß ich net lache, Ameis! Kann schon sein, daß ich gehe. Dann gehe ich aber selber und schau mir von weitem an, wie der große Ameis noch das Letzte von seinem Gut verwerkelt und versäuft und ins Armenhaus umzieht. Kann aber auch sein, daß mir vorher noch die Geduld ausgeht und ich dich einmal mit einem Haselnußernen tanzen lasse! Mußt dir schon zuerst einmal zusammenrechnen, was ich an Lohn guthabe, dann kannst du mit mir so reden. Leg mein Geld auf den Tisch, dann hast du mich morgen los.“
Hinter der roten Stirne des Bauern arbeitete es, und seine Fäuste zuckten. Dann wollte er sich, auf eine Antwort verzichtend, abwenden. Doch der Sepp war noch nicht fertig.
„Und das sag ich dir: Wenn ich gehe, dann nehme ich die Bäuerin und den Veitl mit, und mein erster Weg ist dann zur Gemeinde und zum Gendarmen. Auch gegen den großen Ameis ist ein Kraut gewachsen, das kannst du dir merken!“
Der Bauer riß den Hut vom Haken und verließ das Haus. Bleich und wie versteinert war die Bäuerin beim Herd gestanden, und nun seufzte sie ächzend auf. Ihre Gebärde bedeutete dem Großknecht: Jetzt geht er wieder hin und säuft.
„Das wird einmal net gut ausgehen, Bäuerin“, zürnte der Sepp, „ich meine, das wissen wir alle!“
Ergeben und bedrückt nickte sie.
„Ich fürchte, daß ich mich einmal nimmer beherrschen kann und ihn zusammenschlage“, murrte der Knecht. „Der Bierteufel hat ihn, und der läßt ihn nimmer los, Bäuerin.“
„Ich weiß net, ob es gut ist, wenn du dich einmischst, Sepp“, bangte sie und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Es war kaum eine Woche her, da waren der Bauer und sein Großknecht schon aneinandergeraten, als der Ameis betrunken in der Nacht nach Hause gekommen war und das Geschirr zerschlagen wollte, weil nicht gleich das gewünschte Essen auf dem Tisch stand. Da war der Sepp heruntergekommen, hatte den Bauern, ohne ein Wort zu reden, beim Genick gepackt, ihn, ehe er sich wehren konnte, in die Kammer gestoßen und auf sein Bett geworfen, daß er grunzend liegenblieb. Seltsamerweise war der am andern Tag mit keinem Wort darauf zu reden gekommen.
Und heute hatte der Bauer auch wieder nachgegeben!
Sie traute ihm nicht und ängstigte sich vor dem Augenblick, da Bauer und Knecht doch einmal handgreiflich aneinandergerieten.
„Wenn der heut nacht wieder spinnt, dann bin ich da, darauf kannst dich verlassen, Bäuerin“, versicherte der Sepp.
„Laß es gut sein. Warum solltest du dich so um uns kümmern? Er ist der Bauer und du der Knecht, das wird er alleweil herauskehren, und den Zorn, den er jetzt auf dich hat, den wirst auch einmal zu spüren haben. Wirst sehen, der stellt im Rausch noch etwas Ungeheuerliches an, und vor dem Augenblick fürcht ich mich.“
Sie hatte sich schon mit ihrem Kreuz abgefunden, hatte sich schon daran gewöhnt, sich zu ducken, wenn der Mann tobte. Aber der Bub! Der Veitl! Und heute das mit der Kalbin! Müde und unlustig zündete sie die Petroleumlampe an und trug die Abendsuppe auf.
„Wenn es net wegen euch wäre, tät ich ihm gönnen, daß er bald seine Sach versoffen hätte und aus dem Haus müßte“, meinte der Sepp. Die Dirnen kamen scheu und stumm in die Stube und setzten sich an den Tisch. Da schwiegen auch sie.
Draußen platschte der Regen vom Dach auf die steinerne Gred, und vor dem Fenster schwand der letzte Tagschein. Die Herbstnacht begann ihren trostlosen Regengesang. Die Tropfen trommelten auf das Schindeldach und gluckerten um die Steine.
Auf das Klappern des Regens horchend, sinnierte der Veitl in seinem Bett auf dem Dachboden seinem Jammer nach. Stirn und Wange, wo die Faust des zornigen Vaters ihn getroffen hatte, schmerzten dumpf, und das Gesicht war angeschwollen.
Er fürchtete ihn, und als er drunten die schweren Schritte des Vaters hörte, zuckte er zusammen und zog sich die Zudecke über die Ohren. Erleichtert atmete er auf, als die Schritte nicht zur Bodenstiege kamen, sondern die Haustüre ging. Bald kam ihm aber wieder die Angst. Nun ging er, trank wieder im Zorn in sich hinein, und wenn er dann nach Mitternacht heimkam, würde er erst toben.
Das Bier bringt ihn noch um den Verstand, hatte er die Mutter oft sagen hören, und das mußte wohl so sein, denn immer war sein Vater nicht so gewesen. Wenn es auch schon sehr lange her war, daß er für ihn und die Mutter oftmals doch noch ein freundliches Wort gehabt hatte. In diesem Sommer war es immer schlimmer geworden. Was er noch auf dem Hof mitarbeitete, war gar nicht mehr nennenswert. Dafür verlangte er von ihm, dem Buben, daß er den ganzen Tag half. Für die Schularbeiten ließ er ihm keine Zeit.
Mit dem häufigeren Wirtshausgehen ist es angegangen, dachte der Veitl vor sich hin. Da nahm er das letzte Geld aus dem Kasten und fluchte, wenn keines da war.
Anfangs hatte die Mutter oft noch gebettelt, dann mit dem Vater geschimpft. Das war aber bald anders geworden, und sie schwieg. Dennoch hörte der Veitl es oft bis auf den Dachboden, wenn der Vater betrunken heimkam, die Mutter laut weinte, drunten in der Kammer laut aufschrie, wenn er sie schlug. Vor ein paar Tagen war sie mitten in der Nacht heraufgekommen auf den Dachboden und hatte sich frierend auf einen Schauben Stroh gelegt.
Das vergißt man hundert Jahre nicht, wenn man auch nur ein kleiner Bub ist und noch lange in die Schule gehen muß.
Du sollst Vater und Mutter ehren, hatte der Herr Pfarrer gesagt, und fast ist es dem Veitl gewesen, als hätte er dabei nicht die anderen Dorfbuben, sondern nur ihn angesehen. Es ist oft hart, Gottes Gebot zu halten, sehr hart. Als kleiner Bub, da ihn der Vater noch an der Hand geführt hatte und ein anständiger und fleißiger Bauer gewesen war, da hatte er ihn gern. Das war schon so lange her. Er konnte ihn heute nicht mehr gernhaben und mußte seinen Gedanken eine andere Richtung geben, wenn er sich nicht versündigen wollte.
Die Mutter — ja die! An der hing er mit Leib und Seele. Wenn er an die Mutter dachte, dann kamen ihm die Tränen, und dann ballte er die kleinen Fäuste und mußte sich wieder zusammennehmen, um nichts Ungutes zu denken und zu wünschen.
Du sollst Vater und Mutter ehren. Bei diesen Worten hatte wohl der Herr Pfarrer in der Schule tief in ihn hineingeschaut, und dann war er ihm mit der Hand sachte über das borstige Haar gefahren. Der Pfarrer wußte es — ob er helfen könnte?
Gedämpftes Reden kam von der Stube herauf, unterbrochen, verhalten und in langen Abständen. Denen war heute auch nicht zum Lustigsein.
Er lag noch wach, als die Dirnen und der Sepp die Stiege heraufkamen und ihre Kammern aufsuchten, aber er schloß die Augen und drehte sich dem schrägen Dach zu.
„Der Bub hat wirklich nix Schönes auf dieser Welt“, murmelte die Mitterdirn.
Sie wünschten einander gute Nacht, und dann verschwand der Kerzenschein. Die Kammertüren schlossen sich, und es wurde ruhig im Haus.
Leise tappte der Regen auf das Dach, und in der Finsternis des Dachbodens knisterte es. Nebenan, hinter der Bretterwand, knackte die Bettstelle, in der der Großknecht lag, und bald darauf hörte er seine tiefen Atemzüge.
Da kam der Schlaf auch über den Veitl.
Der Regen wäschelte noch immer unvermindert über das Dach, und lauter lärmte das Sausen des Windes in der Nacht. Die Dachsparren knarzten unter dem Druck, wenn ein grober Luftstoß gegen das Haus fuhr. Dumpf röhrte die Kalbin drunten im Stall und klirrte mit den Ketten.
Schwere Träume plagten den Buben.
Er wälzte sich stöhnend von einer Seite zur anderen und erwachte abgemüht und schweißtriefend.
Immer noch stockfinstere Nacht. Der Regen hatte etwas nachgelassen. Die Geräusche der Nacht wurden deutlicher.
Was war das für ein Gelaufe im Haus? War der Vater schon zurück? Bang horchte er. Auf der gepflasterten Hausflötz tappten Schritte, und ein schwacher Lichtschein drang durch das Stiegenloch auf den Dachboden.
Dann kam der Sepp mit einer Laterne die Stiege herauf und trommelte mit der Faust an die Türe der Dirnenkammer. Ein lautes Gähnen und ein unwilliges Fragen antwortete ihm verschlafen.
„Steht auf und kommt ein bissel fix! Die Kalbin hat geworfen.“
Den Veitl riß es auf: „Was?“ rief er entsetzt. Zitternd saß er im Bett.
„Ist weiter nix, schlaf nur weiter!“ sagte der Sepp, ohne ein Wort von der Kalbin zu erwähnen.
„Was ist mit der Kalbin?“ bangte der Veitl erregt.
„Aufstehen, faules Weibsvolk!“ tümmelte der Knecht an die Kammertüre, und erst als ihm von drinnen noch einmal unwillig geantwortet wurde, pumperte er mit der Laterne wieder die Bodenstiege hinunter. Der Veitl hörte, wie er durch die Flötz in den Stall ging. Flüsternd kamen nun auch die Dirnen aus der Kammer und huschten nach unten.
Gedämpft drang das Reden vom Stall herauf. Türen gingen, und Holzschuhe klapperten. Da stieg auch der Veitl aus dem Bett, schlüpfte in die Hose und schlich hinunter. Die Stalltür war nur halb angelehnt, und der Schein der Laterne streute einen Lichtstreifen in die Hausflötz.
Dumpf röhrend in Schmerzen lag die Kalbin auf der Streu. Der Sepp deckte gerade über das tote Kälblein, das zu früh zur Welt gekommen war, einen Rupfensack. Die Mutter kniete auf dem Boden und streichelte, leise jammernd, die Kalbin, und über ihr schreckensbleiches Gesicht rannen die Tränen.
Bestürzt stand der Veitl daneben und starrte düster auf das Unglück.
Der Großknecht und die Mutter beachteten ihn nicht. Schlaftrunken und ratlos stand er und spürte, wie sein Herz sich schmerzhaft zusammenzog.
„So ein Unglück!“ begann nun die Bäuerin zu weinen. „Der Bauer wird närrisch, wenn er heimkommt und das sieht!“
„Da hilft jetzt nix mehr, Bäuerin, das kommt halt einmal vor“, wollte der Sepp trösten und schob der liegenden Kalbin frische Streu zu.
Die Kühe waren aufgestanden und sahen unruhig nach dem Stand, in dem die Kalbin keuchte. Der Schein der schwankenden Stallaterne geisterte an den feuchten niederen Wänden. Wie abgrundtiefe dunkle Augen starrten die Stallfenster in den Raum.
Da stampften draußen grobe, unsichere Schritte auf der Steingred und kamen zur Haustüre. Ein schwerer Körper ließ sich gegen das Türholz fallen, und eine tastende Hand suchte das Schlüsselloch.
Verschreckt sahen sich die Dirnen an: „Jetzt ist er da —“
Sie zogen sich in die Ecke des Stalles zurück und versteckten sich wispernd hinter einem Viehstand.
Gehetzt und hilfesuchend sah die Bäuerin auf den Großknecht. Dieser tat ruhig mit der Gabel weitere Streu zusammen und brummte:
„Der kann es auch net ändern. Haltet euch nur ruhig.“
In seinem Schreck und der Angst unfähig, sich zu rühren, stand der Veitl. Draußen rumpelte der Schlüssel ins Loch und drehte sich kreischend.
Da fuhr die Bäuerin auf: „Schnell, Veitl! Renn ins Bett!“
Der Bub hastete davon, huschte über die Bodenstiege und verkroch sich unter der Zudecke. Die Fäuste preßte er an die Ohren, um nicht mithören zu müssen, wie der Vater in seinem Rausch wütend würde. Drunten wurde die Haustüre aufgeworfen und schlug krachend an die Wand.
Der Sepp hatte die Stalltüre zugezogen und verharrte horchend. Die Bäuerin hielt den Atem an, als könnte der Betrunkene ihn bis auf den Hausgang hören.
Da brüllte die Kalbin und warf sich herum. Der Bauer blieb stehen und bemerkte nun durch eine Ritze, daß im Stall Licht brannte. Grunzend und brummend stieß er die Stalltüre auf.
„Was ist denn da los, he?“ maulte er geifernd und lehnte sich gegen den Türstock. Mit stierem Blick versuchte er sich im Düstern der Stallampe zurechtzufinden, da er keine Antwort erhielt. Die Ameisbäuerin drückte sich bleich an die Holzwand, die den Stand der Kalbin von den anderen Viehständen trennte. Der Ameis taumelte auf sie zu und fragte noch einmal lallend: „Was, zum Teufel, was ist denn —“
Da rumpelten die Dirnen aus ihrem Versteck und schossen zur Stalltüre hinaus. Als sie die Bodenstiege hinauftrampelten und sich in ihrer Kammer einsperrten, schüttelte den Veitl die Angst in seinem Bett.
Im Stall drunten hallten die schrecklichen Flüche des Vaters von der gewölbten Decke, er tobte durch die Hausflötz und schmetterte die Stubentür zu, daß das ganze Haus zitterte.
Wird er sich jetzt niederlegen, fragte sich der Veitl und horchte angespannt in die Finsternis. Er erkannte den Sepp an seinen Schritten. Dieser verließ nun den Stall, kam die Stiege herauf und ging in seine Kammer. Noch einmal klappte die Wohnstubentüre. Das mußte die Mutter gewesen sein. Dann hörte er die harten Schläge, wie er sie in Schreck und Grauen oft gehört hatte, und das Wimmern der Mutter. Er verstand nicht, was der Vater schrie. Dann wurde es ruhig, die Stubentür ging wieder, und die leichten Schritte der Mutter huschten über die Flötzsteine. Dann klappte leise die Stalltür und der Riegel knirschte.
Gottlob, dachte der Veitl erleichtert, sie hat sich eingesperrt, und der Vater wird jetzt wohl Ruhe geben. Die Gedanken schwammen ihm davon, und der tropfende Regen lullte ihn in einen Dämmerschlaf. Er wußte nicht, wie lange er so gelegen hatte, als ihn ein neues Geräusch wieder hellwach werden ließ. Er spürte einen Schreck bis in die schweißverklebten Haare.
Schwere, stoßende Schritte polterten die Bodenstiege herauf, Hände tappten und tasteten im Finstern, und ein bierdunstender Atem näherte sich seinem Bett. Eine klobige Faust fuhr suchend über sein Bett, und die heftigen Atemstöße kamen ganz nahe.
Entsetzt fing der Veitl in seiner Not laut zu weinen und zu bitten an.
„Hundsbub elendiger! Saukrüppel misrabliger! Wart, dir helf ich! Dir schau ich ein andermal besser auf das Vieh auf!“
Zwei Fäuste schlugen wie wahnsinnig auf den Buben ein, trafen krachend auf die Bettkante. Wütend zerrte der Betrunkene den Veitl aus dem Bett und warf ihn die finstere Stiege hinunter.
Droben rief der Sepp aus seiner Kammertür: „Wird jetzt bald Ruhe? Besoffener Teufl, narrischer!“
Stolpernd stampfte der Bauer über die Stiege, trat dem am Fuße der Treppe bewegungslos liegenden Buben auf den vom Körper gestreckten Arm, daß der Knochen knackte und tastete sich in die Schlafkammer, wo er röchelnd auf sein Bett sank und auch gleich schnarchte.
Eine unheimliche Stille im Haus folgte. Die Schwärze der Nacht schien noch erfüllt von den wilden Flüchen des Ameis. Leise rauschte der Regen vor dem Haus auf die Gredsteine, und ab und zu knackte scharf und kurz das Dachgebälk.
Vorsichtig und verhalten quietschend, öffnete sich die Stalltür, und mit einem Aufschrei stand die Ameisbäuerin mit der Stallaterne vor dem blutüberströmten bewußtlosen Veitl. Die Laterne entfiel der zitternden Hand und schlug polternd auf die Fliesen. Der ausgemergelte Körper des Weibes wurde vom verhaltenen Weinen geschüttelt, und ächzend sank die Mutter bei dem Buben in die Knie.
Über die Bodenstiege kam der Sepp, stellte die Laterne wieder auf und leuchtete dem Buben ins Gesicht. Verschwollen und unkenntlich unter dem aus Mund und Nase sickernden Blut, lag der Veitl, starr und steif wie ein Toter.
Der Sepp stöhnte: „So ein Unmensch!“ schnaufte er, und fast kam ihm das Weinen.
Der Arm des Buben war gebrochen und lag in unnatürlicher Verrenkung, auch der Fuß schien aus dem Gelenk zu sein. Knirschend biß der Großknecht die Zähne aufeinander.
„Was tun wir, Sepp, was —?“ jammerte die Bäuerin.
„Ich hol den Bader, und du bleibst beim Buben, den tragen wir wieder ins Bett hinauf“, sagte der Sepp.
„Nein, net ins Bett, könnt dem Bauern noch einmal einfallen, den Buben zu schlagen!“ Erschreckt wehrte sie ab, und der Sepp mußte ihr helfen, den ohnmächtigen Veitl hinüber in die Streuschupfe zu tragen. Sie betteten ihn auf die weiche Waldstreu, und die Mutter setzte sich zu ihm, den blutenden Kopf in den Schoß nehmend.
Wie er war, in Hemd und Hose und barfuß, lief der Knecht in die Regennacht hinaus, um vom Dorf den Bader zu holen.
Die Bäuerin löschte die Laterne. Mit ihren arbeitsschrundigen Händen streichelte sie das blutverklebte Gesicht ihres Buben.
Ein leises Stöhnen kam von seinen Lippen.
Draußen schoß der Regen von der Dachtraufe und plätscherte auf die Erde. Der Wind trieb die Tropfen gegen die Bretterwand und stäubte sie durch die Ritzen in das Innere des Schuppens. Mutter und Bub froren und zitterten. Sie zog ihn näher zu sich, um ihn zu wärmen.
Drüben im Stall brüllte die Kalbin rauh und lang.
Heiß und leer war das Gesicht der Ameisbäuerin geworden, und die Tränen waren im übergroßen Schmerz vertrocknet. Noch aber folterten sie Angst und Schreck, und das Geschehen der Nacht lastete auf ihr, als wollte es ihr das Herz abdrücken.
Ein halbes Leben steckte sie nun in diesem Elend. Gut genug war sie, um zu arbeiten und zu schuften, vom frühen Morgen bis in die späte Nacht, wie ein Vieh, und wie ein solches geschlagen zu werden. So dumm kann man sein, und so irrsinnig muß man oft in sein Unglück rennen. Sie hatte ihn haben müssen, den Ameisbauern von Steinöd, obwohl die Eltern und Freunde sie vor dem rohen und zum Trunk neigenden Burschen gewarnt hatten. Damals vermutete man schon, daß er oftmals nicht ganz richtig sei, besonders dann, wenn das Bier ihm zuviel wurde. Sie hatte im dummen Unverstand geglaubt, man gönne ihr den reichen Hochzeiter nicht, und hatte mit losem Spott allen gutmeinenden Rat abgewiesen. Sie würde sich ihren Mann schon erziehen, wenn sie erst einmal verheiratet wären, hatte sie im frevlen Übermut geantwortet.
Sauber war er, und schön reden konnte er, aber den sonderbaren Blick, den er schon damals oft in den Augen trug, konnte sie als ledig schon nicht ertragen.
Und dann war es so gekommen. Das Saufen hatte sie ihm nicht abgewöhnen können, aber er hatte ihr bald das Lachen verleidet. Sie glaubte, ihm mit Trotz entgegentreten zu müssen, bis er sie zum erstenmal, vierzehn Tage nach der Hochzeit, schlug wie einen Hund und mehr als zuvor in die Wirtshäuser ging. Schon das erste Jahr ihrer Ehe hatte aus ihr ein verschüchtertes, willenloses Weib gemacht, das einen langen Leidensweg vor sich sah. Daß er aber auch den Buben, der doch sein Fleisch und Blut war, kein bißchen mehr mochte, raubte ihr die letzte Freude am Leben.
War sie nicht selber schuld an allem? Aber was kann so ein junges dummes Bauernmädel schon dafür?
Ach, warum noch darüber nachdenken, wie das alles gekommen, warum all die Jahre der Qual und des Elends immer wieder aufschüren? Jeder Mensch hat wohl seinen bestimmten Weg zu gehen, und auch sie mußte ihre Last zu Ende tragen. Für sich selber erhoffte sie ja nichts mehr.
Der Bub!
Sollte dem auch ein verbittertes Leben beschieden sein? War schon so ein Bauernleben in Steinöd nicht hart genug? Durch die Arbeit auf dem notigen Boden büßte jeder einen Teil der irdischen Freuden ein. Ob das da oben angerechnet wurde? Da oben, wo man die Schicksale in ein Buch eingetragen hatte? Von seinen Bubenjahren hatte der arme Veitl schon nichts Gutes — und wie würde es später sein? Durch die undurchdringliche Finsternis kamen die bösen Ahnungen wie wehende Schleier an sie heran. Fleißig und brav war der Veitl, freundlich und willig, und doch konnte er den ganzen Tag nichts recht tun, wenn der Bauer daheim war.