II

Er betrachtete sie ein Weilchen schweigsam mit dem gerührtesten und sanftesten Gesicht, das er machen konnte. Der brutale und scheinheilige Komödiant war stolz auf diese schönen Tränen: er betrachtete sie als sein Werk und sein literarisches Eigentum. Er irrte sich über den letzten Sinn dieses Schmerzes ebenso wie Frau von Cosmelly, in diese sanfte Verzweiflung getaucht, sich in dem Sinn seines Blickes irrte. Zum Beschluss dieses merkwürdigen Spieles von Missverständnissen streckte ihr Samuel Cramer entschlossen beide Hände hin, die sie in zärtlichem Vertrauen ergriff.

»Gnädige Frau,« fuhr Samuel nach einigen Augenblicken des Schweigens – klassischem Schweigen der Erschütterung – fort, »die wahre Weisheit besteht weniger im Verfluchen als im Hoffen. Wie könnten wir ohne das ganz göttliche Geschenk der Hoffnung diese grausame Wüste der Langenweile durchlaufen, die ich Ihnen soeben beschrieb? Das Gespenst, das uns begleitet, ist wirklich ein Verstandesgespenst: man kann es vertreiben, wenn man es mit dem Weihwasser der ersten theologischen Tugend besprengt. Es gibt eine freundliche Philosophie, die Trost aus den anscheinend unwürdigsten Gegenständen zu schöpfen vermag. Ebenso wie die Tugend mehr wert ist als die Unschuld und mehr Verdienst darin liegt, eine Wüste zu befruchten als sorglos in einem üppigen Garten zu stapfen, ebenso ist es einer auserwählten Seele wirklich würdig, sich zu läutern und durch ihre Berührung den Nächsten zu läutern. Da es keinen Verrat gibt, den man nicht verzeiht, kein Vergehen, für das es keine Absolution gäbe, kein Vergessen, das man nicht ausfüllen könnte, gibt es eine Kunst, den Nächsten zu lieben und ihn angenehm zu lieben, wie es eine Lebenskunst gibt.«

»Je zarter ein Geist ist, um so eigentümlichere Schönheiten wird er entdecken; je zärtlicher und geöffneter für die göttliche Hoffnung eine Seele ist, um so mehr Grund zur Liebe findet sie in jeder andern, so beschmutzt sie auch sein möge; dies ist der Barmherzigkeit Werk, und man sah mehr denn eine in den trocknen Wüsten der Enttäuschung verzweifelte und verlorene Wanderin ihren Glauben wiederfinden und das, was sie verloren hatte, stärker lieben. Und dies mit um so mehr Recht, als sie nun die Kunst versteht, ihre Leidenschaft und die der geliebten Person zu lenken.«

Das Antlitz Frau von Cosmellys hatte sich nach und nach aufgeklärt, ihre Traurigkeit erstrahlte von Hoffnung wie eine Sonne hinter Wolken und kaum hatte Samuel geendet, als sie lebhaft und in der naiven Heftigkeit eines Kindes sagte:

»Ist das wirklich möglich und gibt es für Verzweifelnde Äste, die so leicht zu greifen sind?«

»Gewiss, gnädige Frau.«

»Ach, Sie würden mich zur glücklichsten der Frauen machen, wenn Sie mich dieses Hilfsmittel lehren wollten!«

»Nichts leichter als das,« erwiderte er brutal.

Während dieses sentimentalen Geredes hatte das Vertrauen sich eingefunden und in der Tat die Hände der beiden Personen vereint; so gut, dass nach einigem Zögern und einigen Prüderien, die Samuel von guter Vorbedeutung erschienen, Frau von Cosmelly ihrerseits ein Geständnis machte und solchermassen sprach:

»Ich verstehe, wie eine poetische Seele durch die Vereinsamung leiden muss; aber Ihre Schmerzen, die nur Ihnen gehören, kommen, wie ich es aus dem Pomp Ihrer Worte zu verstehen meinte, aus merkwürdigen, immer unbefriedigten und fast unbefriedigbaren Wünschen. Es ist wahr, dass Sie leiden; aber es ist möglich, dass Ihr Leid Ihnen die Grösse gibt, die Ihnen ebenso notwendig ist, wie andern das Glück. – Werden Sie nun mir zuhören wollen und an leichter verständlichem Kummer Anteil nehmen ... einem Provinzkummer? Von Ihnen, Herr Cramer, von Ihnen, dem weisen und geistvollen, erwarte ich Ratschläge und vielleicht die Hilfe eines Freundes.«