1 Gender: Geschlechterrollen und Geschlechterstereotype

1.1 Gender

Gender ist ein inzwischen auch im Deutschen gebräuchliches Wort. Es wurde aus dem Englischen übernommen, da dort zwischen „sex“ und „gender“ differenziert wird. „Sex“ bezieht sich auf das biologische Geschlecht, „gender“ auf das sozial konstruierte Geschlecht. Bei einer Google-Suche im April 2010 zum Begriff „gender“ eingeschränkt auf deutsche Seiten, finden sich mehr als drei Millionen Einträge. Wikipedia widmet dem Thema einen eigenen Beitrag und verweist dort unter anderen auf eine entsprechende Seite des Goethe-Instituts in Deutschland. „Gender Mainstreaming“ ist in der gesamten Europäischen Union ein politisches Konzept, dem viel Geld und Aufmerksamkeit gewidmet wird. Das deutsche Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schreibt dazu auf der eigenen Homepage: „Gender Mainstreaming bedeutet, bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt.“

Psychologie und Soziologie haben sich schon seit Mitte des letzten Jahrhunderts intensiv mit dieser Thematik beschäftigt. Die Soziologen Parsons und Bales (1955) unterschieden etwa familiale Rollen, in denen der Mann den Ernährer der Familie darstellt und für die Außenbeziehungen und die berufliche Rolle vorgesehen ist und die Frau für die familialen Angelegenheiten und die Innenbeziehungen. Diese strikte Rollentrennung gilt in unserer heutigen Industriegesellschaft nicht mehr, sie trifft aber in einem erweiterten Sinne dennoch den Kern. Es zeigt sich nämlich, dass zum einen Männer nach wie vor überwiegend in der beruflichen Sphäre tätig sind und hierdurch auch relativ klare Rollenerwartungen existieren, die auf eine Funktion als Familienernährer und auf die Erfüllung beruflicher Anforderungen und Aufgaben hinauslaufen. Zum anderen ist zu konstatieren, dass Frauen zwar inzwischen in großer Zahl einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit nachgehen, aber dennoch ihre primäre Funktion auf die der (Ehe-)Frau und Mutter konzentriert bleibt. Die Rollenerwartungen an Frauen betreffen sowohl die Ausfüllung beruflicher Anforderungen wie auch familialer Aufgaben. Im Konfliktfalle – z. B. wenn die Kinder klein sind und keine Vollzeitberufstätigkeit möglich erscheint, oder wenn die Eltern sich trennen – wird die Hauptverantwortung für die Kinder ganz überwiegend von der Frau getragen. Die überwiegende Zahl der Teilzeitstellen wird von Frauen eingenommen. Das Sorgerecht nach Trennung und Scheidung nehmen in der Regel Frauen wahr. So gesehen finden sich trotz aller Liberalisierungstendenzen nach wie vor im Kern die Geschlechterrollen, wie sie von Parsons und Bales formuliert wurden.

Der auffallendste Wandel der Positionen von Frauen und Männern wurde zweifellos durch die verfassungsrechtlich garantierte formale Gleichheit der Geschlechter eingeleitet. Diese Gleichheit ist im Bildungswesen erreicht, aber sie trifft nicht auf den beruflichen Erfolg zu. Tatsache ist zwar, dass die politische Entwicklung der europäischen Länder eine Gleichberechtigung der Geschlechter insbesondere durch gleiche Bildungschancen und die (gleichberechtigte) Teilhabe am Berufsleben propagiert und gefördert hat. Um dies zu erreichen, wurden staatliche Maßnahmen der „Frauenförderung“ bereitgestellt, damit Frauen in verstärktem Maße Berufspositionen ergreifen konnten. Die öffentlichen Maßnahmen und das gesellschaftliche Bewusstsein haben dazu beigetragen, dass eine Veränderung der Geschlechterrollen in den letzten Jahrzehnten möglich geworden ist, die aber eher einseitig die weibliche Rolle betrifft. Etwas überspitzt ausgedrückt, stellt sich der Wandel der Geschlechterrollen vor allem als ein Wandel der weiblichen Rolle dar. Die weibliche Geschlechterrolle hat – verglichen etwa mit der Nachkriegszeit – einen deutlichen und statistisch nachweisbaren Wandel mitgemacht. Betrachtet man die Entwicklung in Deutschland, Österreich und anderen Industrienationen, so lässt sich insbesondere an der Bildungsbeteiligung, der Berufsausbildung, der Erwerbsquote und den Berufswahlen dieser Rollenwandel aufzeigen (Kap. 5.3). Die Erwartungen an Frauen richten sich aber nach wie vor auf die Erfüllung familiärer Anforderungen, wie es in traditionell patriarchalischen Gesellschaften stets der Fall war. Sie richten sich nun zusätzlich auch an die Erfüllung beruflicher Anforderungen. Die Hausfrau, die ausschließlich für Familie und Kinder sorgt, ist ein Modell, das meist nur für eine kurze Übergangszeit oder gar nicht in Anspruch genommen wird. Dementsprechend gilt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für heranwachsende und erwachsene Frauen als ein vorrangiges Lebensziel. Dabei spielt bei der Berufs- wie bei der Familienarbeit eine wichtige Rolle, dass für Frauen der Umgang mit Menschen und die humanistische Zielsetzung, die der Hilfe und Betreuung von Menschen zugrunde liegt, eine hohe Bedeutung hat, die ihre Berufswahlen beeinflusst und ihre Entscheidungen für Familienarbeit, insbesondere Kinderbetreuung. Nach Eccles (2007) sind es diese „weiblichen“ Werte, die vorrangig die Berufswahlen und Karrierewege von Frauen steuern und nicht etwa fehlende Fähigkeiten oder fehlendes Selbstvertrauen. Das Streben nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat seinen Preis. Es führt offenbar häufig dazu, dass Frauen dadurch den Aufstieg in der Hierarchie der Berufsfelder verpassen: „… even very educated women are more likely than men to favor home-centered lifestyles and adaptive lifestyles, wherein family and home are paramount and work is adapted to fit around this choice” (Ceci, Williams & Barnett, 2009, S. 247). Wenn es um die familiale Arbeitsteilung geht, sind insbesondere die Frauen für Haushalt, die Kinder und die Kinderbetreuung zuständig. Dafür reduzieren sie ihr berufliches Engagement, was sich leicht an den europäischen Statistiken zur Arbeitszeit von Männern und Frauen ablesen lässt (Europäische Kommission, 2008). Das Modell der partnerschaftlichen Arbeitsteilung in der Familie wird zwar mehrheitlich befürwortet, es läuft aber immer noch darauf hinaus, dass der Mann der Hauptverdiener bleibt und im Zweifelsfall die erfolgreichere berufliche Karriere macht.

In der Öffentlichkeit und in politischen Verlautbarungen wird viel diskutiert über ein gewandeltes Verständnis von der Rolle des Mannes. Mehr Männer als früher kümmern sich um die Kinder und teilen sich die Familienarbeit mit ihrer Frau. Das ist richtig. Wir sind aber weit davon entfernt, hier von einem Mainstream sprechen zu können. Nach wie vor sind es vorwiegend Frauen, die nach Scheidung oder Trennung ihre Kinder allein großziehen oder ihre Berufstätigkeit wegen der Kinder unterbrechen oder reduzieren. Dafür bedauern mehr Männer als Frauen, zu wenig Zeit für die Familie zu haben (Statistisches Bundesamt, 2008).

Geschlechterrollen in der heutigen Gesellschaft bedeutet für beide Geschlechter mehr Freiraum in der Ausgestaltung ihrer Rollen als noch im letzten Jahrhundert. Nach den vorliegenden Daten haben diesen Freiraum vor allem Frauen genutzt. Sie können Familien- und Berufsrollen ausüben. Männer hingegen sehen nach wie vor die vorrangige Aufgabe in ihrer Berufsrolle, ggf. verknüpft mit möglichen zusätzlichen Ehrenämtern oder Freizeitaktivitäten. Aber die Doppelrolle des Mannes in Beruf und Familie ist nur einer verschwindenden Minderheit vorbehalten. Im Gegensatz zu früheren Zeiten aber ist es Männern inzwischen prinzipiell möglich und gestattet, eine solche Doppelrolle auszuüben. Und dieser Trend wird sich in den nächsten Jahrzehnten aufgrund der Veränderungen in den Beschäftigungsverhältnissen und des Arbeitsmarkts vermutlich weiter verstärken.

Diese kurze Ausführung zeigt, dass unsere Gesellschaft nach wie vor für Männer und Frauen unterschiedliche Lebenswelten gestaltet. Sozialpsychologie und Soziologie beschäftigen sich mit dem sozialen Geschlecht und zeigen Folgen von Geschlechterrollen auf. Neuere kognitionswissenschaftliche Theorien und Studien konnten die Bedeutung von Gender auch für soziale Informationsverarbeitung und Verhalten aufzeigen. Die berichteten Befunde erscheinen uns wesentlich für ein Verständnis der psychologischen Hintergründe, die im Zusammenhang mit der oben aufgezeigten gesellschaftlichen Problematik stehen. Es soll aufgezeigt werden, dass Gender nicht nur ein politisch besetzter Begriff ist, sondern eine sehr umfassende Bedeutung für unser Erleben und Verhalten hat.

1.2 Geschlecht als soziale Kategorie und soziale Rolle

Wenn wir ein Baby sehen, fragen wir zunächst, was es denn sei: „Ein Mädchen oder ein Bub?“ Bei der Namensgebung eines Kindes muss laut Gesetz eindeutig das Geschlecht erkennbar sein. Wenn wir eine fremde Person ansehen, erkennen wir im Allgemeinen sofort, ob es sich um eine Frau oder um einen Mann handelt. In den seltenen Fällen, bei denen das nicht so leicht möglich ist (z. B. weil wir die Person nur von hinten sehen), kann uns das unsicher machen und wir werden eventuell noch einmal genauer hinsehen. Diese Beispiele zeigen die zentrale Bedeutung von Geschlechtszugehörigkeit.

Die Zuordnung von Personen in die Kategorie „Frau“ oder „Mann“ nennt man soziale Kategorisierung. Gemeint ist der „kognitive Prozess der Gruppierung von Personen oder Gruppen, die ein oder mehrere Merkmale gemeinsam haben“ (Petersen & Six-Materna, 2006, S. 431). Wobei der Prozess der Kategorisierung nicht mit der Zuordnung zu Gruppen endet, sondern auch einhergeht mit der Zuschreibung der für diese Gruppe als typisch erachteten Charakteristika (s. Kap. 1.3). Kategorisierung vereinfacht in diesem Sinn unsere soziale Informationsverarbeitung, bedingt aber auch einen Informationsverlust, da Individuen auf Basis der Gruppenzugehörigkeit beurteilt werden und ihre „Individualität“ vernachlässigt wird (Mackie, Hamilton, Susskind & Rosselli, 1996). Geschlecht ist neben Alter und ethnischer Zugehörigkeit eine der zentralen sozialen Kategorien, die Individuen zur sozialen Kategorisierung verwenden (Fiske, 1998). Ein Grund für diese Zentralität ist, dass die drei Kategorien leicht visuell erkennbar und somit schnell verifizierbar sind. Andere Gruppenzugehörigkeiten, wie z. B. Nationalität, sind schwieriger erkennbar.

Verschiedene Untersuchungen, die das klassische sog. „Who said what?“-Paradigma zur Erhebung spontaner sozialer Kategorisierung von Taylor, Fiske, Etcoff und Ruderman (1978) anwendeten, konnten zeigen, dass das Geschlecht spontan bei der sozialen Wahrnehmung beachtet wird (vgl. Klauer & Wegener, 1998). In diesem Paradigma wurde den Untersuchungsteilnehmenden per Video eine Diskussion von Frauen und Männern bzw. von Schwarzen und Weißen vorgespielt. Jede/r der Diskutierenden gab ein Statement ab und die Teilnehmenden hatten die Aufgabe im Anschluss die Statements, den richtigen Diskutierenden wieder zuzuordnen. Es zeigte sich, dass sie bevorzugt innerhalb der sozialen Kategorie Fehler machten. Es wurde also in einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe die Aussage z. B. einer Frau eher irrtümlich einer anderen Frau in der Gruppe und nicht irrtümlich einem der Männer zugeordnet. Sprachen schwarze und weiße Personen miteinander, wurden Aussagen z. B. einer weißen Person eher irrtümlich einer anderen weißen Person in der Gruppe, aber eher nicht irrtümlich einer schwarzen Person zugeordnet. Fehler zwischen Diskutierenden unterschiedlicher Kategorie kamen seltener vor. Aus diesem Ergebnis kann man schließen, dass die Beurteiler/innen die Diskutierenden spontan anhand ihres Geschlechts bzw. Hautfarbe kategorisiert hatten und diese Information dann bei den Zuordnungen verwendeten. Die Untersuchung zeigte auch eine Folge von sozialen Kategorisierungsprozessen nämlich, dass Personen innerhalb einer Kategorie in überschätzender Weise als ähnlich, Personen verschiedener Kategorien als unähnlich angesehen werden.

Stangor, Lynch, Duan und Glass (1992) erweiterten das Paradigma und präsentierten Personen, die mehreren sozialen Kategorien gleichzeitig angehörten. Dabei fanden sie, dass Untersuchungsteilnehmende Geschlecht eher zur spontanen Kategorisierung heranzogen als Ethnizität. Allerdings zeigten auch etliche Personen eine spontane Bildung von Unterkategorien, bei denen die beiden Kategorien zusammengefasst wurden (weiße Männer, weiße Frauen, schwarze Männer, schwarze Frauen). Stangor et al. argumentieren, dass es durch diese Strategie spontan zu einem Informationsgewinn kommt, da die kombinierten Kategorien inklusiver sind als die globalen Kategorien.

Die drei erwähnten zentralen sozialen Kategorien haben im Besonderen kulturelle Bedeutungen, weil sie mit unterschiedlichen Statuszuschreibungen verbunden sind. Männer, ältere Personen und Weiße haben in nahezu allen Kulturkreisen höheren Status als Frauen, jüngere Personen und Schwarze. Geschlecht als Kategorie gewinnt zudem noch an Bedeutung, da es für die Partnersuche wesentlich ist. Und letztlich gewinnt Geschlecht im Vergleich zu Alter und Rasse dadurch an Relevanz, weil es die erste soziale Kategorie ist, die Kinder zur Ordnung ihrer sozialen Umwelt heranziehen (Mackie et al., 1996; Ruble, Martin & Berenbaum, 2006; Ruble et al., 2004). Bereits im Alter von drei bis vier Monaten können Babys zwischen Frauen- und Männergesichtern unterscheiden, wobei sie das Geschlecht ihrer primären Bezugsperson (im Allgemeinen also Frauen) bevorzugen (Quinn, Yahr, Kuhn, Slater & Pascalis, 2002). Im Alter von sieben Monaten unterscheiden sie zwischen männlichen und weiblichen Stimmen (Miller, 1983). Im Alter von 18–21 Monaten produzieren Kinder Wörter, die eine Geschlechtskategorisierung beinhalten (z. B. „Bub“, „Mädchen“, Zosuls et al., 2009). Mädchen beginnen ab einem Alter von 27 Monate, Buben ab einem Alter von 36 Monaten gleichgeschlechtliche Spielkameraden zu bevorzugen und dieser Trend verstärkt sich im Laufe der Kindheit (Ruble et al., 2006). Im Vergleich zu den anderen zentralen Kategorien hat Geschlecht für Kleinkinder den Vorteil, dass sie erstens ständig mit dieser Kategorie konfrontiert werden, dass diese zweitens mit nur zwei Stufen leicht anwendbar ist und dass drittens eine dieser Stufen eine Eigengruppe darstellt, während die andere eine sehr interdependente Fremdgruppe ist (Mackie et al., 1996).

Eine weitere psychologische Besonderheit von Geschlecht ist, dass es nicht nur eine kognitiv repräsentierte Kategorie, sondern auch eine gesellschaftlich definierte soziale Rolle ist. Soziale Rollen sind Positionen innerhalb einer Gesellschaft, die mit spezifischen Erwartungen an die Rollenträger einhergehen (Stryker & Statham, 1985). Diese Erwartungen haben normativen Charakter (Cialdini & Trost, 1998), so dass Rollenträger, die sich nicht erwartungskonform verhalten, sanktioniert werden. Wobei in diesem Zusammenhang auch Verspottung, Kritik oder Ausgrenzung als Sanktion gesehen werden kann. Über Geschlechterrollen werden gesellschaftlich definierte Verhaltenserwartungen an Frauen und Männer herangetragen (Eagly, 1987). Im Vergleich zu anderen spezifischeren und klarer definierten sozialen Rollen (z. B. Eltern, Feuerwehrleute) sind Geschlechterrollen eher diffus, da sie ja für alle Mitglieder der Gesellschaft gelten (so wie auch Alter und Ethnizität) und für viele zwischenmenschliche Prozesse von Bedeutung sind.

Von besonderer wissenschaftlicher Relevanz für das Verständnis von Geschlechterrollen war die Arbeit der Soziologen Parsons und Bales (1955). Im Rahmen der Analyse von Interaktionsprozessen in Familien beschrieben die beiden Autoren eine typische Arbeitsteilung von Frauen und Männern. Demnach haben Männer die Aufgabe, die Familie zu ernähren und die Außenbeziehungen zu regeln. Frauen kümmern sich um die familiären Angelegenheiten und die Innenbeziehungen. Eine entsprechende Aufgabenteilung beobachteten die Autoren auch für männliche Kleingruppen, in denen im Allgemeinen ein Mann die aufgabenbezogene Leitung übernimmt, ein anderer sich eher um die Beziehungen innerhalb der Gruppe kümmert. Demnach postulierten sie generell für Familien und Gruppen eine dualistische Rollenteilung in eine instrumentelle (aufgabenorientierte) und eine expressive (beziehungsorientierte) Rolle, die funktional wichtig sei für ein harmonisches soziales Miteinander. Dieser Standpunkt wurde natürlich seither öfters kritisiert (z. B. Giele, 1988), einerseits wegen der Annahme, dass die komplementären Geschlechterrollen wichtig wären für ein Funktionieren der Gesellschaft, andererseits weil Status- und Machtunterschiede zwischen den Geschlechtern gänzlich vernachlässigt werden (vgl. Eagly, Wood & Diekman, 2000). Letzterer Aspekt ist ein wichtiger Bestandteil von Geschlechterrollen.

Die soziale Geschlechterrollentheorie von Eagly (1987, s. Kap. 4.1) betont, dass Geschlechterrollen das gesellschaftlich vorherrschende Ungleichgewicht von Frauen und Männern in verschiedenen sozialen Rollen widerspiegeln. So sind nach wie vor Frauen hauptsächlich verantwortlich für den Haushalt und die Kindererziehung, während Männer bestimmte Berufsbereiche dominieren. Wie einleitend beschrieben, ist es zwar heutzutage der Fall, dass Frauen in der Berufswelt stark vertreten sind, allerdings existiert ein Ungleichgewicht insofern, als die Geschlechterverteilung innerhalb der Berufe unausgeglichen ist (z. B. dominieren Frauen Sozialberufe und Männer Berufe im Technikbereich) und auch die Geschlechterverteilung in den Karrierestufen unausgeglichen ist (Männer dominieren die Führungsebene). Insofern finden wir in unserer Gesellschaft nach wie vor eine Statushierarchie zwischen Frauen und Männern (s. Kap. 1.1), die Männer eindeutig bevorzugt. Allerdings nimmt die Geschlechterrollentheorie auch an, dass Geschlechterrollen dynamisch sind (Diekman & Eagly, 2000; Eagly et al., 2000), insofern als sich Erwartungen an Frauen und Männer ändern, wenn sich die Geschlechterverteilung in verschiedenen Lebensbereichen verändert.

1.3 Geschlechterstereotype

Geschlechterstereotype sind persönliche Überzeugungen und Erwartungen hinsichtlich der typischen Charakteristika von Männern und Frauen (Hannover, 2006). Sie sind kognitiv mit der sozialen Geschlechtskategorie assoziiert und werden durch den Prozess der Kategorisierung aktiviert. Geschlechterstereotype sind sozial geteilt (Eckes, 1997) und haben vielfältige Auswirkungen auf soziales Erleben und Verhalten (Klauer, 2008). Als kognitive Schemata vereinfachen sie soziale Informationsverarbeitung und werden für Urteilsheuristiken verwendet. Stereotype haben generell zwei Funktionen. Einerseits vereinfachen sie die soziale Wahrnehmung, indem einzelne Individuen in Schubladen gesteckt und auf Basis von Kategorienzugehörigkeit beurteilt werden. Andererseits können über Stereotype gesellschaftlich systemische Praktiken (wie Ablehnung bestimmter Gruppen) und Statusunterschiede zwischen Gruppen legitimiert werden (Jost & Banaji, 1994). Entsprechend dieser Funktionen werden Geschlechterstereotype nicht nur deskriptiv, sondern auch präskriptiv verwendet (Fiske & Stevens, 1993). Sie sind deskriptiv insofern, als sie Meinungen darstellen, wie Frauen und Männer typischerweise sind. Diese Funktion dient der Erleichterung sozialer Wahrnehmung, indem Erwartungen generiert werden und Interaktionen vereinfacht werden. Entspricht eine Person deskriptiven Erwartungen nicht, dann werden beobachtende Personen maximal überrascht sein (Rudman & Glick, 2008). Geschlechterstereotype sind präskriptiv insofern, als sie Meinungen darstellen, die besagen, wie Frauen und Männer sein sollten. Sie beruhen auf den traditionell definierten Geschlechterrollen (Eagly, 1987) und legitimieren gesellschaftlich definierte Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Werden präskriptive Erwartungen enttäuscht, dann resultiert das nicht nur in Überraschung, sondern im Weiteren auch in Ärger und kann soziale Sanktionen nach sich ziehen. Fiske und Stevens (1993) meinten, dass Geschlechterstereotype stärker präskriptiv seien als andere Gruppenstereotype.

Da Stereotype Wissen auf einem abstrakten Niveau darstellen und schon sehr sprachgebunden sind, findet man erst bei Fünfjährigen die Verwendung von Geschlechterstereotypen, die denen der Erwachsenen inhaltlich bereits entsprechen (Urberg, 1982; Williams & Best, 1990a). Die Kenntnis stereotyper Eigenschaften wächst mit steigendem Lebensalter, und der Erwerb der Geschlechterstereotype ist nach Abschluss des Grundschulalters weitgehend abgeschlossen (s. Kap. 1.5). Diese bleiben auch über die Lebensspanne stabil. Die Kenntnis von Stereotypen ist zudem bei Kindern aus höheren Schichten altersmäßig früher zu beobachten als bei Kindern aus niedrigeren Schichten (Williams & Best, 1990a). Dies lässt sich mit dem höheren Bildungs- und damit auch Abstraktionsniveau der Kinder höherer Schichten erklären.

1.3.1 Inhalt

Was sind denn nun die typischen Charakteristika von Männern und Frauen? Im Allgemeinen fällt jedem von uns schnell etwas dazu ein, obwohl wir eventuell bei manchen Charakteristika selbst nicht der Meinung sind, dass diese tatsächlich zutreffend sind. Die Charakteristika, die uns einfallen, sind unsere individuellen Geschlechterstereotype. Es kann sich dabei um Körpercharakteristika, Persönlichkeitseigenschaften, Rollenverhalten, berufsspezifische Präferenzen oder Fähigkeiten handeln (Deaux & LaFrance, 1998). Ein prominentes Thema sind schlechtere mathematische und naturwissenschaftliche sowie bessere verbale Testleistungen von Frauen als von Männern. Dazu kann man sagen, dass zwar einerseits Hinweise vorhanden sind, dass tatsächlich gefundene Unterschiede biologisch und evolutionär bedingt sind. Andererseits ist bekannt, dass Fähigkeitsunterschiede auch in Form von Stereotypen gesellschaftlich geteilt werden und für gefundene Unterschiede verantwortlich sein können (für einen Überblick siehe Halpern et al., 2007). Geschlechterstereotype beziehen sich auch auf Emotionen (Plant, Hyde, Keltner & Devine, 2000). Demnach wird von Frauen erwartet, dass sie mehr und tiefer gehende Emotionen erleben als Männer. Nur Ärger und Stolz sind Emotionen, die eher als typisch für Männer gesehen werden. Geschlechterstereotype beinhalten verschiedene Bereiche wie Eigenschaften, Verhaltensweisen, körperliche Charakteristika und Berufe (vgl. Deaux & Lewis, 1984). Dennoch bezieht sich die wissenschaftliche Forschung überwiegend auf Eigenschaften (Rudman & Glick, 2008). Insofern haben verschiedene Autoren schon früh Eigenschaftslisten für Männer und Frauen erstellt (z. B. Rosenkrantz, Vogel, Bee, Broverman & Broverman, 1968; s. Tab. 1.1).

Tab. 1.1: Geschlechterstereotype in den 1960er Jahren (nach Rosenkrantz, Vogel, Bee, Broverman & Broverman, 1968)

positive feminine Eigenschaften

positive maskuline Eigenschaften

  • gebraucht keine harten Worte
  • sehr beredt
  • sehr taktvoll
  • sehr sanft
  • sehr einfühlsam
  • sehr religiös
  • äußert leicht Gefühle
  • sehr besorgt um die äußere Erscheinung
  • mit sehr guten Manieren
  • sehr ruhig
  • mit großem Sicherheitsbedürfnis
  • begeistert sich für Kunst und Literatur
  • sehr aggressiv
  • sehr unabhängig
  • gar nicht emotional
  • verbirgt immer seine Emotionen
  • sehr objektiv
  • nicht leicht beeinflussbar
  • sehr dominant
  • hat sehr gern Mathematik und theoretische Wissenschaft
  • gar nicht aus der Ruhe zu bringen bei einer kleinen Krise
  • sehr aktiv
  • sehr wettbewerbsmotiviert
  • sehr logisch
  • sehr nach außen orientiert
  • sehr fähig in Geschäftsdingen
  • sehr direkt
  • sehr weltgewandt
  • nicht leicht verletzbar
  • sehr abenteuerlustig
  • kann leicht Entscheidungen treffen
  • weint nie
  • handelt immer als Führer
  • sehr selbstbewusst
  • gar nicht schuldbewusst, wenn aggressiv
  • sehr ehrgeizig
  • leicht in der Lage, Gefühle von Gedanken zu trennen
  • gar nicht abhängig
  • nie eitel
  • hält Männer gegenüber Frauen für überlegen

Generell werden Frauen eher als expressiv, einfühlsam und beziehungsorientiert, Männer als eher instrumentell, selbstbewusst und unabhängig beschrieben. Für die zwei Pole der Geschlechterstereotype haben sich in der Literatur verschiedene Bezeichnungen wie Expressivität, Wärme, (engl.) Communion für den weiblichen Pol und Instrumentalität, Kompetenz, (engl.) Agency für den männlichen Pol (Kite, Deaux & Haines, 2008; Rudman & Glick, 2008) etabliert.

Geschlechterstereotype zeigten sich auch im interkulturellen Vergleich als sehr ähnlich. Williams und Best (1990a) untersuchten Geschlechterstereotype in 27 Ländern. In jedem Land bewertete eine Stichprobe von ca. 100 Universitätsstudierenden eine Eigenschaftsliste bestehend aus 300 Eigenschaften der „Adjective Checklist“ von Gough und Heilbrun (1980). Die Studierenden mussten für jede Eigenschaft angeben, inwieweit diese in ihrem Kulturkreis häufiger mit Frauen oder mit Männern in Zusammenhang gebracht wird bzw. inwieweit es keine Geschlechterunterschiede gebe. Es zeigte sich für weibliche und männliche Studierende eine hohe Übereinstimmung in der geschlechtsstereotypen Beurteilung der Eigenschaften. Die gemeinsame Varianz der Geschlechterzuordnungen über alle beteiligten Länder betrug 42 %, wobei die Korrelationen der Zuordnungen zwischen zwei Ländern im Bereich von .35 (Pakistan mit Venezuela) und .94 (Australien mit England) lagen. Tabelle 1.2 zeigt die Eigenschaften, die in mindestens 20 der 25 Nationen als typisch weiblich oder typisch männlich bezeichnet wurden.

Tab. 1.2: Stereotype Eigenschaften, die übereinstimmend in mindestens 20 der 25 untersuchten Nationen genannt wurden (nach Williams & Best, 1990a, S. 77)

Stereotype maskuline Eigenschaften

  • anmaßend
  • abenteuerlustig1
  • aggressiv1
  • aktiv
  • dominant1
  • egoistisch
  • ehrgeizig
  • einfallsreich
  • emotionslos
  • entschlossen
  • erfinderisch
  • ergreift die Initiative
  • ernsthaft
  • faul
  • fortschrittlich
  • grausam
  • grob
  • hartherzig
  • klar denkend
  • kräftig1
  • kühn1
  • laut
  • logisch denkend
  • maskulin1
  • mutig
  • opportunistisch
  • rational
  • realistisch
  • robust1
  • selbstbewusst
  • selbstherrlich1
  • stark1
  • streng
  • stur
  • tatkräftig
  • unabhängig1
  • überheblich
  • unbekümmert
  • unerschütterlich
  • unnachgiebig1
  • unordentlich
  • unternehmungslustig 1
  • weise

Stereotype feminine Eigenschaften

  • abergläubisch
  • abhängig
  • affektiert
  • attraktiv
  • charmant
  • einfühlsam1
  • emotional
  • feminin1
  • furchtsam
  • gefühlvoll1
  • geschwätzig
  • liebevoll1
  • milde
  • neugierig
  • schwach
  • sanft
  • sexy
  • träumerisch1
  • unterwürfig1
  • weichherzig

1 Diese Eigenschaften wurden übereinstimmend in allen (25) oder fast allen (24) Nationen als typisch männlich bzw. weiblich bezeichnet.

Dabei ist noch hervorzuheben, dass es so gut wie keine Umkehrungen der männlichen und weiblichen stereotypen Eigenschaften in den Nationen gab. Frauen zugeschriebene stereotype Eigenschaften, wie z. B. schwach oder sanftmütig, wurden in keiner Nation als typisch männliche Eigenschaften betrachtet und umgekehrt. Spätere Befunde zu Geschlechterstereotypen zeigen auf, dass diese sich inhaltlich über die Zeit nicht verändern (z. B. Hosoda und Stone, 2000; Spence & Buckner, 2000).

Tab. 1.3: Anzahl der stereotypen Eigenschaften für Männer und Frauen in 25 Nationen (Williams & Best, 1990a)

Nation

maskuline Eigenschaften

feminine Eigenschaften

Australien

86

98

Bolivien

89

28

Brasilien

105

54

Kanada

83

93

England

106

73

Finnland

105

96

Frankreich

103

48

Deutschland

117

85

Irland

74

69

Indien

124

40

Italien

148

43

Israel

114

70

Japan

97

72

Malaysia

99

100

Niederlande

117

101

Neuseeland

75

64

Nigeria

79

111

Norwegen

100

96

Pakistan

103

77

Peru

126

50

Schottland

55

49

Südafrika

94

71

Trinidad

80

103

USA

100

85

Venezuela

49

27

Williams und Best (1990a) untersuchten im Weiteren, inwieweit sich männliche und weibliche Stereotype in ihrer Bewertung unterschieden. Eine unterschiedliche Bewertung der Stereotype zeichnete sich zunächst dadurch ab, dass in vielen Ländern generell mehr männliche Stereotype genannt wurden als weibliche (s. Tab. 1.3) und dass dabei für Männer mehr positive Eigenschaften genannt werden als für Frauen (s. Tab. 1.2). Im Weiteren verwendeten die Autoren unter anderem die Osgood’schen Bewertungsdimensionen (gut vs. schlecht, stark vs. schwach, aktiv vs. passiv) und ließen alle Eigenschaften auf diesen Dimensionen von einer separaten Stichprobe bewerten. Es zeigte sich für alle Länder, dass männliche Stereotype als stärker und aktiver bewertet wurden als weibliche Stereotype, wobei es aber interkulturelle Schwankungen in der Größe der Unterschiede gab. Und zwar waren die Unterschiede besonders groß in sozioökonomisch weniger entwickelten Ländern und in Ländern, in denen Frauen geringere Chancen auf eine schulische und berufliche Bildung haben als Männer. Die Ergebnisse für die Wertigkeitseinschätzungen (gut vs. schlecht) waren differenzierter. In einigen Ländern (z. B. Japan, Südafrika, Nigeria, Malaysia) wurden männliche Stereotype besser bewertet als weibliche Stereotype. In anderen Ländern (z. B. Italien, Indien, Peru, Australien) wurden weibliche Stereotype positiver als männliche Stereotype bewertet oder als gleichwertig (Trinidad, Finnland) eingestuft. Glick et al. (2004) erhoben in sieben Ländern (Deutschland, Italien, Niederlande, Singapur, Taiwan, Türkei, USA) die Bewertung von weiblichen und männlichen Stereotypen. Dabei ließen sie die Beurteiler/innen jeweils zehn typisch weibliche und männliche Eigenschaften selbst generieren und dann bezüglich Wertigkeit beurteilen (-3 extrem negativ bis +3 extrem positiv). Es zeigte sich, dass weibliche Eigenschaften generell positiver (M = .78) eingeschätzt wurden als männliche Eigenschaften (M = .40). Allerdings unterschieden sich die Ergebnisse für die verschiedenen Länder in Abhängigkeit vom Geschlecht der Untersuchungsteilnehmenden. Abbildung 1.1 zeigt, dass die generell gefundene positivere Einschätzung von weiblichen Stereotypen im Vergleich zu männlichen vor allem auf den Bewertungen der Stereotype durch Frauen basiert. Nur Männer in Italien, Singapur und Taiwan bewerteten weibliche Eigenschaften auch positiver als männliche. In Deutschland und der Türkei schätzten Männer männliche Eigennschaften positiver ein als weibliche. Männer in den Niederlanden und den USA machten keinen Unterschied in der Bewertung.

Die Geschlechterstereotypenforschung lässt sich gut mit Stereotypenforschung in Verbindung bringen, die sich generell auf Gruppenwahrnehmung bezieht. In diesem Zusammenhang bedeutsam ist etwa das Stereotypenmodell von Fiske, Cuddy, Glick und Xu (2002), wonach Stereotype auf zwei Dimensionen geordnet werden können, nämlich auf einer Dimension der Wärme und einer Dimension der Kompetenz (auch Agency und Communion, vgl. Abele & Wojciszke, 2007). Diese beiden Dimensionen können als wesentlich für die Personenwahrnehmung im Allgemeinen gesehen werden. Allerdings ist Wärme bei der Beurteilung anderer Personen wichtiger als Kompetenz, was sich evolutionspsychologisch erklären lässt, da es für das Überleben wichtiger ist, ob man jemandem vertrauen kann und erst sekundär wesentlich ist, ob die Person auch kompetent ist (Abele & Wojciszke, 2007; Fiske, Cuddy & Glick, 2007). Die Einschätzung der Wärme einer Person ist wichtig für Sympathieurteile. Wir mögen Personen, die wir als warmherzig und hilfsbereit wahrnehmen. Die Einschätzung der Kompetenz hängt mit Respekt zusammen. Wir achten und respektieren Personen, die wir als kompetent und fähig wahrnehmen. Fiske et al. (2002) konnten aufzeigen, dass viele soziale Gruppen auf den beiden Dimensionen ambivalent bewertet werden. Entweder werden Gruppen als warm, dafür aber nicht kompetent angesehen oder umgekehrt als kompetent, dafür aber nicht warm. Man kann daher annehmen, dass sehr maskuline Individuen zwar respektiert werden, aber Gefahr laufen, nicht gemocht zu werden, wenn sie als egoistisch und arrogant wahrgenommen werden (Rudman & Glick, 2008). Sehr feminine Personen laufen Gefahr, zwar als sehr sympathisch zu gelten, aber auch zu wenig respektiert zu werden, wenn sie als schwach und abhängig erlebt werden.

img

Abb. 1.1:
Unterschiedliche Einschätzung der Positivität von weiblichen und männlichen Stereotypen durch Frauen und Männer, getrennt für verschiedene Länder der Studie von Glick et al. (2004)

Die inhaltlichen Besonderheiten von Geschlechterstereotypen machen auch deutlich, dass sie systemerhaltende Funktion haben. Dies erklärt auch, warum Geschlechterstereotype sich bis dato nicht wesentlich verändert haben (z. B. Hosoda & Stone, 2000; Spence & Buckner, 2000), obwohl sich doch zumindest in westlichen Ländern die Stellung der Frauen verändert hat. Auch der Trend, dass weibliche Stereotype positiver sind als männliche, wurde in weiterführender Forschung bestätigt (Eagly & Mladinic, 1989; Hosoda & Stone, 2000). Erklären lässt sich diese Stabilität dadurch, dass Frauen, die im Berufsleben stehen oder generell eher männliche Stärken an den Tag legen, nach wie vor als Ausnahmen betrachtet oder Geschlechtersubgruppen zugeteilt werden (z. B. Karrierefrauen, vgl. Kap. 1.3.4). Auch zeigt sich, dass die Berufswelt Geschlechterstereotype integriert, indem man zwischen weiblichen und männlichen Berufen unterscheiden kann bzw. von Frauen in der Berufswelt auch eher feminine und nicht maskuline Eigenschaften erwartet werden (vgl. Kap. 1.6.3).

1.3.2 Die Bedeutung der Korrespondenzverzerrung

Individuen neigen dazu, Rollenträgern überdauernde Persönlichkeitseigenschaften in Abhängigkeit von deren Rollenverhalten zuzuschreiben. Dieses psychologische Phänomen wird als „Correspondence Bias “ (Korrespondenzverzerrung) bezeichnet und kann als die Tendenz von Individuen beschrieben werden, aus dem Verhalten anderer Personen stabile Persönlichkeitsmerkmale abzuleiten, selbst wenn das Verhalten stark durch situative Faktoren bedingt ist (vgl. Eagly & Wood, 2011). Verhalten sich demnach Frauen oder Männer entsprechend den von ihnen eingenommenen Rollen (z. B. eine Mutter kümmert sich fürsorglich um ihre Kinder oder ein Boss trifft harte Entscheidungen), dann tendieren Beobachter/innen dazu anzunehmen, dass dieses Verhalten der Persönlichkeit der Person entspricht. Dass sich diese Person eventuell nur so verhält, weil es die eingenommene Rolle so verlangt und weil ein anderes Verhalten gesellschaftlich sanktioniert würde, wird weniger beachtet. Diese verzerrte Wahrnehmung unterstützt auch Überzeugungen, die besagen, dass geschlechtsstereotype Eigenschaften in der Natur von Frauen und Männern liegen und damit nicht veränderbar sind.

1.3.3 Die Bedeutung von Geschlechterverteilungen

Ein weiterer Prozess, der im Zusammenhang mit Geschlechterstereotypen wesentlich ist, bezieht sich auf die Wahrnehmung von Geschlechterverteilungen in verschiedenen Berufsgruppen oder im Zusammenhang mit Tätigkeiten im Alltag. Dies wird in einer Studie von Hoffman und Hurst (1990) veranschaulicht, in der sie ihre Probandinnen und Probanden zwei fiktive Gruppen beurteilen ließen, die „Orinthians“ und die „Ackmians“, die angeblich auf einem anderen Planet lebten. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen war der, dass von den Orinthians 80 % in einer Stadt arbeiteten (city workers) und nur 20 % Kinder aufzogen (child raisers). Bei den Ackmians war es genau umgekehrt (80 % child raisers und 20 % city workers). Die Untersuchungsteilnehmenden bekamen Beschreibungen von je 15 Personen aus jeder Gruppe, in denen für jede Person deren Beruf und beschreibende Eigenschaften angegeben waren. Allerdings wurde jede Person mit einer weiblichen (z. B. warmherzig), einer männlichen (z. B. unabhängig) und einer geschlechtsneutralen (z. B. kreativ) Eigenschaft beschrieben. Es zeigte sich, dass die Untersuchungsteilnehmenden sich in ihrer generellen Einschätzung der beiden Gruppen vorwiegend von den Häufigkeitsverteilungen innerhalb der Rollen beeinflussen ließen, indem sie den Orinthians generell mehr männliche Eigenschaften zuordneten und den Ackmians generell mehr weibliche Eigenschaften. Hoffman und Hurst sehen das als klaren Hinweis, dass Geschlechterstereotype nicht Ausdruck von tatsächlichen Persönlichkeitseigenschaften von Frauen und Männern sind, sondern vielmehr eine Folge der Rollenverteilung innerhalb unserer Gesellschaft. Beispiele wären hier etwa bestimmte Berufsgruppen, in denen mehr Frauen arbeiten als Männer (z. B. Textilindustrie, Sozialberufe). Die Berufstätigen in diesen Bereichen werden auch als weniger maskulin beschrieben (Eagly & Karau, 2002) als Berufstätige in Bereichen mit mehr Männern als Frauen (z. B. Technikbetriebe, Militär). Allerdings lässt gerade dieser Prozess, dass sich Stereotype aus der Wahrnehmung von Häufigkeitsverteilungen ableiten (vgl. Kap. 1.4, sowie Krueger, Hasman, Acevedo & Villano, 2003), die berechtigte Annahme zu, dass die Stereotype sich auch ändern können, wenn sich die Verteilungen ändern (vgl. Diekman & Eagly, 2000).

Die Verankerung von Geschlechterstereotypen mit sozialen Rollen ist ein Grund dafür, dass die Stereotype oft präskriptiv verwendet werden (Rudman & Glick, 2008). Es sind allerdings nicht alle Geschlechterstereotype präskriptiv. Z. B. wird niemand annehmen, dass Frauen gern Einkaufen gehen sollen. Vor allem aber Geschlechterstereotype, die sich aus den Rollen ableiten lassen, sind präskriptiv. So wird eher gefordert, dass Frauen fürsorglich sein sollen und Männer durchsetzungsfähig. Wie bereits gesagt, werden dadurch die Geschlechterrollen zementiert und legitimiert (siehe auch Jost & Banaji, 1994).

1.3.4 Geschlechterstereotype in Abhängigkeit von Status

Eine weitere wesentliche Determinante für Geschlechterstereotype ist der Aspekt, dass Männer und Frauen in den meisten Gesellschaften unterschiedlichen Status einnehmen (vgl. Ridgeway & Bourg, 2004). Generell existieren in allen Gesellschaften Statusüberzeugungen, die verschiedenste soziale Gruppen betreffen. Dabei werden Personen einer Gruppe im Vergleich zu einer anderen Gruppe mehr Bedeutung, mehr Kompetenz oder mehr spezifische Fähigkeiten zugeschrieben. Diese gesellschaftlich geteilten Überzeugungen legitimieren auch die Statusungleichheiten diesen Gruppen innerhalb der Gesellschaft. In den meisten Gesellschaften wird den beiden Geschlechtern ungleicher Status zugeschrieben. Geschlechterstereotype bringen diese Statusüberzeugungen zum Ausdruck, indem Männern mehr Status und Kompetenz zuerkannt wird. Insbesondere wird Männern mehr Kompetenz im Zusammenhang mit dem Lösen von Problemen in beruflichen und technischen Bereichen zugesprochen. Diese sind zugleich auch gesellschaftlich hochgeschätzte Lebensbereiche. Frauen wird mehr Kompetenz z. B. bei Beziehungsproblemen oder bei Haushaltsaufgaben zugesprochen, die aber gesellschaftlich weniger geschätzte Lebensbereiche darstellen.

Der Zusammenhang zwischen Statuspositionen und Geschlechterstereotypen ist ein genereller, da oft statusniedrigere Gruppen mit weiblichen Stereotypen wie warmherzig und expressiv beschrieben werden und statushöhere Gruppen mit männlichen Stereotypen wie kompetent und ehrgeizig (Conway, Pizzamiglio & Mount, 1996; Fiske et al., 2002). Conway et al. (1996) gaben Untersuchungsteilnehmenden die Beschreibung verschiedener fiktionaler Gruppen, die sich hinsichtlich des sozialen Status unterschieden. Statusunterschiede wurden über Merkmale der Kleidung oder den Zugang zu Ressourcen dargestellt. Es wurde darauf geachtet, dass die Gruppen ähnliche soziale Rollen einnahmen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Untersuchungsteilnehmenden den statushohen Gruppen mehr maskuline und den statusniedrigen Gruppen mehr weibliche Stereotype zusprachen. Dadurch konnte die enge Verflechtung von Geschlechter- und Statusstereotypen aufgezeigt werden.

Rudman und Glick (2008) erläutern, dass die gegebene Interdependenz von Frauen und Männern zusammen mit dem unterschiedlichen Status eine wesentliche Rolle für die präskriptive Verwendung von Geschlechterstereotypen spielen. In traditionellen heterosexuellen Beziehungen sind Männer von Frauen insofern abhängig, als Frauen die Kinder und den Haushalt versorgen. Frauen sind von Männern abhängig, da sie von diesen beschützt und ernährt werden. Geschlechterrollen und Statusunterschiede definieren diese Rollen als „Muss“ für Frauen und Männer. Durch Geschlechterstereotype, die Frauen vorschreiben, fürsorglich und bescheiden zu sein, während Männer durchsetzungsfähig und stark sein müssen (vgl. Prentice & Carranza, 2002), wird dieses System erhalten und die Interaktion zwischen Frauen und Männern erleichtert. Entsprechend ist es auch für Frauen völlig unerwünscht, dass sie sich auflehnend, starrköpfig oder dominant verhalten, während es für Männer unerwünscht ist, unterwürfig oder emotional zu handeln (vgl. Prentice & Carranza, 2002). Männer erhalten demnach soziale Unterstützung für Eigenschaften und Verhalten, die ihre Kompetenz, Status und Macht unterstreichen. Sie werden nicht bestraft, wenn sie sozusagen über das Ziel hinausschießen und sich rebellisch und dominant verhalten. Soziale Sanktionen müssen sie dagegen für gezeigte Schwäche und Nachgiebigkeit erwarten. Frauen hingegen werden sozial unterstützt, wenn sie Wärme und Häuslichkeit an den Tag legen, wobei toleriert wird, wenn sie sich naiv, unterwürfig oder kindisch verhalten. Frauen müssen mit sozialen Sanktionen rechnen, wenn sie sich dominant und kontrollierend verhalten. Diese systemerhaltende Funktion von Geschlechterstereotypen zeigt sich auch in der Existenz von Geschlechtersubgruppen, die im Folgenden dargelegt wird.

1.3.5 Geschlechtersubgruppen

Die Kategorie Geschlecht teilt die Menschheit in zwei nahezu gleich große Gruppen. Es ist daher naheliegend, dass nicht alle Individuen den gesellschaftlich geteilten Geschlechterstereotypen entsprechen. Diese Unterschiedlichkeit der Gruppenmitglieder führt dazu, dass es Vorstellungen zu Geschlechtersubgruppen gibt (Maurer, Park & Rothbart, 1995; Richards & Hewstone, 2001). Die Bildung von derartigen Subgruppen produziert ein vielfältiges Ergebnis. So generierten Teilnehmende in einer Studie von Vonk und Ashmore (2003) jeweils mehr als 200 verschiedene Bezeichnungen für Frauen- bzw. Männersubgruppen. Beim Prozess der Subgruppenbildung wird die unterschiedliche Information in verschiedene Kategorien geordnet, so dass die Mitglieder einer Subgruppe einander möglichst ähnlich sind und sich klar von den restlichen Gruppenmitgliedern unterscheiden (Maurer et al., 1995). Als Beispiel vorweg sei die weibliche Subgruppe „Karrierefrau “ genannt. Personen beschreiben diese Frauen als untereinander ähnlich, aber unterschiedlich zu Frauen im Generellen. Die Subgruppenwahrnehmung dient einerseits der systematischen Informationsverarbeitung, indem die große Unterschiedlichkeit der Personen reduziert wird (Green, Ashmore & Manzi, 2005). Es werden Subgruppen gebildet, die mit der übergeordneten Gruppe übereinstimmen, aber dennoch bestimmte spezifische Merkmale aufweisen. So sind „Geschäftsmann“ und „Macho“ beide sehr männliche Typen, die sich aber dennoch unterscheiden. Eine zweite Funktion der Subgruppenwahrnehmung ist die, dass Personen, die nicht zu den stereotypen Erwartungen der übergeordneten Gruppe passen, in eigene Subgruppen abgekapselt werden (Green et al., 2005. Beispielsweise werden Frauen als stereotyp unterordnend beschrieben. Viele Frauen entsprechen diesem Stereotyp aber nicht und werden Geschlechtersubgruppen wie den bereits genannten Karrierefrauen oder auch z. B. Feministinnen zugeordnet, die allgemein nicht als unterordnend gelten. Diese abweichenden Subgruppen werden teilweise zudem negativ bewertet, da sie eben den generellen Erwartungen nicht entsprechen.

Die Subgruppen sind demnach mit eigenen Stereotypen assoziiert, die als Erwartungen an die Subgruppenmitglieder herangetragen werden. Entsprechend dem Stereotypenmodell von Fiske et al. (2002; vgl. S. 19) findet man auch für Geschlechtersubgruppen ambivalente Erwartungen hinsichtlich der zwei Dimensionen Wärme und Kompetenz. So wird z. B. erwartet, dass Karrierefrauen kompetent, aber nicht warmherzig sind (Eckes, 2002). Die Subgruppe der Hausfrauen dagegen wird als warmherzig, aber wenig kompetent wahrgenommen. Die Abkapselung nicht passender Subgruppen von der übergeordneten Gruppe hat zur Folge, dass dadurch die Stereotype der Letzteren erhalten bleiben (Green et al., 2005; Vonk & Olde-Monnikhof, 1998). Wenn Karrierefrauen als nicht warmherzig angesehen werden, so gelten sie auch generell als nicht „typische“ Frauen. Damit kann das allgemeine Stereotyp, dass Frauen warmherzig sind, aufrechterhalten bleiben.

Eine Reihe von Studien haben Geschlechtersubgruppen untersucht (z. B. Coats & Smith, 1999; Deaux et al. 1985; Eckes, 1994a, 1994b, 1997; Vonk & Ashmore, 2003; Vonk & Olde-Monnikhof, 1998). Die oben genannte eindrucksvolle Anzahl an verschiedenen Bezeichnungen für Subgruppen kann reduziert werden, wenn man sie über verschiedene Kategorien ordnet (Kite et al., 2008). Diese beziehen sich auf die Berufswelt (z. B. Karrierefrau, Geschäftsmann), die Familie (z. B. Hausfrau, Brotverdiener), politische Einstellungen (z. B. Feministin), körperliche Charakteristika und Betätigungen (z. B. Sportler) und Sexualität (z. B. Vamp, Macho).

Eckes (1994a, 1997) konnte in einer deutschen Studie verschiedene Frauen- und Männersubgruppen in Cluster ordnen. Er gab den einzelnen Clustern jeweils den Namen der Subgruppe, durch die sie am besten repräsentiert wurden. Tabelle 1.4FrauenclusterMännercluster