Herzklopfen
an der Côte d`Azur
Ein Roman von
Miamo Zesi
miamo-zesi.de
miamo@miamo-zesi.de
Copyright/Impressum
© Rechte was Schrift, Wort und Bild angeht, liegen
ausschließlich bei Miamo Zesi.
www.miamo-zesi.de
Hintere Str. 28 – 88437 Maselheim
Namen und Handlungen sind alle fiktiv und haben mit keinen Personen oder Plätzen etwas gemeinsam.
Impressum: Miamo@miamo-zesi.de/miamo-zesi.de
Covergestaltung:
Cassandra Krammer
Bildrechte:
https://de.depositphotos.com/13802457/stock-illustration-romantic-couple-on-a-beach.html
https://de.depositphotos.com/23493427/stock-illustration-tropical-beach.html
https://de.depositphotos.com/77632798/stock-illustration-watercolor-lighthouse-and-seagulls.html
https://l.facebook.com/l.php?u=https%3A%2F%2Fde.depositphotos.com%2F13802457%2Fstock-illustration-romantic-couple-on-a-beach.html%3Ffbclid%3DIwAR2oopkVP18GAKbRcRcReV0XTInVzUP16QSSBoZhcFE6XY2dmJ12l8k-nUQ&h=AT35IhLQyY-h9hM0RBoNKXc8t9ZxByrDY8EJlpAk7qL1cGukA7TZLw8peG8W8WTWjpBgsQFkUK1pTIBofHbAig2gaoCpPK6G2JF6jFtVrW3mc8mtyJBuGlaSBtzUKpEqObb7uZ4NMyhZf10ywO4qag_xXw
ISBN-Ebook: 978-3-947255-63-4
ISBN-Print: 978-3-947255-64-1
Miamo Zesi
2020
Widmung
Der Liebe. In jeglicher Facette. Denn was gibt es Schöneres?
Autorin
»Miamo Zesi« ist das Pseudonym einer Autorin aus dem schwäbischen Biberach. Dort lebt sie mit ihrem Mann, zwei erwachsenen Kindern und dem Hund Mex. Sie liebt lange Spaziergänge im Wald. Dabei fallen ihr die Geschichten zu ihren Büchern ein. Sie wünscht viel Freude mit den Geschichten!
Hinweis:
Einen Rat allerdings sollte jeder beherzigen:
Sei safe, mach es mit Kondomen!
Dieser Roman ist genau das. Eine Geschichte. Bitte nehmt nicht alles, was ich geschrieben habe, ernst. Vieles davon wird in der heutigen vernetzten und digitalen Zeit nicht funktionieren. Bücher laden zum Träumen ein und nicht alles, was notiert ist, kann oder wird jemals so geschehen. Lasst euch in meine Welt der Phantasie mitnehmen und begeistern!
Anmerkung der Autorin:
Die Personen in diesem Roman haben mit keinen realen Personen etwas gemeinsam, sie entspringen meiner Phantasie. Real war das fürchterliche Attentat in Nizza am 14.07.2016, das so vielen unschuldigen Menschen das Leben kostete. Sollte Ähnlichkeit mit einem Schicksal bestehen, ist dies reiner Zufall.
1. Pascal 9
2. München 15
3. Mathilde 30
4. Pascal 47
5. Mathilde 53
6. Fortbildung in Hamburg. Mathilde 64
7. Pascal 75
8. Mathilde 80
9. Joggen im englischen Park. Mathilde 90
10. Tombolagewinn: eine Reise nach Nizza. Mathilde 93
11. Viki 111
12. Reise nach Nizza. Mathilde 117
13. Schicksal? Mathilde 126
14. Jahrestag in Nizza. Erinnerungen. Pascal 133
15. Mathilde 143
16. Viki 155
17. Pascal 160
18. München. Viki 171
19. München. Pascal 177
20. München. Mathilde 183
21. Pascal 191
22. Nizza. Mathilde 196
23. Viki 201
24. Carlo 206
25. Pascal 214
26. Mathilde 218
27. München. Pascal 222
28. Mathilde 231
29. Viki 237
30. Côte d’Azur 243
Am 14.07.16 abends um 22:45 Uhr endete mein Leben. Seither existiere ich nur. Atme, esse und arbeite. Mehr nicht. Ich bin ein gefühlskalter, harter Mensch und Arzt geworden. Bin jemand, der zu keinem Gefühl mehr fähig ist. Habe es in kurzer Zeit geschafft, dass mich niemand mehr leiden kann. Ich selber am wenigsten, dabei stand ich lange Zeit auf der Sonnenseite des Lebens. War beliebt, hatte Freunde und Menschen um mich herum, die mich schätzten. Natürlich gab es auch in meinem Lebenslauf Holpersteine. Die jedoch habe ich gut verarbeitet, bis vor drei Jahren mein Leben völlig aus den Fugen geriet.
Geboren wurde ich in München, wuchs jedoch in Nizza auf, an der Côte d’Azur – Einem Fleckchen Erde, das einfach nur als wunderschön zu bezeichnen ist. Meine Mutter ist Deutsche. Eine lebenslustige Frau, die in jungen Jahren die Welt erkunden wollte. Sie erzählte mir oft von dem Jahr nach dem Abitur, in dem sie mit dem Rucksack durch Europa tourte, nicht wissend, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte. Sie sagte mir immer, dass sie von der Vielfalt der Möglichkeiten, die ihr geboten wurden, überfordert gewesen sei. Deshalb habe sie zuerst sich selber und einen Ort finden wollen, der ihr gefiel. Nach diesem Jahr und etliche Jobs später war ihr klar, dass sie sich in der Tourismusbranche ausbilden lassen würde. Sie ging nach Paris, um sich dort für den Studiengang des europäischen Bachelor im International Hotel & Tourism Management einzuschreiben. Dort lernte sie meinen pére, meinen Vater, kennen und auch lieben. Was sie in den ersten Monaten nicht wusste, war, dass seine Eltern in Nizza ein kleines, aber wunderschönes Hotel führten und er dieses nach dem Studium übernehmen sollte. Erst nach einem Besuch in seiner Heimat und bei seiner Familie war meiner Mutter klar, dass sie hier, genau hier in Nizza, leben wollte. Sie verliebte sich in das Hotel, die Gegend, einfach alles und wurde an diesem Ort glücklich. Ist es heute noch, auch, wenn seit einigen Jahren ein Schatten das Glück trübt. Mit Antoine, meinem Vater, führte sie keine gute Ehe. Bereits wenige Jahre nach meiner Geburt stellte sich heraus, dass er nicht unbedingt viel von Arbeit hielt, ein Lebemann war, der das hart verdiente Geld lieber in Sport, Luxus und Annehmlichkeiten investierte als in die Zukunft des Hotels. Mutter erzählt mir oft, dass sie ihn bis zuletzt geliebt habe, ihr nie der Gedanke gekommen sei, ihn zu verlassen. Jedoch erarbeitete sie sich Wohlstand für sich und mich, ohne ihn daran teilhaben zu lassen. Sie kaufte sich ein renovierungsbedürftiges Haus vom Erbe ihrer Eltern, richtete es liebevoll her und eröffnete ihr erstes eigenes Hotel, als ich acht Jahre alt war. Bald folgte ein weiteres Projekt. Mutter hat, finde ich, typisch deutsche Eigenschaften. Sie ist diszipliniert, sparsam, und wenn sie etwas anpackt, hat es Hand und Fuß. Ich bin ihr, was das anbelangt, gleich. Sie liebt mich abgöttisch. Nie hatte ich auch nur einen Tag das Gefühl, nicht geliebt zu werden. Vater, der lebte sein eigenes Leben, das immer mehr aus dem Ruder geriet. Seine Eltern schafften es nicht, ihn zur Vernunft zu bringen. Eines Tages, es war mein zwölfter Geburtstag, kam er nicht wie ausgemacht zum Abendessen nach Hause. Der Tag selber war wunderschön. Ich verbrachte ihn nach der Schule im Beisein meiner Freunde am Strand. Später war ich bei meinen Großeltern und meiner Mutter, um mich dort verwöhnen zu lassen. Vater hatte versprochen, gegen zwanzig Uhr zu kommen. Tat er aber nicht. Mutter rief ihn verärgert auf dem Handy an, jedoch meldete er sich nicht. Sie war, das weiß ich noch genau, ziemlich wütend auf ihn an diesem Abend, und ich war traurig, dass er sein Versprechen, wie so oft, nicht einhielt. Später machte meine Mutter sich Vorwürfe und ich trauerte. Solche Ereignisse, die Stunden davor und danach brennen sich in das Gehirn ein. Da im Süden am Abend die Temperaturen richtig angenehm werden, bin ich es seit frühester Kindheit gewohnt, spät zu Bett zu gehen. Es war Samstag und zudem mein Geburtstag, sodass ich lange aufbleiben durfte und das Drama live und völlig ungefiltert mitbekam. Gegen ein Uhr in der Nacht klingelte es. Mutter dachte zuerst, dass ein Gast den Schlüssel vergessen hatte. Dies kam des Öfteren vor. Sie ging nach unten, um die Tür zu öffnen. Als sie in den Garten zurückkehrte, war sie blass und sah anders aus. In ihrer Begleitung waren zwei Polizisten und ich erkannte den Pater, bei dem ich Religionsunterricht hatte. Ich weiß noch, dass mein Großvater aufsprang und fragte:
»Anna, was ist los? Ist etwas mit Antoine?« Sie nickte nur, blickte zu mir und nahm mich in den Arm. Der Pater sprach die schrecklichen Worte aus.
»Er ist tot, Paul. Dein Sohn ist aus noch nicht geklärten Gründen über die Klippen gefahren. Er war auf dem Weg zurück von Monaco nach Nizza, wollte, so vermuten wir, nach Hause.«
Dass dies nicht die ganze Wahrheit war, erfuhr ich erst viele Jahre später. Gemunkelt wurde viel, das bekam auch ich mit. Doch Mutter hat mir erst, als ich achtzehn wurde, erzählt, dass mein Vater in jener Nacht, in einem Casino in Monaco viel Geld verspielt hatte. Sehr viel. Mehr, als er hatte und mehr, als er je hätte zurückzahlen können. Zudem fanden die Ermittler eine leere Wodkaflasche im total zerstörten Fahrzeug. Mein Vater hatte sich umgebracht. Mutter und meine Großeltern unternahmen in den folgenden Jahren alles, um mir ein schönes Aufwachsen zu ermöglichen. Finanziell ging es uns immer gut, denn Mutter gehörten ja die Hotels, und das Erste war immer noch in Besitz von meinen Großeltern. Vaters Schulden waren nach seinem Tod passé. Mutter machte dies mit Hilfe eines Anwaltes auch dem Schuldner klar und bekam Recht. Das alles erfuhr ich, wie gesagt, erst viele Jahre später.
Nach dem Abitur zog es mich, wie meine Mutter damals, ins Ausland. Ich habe viel von ihr, nur das Aussehen, das habe ich von meinem Vater, bin dunkelhaarig, habe schwarze Augen und dieses markante Gesicht, das den Franzosen eigen ist, zudem einen südländischen Touch. Ich bin braun gebrannt und ein Franzose durch und durch, was meine sexuellen Aktivitäten angeht. Wir Franzosen lieben das Leben, gutes Essen und die Liebe. Ich bin da nicht viel anders und konnte bereits mit achtzehn auf genug Erfahrung mit Frauen zurückblicken, um nicht nur verschüchtert von einem Mädchen zu träumen, sondern es selbstbewusst anzusprechen und im Bett glücklich zu machen. Nach dem Abitur, das ich mit glänzenden Noten absolvierte, strebte ich ein Medizinstudium an. Mutter, die ja noch jung war und ist und viele weitere Jahre ihre Hotels alleine führen wird, unterstützte mich darin. Sie bat mich nur, mir die Welt anzusehen, nicht hier in Nizza zu studieren, sondern vielleicht in einem anderen Land - was ich tat. Ich fasste den Entschluss, meine andere Heimat besser kennenzulernen und ging nach München.
Als ich Pia zum ersten Mal sehe, verliebe ich mich augenblicklich unsterblich in sie, und mit mir gefühlt sämtliche männliche Studenten der Uni, völlig egal, ob Erstsemester oder Abschlussjahrgang. Pia betritt einen Raum und die Sonne geht auf. Man kann es nur so beschreiben. Sie umgibt ein Strahlen, eine Aura, die sehr ausgeprägt ist. An diesem Tag sitze ich in meinem bevorzugten Café in der Ecke auf meinem Lieblingsplatz. Denn von hier aus kann man den ganzen Raum überblicken und sehen, wer eintritt. Bereits vor drei Wochen, als ich in München angekommen bin, zu den Vorkursen, habe ich diese Ecke zu der meiner auserkoren. Irgendwie habe ich Glück, denn sie ist meistens frei. Von hier aus beobachte ich also Pia, wie sie nach nur wenigen Schritten von zwei jungen Männern angesprochen wird und ihnen mit einem freundlichen Lächeln absagt. Sie geht weiter bis zur Theke, nicht ohne zuvor erneut angequatscht zu werden. Als sie endlich den Café-to-Go-Becher in der Hand hält und sich umdreht, um das Café zu verlassen, lässt sie keine Verärgerung über die Störungen auf dem Weg dorthin erkennen, sondern ein fröhliches Lachen überzieht immer noch ihr Gesicht.
Sie bemerkt mich nicht. Ich jedoch nehme jedes Detail an ihr wahr. Die gelbe Bluse. Den grünen Faltenrock und die blauen Sandalen. Völlig bunt und total lustig, aber wunderschön. Anders. Sie hat ihren eigenen Stil, dem sie konsequent gerecht wird, wie ich in den folgenden Wochen feststellen darf. Wir reden in diesem ersten Semester kein Wort miteinander. Wie auch? Es liegt nicht daran, dass ich zu schüchtern bin oder mich nicht traue. Der Grund ist, dass sie einfach viel zu viel von den Studenten umschwärmt wird. Selbst auf dem Weg zum WC versuchen einige, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Ich will mich nicht in diese Schlange der speichelleckenden, geilen Hunde einreihen. Das ist erniedrigend. Mir ist es ein Dorn im Auge, dass ich sie nicht ein einziges Mal alleine antreffe, aber es soll nicht sein. Während der Vorlesungen und in der Zeit vor den Prüfungen habe ich genug zu tun, lerne wie verrückt. Denn ich bin ehrgeizig. Interessanterweise ist Pia das ebenfalls. Mir ist nicht bekannt, dass sie mit einem der Studenten ausgegangen ist, jedoch auch nicht mit mir. Sie zieht alle in ihren Bann, die Dozenten und Professoren, selbst den Hausmeister und die Sekretärin. Pia sprüht vor Leben und Leichtigkeit. Nach dem ersten Semester verziehe ich mich ans Meer. Ich habe Heimweh, lasse mich in den Semesterferien, in denen ich nicht arbeiten muss, meiner Mutter gebührt Dank, verwöhnen, genieße den Sommer, das Meer, meine Freunde und einige Touristinnen. Ja klar, ich bin da ehrlich. Ich weiß, dass ich Pia irgendwann heiraten werde. Bis dahin muss ich üben, um sie gut befriedigen zu können. Eine lächerliche Ausrede. Um meinem Status als Student gerecht zu werden, feiere ich meinen letzten Tag in Nizza bis in die späten Abendstunden und steige nach einer ausgiebigen Runde Sex am Strand, in mein Auto, um zurück nach München zu fahren. Kurz vor knapp erreiche ich den Parkplatz und jogge zur Vorlesung, die um acht beginnt. Ich werde vielleicht noch vor dem Professor meinen Platz erreichen, jedoch nur mit viel Glück. Dieser Etappensieg gelingt mir tatsächlich. Einen Platz zu finden, ist allerdings ein Ding der Unmöglichkeit. Da sehe ich plötzlich Pia, die winkend dasteht und jemandem andeutet, zu ihr zu kommen. Wen meint sie nur? Bin ich nicht der Letzte? Neugierig drehe ich mich um, aber da ist niemand. Pia winkt wie verrückt, es ist total lustig. Von hinten werde ich angestupst.
»He Mann! Du Glückspilz, du solltest zu ihr gehen. Der Prof ist gerade gekommen, es geht gleich los.« Langsam klettere ich über die Studenten hinweg, die längst ihre Laptops oder Tablets auf den Plätzen bereitgelegt haben, stolpere über Rucksäcke und nerve nicht nur einen meiner Kommilitonen, indem ich ihm oder ihr auf die Füße trete. Als ich bei Pia ankomme, setze ich mich und werde wieder von ihr überrascht.
»Danke. Womit habe ich das verdient?« Sie lächelt und meint:
»Du riechst gut.«
»Ich rieche gut?«
»Ja, nach Meer, Sonne, Urlaub...und Sex. Du böser Junge.« Dass ich bei ihrer Direktheit rot werde, muss ich wohl nicht zweimal erwähnen.
»Du, Pia...« Der Professor lässt mich verstummen. Pia zwinkert mir lachend zu und flüstert mir leise ins Ohr:
»War sie wenigstens gut?« Schnell drehe ich mich nach vorne, nicht ohne ihr zuvor zuzuraunen:
»War sie. Mit dir allerdings wäre es perfekt gewesen.« Pia und ich gehen später gemeinsam zum Mittagessen, ebenso die Tage danach. Eine Woche später essen wir gemeinsam zu Abend, und drei Wochen später frühstücken wir im Bett. Pia ist alles, was ich mir je im Leben gewünscht habe. Diese Liebe ist tief, hat nichts mit den oberflächlichen Flirts zu tun, die ich hatte. Pia und ich – das ist etwas Magisches. Das klingt äußerst schnulzig, was es aber nicht ist. Pia ist ein Mischling, wie auch ich einer bin und oft scherzhaft von den anderen genannt werde. Ihr Vater ist Deutscher, und Pias Mutter stammt – Wie könnte es anders sein bei ihren wunderschönen blonden Haaren? – aus Norwegen. Mein Mädchen hat die strahlendsten, blauesten Augen, die ich je gesehen habe. Sie haben die Farbe der Côte d'Azur, kurz bevor die Sonne am Abend untergeht. Ich werde zum Romantiker. Aber wenn es um sie geht, ist mir das egal. Nach dem Grundstudium, das wir beide mit Bravour beenden, heiraten wir. Uns ist völlig egal, was die anderen von uns denken. Wir hören zwar die Unkenrufe, dass wir das zweite Staatsexamen nicht als Ehepaar beenden würden, sie interessieren uns aber nicht. Wir werden Eltern einer wundervollen Tochter, Aurelie. Sie ist der Sonnenschein schlechthin. Kurz vor dem zweiten Staatsexamen, als ich gerade mal sechsundzwanzig Jahre alt bin, kommt sie zur Welt. Sie hat die schwarzen Haare und den dunklen Teint von mir und die wasserblauen Augen von Pia. Sie macht ihr Staatsexamen nur wenige Wochen nach der Geburt und legt danach ein Jahr Pause ein. Wir ziehen nach Nizza, und dort mache ich am Center Antoine Lacassagne - Cyclotron meinen Facharzt als Onkologe. Pia startet genau ein Jahr später in der Radiologie. Wir passen zusammen und haben einen gemeinsamen Schatz. Unsere Aurelie. Pia fühlt sich in Nizza pudelwohl. Wir wohnen etwas außerhalb in einem kleinen Haus mit einem wunderschönen Garten, der zugewachsen ist mit Bougainvilleas, Zitronenbäumen und großen Feigenbäumen. Außerdem nennen wir einen Pool unser Eigen, den wir ausgiebig nutzen, vor dem Dienstantritt und auch danach. Meine Großeltern kümmern sich um Aurelie, wenn wir beide Dienst haben, was nicht oft vorkommt. Unser Leben ist ein Traum, und dieser soll mit einem zweiten Baby noch perfekter werden, wenn er es nicht bereits ist. Im Anschluss an den Facharzt strebe ich den Doktor an und arbeite viel dafür. Nicht zu viel. Deshalb dauert es auch einige Monate länger, als ich es mir vorgenommen habe. Doch das stört mich nicht. Pia ist am 14.06.16 im sechsten Monat. Ihr Bauch wunderschön. Die Schwangerschaft ist noch nicht beschwerlich. Im Gegenteil. Diese Wochen sind nach Pias Aussagen die allerschönsten. Sie genießt jeden Tag, jedes Strampeln, einfach jede Bewegung unseres Kindes. Oft hält sie für Aurelie das Stethoskop an den Bauch, damit sie den Herzschlag ihres kleinen Bruders hört. Es wird ein Sohn werden, wie die letzte Ultraschalluntersuchung gezeigt hat. Was freue ich mich darauf, ihn im Arm halten zu können! Wir feiern heute nicht nur den Nationalfeiertag, sondern auch meinen Doktortitel. Ich bin nun einunddreißig, verheiratet mit einer zauberhaften, wunderschönen Frau, Vater einer Tochter, und bald wird ein Sohn unser Familienglück vervollständigen. Mit meiner Mutter und meinen Großeltern feiern wir ausgiebig, essen gut in einem Restaurant und unterhalten uns, bis Aurelie müde wird und wir bezahlen. Um sie noch etwas wach zu halten, bis das Feuerwerk startet, schlendern wir die Promenade entlang.
Nur drei Minuten später ist mein Glück Geschichte. Geschrei, fürchterlicher Lärm, Schüsse und geschockte, verzweifelte Menschen sind um mich herum. Ich blicke ausschließlich auf meine Pia und Aurelie, die beide auf der Straße liegen. Ich nehme nicht wahr, dass mein Bein unnatürlich vom Körper absteht. Einzig mein Kind und meine Pia sind in meinem Fokus. Verstört und doch ganz Arzt versuche ich verzweifelt, abwechselnd Luft in die beiden leblosen Körper zu pressen. Ihre Augen blicken starr in den dunklen Himmel. Der Arzt in mir registriert dies mit stoischer Ruhe. Der liebende Mann und Vater will nicht begreifen, dass sie tot sind, dass mein ungeborener Sohn in diesem Moment noch um sein Leben kämpft. Ich kann nichts tun, gar nichts. Ich habe die beste Ausbildung erhalten, aber den Tod, der da vor mir auf der Straße liegt, dem kann ich nichts entgegenhalten. Pia wurde frontal von dem Lastwagen getroffen. Aurelie kam unter das Rad. Wie auch mein Bein. Dass ich überlebt habe, ist nur der Tatsache zu verdanken, dass ich auf der linken Seite gelaufen bin. Wie in einem Film, dessen Lautstärke unvermittelt gedrosselt wurde, blicke ich mich verzweifelt um. Plötzlich ist der Ton da. Lautes Geschrei und Schüsse sind zu hören, Wimmern und noch mehr Geschrei. Hilferufe überall. Viele rennen um ihr Leben und treten mitunter auch auf die toten und verletzten Menschen. Wir befinden uns mitten im Krieg. Neben Aurelie liegt, wie ich wahrnehme, ein Mann, der verzweifelt versucht, einen anderen notdürftig zu versorgen. Er ruft dauernd laut um Hilfe und weint. Die Erstarrung fällt für einen Moment von mir ab. Ich schiebe Aurelie, mein Baby, weinend mit gebrochenem Bein näher zu Pia, lege sie ihr in die Arme, schließe beiden die Augen, küsse meine Liebsten auf die Stirn, streichle sie, wische ihnen das Blut aus dem Gesicht und streife Pia die blonden Haare aus den Augen und Aurelie die schwarzen Locken. Danach halte ich für einen längeren Moment eine Hand auf Pias Bauch und fühle, ob noch Leben in ihm ist. Ich will meinen Sohn in seinen letzten Sekunden nicht alleine lassen. Doch ich spüre nichts. Ich lege mein Ohr auf den Bauch und lausche, ob ich noch einen Herzschlag erahnen kann. Nichts. Nur Stille. Meine Liebsten sind von mir gegangen. Welch ein Grauen! Wieder sind da die Hilferufe des Mannes neben mir, und ich drehe mich zu ihm, schaffe es nur mit unmenschlicher Kraft, meine große Liebe loszulassen, weiß aber tief in mir, dass es vorbei ist, dass dieses Leben nicht mehr vorhanden ist, ich im Prinzip, wie auch sie gerade, gestorben bin. Die Kälte in meinem Herzen hilft mir, mich dem Mann zuzuwenden und ihn zu versorgen. Mechanisch suche ich nach seinem Puls, finde aber, wie zuvor bei Aurelie, keinen mehr. Ein Blick auf seinen blutenden Schädel, und ich kann dem Mann, der ihn in den Armen hält, nur mit einem Kopfschütteln andeuten, dass auch er nicht mehr unter uns weilt. Er versteht und streichelt seinen Partner, wie ich zuvor meine Liebsten, liebevoll. Er selber hat ganz offensichtlich einen Schock, aber sonst nichts abbekommen. Ich krabble weiter. So viele Tote und Verletzte. Bis Hilfe da ist, dauert es. Irgendwann aber strömen die Sanitäter und Rettungskräfte nur so zu uns. Ich ziehe mich zurück. Der Schmerz in meinem Bein ist brachial, doch eine Kleinigkeit im Vergleich mit dem, der in meinem Herzen tobt. Ich weiß noch, dass man mich zu einem Krankenwagen bringen will, ich mich weigere, nicht von Pia und Aurelie getrennt werden möchte. Meine Mutter ist irgendwann bei mir, versucht zu mir durchzudringen, spricht mit mir, weint an meiner Seite, nimmt, wie ich selber, Aurelie in die Arme, streichelt Pia. Sanitäter bringen mich schließlich nach gefühlten Minuten, später erfahre ich, dass es Stunden waren, weg von den beiden, hin zu meinen Kollegen, die mich mit einer Spritze ruhigstellen. Das Nächste, was ich weiß, ist, dass ich im Krankenhaus aufwache. Mutter sitzt auf einem Stuhl in demselben Kleid, das sie am Abend getragen hat, als meine Welt noch in Ordnung war. Ihr Blick ist so mitfühlend und von Trauer geprägt, dass ich ohne einen Wortwechsel weiß, dass es kein Traum war. Dass meine Lieben nicht mehr unter uns weilen. Heiser frage ich:
»Wo sind sie? Ich...ich will zu ihnen.«
»Pascal, du weißt, dass das nicht möglich ist, nicht mehr in dieser Welt. Sie sind irgendwo in einem anderen Leben. Sie sind zusammen und werden auf dich warten, Pia, Aurelie und dein Sohn.« Ich weine nicht. Keine Träne verlässt mehr meine Augen. Ich werde in diesen Minuten ein anderer Mensch. Mein Herz wird kalt, eine dicke Mauer wächst empor. Nichts kann mehr hinein und kein Gefühl heraus. Tage später stehe ich mit Krücken vor zwei Särgen. An meiner Seite meine Mutter und meine Schwiegereltern. Sie sind gebrochen und voller Hass auf denjenigen, der ihnen das Liebste genommen hat. Ich selber fühle nichts mehr. Mein Großvater ist es, der das erkennt. Er versucht, zu mir durchzudringen, aber er schafft es nicht, denn ich lasse es nicht zu. Nach der Trauerfeier gehe ich zu unserem Haus, packe einen Koffer, nehme Pias Tagebuch mit und Aurelies Lieblingspuppe, dazu die Fotoalben, die Pia immer liebevoll mit Zitaten versehen hat, und fahre mit dem Zug weg, ohne jemandem zu sagen, wo ich hingehe. Ich tauche unter, bis mein Bein geheilt ist, und nehme in München an der Harlacher Klinik eine Stelle als Oberarzt der Onkologie an. Dort fühle ich mich Pia nah, und doch ist ihre Präsenz nicht allgegenwärtig, wie es in Nizza der Fall wäre. Man mag mich nicht. Ich werde zu einem Arzt, der ich nie sein wollte. Einer Art Gott in weißem Kittel, der den Krebs bekämpft, und das unheimlich gut und mit großem Erfolg, aber die Person, den Menschen dahinter im Verborgenen hält. Mein Kampf gilt den kranken Zellen in den Körpern. Richtig, meine Patienten sind Körper. Mehr nicht. Ich lasse es nicht zu, dass sie mir nahe gehen, dass ich Mitleid fühle. Ich bekämpfe das, was in ihnen ist und nicht reingehört, mehr nicht. Werde Spezialist darin, arbeite bis zur Erschöpfung, nur, um nicht zur Ruhe zu kommen. Viele Patienten kommen bald nur wegen mir in die Klinik, mein Ruf eilt durch das Netz, aber auch, dass ich das gefühlloseste Arschloch ever sei. Das ist mir egal. Wie so vieles. Wenn ich doch nur gestorben wäre an diesem verfluchten Tag!
»Dr. Dubois, Marlene Fischer hat Probleme mit dem neuen Medikament. Sie spuckt und ihr ist übel. Sollen wir ihr etwas gegen die Magenschmerzen verabreichen?« Ich blicke auf.
»Von wem bitte reden Sie, Schwester?«
»Ihrer Patientin, Marlene Fischer von Zimmer drei.«
»Warum nicht gleich?« Mir ist ihr unverständlicher Blick bewusst, aber er stört mich nicht.
»Zimmer drei. Wie lange ist es her, dass sie die Medikamente genommen hat?«
»Etwa eine halbe Stunde.«