Wie Stress das Hören verändert
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Gendererklärung
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1. Auflage
© 2021 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg.
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Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:
Red Bull Media House GmbH
Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15
5071 Wals bei Salzburg, Österreich
Satz, Umschlaggestaltung und Layout: Melanie Kraxner
Gesetzt aus der Palatino, Gräbenbach und SignPainter.
Grafiken im Buch: Peter Palm
Autorenillustrationen: Claudia Meitert/carolineseidler.com
ISBN: 978-3-7110-0292-1
eISBN: 978-3-7110-5318-3
EINLEITUNG: ICH HÖRE, ALSO BIN ICH
1 WIE FUNKTIONIERT DER HÖRSINN?
Wer Ohren hat, der höre: Hören als Fenster zur Welt
Unsere Sinne | Was macht das Hören so besonders?
Alles Schall und Hall: Die Physik hinter unserem Hörsinn
Schall | Schallquellen | Schallausbreitung | Lautstärke | Impedanz | Schallschatten | Dezibel | Tonhöhe
Die perfekte Welle: Die Reise des Schalls
Das dreigeteilte Ohr | Von der Ohrmuschel bis zu den Haarzellen
Die letzte Reiseetappe: Hören ist Kopfsache
Das dreistöckige Gehirn | Unterwegs auf der Hörbahn | Hören muss gelernt sein | Komm, lass uns reden | Musik liegt in der Luft
Eine Reise in die Vergangenheit: Wie sich das Gehör entwickelte
Evolution der Haarzellen | Wer nicht hören konnte, hatte verloren | Am Anfang war das Wort
2 ZU VIEL UM DIE OHREN
Wenn die Alarmglocken läuten: Was ist Stress und warum macht er krank?
Ein kurzer Überblick zur Stressforschung | Alarm, Alarm, Alarm! | Das vegetative Nervensystem | Die Hypothalamus-Hypophysen-Achse | Das aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem | Flieh oder kämpf! | Entstehung stressbedingter Erkrankungen
Gestörte Wahrnehmung: Hören und Stress
Wenn es zu viel wird | Stress macht hellhörig | Stress macht verbissen | Stress macht schwerhörig
Kaum mehr zu schaffen: Stress lass nach
Warum der eigene Chef manchmal wie ein Löwe wirkt | Veränderte Welt, veränderte Stressoren | Stress haben – eine Einstellungssache? | Immun gegen Stress?
3 SCHLECHT HÖREN KANN ICH GUT
Ohren auf beim HNO-Arzt: Untersuchungsmethoden
Messung des Hörvermögens | Tonaudiometrie | Sprachaudiometrie | Ohrmikroskopie | Impedanzmessung | Stapediusreflex-Prüfung | Messung der otoakustischen Emissionen | Hirnstammaudiometrie (BERA)
Ständig Krach: Viel Lärm um nichts?
Eine Lärmdefinition | Eine kurze Geschichte des Lärms | Wann ist Lärm schädlich? | Gestörte Nachtruhe | Lärm stört das Lernen | Herz-Kreislauf-Erkrankungen | Psychische Auswirkungen von Lärm
Laut, lauter, zu laut: Lärmschwerhörigkeit
Lautstärke und Einwirkdauer | Veränderungen des Zellstoffwechsels | Durchblutungsstörungen | Mechanische Schäden | Knalltrauma | Berufliche Lärmschwerhörigkeit | Schäden durch Freizeitlärm | Lärmschutz
Wie bitte? Schwerhörigkeit in jedem Alter
Natürlich hörbare Frequenzen | Angeborene Hörstörungen | Kindesalter: Nicht alles kommt an | Chronische Mittelohrentzündungen | Gehörtes nicht verstehen | Mittleres Alter: Akute Hörverluste | Im Alter: Das Hören lässt nach
Hören heißt Dazugehören: Folgen und Hilfen bei Schwerhörigkeit
Gefahren durch nachlassendes Hörvermögen | Hilfe bei Schwerhörigkeit | Vom Hörrohr zum modernen Hörgerät | Cochlea-Implantat
4 ICH HÖRE WAS, WAS DU NICHT HÖRST
Klingeln, Sausen, Piepsen: Tinnitus
Der Dämon im Kopf | Tinnitus ist behandelbar! | Woher kommen die Geräusche? | Tinnitus durch akute Hörverluste | Tinnitus durch Stress | Tinnitus durch Kiefergelenksverspannungen | Seltenere Ursachen | Warum Tinnitus krank machen kann | Vorsicht Eskalation!
Die Sehnsucht nach Stille: Tinnitustherapie
Behandlung beginnt im Kopf | Therapie des Ohres | Therapie der Hörverarbeitung | Aufklärung und Beratung | Ruhe durch Geräusche | Hörverbesserung | Entspannung | Akzeptanz | Achtsamkeit | Kognitive Verhaltenstherapie | Tinnitustherapie
Wenn Geräusche krank machen: Hyperakusis
Wenn das Brummen des Kühlschranks zur Qual wird | Hyperakusis bei Hörverlust | Hyperakusis bei Stress | Phonophobie und Misophonie
5 WELLNESS FÜR DIE OHREN
Balsam fürs Gehör: Geräusche und Emotionen
Wohltuende Klänge | Wie entstehen Emotionen? | Gefühliges Gehirn
Musik im Blut: Der Sound des Lebens
Töne beruhigen und verbinden | Musik als Medizin
6 GEBRAUCHSANWEISUNG FÜR DAS GEHÖR: WICHTIGE FRAGEN UND ANTWORTEN
Auf einen Blick: Die wichtigsten Informationen
Rezept für ein gesundes Gehör | Checkliste Ohr | Checkliste Hörverarbeitung | Checkliste Stresssystem | Checkliste limbisches Nervensystem
GLOSSAR
LITERATUR
DIE AUTOREN
Sicherlich kennen Sie den Spruch, »die Ohren auf Durchzug stellen«. Was so viel heißt wie: bewusst nicht hinhören, weghören, die Ohren ausschalten. Wer hat sich genau das nicht schon mal gewünscht, einfach nichts davon hören, wenn die Kinder wieder streiten, der Nachbar eine Party schmeißt oder die Autos am offenen Schlafzimmerfenster vorbeidüsen. Aber, diese Erfahrung haben wir alle schon gemacht: Es funktioniert einfach nicht. Wie viel Mühe wir uns auch geben, bewusst wegzuhören, es klappt nicht. Die Ohren kann man eben nicht wie die Augen einfach verschließen.
Dazu nimmt der Hörsinn seine Aufgabe nämlich viel zu ernst und wir müssen uns die Ohren schon verstopfen oder Fenster und Türen schließen, wenn wir missliebige Geräusche nicht wahrnehmen wollen. Der Hörsinn ist der einzige unserer Sinne, der immer im Einsatz ist – auch nachts. Was die Augen nicht sehen können, das hören die Ohren. Und sehr oft warnen sie uns so vor Gefahren. Deshalb hat die Evolution dafür gesorgt, dass wir unser Gehör nicht einfach bewusst ausschalten können. Das birgt nämlich Risiken. Denken Sie nur an die zahlreichen Verkehrsunfälle, die geschehen, weil jemand laut über Kopfhörer Musik abspielt, aber die Autos nicht mehr wahrnimmt. Dass wir so etwas einmal tun würden, also den ganzen Tag Kopfhörer tragen, das konnte die Evolution ja nicht ahnen – aber dazu später mehr.
Vielleicht denkt sich jetzt der eine oder andere Leser: Na ja, wenn man sich sehr auf etwas konzentriert oder einem interessanten Gespräch folgt, bekommt man von den sonstigen Geräuschen um einen herum trotzdem oft nichts mit. Das ist absolut richtig und ebenso ganz absichtlich von der Natur eingerichtet wie die immer offenen Ohren.
Woran es liegt, dass man zwar nicht bewusst die Ohren ausschalten kann, wir aber gleichzeitig manchmal weder das Rufen des Partners noch das Zwitschern der Vögel um uns herum wahrnehmen, ist eines der Rätsel, die wir in diesem Buch lösen werden.
Da ich HNO-Arzt bin, ist es naheliegend, dass ich mich mit dem Hören beschäftige. Es gehört zu meiner täglichen Arbeit. Aber ich hätte auch über das Riechen oder Schmecken schreiben können. Denn auch damit beschäftige ich mich jeden Tag. Der Hörsinn ist aber etwas ganz Besonderes. Ich bin immer wieder fasziniert, was er leistet, und wie sehr er unser Leben, oft unbemerkt, aber nachhaltig, beeinflusst. Man denke nur an Musik, die unsere Stimmung heben kann, die freundliche Stimme unseres Gegenübers oder das nächtliche Knacken im Flur, das uns senkrecht mit Herzklopfen im Bett sitzen lässt.
Das Ohr und der Hörvorgang faszinieren mich auch deshalb so sehr, weil dabei mit einfachsten Mitteln – einer Membran, ein paar Knöchelchen und einer Handvoll Sinneszellen – ein Maximum an Information herausgeholt wird. Andererseits sehe ich als HNO-Arzt ständig Patienten, die ihren Beschwerden hilflos ausgeliefert sind und Stress oder Angst entwickeln, weil sie die Arbeitsweise ihres Gehörs nicht kennen und deshalb keine Möglichkeit haben, ihren Zustand positiv zu beeinflussen. Das gilt insbesondere für Patienten mit Tinnitus. Ohrgeräusche beruhen aber vor allem auch auf einer fehlerhaften Hörverarbeitung. Unbehandelt führen sie häufig zu psychischen Problemen. Daraus entstand ebenfalls eine starke Motivation, dieses Buch zu schreiben.
Als ich meine Buchidee erst einmal vorsichtig anderen schilderte, waren sie sehr interessiert. Meine Zuhörer waren vor allem davon überrascht, wie eng das Hören mit unserem Stresssystem und unserem Gefühlsleben zusammenarbeitet und wie schnell diese wechselseitige Beeinflussung uns krank machen kann. Ein geräuschempfindlicher Lehrer, der sich nicht mehr in der Lage sieht zu unterrichten, ein Manager, der unter einem Tinnitus leidet, oder ein älterer Mensch mit Schwerhörigkeit und Depressionen sind typische Beispiele dafür.
Je mehr ich darüber sprach, desto mehr war ich davon überzeugt, dass den meisten Menschen die Wichtigkeit des Hörvorgangs für ihr Leben und ihre Gesundheit gar nicht bewusst ist. Ich habe viele Patienten mit Beschwerden wie Tinnitus, Hörminderungen oder einer Geräuschüberempfindlichkeit, die verzweifelt sind und nicht mehr an eine Besserung glauben, weil sie die Zusammenhänge zwischen Hörvorgang auf der einen sowie Stress und emotionalen Faktoren auf der anderen Seite nicht kennen. Das führt zu viel unnötigem Leid und ich hoffe, ich kann mit diesem Buch vielen Betroffenen helfen.
Meine Mitautorin, Lucia Schmidt, kenne ich durch ein FAZ-Interview, bei dem sie mich zum Thema Tinnitus befragte. In ihr habe ich jemanden gefunden, der all meine Gedanken so in Worte fasst, dass man sie mit Spannung liest, die mir kritische Fragen stellt und mit ihrem eigenen medizinischen Wissen als Ärztin das ergänzt, was ich vielleicht vergessen oder übersehen habe. Ich möchte ihr an dieser Stelle ganz herzlich dafür danken.
Als ich Lucia Schmidt also fragte, ob sie meine Co-Autorin werden wolle, hatte ich Glück, denn sie war gleich ganz Ohr und ebenso begeistert von dem Thema wie ich. Denn wie jeder andere kennt auch sie Menschen, die seit Jahren unter Ohrengeräuschen leiden und sich teilweise stark aus dem Leben zurückgezogen oder verändert haben. Außerdem erzählte sie, dass sie bei meinen Erzählungen über Schwerhörigkeit an ihren Großvater denken musste, der in seinen letzten Lebensjahren immer die Hand hinter das Ohr gehalten hatte, um die Stimmen seiner Enkel besser zu verstehen. Irgendwann drehte er den Fernseher so laut, dass man selbst bei verschlossenen Türen im Nachbarraum noch jedes Wort verstehen konnte. Er selbst konnte aber die dringliche Bitte der Großmutter, das Gerät doch leiser zu schalten, absolut nicht nachvollziehen.
Von nun an arbeiteten wir also gemeinsam an diesem Buch und waren uns schnell einig, dass es den Lesern helfen soll, die überwiegend unterbewusst ablaufenden Prozesse des Hörvorgangs zu verstehen, um sie besser beeinflussen zu können.
Wir versprechen Ihnen, dass Sie am Ende dieses Buches auch der Meinung sein werden, dass der Hörsinn völlig unterschätzt wird. Unser Ziel ist es, Ihnen zu vermitteln, dass es nicht nur faszinierend ist, sich mit dem Hörsinn zu beschäftigen, sondern auch wichtig, sorgsam mit dem Gehör umzugehen, um ein gesundes Leben zu führen und Hörschäden vorzubeugen. Darüber hinaus soll es Lesern, die bereits an Schwerhörigkeit oder Tinnitus leiden, Mut geben und wirkungsvolle Behandlungswege aufzeigen.
Dieser Text ist daher wie ein praktisches Handbuch angelegt. Denn den Hörvorgang als Produkt der Evolution kann man sich wie ein Softwareprogramm vorstellen, und in diesem Buch wird beschrieben, wie diese Software funktioniert und wie wir sie möglichst optimal nutzen können.
Unser Hörsinn ist von allen Sinnen der komplexeste. Schon lange bevor wir geboren werden, sehen, riechen oder tasten können, hören wir den Herzschlag und die Stimme unserer Mutter, wenn auch noch gedämpft durch das Fruchtwasser. Nach der Geburt begleitet uns das Hören unser Leben lang und schläft nie. Unermüdlich überwacht es die Umgebung, um uns vor Gefahren zu warnen und keine wichtige Information zu verpassen.
Das Ohr selbst ist ein Wunderwerk an Präzision und ermöglicht uns räumliche Orientierung und Kommunikation. Relativ spät in der Evolution entstanden, hat der Hörsinn überhaupt erst die Entwicklung des modernen Menschen möglich gemacht. Wären die Urzeitmenschen gehörlos gewesen, gäbe es keine Sprache, kein abstraktes Denken und keine Musik.
Dabei bestehen all die Klänge und Geräusche, die in uns Emotionen und Gedanken wecken, erst einmal aus nichts anderem als aus schwingender Luft. Ja, letztendlich steckt hinter dem Hören trockene Physik. Und die Kapitel, die die Physik hinter dem Hörsinn erklären, waren sicherlich jene, über denen wir beim Schreiben des Buches am meisten gebrütet haben.
Aber ohne das Wissen über die Eigenschaften und das Verhalten von Schallwellen kann man gar nicht erahnen, was unser Ohr tagtäglich für uns leistet.
Um die Flut der akustischen Informationen, die ununterbrochen auf uns einprasselt, verarbeiten zu können, hat die Hörverarbeitung raffinierte Mechanismen entwickelt und ist mit großen Teilen unseres Gehirns eng verknüpft. Entsprechend weitreichend sind die Folgen, wenn mal etwas nicht so gut funktioniert oder die Hörverarbeitung überlastet wird.
Fast jeder Mensch leidet im Laufe seines Lebens irgendwann einmal unter einer Hörminderung, einer Geräuschempfindlichkeit oder Ohrgeräuschen. Spätestens dann erkennt man, wie viel unser Hörvermögen mit Stress und Emotionen zu tun hat und wie stark wir durch unsere akustische Umgebung geprägt werden.
Dieses Buch ist eine Einladung zu einer Reise in die Welt des Hörens. Wir werden erkunden, wie das Hören funktioniert und warum es im Laufe der Evolution so unerhört wichtig wurde. Wir werden den Schall verfolgen und verstehen, warum in dem Spruch »zu viel um die Ohren haben«, ein sehr wahrer Kern liegt. Und weil wir Autoren beide Ärzte sind, wissen wir, dass Patienten – und das trifft sicher auch auf unsere Leser zu – es gar nicht mögen, wenn man sie nur mit Informationen versorgt. Am Ende des Praxisbesuchs wollen alle ein Rezept in der Hand halten, an dem sie sich im wahrsten Sinne des Wortes festhalten können und auf dem steht, was sie nun am besten tun sollten. Und genau deshalb haben wir am Ende des Buches auch ein solches Rezept für Sie, quasi eine Gebrauchsanweisung mit zahlreichen Hinweisen und Antworten auf Fragen zum Thema Hören – damit Ihr Gehör bis ins hohe Alter hinein erhalten bleibt und Ihnen gute Dienste tut. Auf geht die Reise.
Nähert man sich dem Thema Sinne und Sinnesorgane, kann man eigentlich nur ins Staunen darüber geraten, was für ein ausgeklügeltes Informations- und Kommunikationssystem sich die Natur da ausgedacht hat. Ununterbrochen werden wir mit physikalischen und chemischen Reizen aus der Umwelt konfrontiert, die unsere Sinnesorgane aufnehmen, in elektrische Impulse umwandeln und an unser Gehirn weiterleiten. Dieses verarbeitet alle eintreffenden Informationen, vergleicht sie miteinander und stuft sie auf unterbewusster Ebene als relevant oder nicht relevant ein. Erst wenn ein Signal als interessant oder wichtig deklariert wurde, wird es zum Großhirn weitergeleitet und uns bewusst – meist gleich noch mit der Information, ob das nun schön und angenehm oder eher erschreckend und warnend für uns ist. Droht Gefahr, wird eine Alarmreaktion ausgelöst, um unser Überleben zu sichern.
Stellt man sich unser Gehirn in seiner dunklen Schädelhöhle vor, sind die Sinnesorgane wie Fenster, die einen begrenzten Ausblick auf die Welt geben. Aufgabe des Gehirns ist es, aus diesen Ausschnitten ein Gesamtbild zu entwerfen, Zusammenhänge zu begreifen, Entwicklungen richtig einzuschätzen und sinnvoll zu reagieren. Unser Selbstverständnis und unser Weltbild hängen also direkt von den Möglichkeiten unserer Sinnesorgane ab. Sie bestimmen damit die Grenzen unserer Wahrnehmung.
Glücklicherweise hat uns die Natur nicht nur einen Sinn, sondern gleich sechs Sinne gegeben, die uns ganz verschiedene Ausschnitte aus der Welt zeigen und es uns ermöglichen, einen Sonnenuntergang zu genießen, auf unseren Namen zu hören, Lieblingsspeisen zu entwickeln oder die Wärme eines Wollpullis zu empfinden.
Mit den Augen sehen wir, nehmen Farben, Formen, Bewegung und Helligkeit wahr. 120 Millionen Stäbchen und fünf Millionen Zäpfchen besitzen wir auf der Netzhaut. Sie reagieren dabei auf elektromagnetische Wellen innerhalb eines Spektrums von 400 bis 750 Nanometern, die wir als farbiges Licht von Rot, Orange über Gelb, Grün und Blau bis hin zu Violett wahrnehmen. Mischen sich alle Frequenzen, erscheint uns das Licht weiß. Die Bilder, die beide Augen ans Gehirn weiterleiten, werden von diesem zusammengefügt, sodass ein räumlicher Seheindruck entsteht, der uns auch die Abschätzung von Entfernungen erlaubt.
Mit den Riechzellen in der Nase und den Geschmackspapillen der Zunge können wir verschiedene chemische Moleküle erkennen und nehmen diese als Gerüche oder Geschmäcker wahr. Die 20 bis 30 Millionen Riechzellen ragen dabei direkt aus dem Riechnerv, der ein Teil des Gehirns ist, durch eine Knochenplatte von oben in die Nase hinein. 400 verschiedene Arten von Riechzellen tummeln sich auf einem nur fünf Quadratzentimeter kleinen Areal im Nasendach. Die Riechzellen sind jeweils auf ganz bestimmte chemische Stoffe spezialisiert, die sie an der Molekülstruktur erkennen. Die Geruchseindrücke, die diese Zellen ans Gehirn weiterleiten, sind auch für einen Großteil unserer Geschmacksempfindungen zuständig, denn die Geschmacksknospen der Zunge vermitteln nur die vier Grundgeschmacksrichtungen süß, sauer, bitter und salzig.
Knapp 10.000 Geschmacksknospen hat ein Mensch auf seiner Zunge, diese wiederum enthalten jeweils bis zu 100 Geschmackssinneszellen und sind in sogenannten »Papillen« zusammengefasst, die man auch mit dem bloßen Auge sehen kann. Empfinden wir eine Speise als richtig scharf, sind dafür übrigens keine Sinneszellen verantwortlich, sondern Schmerzrezeptoren. Wer schon einmal ein viel zu scharfes Essen bestellt hat, wird das bestätigen – man schmeckt dann nicht mehr viel, es schmerzt nur noch.
Der Tastsinn (unterstützt von der Temperatur- und Schmerzempfindung) leitet uns mithilfe der Haut und Schleimhaut Informationen weiter, zur Oberflächenbeschaffenheit von Gegenständen, über Luftbewegungen und die Umgebungstemperatur. Vermittelt wird er durch winzige Rezeptoren, die in unterschiedlicher Dichte in der Haut und Schleimhaut verteilt sind. Dabei ist die Mundschleimhaut besonders empfindlich. Das führt dazu, dass uns ein Haar auf der Zunge wesentlich größer und störender vorkommt als auf dem Rücken, und dass kleine Kinder viele Dinge erst einmal in den Mund stecken, um sie zu erkunden.
Auch die Fingerkuppen sind besonders sensible Areale, die sogar Erhebungen von unter 0,001 Millimeter ertasten können. Die Oberflächenrezeptoren unterscheiden sich dabei je nach Anforderung. Einige übermitteln Druck, andere Temperaturreize oder Schmerzen. Der Gehörgang ist übrigens die schmerzempfindlichste Stelle am ganzen Körper. Auch die Berührung durch andere Menschen wird über den Tastsinn übertragen. Eine Sinneswahrnehmung, die für das menschliche Dasein essenziell ist, nicht nur für Kinder und Frischverliebte.
Der Gleichgewichtssinn im Innenohr übermittelt uns Informationen über unsere Position im Raum und lässt uns Bewegung spüren. Unterstützt wird er dabei von Rezeptoren in der Muskulatur vor allem im Bereich der Füße und der Halswirbelsäule. So wissen wir immer, wo uns der Kopf steht und spüren die Beschleunigung beim Starten eines Flugzeugs oder die Fliehkräfte in einer engen Kurve oder auf dem Karussell.
Der Hörsinn im Ohr schließlich sendet uns Informationen über Druckschwankungen in der uns umgebenden Luft. Dazu registrieren nur gut 15.000 Haarzellen in der Hörschnecke die Schallwellen, die uns über das äußere Ohr erreichen und vom Mittelohr verstärkt werden. Das klingt vielleicht gar nicht so unglaublich spektakulär, doch werden wir im weiteren Verlauf noch verstehen, warum das Hören vermutlich der am meisten unterschätzte der sechs Sinne ist.
Sehen ist wichtig. Aber mit den Augen sehen wir nur einen kleinen Ausschnitt vor uns und wenn es dunkel ist oder wir schlafen, sehen wir gar nichts. Droht uns Gefahr von hinten oder von der Seite, sind wir auf unser Gehör angewiesen. Schlafen wir, warnt uns nur das Gehör. Wollen wir morgens nicht verschlafen, weckt uns der Wecker mit lautem Klingeln. Das Gehör schläft nie, es ist immer auf Empfang. Tags und nachts, ein Leben lang.
Auch der Tastsinn, der Gleichgewichtssinn, der Geruch und der Geschmack sind wichtige Sinne, aber kommunizieren können wir mit ihnen nur eingeschränkt. Erst der Hörsinn ermöglicht es uns, miteinander zu sprechen. Ohne Gehör hätte sich in der Evolution der Menschheit keine Sprache entwickeln können und ohne Sprache wäre der Mensch nicht das geworden, was er ist. Erst die verbale Kommunikation, die auf der Hörfähigkeit beruht, ermöglicht uns abstraktes Denken und viele andere höhere Hirnfunktionen.
Und schließlich ist Hören auch einfach unterhaltsam. Eine Welt ohne Musik wäre nur halb so schön und wer mal einen spannenden oder traurigen Film ohne Ton gesehen hat, weiß, wie wichtig die akustische Untermalung für den emotionalen Effekt ist.
Hören ist also nicht nur irgendeine Information über unsere Umgebung. Hören ist unser wichtigstes »Alarm«-Sinnesorgan. Es ist unser wichtigstes Kommunikations-Sinnesorgan und es ist das Sinnesorgan, welches die Entwicklung zum modernen Menschen überhaupt ermöglicht hat.
1.
Ununterbrochen wird der Mensch mit physikalischen und chemischen Reizen aus der Umwelt konfrontiert. Die Sinnesorgane nehmen diese auf und wandeln sie in elektrische Impulse um, die sie dann ans Gehirn weiterleiten.
2.
Wir haben sechs Sinne: Sehen, Hören, Tasten, Riechen, Gleichgewicht und Schmecken.
3.
Das Gehör ist unser wichtigstes »Alarm«-Sinnesorgan. Außerdem ist es unser wichtigstes Kommunikations-Sinnesorgan.
4.
Durch das Hören konnte der Mensch sich in der Evolution erst zu dem entwickeln, was er heute ist.
Bevor wir uns näher damit beschäftigen, wie wichtig der Hörsinn für unser Leben ist und wie negativ sich Störungen des Hörens und der Hörverarbeitung auf unsere Gesundheit und unsere Lebensqualität auswirken können, wollen wir uns zuerst etwas näher mit dem beschäftigen, was wir da überhaupt hören.
Rein physikalisch ist Schall definiert als Veränderung der Druckverhältnisse in einem Medium. Das klingt zunächst kompliziert, ist aber im Grunde ganz einfach: Luft, über die wir die meisten Schallinformationen empfangen, besteht aus unzähligen kleinen Molekülen, die ständig in Bewegung sind und sich gegenseitig anstoßen. Das kann man sich vorstellen wie beim Billardspielen, wenn eine Kugel eine andere anstößt und dabei ihren Bewegungsimpuls weitergibt.
Nehmen wir an, wir sitzen in einem italienischen Café, in dem jemand Gitarre spielt. Durch das Zupfen der Gitarrensaite werden Luftmoleküle im Raum in Bewegung versetzt. Diese nun in Schwingung versetzten Moleküle stoßen weitere Luftmoleküle an, es entsteht eine Welle, die sich in alle Richtungen im Raum fortsetzt, bis sie an unser Ohr gelangt und wir die Gitarrenmusik genießen können.
Durch die Bewegung der Luftmoleküle im Raum entstehen Bereiche, in denen sich mehr Moleküle tummeln (im Fachjargon Verdichtung genannt) und Bereiche mit weniger Molekülen (Verdünnung). Das passiert, weil die einzelnen Moleküle sich nicht senkrecht zur Ausbreitungsrichtung der Welle bewegen wie ein Boot, das sich auf dem Wasser mit der Welle auf- und abbewegt, sondern in Ausbreitungsrichtung wie eine Schaukel, die hin- und herschwingt (siehe Abbildung unten). Die Bereiche der größten Verdichtung werden als Wellenberg und die der größten Verdünnung als Wellental bezeichnet.
Damit überhaupt Schallwellen entstehen können, benötigt man zum einen eine Schallquelle, die die Wellenbewegung auslöst und zum anderen ein Medium, in dem die Schallwelle sich ausbreiten kann. Wie eben schon angedeutet, kann die Schallquelle eine Gitarrensaite sein, die das Medium Luft im Café in Bewegung versetzt.
Alles, was sich bewegt, erzeugt Schall. Das Herz, das schlägt, das Flattern eines Flügels, das Sirren eines Pfeils oder das Galoppieren eines Pferdes. Auch die Membran eines Lautsprechers bewegt sich hin und her und erzeugt durch diese Bewegung Töne und Geräusche. Ihre Schwingung überträgt sich auf die Moleküle der Luft.
Schwingt die Membran des Lautsprechers nach außen, so entsteht Druck und die Luftmoleküle verdichten sich. Schwingt die Membran zurück, so entsteht ein Sog, wodurch die Luftmoleküle wieder mehr Platz im Raum haben und sich verdünnen. Druck und Sog wechseln sich ab. Auf diese Weise entstehen immer neue Schallwellen aus Wellenbergen und Wellentälern, die sich im Raum fortsetzen.
Auch beim Sprechen und Singen wird die ausgestoßene Luft durch die Schwingung der Stimmbänder im Kehlkopf in Bewegung versetzt. Die so erzeugten Schallwellen werden im Rachenraum und in der Mundhöhle weiter modifiziert und erhalten ihre individuelle Klangfarbe.
In der Luft breitet sich Schall bei Zimmertemperatur mit einer Geschwindigkeit von 343 Metern pro Sekunde aus. Aber auch in anderen Medien werden Schallwellen übertragen, zum Beispiel in Wasser. Da es sich hierbei immer um Molekülbewegungen handelt, ist die Geschwindigkeit stark davon abhängig, wie dicht gepackt die Moleküle in dem Material sind, in dem sie schwingen. Je dichter das Material ist, desto langsamer breiten sich die Schallwellen aus, da deutlich mehr Moleküle und folglich auch mehr Masse bewegt werden müssen. Außerdem spielt die Anordnung der Moleküle eine Rolle. So werden bei einer regelmäßigen Anordnung die Schwingungen schneller weitergegeben als bei einer unregelmäßigen. Am Beispiel von Wasser kann man sich das gut klarmachen. So breitet sich Schall in Wasser viermal so schnell wie in Luft aus, da die Wassermoleküle regelmäßiger angeordnet sind. Friert man das Wasser ein, sind die Moleküle sogar noch regelmäßiger angeordnet und die Ausbreitungsgeschwindigkeit verdoppelt sich auf fast 3.000 Meter pro Sekunde.
»Komm doch mal her, ich verstehe Dich nicht«, das ist ein typischer Satz aus unserem Alltag. Aber warum sagen wir das? Weil wir aus Erfahrung wissen, dass der Ton lauter wird, je näher die Schallquelle an unser Ohr rückt. Erinnern Sie sich kurz mal an die Moleküle in der Luft, dann können Sie schnell nachvollziehen, warum das so ist: Jedes Mal, wenn ein Molekül ein anderes trifft, geht etwas von der Energie verloren, mit der beide Moleküle aufeinandertreffen. Die Kraft, mit der sich die Schallwelle ausbreitet, nimmt also mit zunehmender Entfernung der Welle von der Schallquelle ab. Die Folge: Der Ton wird für uns immer leiser. Dabei gilt übrigens, dass die Lautstärke sich nicht linear mit der Entfernung verringert, sondern mit dem Quadrat der Entfernung. Verdoppelt sich der Abstand zur Schallquelle, erscheint der Ton also nur noch ein Viertel so laut für uns.
Manches Mal wollen wir etwas aber nicht deutlicher hören, sondern ganz im Gegenteil, wir wollen unsere Ruhe haben. Wenn die Musik im Nachbarraum dröhnt, machen wir die Tür zu. Wir schließen das Fenster, wenn draußen der Verkehr vorbeirauscht. Auf diese Weise legen wir dem Schall sozusagen Steine in den Weg. Trifft der Schall nämlich auf ein anderes Medium als auf das, durch das er sich bewegt, wird nur ein Teil des Schalldrucks weitergeleitet. Der andere Teil wird reflektiert oder absorbiert. Wie viel das ist, hängt ganz von der Art des Materials ab.
Geflieste Wände beispielsweise reflektieren fast den gesamten Schall. Deswegen hallt es in Bädern häufig. Auch Echos entstehen durch die Reflexion von Schall, etwa an Felswänden im Gebirge. Textilien oder poröses Material hingegen absorbieren große Anteile des Schalls. Teppiche, Vorhänge, Tapeten, aber auch Polstermöbel »schlucken« den Schall, wie man sagt, und verringern die Halleffekte in geschlossenen Räumen. Der Unterschied in der Klangqualität zwischen einem leeren und einem möblierten Zimmer fällt sofort auf. Zur Veranschaulichung: Stellt man sich die bewegten Luftmoleküle wie Tennisbälle vor, kann man dieses Phänomen gut nachvollziehen: Von einem glatten Steinboden prallen die Bälle deutlich besser ab als von einem dicken Teppichboden oder von weichem Sand.
Die Gestaltung von Hörsälen, Klassenräumen und Konzerthallen stellt Architekten daher immer wieder vor große Herausforderungen. Denn Halleffekte und Echos stören ganz massiv den Hörvorgang und die Konzentration. In den meisten Ländern gibt es daher gesetzliche Bestimmungen, die die akustischen Eigenschaften von öffentlichen Räumen regeln.
Wie viel Schallenergie beim Übergang von einem auf das andere Medium weitergeleitet wird, hängt wesentlich von deren Übertragungseigenschaften (physikalisch »Impedanz« genannt) ab. Dabei gibt es Folgendes zu beachten: Je ähnlicher sich zwei Materialien sind, je geringer also der Impedanzunterschied, desto mehr Schallenergie wird übertragen. Bei unserem Beispiel mit der Tür, die zugemacht wird, ist der Impedanzunterschied zwischen der Luft und der Tür sehr groß. Es dringt nur wenig Schall hindurch. Deshalb ist das Türenschließen bei einem Wunsch nach Ruhe auch so effektiv. Auch bei Wasser und Luft ist der Impedanzunterschied relativ groß. Tauchen wir in der Badewanne unter, hören wir kaum noch, was außerhalb der Wanne gesprochen wird. Wir werden später noch sehen, dass der Impedanzunterschied von Wasser und Luft für den Hörvorgang eine ganz wesentliche Rolle spielt, denn der Schall, der uns über die Außenluft erreicht, muss auf das flüssigkeitsgefüllte Innenohr übertragen werden und das möglichst ohne große Hörverluste. Gar nicht so einfach und trotzdem genial von der Natur gelöst.
Ein weiteres Phänomen der Schallausbreitung ist der Schallschatten. Trifft der Schall auf ein Hindernis, das ihn nicht weiterleitet, so laufen die Schallwellen um das Hindernis herum, ähnlich wie das Wasser eines Flusses um einen Brückenpfeiler fließt. Auch unser Schädel stellt ein solches Hindernis für die Schallwellen dar.
Hören wir etwa das Martinshorn eines Krankenwagens von einer Seite, treffen die Schallwellen ungebremst auf das der Schallquelle zugewandte Ohr. Beim gegenüberliegenden, sich im Schallschatten des Schädels befindenden, Ohr treffen die Schallwellen dagegen erst später und deutlich abgeschwächter ein. Das Gehirn nimmt also erst das Geräusch aus dem einen Ohr wahr und etwas verzögert auch das aus dem zweiten. Dieses Phänomen erlaubt eine räumliche Orientierung durch das Gehör. Anhand der zeitlich versetzten Informationen aus beiden Ohren kann das Gehirn die Schallquelle gut orten und das Bewusstsein warnen: Vorsicht, bitte links fahren, rechts will ein Krankenwagen überholen.
Wie laut wir etwas wahrnehmen, wird nicht nur durch die objektiven Eigenschaften des Schalls, wie die Entfernung der Schallquelle, beeinflusst, sondern auch durch die biologischen Eigenschaften unseres Hörsinns. Da das Spektrum des Schalldrucks, den das menschliche Ohr verarbeiten kann, einen Bereich von mehreren Zehnerpotenzen umfasst, wurde der Einfachheit halber als Einheit für die Lautstärke das »Dezibel« (dB) eingeführt. Es gibt nicht den physikalisch messbaren Schalldruck an, sondern setzt den aktuellen Schalldruck in Beziehung zu dem Schalldruck, den ein hörgesunder junger Mensch gerade noch wahrnehmen kann. Dieser wurde als Nullpunkt der dB-Skala gewählt. Aufgrund der logarithmischen Skalierung bedeutet eine Lautstärke von 10 dB, dass der Schalldruck zehnmal größer ist als an der Hörschwelle, eine Lautstärke von 20 dB, dass der Schalldruck hundertmal größer ist und eine Lautstärke von 90 dB, dass der Schalldruck eine Milliarde Mal größer ist.
Neben der Angabe der Lautstärke in dB hat sich auch noch die Angabe der Lautstärke in Abhängigkeit von der Frequenz eingebürgert. Denn das menschliche Ohr nimmt unterschiedliche Frequenzen subjektiv unterschiedlich laut wahr. Die häufigste dieser modifizierten Lautstärkeangaben ist die in dB(A). Sie wird vor allem für die Bewertung von Umweltgeräuschen verwendet. Wir werden daher im weiteren Verlauf des Buches auch noch auf die Angabe einer Lautstärke in dB(A) stoßen.
Ein wichtiger Faktor, der die Lautstärke zusätzlich beeinflusst, sind Interferenzen, die durch die Überlagerung von Schallwellen zustande kommen. Überlagern sich zwei Schallwellen, addieren sich ihre Schwingungen. Treffen zwei Wellenberge aufeinander, vergrößert sich die Lautstärke. Trifft dagegen ein Wellental auf einen Wellenberg, sind die Töne gegenphasig und können einander sogar aufheben. Dieses Prinzip machen sich Noise-Cancelling-Kopfhörer zunutze, indem sie zu jedem Außengeräusch ein gegenphasiges Geräusch erzeugen, wodurch sich beide Geräusche aufheben und ein ungestörter Musikgenuss auch in lauter Umgebung möglich wird.
Jetzt wissen wir zwar, wie sich Schallwellen ausbreiten und zu uns ins Ohr gelangen, aber woran liegt es, dass wir verschiedene Töne unterscheiden können? Es liegt an der Frequenz der Töne, die in Hertz (Hz) gemessen wird. Die einfachste Form von Schall ist ein einzelner Ton mit einer festen Frequenz, etwa der Kammerton A, also der Referenzton zum Stimmen eines Musikinstruments, mit einer Frequenz von 440 Hz.
Stellt man sich eine Schallwelle noch einmal mit ihren verdichteten und verdünnten Bereichen vor, die wir ja auch als Wellenberge und Wellentäler bezeichnen (siehe Abbildung Seite 23), entspricht die Frequenz der Geschwindigkeit, mit der sich diese Bereiche, also Wellen und Täler, abwechseln. Bei einem Ton mit 440 Hz wechseln sich Wellenberge und Wellentäler also 440-mal pro Sekunde ab. Je höher die Frequenz des Schalls ist, desto höher erscheint uns der Ton. Je niedriger die Frequenz ist, desto tiefer klingt der Ton.
Das menschliche Ohr hört bei der Geburt ein Frequenzspektrum von 20 Hz bis ca. 20.000 Hz. Der Hauptsprachbereich, in dem wir uns verständigen, liegt zwischen 500 Hz und 4.000 Hz.