„Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus mir heraus wollte. Warum war das so schwer?“
Hermann Hesse
Finde zu dir selbst zurück!
Wirksame Wege aus dem Burnout
Vorwort
1. Kapitel: Leben oder funktionieren?
Erst Leid führt zur Veränderung
Wer sich finden will, muss den Dialog zu sich aufnehmen
Leben oder funktionieren – wenn der Dialog verloren gegangen ist
Das Prinzip des Dialoges: Anerkennen, was ist
2. Kapitel: Identität und Identifikation
Wahre Identität – die Kraft des Lebens
Die Atmosphäre im Elternhaus
Was falsche Identifikationen bewirken
3. Kapitel: Innere Realitäten
Folgen Sie den Gummistiefeln oder Ihrer wahren Identität?
Die inneren Realitäten: Warum suchen wir uns das, was uns schadet?
Innere Realitäten aus ersten Prägungen
Zu viel des Guten
Rebellion
Die Auflösung verinnerlichter Eltern
Die Befreiung von inneren Realitäten
Blockaden, die am Aufbruch hindern
4. Kapitel: In allen sechs Lebensbereichen im Dialog und zu Hause
Fühlen Sie sich in Ihrem Leben zu Hause?
Der Verlust von Gefühl
Erster Lebensbereich: Partnerschaft
Zweiter Lebensbereich: Glaube
Dritter Lebensbereich: Soziale Kontakte
Vierter Lebensbereich: Individualität und Hobbys
Fünfter Lebensbereich: Gesundheit
Sechster Lebensbereich: Beruf
Bitte werden Sie nicht zu dem Fuchs mit den Trauben
5. Kapitel: Lebensrealitäten: Anerkennen, was ist
Das Wesen des Lebens
„Das Leben ist nicht gerecht“
Der Weg zu sich selbst und ins Leben kann nur gelingen, wenn er auch tatsächlich gegangen wird
Der zu sein, der man ist, erfordert Mut
Angst zu sehen, wer ich bin
Abschied und Vergebung
6. Kapitel: Ausblick
Impressum
Wer sein Leben in Gesundheit, Zufriedenheit und beständiger Leistungsfähigkeit gestalten will – wer überhaupt leben will –, der kommt nicht umhin, sich die Frage nach sich selbst zu stellen. Langfristige Gesundheit und Leistungsfähigkeit setzen Identität voraus. Nur wer ein Leben lebt, das ihm auch in seinem Wesen entspricht, kann gesund und zufrieden sein. Dieses Buch ist für diejenigen geschrieben, die sich auf die Suche danach machen wollen, weil sie ahnen, dass sie sich verloren haben. Die merken, dass sie ein Leben fern von sich selbst leben, die spüren, dass sie aufgehört haben, sich zu spüren. Die erkennen, dass sie funktionieren – aber nicht leben. Wer sich selbst finden will, der kann dies nur, wenn er sich auf die Suche nach seiner inneren Wahrheit und nach der Wirklichkeit des Lebens macht. Viele, die sich auf die Suche nach sich selbst machen, tun dies nur halbherzig, weil sie Angst haben herauszufinden, was tatsächlich ist. Der zu werden, der man ist, erfordert Mut, Kraft, Stärke und Vertrauen. Es erfordert Mut, sich existenzielle Fragen zu stellen – nicht, um alles aufgeben zu müssen, und doch, um herauszufinden, wer man wirklich ist. Es erfordert Kraft, sich von dem zu verabschieden, was nur in der eigenen Vorstellung und Überzeugung, nicht aber in der Wirklichkeit existiert. Es erfordert die Stärke, eigene wie äußere Widerstände zu überwinden und für das, was ist, einzutreten. Und es erfordert das tiefe Vertrauen, dass dies am Ende immer auch gut und richtig ist.
Identität entsteht niemals über Nacht. Gerade dann nicht, wenn man jahrelang ein Leben fern von sich selbst gelebt hat. Der Weg zu sich selbst ist immer eine Reise. Eine Reise, die stetig tiefer führt, je weiter man sie geht. Eine Reise, die Höhen besitzt und manchmal in Abgründe führt, die Stillstände und Durststrecken und immer wieder auch Rückschritte beinhaltet. Sind Sie stark genug, sich davon nicht beirren zu lassen, sondern unermüdlich Ihr Ziel zu verfolgen? Sind Sie bereit anzuerkennen, dass gesundes Leben wesentliche Substanz braucht und niemals auf Illusionen gebaut werden kann, und sind Sie bereit, den notwendigen Preis dafür zu zahlen, weil Sie spüren, dass der Preis viel höher ist, den es Sie kosten würde, wenn Sie dies nicht täten? Den Preis von Erschöpfung und Krankheit. Von Unzufriedenheit und Resignation. Den Preis eines nicht gelebten Lebens.
Dieses Buch ist für diejenigen, die sich von all ihren Zwängen und Unterdrückungen befreien wollen, die tief in sich spüren, dass die Kraft im eigenen Wesen liegt und dass das Leben gut ist, wenn man es in seinem Wesen erkennt und dementsprechend lebt. Die ahnen, dass das Leben unerschöpflich viel zu bieten hat – wenn man es nur richtig nutzt. Es ist für diejenigen, die ihren Blick für das Wesentliche öffnen wollen, um am Ende ihres Lebens zufrieden zurückzublicken, in dem Wissen: Das war ich – ich habe gelebt!
„Wer leben will, der kann dies nicht ohne sich tun.“
Haben Sie sich schon einmal gefragt, ab wann Menschen wirklich bereit sind, sich infrage zu stellen? Sich und ihr Leben? Wann beginnen Menschen, sich auf die Suche nach sich selbst zu machen? Wissen Sie noch den Moment, in dem Sie begonnen haben, sich die Frage nach sich selbst zu stellen?
Bei den meisten ist dies leider erst dann der Fall, wenn sie beginnen, an unterschiedlichen Symptomen zu leiden. Sei es an körperlichen Krankheiten, einer wachsenden Erschöpfung, wenn sie eine zunehmende Unzufriedenheit und innere Leere verspüren oder aber auch, wenn das eigene Leben beginnt, im Außen zusammenzubrechen, in Lebenskrisen und Konfliktsituationen. Meist wird in unserer Gesellschaft die Frage nach sich selbst, die Frage nach der eigenen wahren Identität, erst unter größter Bedrängnis, im Falle massiven Leids gestellt – dann, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Die wenigsten machen sich vorher bewusst Gedanken über die eigene Wahrheit und das eigene Wesen. Wer fragt sich schon in jungen Jahren, ob er mit sich im Dialog steht? Ob das, was er tut, ihm auch tatsächlich entspricht – oder möglicherweise nur einer Vorstellung, die man von sich hat? Und wer stellt sich diese Fragen im Alltag seines Lebens, ohne dass es ihm wirklich „schlecht“ geht? Wer fragt sich schon zu Beginn seines Lebens, wenn es in den sechs zentralen Lebensbereichen Entscheidungen für das ganze Leben zu treffen gilt, ob sie dem eigenen Wesen entsprechen oder ob man nicht vielmehr aufgrund von Prägungen und inneren Realitäten handelt? Und wer stellt sich diese Frage im Alltag seines weiteren Lebens? Die meisten sind der Überzeugung, dass alles in Ordnung ist, solange keine massiven Symptome auftreten. Wir leben nach wie vor in einer Gesellschaft, in der Krankheit unser Maßstab ist, nicht Gesundheit. Für Krankheit besitzen wir ein Gespür, aber wissen wir auch, was Gesundheit bedeutet?
Wie häufig halten Sie inne, um sich zu fragen, ob Sie noch mit sich im Dialog stehen? Ob Ihnen das, was Sie tun, auch tatsächlich entspricht?
Die meisten von uns sind der Überzeugung, dass das, was sie wollen, auch richtig ist. Es ist richtig, weil man es ja schließlich auch will. Doch wer ist sich schon bewusst, dass die inneren Inhalte des Wollens keine Garantie dafür sind, dass sie aus dem eigenen Wesen entspringen?
Der überwiegende Teil von uns lebt sein Leben in bester Absicht und Überzeugung von Identität – und dennoch geschieht es, dass viele von uns dann irgendwann feststellen, dass sie sich im Laufe der Jahre ihres Lebens verloren oder möglicherweise noch nie wirklich gefunden haben.
Einige halten dann inne, andere machen weiter. Nicht wenige funktionieren dann in einem Leben, das nicht das Ihre ist. Und leben, ohne wirklich gelebt zu haben.
Wissen Sie, wo der meiste Stress entsteht? In Beziehung. Wir sind ständig in Beziehung – ob auf der Straße, ob beim Einkaufen, ob an unserem Arbeitsplatz oder in unserem Privatleben. Und wir stehen ständig in Beziehung mit uns selbst. Beziehung zu sich selbst und eine gute Beziehung zu anderen ist Grundlage für ein gesundes und erfolgreiches Leben. Leben ist Beziehung. Leben ist Begegnung. Wir brauchen Beziehung und Begegnung, um zu leben – und zwar sowohl die Begegnung im Außen als auch im Innen, mit uns selbst. Wir Menschen erfahren uns über Beziehung.
Menschen, die aufgrund eines Burnouts zu mir in die Beratung kamen, gelang dies nicht mehr. Sie verfügten entweder über keine sozialen Beziehungen mehr, lebten entweder in „leeren“ Beziehungen oder in überwiegend konfliktreichen. Und niemand, der ausgebrannt war, stand noch in Beziehung zu sich selbst. Die Betroffenen hatten sich also nicht, wie allgemein angenommen, an einer reinen Überlastung oder Stress erschöpft, sondern an der Tatsache, dass sie die Beziehung zu sich und ihrem Leben verloren hatten und ein Leben fernab ihres wahren Selbst lebten.
Der fehlende Dialog zu sich selbst führte zu immer falscheren, da nicht dem eigenen Wesen entsprechenden Lebensbedingungen, an denen sie sich immer mehr erschöpften und sich und ihr Leben verloren. Fernab von sich selbst funktionierten die meisten in einem Leben, das längst kein Leben mehr war.
Jeder von uns besitzt sein eigenes Wesen, verbunden mit den verschiedenen Bedürfnissen und Notwendigkeiten, die daraus entstehen. Wenn diesem nicht Rechnung getragen wird, dann rächt sich dies früher oder später in Form verschiedener Symptome. Sie können nur in einem Leben, das Ihnen in Ihrem Wesen entspricht, langfristig erfolgreich und gesund bleiben. Wer sich also aus der Erschöpfung befreien und zurück ins Leben finden will, der kann dies nur, wenn er zu sich findet und auf dieser Grundlage für ausgewogene Beziehungen zu seinem Umfeld sorgt.
Doch was heißt es überhaupt, mit sich im Dialog zu stehen?
Wie kommt es überhaupt dazu, dass Menschen ein Leben fern von sich selbst führen, und woran kann man dies erkennen? Was hindert uns daran, unsere wahre Identität zu leben, und wie kann man zu dieser finden?
Dieses Buch soll Ihnen die Möglichkeit bieten, sich auf den Weg zu sich zu machen, und Ihnen Antworten auf die oben genannten Fragen geben. Auf der Grundlage des Dialogprinzips soll es Ihnen zu einer eigenen Bestandsaufnahme verhelfen und Ihnen helfen herauszufinden, was es für Sie konkret bedeutet, in den zentralen Lebensbereichen ein wesentliches und authentisches Leben zu führen. Wer dieses Buch konsumiert und erwartet, am Ende bei sich selbst angekommen zu sein, der sollte es gleich zur Seite legen. Der zu werden, der man ist – zu sich selbst zu finden –, ist nichts, was konsumiert werden kann. Es ist kein Prozess der Einverleibung von äußeren Dingen, es ist ein Prozess des Dialogs, eine Entwicklung, ein Prozess des Innehaltens, des Erfühlens, des Überlegens, des Versuchens …
Die Frage nach sich selbst ist weder durch andere noch technisch zu beantworten, sondern nur in menschlicher Begegnung und eigener Erfahrung zu entwickeln.
So werden Sie in diesem Buch auch keine Patentrezepte finden, sondern nur das, was vor diesem Hintergrund möglich ist: Impulse, die Ihnen helfen, den Blick suchend auf sich zu richten, um zu sich und Ihrer wahren Identität zu finden. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn Sie sich Zeit für sich und dieses Buch nehmen – und es nicht in einem Schnelldurchlauf in der Suche nach Handlungsanweisungen konsumieren.
Wenn Sie sich die Zeit nehmen, die Fragen in Ruhe zu beantworten, die ich Ihnen während des gesamten Buches stellen werde, dann werden Sie es auch in seiner Möglichkeit zu nutzen wissen, nämlich an zentralen Punkten innezuhalten und den Blick auf sich zu richten. So kann bereits das Lesen des Buches Sie ein Stück näher zu sich bringen. An der einen oder anderen Stelle werden Sie möglicherweise den Eindruck gewinnen, dass sich Inhalte wiederholen. Geben Sie sich die Chance zu erkennen, dass ich Ihnen an diesen Stellen vielmehr die Möglichkeit bieten möchte, einen zweiten Blick auf bestimmte Punkte zu werfen, um weitere Facetten zu erkennen und die Thematik über ihre Oberfläche hinaus verstehen zu können.
Dieses Buch kann eine Reise sein. Eine Reise, die Sie zu Ihnen selbst führt. Sie entscheiden, wie weit und wie tief Sie sich darauf einlassen. Wichtig dabei ist, dass ich Ihnen nur eine Möglichkeit für ein gesundes und erfülltes Leben aufzeige – eine Möglichkeit und kein Gesetz. Sie entscheiden, ob es auch Ihre Möglichkeit ist. Seien Sie sich immer darüber bewusst: Sie können nur in Freiheit und Unabhängigkeit zu sich selbst finden. Die Antwort, wer Sie sind und was für Sie richtig ist, kann Ihnen kein anderer außer Sie sich selbst geben. Suchen Sie also weder nach einem Vorbild noch nach einem Patentrezept, sondern richten Sie den Blick dorthin, wo Sie zu finden sind: in sich. Folgen Sie allein Ihrem eigenen Echo, Ihrem Echo, das auf äußere Impulse hin entsteht, und folgen Sie der Spur zu ihrem Ursprung. Das ist Arbeit, Arbeit, die am Ende jedoch zu einem echten und beständigen Ergebnis führt. Zu Ihnen.
„Ohne inneren Dialog kein wesentliches Leben“
Bevor Sie sich auf den Weg zu sich machen, gilt es sich bewusst zu machen, dass Grundlage für Gesundheit innere und äußere Dialogfähigkeit ist. In dem Buch Burnout kommt nicht nur von Stress habe ich beschrieben, wie Krankheit über den fehlenden äußeren Dialog entsteht und welche Symptome auf den verschiedenen Ebenen in den einzelnen Phasen auftreten, wenn ein Mensch ausbrennt. In diesem Buch möchte ich mich verstärkt der inneren Dialogfähigkeit zuwenden, denn in ihr sehe ich die Voraussetzung für ein wesensgemäßes Leben. Der Dialog mit sich selbst verhindert, dass wir uns körperlich erschöpfen, und ist Grundlage für die eigene Resilienz (psychische Widerstandsfähigkeit). Wer mit sich nicht im Dialog steht, verliert nicht nur seine körperliche, sondern auch seine psychische Kraft und Widerstandsfähigkeit und kann auch seiner Umwelt kein dialogfähiges Gegenüber bieten. Doch der innere Dialog ist nicht nur Voraussetzung für ein gesundes und erfülltes Leben, er ist gleichzeitig Grundvoraussetzung für den Weg zu sich selbst. Wer sich selbst finden will, der kann dies nur, wenn er den Dialog zu sich aufnimmt und diesen beständig aufrechterhält. „Aber was heißt dies denn konkret?“, fragte ein Partner einer Anwaltskanzlei, der aufgrund eines Burnouts die Beratung aufsuchte. „Muss ich jetzt die ganze Zeit mit mir reden und über mich nachdenken?“ „Heißt ‚mit sich im Dialog sein‘ ständige Selbstumkreisung?“, fragte ein Student während eines Seminars. Nein. Beständiger innerer Dialog meint nichts anderes, als dass Sie das tun, was Ihnen entspricht, dass Sie aus sich selbst heraus handeln – natürlich in Anerkennung der Lebensrealitäten um sich herum. Mit sich im Dialog zu sein, ist also ein Selbstverständnis gesunder Lebensführung und eigener Weiterentwicklung, ohne dass Sie darüber ständig nachdenken müssen. Sie leben sich einfach. Mit sich im Dialog sein, bedeutet offen für sich selbst, offen für das eigene Wesen und mit sich selbst in Kontakt zu sein. Wenn Sie mit sich im Dialog sind, wissen Sie um Ihr Maß, Sie wissen um Ihre Grenzen, Sie wissen um Ihre Möglichkeiten und Notwendigkeiten und sind vor diesem Hintergrund besser in der Lage, die Bedingungen um sich herum Ihren Möglichkeiten und Unmöglichkeiten gemäß zu erkennen und dementsprechend wesensgemäß zu entscheiden und zu handeln.
Die Frage nach sich selbst ist weder durch andere noch durch eine Methode zu beantworten, sondern nur durch eigene Erfahrung und Begegnung zu entwickeln.
„Wie kann ich lernen, mit mir in den Dialog zu kommen?“
„Woran kann ich erkennen, dass ich mit mir im Dialog bin?“
Diese Fragen werden mir immer wieder auf Vorträgen, in Interviews und von Betroffenen gestellt, in der vermeintlichen Hoffnung auf ein Patentrezept. So zentral die Notwendigkeit des inneren Dialoges ist, so zentral ist auch die Tatsache, dass niemand außer dem Betroffenen selbst erkennen kann, ob er mit sich im Dialog steht oder nicht, ebenso, wie er letztendlich nur für sich die Frage beantworten kann, wie er mit sich in den Dialog treten kann. Die meisten Menschen, die mit sich nicht im Dialog stehen, tun dies allein schon deswegen nicht, weil sie aufgehört haben, sich zu fühlen. Sie haben eine Vorstellung von sich selbst, nach der sie handeln, oder aber auch eine Vorstellung davon, wie „man“ im Leben zu handeln hat. Sie folgen dieser Vorstellung – und sind dabei meist meilenweit von sich selbst entfernt. Der Dialog mit sich selbst findet niemals nur auf der rationalen Ebene statt, denn wir sind weitaus mehr als reiner Verstand. Den Dialog mit sich aufzunehmen heißt immer auch, ins Fühlen zu kommen – es geht nicht nur darum, sich gedanklich mit sich auseinanderzusetzen oder „mit sich zu sprechen“, sondern es gilt auch, sich zu fühlen.
Wie die Frage nach sich selbst, so ist auch der innere Dialog nicht über eine Methode herauszufinden, sondern durch eigene Erfahrung und Begegnung allmählich zu entwickeln. Mit sich in den Dialog zu treten und im Dialog zu sein, könnte man mit dem Hören eines Musikstücks vergleichen. Jeder von uns besitzt seine eigene Melodie, die Melodie seines Wesens. Diese gilt es herauszufinden. Zu Beginn werden Sie diese noch nicht kennen, sondern können sich nur an Tönen und Geräuschen orientieren. Folgen Sie, wie in der Musik, den Tönen. Irgendwann wird sich daraus eine Melodie ergeben. Solange Sie aus sich heraus leben, werden Sie diese Melodie „hören“, je abgelenkter und ferner Sie von sich selbst sind, umso leiser wird die Melodie werden.
„Da ist kein Zweifel, ich bin vollkommen ruhig, ich bin einfach da, ich stelle nichts infrage“, beantwortete ein Geschäftsführer die Frage, woran er erkenne, dass er mit sich im Dialog stehe. „Es ist ein Zustand, in dem ich voller Energie bin, und gleichzeitig fühle ich mich ruhig und gelassen“, sagte ein anderer. „Ich mag mich und ich weiß, das ist richtig, was ich mache“, antwortete eine Personalleiterin. „Ich kann Ihnen das gar nicht genauer beschreiben, aber ich weiß in diesem Moment einfach, dass ich das bin, was ich da tue. Es geht nicht nur darum, dass ich mich immer wohlfühle, aber ich habe das Gefühl, dass ich einfach da bin.“ Mit sich im Dialog zu sein heißt, mit sich im Kontakt zu sein, sich in seinem Wesen zu erspüren und danach angemessen zu handeln. Der innere Dialog ist kein Zustand, der zweimal am Tag stattfindet, sondern eine permanente Verbindung zu sich selbst. Es ist nichts anderes als ein immerwährendes Selbstverständnis, sich zu leben.
„Leben hört dort auf, wo Funktion beginnt.“
Obwohl sich das Prinzip des Dialoges leicht anhört und obwohl jeder rational nachvollziehen kann, was ein Dialog bedeutet, fällt es den meisten schwer, diesen im Alltag auch zu leben. Nicht nur im Außen gelingt es vielen nicht, offen für das Gegenüber zu sein und ihre Position auf Augenhöhe zu vertreten, sondern auch sich selbst zu begegnen ist nicht möglich. „Ich war am Ende nur noch eine Leistungsmaschine“, sagte eine 38-jährige Beraterin, die mit 34 in eine tiefe Depression gefallen war. „Ich bin morgens aufgestanden und habe das gemacht, was von mir erwartet wurde. Geleistet. Und zwar auf Anschlag und ohne Unterbrechung. Selbst am Wochenende.“
„Wie man mich in meinem Leben beschreiben könnte?“, fragte ein Partner einer Wirtschaftskanzlei. „Ich würde sagen: voll auf Autopilot – ich war gar nicht mehr da.“
„Am Ende bestand der ganze Tagesablauf aus Funktionseinheiten. Selbst der morgendliche Sport wurde irgendwann zu einer, die ich einfach nur noch abhakte.“
„Ich befand mich in einem Modus, in dem ich eigentlich 48 Stunden für den Tag gebraucht hätte“, sagte ein Geschäftsführer. „Irgendwann habe ich mich dann zwischen den ganzen Erwartungen von meinem Umfeld verloren – einschließlich meinen eigenen. Es war nur noch ein Erfüllen und Abarbeiten von Dingen.“ – „Wie viele Stunden am Tag ich eigentlich das gemacht habe, was ich auch tatsächlich wollte“, fragte eine Anwältin. „Am Ende? Keine. Wenn es hochkommt, in der Woche vielleicht zwei. Der Rest war Pflichterfüllung.“
Haben Sie sich schon einmal gefragt, inwieweit Sie eigentlich noch leben oder inwieweit Sie eigentlich längst angefangen haben, in Ihrem Leben zu funktionieren? Wissen Sie, woran Sie erkennen können, dass Sie, obwohl Sie morgens aufstehen und abends ins Bett gehen, aufgehört haben zu leben?
Die Frage „Funktioniere ich oder lebe ich?“ sollte von Ihnen zuerst beantwortet werden, wenn Sie sich auf die Suche nach sich selbst machen. Wer dieses Wissen nicht hat, wer nicht dazu in der Lage ist zu erkennen, ob er funktioniert oder lebt, der wird sich weder aus seiner Erschöpfung befreien noch seine körperliche und psychische Gesundheit aufrechterhalten noch ein erfülltes und erfolgreiches Leben führen können.
Woran erkennt man, dass man funktioniert und aufgehört hat zu leben?
Das Problem der meisten, die funktionieren, ist, dass sie es gar nicht bemerken. Sie unterliegen nämlich einem entscheidenden Symptom, welches ein zentrales Anzeichen für ein Funktionieren ist, aber das Erkennen dessen gleichzeitig meist auch verunmöglicht.
Ein zentrales Merkmal von Funktionieren ist der Verlust von Gefühl.
Die Betroffenen fühlen sich nicht mehr. Dies führt meist dazu, dass sie den Eindruck haben, dass alles gut sei. „Ich fühlte mich ja nicht schlecht“, sagte ein Manager, „deswegen war ich der Meinung, dass alles gut sei. Bis ich herausfand, dass ich mich deswegen nicht schlecht fühlte, weil ich gar nichts mehr fühlte.“
Wer funktioniert, der fühlt weder sich noch seine Umwelt. Das Leben wird in einem gleichbleibenden Modus abgearbeitet. Alles wird aneinandergereiht bewältigt, ohne daran jedoch teilzunehmen.
„Es war, als wäre ich verschwunden“, sagte ein Manager, „und die meiste Zeit ist mir dies auch gar nicht aufgefallen. Nur manchmal, in kurzen Momenten, traf es mich plötzlich wie ein Blitz. Ich hatte Herzrasen, Schweißausbrüche und habe gezittert. Gefühlt habe ich auch da nicht wirklich, außer vielleicht Panik. Aber die habe ich dann schnell wieder verdrängt und weitergemacht.“
„Es war, als stünde ich neben mir“, sagte eine Anwältin. „Ich war die Betrachterin meines Lebens. Ich sah zu, was ich tat, aber ohne jede Art von Emotionen. Im Gegenteil, ich fand es zum Teil sogar sehr amüsant, was sich da so abspielte.“
„Ich entwickelte einen richtig beißenden Zynismus“, sagte ein erfolgreicher Geschäftsführer. „Mir selbst fiel das meist gar nicht auf. Und wenn es mir auffiel, dann gefiel es mir. Das brachte mir eine gewisse Genugtuung in mein Leben, ein Leben, das ich eigentlich zutiefst hasste, ohne es jedoch zu fühlen. Wenn ich zurückblicke, wollte ich auch gar nicht fühlen. Ich hatte viel zu viel Angst davor. Viel zu viel Angst, diese innere Leere zu spüren, die in mir war, und viel zu viel Angst vor den Konsequenzen, die sich daraus ergeben würden. Und so machte ich weiter und hielt durch.“
„Tagsüber war alles gut. Manchmal brach es nachts über mich herein und ich fragte mich, was eigentlich los sei. Ich fand einfach keine Ruhe. Ich lag hellwach da und fragte mich die ganze Zeit, warum ich nicht schlafen konnte.“
„Die meiste Zeit stellte ich nichts von dem infrage, was ich tat. Ich tat es einfach“, berichtete eine Personalleiterin. „Manchmal, in kurzen Momenten, kam in mir eine tiefe Traurigkeit hoch und ich wusste nicht mit ihr umzugehen. Und so verschwand sie auch genauso schnell wieder, wie sie gekommen war – bis zu dem Moment, wo sie mit aller Kraft über mich hereinbrach und ich nicht anders konnte, als mein Leben anzuschauen, das ich längst verloren hatte.“
So verschieden der Mensch ist, so verschieden äußert sich auch das Funktionieren: Bei einigen ist es ein gleichbleibender Modus, bei anderen brechen dann in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Gefühle oder Körpersymptome hervor, die für den Betroffenen überraschend und nicht nachvollziehbar erscheinen.
Jedes Funktionieren beginnt mit dem Abbruch des inneren Dialoges. In dem Moment, wo der Mensch den Dialog zu sich aufgibt, beginnt er, den Grundstein für sein späteres Funktionieren zu legen. Der Abbruch des inneren Dialoges erfolgt meist in den Situationen, in denen wir uns im Außen, ob Situationen, Systemen oder Menschen, fügen, anstatt unsere Position, unsere Identität im Dialog zu vertreten. Das heißt also, in dem Moment, in dem wir im Außen beginnen, etwas gegen unseren Willen zu tun.
In dem Moment, in dem wir Ja sagen, obwohl wir Nein meinen, beginnen wir, den ersten Stein für ein späteres Funktionieren zu legen.
Die äußere Unterwerfung führt zwangsläufig immer zur eigenen Unterdrückung, um im Außen „gute Miene zum bösen Spiel machen zu können“, muss gegen sich selbst „angegangen“ werden. Der Dialog zu sich selbst geht in dem Moment verloren, in dem Sie beginnen, etwas zu bejahen, was Sie eigentlich verneinen. Jedes Ja, wo eigentlich ein Nein steht – oder umgekehrt –, ist ein Nein zu sich selbst. Ein Nein zu sich selbst ist ein Nein zum eigenen Leben und Grundlage für ein späteres Funktionieren. Mit jedem Nein zu sich selbst schwächen Sie sich und ebnen dabei gleichzeitig den Boden für das nächste Nein. „Irgendwann war es immer leichter, mich den Umständen zu fügen und mich damit abzufinden“, sagte eine Personalberaterin. „Habe ich zu Beginn noch gekämpft und gelitten, so ging mir das Ja gegen das, was ich eigentlich wollte, immer leichter über die Lippen. Ehrlich gesagt bekam ich es irgendwann gar nicht mehr mit.“
„Ich hatte gar keine Kraft mehr, meine Position zu vertreten. Irgendwie erschien es mir irgendwann einfacher, auch dort zu nicken, wo ich eigentlich nicht nur den Kopf hätte schütteln, sondern deutlich Nein sagen wollen.“
„Am Ende war es mir auch egal“, sagte eine Personalberaterin, die in einem ungelösten Konflikt mit ihrer Kollegin stand. „Ich habe es dann einfach laufen lassen.“
„Na gut“, sagte ein Student während einer Gruppendiskussion, „dann machen wir es eben so, damit wir alle heute Nacht ruhig schlafen können.“
Jede Ruhe, die dadurch entsteht, dass Sie etwas abnicken, was Sie nicht wollen, ist eine vermeintliche und führt früher oder später ins Gegenteil.
Haben Sie sich schon einmal gefragt, inwieweit Sie „um Ihrer Ruhe willen Ja gesagt haben, obwohl Sie Nein meinten – und welchen Preis Sie dafür gezahlt haben“?
Nichts im Leben geschieht über Nacht – das eigene Leben zu verlieren ebenso wenig. Es ist immer ein Prozess, der manchmal aus großen und weitaus häufiger aus vielen kleinen Tropfen besteht, die irgendwann das Fass zum Überlaufen bringen …
„Aber das tut doch jeder einmal“, sagte ein Anwalt. „Das Leben ist kein Wunschkonzert. Man muss sich doch immer bestimmten Situationen im Leben fügen.“
Ja, das stimmt, das Leben ist kein Wunschkonzert – doch bedeutet dies automatisch die eigene Unterdrückung? Oder handelt es sich möglicherweise dabei um eine der zentralen Fehlannahmen, die viele, die zu leben aufhören und sich erschöpfen, in sich tragen?
„Es gibt nun einmal viele Situationen, die ich gerne anders hätte“, sagte eine Anwältin zu mir, „aber das ist unser System, das kann ich nicht ändern.“
„Mein Chef ist vollkommen führungsunfähig“, sagte jemand anderes. „Ich weiß, dass er immer falsche Entscheidungen trifft – da kann man doch nur resignieren.“
„Es ist einfach nicht auszuhalten, ständig will jemand was von mir“, sagte die vierfache Mutter, „aber ich kann meine Kinder ja nicht einfach irgendwo einsperren und sie erst dann wieder rauslassen, wenn ich wieder Kraft habe.“ Alle drei beschreiben das Dilemma, in dem sich die meisten Menschen auf dem Weg hin zu sich selbst mitten im Leben befinden. In dem Dilemma zwischen eigener Identität und Lebensrealitäten. In dem Dilemma zwischen inneren Bedürfnissen und äußeren Bedingungen und meist der Überzeugung, sich fügen zu müssen.
Gibt es tatsächlich nur die beiden Alternativen: entweder läuft es so, wie ich es will, und wenn nicht, dann muss ich mich eben unterdrücken und „abschalten“?
Weil sie nichts anderes gelernt haben, leben diejenigen, die sich in Ihrem Leben erschöpfen, ihr Leben genau nach diesem Entweder-oder-Prinzip. Entweder ich oder du.
„Leben kann nur stattfinden, wenn über die Fähigkeit verfügt wird, das eigene Wesen und das Wesen der Umwelt zu erkennen.“
Leben findet niemals nur im Innen statt, sondern immer auch im Außen. Nicht nur die innere Dialogfähigkeit ist Voraussetzung für Leben, sondern auch die äußere. Und das bedeutet die Fähigkeit, der Welt offen auf Augenhöhe zu begegnen und auch im Außen anzuerkennen, was ist.
Anerkennen, was ist, heißt, das Wesentliche zu erkennen.
Das Prinzip des Dialoges geht davon aus, dass jeder Mensch und jedes System ein Wesen besitzt und damit verbundene Bedingungen, die nicht zu verändern sind. Auf der Grundlage dieses Wesens entsteht über den Dialog mit der Umwelt die eigene Identität. Diese ist wandel- und formbar, das Wesen an sich jedoch nicht. Gesundes und erfülltes Leben bedeutet die Fähigkeit, das eigene Wesen und das Wesen seines Umfelds zu erkennen und auf dieser Grundlage zu sehen, was veränderbar ist und was nicht. Diese Fähigkeit besitzen nicht viele Menschen, die in die Beratung kommen. Sie erschöpfen sich in einem Kampf gegen Windmühlen, weil sie etwas zu verändern versuchen, was nicht veränderbar ist, und nicht das verändern, was möglich – und nötig – ist. Dies betrifft sowohl sie selbst wie auch die Situationen, in denen sie sich befinden. Es ist genauso vergeblich, sich Bedingungen zu unterwerfen, die dem eigenen Wesen widersprechen, wie sein Gegenüber oder das System, in dem man sich befindet, in seinen wesentlichen Strukturen verändern zu wollen.
Dieses Entweder-oder-Prinzip führt ebenfalls dazu, dass der Weg zu sich selbst häufig als egozentrische Veranstaltung gesehen wird. Waren die Betroffenen vor ihrer Erschöpfung auf der Seite der Unterdrückten, sehen sie auf dem Weg zu sich selbst nun die Heilung im Gegenteil. Viele missverstehen so den Weg zu sich selbst und meinen, man selbst zu sein hieße: Ab jetzt geht es nur noch darum, was ich will und was ich fühle.
Wer meint, der zu sein, der er ist, würde bedeuten, dass dies ein auszuführender Befehl für die Umwelt ist, hat ebenso verloren wie der, der sich durch die Umwelt befehlen lässt, wie er zu sein hat.
Zu sich selbst (zurück)zufinden meint, zu dem eigenen Wesen zu finden – nicht, seinen Willen durchzusetzen. Wer Letzteres meint, der wird scheitern, weil er seinen Willen mit seinem Wesen verwechselt und so sein Wesen verkennt; er wird scheitern, weil er unfähig zu einem äußeren Dialog ist und unfähig zu gesunden Kompromissen.
Leben ist Beziehung. Leben ist Begegnung. Ohne Ich kein Du und ohne Du kein Ich. Ohne Du und Ich kein Wir. Und ohne Wir kein Du und Ich. Leben ist niemals nur Ich. Wer darin sein Heil sieht, wird meiner Erfahrung nach niemals heil werden, sondern weiteres Unheil anhäufen.
Der Weg zu sich selbst kann nicht in einem Entweder-oder, sondern nur in einem Sowohl-als-auch gelingen, das ist das Prinzip des Dialoges, die Fähigkeit zu gesunden Kompromissen – in Anerkennung dessen, was ist.
Die meisten Dialoge scheitern nicht an dem Wesentlichen – sondern an dem Verwechseln zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem.
Die meisten Dialoge scheitern nicht an dem Wesentlichen – sondern an dem Verwechseln zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem. Sie scheitern daran, weil die Betroffenen an etwas festhalten, was nicht notwendig ist. Gesunde Kompromissfähigkeit heißt, auf Unwesentliches verzichten zu können. Es heißt, das Wesentliche zu erkennen und dafür zu sorgen und darüber hinaus zu sehen, was noch möglich ist, in der Bereitschaft, das Unmögliche zu akzeptieren. Solange Sie mitten im Leben und nicht auf einer einsamen Insel zu sich finden und leben wollen, gilt es nicht nur den Dialog zu sich zu suchen, sondern auch den Dialog im Außen zu kultivieren – überall, wo Sie in Beziehung treten. Es gilt also nicht nur, den Blick für das eigene Wesen zu öffnen, sondern auch, Ihren Blick für das Wesen des Lebens zu öffnen, den Blick für das Wesen der Menschen und der Systeme, in denen Sie sich befinden. Wer dazu nicht in der Lage ist, der wird früher oder später in einem Entweder-oder funktionieren oder bestenfalls ein einsames Leben führen.
Wenn Sie sich aus Ihrer Erschöpfung befreien und zu sich finden wollen, dann müssen Sie auch in der Lage sein, auf Unwesentliches zu verzichten. Ob Sie das dann am Ende immer auch tun müssen, ist ein anderer Punkt – aber Sie müssen in der Lage sein, dies tun zu können. Das heißt, Sie müssen fähig sein anzuerkennen, dass nicht immer alles möglich ist.
Sie werden immer wieder in Lebenssituationen kommen, in denen Sie das Gefühl haben, zwischen „Cholera und Pest“ wählen zu müssen. Solange es Ihr Wesen nicht angreift, ist es die Abwägung von Konsequenzen und die Frage nach gesunden Kompromissen. Wer z. B. in einem System bleiben will, der hat auch dessen wesentliche Strukturen aktiv auf Augenhöhe zu akzeptieren, anstatt sich diesen resignativ, zu seinem Leid und dem Leid seines Umfelds, zu fügen. Am Ende haben wir immer die Wahl, wie wir uns in den einzelnen Situationen entscheiden. Vor dem Hintergrund, dass Leben „wesentlich sein“ bedeutet, endet die Wahl jedoch in dem Moment, in dem das eigene Wesen bedroht wird.
Kennen Sie die Fabel „Der Fuchs mit den Trauben“?
Es war einmal ein Fuchs, der sah schöne Trauben an einer Mauer, die er gern haben wollte. Er versuchte alles Mögliche, um an diese Trauben zu kommen. Er sprach unterschiedliche Tiere an, die ihm helfen sollten, versuchte, selbst die Mauer zu erklimmen – vergeblich. Irgendwann drehte er den Trauben den Rücken zu und verließ den Ort. Auf dem Weg begegnete er einen Hasen, der ihn fragte: „Was ist los? Warum gehst du schon? Ich dachte, du wolltest die Trauben haben?“ – „Die sind mir doch viel zu bitter“, antwortete der Fuchs und machte sich davon.
Wenn Sie leben wollen, dann setzt dies nicht nur voraus, dass Sie aufhören, Ja zu sagen, wo Sie Nein meinen, sondern es setzt auch voraus, dass Sie nicht Nein sagen, wo Sie eigentlich Ja meinen. Genauso wie Sie das Ja an der falschen Stelle unterdrückt und schwächt, so gilt dies auch für das Nein an der Stelle des Jas. Viele Menschen haben angefangen zu funktionieren, weil sie aufgehört haben, für das einzutreten, was ist und wer sie sind. Sie haben aufgehört, für sich zu kämpfen und für das, woran sie glauben. Sie sind zum Fuchs in ihrem eigenen Leben geworden und bringen sich um ihr Leben, indem sie vor sich selbst und der Welt verleugnet haben, was sie tatsächlich wollen.
Der Weg zu sich selbst – der Weg aus dem Funktionieren – setzt also immer Disziplin und das Selbstverständnis voraus, das zu sagen, was Sie meinen, und zu meinen, was Sie sagen, nicht nur zu anderen, sondern auch zu sich selbst.
Zwischen Entweder-oder und Sowohl-als-auch
Finden Sie nicht nur heraus, wo Sie in Ihrem Leben Ja sagen und Nein meinen, sondern auch, wo Sie Nein sagen und eigentlich Ja wollen. Notieren Sie sich die Bereiche und fragen Sie sich dann, was die Ursache für Ihr Verhalten ist. Notieren Sie sich auch dies und nehmen Sie es zur Kenntnis, ehe Sie das Buch weiterlesen.
„Die Lebenskraft liegt in unserem Wesen.“
Doch warum fällt es vielen so schwer, das Wesentliche im Außen zu erkennen? Warum ist es den meisten nicht möglich, Veränderbares von Unveränderbarem, Möglichkeit von Unmöglichkeit zu unterscheiden? Voraussetzung für ein gesundes und zufriedenes Leben ist, sich mit seinem Wesen zu identifizieren und auf dieser Grundlage seine wahre Identität entwickeln zu können. Viele identifizieren sich jedoch nicht mit ihrem Wesen, sondern mit ihren inneren Realitäten, ihren Prägungen und den daraus entstandenen Vorstellungen. Diese falschen Identifikationen werden als existenziell notwendig im Außen verteidigt und verhindern nicht nur einen Dialog. Gerade sie führen zu dem größten und scheinbar unlösbaren Stress.
Bevor Sie sich auf den Weg zu sich selbst und Ihrer wahren Identität machen, ist es notwendig zu verstehen, warum Identität so wichtig ist, inwieweit sie das Leben bestimmt und warum nur das Leben der wahren Identität Grundlage für ein gesundes und erfülltes Leben sein kann.
Identität ist der zentrale Punkt in unserem Leben. Jeder von uns ist auf der Suche nach sich selbst – die einen bewusst, die anderen weniger bewusst. Wir alle suchen nach Halt und Sicherheit, nach Orientierung – die Identität bietet uns diese. Sie gibt uns Form und Gestalt, die wir zum Leben brauchen.
Identität ist die Quelle, aus der der Mensch seine Kraft zu schöpfen versucht – seine Kraft, seine Motivation, seinen Sinn. Erst durch die Identität werden wir und haben das Gefühl zu sein. Identität ist der Halt in unserem Leben.
„Woran kann ich denn erkennen, dass mir das, was ich mache, auch tatsächlich entspricht?“, fragte ein Partner einer Wirtschaftskanzlei auf dem Weg aus der Erschöpfung. „Woher weiß ich, dass, wenn ich mich jetzt für etwas anderes entscheide, ich dies auch tatsächlich bin? Woher weiß ich, dass ich mir nicht nur etwas vormache?“ Wer sich mit etwas anderem identifiziert als mit seinem eigenen Wesen, der verliert sich selbst.
Aber wie kann ich falsche Identität von wahrer Identität unterscheiden? Diese Frage bewegt viele auf dem Weg zu sich selbst zurück.
Wer sich mit etwas anderem identifiziert als mit seinem eigenen Wesen, der verliert sich selbst.