Leider nein, leider gar nicht!

+++ Warum Gewinner Nein sagen +++
+++ und Verlierer für alles offen sind +++

CARLO REUMONT

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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1. Auflage 2021

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Redaktion: Silke Panten

Korrektorat: Anne Horsten

Covererstellung: Tobias Prießner

Abbildung im Innenteil: Shutterstock/Vectorgoods studio, bearbeitet von Tobias Prießner

Satz: inpunkt[w]o, Haiger (www.inpunktwo.de)

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-95972-452-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-854-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-855-3

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INHALT

Einleitung

Unser Ziel: der Gipfel des Neinsagens

Teil I – Das Basiscamp

Kapitel 1 – Die Grundlagen des Neinsagens

»Nein!« – Ein kleiner Satz mit großer Wirkung

Gewinnen und Verlieren – Was heißt das?

Die sieben Prinzipien der Produktivität

Grundbegriffe: Wirkung, Charisma, Charakter, Persönlichkeit

Kapitel 2 – Nein zur Fremdbestimmung

Identifizieren Sie Ihre Werte

Ein Blick vom Basiscamp Richtung Anstieg

Ziele: Wie ein konsequentes Nein alltäglich wird

Teil II – Der Anstieg

Kapitel 3 – Nein zur Unentschiedenheit

Entschieden unentschieden

Willenskraft – Treibstoff der Halbgötter

Eine schlechte Entscheidung ist besser als keine Entscheidung

Kapitel 4 – Nein zu Dauer (medien)konsum

Superman hatte Kryptonit, wir haben Bildschirme

Facebook, Instagram, LinkedIng und Xingeling

Vom User zum Chooser

Kapitel 5 – Nein zu Beziehungsbullshit

Emotionen verstehen

Endlich frei vom Drachen

Der 10-Punkte-Drachenbefreiungsplan

Nein zu Familie und Freunden

Teil III – Der Gipfel

Kapitel 6 – Nein zu Ausreden

Mythen des Neinsagens

Die sieben Geschenke des Eisbachs

Was wir tun können, wenn unsere Ausreden stärker sind als wir

Kapitel 7 – Ja zum Handeln

Der Preis der Veränderung

20 Tipps und Tricks zum Neinsagen

Vom Gipfel in den Alltag

Anmerkungen

Dank

EINLEITUNG

Robben Island ist eine kleine Insel im Südatlantik, etwa 14 Kilometer vor der Küste Kapstadts. Die überwiegend karge und steinige Insel ist nur ungleich größer als der ehemalige Berliner Flughafen Tempelhof. Zwischen Hafen und Flughafen befindet sich heute ein Museum. Das Robben-Island-Museum ist das ehemalige Gefängnis von Nelson Mandela und vielen anderen politischen Gefangenen, die zur Zeit der Apartheid weggeschlossen wurden. Heute kommen jährlich Tausende von Menschen auf diese Insel, um sich einen Eindruck der Geschichte dieser Freiheitskämpfer zu machen.

Auch nach seinem Tod wird Mandela als inspirierender Leader mit einer Vision der Gleichheit von Schwarz und Weiß in Südafrika gefeiert. Seine Idee der Versöhnung und des Friedens hat vielen Südafrikanern Hoffnung auf eine geeinte Gesellschaft gegeben. Doch die hastigen Museumstouren, die heute in dem ehemaligen Gefängnis durchgeführt werden, vermitteln nicht den Weg, den Mandela mit seinen Kameraden von Beginn an dort beschritten hatte.

»Ich hasste diese Männer sofort«, sagt der ehemalige Gefängniswärter Christo Brand. »Männer wie diese haben meinen Freund getötet.«1 Erst viele Jahre später verband Christo Brand und Nelson Mandela eine Freundschaft. Für die Wärter war Mandela als Terrorist nach Robben Island gekommen. Er selbst verstand sich aber als Freiheitskämpfer, und daran würden die Gefängnismauern nichts ändern. Wenn er den Kampf für ein freies Land nicht außerhalb des Gefängnisses führen durfte, dann musste er Wege finden, diesen Kampf innerhalb des Gefängnisses zu führen.

»Wir waren von Anfang an entschlossen, respektiert zu werden«, sagte Mandela 1997 im Interview mit Oprah Winfrey, »wir bestanden darauf.«2 Robben Island ist heute ein Symbol der Unterdrückung. Doch erzählt diese Insel auch eine Geschichte der Versöhnung, der Menschlichkeit und der Selbstbestimmung. Denn schließlich gelang es diesen politischen Gefangenen und ihren Verbündeten, ihre Forderungen durchzusetzen und menschlich behandelt zu werden. Mehr noch: Bereits Jahre vor Mandelas Entlassung am 11. Februar 1990 hatte er Verhandlungen über seine Entlassung und die Abschaffung der Apartheid mit Staatspräsident Frederik Willem de Klerk geführt. Doch wie war das möglich? Wie gelang es den Gefängnisinsassen, auf ihre Wärter Einfluss zu nehmen? Wie konnten sie hoffen, sich in einem so ungleichen Verhältnis durchzusetzen? Und woher kam der Glaube, dass das überhaupt möglich sei? Auch wenn Mandela älter war als manche seiner Wärter, hat seine Seniorität sicher keine große Rolle gespielt. Noch viel weniger zählten äußerliche Faktoren wie Hautfarbe oder Aussehen. Und was seine Position als Häftling betraf, kam ihm auch hier keine Autorität zu. Es musste an Mandela und seinen Männern selbst liegen. Sie mussten eine innere Autorität gehabt haben, durch die sie nicht nur über sich selbst verfügten, sondern auch Einfluss auf die Wärter ausüben konnten.

Mandelas Leben steht für Freiheit und den Glauben an das Unmögliche. Wer hätte in Südafrika Mitte der 1980er-Jahre daran geglaubt, dass ein Häftling von Robben Island zehn Jahre später der erste schwarze Präsident Südafrikas sein würde? Das war nicht nur praktisch unmöglich. Es war vollkommen undenkbar. In der heutigen Zeit würden wir uns fragen: »Wie hat er das gemacht? Welche Tricks, Kniffe und Methoden hat Mandela angewandt, um so weit zu kommen?« Doch in Bezug auf Nelson Mandela sind das die falschen Fragen. Wenn es um Selbstveränderung, das Ziehen neuer Grenzen und Neinsagen geht, spielt das Wie eine untergeordnete Rolle.

Am Ende dieses Buches finden Sie allerhand konkrete Anwendungsbeispiele für die Ideen in diesem Buch. Vielleicht zieht es Sie bereits jetzt direkt dorthin. Das ist ganz natürlich. Die Welt der Selbstoptimierung propagiert stets den Glauben, mit den richtigen Tipps und Tricks »ginge das schon«. Doch das ist kurzfristig und oberflächlich gedacht. »Nein!« ist ein vollständiger Satz. Jeder kann ihn sagen oder schweigend danach handeln. Doch nicht jeder kann die Konsequenzen dieser Botschaft aushalten. Diese Techniken und Sätze bringen uns nichts, wenn wir nicht über eine innere Haltung verfügen, die diesen Sätzen Leben einhaucht. Dieses »Leben« kommt vor allem aus einem: unserer eigenen inneren Autorität. Innere Autorität bedeutet, voll und ganz bei sich zu sein und über die eigenen Kräfte zu verfügen. Erst dadurch erwächst ein inspirierter Gusto für die Gegenwart, mit dem wir uns selbst und anderen die Sicherheit geben, unser beziehungsweise ihr bestes Selbst zu zeigen. Sehen Sie, Mandela war kein Körper, dessen Stimmbänder überzeugt haben. Mandela war ein Geist, dessen Haltung überzeugt hat. Diese Haltung hat er nicht von heute auf morgen kreiert oder in irgendeinem Kurs gelernt. Er hat sie im Kreis seiner geistigen Brüder genährt und gelebt.

Schauen Sie sich Interviews mit Mandela von der Zeit nach seiner Entlassung an, und Sie sehen einen Mann, dem es gelingt, jedes Wort, das er äußert, mit Bedeutung zu schwängern. Mandela musste nicht mehr viel sagen, um Menschen zu bewegen. Die Gründe dafür liegen nicht in den wenigen Worten, die er äußerte, sondern in der Persönlichkeit, zu der er geworden war.

UNSER ZIEL: DER GIPFEL DES NEINSAGENS

Als junger Teenager habe ich mich ständig für alles Mögliche entschuldigt. Mir war es wichtig, bloß niemandem auf die Füße zu treten. Stand ich jemandem im Weg, sagte ich schnell »Entschuldigung« und schoss zur Seite. Kam ich nur ein paar Minuten zu spät zu einer Verabredung, sagte ich ebenfalls: »Entschuldigung, Asche auf mein Haupt, dass du warten musstest.« Hatte ich die Spülmaschine nach meiner eigenen Ordnung eingeräumt und bemerkte, wie sie jemand anders wieder umräumte, sagte ich: »Entschuldigung.«

»Carlo«, sagte mein Vater schließlich eines Tages, »bitte hör auf, dich ständig zu entschuldigen.«

»Okay«, antwortete ich, »Entschuldigung.«

Mit diesen ständigen leeren Entschuldigungen sagte ich zwar nicht direkt Ja zu allem anderen, aber ich vermittelte: »Ich bin mit allem einverstanden, womit du einverstanden bist.« Doch wenn wir keine klaren Grenzen ziehen, fällt es anderen schwer, uns einzuordnen. Mehr noch: Wir entfernen uns von uns selbst.

Heute weiß ich: Beziehungsintelligenz geht anders. Nur wer für alles offen ist, läuft ohne Widerstand mit. Auch eine Entschuldigung kommt mir heute nur langsam über die Lippen. Warum? Ich denke nach. Ich denke darüber nach, welche Reaktion angemessen ist. Damit hat eine Entschuldigung auch Gewicht. Sich dies bewusst zu machen, ist allerdings leichter gesagt als getan. Denken erfordert Übung und klare Absichten. Diese kommen uns nicht einfach zugeflogen. Stattdessen müssen wir uns geistig anstrengen, um passende Antworten und Reaktionen zu finden.

Innere Autorität bedeutet nicht, einfach alles auszublenden und auszuschalten, was einem nicht gefällt. Das wird uns erstens nicht gelingen, denn das Leben wirft ständig mit Herausforderungen um sich; und zweitens wäre das auch hinderlich für unser Ziel, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Menschen, die daran arbeiten wollen, Grenzen zu ziehen und effektiv Nein zu sagen, müssen sich auch mit der Idee der Selbstbestimmung auseinandersetzen. Damit wir uns verstehen: Fremdbestimmung ist nicht immer schlecht. Der Einfluss anderer kann uns auch über unsere Grenzen und Ängste hinausführen. Nein zu sagen, hat etwas mit Antworten zu tun. Selbstbestimmung ist eine Haltung, mit der wir Antworten auf das Leben finden, die auf Eigenständigkeit beruhen.

Was für Sie persönlich richtig ist und beim Bilden neuer Grenzen zwischen Ihnen und anderen funktioniert, kann ich unmöglich sagen. Doch auch wenn wir uns persönlich nicht kennen, glaube ich dennoch, etwas über Sie zu wissen. Denn ich vermute, dass es ein paar Gemeinsamkeiten zwischen uns gibt: Sie und ich sind Menschen, denen Eigenständigkeit und Beziehungen gleichermaßen wichtig sind. Wir sind Menschen, die bessere Antworten auf die Situationen des Lebens finden wollen. Doch was auch immer der höchste Ausdruck eines selbstbestimmten Lebens für Sie ist, es gibt keinen Aufzug und keine Rolltreppe dorthin. Wir müssen Tag für Tag einen Schritt nach dem anderen machen. Manche Schritte gehen auf direktem Weg nach oben in Richtung Gipfel, andere führen uns seitlich um den Berg herum, wieder andere führen uns zeitweise nach unten, um vielleicht eine bessere Ausgangslage für den weiteren Anstieg zu finden.

Auf unserer Tour werden wir diese drei Ebenen durchqueren:

Ebene 1: die Grundlagenebene von Werten im Basiscamp

Ebene 2: der Anstieg durch Fragen und Entscheidungen

Ebene 3: Tipps, Tricks und Kniffe auf dem Gipfel des Neinsagens

Viele Teilnehmende meiner Seminare wollen direkt zu Ebene 3 springen und bitten mich lediglich um Tipps und Tricks: Welche Werkzeuge gibt es? Wie plane ich Aufgaben realistisch? Wie strukturiere ich am besten meine Woche? Wie gehe ich größere Projekte und langfristige Planungen an? Wie spare ich Zeit? Wie sage ich konkret Nein? Wie reduziere ich Stress? Das sind berechtigte Fragen. Sie zielen alle auf das berechtigte Bedürfnis ab, den Alltag besser zu bewältigen und mehr erledigen zu können. Für die Beantwortung dieser Fragen sind meine Seminare natürlich auch gedacht. In puncto Neinsagen gibt es allerhand handfeste Tools, prinzipielle wie konkrete, die sich bewährt haben. Wir brauchen sie auch, denn durch die Arbeit im Detail verfeinern wir auf der einen Seite unsere Fähigkeiten und auf der anderen Seite finden wir dadurch Zugang zu den Grundlagen, auf die sie aufbauen.

Dennoch stellen Tools, Tipps und Tricks nur die Spitze des Eisbergs dar – oder in unserem Fall den Gipfel des Berges. Die folgende Abbildung zeigt das sehr gut.

Wir müssen zunächst an den Grundlagen arbeiten, bevor Tools erfolgreich angewendet werden können. Erst wenn die Tools mit Zielen und Werten untermauert sind, helfen sie langfristig. Mehr noch: Es kann sein, dass wir auf der Grundlage unserer Werte und Ziele ganz eigene Tools finden, die viel besser funktionieren als die von der Stange. Wir müssen also in einem ersten Schritt Antworten auf die Fragen finden: Warum brauche ich diese Tools? Welche Absicht verfolge ich mit ihnen?

Die besten Tipps und Tricks helfen nur dann, wenn sie an klare Ziele geknüpft sind, also einer klaren Richtung unterworfen sind. Ziele sind so spannend, weil sie zwei ganz eigene Felder eröffnen: Fragen und Entscheidungen.

Entscheidungen zu treffen, ist eine Fähigkeit wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Zwar haben wir alle die geistige Kapazität, diese Fähigkeiten zu erwerben, und dank der Schule haben wir auch ein rudimentäres Verständnis davon, doch werden wir nicht damit geboren. Diese Fähigkeiten erfordern eigenständiges Denken und Willenskraft, um kultiviert zu werden. Die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen, liegt im Kern des Neinsagens. Damit geht es beim Neinsagen nicht nur um das Ausgrenzen, sondern auch um das Einladen, also das Jasagen. Auf dem Schaubild sehen Sie auf der Zielebene einen Nebel. Diesen Nebel durchqueren wir auf der Zielebene, weil wir hier anhand guter, gezielter Fragen abwägen, was die beste Entscheidung ist. Fragen, die sich hier stellen, sind unter anderem: Wie sieht mein gewünschtes Ergebnis aus? Welche Ressourcen (Werkzeuge, Menschen, Mittel) benötige ich? Welche verschiedenen Möglichkeiten habe ich, mein Ziel anzugehen? Welche Hindernisse stellen sich mir unter Umständen in den Weg? Was ist mir am wichtigsten bei der Arbeit oder bei dem Projekt? Wie ordne ich meinen Tag am einfachsten? Wie bewerte ich die Ereignisse meines Tages?

Sobald durch die Beschäftigung mit diesen Fragen erste Antworten auftauchen, gehen wir in einen Entwicklungsprozess mit den Tipps und Tricks, indem wir nach dem »Wie« fragen. Dann entfalten die heißbegehrten Tipps und Tricks auch ihr volles Potenzial – und Sie stehen in puncto Neinsagen und Jasagen auf festem Boden. Es geht dann nicht mehr um die Frage, ob Sie Nein sagen, sondern nur noch darum, wie Sie Nein sagen.

Stellt sich allerdings heraus, dass sich auf die Fragen bezüglich unserer Ziele nur schwer Antworten finden, müssen wir erneut mit einem »Warum« in die Tiefe gehen. Denn eine Ebene tiefer befinden sich unsere Werte, also das, was uns wichtig ist. Werte sind zentral im Leben. Sie bilden die Grundlage aller unserer Entscheidungen. Wir alle haben Werte. Doch nicht jeder kennt seine Werte. Menschen, deren Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Eigenständigkeit unter Druck steht, haben möglicherweise Werte anderer Einzelpersonen oder der Allgemeinheit übernommen. So etwas geschieht schleichend und unbewusst. Wenn es um Werte geht, brauchen wir nichts Neues erfinden.

Ziel dieses Buches ist es daher, einen ehrlichen Blick in den Spiegel zu werfen und festzustellen, welche Werte wir tatsächlich leben. Womit verbringen wir unsere Zeit? Wofür geben wir unser Geld aus? Worüber denken wir jeden Tag nach? Auch hier müssen wir uns Fragen stellen, allerdings viel grundlegendere. Sobald uns unsere Werte klar sind, haben wir etwas unglaublich Kraftvolles, das uns auf Dauer hilft, Nein zu sagen, und unser Nein durchzusetzen: verdammt gute Gründe.

Es ist wirklich so einfach: Menschen, denen es leichtfällt, Nein zu sagen, haben ihre Werte wissentlich oder unwissentlich klar vor dem inneren Auge. Aus solch einer Einigkeit mit uns selbst können wir innere Autorität schöpfen, die das Neinsagen für alle einfacher macht. Ein Student, der Donnerstagabend seinen Freunden die Kneipentour absagt und stattdessen lernt, hat vielleicht Karrieremachen als hohen Wert. Eine Angestellte, die im Büro keine Zeit vergeudet und bis zum Feierabend ihre Aufgaben abarbeitet, damit sie keine Überstunden machen muss, mag als höchsten Wert Familie und Kinder haben. Vielleicht kennen Sie aus Ihrem Leben ebenfalls Bereiche, in denen Sie zuverlässig, diszipliniert und akribisch sind. Das ist ein guter Ansatzpunkt, um Ihre höchsten Werte ans Licht zu bringen. Sobald Sie anschließend Ihr Leben mehr und mehr nach ihnen ausrichten, desto stärker wird Ihr Zeitbewusstsein und Ihre Fähigkeit, Nein zu sagen.

Sie sehen, wir haben allerhand zu tun, wenn es ums Neinsagen geht. Fühlen Sie sich also angespornt! Es heißt nämlich, dass Sie etwas tun können. Nur Sie können Ihre innere Autorität ausbauen und ein Leben nach dem eigenen Entwurf leben, wie auch immer das für Sie aussehen mag.

TEIL I
DAS BASISCAMP

KAPITEL 1
DIE GRUNDLAGEN DES NEINSAGENS

Wir alle verschwenden täglich Zeit, Aufmerksamkeit, Energie und Fokus. Noch nie war es so leicht, diese Dinge von anderen Menschen zu fordern. Familie, Freunde und Kollegen wollen alle ein Stück von uns abhaben. Wir wollen natürlich das Gleiche von ihnen. Es ist ein Tauschgeschäft, von dem beide Seiten profitieren. Aber tun sie das auch? Oder besser gefragt: Tun Sie das auch?

Wie brisant diese Frage ist, zeigt sich am besten im medialen Bereich, sei es Werbung, seien es Medien wie Nachrichten, Zeitungen und Zeitschriften oder soziale Medien. Ja, wir profitieren alle davon, dass es diese Kanäle und unmittelbaren Kommunikationsmöglichkeiten gibt. Werbung macht uns auf Produkte oder Dienstleistungen aufmerksam, die uns helfen und das Leben verschönern und erleichtern können. Fernsehen, Streamingdienste, Zeitungen und Co. informieren und unterhalten. Soziale Medien ermöglichen einen persönlichen Blick in das Leben von Menschen aus aller Welt und den direkten Kontakt zu ihnen. Das ist zweifelsohne großartig. Gleichzeitig hat alles, was eine Wirkung hat, auch eine Nebenwirkung.

Noch nie war es so leicht, die Zeit zu vergessen und ziellos umherzutreiben. Die wenigsten Menschen verfolgen mit ihrem Medienkonsum ein konkretes Ziel. Auch Begegnungen mit Familie, Freunden und Kollegen leiden an der Leere, die mit einer Ziellosigkeit einhergeht. Das ist nicht opportunistisch oder utilitaristisch gemeint. Es ist eine Frage der persönlichen Pragmatik. Zu wissen, warum wir uns mit etwas oder jemandem auseinandersetzen, bestimmt nämlich maßgeblich den Ausgang jeder Begegnung und unsere Zufriedenheit damit. Denn bevor wir überhaupt miteinander reden, wird bewusst oder unbewusst der Rahmen der Begegnung festgelegt, und zwar vom jeweils »Stärkeren« in der Begegnung.

Beim Thema Neinsagen geht es also um mehr als nur darum, Wege zu finden, sich Minuten oder Stunden frei oder Aufgaben und Personen vom Leib zu halten. Es gibt Experten zum Thema Neinsagen, die meinen, dies sei ein Beziehungsthema. Ja klar, Beziehungen spielen eine Rolle darin. Das liegt aber nicht am Thema selbst, sondern daran, dass Beziehungen so gut wie überall eine Rolle spielen. Wenn wir es aus pragmatischer Perspektive sehen, geht es beim Neinsagen vor allem um eines: Produktivität.

Der Begriff der Produktivität ist mehr in der Arbeitswelt zu Hause als irgendwo anders. Doch lässt er sich auf alle Bereiche des Lebens übertragen, denn er beschreibt letztendlich unsere Fähigkeit, Ergebnisse zu schaffen. Wenn wir nur Ja sagen, kommen wir unseren eigenen Ideen (Werten, Zielen, Aufgaben) nicht nach. Wenn wir aber nur Nein sagen, verschließen wir uns möglicherweise besseren Ideen. Wir brauchen beides.

Wer lernt, beide Seiten abzuwägen, ist produktiver. Doch damit greife ich vorweg. Zunächst müssen wir über das Wort »Nein« sprechen, was es bedeutet, und welche Richtung seine Bedeutung auf dieser Reise aufzeigt. Da es hier darum geht, was Gewinner beim Jasagen und Neinsagen anders machen, müssen wir auch die Idee eines Gewinners und Verlierers definieren. Ich verrate schon mal eines: Mit dem Kontostand hat es sehr wenig zu tun.

»NEIN!« – EIN KLEINER SATZ MIT GROSSER WIRKUNG

Das Wort »Nein« hat vier Buchstaben. Diese vier Buchstaben können nicht nur eine Menge bedeuten, sondern auch eine Menge bewirken. »Nein« verbindet den Verneinungspartikel »ni« aus dem Althochdeutschen und den unbestimmten Artikel »ein« und heißt so viel wie »nichts eins«.3

Für mich sagt diese Erklärung schon alles. Alles Konfliktpotenzial, welches das Wort »Nein« in sich trägt, wird bereits in seiner ursprünglichen Bedeutung verraten. Diese Herleitung erklärt den Schmerz, den wir einerseits erleiden können, wenn wir ein Nein erhalten, und andererseits möglicherweise befürchten, wenn wir ein Nein vermitteln wollen.

Einigkeit und Gemeinschaft mit anderen ist ein tiefes Bedürfnis des Menschen. Wir haben alle einen Sinn dafür, wie verbunden wir einander sind. Das ist ein innerer Kompass. Dieser bringt uns jedoch nur dann etwas, wenn wir ihn verstehen und anwenden. Dieses geistige Echolot der Verbundenheit zu kennen und uns daran zu orientieren, kann das Neinsagen erheblich erleichtern.

Das Gleiche gilt für das Jasagen. Einer der tieferliegenden Gründe, warum wir zu denen, die uns am nächsten sind oder die wir nah haben möchten, allzu gerne Ja sagen, ist, dass wir Menschen soziale Wesen sind und auf Nähe, Bestätigung, Einigkeit, Zuwendung und Spiegelung angewiesen sind. Die Ereignisse, die uns die Neurowissenschaft hierzu im Bereich der Spiegelneuronen liefert, sind eindeutig. Egal wie groß Ihr Ego ist, auch Sie würden bei totaler sozialer Isolation Gefahr laufen, geistig und emotional angeschlagen zu sein. Wer Ja sagt und sich anderen öffnet und ihnen zugänglich ist, geht also nicht unbedingt der Sache selbst nach, sondern mehr dem Bedürfnis der Einigkeit – dem Wunsch nach Verbindung und Gemeinschaft. Dem gegenüber steht unser Bedürfnis nach Eigenständigkeit und Individualität. Jeder möchte in der Gemeinschaft auch eine eigene Identität. Wenn wir uns immer nur nach der Gruppe richten, stellt sich bald auch die Frage nach den eigenen Bedürfnissen.

Unser Bedürfnis nach Einigkeit steht also mit dem Bedürfnis nach Individualität in Konflikt. Zweisamkeit in einer Partnerschaft und Gemeinschaft in der Familie können schön sein. Die schönen Momente dieser Zeiten möchte keiner missen. Gleichzeitig hat jeder Mensch eigene Wünsche der Zeitgestaltung – und wenn es nur der Wunsch ist, sich mal zurückzuziehen und allein ein Buch zu lesen. Weil vieles davon tatsächlich tief verwurzelte Bedürfnisse und keine bloßen Wünsche sind, müssen wir sie alle auf irgendeine Weise adressieren. Das ist nicht einfach. Das müssen wir lernen. Das Wort »Nein« ist dabei ein zweischneidiges Schwert. Es kann uns daran hindern, zu bekommen, was wir wollen. Es kann uns aber auch gleichzeitig genau darauf zuführen. Wir wollen Wege finden, dieses Schwert gekonnt einzusetzen, um mit dessen Hilfe zu mehr Einigkeit, mehr Gemeinsamkeit und mehr Übereinstimmung zu gelangen.

GEWINNEN UND VERLIEREN – WAS HEISST DAS?

Nehmen wir uns für einen kurzen Augenblick die Worte »Gewinner« und »Verlierer« vor. Was ist damit gemeint? Was es heißt, im Leben zu gewinnen, ja ein Gewinner zu sein, muss jeder für sich selbst beantworten. Denn gerade, weil es keine klar umrissene Antwort darauf gibt, schleichen sich schnell allgemeingültige Definitionen in unsere Köpfe. Das ist gefährlich, denn es kann uns von uns selbst wegführen. Neigen wir dazu, von außen vorgegebene Definitionen anzunehmen, klettern wir, im übertragenen Sinne, eine Leiter empor, die an der falschen Mauer angelehnt ist. Die gute Nachricht ist: Mit ein wenig Überlegung finden wir eine Definition von Gewinnen, die uns motiviert und gestärkt hält.

Die Definition von Gewinner, die in diesem Buch verwendet wird, ist folgende:

Gewinner sind Menschen, die täglich ein Leben führen, das mit ihren eigenen Werten, Wünschen und Zielen übereinstimmt.

Ziemlich einfach, oder? Aber machen wir es uns nicht zu leicht. Denn wer Pläne und Absichten durchsetzen will, muss erstmal welche haben – egal ob es ein Tagesplan ist oder ein Lebensplan. Ebenso den erstellten Plan durchzusetzen, ist alles andere als einfach. Täglich kommen Unterbrechungen und sogenannte dringende Dinge dazwischen, die wir entweder abarbeiten oder abwehren wollen. Ja, es gibt Tage, an denen wir frei sind von Ablenkungen und Problemen, aber die sind selten. Wie auch immer Ihre Definition von Gewinner aussieht, stellen Sie sich mit ihr der Realität, dass es keine Unterstützung ohne Herausforderung gibt. Überall im Leben lauern Hindernisse, äußere wie innere. Wer mit der Erwartungshaltung durchs Leben geht, nur unterstützt und gefördert werden zu wollen, sieht nur eine Seite der Medaille. Auf unserem Weg zum effektiven Neinsagen stehen wir vor allen möglichen Herausforderungen. Sehen Sie das als ein gutes Zeichen. Warum? Es bedeutet, wir sind auf dem Weg, etwas Neues in unser Leben zu bringen, und eine Idee, eine Absicht, einen Plan in die Form unseres Alltags zu gießen.

Vielleicht erinnern Sie sich noch an den März 2020 – da kam etwas Unsichtbares in unser aller Leben und hat sichtbaren Schaden angerichtet. Unabhängig von dem, was Sie in den Medien gehört oder gelesen haben, gab es viele bekannte, und vor allem unbekannte, Gewinner in den Monaten, die folgten. Jede Firma und jedes Individuum, der beziehungsweise dem es gelang, Pläne anzupassen oder auf neuen Wegen der ursprünglichen Absicht gerecht zu werden, kam Tag für Tag voran. Stellen Sie sich vor, Sie wären zu Zeiten Coronas Geschäftsführer eines Start-ups im Veranstaltungsbereich oder irgendeiner anderen Branche, die von persönlichen Treffen lebt. Erwachsene Firmen haben vielleicht ein finanzielles Polster, auf das sie zurückgreifen können, oder sie verfügen über weitere stabile Einkommensquellen, um solche Phasen durchzustehen. Aber ein Start-up? Diese Firmen stehen meist wie zarte Pflänzchen im Wirtschaftsdschungel. In solchen Situationen muss man sich auf die Absicht des Geschäfts berufen und sich fragen: Wie können wir unter diesen neuen Umständen unserer ursprünglichen Absicht gerecht werden?

Der Punkt ist: Es wäre naiv, zu glauben, dass unser Plan und unsere Absicht vom Leben nicht herausgefordert werden. Die sogenannten »Gewinner« sind also Menschen, die Pläne haben und diese bis zum Ergebnis umsetzen. Der Zeitrahmen und die Inhalte sind dabei zweitrangig. Wenn es zum Beispiel an einem gegebenen Tag Ihre Absicht ist, eine Stunde Sport zu machen, und Ihnen dies trotz Widerständen aller Art gelingt, haben Sie für den Tag gewonnen und sind an dem Tag ein Gewinner. Wenn Sie ein gewisses Fitnesslevel oder Körpergewicht erreichen wollen, wird ein Tag vielleicht nicht ausreichen, aber irgendwo müssen wir mit der Messung beginnen. Ein Alkoholiker, der sich morgens vornimmt, nichts zu trinken, und das gegen seinen Willen und seine Gewohnheit durchsetzt, ist für den Tag ein Gewinner. Das ist jedenfalls das, was mit Gewinnen und Verlieren in diesem Buch gemeint ist. Es ist eine einfache Definition, die für jeden Menschen täglich aufs Neue umsetzbar ist, und zwar in ganz verschiedenen Bereichen des Lebens.

Viele Menschen setzen »Gewinnen« mit Geld gleich. Doch ein befreundeter Millionär erklärte mir einmal: »Ein Millionär, der sich aufgegeben hat und sein Potenzial vergeudet, ist kein Stück erfolgreicher als jeder andere, der sich gehen lässt und nichts aus seinem Leben macht. Du weißt ja nicht, was in ihm vorgeht, und wie er sich fühlt.« Die eigenen täglichen Siege aufrechtzuerhalten und sich bewusst zu machen, ist wichtig, weil sie uns schließlich an unsere Ziele bringen – egal ob sie einige Tage, Wochen, Monate oder Jahre in der Zukunft liegen. Verstehen Sie, dass Sie jeden Tag siegen können. Und wenn es Ihnen gelingt, sind Sie ein Gewinner.

Vielleicht denken Sie, ich mache es Ihnen und mir zu leicht. Dann frage ich Sie: Warum sollte ich es uns schwer machen? Wenn Ihr Standard für Gewinnen nur mit einem Gesamtbild von täglicher Lebensfreude, erfüllten und glücklichen Beziehungen sowie leicht verdienten Millionen bedient wird, ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Sie sich jemals als Gewinner fühlen werden. Im Gegenzug wäre es meiner Ansicht nach auch zu tief angesetzt, wenn Sie festlegen, ein Gewinner sei jemand, dem es gelingt, morgens aus dem Bett zu fallen. Aus dem Bett zu fallen und sich als Spielball des Lebens in die Arbeit zu begeben, bedarf keiner Fähigkeit oder Anstrengung. Wie auch immer Ihre Definition von Gewinnen aussieht, wählen Sie eine, an die Sie wirklich glauben. Die Idee des täglichen Sieges und sich in den Herausforderungen des Tages durchzusetzen, reicht für unsere Zwecke vollkommen aus, da sie handlungsgebunden ist und einen Zeitraum wählt, in dem Ergebnisse messbar sind.

Verlierern hingegen gelingt nicht, was sie sich täglich vornehmen. Auch bei kleinen alltäglichen Dingen fehlt ihnen die Durchsetzungskraft und zuweilen auch die nötige Flexibilität, um das Geplante auch wirklich abzuschließen. Erfolgreiche Verlierer erleben schließlich die Summe der Tage, an denen sie sich haben gehen lassen. Positiv zu bewerten ist, wenn sich dieses Verlieren schmerzhaft anfühlt. Dieser Schmerz zeigt nämlich, dass der Bezug zur Realität des Betroffenen noch intakt ist. Wenn die Ergebnisse unserer eingeschlagenen Lebensrichtung uns eingeholt haben, kann uns ein vom Leben verpasster Schlag ins Gesicht aufwecken. Dieses Wachwerden eröffnet jenen Menschen die Chance, Änderungen vorzunehmen und Wege zu finden, die Dinge umzusetzen, die sie sich vornehmen. Ja, Verlierer gewinnen an einigen Tagen im Jahr, genauso wie langfristig erfolgreiche Gewinner an einigen Tagen im Jahr verlieren. Doch langfristigen Verlierern misslingt es, die Siegestage aneinanderzureihen. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Besonders in Bezug auf das Neinsagen könnte ich nicht besser auf den Punkt bringen, wie Jasager sich in zweifelhafte Situationen navigieren. Wer offen für alles ist, hat keine Leitplanken, um auf Kurs zu bleiben. Nehmen wir zum Beispiel Rupert aus dem Film Fight Club,4 beruhend auf dem gleichnamigen Roman von Chuck Palahniuk. Rupert, auch Cornelius oder Travis genannt, ist Protagonist des Films und wird gespielt von Edward Norton. Tyler Durden, der Antagonist, wird gespielt von Brad Pitt. Die Geschichte: Rupert ist angestellter Rückrufkoordinator in einem amerikanischen Automobilkonzern. Sein Leben besteht aus Flugreisen, Autounfallgutachten, Schreibtischarbeit, Büropolitik und leidigen, wachen Nächten. Es quält ihn. Sein Vorgesetzter macht ihm das Leben auch nicht leichter. Rupert kann an der Farbe seiner Krawatte ablesen, welcher Wochentag es ist. Dieser angepasste Spießer geht ihm mit seinen ständigen Forderungen auf die Nerven, denn er kann sie ihm einfach nicht abschlagen. Rupert ist der klassische Jasager. Oft erwischt er sich in der Arbeit im Halbschlaf. Wie in Trance zieht sein Leben an ihm vorbei. Höchstens bei der Einrichtung seiner Wohnung, die perfekt mit den neuesten Stücken aus dem IKEA-Katalog ausgestattet ist, kommt er aus sich heraus. Doch eines Tages trifft er einen Mann, der sein Leben ändert: den Seifenverkäufer Tyler Durden. Von Tyler lernt Rupert, seine Tage und sein Leben so zu gestalten, wie er es will – auf gesellschaftliche Konventionen und Sitten ist gepfiffen. Stück für Stück findet er heraus, wie er einen gewonnenen Tag an den nächsten reiht. Mehr noch: Die Freundschaft mit Tyler ist Ruperts Chance, seine dunkle Seite auszuleben – die Seite, die er Zeit seines Lebens aus Angst vor Ablehnung unterdrückt hat. Gemeinsam gründen sie einen Kreis von Kämpfern mit dem Namen Fight Club. In diesem (nicht eingetragenen) Verein schlagen sich brave Buben, denen es nicht gelingt, sich in der Welt durchzusetzen, nach Feierabend brutal die Köpfe ein, und zwar mit Gusto. Dabei geht es nicht ums Gewinnen oder Verlieren. Es geht darum, wieder etwas zu spüren und aus sich herauszukommen – das ist der wahre Gewinn.

Tyler führt Rupert durch an Missbrauch grenzende »Schulungsmaßnahmen«, um ihn innerlich von Konventionen und blind akzeptierten Lebensvorstellungen zu lösen. Mehr noch: um von sich selbst loszukommen – dem Selbst, das ihn in dieses leere Leben hineingeführt hat. Erst nachdem Tyler mit der immer weiter wachsenden Gruppe an braven Schlägern terroristische Anschläge verübt, beginnt Rupert, Tyler und den Fight Club infrage zu stellen. Im Zuge dessen stellt Rupert fest, dass er und Tyler ein und dieselbe Person sind. Das Kennenlernen von Tyler war der Beginn einer Schizophrenie, einer Geistesspaltung. Nachdem er seine geistige Schieflage erkennt, versucht er, Tyler an den Anschlägen zu hindern, doch ohne Erfolg. Das Chaos gewinnt.

Warum war der Film so erfolgreich? Warum finden sowohl Männer als auch Frauen solchen Gefallen an diesem brutalen Film? Wenn wir einmal Brad Pitts Waschbrettbauch außen vor lassen, besticht die Geschichte, weil sie die Grenzen dessen durchbricht, was im modernen angepassten Lebensstil allzu leicht zu akzeptieren ist: Langeweile, Teilnahmslosigkeit, uneingeschränkte Toleranz, gedankenloser Konsum und nicht zuletzt willenloses Jasagen. Diese Dinge sind der Preis, um dazuzugehören. Rupert verweichlicht im Büroalltag des Arbeitslebens. Er ist Gefangener seiner eigenen Unfähigkeit, aus dem Hamsterrad auszubrechen. Sein Selbst und seine Männlichkeit sind ihm fremd. Es bedarf einer extremen, krankhaften Spaltung seines Geistes, um ihn schließlich aus diesem Missstand zu erwecken. Dieses Erwachen, dieses Erwachsenwerden Ruperts wird im Film mit masochistischen und ekelerregenden Szenen zur Schau gestellt. Menschen schauen diesen Film, um an dieser Metamorphose und Befreiung teilzunehmen.

Doch zurück zum Neinsagen. Die erste Regel des Fight Clubs lautet: »Ihr verliert kein Wort über den Fight Club.« Eines Tages findet Ruperts nervender Vorgesetzte im Kopierer einen Ausdruck dieser Regeln und konfrontiert ihn damit. »Gehört das Ihnen?«, fragt er fordernd. Verunsichert kriegt Rupert keine Antwort zusammen. »Nehmen wir an, Sie wären ich [...]«, hakt der Boss nach, »und Sie finden das. Was würden Sie tun?« Nun lehnt sich Rupert zurück und schaut seinem Chef in die Augen: »Ich würde mir ausgesprochen gut überlegen, wen ich darauf anspreche [...]«, beginnt er. Mit beharrlichem Blick schildert er ein unheimliches Mordszenario im Büro, während er aufsteht, auf seinen Chef zugeht und ihm schließlich das Papier aus der Hand reißt. Nüchtern sagt er: »Vielleicht wär’s besser, wenn Sie nicht jeden Mist, der Ihnen unterkommt, zu mir schleppen.«

Das ist mitunter die beste Lektion in Sachen Neinsagen, der ich bis heute begegnet bin. Verstehen Sie mich bitte richtig: Das ist Hollywood. Diese Art, Nein zu sagen, ist alles andere als ideal im Alltagsleben der meisten Menschen. Schließlich wollen wir unser Arbeitsund Beziehungsleben durch gekonntes Neinsagen verbessern. Die »richtige« Art, Nein zu sagen, ist kontextabhängig. Punkt ist, diese Szene zeigt Rupert als Gewinner im Alltag. Mehr noch: Es ist ein wichtiger Sieg, ein Wendepunkt in seinem Arbeitsleben. Rupert gelingt es, die Schulddiskussion und die nervige Büropolitik zu unterbinden. Mit dieser Szene beginnt er, damit aufzuhören, die Spießigkeit seines Chefs zu tolerieren; er beginnt, damit aufzuhören, sich seinem Chef unterzuordnen; er beginnt, damit aufzuhören, sich selbst zu vernachlässigen. Er ist voll und ganz bei sich und hat damit eine ganz neue Autorität über sein Leben gewonnen. Sich für seine direkte und klare Ansage bei seinem Chef zu entschuldigen, kommt für ihn zudem nicht einmal ansatzweise infrage.

Es gibt eine englische Redewendung, in der diese selbstbewusste Einstellung schön zum Ausdruck kommt: Sorry, not sorry. Zu Deutsch: Tut mir leid, aber dafür entschuldige ich mich nicht! Sorry, not sorry vermittelt: »Es gibt hier nichts zu diskutieren. Wenn du jemanden beschuldigen willst, dann bring die Schuld woanders hin.«

DIE SIEBEN PRINZIPIEN DER PRODUKTIVITÄT

Nun, da das Thema Gewinnen und Verlieren geklärt ist, wollen wir uns noch einem weiteren wichtigen Thema zuwenden, bevor wir den Anstieg beginnen: Produktivität.