NINO DE ANGELO

GESEGNET UND VERFLUCHT

NINO DE ANGELO

GESEGNET UND VERFLUCHT

Dein Gegner bist immer du selbst

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

Originalausgabe

3. Auflage 2021

© 2021 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Unter Mitarbeit von Mario Weidemann

Lektorat: Christiane Geldmacher

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

Umschlagabbildung: Franz Schepers / Sony Music Entertainment Germany GmbH

Layout und Satz: Andreas Linnemann

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN Print 978-3-96775-032-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96775-033-1

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96775-034-8

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Dieses Buch ist für all die wunderbaren Frauen da draußen. Sie zeigen uns den Himmel und sie schicken uns in die Hölle.

INHALT

VORWORT

KAPITEL 1

Zurück ins Leben

… oder einmal Hölle und retour!

KAPITEL 2

Plötzlich Millionär

Von der Pianobar zur Chartspitze

KAPITEL 3

Meine Kindheit

Ein Leben, das nicht mir gehörte

KAPITEL 4

Let it snow!

Wie mich die Koks-Lawine überrollte

KAPITEL 5

Das Grand-Prix-Desaster

Der Tag, an dem ich Dieter Bohlen aus der Limousine warf

KAPITEL 6

Dieser verfluchte Krebs

Ein Anruf, der alles veränderte

KAPITEL 7

Raus aus dem Schatten

Von »Tabaluga« bis »Big Brother«

KAPITEL 8

Freunde, die dir aus der Scheiße helfen

Ein letztes Lied für Ucki

KAPITEL 9

Fresse, Presse!

Eure Lieblingszielscheibe schießt zurück

KAPITEL 10

Heute

Die Zeit heilt alle Wunden

EINES NOCH …

VORWORT

Ich muss gestehen, dass ich manchmal meine Freunde beneide, die gegangen sind. Sie müssen sich nicht mehr mit all dieser irdischen Kacke herumschlagen, die wir hier unten Tag für Tag erleben. Ich habe mein Leben lang nie verstanden, was der da oben mit mir vorhat. Immer dann, wenn es aufwärts ging und ich dachte: »Jetzt läuft’s!«, kam der nächste Dämpfer. Wie so ein Faustschlag aus dem Nichts, der einen brutal und ohne Vorwarnung niederstreckte. Trotzdem bin ich immer wieder aufgestanden. Mein Vater hat mir beigebracht, niemals aufzugeben. Er sagte: »Such dir etwas, das dir Halt gibt, und zieh dich daran raus aus dem Dreck.« Dieser Halt ist meine Musik.

Wenn ich über mein Leben nachdenke, dann wäre es unfair, mich zu beschweren. Ich bin so oft durch die Hölle gegangen, dass es für drei Leben reichen würde, aber ich wurde gleichzeitig auch beschenkt. Ich verdiente Millionen, fuhr Porsche und Ferrari, hatte eine Finca auf Mallorca. Und dennoch war ich zwischendurch so arm, dass ich mir nicht mal was zu essen leisten konnte. Ich hatte Freunde, die auf mich aufpassten, mich immer wieder aus der Scheiße zogen. Und ich hatte »Freunde«, die mich zuvor in genau diese Scheiße geritten hatten.

Obwohl ich es längst besser wissen müsste, bin ich jemand, der schnell vertraut. Vielleicht zu schnell. Ich glaube an das Gute im Menschen. Das mag ein Fehler sein, wie es die Vergangenheit zu oft gezeigt hat. Aber das macht mich nun mal aus. Viele mögen mich als naiv und leichtgläubig belächeln, und wahrscheinlich bin ich das auch. Vielleicht würde ich heute tatsächlich anders im Leben stehen, wenn ich in manchen Situationen mehr ein Arschloch gewesen wäre. Aber ich habe genug schlechte Menschen kennengelernt und ich bin froh, sagen zu können, dass ich nicht dazugehöre.

Ich bin überzeugt, dass einige im Vorfeld erwartet haben, dass ich in diesem Buch zum Rundumschlag aushole, so wie es in Biografien häufig gehandhabt wird. Aber ich bin kein Typ, der nachtritt. Erst recht nicht gegen die Menschen, die mir mal nahestanden. Ich war viermal verheiratet, habe mich viermal scheiden lassen. Geschichten darüber gibt es zur Genüge, doch nicht in diesem Buch. Denn diese Frauen waren mal Teil meines Lebens. Jetzt sind sie es nicht mehr und sie haben ein Recht auf ihre Ruhe. Das bin ich ihnen schuldig.

Dieses Buch bin ich. Das ist mein Weg, mit all seinen Stolpersteinen. Meine Tattoos auf den Händen beschreiben diesen verrückten »Trip des Lebens« wohl am besten. Auf meiner rechten Hand habe ich mir das Wort »Blessed« tätowieren lassen, auf meiner linken Hand das Wort »Cursed«. Eben: gesegnet und verflucht!

KAPITEL 1

ZURÜCK INS LEBEN

… ODER EINMAL HÖLLE UND RETOUR!

Das Ganze dauerte keine fünf Minuten. Von meiner Entscheidung, mich umzubringen, bis zu diesem Moment, als ich mit dem Springseil meines Sohnes auf dem Glastisch im Wohnzimmer stand. Das Seil hatte ich über mir um einen Balken an der Decke gelegt, danach eine Schlinge um meinen Hals gezogen. Ich tat das wie in Trance. Es gab keinen Abschiedsbrief. Keine letzte Umarmung für meine beiden Kinder. Keine entschuldigenden Worte an meine damalige Frau, oder gar den Versuch einer Erklärung, dass sie ohne mich doch sowieso besser dran seien. Nichts. Nur diesen einen Entschluss, das Seil und den Tisch. Man sagt, dass in so einer Situation das ganze Leben an einem vorbeirausche, wie in so einem Film. Aber das ist Bullshit. Ich spürte nur diese verdammte Leere. Mir war zuvor schlagartig bewusst geworden, dass ich nicht nur meine Frau verloren hatte, sondern meine gesamte Familie. Dass ich zu einer untragbaren Belastung geworden war. Ballast wirft man am besten über Bord, heißt es. Also schloss ich die Augen, atmete ein letztes Mal tief durch und trat einen Schritt nach vorne …

Meine erste Ehe war zu diesem Zeitpunkt längst kaputt gewesen. Wir wollten es uns nur nicht eingestehen. Wir hatten unsere Kinder, das Haus. Wir hatten viel Gutes erlebt, aber auch jede Menge Mist. Zu viel Mist. Meine Ex hatte immer wieder mit dem Gedanken gespielt, sich von mir zu trennen. Sie war es einfach leid, mir beim Saufen zuzusehen oder wie ich von einem Drogentrip zum nächsten rauschte. Ich war damals ziemlich heftig unterwegs. Dass ich Mitte der Neunziger gemeinsam mit Peter Maffay auf »Tabaluga«-Tournee ging, sollte uns zumindest eine kurze Verschnaufpause verschaffen. Wir hatten uns vor meiner Abreise mit einem riesigen Streit verabschiedet, aber danach war ich erst einmal drei Monate weg und die Wogen konnten sich ein bisschen glätten. Ich hegte sogar die leise Hoffnung, dass sie mir ein letztes Mal verzeihen würde. Auch wenn ich insgeheim wusste, dass mein Verhalten nicht mehr zu verzeihen war. Als ich wieder zu Hause war, standen wir vor den gleichen Problemen wie vor meiner Abreise. Und wäre nicht meine Krebsdiagnose dazwischengekommen, hätte sie sicherlich schon die Scheidung eingereicht.

Ich war gerade 32 Jahre alt, als es hieß: »Sie haben Lymphdrüsenkrebs.« Glückwunsch! Da werden selbst die größten Eheprobleme plötzlich klein und nebensächlich. Es kam das volle Programm: Bestrahlung, Kotzen, Schmerzen. Das einzige Tröstliche war, dass meine Frau und ich durch die Krebserkrankung noch einmal zueinander gefunden haben. Sie stand mir bedingungslos bei, wie ein unerschütterlicher Fels in der Brandung. Doch auch wenn ich ein Jahr später diesen Feind in meinem Körper besiegt hatte, stand ich letztendlich als Verlierer da. Ich wusste, dass ich meine Frau gehen lassen musste. Dass meine Ehe gescheitert war. Und meine Frau wusste es auch. Sie war während der Monate der Behandlung zu meiner Krankenschwester und Seelentrösterin geworden, aber sie war eben nicht mehr meine Frau. Ich bin mir sicher, dass von ihrer Seite zwar noch Liebe da war, aber eben nicht mehr genug, um daran festzuhalten.

Sie suchte sich damals Rat bei einem Eheberater oder Psychologen, ich weiß es ehrlich gesagt nicht mehr genau. Sie ging dort heimlich hin. Ich erfuhr erst davon, als sie mit unserer Situation nicht mehr zurechtkam und mir sagte, dass sie mich verlassen muss. Ich mache ihr bis heute keinen Vorwurf. Sie hat sich unsere Trennung wahrlich nicht leicht gemacht. Ich weiß noch, wie ich sie angefleht hatte, bitte nicht zu gehen. Aber sie hatte keine Wahl. Ich ließ ihr keine Wahl. Wenn sie bleiben würde, dann würde sie meinen Lebenswandel tolerieren, sagte sie. Dann sei sie eine Co-Süchtige, die mir helfe, meine Sucht zu dulden und sie in der Öffentlichkeit zu verschleiern. Das wolle sie nicht. Letztlich war es der Psychologe, der ihr zur Trennung riet. »Man muss ihn einfach fallen lassen«, erklärte er. Fallen lassen.

Vielleicht hatte ich genau deswegen den Strick gewählt. Es gibt schier unzählige Möglichkeiten, sich aus dem Leben zu verpissen. Autoabgase, Schlaftabletten, eine Überdosis. Manche rasen auch mit 250 Sachen gegen einen Baum. Aber sich erhängen? Heute weiß ich, dass ich wirklich fallen wollte. Weil ich dachte, ich hätte es verdient.

Und so griff ich an jenem besagten Morgen zu dem Springseil meines Sohnes.

Dabei hatte ich ja gerade erst den Krebs besiegt und hätte vor Lebenslust nur so sprühen müssen. Doch wenn du weißt, dass dich deine Frau verlassen und dass sie deine Kinder mitnehmen wird, versaut dir das ganz schnell die gute Laune. Bereits vor diesem Tag hatte uns die Vergangenheit eingeholt. Ich war längst in alte Verhaltensmuster zurückgefallen, hatte wieder angefangen zu trinken und mir jede Nacht mit meinen Kumpels um die Ohren gehauen. Frustsaufen vom Feinsten. So wie auch an diesem Morgen, als ich erst gegen acht Uhr nach Hause gekommen bin. Ich hatte mich absichtlich noch eine Weile bei einem Freund auf der Couch herumgedrückt, um zu warten, bis die Kinder in der Schule waren. Ich wollte nicht, dass sie mich in dem Zustand sehen. Das wollte ich nie. Es war kein schöner Anblick, dem eigenen Vater besoffen, angebimmelt und zugekokst zu begegnen. Meine Ex kannte diesen Anblick dafür zur Genüge. Und sie hasste es!

Da stand ich also vor ihr, voll auf Drogen und ziemlich heftig neben der Spur. Und es passierte, was passieren musste: Sie flippte aus! Meine Ex-Frau war niemals glücklich darüber gewesen, wenn ich mit Alkohol oder gar Kokain über die Stränge schlug. Ich weiß nicht, wie oft sie mich tränenüberströmt bekniet hat, bitte davon loszukommen. Aber dass ich mich nach meiner überstandenen Krebserkrankung so verantwortungslos selbst zerstörte, dafür hatte sie null Verständnis. Sie tobte und schrie. Sie warf mir vor, dass ich für alle nur eine Belastung sei, wenn ich so weitermache. An den Streit an sich erinnere ich mich nicht genau, dafür war ich zu sehr im Nebel. Aber ihre Worte: »Du bist eine Belastung« hämmerten sich in mein Gehirn.

Nach diesem Streit ist meine Ex im Bad verschwunden und ich saß alleine im Wohnzimmer. Zuerst starrte ich nur wie versteinert ins Leere. »Ich bin eine Belastung«, schoss es mir wieder und wieder durch den Kopf. Dann sah ich den schweren Holzbalken an der Decke und wusste, was zu tun war: »Ich mache dem Ganzen ein Ende. Punkt!« Ich wollte für meine Familie, die ich über alles liebe, keine Belastung sein. Nie wieder. Ich wollte einfach vom Erdboden verschwinden. Das berühmte Loch graben, in dem man versinkt. In diesem Moment musste ich mir schmerzlich eingestehen, versagt zu haben. Ich hatte es nicht geschafft, von den Drogen loszukommen, trotz meiner Therapien. Nicht geschafft, meine Ehe zu retten. Ich war am absoluten Tiefpunkt. Orientierungslos irrte ich durch sämtliche Räume, durch die Küche, den Flur, durchs Kinderzimmer. Im Zimmer meines Sohnes lag dann dieses weiße Springseil mit den bunten Holzgriffen. Kurzerhand nahm ich es, dachte an den Balken, und stellte mich auf den Wohnzimmertisch. Es war ein Glastisch aus grünem Milchglas, ein Designertisch. So würde ich wenigstens mit Stil abtreten. Ich machte das Seil fest, legte es mir um den Hals, drehte mich um die eigene Achse … und ließ mich fallen. Dann wurde mir schwarz vor Augen.

Dass ich überhaupt noch lebe, verdanke ich meiner damaligen Frau. Ob es Zufall war oder Schicksal, dass meine Ex genau rechtzeitig aus dem Badezimmer kam, das frage ich mich noch heute. Sie war stinksauer auf mich, warum also sollte sie nach mir sehen? Noch hatte ich trotz der Kurzschlussreaktion sicherlich nicht so viel Lärm gemacht, als dass sie mich hätte hören können. Auch ist es mir im Nachhinein ein Rätsel, wie sie es schaffte, so schnell das Seil durchzuschneiden. Es sollte wohl so sein. Das Nächste, was ich gespürt habe, waren zwei dumpfe Schläge. Den ersten Schlag, als ich mit dem durchschnittenen Seil mit dem Kopf auf die Tischplatte krachte, den zweiten, als ich damit auf den Boden kam.

Und endlich kam die Luft zurück. Ich lag auf dem Boden mit weit aufgerissenen Augen und schnappte mit einem Aufschrei wieder nach Luft. Anfangs panisch hechelnd, dann wurde meine Atmung tiefer. Je mehr die Panik verschwand, desto mehr bekam ich Luft. Wie knapp ich dem Tod entgangen war, wurde mir erst später bewusst, als ich an mir runtersah und merkte, dass ich mich vollgepinkelt hatte. Ich habe später erfahren, dass das normal ist. Dass mit dem Tod sich sämtliche Körperöffnungen entleeren. Ich war wirklich schon halb im Jenseits gewesen. Wäre meine Frau wohl ein paar Sekunden später gekommen, ich wäre mit Sicherheit nicht mehr aufgewacht.

Meine Frau war, welche Überraschung, sauer. Sie war sogar sehr sauer. In ihren Augen konnte ich kein Mitleid erkennen oder gar Sorge um mich, sondern nur blinde, verständnislose Wut. Sie schickte mich unter die Dusche und erklärte mit Worten, die keine Widerrede zuließen, dass ich das Chaos beseitigen solle, bevor die Kinder nach Hause kommen. Sie bräuchten das nicht zu erfahren. Wir haben das tatsächlich niemandem erzählt. Nur meine Frau und ich wussten von dem Vorfall. Sowieso war meine Ex stets darauf bedacht, den guten Schein nach außen zu wahren. Hauptsache Friede, Freude, Eierkuchen herrschte im Hause Angelo. Alles, was ansatzweise nicht in Ordnung war, wurde hinter verschlossenen Türen geregelt. Trotz höllischer Kopf- und Halsschmerzen bin ich genau deshalb nicht zu einem Arzt gegangen, aus Angst, er würde den Selbstmordversuch sofort erkennen. Die typischen Striemen am Hals waren unverkennbar. Suizidversuche werden der Polizei gemeldet. Dann wäre es unmöglich gewesen, die Sache zu vertuschen. Also blieb ich zu Hause, trug Schal und Halstuch. Und ich versuchte, mir vor den Kindern nichts anmerken zu lassen. Das war das Schwierigste.

In den folgenden Tagen fiel es mir nicht leicht, in den Spiegel zu schauen. Ich konnte jedem auf der Welt etwas vormachen, aber dein Spiegelbild lügt nicht. Meine Wunde am Hals zeigte mir auf brutalste Art und Weise, was ich gemacht hatte. Dass aus einer Kurzschlussreaktion ein Suizidversuch geworden war. Dass ich eigentlich hätte tot sein müssen. In diesem Moment wurde mir klar, dass mein Leben so nicht weitergehen konnte. Und mir war bewusst, dass ich meinen weiteren Weg erst einmal alleine gehen musste. Dass sich meine Ex nach dieser Aktion von mir trennen würde. Die Nummer war zu viel für sie. Falls vor meinem Suizidversuch ein Rest Nähe zwischen uns gewesen war, war davon nichts mehr zu spüren. Durch meine Dummheit hatte sie sich unendlich weit von mir entfernt und jeglichen Respekt vor mir verloren. Kurz darauf folgte der offizielle Schlussstrich. Die klassische Schuldfrage haben wir uns nie gestellt, weil es ganz offensichtlich war, wer das Ehe-Aus verursacht hat. Ich habe mir eine Wohnung gesucht und bin ausgezogen.

Ich habe lange mit mir gehadert, ob ich diese Geschichte überhaupt so detailliert erzählen soll, ob das nicht zu demütigend oder zu entwürdigend ist. Aber genau dieser Fall, dieser tiefste Punkt in meinem Leben, ließ mich letztlich erkennen, was es bedeutet, leben zu dürfen. Ich war bereit, mich dieser zweiten Chance zu stellen, mit allen Konsequenzen, die da auf mich zukommen würden. Ich habe mir gesagt: »Okay, da musst du durch. Du kannst dich nicht einfach vom Acker machen.« Das wäre natürlich am leichtesten gewesen, aber ich habe mich dann entschieden zu leben, egal was kommt.

Vor allem, weil es schon das zweite Mal war, dass mir das Schicksal eine zweite Chance geschenkt hatte. Nämlich 14 Jahre zuvor, mit 19, als ich meinen weißen Porsche mit Vollgas und Leichtsinn ins Jenseits befördert hatte, und mich beinahe mit. Es war 1982. Ich hatte gerade mit »Ich sterbe nicht nochmal« meinen ersten großen Hit in den Top 20 der Charts gelandet und fühlte mich schon wie ein kleiner König. Und was machst du, wenn du 19 bist und auf einmal einen Haufen Geld hast? Richtig, du erfüllst dir deinen Traum. Ich habe mir seit jeher einen Porsche gewünscht. Ich weiß noch genau, wie ich ein Jahr zuvor – also mit 18 – bei einem Porschehändler vor dem Schaufenster stand und mir die Nase an der Scheibe platt gedrückt habe. Damals schien es mir unendlich fern, jemals einen solchen Wagen fahren, geschweige denn kaufen zu können. Ich wusste nur eines: »Eines Tages werde ich so ein Auto haben.« Das war mein Ziel. Und als schließlich das erste Geld aufs Konto flatterte, bin ich direkt los und besorgte mir einen gebrauchten 911er in strahlendem Weiß für damals 50 000 DM. Ich erinnere mich noch genau, wie ich mit dem Zug nach Bonn gefahren bin, mit einer Tasche voller Geld. Es war ein privater Verkauf, aus erster Hand. Zurück nach Köln bin ich dann das erste Mal Porsche gefahren. Es war ein Gefühl wie fliegen.

Dass ein Porsche nicht unbedingt das passende Fahrzeug für einen Fahranfänger ist, hätte ich mir denken können. Diese Schnelligkeit, die direkte Lenkung. Ein Porsche reagiert blitzschnell, aber er verzeiht keine Fehler. Diejenigen in meinem Bekanntenkreis, die selbst einen Porsche fuhren, hatten mich davor gewarnt. Aber wer nicht hören will, der muss fühlen. Manchmal auf die schmerzhafte Tour. So wie eben in jener Nacht am 24. September. Ich war auf dem Rückweg nach Köln von einem Discotheken-Auftritt in Herne. Es war morgens um drei, die Straßen waren leergefegt, ich dagegen noch völlig aufgekratzt von meinem Konzert. Im Tunnel der Stadtautobahn in Köln ist es dann passiert. Was soll ich sagen: Mir ist bei 250 Sachen das Talent ausgegangen! Vor mir lag eine leichte Kurve, die ich im Rennfahrerstil meistern wollte. Von rechts außen nach links innen. Schön mit Vollgas, bei angeschlagener Tachonadel. Easy going, wenn dir die Autobahn alleine gehört. Doch plötzlich tauchte vor mir auf dem Mittelstreifen ein anderes Fahrzeug auf, irgend so ein Golf war das. Genau dann, als ich nach innen ziehen wollte. Also musste ich gezwungenermaßen auf der Außenspur bleiben und ihn zuerst überholen. Mit 250 Sachen wohlgemerkt. Hätte ich die Nerven behalten und tapfer weiter aufs Pedal gedrückt, wäre nichts geschehen. Dann wäre ich wie ein weißer Pfeil um diese Kurve geschossen. Doch mit 19 fehlt dir diese Coolness. In dem Moment, als ich, nach außen abgedrängt, die Fahrbahnbegrenzung berührte, bekam ich Panik – und bin daraufhin voll in die Eisen gestiegen. Ein Kardinalfehler in einem Porsche. Wer bremst, verliert. Das trifft auf Porsche-Fahrer besonders zu. Kaum stand ich auf der Bremse, brach das Heck aus. Das Auto drehte sich mehrfach, schlug links und rechts in die Leitplanke ein. Ganz ehrlich, ich dachte: »Das war’s!« Ich weiß noch, wie ich das Lenkrad mit beiden Händen umklammert habe, mich geduckt habe und mit dem rechten Bein auf der Bremse und mit dem anderen auf der Kupplung stand. Aber dieses Auto kam einfach nicht zum Stehen. Bis es sich schließlich in der Leitplanke verkeilte. Zeugen berichteten später von einem ohrenbetäubenden Knirschen. So wie es eben klingt, wenn ein Sportwagen in wenigen Millisekunden zu einem Blechknäuel zusammengedrückt wird. Alles an diesem Porsche war Schrott. Die Motorhaube weggerissen, der Kotflügel zerfetzt, die Fahrertür ins Wageninnere gedrückt. Allein die Bremsspur zog sich über 200 Meter. Einer dieser Horrorunfälle, die bei jedem Autofahrer für Gänsehaut sorgen. Weil man so einen Crash schlicht nicht überlebt. Aus so einem Wrack wird man tot geborgen. Vom Sportwagen direkt in den Leichenwagen.

Doch nicht in dieser Nacht.

Aus meiner Fahrertür kam ich nach dem Unfall nicht heraus, die war komplett zertrümmert, darum bin ich aus der Beifahrertür rausgeklettert. Äußerlich völlig unverletzt. Und das, obwohl ich nicht mal angeschnallt gewesen war. Zu dieser Zeit gab es nämlich noch keine Anschnallpflicht. Der Taxifahrer, der diesen Unfall als nachfolgendes Auto live miterlebte und anschließend die Polizei alarmierte, sprach von einem »Wunder«. Einen Krankenwagen wollte ich nicht, ich hatte gesagt, es gehe mir gut. Ich machte auf dem Revier brav meine Aussage, ließ mich nach Hause fahren und fiel völlig erschöpft ins Bett. Am nächsten Tag wurde ich natürlich eines Besseren belehrt. Mir ging es nämlich überhaupt nicht gut. Ich fühlte mich, als ob ich verprügelt worden war. Ich hatte eine verdammt starke Schädelprellung, weil ich mit meinem Kopf das Seitenfenster von meiner Tür eingeschlagen habe. Also, ich muss da mehrere Male dagegen geknallt sein, bis die Scheibe gebrochen war. Dazu taten mir sämtliche Knochen weh.

Wie viel Schutzengel ich in dieser Nacht an meiner Seite hatte, wurde mir erst klar, als ich mir das Auto bei Tageslicht ansah. Mein Porsche war abgeschleppt worden und stand wie ein zerbeultes Elend auf dem Parkplatz einer Werkstatt. Sogar das Lenkrad war verbogen, genau wie die Pedale. Mein Porsche hatte einen Restwert, besser gesagt einen Schrottwert, von 6000 DM. Eine Woche zuvor hatte ich noch 50 Riesen dafür geblecht. Man kann sich nicht vorstellen, wie zertrümmert dieses Auto war. Ich weiß bis heute nicht, warum ich in dieser Nacht nicht draufgegangen bin. Wieso andere bei so einem Unfall sterben und ich nicht mal eine Platzwunde davontrug.

Umso mehr feierte ich mein Überleben wie einen zweiten Geburtstag. Mir wurde klar, dass das Leben jeden Tag zu Ende sein kann. Also fing ich an, eben jeden Tag so zu feiern, als wäre es in der Tat mein letzter. Ich beschloss, das Leben fortan zu genießen, in vollen Zügen. Dass die Feierei mir eines Tages zum Verhängnis werden sollte, ahnte ich damals noch nicht. Wie auch? Ich fühlte mich unbesiegbar.

Und ich war unbelehrbar. Kaum wurde der Porsche in Zahlung gegeben und mir zudem der Restwert von der Versicherung erstattet – ich war zum Glück vollkaskoversichert – kaufte ich mir den nächsten Porsche 911. Wieder in Weiß. Und wieder ging’s nur ein paar Tage später mit Karacho über die Autobahn, dieses Mal nach Hamburg. Ich war dort mit meinem Produzenten verabredet für die Aufnahmen von »Jenseits von Eden«, beziehungsweise für den Song, der später »Jenseits von Eden« heißen sollte. Wir hatten das Demotape von Drafi Deutscher bekommen, allerdings auf Englisch. »Guardian Angel« hieß das Lied. Wir trafen uns in Hamburg, um die deutsche Version aufzunehmen. Einen Text hatten wir noch nicht. Und als ich mit meinem neuen Porsche um die Ecke kam, meinte mein Produzent Joachim Horn nur kopfschüttelnd: »Junge, du fährst dich irgendwann noch tot mit diesen Raketen. Dann endest du wie James Dean.«

James Deans größter Filmerfolg hieß »Jenseits von Eden«.

Die Parallelen zwischen James Dean und mir waren damals wahrlich erschreckend. James Dean war 24, als er sich mit seinem silbernen Porsche 550 Spyder aus dem Leben schoss. Ich war bei meinem Unfall nur unwesentlich jünger. Er hatte mit »Giganten« seinen Kinohit abgedreht, ich mit »Ich sterbe nicht nochmal« meinen ersten Hit gelandet. Er war zu schnell. Ich war zu schnell. Sein Porsche war ein Wrack, meiner ebenso. Aber er starb, ich lebte weiter. Dennoch ließ mich dieses Bild nicht mehr los. Gemeinsam mit Joachim Horn schrieb ich dann den Text zu »Jenseits von Eden«.

Lass uns jeden Tag das Leben endlos spüren.

Und uns niemals uns’re Ehrlichkeit verlieren.

Wenn uns gar nichts mehr zusammenhält,

verlöscht vielleicht das letzte Licht der Welt.

In dem Moment, als wir diesen Song fertig hatten, wussten wir alle: Wir haben einen Riesenhit. Der Song, der Text und meine Stimme – das passte. Es war glasklar, dass das funktionieren würde.

Am 21. November 1983 stieg ich mit »Jenseits von Eden« in die Charts ein, acht Wochen später war ich damit in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Platz 1. Ich bin damals gegen die Neue Deutsche Welle und gegen Nena angerannt und hab alles platt gewalzt. Es war nicht einfach ein Erfolg, es war ein Mega-Erfolg. Heute weiß ich: Es war sogar mein größter Erfolg. Denn danach ging es nur noch bergab. Die pure Ironie des Schicksals. Der Porsche konnte mich nicht umbringen. Das Springseil meines Sohnes auch nicht. Selbst der Krebs besiegte mich nicht. Nur das Leben selbst prügelte mich von diesem Tag an windelweich. Und das gefühlt täglich.

KAPITEL 2

PLÖTZLICH MILLIONÄR

VON DER PIANOBAR ZUR CHARTSPITZE

Der Jazz hat in Köln eine lange Tradition. Ende der Siebziger gab es unglaublich charmante Pianobars, in der jede Menge großartige Künstler auftraten. Hier ein Flügel in der Ecke, dort ein paar Loungemöbel, schummriges Licht, qualmende Zigaretten, Aschenbecher. Es war eine geile Zeit für Künstler. Vielleicht die schönste Zeit überhaupt. Weder wurde Musik gestreamt noch gab es Handys. Wer gute Musik hören wollte, ging in eine Pianobar. Ich war damals 15 und hatte von der Musikszene keine Ahnung. Ich wusste nur, dass ich singen kann und singen will. Allerdings wurde ich von den Besitzern anfangs nur belächelt und vertröstet. »Wenn Pause ist, dann reden wir mal darüber«, hieß es. Ernst genommen hatte mich damals niemand. Und ich kann es ihnen ja nicht mal verdenken. Ich meine, da steht so ein schmächtiger Italiener, mehr Kind als Mann, und will in einem Nachtclub singen. Ich hätte mich wohl auch weggeschickt.

Meinen ersten Auftritt hatte ich schließlich in einem persischen Restaurant namens »Caspian«. Ich war zwar dankbar, dass ich überhaupt vor Publikum singen durfte. Aber ich wusste, dass es mehr geben muss als eine Bühne zwischen Kabab-Spießen und Safranreis. Ich war ehrgeizig und ich hatte wirklich was drauf, trotz meines jungen Alters. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und bin eines Nachmittags in die Pianobar namens »Le Grec« gegangen. Das war so ein neuer Laden in der Altstadt von Köln, auf den Ringen, nicht mal einen Kilometer von »Der Taste« entfernt. Ich weiß noch, dass dort im »Le Grec« ein wahnsinnig guter Pianist spielte. Er hieß John Fisher und kam aus den USA. Ich fand das damals so geil, einen echten Ami kennenzulernen. Ich kam ja ursprünglich aus einer Kleinstadt namens Bretten bei Karlsruhe und dieser Typ eben aus den Staaten. Was für Welten! Fisher war witzig und ein bisschen spießig. Und er war ein Genie am Klavier. Also bin ich während den Proben hin und habe ihm etwas vorgesungen. Fisher war total begeistert und hat mich sogleich für denselben Abend eingeladen. Er meinte: »Komm vorbei, und zeig allen, was du kannst.«

Zu dieser Zeit trat in der Pianobar auch ein gewisser Andrew Freddie Thomas auf. Damals noch völlig unbekannt, erst später startete er mit dem Trio »Bad Boys Blue« durch. Andrew hatte die Band mit John McInerney und Trevor Taylor gegründet. Und dieser Typ war schon eine Erscheinung. Ein hipper Afroamerikaner mit Vollbart und Dreadlocks. Bei ihm schwang bei jedem Satz dieses »New-York-Broadway-Feeling« mit. Er rockte den Laden mit Songs wie »Hit the Road, Jack«. An unser erstes Gespräch erinnere ich mich noch, als wäre es gestern.

Er zu mir: »What the hell do you want here?«

Ich: »Ich möchte singen!«

Er zu mir: »I’m a professional singer.«

Ich: »Ja, angenehm!«

Ich muss heute noch über diese skurrile Szene lachen. Da stand dieser gestandene Mann vor mir halbem Kind und machte einen auf dicke Hose, so nach dem Motto: »Ich bin hier der Profi und du bist ein Nichts.« Dass ich an diesem Abend dennoch auftrat, hat ihm ganz und gar nicht gepasst. Zuerst war er dagegen, weil er dachte, ich würde ihm die Show kaputt machen. Danach war er dagegen, weil er Angst hatte, ich würde ihm die Show stehlen. Oder ihm sogar seinen Job wegnehmen. Zu Recht, denn es gab Standing Ovations. Wäre ich damals älter gewesen, hätte ich mich nach diesem Abend von Andrews Konkurrenzgehabe sicherlich nicht vertreiben lassen. Aber wie gesagt, ich war ein halbes Kind und ich wollte keinen Ärger. Darum überredete ich John Fisher, mit mir in die »Taste« zu gehen. John hatte jede Menge Beziehungen und kannte zudem den Pianisten Moshe Fleisher.

Ein paar Tage später sind wir also gemeinsam zur »Taste« rüber. Man muss wissen, dass die »Taste« nicht einfach nur eine Pianobar war – es war DIE Musikbar schlechthin. Ein edles Schickimicki-Lokal voll mit Prominenz. Jeder, der in der Musik- und Fernsehbranche etwas zu sagen hatte, verkehrte dort. Es war ein Sehen und Gesehenwerden. John sprach direkt mit dem Pianisten und überredete ihn, mich wenigstens ein Lied singen zu lassen. Quasi als eine Art Gefallen aus Freundschaft. Irgendwann gab Moshe nach, nickte in meine Richtung und seufzte. Er hatte keine Ahnung, was ihn da erwartete. Kurz darauf war es soweit: Ich hatte meinen ersten Gig in der »Taste« – begleitet von John Fisher. Mit 15 Jahren. Das war der Hammer. Ich habe noch heute Gänsehaut, wenn ich daran denke. Die Leute sind ausgeflippt. Damit nicht genug. Nach meinem Auftritt folgte der nächste Ritterschlag. Der große Moshe Fleisher klopfte meinem Pianisten auf die Schulter und sagte nur: »Hey, ab jetzt übernehme ich.«

Wer von beiden der bessere Pianist war, ist im Nachhinein schwer zu sagen. John war der typisch studierte Lehrbuch-Musiker, der jedes Lied aus dem Effeff beherrschte. Moshe dagegen spielte rein nach Gehör und Gefühl. Ich glaube, der kannte keine einzige Note. Dem musstest du nur eine Melodie ins Ohr singen und dann hat er das nachgespielt. Moshe war begnadet und eine richtige Rampensau. Bei unserem ersten gemeinsamen Auftritt machte er eine Riesenstimmung und ließ mich gar nicht mehr weg vom Mikrofon. Von da an habe ich fast jeden Abend in der »Taste« gesungen.

Ich denke sehr oft und sehr gerne an diese Zeit zurück. Die »Taste« wurde so etwas wie mein zweites Wohnzimmer. So oft es ging, stand ich dort auf der Bühne. Ich habe alles gesungen: englisch, deutsch und italienisch. Ob »Una festa sui prati« von Adriano Celentano oder »Jailhouse Rock« von Elvis Presley. Aber eben auch deutsche Songs wie die deutsche Version von »Crying in the Chapel« – »Du hast ja Tränen in den Augen«. Ich hatte damals noch die Gabe, dass ich nicht nur sehr tief singen konnte, sondern auch sehr hoch. Ich habe erst später erfahren, dass das nur den wenigsten Musikern gelingt.