1 Einleitung

Im Lauf der letzten Jahrzehnte habe ich (Kurt Buchinger) in vielen verschiedenen Beiträgen die Professionalisierung der Supervision dokumentiert und dabei immer wieder auch meine Erfahrungen als Hochschullehrer, Ausbilder, Lehrsupervisor und Organisationsberater einbezogen. Das vorliegende Buch stellt eine – auf Grundlage dieser Publikationen in dieser Form noch nicht existierende – aktualisierte Zusammenstellung der Entwicklungsgeschichte, Grenzen, Nachbarschaften und Professionalität von Supervision und Coaching auch in Bezug zur Organisationsberatung dar.

Beratende Tätigkeit ist in den letzten Jahren in Bewegung geraten. Im Lauf ihrer Professionalisierung haben sich ihre Anwendungsgebiete, Qualitätsstandards und Methoden ebenso wie die Nachfrage deutlich erweitert. Gelegentlich möchte man sich fragen, ob es nicht eine modische Tendenz gibt, alles, was im Rahmen beraterischer Tätigkeit nur möglich ist, dem Coaching und der Supervision zuzuordnen.

Damit hängt zusammen, dass sie sich nicht nur immer klarer als hoch differenzierte und komplexe Methode professioneller Selbstreflexion bestimmten beruflichen Handelns etablieren, sondern sich immer kecker als eigener Beruf ausgeben, den man in eigenständiger Praxis als hauptberuflicher Coach und Supervisor anbietet und ausübt.

Dementsprechend entstehen Berufsverbände, die es sich zur Aufgabe machen, professionelle Standards für die Ausübung von Coaching und Supervision festzulegen und zu kontrollieren, und die darüber hinaus bemüht sind, der Supervision neue Tätigkeitsfelder zu erschließen. Das alles geschieht in einer aggressiven Rührigkeit, die mehr an wirtschaftlichen Wettbewerb in einem heiß umkämpften Beratungsmarkt erinnert, als an die von professioneller Sorgfalt getragene Bemühung um die Fundierung, methodische und wissenschaftliche Absicherung bzw. Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung einer Beratungsform.

Immerhin, da das alles mit Erfolg und der entsprechenden Resonanz im Feld geschieht und in dieser Bewegung kein Ende abzusehen ist, muss es einem Bedarf entsprechen oder zumindest entgegenkommen – einem Bedarf, der sich laufend ausweitet und ausdifferenziert. Die explodierenden Ausbildungsangebote, die Feineinstellungen der Beratungsformen, die Abgrenzungs- und Integrationsbemühungen würden sonst ins Leere gehen.

Anhand einer Skizzierung der Entwicklung, welche die Supervision – auch in ihrer Relation zu Coaching, Organisationsberatung und im Kontext reflexiver Professionen – in den letzten Jahrzehnten genommen hat, werden in Kapitel 2 Hintergründe für den Boom von Supervision und Coaching aufgezeigt und einige Vermutungen über ihre Zukunft angestellt.

In Kapitel 3 werden die Professionalität und Standards von Supervision und Coaching umrissen sowie Kriterien für deren Qualität und Qualitätsmanagement beschrieben. Es erfolgt hierzu einleitend eine definitorische Eingrenzung. Zudem beleuchten wir die Besonderheiten der Beratungsformen, gehen auf die erforderlichen Kompetenzen – auch auf die relative neue Themenkompetenz – ein und benennen Kriterien für die erfolgreiche Suche nach einem Supervisor oder Coach1. Ergänzt wird dies durch die Darstellung der Rahmenbedingungen von Kontrakt und Setting sowie die Grenzen von Supervision und Coaching.

Der Fokus in Kapitel 4 ist auf die Institution und Organisation im Wandel gerichtet. Wir gehen zunächst auf den Prozess der Entinstitutionalisierung ein, der weitreichende Konsequenzen für die Beratung hat. Dann beschreiben wir verschiedene Phasen der Krise und Entwicklung von Organisation sowie die daraus resultierende Notwendigkeit zu einer veränderten Beratungshaltung und einem anderen Führungsverständnis: die Expertise des Nicht-Wissens. Dieses eher organisations- und beratungstheoretisch angesiedelte Kapitel hat höchste Relevanz für die Beratungspraxis. Denn die organisatorischen Entwicklungen wirken sich direkt auf Supervision, Coaching und Organisationsberatung aus. Sie verlangen, insbesondere von Berater/innen und Führungskräften, neue Kompetenzen und ein geändertes Organisationsbewusstsein. Am Beispiel von Coaching in Wirtschaftsunternehmen werden die genannten Prozesse für ein Beratungsfeld konkretisiert und die entsprechenden Anforderungen an und Funktionen von Supervision und Coaching eingegrenzt. Welche Relevanz der Wandel in Organisationen für Supervision und Coaching hat, wird anhand der Teamsupervision verdeutlicht.

Im 5. Kapitel wird das Verhältnis von Supervision und Coaching zu Methoden und Schulen erörtert. Dabei werden Nachbarschaften und Grenzen im Hinblick auf die Ausleihe der Methoden aus anderen Beratungsformen und „Schulen“ geklärt. Die Professionalität von Supervision und Coaching wird auch durch die schulenübergreifende Methodenvielfalt markiert. Die Bedeutung einzelner Schulen für Supervision und Coaching wird an den Beispielen der psychoanalytischen Konzepte und des systemischen Denkens veranschaulicht. Nebenbei werden Fragen des methodischen Vorgehens angesprochen sowie die Bedeutung der neuen Verfahren Dialog, Systemaufstellung und Mediation thematisiert.

Die Beratung von Menschen und sozialen Systemen verlangt die Entwicklung eines professionellen Selbstverständnisses und entsprechender Haltungen. Dabei treten Fragen in den Vordergrund, um die es im 6. Kapitel geht: Was ist das Gute in und an Beratung? Was will Beratung bewirken? Ist Beratung politisch?

Im 7. Kapitel wird Identität als thematische Herausforderung für Supervision und Coaching beleuchtet. Die Bedeutung von Identität im Kontext von beruflicher Tätigkeit wird zum einen begrifflich und thematisch skizziert. Des Weiteren wird auf die Bedeutung von Identität für die Supervision und für Supervisor/innen eingegangen.

Im 8. und letzten Kapitel wird der Fokus auf Geschlecht, Geschlechterverhältnisse und Genderkompetenz und deren Bedeutung in der Beratungspraxis gelegt.

Es wird auf theoretische Aspekte ebenso eingegangen wie begründet, inwiefern dieses relativ neue Thema in der Supervision, im Coaching und in der Organisationsberatung der Wahrnehmung und Berücksichtigung bedarf.

Wir haben in dem vorliegenden Buch also viele Themen miteinander verbunden bzw. bis dato kaum sichtbare Verbindungslinien gezogen. Leitziel ist es, die Professionalität von Supervision, Coaching und Organisationsberatung aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und Meilensteine und Wegweiser für Qualität und Qualitätsmanagement zu setzen.

Thematische Überschneidungen und Wiederholungen von Grundgedanken sind aufgrund der Entstehungsgeschichte des Buches unvermeidbar. Wir hoffen, dass dies durch die jeweils verschiedenen Perspektiven der einzelnen Kapitel weniger stört als bereichert. Zudem sind wir der Auffassung, dass Wiederholungen oft zu Unrecht als schlichte Redundanz bezeichnet und abgewertet werden: Erst die wiederholte Einsicht hat Auswirkungen auf das Verhalten (Corssen 2004).

Das Buch hat den Charakter eines Grundlagenwerkes und spricht Studierende, Ausbildungskandidat/innen und Forschende gleichermaßen an wie Personalentwickler/innen und Berater/innen.

Für uns beide war die Auswahl, Zusammenstellung und Überarbeitung der Texte eine Bereicherung.

Ich (Kurt Buchinger) hätte es ohne Frau Klinkhammer nicht geschafft, meine Texte in einen derart sinnvoll gegliederten Gesamtzusammenhang zu stellen, habe durch die Gespräche mit ihr viel Anregung zum Weiterdenken erhalten, die Kooperation genossen und bin sehr dankbar für die viele Arbeit, die sie investiert hat.

Ich (Monika Klinkhammer) wertschätze sehr die Vielfalt der in den letzten beiden Dekaden von Kurt Buchinger entwickelten Gedankengebäude, Konzepte und thematischen Schwerpunkte zu Supervision, Coaching und Organisationsberatung. Mir hat das Zusammenstellen, Überdenken und das gemeinsame Überarbeiten viele neue Einsichten vermittelt und viel Freude bereitet.

1 Wir verwenden in der Regel aus stilistischen und lesetechnischen Gründen die in unserer patriarchalisch geprägten Sprache übliche männliche Form eines Wortes, meinen damit jedoch dort, wo es Sinn macht, immer beide Geschlechter. Um daran zu erinnern, wählen wir an den wenigen Stellen, wo es den Lesefluss nicht stört, die männliche und weibliche Form.

2 Supervision, Coaching und Organisationsberatung: Geschichte, Entwicklungen und aktuelle Trends2

2.1 Entwicklung der Supervision und ihr Bezug zu Coaching und Organisationsberatung3

Wenn man eine Entwicklungslinie der Supervision zeichnen will, seitdem sie begonnen hat, sich als professionelle Methode zu etablieren, und dabei den Bezug zu Coaching und Organisationsberatung beleuchten möchte, so könnte man das wie folgt versuchen:

1. In den Blick geraten als eine professionelle Methode beruflicher Selbstreflexion ist Supervision im Zusammenhang mit der Entwicklung der sozialen Arbeit – weg von einer amtlich hierarchisch kontrollierenden Tätigkeit hin zu einer beratenden Profession. Und zwar hat sie zunächst als Ausbildungserfordernis deshalb Aktualität erlangt, weil mit diesem Wechsel des Schwerpunktes der Sozialarbeit die Arbeit mit den Klienten zum sensiblen Gegenstand methodisch-beraterischer Beziehungsgestaltung geworden ist, worauf später noch einmal differenzierter eingegangen wird. Vor allem die Reflexion eigener Persönlichkeitsanteile des Sozialarbeiters in der Gestaltung der beruflichen Beziehung, aber auch die Frage nach anschlussfähigen Interventionen in seiner Arbeit mit der Klientel verlangten, analog zu psychotherapeutischer Tätigkeit, der intensiveren Reflexion. Dementsprechend war die Orientierung an den verschiedenen Schulen der Psychotherapie in diesem Entwicklungsstadium der Supervision vorrangig, und sie widmete sich vor allem der Eigendynamik der Beziehung, aus der dieses berufliche Handeln in der Sozialarbeit bestand. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Bemühungen um die Professionalisierung der Supervision (noch lange nicht als eigenständiger Beruf, der seine Leistungen am freien Markt anbietet, wohl aber als Beratungsform, die einer eigenen Ausbildung bedarf) zunächst nur im Rahmen der Sozialarbeit zustande kamen – nicht im Bereich anderer Beratungsformen, zu deren Ausbildungserfordernissen immer schon die berufliche Arbeit des Kandidaten unter Supervision gehörte. (Weder in der psychotherapeutischen noch in der gruppendynamischen oder sonst einer beraterischen Ausbildung, zu der Arbeit unter Supervision gehört, wird von den Ausbildern eine Ausbildung in Supervision verlangt. Es ist zu vermuten, dass ein solches Erfordernis in der Supervisionsausbildung nur deshalb erfüllt wird, weil die Ausbilder, fast möchte man sagen: zufällig, in der Supervision ihrer Ausbildungskandidaten die Methode anwenden, mit der sie auch außerhalb der Ausbildung professionell arbeiten – was wiederum einige Verwirrung über die Stellung und Methode der Lehrsupervision erzeugt. Dieser Sachverhalt wirft aber auch Fragen bezüglich des Einsatzes von Supervision in den therapeutischen und beraterischen Disziplinen zu Zwecken der Ausbildung auf – Fragen hinsichtlich der Kriterien der Professionalität z. B. eines Lehrtherapeuten, Lehrtrainers, Lehrberaters, dessen Kandidaten unter seiner Supervision arbeiten.)

Die Orientierung der Supervision an der Beziehungsdynamik und den subjektiven Anteilen des Sozialarbeiters, dementsprechend die Nähe zur Psychotherapie, haften der Supervision immer wieder auch dann an, wenn sich andere Aspekte der in ihr angestellten Reflexion beruflichen Handelns in den Vordergrund stellen. Und das geschah relativ bald und geschieht seither mit rasant zunehmender Tendenz. Denn schon mit der Geburtsstunde der Supervision als professioneller Beratung, also mit der genannten Professionalisierung in der sozialen Arbeit, gewinnt eine andere Dimension an Bedeutung, die hoch reflexionsanfällig ist: der entstehende Rollenwiderspruch zwischen amtlicher Kontrolltätigkeit und Beratung, den es vor der Professionalisierung der Sozialarbeit nicht in der Weise gegeben hatte und von dem auch die meisten anderen (vor allem die primär beratenden) Berufe zu dieser Zeit verschont waren. Das wird uns sogleich noch beschäftigen.

2. Dieser Rollenwiderspruch erschwert die Ausübung der nun in ihrer Qualität als beraterische Tätigkeit mit einem neuen, professionellen Profil versehenen sozialen Arbeit. Gerade unter dieser für den Berufsstand attraktiven, weil sein Image als Profession aufwertenden Perspektive erscheint die Institution, in deren Rahmen die Arbeit meist ausgeübt wurde und die für den Rollenwiderspruch verantwortlich zeichnet, als Hindernis. Diese Sicht wird durch den Fokus der neuen Professionalität, in deren Zentrum die hilfreiche Gestaltung von Beziehungen steht, noch verstärkt. Dass der Rollenwiderspruch gerade erst durch die Entwicklung der neuen Professionalität entstanden ist, braucht dabei nicht aufzufallen und fällt umso weniger auf, je mehr man in den nun professionell geschärften Kategorien der Beziehungsgestaltung zu denken und zu sehen gelernt hat. Umso mehr wird auch der Rollenwiderspruch als Hindernis für die korrekte Ausübung der beruflichen Arbeit angesehen werden, und die Supervision wird nahe liegender, aber unsinnigerweise versuchen, an seiner Beseitigung mitzuarbeiten. Somit treten zwei neue Momente zur Supervision als Ausbildungserfordernis hinzu, die in weiterer Folge zu völlig neuen Arbeitsformen und -gebieten der Supervision führen.

3. Erstens wird deutlich, dass sie auch über die Ausbildung hinaus, nämlich zur Bearbeitung von den Alltag begleitenden Arbeitsschwierigkeiten sinnvolle Anwendung finden kann. Das war schon in ihrer ursprünglichen Fallorientierung naheliegend, denn die genannte Professionalisierung machte die Sozialarbeit zu einer selbstreflexiven beruflichen Tätigkeit, in der ein labiles Verhältnis von Tun und Reflektieren-im-Tun, von Drinnen-Sein und Draußen-Sein, von Engagement und Distanzierung aufrechterhalten bzw. immer wieder hergestellt werden muss, auch über das Ausbildungserfordernis hinaus. Zu diesem Zweck ist es sinnvoll und in vielen Berufen mit vergleichbarer Problematik üblich geworden, Supervision als berufsbegleitende Maßnahme in Anspruch zu nehmen. Der nun auftretende bzw. sich verschärfende Rollenwiderspruch zwischen amtlich-kontrollierender und sozialarbeiterisch beratender Funktion verlangt eine solche, nicht bloß auf die Ausbildungssituation bezogene supervisorische Reflexion umso mehr, als er nicht durch methodische Unkenntnis, berufliche Unaufmerksamkeit oder sonst eine in der Person des Professionellen liegende Tendenz ausgelöst und daher behoben werden muss, sondern als er mit der genannten Professionalisierung des Berufs mitgeliefert wurde als Dauergast der Arbeit. Damit ist auch schon eine weitere Differenzierung im Einsatz von Supervision jenseits der Ausbildung angelegt. Sie dient nicht nur der Behebung von Arbeitshindernissen, sondern auch der Reflexion und dem Bewusstmachen unaufhebbarer Widersprüche und Arbeitshindernisse, die aus anderen Logiken als derjenigen der Beziehungsdynamik kommen. Doch das kann in der genannten Situation noch nicht so recht auffallen bzw. der methodischen Aufmerksamkeit zugeführt werden.

Es kann daher zweitens nicht ausbleiben, dass Supervision beginnt, sich mit der Institution zu befassen. Sie geht damit über ihren primären Fokus, der auf der Reflexion der Arbeitsbeziehung des Sozialarbeiters liegt, hinaus, bleibt aber dennoch bei ihrem primären Arbeitsziel, der Ermöglichung, Erhaltung und Wiederherstellung einer professionell gestalteten Beziehung des Sozialarbeiters zum Klienten. Zunächst wird die Supervision versuchen, diesem strukturell neuen Fokus mit ihren professionellen Mitteln, die dafür nicht geschaffen sind, beizukommen. Sie kann mit ihren zunächst nur aus der Psychotherapie geborgten Mitteln den Rollenwiderspruch, um den es dabei vorwiegend geht, nicht als unvermeidliche Folge der Ausdifferenzierung von beruflichen Aufgaben sehen, sie kann die Organisation mit ihren institutionellen Festlegungen nur als System von förderlichen und hinderlichen Beziehungen sehen und wird daran arbeiten, die Störfaktoren in den Griff zu bekommen, in dem Sinn, dass sie versucht, sie möglichst klein zu halten bzw. auszuschalten. Was natürlich nicht gelingt.

Die Supervision der internen Kommunikation in den Institutionen der Sozialarbeit, die mit den Rollenwidersprüchen an Bedeutung gewinnt, gesellt sich neben die Supervision als Ausbildungserfordernis und als unmittelbar berufsbegleitende Maßnahme. Beide Male ist Gegenstand der Supervision die Reflexion von Arbeitsbeziehungen, mit der Zielsetzung, sie professioneller zu gestalten. Das eine Mal geht es um die Arbeitsbeziehung zum Klienten, das andere Mal um diejenige zu Kollegen und Vorgesetzten in ihrer Bedeutung für und ihrer Auswirkung auf die Beziehung zum Klienten. Um den inhaltlichen Unterschied deutlich zu machen, beginnt man zwischen Fall- und Teamsupervision zu unterscheiden, behandelt aber (entsprechend der damals herrschenden gruppendynamischen Ideologie) das Team so, als wäre es eine allein aus der Eigendynamik sozialer Prozesse in direkter Interaktion verstehbare Gruppe.4 Damit hatte man tatsächlich den institutionellen Aspekt (den vermeintlichen Störfaktor) ausgeschaltet, dies allerdings in einer Art und Weise, die der Bearbeitung der zugrunde liegenden Fragestellung nicht gerecht werden konnte. Denn das Team, um dessen interne Arbeitsbeziehungen es in der Supervision nun gehen sollte, war nicht einfach eine ausschließlich nach gruppendynamischen Gesichtspunkten zu verstehende Gruppe, sondern Teil einer Organisation, die interne Kommunikation also nicht bloß bestimmt durch Parameter der Gruppendynamik, sondern ebenso durch die viel weniger leicht fassbaren der Organisation und deren interner Dynamik, zu der die institutionell festgelegten Aufgaben der Organisation und die mit deren Aufteilung und Ausdifferenzierung verbundenen Rollenkonflikte und -widersprüche gehören.

Man merkte bald, dass mit dieser Supervisionsarbeit die Bewältigung bzw. Behebung der Rollenwidersprüche – denn man entdeckte ihrer mehrere – nicht gelang, entwickelte ein Bewusstsein für die Differenz, um die es ging (zwischen Interaktionsdynamik und Institution bzw. Organisation), verfügte jedoch noch nicht über das professionelle Handwerkszeug, mit dem es gelingen konnte, diese Differenz in der Supervision zu meistern, und beließ es daher bei verbalen Forderungen, in der Teamsupervision doch den sog. institutionellen Faktor mehr zu berücksichtigen.

4. Hier begann sich erst allmählich und durch eine eigenartige verschränkte Entwicklung in Supervision und Organisationsberatung etwas zu verändern. Dass dabei zwischen beiden Methoden eine engere Beziehung entstand und seither vorhanden ist, lässt sich heute an den vielen Verbindungen von Supervision und Organisationsberatung ablesen. Auf der einen Seite entdeckten die Organisationsberater die Supervision als eine für ihre Tätigkeit brauchbare und immer brauchbarer werdende Methode der Beratung; sie adaptierten sie für ihren Gebrauch in Organisationen, boten und bieten sie immer noch in maßgeschneiderten Beratungssettings als eine von mehreren, in einem Gesamtkonzept aufeinander abgestimmten Methoden an, behaupten gelegentlich, dass das, was als Supervision in Organisationen angeboten wird, ohnehin eine Methode der Organisationsberatung sei, und nennen die Methode dort, wo sie selbst den eher personenorientierten Zugang der Supervision im Management in den Vordergrund stellen, „Coaching“. Interessanterweise nehmen die großen Organisationsberatungsprojekte in ähnlichem Maß ab, in dem Supervision und Coaching in der Organisationsberaterzunft zunehmen.

Auf der anderen Seite wird Supervision in Organisationen immer mehr nachgefragt, und es werden Anstrengungen unternommen, der Eigendynamik organisatorischer Prozesse in der Supervision methodisch Rechnung zu tragen. Entsprechend gehen die Angebote an Teamsupervision zurück. Man spricht weniger vom ominösen institutionellen Faktor, sondern versucht, aus den wahrnehmbaren Phänomenen beruflicher Interaktion die organisatorischen Probleme zu erschließen, genau zu diagnostizieren und in ihrer Eigengesetzlichkeit zu verstehen.

Ebenso nimmt die Tendenz unter Supervisoren ab, Widersprüche und Ungereimtheiten, die in der supervidierten Arbeit vorgelegt werden, allein durch Verbesserung der beruflichen Interaktion und durch Bearbeitung personenbezogener Fragestellungen aus der Welt zu schaffen. Das Wissen darum, dass ausdifferenzierte Organisationen mit unaufhebbaren Widersprüchen ausgestattet sind und dass diese ihre Funktion haben, solange sie nicht auf der Ebene der Person und der Interaktion als irgendeine Art von Defizit diagnostiziert und behandelt, sondern in ihrem organisatorischen Sinn verstanden werden – dieses Wissen hat ebenso zugenommen wie seine supervisorische Vermittlung.

Wie das allerdings bisher in der Entwicklung der Supervision der Fall war, so werden auch in dieser Situation sogleich eigene Arten von Supervision erfunden, wo es bloß um die Hervorhebung des Organisationsbezugs in einem besonderen Setting der Supervision geht. So spricht man z. B. von Leitungs-Supervision. (Möglicherweise rumort die aus dem berufs-öffentlichen Diskurs verbannte und mit den entsprechenden Zweifeln versehene Frage, ob Supervision mehr als eine hochprofessionelle Beratungsform, nämlich ein eigenständiger Beruf sei, im Untergrund weiter und macht sich in Form von übertriebenen Antworten, die den nun einmal eingeschlagenen Weg der beruflichen Autonomie bestätigen sollen, symptomatisch Luft.)

Dieser Weg der Differenzierung in der Organisationsberatung und in der Supervision, als auch einer – marktbedingt ambivalenten – Annäherung beider aneinander, ist einer weiteren Überlegung wert. Einerseits scheint die Supervision mit dieser Entwicklung ihr angestammtes Herkunftsgebiet verlassen zu haben und andere gesellschaftliche Felder zu erobern, die mit der sozialen Arbeit nichts oder doch nur sehr wenig zu tun haben. Noch dazu liegt der Fokus der supervisorischen Arbeit in diesen Gebieten auf einer Ebene, die mit dem Ausgangspunkt auch nur mehr wenig zu tun hat und methodisch größere Anleihen bei der Organisationsberatung macht als bei den einschlägigen Methoden professioneller Beziehungsanalyse und -gestaltung.

Auf der anderen Seite scheint sich die Organisationsberatung immer mehr in kleineren Aufgaben der Supervision zu engagieren, in denen die bislang von der sozialen Arbeit verwalteten Momente eine methodische Rolle spielen. Und zwar nimmt sie sich, bei aller methodischen Organisationsbezogenheit ihrer Arbeit, immer mehr der sozialen Aspekte der Arbeit in allen Organisationen, in denen sie zum Einsatz gelangt, an. Zwar geht es dabei, entsprechend der Eigenlogik der meisten Organisationen der Arbeitswelt, nicht um die Humanisierung der Arbeitswelt, sondern sehr wohl um die Steigerung der jeweiligen Arbeitseffizienz; dennoch gelingt die Erreichung dieser Ziele immer häufiger nur mehr unter gesteigerter Berücksichtigung der Eigenlogik der sozialen und kommunikativen Aspekte der jeweiligen Arbeit. Gleichzeitig wird die Arbeit in Organisationen immer selbstreflexiver und deshalb immer anfälliger für supervisorische Begleitung.5 Die hier einleitend skizzierten Vorgänge sollen in der Folge einem genaueren Verständnis zugeführt werden.

2.2 Entstehung und Verbreitung der Supervision im Kontext reflexiver Professionen

Supervision hat also in zweifacher Hinsicht eine bemerkenswerte Entwicklung genommen: erstens in ihrer Entstehung als eigenständige Beratungsform, zweitens in ihrer Verbreitung. Wenn wir Supervision in einem ersten Anlauf als Beratung beruflicher Tätigkeit definieren, so unterscheidet sie sich von Fachberatung dadurch, dass es in ihr nicht um Anweisungen und die Einübung beruflicher Fertigkeiten, sondern um die Reflexion beruflicher Interaktionen geht.6 Zur Entwicklung der Supervision als eigenständiger Beratungsform, die sich von anderen Beratungsformen ausreichend unterscheidet, braucht es jedoch noch etwas anderes als die Reflexion beruflicher Interaktion – etwas, das mit der vorhin erwähnten Professionalisierung der Sozialarbeit erstmals in einem Beruf so deutlich aufgetreten ist:

a) Bevor die Sozialarbeit als eigenständiger Beruf entstanden ist, der durch entsprechende Ausbildung, wissenschaftliche Grundlage und methodische Fundierung des Handelns wichtige Schritte der Professionalisierung getan hatte, war sie als Fürsorge ein Tätigkeitsbereich, der hauptsächlich in Ämtern ausgeübt wurde. Im Wege der Professionalisierung der Sozialarbeit sind aus den ehemaligen „Fürsorgerinnen“ (es waren meist Frauen) Sozialarbeiter geworden. Um Fürsorgerin zu werden, bedurfte es keiner besonderen professionellen Qualifikation, d. h. ihre Tätigkeit ruhte auf keinem wissenschaftlich-theoretischen Fundament und war nicht geleitet durch eigens erworbene methodisch-praktische Fertigkeiten. Sie hatte von Amts wegen eine staatliche Kontrollaufgabe zu erfüllen. Sozialarbeiter hingegen – ausgestattet mit einem Diplom, das sie an einer Sozialakademie oder in manchen Ländern an einer Universität erworben haben – verfügen über eine hoch spezialisierte Professionalität, die ausgezeichnet ist durch ein breites Wissen in ihrem Feld und durch eine gut fundierte Beratungskompetenz. Fürsorgerin war also ursprünglich eine Tätigkeit, die vorwiegend Kontrollaufgaben wahrzunehmen hatte. Mit ihrer Professionalisierung zum Sozialarbeiter erhielt der Beruf einen starken beraterischen Schwerpunkt, also eine reflexive Komponente auf der Ebene der Gestaltung beruflicher Interaktion (und war damit der Supervision zugänglich wie jeder andere reflexive Beruf).

b) Damit entstand ein Problem auf einer anderen als der unmittelbaren Handlungsebene: Es entstand ein Rollenkonflikt durch einen Widerspruch, der nun in die berufliche Identität eingebaut war. Denn der kontrollierende Teil der Tätigkeit blieb erhalten, ihm gesellte sich der beratende Anteil hinzu. Beide stehen zueinander in scharfem Gegensatz, müssen dennoch beide gleicherweise zum Zug kommen. Sie verlangen zu ihrer Bewältigung konträre Haltungen, die miteinander in einer beruflichen Identität vereint werden müssen.

Um handlungsfähig zu sein, gilt es wahrzunehmen, in welcher Rolle man gerade agiert, und den Wechsel der Rollen zu markieren bzw. die Auswirkung der immer schon präsenten anderen Rolle auf den Klienten zu beobachten und darauf professionell zu reagieren. Beide Ebenen der Reflexivität des Berufs unterscheiden sich nicht nur, sie sind auch miteinander verbunden. Der Rollenwiderspruch wirkt sich, erkannt oder unerkannt, im beruflichen Handeln aus. Als weitere, ungeplante Folge entstehen zudem Schwierigkeiten in den Institutionen, in den Ämtern, die sich verschieden manifestieren können. So werden z. B. die nun professionellen Sozialarbeiter (in ihrem Bemühen, ihre berufliche Identität widerspruchsfrei zu halten) ihren Arbeitsschwerpunkt dort suchen, wo ihre neu erworbene Professionalität liegt: in der Beratung. Sie werden dazu neigen, ihren Kontrollauftrag hintanzustellen. Das kann zu Spannungen mit den älteren Fürsorgerinnen und vor allem mit der Amtsleitung führen.

c) Aber auch damit ist es nicht getan. Dieser Rollenwiderspruch und -konflikt – selbst eine ungeplante Auswirkung der Professionalisierung des Berufs – hat ebenso ungeplante Auswirkungen auf die Organisation. Haben die Institutionen der sozialen Arbeit bisher hierarchischen Prinzipien gehorcht, so greift mit der beraterischen Haltung der Sozialarbeiter eine eher hierarchiefremde bis -feindliche Haltung um sich. Dies wird z. B. in den Sozialämtern umso mehr der Fall sein, je mehr die Sozialarbeiter ihr berufliches Selbstverständnis aus denjenigen Teilen ihrer Arbeit beziehen, die ihrer neuen Rolle entsprechen. Als Beratungsprofis werden sie in Konflikt mit ihren Vorgesetzten geraten, welche sich als Repräsentanten des Amtes weiterhin primär für Kontrollorgane halten. Die Reflexion organisatorischer Zusammenhänge und Widersprüche ist angesagt.

Die Professionalisierung der Supervision als eigenständiger Beratungsform setzt erst mit dem gemeinsamen Auftreten dieser drei Aspekte der Reflexivität beruflicher Tätigkeit ein, die auf unterschiedlichen Ebenen liegen und interdependent sind:

  1. Die Ebene der Reflexion beruflicher Interaktion in der beratenden Tätigkeit (hierin gleicht die Sozialarbeit den psychotherapeutischen und verwandten beratenden und trainierenden Berufen). Sie ist von Bedeutung, hätte aber für sich die Professionalisierung der Supervision nicht nötig gehabt. Es hätte so wie in den anderen primär reflexiven Berufen gereicht, ein/e hervorragende/r Berater/in zu sein, um Beratungsinteraktionen kompetent und hilfreich mit den Klienten zu reflektieren.
  2. Die Reflexion von Rollenwidersprüchen im Beruf (hierin unterscheidet sich die Sozialarbeit von den psychotherapeutischen und beratenden Berufen). Sie bedarf zusätzlicher Kompetenzen wie etwa eines Verständnisses struktureller Widersprüche beruflicher Tätigkeit, Einsicht in das Verhältnis von Rolle und Identität, der Gegenüberstellung und Abgrenzung von Kontexten sowie der Auswirkung von all dem auf das berufliche Selbstverständnis.
  3. Das wird erst fassbar in Zusammenhang mit der dritten Ebene, mit der Eigendynamik organisatorischer Sachverhalte, dem Verständnis ihrer Funktionsorientierung und der internen Ausdifferenzierung ihrer Funktionen (hierin unterscheidet sich die Sozialarbeit erst recht). Die Auswirkung der Organisation auf die Arbeit, auf die Menschen und ihre beruflichen Interaktionen bedarf eigenen Wissens und eigener Diagnosefähigkeit. Supervision ist von Anfang ihrer Professionalisierung als Beratungsform an Supervision organisationsbezogener Sachverhalte. (Insofern kann man heute sagen, dass die Rede von Supervision in Organisationen – so als würde es sich um eine eigenständige Form von Supervision handeln – zumindest missverständlich ist.)

Nur die erste dieser drei Ebenen war in der Professionalisierung der Sozialarbeit geplant. Die beiden anderen Ebenen, die Identitäts- und Rollenfrage einerseits und die Frage der Eigendynamik organisatorischer Sachverhalte und ihrer Auswirkung auf die berufliche Interaktion und die individuelle berufliche Tätigkeit andererseits, stellen ungeplante Folgen der Einführung der ersten Ebene dar. Und obwohl das Zusammentreffen aller drei für die Entwicklung der Supervision als eigener Beratungsform verantwortlich ist, so bleibt der Fokus ihrer Aufmerksamkeit die längste Zeit auf die erste Ebene gerichtet: auf Verständnis und Gestaltung beruflicher Interaktion und die dabei ablaufende menschliche Kommunikation. Die beiden anderen fristen zunächst ein Schattendasein. Soweit die zweite Ebene der Rollenwidersprüche und der beruflichen Identität überhaupt explizit Beachtung findet, wird sie eher in Richtung psychischer Befindlichkeit der Person in ihrer Arbeit zum Thema. Für die kompetente Reflexion der dritten Ebene fehlten damals noch weitgehend die Theorien zum Verständnis der Organisationsdynamik und die Methoden der Intervention. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Supervision längere Zeit als therapienahe Beratungsform missverstanden wurde – trotz der skizzierten Komplexität der Aufgabenstellung, die zu ihrer Professionalisierung den Anstoß gegeben hatte.

Zusammenfassend ist hier Folgendes wichtig: Erst wenn sich zur „primären“ Reflexivität der beruflichen Tätigkeit (also der professionellen Gestaltung der beruflichen Interaktion zwischen dem Profiund seinem Klienten) die „sekundäre“ Reflexivität der beruflichen Rolle (bedingt durch den mit dem reflexiven Anteil der Tätigkeit entstehenden Rollenwiderspruch) gesellt und in der Folge eine „tertiäre“ Reflexivität der Organisationseinheit, in der die Arbeit geleistet wird – erst dann beginnt die Supervision sich zurecht einer Professionalisierung zu unterziehen.

Das Zusammenspiel der drei heterogenen Aspekte beruflicher Selbstreflexion war auch verantwortlich für die Verbreitung der Supervision in immer weitere gesellschaftliche Felder. Denn immer mehr berufliche Tätigkeiten finden sich mit einer vergleichbaren Problematik konfrontiert, wie wir sie in der Sozialarbeit kennen gelernt haben (siehe auch Beck, Giddens & Lasch 1996):

Insgesamt kann man diese Entwicklung, die immer mehr Berufe erfasst, als Folge tiefgehender gesellschaftlicher Veränderungen sehen. Diese Veränderungen hängen damit zusammen, dass sich die Hierarchiekrise9 in immer mehr gesellschaftlichen Feldern ausbreitet. Das hat für die Supervision und ihre Weiterentwicklung interessante Folgen:

a) Viele berufliche Tätigkeiten können sich zum Zweck der Erfüllung ihrer primären beruflichen Aufgabe (z. B. Unterrichten, Heilen, Pflegen, Führen von Mitarbeitern, Rechtsprechen usw.) nicht mehr auf die hierarchischen Muster der beruflichen Interaktion verlassen. Neben die primäre berufliche Aufgabe (oft auch als Voraussetzung der Möglichkeit, ihr gerecht zu werden) tritt die autonome nichthierarchische Gestaltung der beruflichen Interaktion als eine eigene Aufgabe, deren Erfüllung den Erwerb professioneller Fertigkeiten verlangt. Damit treten auch in diesen Berufen Rollenwidersprüche auf, die der Reflexion aus den oben genannten Gründen bedürfen. Diese Entwicklung führt dazu, dass sich die Anwendungsfelder für Supervision weit über den Bereich der sozialen Arbeit hinaus ausbreiten.

b) Die berufliche Interaktion gewinnt aber nicht nur hinsichtlich des unmittelbaren „Gegenstandes“ der Berufsausübung (also des Schülers, Patienten, Mitarbeiters usw.) an Bedeutung. Einer der Gründe für das Versagen hierarchischer Muster liegt auch darin, dass die beruflichen Tätigkeiten insgesamt immer komplexer, im Detail immer spezialisierter und damit immer interdependenter werden. Ihre Vernetzung miteinander muss rasch und flexibel mittels direkter Kommunikation und multilateraler horizontaler Kooperation, die gleichbedeutend ist mit methodenübergreifender Kooperation, stattfinden. Anstelle der Hierarchie, die für diese Aufgabe zu schwerfällig und in ihren kommunikativen Möglichkeiten zu sehr limitiert ist, tritt Teamarbeit. Auch unter diesem Aspekt reicht die primäre fachliche Kompetenz nicht mehr aus für den Erfolg beruflicher Tätigkeit. Neben sie und neben die soziale Kompetenz in der Gestaltung und Steuerung der beruflichen Interaktion mit den Klienten tritt eine soziale Kompetenz eigener Art, die in ganz anderer Weise der Professionalisierung bedarf als jene. Damit entsteht ein neuartiger Reflexionsbedarf, der zur weiteren internen Ausdifferenzierung der Supervision führt. Neben die schon etablierte Unterscheidung von ausbildungs- und berufsbegleitender Supervision tritt als eigene Form der Supervision, die einer eigenen Professionalisierung unterliegt, die Teamsupervision und damit die Unterscheidung zwischen Fall- und Teamsupervision.10

c) Nehmen wir die Teamarbeit als das zentrale Paradigma für die vielen nun auftretenden Formen nicht-hierarchischer beruflicher Kooperation, so kann man feststellen, dass in allen diesen Arbeitsformen eine neue Art beruflicher Tätigkeit entsteht: Teams bedürfen der Steuerung. Diese kann aber nicht hierarchisch durch die traditionelle Tätigkeit des bzw. der Vorgesetzten vorgenommen werden, sondern bedarf einer Art Moderation, welche die Selbstorganisation dieses heiklen, störanfälligen Sozialkörpers zum Ziel hat. Sie besteht vorwiegend darin, Hindernisse gelingender Kommunikation und Kooperation aus dem Weg räumen zu helfen, Unterschiede in ihrer Konflikthaftigkeit wahrzunehmen und Konflikte als zur Arbeit gehörig zu begreifen und zu managen. Mit anderen Worten: Überall, wo anstelle der Hierarchie Formen nicht-hierarchischer Kooperation treten, werden aus Vorgesetzten Führungskräfte.11 Führen wird zur eigenen professionellen Tätigkeit mit hohem Reflexionsbedarf. Wiederum finden wir ein schon bekanntes Phänomen: Einerseits werden die professionellen Fähigkeiten und Fertigkeiten dieser steuernden Tätigkeit deshalb zum Gegenstand der Reflexion, weil ihnen selbst ein reflexiver Charakter eigen ist. Andererseits finden wir auch hier einen Rollenwiderspruch, der nicht auflösbar ist und ebensolcher Reflexion bedarf. Denn es werden zwar aus Vorgesetzten Führungskräfte, dennoch bleiben sie auch Vorgesetzte. Und die Vermittlung zwischen hierarchischen und nicht-hierarchischen Phänomenen der Steuerung und Verantwortung wird selbst zur Daueraufgabe, von deren Bewältigung die gelingende Tätigkeit des Führens mit abhängt. Dementsprechend gelangt Supervision immer mehr als begleitende Selbstreflexion von Führungskräften aller Organisationen zum Einsatz. Man kann hier von Leitungssupervision sprechen – wenn man meint, dass die Erfindung neuer Formen der Supervision dem Image dieser Beratungsform dient.

d) Im Hintergrund der genannten Veränderung in der Arbeitswelt (und der parallel dazu voranschreitenden Professionalisierung und Ausdifferenzierung von Supervision) stehen Veränderungen in den Organisationen der Arbeit, die zunächst schleichend und eher unauffällig vor sich gehen, ohne recht greifbar zu werden, die aber schließlich mit dem Zunehmen der internen organisatorischen Widersprüche immer offensichtlicher werden, sodass die bislang tabuisierte Organisation bald selbst zur Disposition steht und in vieler Hinsicht zum Gegenstand der Reflexion und ihrer reflexiven Gestaltung wird. Diese Entwicklung ist von derart großer Bedeutung für die zunehmende Reflexivität von immer mehr beruflicher Arbeit, dass wir ihr später eigens nachgehen werden.12

Auch dieser Prozess wird von der Supervision gespiegelt: Zunächst weist sie immer wieder auf den Aspekt der Organisation hin und kann ihn ebenso wenig fassen, wie die Organisationen es selbst können. Sie nennt diesen Aspekt den „institutionellen Faktor“ und stellt fest, dass er in der beruflichen Interaktion meistens eine Rolle spielt. Methodisch zu fassen bekommt sie ihn aber erst, als die Organisationen zum Gegenstand reflexiver Veränderung und Gestaltung werden und sich eine professionelle Beratungsform entwickelt, die den entsprechenden Fokus und entsprechende Methoden zur Verfügung stellt: die Organisationsberatung. Erst dann kann Supervision in Organisationen zur methodisch fundierten Organisationssupervision werden, die sich als eine eigene Form der Supervision etabliert, welche einer eigenen Professionalität bedarf.

Diese Entwicklung hat unabsehbare Folgen für die Eigenständigkeit der Supervision. Denn zum ersten Mal in ihrer Geschichte teilt sie ihren Gegenstand, berufliche Arbeit, auf den bisher ihr Anspruch, ein eigener Beruf zu sein, gründete, mit einer anderen Profession, der Organisationsberatung. Es ist daher nicht mehr sicher, ob sie als Organisationssupervision nicht zu einem Instrument der Organisationsberatung geworden ist, ohne es zu merken.

Inwieweit hat sich die Supervision entlang der genannten Veränderungen in der Arbeitswelt professionalisiert und intern ausdifferenziert? Diese Veränderungen sind dadurch gekennzeichnet, dass zu der primären beruflichen Tätigkeit immer mehr solcher Aspekte hinzukommen, die selbst professionell verwaltet werden müssen und für deren Verwaltung in der primären Professionalität keine Methoden zur Verfügung stehen: Berufliche Tätigkeit wird in immer mehr Dimensionen reflexiv, und diese Reflexivität wird zu einer eigens auszubildenden und begleitenden professionellen Fähigkeit und Fertigkeit. Geht es zunächst nur um die reflexive Gestaltung beruflicher Interaktion hinsichtlich des primären beruflichen „Gegenstandes“ (dem entspricht Fallsupervision), gilt es dann, die Kooperation zwischen beruflich Tätigen reflexiv zu gestalten (Teamsupervision, „Leitungssupervision“), so landen wir schließlich bei der vielfachen Wahrnehmung organisatorischer Rahmenbedingungen der Arbeit (Organisationssupervision).

Im Laufe des bisher skizzierten Prozesses der Professionalisierung von Supervision hat sich ihr Gegenstand unter mehreren Gesichtspunkten ausgeweitet. Immer mehr Berufe unterziehen sich der Supervision, und immer mehr Aspekte der beruflichen Tätigkeiten werden Gegenstand der Supervision – von der Interaktion über Kooperation bis zur Organisation. Aber nicht nur weitet sich der Gegenstand der Supervision derart aus, er verändert sich auch, ohne dass dies sonderlich auffällt. Und doch handelt es sich um eine markante Veränderung, welche die Zielsetzung der Supervision betrifft:

Diente die Supervision, soweit sie nicht Ausbildungssupervision war, früher eher der Bearbeitung beruflicher Probleme, so dient sie mit der Zunahme der Reflexivität der beruflichen Tätigkeiten mehr der Verankerung arbeitsbezogener Selbstreflexion in den beruflichen Alltag. Das bedeutet nicht so sehr, dass sich Supervision heute weniger der Bearbeitung beruflicher Probleme des Klienten widmet und stattdessen mehr seine Fähigkeiten entwickeln hilft, diese Probleme selbst zu lösen, anstatt sie sich lösen zu lassen. Es bedeutet also nicht, dass Supervision heute mehr Hilfe zur Selbsthilfe ist als früher. Es bedeutet vielmehr, dass berufliche Selbstreflexion, wie gesagt, zum integrierten Moment beruflicher Arbeit geworden ist und weiter wird. Und es bedeutet, dass Supervision dem Erwerb und der Aufrechterhaltung bzw. Vertiefung dieser Selbstreflexion dient. Gegenstand der Supervision ist damit, genau genommen, die Selbstreflexion beruflicher Tätigkeit und nicht einfach diese Tätigkeit.

Dieser Unterschied, so sehr er nach Haarspalterei aussehen mag, scheint dennoch wichtig. Denn mit ihm kann man einen Beitrag zur Diskussion um die Frage der Feldkompetenz des Supervisors leisten – einer Frage, die erst mit der Ausweitung ihres Anwendungsbereiches aktuell geworden ist: Solange Supervision auf den Herkunftsbereich ihrer ersten Professionalisierung beschränkt bleibt, war Feldkompetenz keine Frage. Denn Supervision wurde als Zusatzqualifikation zur Basisqualifikation Sozialarbeit gehandelt und blieb Supervision von Sozialarbeit. Erst mit der Zunahme der Nachfrage der Supervision aus anderen gesellschaftlichen Feldern stellt sich die Frage nach der Feldkompetenz, weil in der Sozialarbeit ausgebildete Supervisor/innen nun berufliche Tätigkeiten supervidieren sollen, die ihnen nicht vertraut sind.

Wenn nun Gegenstand der Supervision die berufliche Tätigkeit ist, dann ist es naheliegend, vom Supervisor zu verlangen, dass er ausreichend über Feldkompetenz im jeweils supervidierten Beruf verfügt. Ist hingegen die Selbstreflexion der verschiedenen beruflichen Tätigkeiten Gegenstand der Supervision, dann ist das Feld des Supervisors, in dem er kompetent sein muss, weniger der jeweils supervidierte Beruf als vielmehr die berufsbezogene Selbstreflexion bzw. die relevanten Aspekte dieser Selbstreflexion. Unter ihnen stellt die Eigendynamik der unmittelbaren Tätigkeit, die supervidiert wird, nur ein und zwar – im Vergleich zu den berufsübergreifenden relevanten Aspekten – meist gar nicht das dominante Moment dar. Es reicht dann vielleicht aus, dass sich der Supervisor die nötige Kompetenz bezüglich des jeweiligen Berufsfeldes im Laufe der Supervision durch diese Supervision selbst erwirbt.

Jedoch ist zunehmend Themenkompetenz13 erforderlich, denn ausgehend vom Coaching-Markt rücken in der Beratung neue Themen in den Mittelpunkt: Berufsbezogene Reflexion und Selbstreflexion fokussieren Fragen des Balancings (work-life), Arbeit und Gesundheit, berufliche Identität und Mehrfachidentitäten, Gender, Wechsel und Veränderung sowie Konfliktmanagement. Diese Themen passten traditionell schwerpunktmäßig nicht in die Supervision. Um als Supervisor und Coach mit diesen neuen Themen zu arbeiten, braucht es theoretisches Wissen, ja man darf etwas wissen und zu etwas raten, und man muss Lösungen (mit-) entwickeln. Es ist dann nicht nur die berufliche Tätigkeit an sich Gegenstand der Reflexion, wie schwerpunktmäßig bisher in der Supervision14, sondern etwa auch die berufliche und persönliche Lebensplanung, Weiterentwicklung, Work-Life-Balance u. a. Hierbei steht dann mehr die Erarbeitung gezielter Schritte zur Umsetzung und Verwirklichung entwickelter Lösungsansätze im Vordergrund als die Reflexion und das Verstehen der persönlichen, organisationalen und gesellschaftlichen Wirkungszusammenhänge.

2.3 Gründe für die zunehmende Nachfrage nach Supervision und Coaching

Neben der steigenden Komplexität beruflicher Aufgaben und der Tendenz zur Auflösung hierarchischer Organisationen15 sind als Gründe für die zunehmende Nachfrage nach Supervision bzw. Coaching zu nennen: die wachsende Interdependenz der horizontalen Vernetzung miteinander interagierender Personen und Systeme und damit einhergehend, aber nicht ausschließlich darauf zurückzuführen, das Bewusstsein ihrer Gleichrangigkeit – oder etwas psychologischer gesprochen – ihrer Gleichberechtigung und Autonomie. Die Komplexität der zu bewältigenden Aufgaben nimmt in allen Berufen ständig zu. Und mit der steigenden Komplexität wächst die Vernetzung und mit ihr der Koordinationsbedarf der beruflichen Tätigkeiten. Im gleichen Ausmaß nimmt die Funktionsfähigkeit ihrer hierarchischen Koordination ab. Mit der allmählichen Auflösung von traditionellen Formen hierarchischer Koordination beruflicher Tätigkeiten geht der Entlastungsvorteil weitgehend verloren, den diese Einrichtungen für die Berufstätigen gebracht hatten: Ein großer Teil der Verbindung einzelner Tätigkeiten zu einem zusammenhängenden einheitlichen Set von Problemlösungsteilen, aber auch ein großer Teil der Tätigkeiten selbst war durch ihre Institutionalisierung dem individuellen Zugriff der beteiligten Personen und Systeme entzogen. Damit war der Erfolg der Tätigkeiten relativ unabhängig von der Kompetenz oder Inkompetenz der Personen gegeben. Er war eben durch die institutionell normierten Organisationsstrukturen abgesichert.

Überall, wo institutionelle Festlegungen in der Erfüllung von Aufgaben verschwinden, bleibt es mehr und mehr der Fähigkeit der beteiligten Systeme und Personen überlassen, ob und wie diese Aufgaben erfüllt werden. Gerade die Gestaltung der Organisation beruflicher Interaktion verlangt ein hohes Maß an kommunikativer und organisatorischer Kompetenz. Diese Kompetenz ist besonders in Situationen gefordert, die es nicht gestatten, eine einmal gefundene Lösung zu institutionalisieren, weil die ursprüngliche Aufgabe bereits durch eine neue Aufgabe mit veränderten Bedingungen beeinflusst wird.

Nun nimmt heutzutage bekanntlich das Tempo, in dem sich Produkte, Dienstleistungen, Organisationen, Märkte und gesellschaftliche Bedingungen verändern, rasant zu. In demselben Maß steigt die Reflexivität der an diesem Prozess beteiligten bzw. ihm ausgelieferten beruflichen Tätigkeiten. Arbeitsbezogene Reflexion und Selbstreflexion wird in immer mehr Berufen zur integrierten Daueraufgabe.

Supervision bzw. Coaching stellt eine Reflexionshilfe dar, die je nach Anliegen und Klientensystem in der Unterstützung dieser anspruchsvollen Aufgabe verschiedene Funktionen in unterschiedlichem Ausmaß und in vielfältiger Kombination erfüllen kann: