Stefan Haenni

Scherbenhaufen

Fellers dritter Fall

 

 

 

 

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

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Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung / Korrekturen: Christoph Neubert / Katja Ernst

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von Denis Pepin / Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-3748-9

 

 

 

 

Zum 200. Todestag des Dichters Heinrich von Kleist

 

 

 

 

Jetzt leb’ ich auf einer Insel in der Aare, am Ausfluss des Thunersees, recht eingeschlossen von Alpen, eine Viertelmeile von der Stadt.

 

Heinrich von Kleist,

Mai 1802 an seine Schwester Ulrike.

1

 

Es muss so um 7 Uhr morgens gewesen sein.

Beißender Rauchgestank verirrte sich bis in den weihnachtlich geschmückten Dorfkern von Gstaad im Berner Oberland. Den winterlich vermummten Nachtschwärmern auf den verschneiten Trottoirs verrauchte die Partylaune augenblicklich. Manch einer zwischen der Pianobar Chesery und Rosie’s Suite at Hush machte sich Sorgen um Hab und Gut. Woher stammte dieser Qualm? Welcher Pechvogel verlor sein Feriennest? Wo wurden goldene Eier gebraten?

Eine Viertelstunde später raste der komplette Löschzug Richtung Oberbort. Das gab zu reden. Der angepeilte Südhang oberhalb des Palace Hotels gilt als Wohnsitz der Reichen und Schönen. Spekulationen machten die Runde. Wilde Gerüchte mischten sich in den Geruch von verkohltem Holz, geschmolzenem Kunststoff und verbranntem Fleisch. Löste sich Roman Polanskis Chalet in Rauch auf? Hatte Gunter Sachs’ Liebesnest Feuer gefangen? Verbrachte Johnny Hallyday eine unholy night?

Bereits im Verlauf desselben Tages wurde es im Saanenland zur Gewissheit, dass es sich beim Eigentümer der betroffenen Liegenschaft nicht um eine internationale Berühmtheit, sondern um Adam Füssli handelte, einen umstrittenen Thuner Amtsrichter. Niemand mochte nämlich so recht daran glauben, dass sein reguläres Salär auch nur annähernd zum Erwerb einer überteuerten Immobilie an der Alpinamatte-Straße ausgereicht hätte.

»Seit der Adam seine Eva gefunden hat, lebt er auf großem Füssli«, wurde hinter seinem Rücken gespottet.

Den ungewöhnlichen Geldsegen verdankte er tatsächlich seiner ersten Ehefrau, der geschiedenen Gattin eines germanischen Fußballgottes und dem traurigen Umstand, dass diese nur wenige Monate nach der Hochzeit mit einem Strick um den Hals im Bremgartenwald bei Bern aufgefunden worden war.

Vorübergehend geriet Adam Füssli unter Verdacht. Es konnte ihm aber nichts nachgewiesen werden. Einmal mehr galt sowohl für ihn als auch für die unbekannte Täterschaft der Leitspruch, nicht gefangen, nicht gehangen. In der Bevölkerung hielten sich die Zweifel an seiner Unschuld.

Als Adam Füssli innert Jahresfrist die Ehe mit der verwitweten Erbin eines Genfer Nahrungsmittelkonzerns schloss, wehten dem Bräutigam Missgunst und Misstrauen der Oberländer noch heftiger entgegen.

Seiner beruflichen Stellung konnte das Gemunkel vorerst nicht viel anhaben. Erst als es um die Frage ging, wer demnächst neuer Präsident im Gerichtskreis Thun würde, drohte Adam Füsslis Karriere zu scheitern. Ein valabler Gegenkandidat gefährdete die präsidiale Zukunft. Die Vertreter der Schweizerischen Volkspartei portierten nämlich Beat Zurbuchen, einen eloquenten Juristen aus Interlaken.

Als Alt-Sozi erfuhr Adam Füssli durch seine Genossen wesentlich flauere Unterstützung. Vielleicht auch darum, weil er mit einem steuerbaren Vermögen in zweistelliger Millionenhöhe nicht mehr wirklich ins rote Lager passte.

Am Wochenende vor der Entscheidung geschah Unerwartetes.

Beat Zurbuchen unternahm eine Hochgebirgstour, um »nochmals richtig durchzuatmen.« In luftiger Höhe der Gspaltenhornhütte traf er nach Auskunft des Schweizerischen Alpenclubs jedoch nie ein. Zwar wurde der erfahrene Berggänger von verschiedenen Alpinisten in der Sefinafurgge gesichtet. Von dort weg wurde der 30-jährige Anwalt vermisst. Die intensiven Suchaktionen der Rettungskolonne SAC, der kriminaltechnischen Spezialtrupps mit Leichenhunden und des Helikopterpiloten blieben erfolglos.

Zwischenzeitlich wurden in der helvetischen Tagespresse Name und Bild des verschwundenen Alpinisten veröffentlicht. Das unscharfe Porträtfoto zeigte den Juristen in Anzug und Krawatte. Damit weckte es den kuriosen Eindruck, Beat Zurbuchen sei womöglich in Nadelstreifen auf den Berg gestiegen. Erst das knapp gefasste Signalement sorgte diesbezüglich für Klarheit.

›Der Vermisste ist 182 cm groß, schlank und trägt eine rote Jacke sowie blaue Wanderschuhe. Die Polizei bittet um Hinweise.‹

Der Thuner Amtsrichter, der sich zufälligerweise in derselben Bergregion aufgehalten hatte, bot den lokalen Behörden seine Unterstützung an. Allen Bemühungen zum Trotz blieb sein Gegenkandidat unauffindbar.

Nach zweiwöchigem Aufschub wurde schließlich erwartungsgemäß Adam Füssli in Amt und Würden eines Gerichtspräsidenten gesetzt. Er drückte den Angehörigen von Beat Zurbuchen sein Beileid und der Wahlbehörde seinen Dank aus.

Die Unterstellung, das ›Füßchen‹ lache sich jetzt ins Fäustchen, verlautete aus Kreisen der unterlegenen Volkspartei.

Füssli sollte das Lachen nur allzu bald vergehen. Er erhielt unvermutet anonyme Briefe. Darin wurde er beschuldigt, seinen Mitbewerber gewaltsam aus dem Weg geräumt zu haben. Das erste Schreiben schloss mit der Aufforderung: ›Fahr’ zur Hölle!‹

Der Bedrohte ließ sich jedoch nicht einschüchtern. Er ignorierte die diabolische Drohung, sah von einer Anzeige ab und verzichtete auf jegliche Nachforschungen. Wisch wusste er vom Tisch zu fegen.

Eines Morgens erreichten Adam Füssli in kurzer Folge zwei ungewöhnliche Telefonate.

Der erste Anruf unterbrach sein Frühstück um 7.15 Uhr.

»Adam«, zischte eine weibliche Schlange, »in deinem Paradies wütet das Fegefeuer!«

Was für ein sonderbarer Morgengruß? Ein Bissen Butterbrot blieb dem Richter am Gaumen kleben. Füssli legte konsterniert den Hörer auf und spülte Gebäck und Botschaft mit einem Schluck Kaffee hinunter.

7.21 Uhr lärmte der Apparat im Thuner Domizil erneut.

Vorsichtshalber drückte Adam Füssli diesmal die Aufnahmetaste des Anrufbeantworters und ergriff gespannt den mobilen Geräteteil. Der Belästigte erwartete wieder die Unbekannte. An ihrer Stelle meldete sich eine sonore Männerstimme.

»Tag, Herr Füssli.« Es sprach der Hausmeister eines benachbarten Gstaader Chalets. »Soeben ist die Feuerwehr zu Ihrem Ferienhaus ausgerückt. Es steht im Vollbrand! Ich denke, Sie sollten herkommen.«

Adam Füssli verlor keine Zeit. Unter sträflicher Missachtung signalisierter Tempolimits raste er mit seinem Offroader ins Oberland.

Dort rätselte man inzwischen um die Identität einer verkohlten Leiche, die aus der Brandruine geborgen wurde. In der Doppelgarage lag ein ausgebrannter Mini-Cooper. Musste befürchtet werden, dass es sich bei der Toten um Frau Evelyne Füssli handelte?

Das Feuer hatte über Nacht die Umgebung des zerstörten Holzbaus von einem Winter- in einen Albtraum verwandelt. Zwischen aschgrauen Schneewechten kurvte eine martialische Edelkarosse heran. Ihr entstieg der Thuner Gerichtspräsident. Er erkundigte sich beim erstbesten Uniformierten besorgt nach Evelyne: »Wo bleibt meine Gattin?«

Der Beamte musterte den aufgewühlten Ankömmling voller Mitgefühl.

Adam Füssli stand im langen Kamelhaarmantel und karierten Hausschuhen im Schnee. Unter dem Mantelsaum zeigten sich dunkelblaue Pyjamahosen. Eine schweißnasse Haarsträhne wurde vom Rand einer Pelzmütze tief in die Stirn gedrückt. Braun-grau geflammte Brillenbügel aus Büffelhorn durchquerten die getrimmten Schläfen. Auf einem schmalen Nasenrücken balancierten ovale Brillengläser und tiefgekerbte Nasolabialfalten verbanden den Zinken mit dem entsetzten Mund.

Der Polizist wies mit dem gefütterten Fäustling seiner rechten Hand in Richtung nebelnder Rauchschwaden.

Der Gerichtspräsident durchstampfte das zugerußte Winterfeld im Sauseschritt.

Eine Viertelstunde später verließ Adam Füssli das weiße Plastikzelt der Spurensicherung. Darin lagen menschliche Überreste, die er soeben anhand des Diamanten aus dem geschmolzenen Verlobungsring und einer hitzebeständigen Zahnprothese als seine zweite Ehefrau identifizieren musste. Das war hart.

Dessen ungeachtet, stellte ihm der Einsatzleiter der Kantonspolizei Bern unbequeme Fragen.

»Herr Füssli, wo haben Sie eigentlich die letzte Nacht verbracht?«

»Eigentlich?«, wiederholte der Befragte. Drückte dieses eigentümliche Wörtchen Misstrauen aus? Der Richter stieß sich an der Formulierung des Polizisten. »In meinem Domizil am Thunersee«, erwiderte Adam Füssli kurz angebunden.

Der Beamte fragte in respektlosem Stil weiter: »Wer hat Sie denn über das Unglück informiert?«

»Denn? Warum ›denn‹?«, kritisierte Füssli. »Wie wär’s mit ›dann‹, Herr Inspektor? Einen genauen Zeitpunkt könnte ich Ihnen nämlich schon nennen.« Was erlaubte sich dieser Bulle DENN EIGENTLICH? Adam Füssli vermisste eine situative Rücksichtnahme. Wohlweislich hielt er sich zurück.

Ungerührt wühlte der Einsatzleiter im wunden Herzen des leidgeprüften Witwers: »Herr Füssli, was vermuten Sie als Brandursache?«

»Zum Teufel!«, fluchte Füssli. Einmal mehr fürchtete er um seinen Ruf. Zu Recht. Bereits tags darauf erstürmte die Schwägerin die Amtsstube auf dem Thuner Schlossberg. Die aufgebrachte Genferin beschimpfte den Gerichtspräsidenten aufs Gröbste und hieß ihn unverblümt einen gemeinen Mörder.

Peinlicherweise entging dieser Auftritt auch dem Gerichtsschreiber Walter Kern nicht. Er stellte sich insgeheim die Frage, ob der französische Redeschwall Hand und Fuß hatte. Drohte seinem Chef der Adamsfall?

2

 

»Hoffentlich findet das ewige Sauwetter bald ein Ende«, brummt mein Assistent Jürg Lüthi und schaltet einen Gang hinunter.

»Der Frühling ist nicht mehr aufzuhalten«, tröste ich ihn. »Schau dir die Forsythien-Sträucher an! Die werden von Tag zu Tag gelber.«

»Ich auch. Mir läuft gleich die Galle über.«

Sein Missmut amüsiert mich. Wenn Jürg Lüthi schlechte Laune hat, erinnert er an einen trotzigen Pubertierenden. Sein burschikoses Outfit unterstreicht diese Assoziation. Er trägt verwaschene Bluejeans, ein großkariertes Flanellhemd unter ärmellosem Rautenpulli und einen Lederblouson aus Nappaleder. Auf dem Kopf sitzt eine braune Schirmmütze aus grober Wolle.

Punkto Mode falle ich in meiner hellgrauen Cordhose und der traditionellen Tweedjacke weit ab.

Plötzlich gibt Jürg Lüthi Saures. Er tritt abrupt auf das Bremspedal. Der fabrikneue Fiat 500 bleibt nach wenigen Metern bockstill stehen.

Wir werden in die Sicherheitsgurte geworfen und gleich darauf so heftig zurückgeschleudert, dass sich die Nackenstützen verstellen. Ein Wunder, hat keiner der sieben Airbags reagiert!

Ein nachfolgender Automobilist lässt die Bremsscheiben glühen, überholt laut hupend und bohrt sich demonstrativ den Zeigefinger in eine niedere Schläfe.

»Schon vorbei!«, entschuldigt der impulsive Chauffeur sein Manöver.

Zugegebenermaßen habe ich die Anschrift der Töpferei Weihermann ebenfalls übersehen. Der Fahrkünstler setzt ein paar Meter zurück und biegt schwungvoll auf den Kundenparkplatz ein.

»Dann wollen wir mal«, meint Jürg Lüthi, als wäre nichts Besonderes vorgefallen. Er entsteigt dem kulleräugigen Retro-Flitzer und strebt dem Laden zu.

Ich beeile mich, mit ihm Schritt zu halten.

Robert Weihermann, Seniorchef der Töpferei, führt den Betrieb in dritter Generation. Er fertigt Werkstücke, die jenen aus der Blütezeit der Thuner-Majolika in Vielfalt der Formen und der Glasuren ebenbürtig sind.

Kraftvoll stößt Jürg Lüthi die verglaste Ladentür auf und lässt mir den Vortritt.

»Vorsicht!«, werden wir von einer pausbäckigen Verkäuferin gewarnt. »Alles ist zerbrechlich hier«, und ergänzt kokett: »Außer meinem Herzen, vielleicht.«

»Wir werden von Herrn Weihermann erwartet«, informiere ich betont sachlich. Anbiederungen und Vertraulichkeiten wildfremder Zeitgenossen lehne ich kategorisch ab.

Die Sonne im Gesicht der drallen Lehrtochter erlischt schlagartig. Sie wendet sich nach hinten um und bellt: »Chef!« An uns gerichtet: »Er kommt gleich.« Anschließend lässt uns das launische Wesen wie zwei Deppen stehen und zischt ab. Entgegen ihrer Ankündigung dauert es. Wir beginnen darum, das reichhaltige Sortiment im Laden zu inspizieren. Neben traditionell dunkeltonigen Gefäßen und Platten finden wir moderne Töpferware in Pink und Silber. Auch stupsnasige Gartenzwerge, monströse Häuschenschnecken und kauernde Raben fehlen nicht.

Jürg Lüthi deutet zwischen zwei bauchige Vasen unweit der gefräßigen Registrierkasse: »Hast du das gesehen, Hanspudi?«

»Was? Zeig her!«

Jürg Lüthi ergreift ein fuchsbraunes Lederetui und wiegt es prüfend in der rechten Hand.

»Ein Pistolenholster«, stelle ich an seiner Stelle verwundert fest.

»Inklusive Inhalt«, bestätigt mein Mitarbeiter. Er öffnet die Deckellasche, begutachtet die Waffe und präzisiert fachkundig: »Eine SIG. Die Armeepistole 49.«

Ich stimme ihm zu und scherze: »Ob das Lehrtöchterchen damit die Tageseinnahmen zu verteidigen hofft?«

Endlich erscheint der Töpfermeister. Eilig spediert Jürg Lüthi die Waffe an ihren Platz zurück. Wir grinsen verlegen. Fälschlicherweise interpretiert Robert Weihermann diese Heiterkeit als Würdigung des modellierten Zwergenvolkes. »Ja, ja. Diese Wichte gehen weg wie warme Semmeln. Da, den Zwerg mit dem erhobenen Stinkefinger, den verkaufen wir wie Verrückte.«

»… an Verrückte«, korrigiert Jürg Lüthi murmelnd zu meiner Linken.

Erst jetzt erkenne ich den unfeinen Fingerzeig des tönernen Gesellen und lächle aus reiner Höflichkeit. Robert Weihermann soll schließlich unser Kunde werden. Nicht umgekehrt.

Der Seniorchef steht kurz vor dem Pensionsalter. Er ist von gedrungener Statur. Der Kopf wird seitlich und im hintern Schädelbereich von gelbweißem, zehn Zentimeter langem Haar umflort. Über dem Mund, dessen Lippen sich beim Reden nur auf der einen Seite vollständig voneinander lösen, wuchert ein buschiger Schnauz. Das Kinn bedeckt ein ungepflegter Bocksbart, der den optischen Ausgleich zu zwei überaus krautigen Augenbrauen schafft.

Mit einem servilen Bückling und einer einladenden Geste weist der Alte nach hinten. »Bitte, meine Herren, begeben wir uns ins Atelier.« Vielsagend ergänzt er: »Ich will ihnen dort etwas Spezielles zeigen.«

3

 

Richter Adam Füssli füßelte jede freie Minute vom Gerichtsgebäude in das historische Museum hinüber.

Er profitierte von der räumlichen Nähe der beiden Lokalitäten auf dem Schlossberg. Demnächst sollte das Gericht allerdings verlegt werden. Weder der aufmerksame Gerichtsschreiber im Amt noch die aufgeweckte Frau an der Museumskasse konnten mit Gewissheit sagen, wem oder was die auffallend häufigen Besuche des Juristen galten. Was suchte der Vielbeschäftigte in seinen knappen Pausen? Was trieb der Richter während den Verhandlungsunterbrüchen? Interessierte er sich für die Präsentation der Trophäen aus der Burgunderbeute, für die klapprigen Rüstungen oder die bunten Töpferwaren?

Gerichtsschreiber Walter Kern und Kassiererin Martha Rechberger hatten sich ihre Meinungen zu den richterlichen Besuchen im Schloss längst gemacht. Adam Füsslis Unruhe fußte auf einer simplen Weibergeschichte.

Während Frau Rechberger die Auffassung vertrat, der prominente Witwer habe seiner verstorbenen Gattin etwas gar kurze Zeit nachgetrauert, verstand Herr Kern das Verhalten seines Chefs als Anzeichen dafür, dass mit der Partnersuche ein herber Schicksalsschlag überwunden war.

»Ein Topf sucht seinen Deckel«, waren sich die schlauen Schlossberger schlüssig. Nur hinsichtlich der Auserwählten rateburgerten die Angestellten drauflos.

Galt Adam Füsslis Aufmerksamkeit einer der treuen Museumsbesucherinnen? Gelegentlich frönten aparte Damen mittleren Alters der musealen Kontemplation. Ab und zu schwebten komplizierte Musen ungeküsst durch mittelalterliches Gemäuer.

Oder handelte es sich bei der heimlichen Flamme des unheimlichen Richters um die anmächelige Kunsthistorikerin, die der Direktorin seit Kurzem als Praktikantin zur Seite stand?

War es gar Brigitte Santschi persönlich, die der Gerichtspräsident ins Auge gefasst hatte? Die große, schlanke Museumsdirektorin hätte von der Position und der Postur gut gepasst.

Kam allenfalls sogar eine der portugiesischen Putzfrauen in die Kränze? Katholisches Reinigungspersonal gehörte bisher zwar nicht ins Beuteschema des standesbewussten Schwerenöters. Andererseits war nicht auszuschließen, dass der alternde Weiberheld mit zunehmender Erfahrung das Spektrum weitete.

So oder so mussten vom neugierigen Fußvolk Ungewissheiten aller Art und nichts Geringeres als die platte Neugierde ertragen werden. Bis Adam Füssli eines Tages in dringlicher Angelegenheit aufs Schloss gerufen wurde. Die Direktorin suchte juristischen Rat.

Brigitte Santschi informierte über einen Schadensfall, der kürzlich in der Sammlung vorgefallen war. Unter ungeklärten Umständen war ein Keramikgefäß von besonderer Seltenheit und zweifelhafter Berühmtheit in die Brüche gegangen. Die Direktorin beschuldigte einen jungen Mann aus der Region der Sachbeschädigung und forderte Schadenersatz. Der Jüngling hatte sich zum fraglichen Zeitpunkt erwiesenermaßen in der Majolikasammlung aufgehalten. Dennoch wies er jegliche Schuld weit von sich. In der Folge drohten beide Parteien mit juristischen Schritten.

In dieser verfahrenen Situation konsultierte Brigitte Santschi, wie erwähnt, den Gerichtspräsidenten. Sie hoffte von ihm zu erfahren, wie die Bruchstücke der gegensätzlichen Darstellungen allenfalls gütlich zu einem Ganzen zu kitten wären.

Adam Füssli erteilte die lapidare Empfehlung, den zerdepperten Pott der Haftpflichtversicherung des Verursachers zu melden oder der Bruchversicherung des Museums in Rechnung zu stellen. Angesichts der zu erwartenden Verfahrenskosten und der geschätzten Schadenssumme riet er zu einer außergerichtliche Lösung.

»Es sei denn«, beschied er Frau Santschi, »Sie planen eine Inszenierung des ›Zerbrochenen Krugs‹.« Womit der Jurist seine Ausführungen schloss und das Schloss mit spöttischem Grinsen verließ.

Diese Auskunft vermochte Brigitte Santschi nicht zu überzeugen. Der Auftritt des Richters noch viel weniger.

Auch die Spekulationen an der amourösen Gerüchtebörse fanden keine Erfüllung. Es mangelte Frau Rechberger und Herrn Kern weiterhin an zuverlässigen Informationen und schlüssigen Beweisen eines Techtelmechtels auf höchster Schlossbergebene.

4

 

Im Laden der Heimberger Töpferei türmen sich hohe Stapel verkäuflicher Keramik. Markieren sie eher die Stelen einer aufstrebenden Branche oder nur die Mahnmale einer desaströsen Wirtschaftslage?

Der Meister präsentiert mir und meinem Assistenten eine überstellte Werkstatt. In ihrer Mitte rotieren drei elektrische Drehscheiben. Aus einem staubigen Transistorradio scheppert der Heimat-Song vom Schweizer Rapper BLIGG:

»Helvetia und Willhelm sind stolz uf eusi Chinde,

Grüezi Frau Küenzi,

mit em Arsch gwagglä müend si.«

An der Rückwand des stickigen Raumes lässt Hafnerware in lederhartem Zustand die Tablare der wandhohen Regale durchhängen. Rechter Hand imponiert ein mächtiger Brennofen, der in kurzen, regelmäßigen Intervallen sein Brummen mit einem dumpfen Plopp unterbricht. Nach wenigen Sekunden lässt das kolossale Ungetüm die staubtrockene Atelierluft jedes Mal erneut vibrieren.