© 2019 Mamadou Oury Balde, Carla Behringer & Eva Behringer
Mail: foutah.djallon@mail.de

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783749401581

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Inhalt

VORWORT

FOUTAH DJALLON

EINE BEGEGNUNG

ZUTATENVERZEICHNIS

STREETFOOD & SNACKS

SUPPEN

HAUPTGERICHTE

FISCH & MEERESFRÜCHTE

SALATE, BEILAGEN & DIPS

SÜSSES

HEISS- & KALTGETRÄNKE

REGISTER

DIE AUTOREN

VORWORT

„Gepriesen sei Allah, der Allmächtige, Gepriesen sei Gott,

Gepriesen seiest Du, Fremder und zugleich Freund,

Der dafür Sorge trage,

Dass mein Bauch voller Leckereien sein wird“, rief der alte und bärtige Greise mit den undurchdringlichen Augen, die tief in einem Gesicht voller Weisheitsfalten lagen, inmitten dieser bunten, lauten und einnehmenden Essensstände, die die Hauptstraße beidseitig flankierten, in dieser heißen und schwülen Juliwoche an der Atlantikwestküste Afrikas.

Marktschreier, Gelegenheitsgepäckträger, Freizeitgauner, brüllende Taxifahrer, streunende Hunde, schreiende Kinder und das entfernteste Echo des Muezzins vervollständigten das Dekor voller Gegensätze. Es war eine Rückkehr in inzwischen fremde, aber zugleich vertraute Gewässer, die für eine lange Zeit beheimatend waren, für mich und all jene, die den Weg in das Land des weißen Mannes fanden.

Die sengende Hitze, das Brummen der völlig überladenen Sammeltaxis, die Balladen dieser jungen Männer um die Gunst der Fahrgäste bildeten das geordnete Chaos, das bunten westafrikanischen Märkten gemein ist.

„Sorge dich um die Alten, um die Schwachen und um die Weisen und der Allmächtige wird dafür Sorge tragen, dass es dir an nichts fehle im Land der Toubabous1; denn du siehst aus wie einer, der unter denen lebt und leidet“, fuhr der alte Greise fort.

„Für deine seelische Rettung ist gesorgt, junger Mann, sorge jetzt für einen vollen Bauch eines alten Mannes, der einmal besser sah und aussah, noch besser tanzte, den der Hunger nun peinigt.“

So sah ich mich hinter diesem alten Mann laufend; mit Hilfe seines Gehstocks erkämpften wir uns unseren Weg zwischen dem Wirrwarr, immer tiefer in den Bauch des Marktes vordringend, auf diesen schmalen Gassen, in denen die Sonnenstrahlen immer weniger wurden, die lauten Rufe der Marktschreier dafür umso mehr.

„Nichts geht über den Duft einer Kalebasse2 voller Reis mit Maffè Tigga und dies, mein Lieber, findest du nur bei Tante Mammy Watta3. Sie ist eine Göttin der Kochkunst, die süße Stimme der eigentlichen Mammy Watta ist nichts im Vergleich zu ihrem Können hinter dem Herd. Oh, du glücklicher Reisender, trete heran und koste das süße Aroma der Néré, der Süßkartoffelblätter, lass dich vom Duft einer Maniokwurzel verzaubern.

Im Land der Toubabous schläfst du über dem Boden, isst mit einem Stück Metall zwischen Hand und Mund. Aber hier wirst du auf dem Boden auf einer grazilen Gazellenhaut Platz nehmen, die Beine zusammengefaltet; unter dem schattenspendenden Baobab wirst du der Melodie einer Kora4 des berühmtesten Djeli5 Fantammadi lauschen, du wirst die sanfte Brise einer späten Juliwoche an deinen nackten Knöcheln spüren, im Rhythmus des Djeli summen und dabei das brodelnde Maffè Tigga nicht aus den Augen lassen“.

Die sengende Hitze, der schweißtreibende Nahkampf, die engen Gassen wirkten wie ein Aphrodisiakum, das mich in eine leichte Beneblung, einen tranceartigen Zustand versetzte und sämtliche Abwehrmechanismen und Vorsichtsmaßnahmen außer Kraft setzte; ich schwamm im geordneten Chaos und dem Sog war kein Entkommen.

„Da! Werter Freund, zu deiner Linken bitte“, flüsterte der alte Greise, seine rechte Hand auf meiner Schulter ruhend und mit dem Gehstock in der linken Hand auf einen offenen, linksgelegenen Platz zeigend.

Da war er also: Der vielmals beschworene, besungene und unter Einheimischen heiß gepriesene Avaria-Marktplatz6 - Territorium kleiner Ganoven, Refugium für Allerlei: Gepäckträger, Bettler, Tagelöhner, Streuner, streunende Hunde, Diebe und eben daran angeschlossen und doch wenig abseits des Trubels gelegen das vermutlich letzte Fleckchen Erde dieser Stadt, an dem das authentische Essen noch die Überhand hatte und Begriffe wie Gabel, Löffel, Teller so fremd klangen. „Wie lange wohl noch?“, musste ich mich klammheimlich fragen.

Es erstreckte sich vor uns ein offener Platz - auf einem Halbhügel gelegen - inmitten dessen ein vermutlich tausend Jahre alter Affenbrotbaum sein krummes und vom Alter gezeichnetes Haupt aufzurichten versuchte und dabei seine schattenspendenden Äste weitläufig auslud. Dieser Baum der Weisheit, unter dem Koran-Lesungen, Schlichtungen, hitzige Diskussionen und die Zusammenkunft der Älteren und Gelehrten stattfand, war vielen Städten der atlantischen Westküste gemein. Ringsum Sitznischen mit Schafsfellen, mit kühlem Wasser gefüllte Tongefäße, Unmengen an unterschiedlich großen und ineinander gestapelten Kalebassen, große Bündel von trockenem Holz für das Feuer und der schwallartig empor steigende Rauch dieser Kochnischen zeichneten ein Bühnenbild, dessen Hauptakteure den Hunger gemein hatten.

„Sei gegrüßt, Watta“, sagte der alte Greise, der mir inzwischen vertraut vorkam, dessen Namen ich jedoch noch nicht kannte, traute ich mich doch nicht danach zu fragen. Zurückhaltung wird hier groß geschrieben.

„Gesundheit und Frieden seien mit Euch, die den langen Weg auf sich nahmen, um uns mit Eurer Anwesenheit zu erfreuen“, entgegnete eine alte Dame. Ihre jungen Jahre hatte sie längst hinter sich; der anmutende Blick, das höfliche Beiseiteblicken in Anwesenheit Älterer, die beinahe schüchterne und mädchenhafte Stimme hatten aber keineswegs an Glanz verloren. Mit Henna geschwärzte Lippen kaschierten eine Reihe akkurat gepflegter weißer Zähne, denen das Alter nichts anzuhaben schien. Ein dunkelblaues, über die Haare gebundenes Indigo-Kopftuch, ließ eine Reihe Haarsträhnen erhaschen, an deren Enden Kaurimuscheln hingen. Selten erblickte ich so reichlich geschmückte Ohrmuscheln.

Armreifen in den unterschiedlichsten Farben vollzogen einen wilden rhythmischen Tanz im Takt des Kochvorganges, der sich zeitgleich an vier verschiedenen Kochtöpfen vollzog. Ohne wirklich den Blick von den Töpfen abzuwenden nahm sie meine Anwesenheit zur Kenntnis. „Aissata, zwei Sitzplätze für die neuen Gäste bitte!“

Und schon eilte das Hausmädchen uns entgegen, ein kurzes Hallo und ein dezidierter Zeigefinger wiesen uns zwei Plätze auf dem gestampften Boden zu. Mein Weggefährte, immer und überall bekannt, ging durch ein kurzes Kopfnicken die Runde der neugierigen Blicke durch und nahm anschließend Platz - wie gewohnt, im Schneidersitz. „Es wird dir wie in Kindheitstagen köstlich schmecken, mein lieber Freund“, versuchte er, einen Hauch leichter Verlegenheit von meinem Gesicht wegzuwischen. Wir kamen nach dem Nahkampf im Markt langsam zur Ruhe. Das sanfte geschäftliche Treiben um die Kochtöpfe, der Schatten unter den Ästen und ein Tongefäß mit frischem Wasser an diesem abseits gelegenen Platz trugen zur Entspannung bei.

„Essen Sie bitte“, weckte mich die kindliche Stimme Aissatas aus meinem Wachtraum. Eine Stimme, die kaum älter als 13-14 Jahre und ein Kind, das kaum Kind sein dürfte. Sie kam und ging, sie trug und schleppte, sie wusch und wuchs an ihren Aufgaben und dürfte sicherlich heute seit einer halben Ewigkeit auf den Beinen sein. Woran dachte es wohl, als es uns die Mahlzeiten servierte? Ein leichtes Unbehagen plagte mich. Meinen alten Freund schien dieser Gedanke nicht allzu sehr zu beschäftigen. Schon formte er die Fisch- und Fleischstücke, in einer Okra-Sauce serviert, zu kleinen Bällchen, die er gekonnt und mit einer Geschwindigkeit in seinen Mund warf, die kaum Raum für Spekulationen ließ: Ihm musste es hervorragend schmecken. Die mit Foniohirse gefüllte Kalebasse wurde minütlich leerer. Das gekühlte Fässchen Ingwer-Limonade war im selben Rhythmus leer getrunken.

Ein kurzes Nicken, der umgedrehte Daumen, der den sich vorwölbenden Bauch kratzte, das zufriedene Lächeln, das eine alte goldene Krone zum Vorschein kommen ließ, ließen mich verstehen, dass der peinigende Hunger nicht mehr in diesem alten Mann wohnte. Die Teller waren inzwischen leer.

„Gepriesen sei der Allmächtige! Gepriesen seiest Du freundgewordener Fremder!

Blass ist der Reis ohne Sauce, langweilig eine Geschichte ohne gehörige Portion Lüge und unerträglich eine Gesellschaft ohne Griots.

Lass uns also einen Augenblick ruhen und der Kora des Djeli lauschen!“

Diese Sätze des alten Mannes boten meinem Wunsch, meinen Weg an diesem sonnigen Nachmittag fortzusetzen, Einhalt. Den Alten die Gesellschaft ohne einen erkennbar triftigen Grund zu verwehren, wäre ein Affront, den ich mir nicht leisten konnte. So griff ich zu meinem Smartphone, tippte hastig drei kurze Nachrichten hintereinander, um meine Verspätung an einem später anberaumten Treffen anzukündigen und setzte mich erneut auf das Schafsfell. Djeli Fantamadi brachte seine Kora zum Weinen und seine kläglich-rauhe Stimme verlieh diesem Nachmittag etwas Surreales.

„Salam Alleykum!“, tönte es zu meiner linken Seite. Und schon gesellte sich ein Mann mittleren Alters zu uns. Seine weite Hose, die von einem Gürtel gehalten wurde, der eher einem lebenden Reptil als einem Modeaccessoire glich, das notdürftig geflickte blaue Hemd mit zwei sich überkreuzenden goldenen Säbeln auf schwarzem Hintergrund eingefasst und als Emblem fungierend und die ausgeblichene dunkelrote Käppi enttarnten ihn als Wachmann dieser wie aus dem fruchtbarsten Boden schießenden Sicherheitsfirmen deren überdimensionale und in grellen Farben erfasste LED-Leuchtreklame die Alleen Conakrys7 beidseits flankierten.

Jene Leuchtreklamen, unter denen Schüler und Studenten hockten und Hausaufgaben erledigten, wenn das eigene Zuhause in der Dunkelheit einer tropischen Nacht versank und das Geld für die Öllampen mal wieder anderweitig ausgegeben wurde; diese Leuchtpunkte haben sich als wahre Anker eines nächtlichen Treibens herauskristallisiert und bieten - nicht zuletzt - den Essenständen eine beleuchtete Bühne, die regen Umsatz versprach.

„Wa Alleykum Salam!“, erwiderten die Alten im Chor.

Der neue Gast entledigte sich seiner aufwendig geschnürten Sicherheitsschuhe, trat heran und nahm neben uns Platz. Es folgte eine endlose Schleife an Begrüßungsformeln, Erkundigungen nach dem Befinden der jeweils anderen Familien, die immer wieder von ,,so Gott will“ quittiert wurden.

Nach dieser nicht zu enden wollenden zeremoniellen Begrüßung, kramte der Neuling ein bis dahin sorgsam in einem Umhängebeutel aufbewahrtes, in grünen Kolablättern zu einem rundlichen Ball geschnürtes Päckchen heraus, dessen vermuteter und jedem, an der westafrikanischen Küste Aufgewachsenen geläufiger Inhalt, die Augen der anwesenden Älteren förmlich zum Leuchten brachte: die berühmten Kolanüsse. Gelb bis blassrot, oval bis rundlich und von unterschiedlicher Größe sind sie fester Bestandteil einer jeden Mahlzeit, sei es als verdauungsanregender Aperitif, oder als genussvoll gekauter Nachtisch, deren erdig-bitterer Geschmack potenzsteigernd, erheiternd und belebend wirken soll. Der rege Umsatz dieser wundersamen Nüsse bezeugte deren Beliebtheit.

„Der Weg einer gesegneten Seele führt unweigerlich zu ihren Ahnen, deren Geister besänftigt und beschworen werden müssen, möchte man ein ephemeres, aber zugleich ausgeglichenes irdisches Dasein erfahren“, eröffnete der Neuling den eigentlichen Grund seines Erscheinens an diesem heißen und schwülen Julitag.

„Naaaaam“, entgegneten die Alten.

„So finde ich heute den Weg zu Ihnen, Vertreter jener, die von uns gegangen und dennoch allgegenwärtig sind. Zugleich sind Sie Zeitzeugen des Bedeutungsvollen aber nicht Niedergeschriebenen. Sie sind Eingeweihte im Ahnenkult und Sie besitzen die Fähigkeit, spirituellen Kontakt mit dem Jenseits aufzunehmen. So ersuche ich Euren Segen: Beten Sie für meine Eltern, für deren Eltern Eltern und für die Eltern Letzterer; mir war es nämlich vergönnt für meine Eltern zu ihren Lebzeiten zu sorgen, da sie mir genommen worden sind, als ich damals noch ein Kind war. Akzeptieren Sie den frommen Wunsch eines Mannes, dem für den elterlichen Segen nur das Beten übrig bleibt. Nehmen Sie dabei diese kleine Präsenz als Zeichen meiner Achtung!“ Sodann überreichte er meiner Begleitung das Päckchen.

„Gehört haben wir Deinen noblen Wunsch, ehrbarer Freund, und lass Dir folgendes gesagt sein: arm und reich nehmen unterschiedliche Konnotationen, je nachdem, wo man sich auf diesem Erdteil befindet. Für die Einen ist es das Materielle und die damit einhergehenden Annehmlichkeiten. Wahrlich arm ist allerdings derjenige, dem an Demut, Bescheidenheit und elterlichem Segen fehlt. Schreite in Dein Leben voran, den Widrigkeiten einer Großstadt trotzend, und sei Dir unserer Achtung und Gebete gewiss. Dir wird nichts Schlimmes widerfahren. Lasst uns für diesen jungen Mann beten!“

So hoben sie synchron die Arme gen Osten und stimmten das Gebet der Ahnen ein, in das nur wenige eingeweiht sind. Anschließend fanden sich die Kolanüsse in deren Mündern ein und wurden von diesen alten und zugleich mächtigen Kiefern zermahlen; den roten und vom Alter gezeichneten Mündern entkam von Zeit zu Zeit ein zufriedenes: „Gesegnet sei dieser Tag“.

Und so endete eine kulinarische und zugleich spirituelle Begegnung, die diesen schwülen und zugleich prägenden Julinachmittag als Ausgangspunkt einer fixen Idee machte.

Lange dachte ich darüber nach, mich im Bauch eines Sammeltaxis auf dem Heimweg befindend, welche Eigenheiten meiner Einheimischen das Zu-Sich-Nehmen einer Mahlzeit über den reinen Akt hinaus hoch heben, eines mystischen und mythischen Rituals gleichend.