Krimi-Dinner
Kosmos
Umschlagillustration Ina Biber, Gilching
Umschlaggestaltung von Friedhelm Steinen-Broo, eSTUDIO CALAMAR
Grundlayout: Doppelpunkt, Stuttgart
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© 2014, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-440-14440-4
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Auf dicken Gummisohlen lief Reinhold Hofer lautlos durch die nächtlichen Straßen der Innenstadt. Er hatte die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Das Licht der Straßenlaterne fiel auf sein bleiches Gesicht, auf dessen Kinn dunkle Bartstoppeln schimmerten. Hofers Hand schloss sich um den glatten Griff seiner Pistole. Ruhig näherte er sich seinem Ziel und zog langsam die Waffe aus der Tasche. Keiner der Passanten bemerkte das leise Geräusch, als er die Pistole entsicherte. Keiner, bis auf Kriminalkommissar Obertauber, der vor dem Schmuckgeschäft stand und ein Armband für seine Frau aussuchte. Obertauber drehte sich um. Dieses Gesicht kannte er nur zu gut. Hofers Foto hing seit Wochen überall im Präsidium. Reinhold Hofer, wegen Mordes angeklagt, geflohen aus der Untersuchungshaft und seither wie vom Erdboden verschluckt. Das Blut rauschte in den Ohren des Kriminalkommissars. Ansonsten hörte er nichts. Als ob die Innenstadt auf einmal in Watte gepackt wäre.
»Waaaauuu!« Ein heiseres Bellen zerriss die Stille.
Zwanzig Jugendliche, die eben noch gebannt an Kims Lippen gehangen hatten, fuhren herum. Ein Mädchen schrie leise auf. Vor Schreck ließ Kim ihr Manuskript fallen. Das oberste Blatt segelte in die Tiefe. Es hatte noch nicht den Boden berührt, da schoss ein wuscheliger schwarz-weißer Hund unter dem Tisch hervor und schnappte danach.
»Pablo!«, rief Kim empört. »Was soll das denn jetzt?«
Zu spät. Der Hund ihrer Zwillingsbrüder Ben und Lukas hatte das Papier fest zwischen den Zähnen. Knurrend verteidigte er seine Beute.
»Aus, Pablo!«, rief Kim streng. »Gib das sofort her.«
Pablo sah Kim unschlüssig an. In seinen treuherzigen, kaffeebraunen Augen mischten sich Stolz, Empörung und ein Anflug von schlechtem Gewissen. Schließlich siegte das schlechte Gewissen. Pablo machte das Maul auf und gab die Beute frei. Mit spitzen Fingern nahm Kim das angesabberte Blatt Papier. Sie legte es neben den kleinen Stapel der anderen Papiere und warf einen Blick ins Publikum. Einige grinsten nach dem kurzen Schreck amüsiert, andere waren wegen der Unterbrechung leicht genervt. Alle starrten sie an und warteten auf ihre Reaktion. Wie peinlich!
»Entschuldigung«, murmelte Kim. »Ich lese gleich weiter.«
Mit unmissverständlichen Zeichen gab sie Pablo zu verstehen, dass er sich wieder unter den Tisch legen sollte. Endlich gehorchte er.
Warum hatte sie sich bloß von Ben und Lukas breitschlagen lassen, den Hund zu ihrer Krimi-Lesung im Jugendzentrum mitzunehmen? Wo doch schon vorher offensichtlich gewesen war, dass es nur schiefgehen konnte. Pablo hatte einen großen Bewegungsdrang. Heute waren Ben und Lukas nur zweimal ganz kurz mit ihm Gassi gegangen. Ihre ursprüngliche Begeisterung für die Versorgung ihres Hundes hatte in letzter Zeit stark nachgelassen, und das musste die übrige Familie ausbaden. Aber darüber sollte sie vielleicht später nachdenken und sich jetzt wieder auf ihre Lesung konzentrieren.
Kim räusperte sich verlegen. »Ich wiederhole noch mal die letzten drei Sätze«, kündigte sie den Zuhörern an. »Das Blut rauschte in den Ohren des Kriminalkommissars. Ansonsten hörte er nichts. Als ob die Innenstadt auf einmal in Watte gepackt wäre. Obertauber folgte mit den Augen der Richtung, in die die Pistolenmündung zeigte. Dann sah er den Mann. Der Kriminalkommissar rannte auf ihn zu. Er musste ihn retten …«
»Das war genial!« – »Ich hab richtig Gänsehaut bekommen.« – »Kann man deinen Krimi auch als Buch kaufen?« – »Gibt’s da auch einen Film zu?«
Nach der Lesung scharten sich die Zuhörer neugierig um den Lesungstisch. Kim ärgerte sich immer noch über ihre Brüder. Sie waren schuld, dass sich nach der Unterbrechung keiner mehr voll konzentrieren konnte. Die knisternde Spannung im Publikum hatte sich leider nicht mehr eingestellt. Kim lächelte trotzdem freundlich und beantwortete geduldig alle Fragen. Nein, es gab kein gedrucktes Buch und keinen Film, aber Kim hatte ihre Krimi-Kurzgeschichte auf News4Teens zum Download gestellt.
»Cool!«, riefen Johanna und Helene, zwei Mädchen aus ihrer Schule. Johanna wollte unbedingt, dass Kim ihr ein Autogramm auf den Arm schrieb.
»Äh … ja, okay.« Kim erfüllte den Wunsch, kam sich dabei aber ziemlich komisch vor.
Ein Junge zog sein Handy heraus. »Hast du was dagegen, wenn mein Freund ein Foto von dir und mir macht?«
Kim war so überrumpelt, dass sie zustimmte. Aber als andere plötzlich auch Fotos mit ihr haben wollten, lehnte sie entschieden ab. »So viel Zeit habe ich leider nicht. Tut mir echt leid.« Langsam wurde ihr der Rummel um ihre Person zu viel. Sie stand nicht gerne im Mittelpunkt.
Kim packte ihre Sachen in den Rucksack und stellte erleichtert fest, dass sich der Saal leerte. Die übrigen Zuhörer verteilten sich auf die anderen Räume des Jugendzentrums oder gingen nach Hause.
Kim verließ mit Pablo an der Leine als Letzte den Raum. Vor dem Schwarzen Brett im Gang zog sie ihre Jacke an. Dabei fiel ihr Blick auf einen neuen Aushang.
Das Krimi-Dinner
Ein mörderischer Samstag
Wer kocht gerne?
Wer hat Lust auf ein leckeres Menü?
Wer löst das Krimi-Rätsel und findet den Mörder?
Diesen Tag wirst du nicht vergessen.
Spannung garantiert!!!
Anmeldungen online oder im Büro des Jugendzentrums
Achtung: Nur noch drei Plätze frei!
Kim lächelte. Schlagartig bekam sie wieder gute Laune. Was für eine tolle Idee! Die hätte auch von den drei !!! stammen können. Kim ging mit entschlossenen Schritten zum Büro hinüber. Als Chefin des Detektivclubs musste man manchmal schnelle Entscheidungen treffen – und ihre Entscheidung war längst gefallen: Sie würde sich selbst und ihre Detektivkolleginnen Marie und Franzi anmelden, bevor jemand anderes ihnen die Plätze wegschnappte.
»Bin wieder daheim!« Kim kickte ihre Schuhe von den Füßen, schlüpfte aus der Jacke und hängte sie an die Garderobe im Flur.
Pablo quetschte sich an ihr vorbei und sauste sofort in die Küche. Von dort roch es verlockend nach Bratkartoffeln und Spiegeleiern.
Herr Jülich stand in einer grasgrünen Kochschürze am Herd und wendete gekonnt die Kartoffeln in der Pfanne. »Hallo, Kim! Du kannst gleich dableiben.« Er legte den Kochlöffel weg und formte die Hände vor dem Mund zu einem Trichter. »Ben, Lukas, Abendessen ist fertig!«
Normalerweise dauerte es nach einer solchen Ankündigung keine zwei Sekunden, bis die Zwillinge mit Indianergeheul die Küche stürmten, aber heute ließen sie seltsamerweise auf sich warten.
»Sind die Jungs krank?«, erkundigte sich Kim.
Herr Jülich schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste.«
Kim wurde misstrauisch. Wenn ihre Brüder sich ruhig verhielten, stimmte irgendwas nicht. Entweder heckten sie dann gerade einen neuen Streich aus oder sie hatten sich in Kims Zimmer geschlichen, um am Computer ihrer Schwester heimlich ein Computerspiel zu spielen.
Kim wollte schon nachsehen, als ihre Mutter in die Küche kam. Sie trug ein schickes graues Kostüm mit weißer Bluse und hatte die Haare zu einem Knoten aufgesteckt. »Mmmh … riecht’s hier aber gut! Du bist ein Schatz.« Sie legte ihrem Mann von hinten die Arme um die Schultern. »War das mühsam heute! Ich kann keine Stundenpläne mehr sehen.«
Kims Mutter war seit Beginn des neuen Schuljahres Rektorin an ihrer Schule und nahm ihren verantwortungsvollen Job sehr ernst. Früher hatte sie fast täglich Kims Hausaufgaben kontrolliert oder die Englischvokabeln abgehört. Dazu kam sie inzwischen zum Glück kaum noch.
»Jetzt ist Wochenende. Genieße es und erhol dich«, sagte Herr Jülich. Er stellte die Pfanne mit den Bratkartoffeln auf den Tisch, rückte seiner Frau liebevoll den Stuhl zurecht und setzte sich.
In dem Moment tauchten Ben und Lukas doch noch auf. Sie hatten ein Buch dabei, nahmen es mit auf die Eckbank und verschanzten sich dahinter.
Kim runzelte die Stirn. Ihre Brüder rissen sich normalerweise überhaupt nicht ums Lesen. »Das Buch muss ja echt spannend sein«, bemerkte sie spöttisch und versuchte, den Titel zu entziffern: Geheime Botschaften und wie du sie entschlüsselst.
Ben schaute kurz hinter dem Buch hervor und sah Kim herausfordernd an. »Ist es auch. Wusstest du übrigens, dass Jungs viel logischer denken können als Mädchen? Deshalb sind sie auch die besseren Detektive.«
»Ist das so?« Kim zog ihre linke Augenbraue hoch. »Wie kommt es dann, dass ihr zwei Blitzmerker noch keinen einzigen Fall gelöst habt und die drei !!! schon über 50 Verbrecher überführt haben?«
»Wir hatten eben bisher keine Lust, Detektiv zu spielen«, gab Lukas schlagfertig zurück. »Aber das ändert sich ab heute, lass dich überraschen.«
»Kann’s kaum erwarten.« Kim lud sich mit großer Gelassenheit eine Portion Bratkartoffeln auf ihren Teller, während Pablo geduldig neben ihrem Platz wartete, ob sie ihm etwas vom Essen abgeben würde, was sie natürlich nicht tat. Pablo hatte gerade eben einen großen Napf Hundefutter verputzt.
»Ben, Lukas?«, sagte Frau Jülich streng. »Beim Essen legt ihr das Buch aber weg.«
»Ja, gleich …«, nuschelte Ben.
»Sofort.«
»Manno!«, beschwerte sich Lukas. »Das ist ja wie im Gefängnis hier. Alles, was Spaß macht, ist verboten.«
»Nicht alles.« Kim sah ihre Brüder scharf an. »Mit Pablo könnt ihr jederzeit spielen. Falls ihr euch noch daran erinnern könnt, dass ihr einen Hund habt. Wolltet ihr mir übrigens nicht noch was sagen? Ich hab mich den ganzen Nachmittag um Pablo gekümmert. Er hat meine Lesung im Jugendzentrum gestört und bei der spannendsten Szene laut gebellt. Das war echt peinlich. Ich hoffe, ihr seid mir wenigstens dankbar für meinen Einsatz.«
Ben grinste Kim frech an. »Planschkuh!«
»Ben!«, ermahnten Herr und Frau Jülich ihren Sohn im Chor.
Jetzt hatten die Zwillinge den Bogen überspannt. Kim platzte der Kragen. »Ihr seid so was von doof! Nur zu eurer Information: Das war heute das allerletzte Mal, dass ich auf euren Hund aufgepasst habe.«
»Verräterin!«
»Schnarchnasen!«
»Tieffliegerin!«
Pablo fing an, laut zu bellen, weil er dachte, dass der Streit ein neues Spiel war. Frau Jülich hielt sich die Ohren zu. »Hört auf damit, alle miteinander!«
»Möchte noch jemand das letzte Spiegelei?«, fragte Herr Jülich in die plötzlich auftretende Stille hinein.
Sofort schnappten sich die Zwillinge ihre leeren Teller und streckten sie ihrem Vater entgegen. Pablo beruhigte sich wieder und gab die Hoffnung nicht auf, dass er diesmal einen Leckerbissen abbekommen würde.
Kim betrachtete kopfschüttelnd ihre Zwillingsbrüder. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich von ganzem Herzen, ein Einzelkind zu sein. Aber der Zug war leider bereits vor zehn Jahren abgefahren, als Ben und Lukas das Licht der Welt erblickt hatten.
Während die Zwillinge jeweils zufrieden an ihrem halben Spiegelei kauten, zog Herr Jülich seine Kochschürze aus und lehnte sich lächelnd zurück. »Ich muss sagen, mein neues Leben gefällt mir ausgesprochen gut. Allein in der letzten Woche habe ich vier Aufträge aus der Nachbarschaft für Kuckucksuhren bekommen.«
»Das freut mich sehr für dich«, sagte Brigitte Jülich stolz. »Siehst du, es war die richtige Entscheidung, deinen Job beim Juwelierladen zu kündigen und dich mit deinem Hobby selbstständig zu machen!«
Herr Jülich zwinkerte seiner Frau zu. »Das war es wirklich. Wie gut, dass ich auf deinen Rat gehört habe. Obwohl ich den leisen Verdacht habe, du hast es nur getan, damit ich in Zukunft den kompletten Haushalt erledige.«
»Von komplett war nie die Rede«, verteidigte sich Frau Jülich. »Aber natürlich bin ich froh um jede Entlastung.«
Kim gähnte verstohlen hinter ihrer Hand. »Ich geh dann mal nach oben, bin schon total müde.«
In Wirklichkeit hatte sie nur einfach keine Lust mehr auf langweilige Erwachsenengespräche. Da schrieb sie lieber Tagebuch.
Detektivtagebuch von Kim Jülich
Samstag, 20:03 Uhr
Ausnahmsweise macht es mir überhaupt nichts aus, dass zurzeit kein Fall in Sicht ist. Ich bin jetzt noch völlig geschafft von unseren letzten Ermittlungen rund um das Verschwinden unseres Freundes und Lieblingssängers Tom. Wenn ich nur daran denke, dass unser Detektivclub zum ersten Mal unter Verdacht stand, ein Verbrechen begangen zu haben. Natürlich völlig unvorstellbar, aber das mussten wir der Polizei erst mal beweisen – und all den anderen Leuten in der Schule und im Jugendzentrum, die der Presse glaubten und uns für schuldig hielten.
Ich finde, das Krimi-Dinner kommt gerade zur rechten Zeit. Wir können uns als Detektivinnen betätigen, ohne Nervenkitzel und ernste Gefahr – einfach perfekt. Ich freu mich schon darauf. Erst wollte ich Marie und Franzi gleich anrufen und ihnen Bescheid geben, aber inzwischen hab ich es mir anders überlegt. Ich werde sie mit dem Krimi-Dinner bei unserer nächsten Clubsitzung überraschen. Die werden Augen machen!
Geheimes Tagebuch von Kim Jülich
Samstag, 20:18 Uhr
Hinweis für alle männlichen Detektivanfänger, die sich für oberschlau halten: Dieses Tagebuch ist mit einer Geheimbotschaft gesichert. Wer den Code knackt, löst damit eine Zeitbombe aus. Die Uhr tickt …
Jetzt habe ich Michi schon eine Woche lang nicht gesehen! Ich vermisse ihn soooo sehr!!! Natürlich verstehe ich, dass er für die Abschlussprüfungen seiner Ausbildung viel lernen muss. Andererseits sollte er auch auf seine Gesundheit achten. Es heißt doch immer, dass Menschen kürzer leben, die nicht jeden Tag umarmt oder geküsst werden.
Gerade fällt mir was Geniales ein, wie ich Michi trotzdem beim Lernen stören kann. Ich werde ihm Süßigkeiten als Nervennahrung kaufen und vorbeibringen. Da kann er schlecht Nein sagen. Ja, das ist gut, hihi! Michi, du bist der liebste, beste, süßeste Junge auf der ganzen Welt!
Wer überhaupt nicht süß ist, das sind Ben und Lukas. Heute haben sie einen Riesenfehler gemacht. In Zukunft werde ich garantiert nicht mehr auf Pablo aufpassen. Da können sie tausendmal Bitte, Bitte sagen und sich bei mir entschuldigen. Ich werde hart bleiben. Dass sich die zwei jetzt auch noch als Detektive aufspielen, ist echt nervig. Sie sollten lieber wieder Fußball spielen, statt alles nachzumachen, was ihre große Schwester tut. Aber wie ich sie kenne, wird ihnen das Ganze sowieso schnell langweilig.
Michi, morgen fliegt die Süßigkeiten-Fee zu dir!
»Hallo, Franzi! Hey, hab ich irgendetwas verpasst? Planst du heute noch eine Party?« Kim betrat den Pferdeschuppen und lief neugierig zum Tisch des Hauptquartiers, auf dem drei große Kuchen standen.
Franzi grinste. »Keine Sorge, du hast nichts verpasst. Eher im Gegenteil. Ein Stammkunde meiner Mutter hat kurzfristig seine Bestellung stornieren müssen. Bezahlt hat er natürlich trotzdem und wir dürfen die Kuchen essen. Nicht schlecht, oder?«
»Super!« Kim konnte es kaum erwarten.
Der Kuchenservice von Frau Winkler war wirklich eine tolle Idee. Schon früher hatte Franzis Mutter hin und wieder ihren berühmten Kirschkuchen für die Detektivinnen gebacken, aber inzwischen probierte sie fast jeden Tag ein neues, leckeres Rezept aus.
»Bienenstich, Pflaumentorte und Käsekuchen.« Kim verdrehte verzückt die Augen. »Da weiß ich gar nicht, welchen ich zuerst probieren soll.«
»Du kannst es dir ja in Ruhe überlegen, bis Marie kommt.« Franzi goss Früchtetee in zwei Becher. »Sie ist mal wieder zu spät. Typisch!
Marie hatte neben dem Detektivclub noch einige weitere Hobbys und immer einen vollen Terminkalender. Sie nahm Gesangs- und Schauspielstunden und trieb außerdem viel Sport.
»Bin gespannt, was sie diesmal für eine Ausrede hat.« Kim pustete vorsichtig in ihre Tasse, um den heißen Tee abzukühlen. Dabei wanderte ihr Blick durch den hellen Raum.
Mit der Pferdekutsche, dem Bollerofen, dem Teppich und den schönen Vorhängen sah es hier total gemütlich aus. Heute hatte Franzi auch noch einen großen, bunten Blumenstrauß aufs Fensterbrett gestellt.
»Die sind aber schön«, sagte Kim. »Hast du die selbst gepflückt?«
Franzi nickte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Heute wäre Oma Lottis Geburtstag gewesen.«
»Oh! Ja, stimmt, ich erinnere mich«, sagte Kim leise.
Franzis Großmutter war auch für Kim und Marie ein besonderer Mensch gewesen. In ihrem Haus in Billershausen hatten die drei !!! gerne mit Oma Lotti Krimis geschaut und sich von ihr mit selbst gebackenen Waffeln und ihrer köstlichen Erdbeermarmelade verwöhnen lassen. Doch dann hatte Oma Lotti einen Schlaganfall gehabt, von dem sie sich nicht mehr erholt hatte, und war vor fünf Monaten gestorben.
»An solchen Tagen ist es besonders schlimm, oder?«, fragte Kim mitfühlend.
»Ja, schon …«, antwortete Franzi mit erstickter Stimme. Sie holte ein Papiertaschentuch heraus und wischte sich die Tränen ab. »Vorhin war ich noch mit Chrissie an Omas Grab und hab es mit Blumen und einem Hufeisen von Tinka geschmückt.«
Kim nahm Franzi in den Arm. »Darüber hat sie sich bestimmt gefreut. Ich stelle mir oft vor, dass sie irgendwo da oben im Himmel ist und uns immer noch sehen kann.«
»Ja, das glaube ich auch.« Ein kleines Lächeln stahl sich in Franzis Gesicht. »Wahrscheinlich kann sie es kaum fassen, dass ich mich schon seit zwei Wochen nicht mehr mit Chrissie gestritten habe. Das ist absoluter Rekord.«
Kim kicherte. »Gratulation! Wie habt ihr das denn geschafft? Sonst ist sie doch so zickig und lässt keine Gelegenheit aus, um dich zu ärgern.« In der Hinsicht waren sich Franzis sechzehnjährige Schwester und Kims zehnjährige Zwillingsbrüder verblüffend ähnlich.
Franzi löste sich aus Kims Umarmung. »Lass uns von was anderem reden. Wie geht es denn …«
Weiter kam sie nicht. Ein scharrendes Geräusch vor dem Pferdeschuppen machte sie sofort hellhörig.
»Was war das?«, flüsterte Kim.
Franzi zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
Das Geräusch klang nach jemandem, der sich heimlich vor dem Pferdeschuppen herumdrückte. Jemand, der vorhatte, die drei !!! auszuspionieren? Na warte, dachte Kim, der kann was erleben.
Sie gab Franzi wortlos ein Zeichen und schlich mit ihr auf Zehenspitzen zum Eingang. Franzi versteckte sich hinter dem Türrahmen und Kim riss mit einem Ruck die Tür auf, die in das große Tor eingelassen war.
»Halt, stehen bleiben!«, rief sie laut.
Franzi schoss jetzt auch heraus, um ihre Freundin zu unterstützen. »Zutritt strengstens verboten!«
Kim blickte auf den menschenleeren Hof. Seltsam! War da wirklich niemand?
Franzi konnte auch erst niemanden sehen – bis sie hinunter auf den Boden schaute. Ein Baby krabbelte auf sie zu. Fröhlich patschte es mit den Händen auf den Boden und brabbelte dabei vor sich hin.
»Finn! Das gibt’s ja wohl nicht. Hallo, kleiner Mann!« Franzi schüttelte lachend den Kopf.