Samina Haye

Der Weg nach Roseworthy

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titel

Samina Haye

Danksagung

Widmung

Prolog

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Impressum neobooks

Samina Haye

 

Der Weg nach Roseworthy

 

Roman

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.



 

 

Danksagung

Ich möchte an dieser Stelle meinen Dank an alle aussprechen, die mir bei der Entstehung dieses Buches geholfen haben.
Meiner Lektorin verdankt das Buch wichtige Anregungen, Ecken und Kanten.

Für den letzten Feinschliff an meinem Roman, danke ich meinen großartigen Testlesern. Sie brachten mich auf verschiedene Ideen und halfen mir bei der Kapitelgestaltung.

Natürlich danke ich meinem Freund, meiner Familie und Tatjana, die einige Abende und viele Stunden mit einer gewissen geistigen Abwesenheit meinerseits leben mussten.
Danke für eure tolle Hilfe und Unterstützung.

Samina Haye












Widmung

Für meine Familie, die ich über alles Liebe!



Prolog


Samstag, 18. September 2010


Es war ein warmer Septembermorgen, an dem Zoe Clemens auf der Terrasse stand, um die Morgensonne zu genießen. Ihr langes, braunes Haar wehte im Wind, als sie gedankenverloren die letzten Jahre Revue passieren ließ.

Zoe war mit Julian Clemens nun seit über sechs Jahren verheiratet, doch als eine glückliche harmonische Ehe, konnte man dies leider nicht bezeichnen. Aber nach außen hin spielten sie die heile, perfekte Welt.

Eigentlich hatten beide nur eine heiße Affäre gewollt, doch dann war etwas geschehen, mit dem die zwei nicht gerechnet hatten. Zoe wurde mit ihrem bezaubernden Sohn Nick schwanger. Damals waren sie noch jung gewesen, doch Julian hatte sowieso nur zwei Dinge im Kopf gehabt: Das Fliegen und die Frauen.

Doch obwohl Zoe anfangs so erschreckt über die Schwangerschaft gewesen war, wollte sie das Baby unbedingt bekommen. Julian dagegen hatte sich gesträubt und versucht mit allen möglichen Tricks Zoe das Kind auszureden, doch ohne Erfolg.

Als sie wochenlang gestritten hatten, kamen sie nach einem langen Kampf zu dem Entschluss, zu heiraten.

Julians Eltern waren in dieser Hinsicht noch ziemlich altmodisch, da wäre es niemals infrage gekommen, ein uneheliches Kind in die Welt zu setzen.

Die ersten Monate ihrer Ehe waren für ihre Verhältnisse dennoch ziemlich gut verlaufen. Aber da Zoes schlanke Figur etwas rundlicher und ihr Bauch immer voller geworden war, hatte Julian Panik bekommen und war unausstehlich geworden.

Er liebte schlanke, attraktive Frauen und verlangte täglich seine Zärtlichkeiten. So war es passiert, dass er sich in den letzten Schwangerschaftswochen wenig Zuhause hatte blicken lassen.

Da Julian als Pilot viel Geld verdiente, hatte er es sich einfach gemacht und eine kleine noble Wohnung in der Nähe des Flughafens, wo er arbeitete, gekauft. Dorthin verkroch er sich mit seinen Affären, die er in den ganzen Jahren kennengelernt hatte.

Die Zeiten hatten sich etwas gebessert, als ihr gemeinsamer Sohn Nick auf die Welt gekommen war. Für einige Monate hatte sich Zoe gedacht, doch noch das Glück zu haben, eine wundervolle kleine Familie zu werden. Aber der Schein hatte getrogen. Zu Nicks drittem Geburtstag hatte sie Julian gegenüber den Wunsch geäußert, gerne noch ein zweites Kind bekommen zu wollen. Damit hatte sie das Fass zum Überlaufen gebracht.

Julian war außer sich geraten und hatte gab ihr eine Ohrfeige gegeben. Zoe wusste seine Worte noch, als wäre es erst gestern gewesen: „Zoe, es tut mir leid. Ich bin zu weit gegangen, ich wollte dich nicht schlagen, aber spinnst du? Ein zweites Kind? Du weißt doch, warum wir verheiratet sind. Es wird sich nichts daran ändern und auch ich werde mich nicht ändern. Ich möchte mich weiterhin mit anderen Frauen treffen. Das gehört, wie du und Nick, zu meinem Leben.“ Das waren seine Worte gewesen, bevor er kurz danach das Haus verlassen hatte und das ganze Wochenende nicht nach Hause gekommen war.


Nun war das alles über sechs Jahre her und bis heute noch spielten sie ihren Familien eine glückliche Ehe vor. Anfangs war es für Zoe unerträglich und sehr kompliziert gewesen, das alles durchzustehen. Ihre Schwester hatte oft nachgefragt, ob denn auch alles in Ordnung sei, doch Zoe fand immer irgendwelche Ausreden. Nach so vielen Jahren wusste sie mit dem Ganzen richtig umzugehen. Zoe weinte nicht mehr ganz so viel, aber sie führte immer noch ein trauriges und unvollkommenes Leben.

Das einzig Positive in ihrem Leben war ihr wunderbarer Sohn Nick. Er brachte sie zum Lachen und machte sie jeden Tag glücklich.

Heute, an diesem Samstag war es soweit. Der kleine Nick feierte seinen sechsten Geburtstag.

Als sich Zoe nun wieder fasste, ging sie schnell in die Küche, um das leckere Frühstück zu holen und draußen auf dem Terrassentisch aufzudecken.

Wenige Minuten später gesellte sich auch Julian zu ihr und nahm sich frischen Kaffee, aber sie sprachen nicht miteinander, sondern jeder las eine Zeitung.

Nick wünschte sich schon seit seinem dritten Lebensjahr einen Flugtag zusammen mit seinem Vater, einem erfahrenen Hubschrauberpiloten.

Wäre es nach Julian gegangen, hätte Nick schon viel früher mitfliegen dürfen, denn für ihn war Fliegen das Schönste und Normalste auf der Welt.

Doch für Zoe war das viel zu früh. Sie hatte auch immer ein ängstliches Gefühl, wenn ihr Mann seinen Beruf ausübte. Sie konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, dass sich Nicks Vater, ihrer Meinung nach, immer wieder großer Gefahr aussetzte.

Darum hatten sie sich darauf geeinigt, dass Nick erst zu seinem sechsten Geburtstag das ersehnte Geschenk bekommen sollte. Zusätzlich bekam er ein kleines Modellflugzeug, mit dem er spielen, aber auch lernen sollte, vorsichtig und verantwortungsvoll umzugehen.

Es dauerte an diesem Morgen nicht lange, schon hörten sie laute Geräusche aus Nicks Zimmer.

Er rannte schnell und gut gelaunt raus auf die Terrasse und schrie:

„Guten Morgen, Mama, Papa! Ich war heute schon total brav, bin frisch gewaschen und habe mir auch schon die guten Sachen angezogen. Bekomme ich jetzt bitte schon mein Geschenk?“

Zoe streckte mit einem Lächeln im Gesicht die Arme nach ihrem Sohn aus und Nick hüpfte voller Begeisterung auf den Schoß. Sie war so stolz auf ihren kleinen Sohnemann.

Nick lachte und sah seine Mutter an.

„Jetzt bin ich nicht mehr so leicht aufzufangen, denn ab heute bin ich schon ein ganz Großer.“

Alle drei brachen in lautes Gelächter aus.

„Da hast du recht. Guten Morgen, mein Großer. Hast du denn gut schlafen können?“

„Ja, Mami, sehr gut. Bin doch jetzt schon groß. Oma sagt doch immer, dass Vorfreude die schönste Freude sei auf das, was bald kommt. Tja, daran hab ich einfach gedacht.“

Nick sah seinen Dad voller Erwartung an, der endlich Anstalten machte, ihm sein Geschenk zu überreichen.

Julian merkte schon, dass Nick ungeduldig hin und her rutschte und musste lächeln.

Nick ging es einfach nicht schnell genug. Nach einer gefühlten Ewigkeit machte er einen spontanen Seitenwechsel auf Julians Schoß. Der große Augenblick war gekommen: Das Öffnen des Geschenkes.

Als er das Modelflugzeug sah, war es um ihn geschehen. Die Freude war so groß, dass er nicht bemerkte, dass sich noch etwas in dem Paket befand.

Zoe und Julian waren glücklich und zufrieden, dass sie ihrem Sohn diese Freude bereiten konnten.

„Jetzt hab ich auch einen Flieger“, jubelte Nick.

„Sieh doch noch mal in dem Paket nach. Ich glaube, da könnte noch eine Überraschung versteckt sein“, gab Zoe ihm den Tipp.

Sofort schaute er nochmals in die Schachtel und fand unter dem ganzen Geschenkpapier noch ein Foto.

„Toll, ein Bild von Papas neuem Hubschrauber, das muss ich gleich in meinem Zimmer aufhängen“, grinste er bis über beide Ohren. Zoe und Julian sahen sich glücklich an.

„Deine Mutter und ich haben entschieden, dass du jetzt alt genug dafür bist, um einen Flugtag mit mir zu verbringen!“

Nick sprang auf und jubelte vor lauter Freude.

„Papa, fliegen wir bitte heute noch? Bitte, bitte, es ist doch mein Geburtstag und so tolles Wetter noch dazu!“

Mit einem Lächeln im Gesicht sahen sich Zoe und Julian an und antworteten gleichzeitig:

„Aber natürlich. Heute ist doch dein Geburtstag!“

Der Junge war jetzt so aufgeregt, dass er nicht mehr wusste, was er als erstes tun sollte.

Nick rannte ins Haus, holte das Telefon und rief seine Großeltern an.

Voller Stolz berichtete er, welch „gigantisches“ Geschenk er bekommen hätte und dass es besser wäre, wenn sie erst am späten Nachmittag vorbeikämen. Denn dann könne er ihnen von dem tollen Flug erzählen.

Die Großeltern freuten sich mit ihm und mussten über ihren nervösen Enkel herzlich lachen. Sie wünschten ihm viel Spaß, er solle aber auf sich aufpassen und vorsichtig sein.

Nick ging wieder zu seinen Eltern, frühstückte mit ihnen und hörte einfach nicht mehr auf zu quasseln.

Kurz vor Mittag brachen Julian und Nick auf zum Flugplatz.

Zoe umarmte ihren Sohn noch einmal.

„Mein Spatz, ich wünsche dir ganz viel Spaß heute. Pass auf, was dein Vater dir alles erklärt.“

„Oh ja, danke schön, Mum, das werde ich machen!“

Er gab ihr noch einen dicken Kuss und sprang ins Auto.

Julian ging zu seiner Frau und drückte ihren Arm.

„Hab keine Angst, in ein paar Stunden sind wir wieder heil zurück und du hast deinen glücklichen Sohn vor dir stehen.“

Sie nickte schwach, doch Zoes Angst war deutlich zu spüren. Julian gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Viel Spaß, euch beiden!“

„Danke, den werden wir haben.“

Sie fuhren davon. Zoe winkte ihnen nach, bis sie nicht mehr zu sehen waren und flüsterte leise.

„Ich liebe dich, Nick.“

Spät am Nachmittag trafen Zoes Eltern und auch ihre Schwiegereltern ein. Sie war froh, nicht mehr alleine sein zu müssen und etwas Ablenkung tat ihr gut. Irgendwie hatte sie ein komisches Gefühl, aber wahrscheinlich war es nur Einbildung. Sie führte ihren Besuch auf die Sonnenterrasse und servierte Kaffee und Kuchen. Sie sprachen über Nick und darüber, wie schnell doch die Zeit vergangen sei, nun sei er schon sechs Jahre alt geworden.

Nach einiger Zeit fiel Zoes Mutter Sophie auf, dass Zoe ständig auf die Uhr schaute.

„Schätzchen, was ist denn los, du wirkst so bedrückt?“

Traurig, schon fast mit Tränen in den Augen sah diese ihre Mutter an.

„Mama, ich weiß nicht was los ist, aber ich habe schon seit einiger Zeit ein ungutes Gefühl, eigentlich sollten die zwei schon längst wieder hier sein.“

Man merkte, wie es auf einmal still wurde und niemand mehr etwas sagte. Alle sahen zu Zoe, bis Adam, Julians Vater, das Schweigen brach.

„Zoe, mach dich nicht fertig, deine Gefühle irren sich bestimmt. Hat denn mein Sohn sein Handy nicht dabei?“

Überrascht sah sie ihn an und fragte sich gerade, warum sie denn nicht selber darauf gekommen war.

„Ähm, ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Normalerweise verlässt Julian nie das Haus ohne sein Handy. Aber ich sehe sofort nach und ruf ihn an.“

Luise, ihre Schwiegermutter, bot ihr an, sie zu begleiten um bei der Suche behilflich zu sein. Zoe lächelte schwach, bedankte sich und meinte, sie schaffe das schon alleine, sie sollten noch in Ruhe die letzten Sonnenstrahlen genießen.

Nach kurzem Innehalten verschwand sie rasch im Haus und eilte ins Obergeschoss, wo sich Julians Büro befand.

Wie versteinert blieb sie stehen, denn ihr erster Blick war seltsamerweise sofort auf sein Handy gefallen. Sie verstand nichts mehr, das war noch nie geschehen, aber warum denn genau heute? War das ein schlechtes Omen?

Zoe ging zum Schreibtisch und nahm das Handy. Danach verließ sie wie in Trance das Zimmer und ging wieder nach unten.

Alle standen beisammen auf der Terrasse und genossen die Wärme des Abends.

Sie unterhielten sich über Nick, seinen Geburtstag und das wunderbare Geschenk, das er sich schon so lange gewünscht hatte. Alle mussten lächeln bei der Vorstellung, wie er später nach Hause kommen würde, voller Freude über das Erlebte.

Sie ahnten jetzt schon, was sein nächster Wunsch sein würde - nämlich, dass er so schnell wie möglich wieder mit seinem Dad fliegen dürfte.

Als sie Zoe mit dem Handy in den verkrampften Händen bemerkten fiel ihnen sofort auf, dass etwas nicht in Ordnung war.

Sie war blass im Gesicht und ging zu ihren Eltern hinüber.

„Ich verstehe das nicht, Julian hat das Handy doch immer bei sich, warum vergisst er es ausgerechnet heute?“

Bevor sie ihr eine Antwort darauf geben konnten, läutete es an der Haustüre.

Zoe eilte hin und hoffte, das Julian auch seinen Schlüssel daheim vergessen hätte und deshalb klingelte.

Doch dem war leider nicht so.

Vor ihrer Tür standen zwei Polizisten.

„Guten Tag. Entschuldigen Sie die Störung, sind Sie Frau Clemens?“, fragte der Polizist freundlich. Zoe sah die beiden an und wurde blass im Gesicht.

„Guten Tag, ja, ich bin Frau Clemens. Aber was wollen Sie denn von mir?“, fragte sie ängstlich.

„Dürfen wir reinkommen? Wir würden gerne mit Ihnen sprechen.“

Adam sah, dass Zoe mit der Fassung rang und kam ihr zur Seite.

„Guten Tag, ich bin Adam Clemens. Bitte kommen Sie herein.“ Er führte die Polizisten ins Wohnzimmer und bot ihnen an, sich zu setzen.

Zoe folgte ihnen wortlos.

Als alle Platz genommen hatten, sah der Polizist in die Runde und ergriff das Wort.

„Sind Sie der Vater von Julian Clemens?“

„Ja, das stimmt. Aber jetzt sagen Sie uns doch bitte, weshalb Sie gekommen sind.

Zoe war blass. Sie hatte große Angst vor der Antwort, weil sie doch schon seit Stunden ein ungutes Gefühl hatte. Noch hoffte sie, sich zu irren.

Der Blick des Polizisten ruhte auf Zoe. Voller Ungewissheit sah sie ihn an und wartete auf seine Antwort.

„Familie Clemens, es ist leider etwas Schreckliches passiert. Es tut uns von ganzem Herzen leid, Ihnen diese schlimme Nachricht überbringen zu müssen. Wir können noch nicht erklären, was geschehen ist. Der Hubschrauber von Herrn Clemens ist kurz vor der geplanten Landung abgestürzt. Herr Clemens und das Kind, das er bei sich hatte, sind an ihren schweren inneren Verletzungen noch am Unfallort verstorben.“

Zoe saß wie versteinert da, alle Farbe wich ihr aus dem Gesicht.

Sie wusste nicht ob sie gerade richtig hörte, doch dann sprang sie auf, rannte hinaus in den Garten und schrie.

Sie weinte heftig, ließ sich auf den Boden fallen und konnte sich nicht mehr beruhigen.

Ihre Eltern, Sophie und Paul, liefen zu ihr, nahmen sie in die Arme und weinten mit ihr.

Auch Adam und Luise, Julians Eltern, schwiegen erschüttert.

Julian, ihr älterer Sohn, und Nick, ihr einziges Enkelkind, waren tot.

Über die Familie senkte sich tiefe Trauer. Innerhalb weniger Augenblicke war für alle eine Welt zusammengebrochen.



1


Samstag, 28. November 2010


Zwei Monate waren seit der Beerdigung von Julian und Nick vergangen. Die ersten Wochen davon verbrachte Zoe wie in Trance.

Sie redete kaum und wenn man mit ihr ein Gespräch führte, wirkte sie abwesend und nahm nicht wirklich daran teil.

Lina, ihre jüngere Schwester, beendete ihre Beziehung zu Pete, denn er konnte nicht verstehen, warum Zoe noch immer trauerte und bezeichnete sie als psychisch krank. Deshalb packte Lina ihre Sachen und zog zu Zoe. Für Außenstehende war das unvorstellbar, wie traurig und erschütternd die Ereignisse in den letzten Wochen gewesen waren. Deswegen wollte Lina ihrer Schwester voll und ganz zur Seite stehen, und ihr einen starken Rückhalt geben. Doch Lina merkte, dass Zoes Zustand sich nicht besserte, sondern immer schlechter wurde. Jede Nacht musste sie ihre Schwester wecken, denn Zoe schrie sich die Seele aus dem Leib.

„Nick! Nick, komm zurück. Nick! Nick, wo bist du? Ich brauche dich, Nick.“ Danach begann Zoe heftig zu weinen.

Lina sprach oft mit ihren Eltern darüber und alle dachten sich, es sei die ersten Wochen normal, Alpträume zu haben. Doch nun waren schon über zwei Monate vergangen und dennoch hat sich nichts gebessert, im Gegenteil, die Träume wurden immer mehr und intensiver. Darum war es für Lina heute ein heikles Thema, das sie mit Zoe am Frühstückstisch besprechen musste.

Die Geschwister saßen gemütlich im Esszimmer und Zoe merkte, dass Lina angespannt war.

„Was ist denn los, du wirkst so bedrückt?“, fragte sie sie.

Lina starrte sie an und überlegte kurz, doch es musste sein.

„Süße, ich muss dir was sagen.“ Zoe sah sie erschrocken an und wartete gespannt auf das, was ihre Schwester zu sagen hatte.

„Ich weiß, die letzten Wochen waren nicht einfach, sondern das Traurigste, das einem im Leben nur widerfahren kann. Doch, hm, wie soll ich es dir erklären, ohne dich damit zu verletzten? Ich habe nun lange abgewartet und wollte dir auch die Zeit geben, es zu verarbeiten, um besser damit umgehen zu lernen. Mittlerweile befürchte ich aber, dass es dir psychisch immer schlechter geht und das Geschehene dir immer mehr zur Last fällt.“ Lina machte eine kurze Pause, um das Gesagte etwas wirken zu lassen, denn Zoe war kreidebleich im Gesicht. Aber nach ein paar Sekunden fuhr sie fort.

„Deine Träume und Ausbrüche häufen sich, du weinst wieder viel mehr und verschließt dich uns komplett. Anfangs traute ich mir zu, ich könnte es alleine hinbekommen, dich wieder aufzupäppeln und ins Leben zurück zu bringen, aber enttäuscht muss ich feststellen, dass ich es nicht schaffe.“ Zoe war bedrückt und Tränen kullerten ihr über die Wangen. Lina rückte mit dem Stuhl heran und nahm ihre große Schwester in die Arme.

„Unsere Eltern und ich wollen nur das beste für dich, wir möchten dich wieder lächeln sehen und möchten, dass du wieder am Leben teil nimmst“, sagte sie feinfühlig und Zoe seufzte.

„Deswegen möchten wir gerne, dass du in eine Therapie gehst, damit du bei der ganzen Verarbeitung der letzten erschütternden Wochen psychologische Unterstützung bekommst. Ich denke, dass es dir einfacher fällt mit außenstehenden Personen darüber zu sprechen und du dir dort deine ganze Last von der Seele reden kannst,“ erklärte sie ihrer Schwester und wartete angespannt auf eine Antwort.

Zoe hob den Kopf und sah ihre kleine Schwester verweint in die Augen und nickte.

„Was soll ich darauf jetzt sagen? Ich will nicht in eine Therapie gehen, aber ich merke ja selber, dass es schlimmer geworden ist und finde mein Leben unerträglich“, flüsterte sie erschöpft.

„Ich möchte versuchen, in psychologische Behandlung zu gehen, aber darf ich dich darum bitten, bei den ersten Sitzungen mitzukommen?“, fragte Zoe ängstlich. Nun konnte man spüren und sehen, dass Lina ein Stein vom Herzen fiel. Sie küsste ihre Schwester auf die Stirn.

„Was für eine Frage, natürlich komme ich mit, du wirst sehen, dass es dir dadurch bald besser gehen wird.“ Das waren die letzten Worte, bevor sie nun gemeinsam das Frühstück genossen.

Sie diskutierten darüber, wie wohl so eine Therapie verlaufen würde und nun platzte Lina mit einer weiteren Frage heraus.

„Weißt du, in ein paar Wochen ist Weihnachten. Mama und ich wollten heute noch die Einkäufe erledigen, weil jetzt in den Geschäften noch nicht ganz so viel los ist. Was hältst du davon, wenn du uns begleitest? Unseren Eltern würdest du damit eine große Freude machen und mir sowieso“, fragte sie vorsichtig und Zoe überlegte lange. Doch ihr kam ein kleines Lächeln über die Lippen.

„Hm, naja, vielleicht wäre das der richtige Start in meine Therapie und falls es mir zu viel wird, fahr ich einfach wieder nach Hause“, gab sie Lina als Antwort, die jetzt bis über beide Ohren grinste.

„Super, dann werde ich kurz zuhause anrufen und Papa fragen, ob er heute Abend was für uns kocht, wenn wir vom Weihnachtsbummel zurückkommen.“ Zoe nickte und war zufrieden. Nach dem Telefonat machten sich die Schwestern fertig und begaben sich zum Haus ihrer Eltern.

Sie fühlte sich etwas eigenartig, denn seit Julian und Nick beerdigt worden waren hatte sie das Haus nicht mehr verlassen.

Als sie am Haus ihrer Eltern vorfuhren, stand Sophie bereits in der Einfahrt. Sie strahlte über das ganze Gesicht.

Zoe wollte kurz aussteigen, um ihren Vater zu begrüßen, doch Sophie stieg sofort ins Auto.

„Hey, meine Lieben, ich habe schon auf euch gewartet, wir können gleich losstarten.“

Ihre Mutter hörte nicht mehr auf zu plaudern, bis Lina sie unterbrach.

„Mama, du weißt noch gar nicht, was Zoe und ich heute besprochen haben, das wird dich genauso beruhigen wie mich.“ Nun war Sophie still und wartete auf das, was sie zu hören bekommen sollte.

„Also, Zoe hat sich dazu entschlossen, ab nächster Woche in eine Therapie zu gehen. Denn sie möchte selber nicht mehr so weiter machen wie bisher“, erzählte sie ruhig. So ein Strahlen hatte man auf Sophies Gesicht schon lange nicht mehr gesehen.

„Oh, Schatz, ich freue mich so für dich. Es wird dir guttun, da kannst du dir deine ganzen Sorgen von der Seele reden und die Therapeuten werden dir dabei helfen, bald wieder glücklicher sein zu können.“

„Danke, Mama, ich bin auch wirklich froh darüber, mich dazu entschieden zu haben. Das habe ich ausschließlich Lina zu verdanken.“

Die drei plauderten noch ein wenig über die geplante Therapie, bis sie im großen weihnachtlich geschmückten Einkaufscenter ankamen. Da überkam Zoe plötzlich wieder ein unbehagliches Gefühl und alles kam wieder in ihr hoch.

Sie dachte an das Leuchten in Nicks Augen, wenn er Weihnachten ins Wohnzimmer schlich und den großen Weihnachtsbaum sah mit den vielen bunten Geschenken darunter. Doch sie wollte nicht, dass Lina und ihre Mutter merkten, wie schlecht es ihr gerade ging, deshalb sprach sie wie ein Wasserfall, um alles zu verdrängen und zu vergessen. Der Tag verging wie im Flug.

Nach dem Einkaufen fuhren sie zum Haus ihrer Eltern und freuten sich auf das gemeinsame Abendessen.

Sie sprachen auch mit ihrem Vater noch kurz über die Therapie, über Weihnachten und darüber, wie im diesem Jahr alles ablaufen würde.

Nach einem schönen aber anstrengenden Tag verabschiedeten sich die Schwestern und machten sich auf den Weg nach Hause.

Am nächsten Tag war der berühmte „Schwesterntag“ angesagt. Ein Tag des Faulenzens und Schlemmens.

Als Fans der bekannten Twilight Saga beschlossen sie spontan, den Sonntag dafür zu nutzen, um sich alle Teile anzusehen.

So verflog das Wochenende im Nu und Zoes Nervosität stieg.

Am nächsten Morgen war es soweit, sie fuhr mit ihrer Schwester zum Therapiezentrum.



2


Montag, 23.Dezember 2010


Nun begann für Zoe die zweite Therapiewoche und es ging ihr schon ein bisschen besser, doch bei der heutigen Sitzung war alles anders. Da ihre Therapeutin vermutete, noch mehr hinter Zoes Verschlossenheit lüften zu können, waren deren Fragen heute anders aufgestellt als sonst.

„Zoe, da es Ihnen psychisch schon besser geht, möchte ich meine Fragen nun etwas vertiefen“, sagte sie und fragte:

„Ist das in Ordnung für Sie?“ Zoe sah sie an und gab ihr nickend das Okay dazu.

„Sehr gut.“ Lächelte sie und nahm sich ihren Notizblock zur Hand.

„Also, was für meine weitere Behandlung sehr wichtig ist zu wissen: Wie war Ihre Beziehung und Ehe mit Julian?“, fragte sie vorsichtig. Zoe erschrak und wurde steif, denn damit hatte sie nicht gerechnet. Doch nach einigen Sekunden fasste sie sich und probierte ohne zu Stottern zu antworten.

„Tut mir leid.“ Sie machte eine kurze Pause und sagte leise: „Mit so einer Frage habe ich nicht gerechnet.“

„Sie brauchen sich dafür nicht entschuldigen. Wenn Sie soweit sind, dann sagen Sie´s mir einfach“, meinte sie ehrlich und Zoe atmete tief durch.

„Zwischen Julian und mir begann es harmlos mit einer heißen Affäre, dann aber passierte etwas Unvorhersehbares. Ich wurde schwanger“, erzählte sie und die Psychologin hörte aufmerksam zu und machte sich Notizen.

„Wir stritten wochenlang hin und her, bis wir zu dem Entschluss kamen zu heiraten. Es war eigentlich nur eine Zweckehe. Für Julian waren nur zwei Dinge in seinem Leben wichtig: Das war das Fliegen und seine Affären, die er nebenbei hatte“, brachte Zoe mit zittriger Stimme gerade noch heraus, bevor sie zu weinen begann und die Therapeutin ihr eine Taschentuchbox reichte. Zoe stand auf, ging zum Fenster und sprach weiter.

„Ich wollte gerne ein zweites Kind, doch als Antwort bekam ich von ihm eine Ohrfeige verpasst. Da das noch nicht reichte um mich zu verletzen, kaufte er sich eine noble Wohnung, wo er mit den anderen Frauen abtauchen konnte“, schrie sich Zoe ihren Frust von der Seele.

„Niemand weiß wie Julian wirklich war und keiner weiß etwas von dieser absurden Wohnung. Was soll ich denn damit tun? Ich will und brauche sie nicht. Ich möchte endlich mit dem Ganzen abschließen.“ Nun war es gesagt und Zoe fiel eine große Last von den Schultern.

Die Psychologin schrieb sich Notizen auf ihren Block und als sie aufsah, sah sie Zoe mitfühlend an.

„Das war sehr gut, dass Sie mir das erzählt haben, denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass noch ein großer Brocken auf Ihnen lastet“, sagte sie in ruhigem Ton und sprach gleich weiter.

„Leider kann ich Ihnen nicht sagen, wie Sie es am besten machen sollen und was die richtige Entscheidung ist. Entweder Sie überlassen die Entscheidung Julians Eltern, was mit der Wohnung geschieht, oder Sie verhalten sich still, verkaufen die Wohnung und leisten sich später mal einen tollen Urlaub davon. Lassen Sie sich Zeit, vielleicht tut es Ihnen gut mit Ihrer Schwester darüber zu sprechen, aber eines gebe ich Ihnen mit auf den Weg: Hören Sie auf Ihr Herz“, waren die abschließenden Worte dieser Therapiestunde.

Da Zoe nun etwas frische Luft und Ablenkung brauchte, ging sie noch im Park spazieren. Heute Abend, wenn Lina von der Arbeit nach Hause kam, würde sie mit ihr darüber sprechen.


~

Der Nachmittag ging schnell vorüber, sie lenkte sich damit ab, das Haus von oben bis unten zu putzen und nun hörte sie Linas Wagen in die Einfahrt fahren. Ihr Puls beschleunigte sich und die Anspannung stieg, denn wenn sie ihrer Schwester erzählte, wie Julian wirklich war, rastete Lina aus. Doch da musste sie jetzt durch.

Die Haustüre öffnete sich und Lina rief:

„Ich bin wieder da.“

„Ja, ich bin im Wohnzimmer.“ Sie schenkte sich ein Glas Wein nach und nahm einen stärkenden Schluck davon. Lina kam lächelnd herein.

„Wow, na hattest du einen erfolgreichen Tag, da du dir ein Gläschen Wein gönnst?“, fragte sie mit guter Laune, die aber schnell verflog, als sie Zoes verweintes Gesicht sah.

„Was ist los? Du hast geweint, geht es dir nicht gut?“, prasselten die Fragen nur so auf Zoe ein, die nun seufzte.

„Setz dich doch bitte mal zu mir, denn ich muss unbedingt mit dir reden“, gab sie ihr zu Antwort und Lina wurde nervös.

„Okay, ich bin ganz Ohr, aber bitte sag mir sofort was los ist“, flehte sie sie an. Zoe bat Lina, nicht dazwischen zu reden, sondern ihr in Ruhe zuzuhören und sie aussprechen zu lassen. Das Gespräch dauerte lange, Lina hörte ihrer Schwester angespannt zu und wurde von Minute zu Minute böser und aggressiver. Nach über einer halben Stunde platze ihr der Kragen und nichts hielt sie mehr zurück. Sie sprang auf, sodass die Weingläser fast umfielen und begann zu fluchen:

„Warum? Warum hat Julian das getan? Ich verstehe nichts mehr. Du bist eine wunderschöne, zauberhafte und liebenswerte junge Frau, ihr hattet einen wunderbaren gemeinsamen Sohn und er rennt all die Jahre zu anderen Frauen?“ Lina war außer sich vor Wut, doch sie musste sich Zoe zuliebe wieder etwas beruhigen. Nun setzte sie sich zu ihrer weinenden Schwester und nahm sie in die Arme. Minutenlang schwiegen sie und ließen das Gespräch kurz ruhen.

„Es tut mir leid, ich wollte nicht solchen Ärger bereiten“, flüsterte Zoe ihr leise ins Ohr, die nur mehr den Kopf schüttelte.

„Ah, du brauchst dich doch nicht für diesen Idioten entschuldigen. Ich finde es nur schade, dass du all die Jahre nie zu mir gekommen bist, ich hätte dir doch geholfen und dich dabei unterstützt“, sagte sie einfühlsam zu ihrer Schwester, die nun traurig lächelte.

„Doch es bringt nichts, es Julians Eltern zu erzählen, da beginnen wir nur einen Streit und große Unruhe bricht aus. Ich denke, darauf können wir gut verzichten, am besten wird es sein, wenn wir nach den Feiertagen einen Immobilienmakler aufsuchen, der für uns die Wohnung verkauft. Du legst das Geld auf dein Sparbuch und wenn wieder Ruhe in dein Leben eingekehrt ist, machst du mal einen Strandurlaub oder kaufst dir ein neues Auto davon“, meinte Lina ermutigend zu Zoe, die nun erleichtert wirkte.

„Das ist eine gute Idee, so werden wir das machen. Danke, Schwesterherz.“ Sie gab ihr ein Küsschen auf die Wange. Lina stand auf und holte den Brandy aus der Glasvitrine.

„Den haben wir uns jetzt verdient.“ Die Schwestern saßen noch stundenlang zusammen und sprachen ausführlich nochmal über alles, bis die zwei beschwipst auf dem Sofa einschliefen.


Freitag, 24. Dezember 2010


Vor fast einem Monat hatte Zoe mit ihrer Therapie begonnen, und sie musste feststellen, dass es ihr seither um einiges besser ging. Zoe erfreute sich wieder ein bisschen mehr am Leben und sie konnte auch wieder mehr lächeln. Aber vor den bevorstehenden Weihnachtstagen hatte sie leider ein komisches, ungutes Gefühl in sich.

Es war das erste Weihnachten ohne ihren Sohn Nick und ihren Mann Julian.

Die letzten Tage vergingen wie im Flug, und nun früh morgens fuhren Zoe und Lina zu ihrem Elternhaus. Lina freute sich sehr, doch sie bemerkte schon seit Tagen, dass Zoe angespannt wirkte, deshalb setzte Zoes Familie alles daran, ihr den Weihnachtstag so schön wie möglich zu gestalten.

Nachdem der Baum geschmückt und alles soweit fertig war gingen sie warm eingepackt zur Kirche, denn es war ein sehr kalter verschneiter Tag.

Am Abend wurde gespeist und anschließend gab es im Wohnzimmer vorm Kamin die Bescherung der Geschenke. Auch beschlossen sie in dieser gemütlichen Runde, dass dieses Jahr Silvester bei Zoe und Lina zuhause gefeiert wurde.

Die Schwestern hatten vor, sich das eine oder andere Glas Wein zu gönnen, deshalb blieben sie über Nacht bei ihren Eltern. Die beiden schliefen seit Langem wieder mal in ihren alten Kinderzimmern.

Als Zoe alleine im Bett lag kam die Trauer über sie. Sie kuschelte sich in ihre Decke und begann zu weinen, aber so leise, dass es niemand hören konnte. Sie vermisste Nick so sehr, dass sie es kaum aushielt und der morgige Tag bereitete ihr Unbehagen, denn ein Treffen mit den Schwiegereltern stand bevor.

Zoe hatte sie schon seit einigen Wochen nicht mehr gesehen, denn sie ging ihnen aus dem Weg.

Die Erinnerungen waren so stark, dass sie sich fühlte, als würden ihr Körper und ihre Seele in tausend Teile zersplittern.

Doch zum Glück dauerte es nicht lange und sie schlief unter Tränen ein.


~

Nun war der Tag gekommen und Zoe war auf dem Weg zu dem wunderschönen Anwesen ihrer Schwiegereltern.

Sie hatte ein seltsames Gefühl, doch da musste sie jetzt durch. Kurz darauf bog Zoe in die lange Einfahrt, die links und rechts mit herrlichen alten Kastanienbäumen bepflanzt war. Luise und Adam standen im Türrahmen und warteten schon sehnsüchtig auf sie. Die Freude war ihnen anzusehen, das konnte Zoe jedoch von sich nicht behaupten. Doch der Abend verlief gut, sie sprachen über vieles, doch es lag trotzdem eine große Anspannung in der Luft.

Ein paar Stunden später verabschiedete Zoe sich.

Daheim angekommen sah Zoe, dass Lina auf der Couch eingenickt war und deckte sie mit ihrer Lieblingsdecke zu, gab ihr ein Küsschen und begab sich dann auch gleich ins Bett.

Es war ein schöner Tag gewesen. Alles ging ihr nochmal durch den Kopf, aber die Erinnerungen an früher, an ihre Familie waren nun wieder so nah und sehr schmerzhaft.

Sie musste lange weinen, bis sie endlich einschlief.



3


Freitag, 31. Dezember 2010


So, heute war es soweit, der Silvesterabend stand vor der Tür.

Zoe lag noch in ihrem Bett, döste entspannt vor sich hin und sehnte schon den Abend herbei, denn sie wusste, dass es heute sicher lustig werden würde.

Die letzten paar Tage waren ruhig gewesen, sie hatte viel Zeit um nachzudenken gehabt und beschloss, ihrem Leben eine neue Perspektive geben zu müssen.

Sie konnte das Leuchten in den Augen ihrer Eltern direkt schon spüren, wenn sie ihnen heute Abend davon berichtete.

Vielleicht wäre es besser, Lina vorab einzuweihen, schon allein im Hinblick darauf, die Schwester unterstützend hinter sich stehend zu wissen.

Sie stand auf, wusch sich, ging in die Küche und bereitete im Esszimmer ein gemütliches Frühstück zu. Hoffentlich war ihre Schwester guter Laune.

Kurze Zeit später stand Lina im Esszimmer und staunte über den einladenden Frühstückstisch.

„Oh làlà, Schwesterchen, was ist denn heute Morgen los? So gut gelaunt und dann noch ein leckeres Frühstück, gibt es einen besonderen Anlass?“

Zoe musste über ihre Schwester lachen und dachte sich, es sei ein guter Tag. Sie sah die Neugierde in Linas Augen.

„Ähm, ja, es gibt einen besonderen Anlass, doch ich muss dir jetzt etwas Wichtiges erzählen. Ich finde es besser und richtig, dies jetzt zu tun, bevor unsere Eltern es am Abend erfahren“, sagte sie und Lina wurde ungeduldig.

„Zoe, kannst du bitte mit der Sprache rausrücken, du machst mich schon früh am Morgen neugierig“, sagte sie wartend. Mit so einer Reaktion hatte Zoe gerechnet.

„O.k., o.k. Ist ja nichts schlimmes, aber ich möchte nach den Schulferien wieder zurück an die Schule, um zu unterrichten“, erzählte sie und Lina grinste übers ganze Gesicht!

„Das ist aber mal eine tolle Nachricht! Das freut mich zu hören, da können wir gleich mit tollen Neuigkeiten ins neue Jahr rein feiern“, jubelte sie schon fast und umarmte Zoe. Nun konnten sie das Frühstück in Ruhe genießen.

Der Abend brach an, und die zwei Schwestern hatten sich hübsch gemacht, sie standen im Wohnzimmer und betrachteten die Silvesterdekoration. Der heutige Abend versprach wunderschön und besonders zu werden.

„Lina, das haben wir super hinbekommen.“ Sie grinsten sich an.

„Ja, wie recht du hast. Weißt was, bevor unsere Eltern kommen haben wir uns noch ein Gläschen Sekt verdient!“

Die zwei stürmten in die Küche und ließen den Korken knallen.

Nach dem letzten Schluck klingelte es an der Tür.

„Wow, das habt ihr ja toll gemacht! Es freut mich, hier bei euch zu sein“, sagte ihre Mutter.

Sie bedankten sich und setzten sich ins Wohnzimmer, da wurde gequatscht und gelacht.

Zoe saß auf dem Teppichboden. Sie hielt den Augenblick für gekommen und machte mit einem klirrenden Klopfen an ihr Sektglas auf sich aufmerksam.

„Ja, heute ist ein besonderer Abend. Ich habe alle meine Liebsten um mich und möchte mich gleich mal bei euch allen bedanken, dass ihr in der letzten schwierigen Zeit an meiner Seite wart und mich unterstützt habt. Doch nun muss das Leben wieder weitergehen, ich werde mich bemühen nach den Weihnachtsferien wieder an meine Schule zurück zu kehren, um zu unterrichten. Seit längerer Zeit mache ich mir nun Gedanken darüber, wie ich am besten weiter machen soll, und da bin ich zu diesem Entschluss gekommen.

„Zoe, wir sind stolz auf dich, dass ist wirklich eine super Nachricht, die wir mitnehmen ins neue Jahr.“

Ihr Vater nahm sie in die Arme und gab ihr einen Kuss auf die Wange, alle freuten sich für sie.

Schließlich spielten sie noch Spiele, aßen und tranken, die Zeit verging so schnell und schon war es Mitternacht. Sie gingen ins Freie und Paul schoss ein paar Raketen in den wolkenlosen Himmel.

Als ihnen kalt wurde gingen sie hinein in die warme Stube, nur Zoe blieb noch kurz bei Nicks Schaukel stehen.

„Mein Schatz, du bist nicht mehr hier bei mir. Ich vermisse dich so sehr, ich weiß noch immer nicht, wie ich ohne dich leben soll, ich habe Angst, es nicht auf die Reihe zu bekommen. Tja, das hört sich blöd an, aber wenn ihr wirklich dort oben seid, gib mir doch ein Zeichen. Ich liebe dich über alles und du bist immer in meinem Herzen.“

Sie meinte, alles gesagt zu haben und wollte wieder ins Haus gehen, doch da packte sie ein warmer Windstoß, Nicks Schaukel bewegte sich und über ihr stieg die schönste Rakete, die sie je gesehen hatte, in den Himmel.

Da war sie, die Bestätigung. Nun konnte sie mit ruhigem Gewissen den nächsten Schritt tun.

Sie ging hinein, war glücklich und ließ die Nacht mit ihrer Familie schön ausklingen.


~

Zoe hatte noch eine Woche Zeit, um alle Sachen zu erledigen, die sie sich schon seit einer Weile vorgenommen hatte, bevor sie wieder mit dem Unterricht beginnen wollte.

In diesen Tagen ging sie seit Langem wieder einmal zum Reitstall, der sich in der Nähe ihres Elternhauses befand.

Die wunderschöne große Ranch gehörte einem Freund von Zoes Vater, und dort hatten die Schwestern ihre Pferde untergestellt.

Sich auf den Pferderücken zu setzen heißt entspannen und loslassen zu können, man fühlt sich in diesem Moment, schlicht und einfach gesagt, frei.

Frei von allen Sorgen, frei von allen schlechten Gedanken, man kann abschalten und den Ritt sorglos genießen. So ging es Zoe auch diesmal.

Danach fuhr sie heim und fühlte sich gut, für ein paar Stunden hatte sie alle traurigen Gedanken beiseitegeschoben.

Lina half Zoe dabei, Julian und Nicks Sachen in Kisten zu räumen. Zoe war furchtbar traurig darüber.

„Aber das ist doch schrecklich von mir, was ich hier mache“, sagte sie mit tränenden Augen zu ihrer Schwester, die sie nun zärtlich drückte.

„Ich weiß, es fühlt sich nicht richtig an für dich, aber es ist schon einige Monate her, du musst das irgendwann machen, es wird dir immer schwer fallen, egal zu welchem Zeitpunkt.“

Als sie damit fertig waren, ging Lina mit ihrer Schwester raus in die frische Luft, sie machten einen langen Spaziergang durch den Wald und sprachen in Ruhe nochmal über das Thema.

Nun war der letzte Abend angebrochen, die zwei jungen Frauen machten sich ein leckeres Essen, gekrönt von Schokoladeneis, bekannt dafür, gut für die Nerven zu sein.

Morgen wollte Zoe in die Schule gehen und dem Direktor und ihren Kollegen von ihrer Rückkehr berichten.



4


Montag, 10. Jänner 2011


Um Punkt sechs Uhr morgens läutete seit Langem wieder mal Zoes Wecker. Mit einem flauen Gefühl im Magen stand sie auf und führte ihr tägliches Morgenritual durch. Ab unter die Dusche, danach in die Küche und einen starken Kaffee genießen.

In den Wintermonaten pflegte Zoe immer zu Fuß in die Schule zu gehen und so stand sie auch diesmal nach kurzer Zeit vor dem Eingangstor der Schule. Sie blieb kurz stehen, atmete nochmal tief durch und betrat dann die Schule.

Zoe wollte als erstes den Direktor begrüßen und machte sich auf in Richtung seines Büros.

Doch als sie den Flur entlangging wuchs ihre Unruhe. Es war so ungewöhnlich ruhig, niemand war zu sehen. Als sie um die Ecke bog standen alle Lehrer versammelt.

Hinter ihnen an der Wand hing ein großes Willkommensplakat, das die Schüler gemeinsam mit den Lehrern gemalt hatten.

Alle riefen wie aus einem Mund: “Herzlich Willkommen!“ und kamen ihr lächelnd entgegen.

Ihre Kollegen waren froh, sie wiederzusehen und endlich wieder bei sich in der Schule zu haben.

Direktor de Mol ging zu Zoe, nahm sie in die Arme und räusperte sich kurz.

„Guten Morgen, Zoe, wir sind glücklich, Sie wieder hier zu haben. Ihre Schwester war so lieb und hatte mir vor ein paar Tagen bescheid gegeben, damit wir Sie herzlich begrüßen können.“

Zoe musste tief durchatmen. Dieser herzliche Empfang ging ihr doch sehr nahe, und sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten.

Sie sah in die Runde und begann zu weinen. Direktor de Mol nahm ihren Arm und brachte sie in sein Büro.

„Es tut mir leid, Herr Direktor, es war wohl zu viel auf einmal.“

Die Direktionsassistentin brachte ihr ein Glas kaltes Wasser.

Sie hörte, wie die Lehrer am Gang miteinander sprachen.

Als sie sich wieder gefasst hatte kam ihr Chef und setzte sich neben Zoe.

„Wenn es Ihnen zu viel wird, sagen Sie es, Sie können jederzeit zu mir ins Büro kommen, abschalten und einige Minuten für sich alleine sein. Ich kann gut verstehen, wenn es nicht von heute auf morgen geht, dass Sie sich wieder wohl fü