Abkürzungsverzeichnis
Bezeichnung |
ggf. übliche deutsche oder lateinische Bezeichnung |
Synonyme |
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5-HT |
5-Hydroxytryptamin |
Serotonin |
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A1 |
primärer auditorischer Cortex |
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AAS |
ascending arousal system |
aufsteigendes Arousal-System |
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AC |
anterior commissure |
vordere Kommissur |
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ACC |
anterior cingulate cortex |
anteriores Cingulum |
Gyrus cinguli, Pars anterior |
ACh |
Acetylcholin |
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ACTH |
adrenocorticotropes Hormon |
Corticotropin |
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ADHS |
Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätsstörung |
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ADS |
Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ohne Hyperaktivität) |
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AI |
anterior insula |
vordere Insula |
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AMG |
Amygdala |
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ANS |
autonomes Nervensystem |
vegetatives Nervensystem |
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ATP |
Adenosintriphosphat |
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BA |
Brodmann Areal |
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BDNF |
brain-derived neurotrophic factor |
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BG |
Basalganglien |
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bpm |
beats per minute |
Schläge pro Minute |
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CBT |
cognitive-behavioral therapy |
Kognitiv-behaviorale Therapie |
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CRH |
Corticotropin-Releasing-Hormon |
Corticoliberin |
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DA |
Dopamin |
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DAT |
Dopamintransporter |
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dB |
Dezibel |
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DBS |
deep brain stimulation |
tiefe Hirnstimulation |
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DLPFC |
dorsolateraler präfrontaler Cortex |
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DMN |
default mode network |
Ruhezustandsnetzwerk |
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DNA |
Desoxyribonukleinsäure |
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EEG |
Elektroenzephalografie |
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EKP |
Ereigniskorrelierte Potenziale |
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FEF |
frontal eye fields |
frontales Augenfeld |
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fMRI |
functional magnetic resonance imaging |
funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) |
funktionelle Kernspintomographie |
FR |
Formatio reticularis |
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GABA |
gamma-aminobutyric acid |
Gamma-Aminobuttersäure |
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GR |
Glukokortikoidrezeptor |
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HHL |
Hypophysenhinterlappen |
Neurohypophyse |
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HPA-Achse |
hypothalamic-pituitary-adrenal axis |
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse |
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HVL |
Hypohysenvorderlappen |
Adenohypophyse |
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Hz |
Hertz |
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IASP |
International Association for the Study of Pain |
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IC |
inferior colliculus |
Colliculus inferior |
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IFG |
inferior frontal gyrus |
Gyrus frontalis inferior |
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IPS |
intraparietal sulcus |
Sulcus intraparietalis |
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K+ |
Kalium |
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KHK |
Koronare Herzkrankheit |
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M1 |
Primärer motorischer Cortex |
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MCS |
minimally conscious state |
minimaler Bewusstseinszustand |
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MEG |
Magnetenzephalographie |
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MENT |
Mentalisierungssystem |
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MIT |
Melodic Intonation Therapy |
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MNEMO |
musikbezogenes neurobiologisches Entspannungsmodell |
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MNS |
mirror neuron system |
Spiegelneuronensystem |
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mPFC |
medialer präfrontaler Cortex |
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MR |
Mineralkortikoidrezeptor |
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MS |
Multiple Sklerose |
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MSH |
melanozytenstimulierendes Hormon |
Melanotropin |
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NA |
Noradrenalin |
engl. NE |
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NAc |
Nucleus accumbens |
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NLG |
Nervenleitgeschwindigkeit |
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O2 |
Sauerstoff |
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OFC |
orbitofrontaler Cortex |
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PAG |
periaquäduktales Grau |
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PCC |
posterior cingulate cortex |
posteriores Cingulum |
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PET |
Positronen-Emissions-Tomographie |
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PFC |
präfrontaler Cortex |
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PGE2 |
Prostaglandin E2 |
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PLA2 |
Phospholipase A2 |
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PNS |
Peripheres Nervensystem |
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POMC |
Proopiomelanocortin |
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PTSD |
post-traumatic stress disorder |
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) |
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PVN |
(hypothalamic) paraventricular nucleus |
Nucleus paraventricularis (Hypothalamus) |
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RAS |
Rhythmisch-akustische Stimulation |
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RM |
Rückenmark |
||
RNA |
Ribonukleinsäure |
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RR |
Blutdruck (nach Scipione Riva-Rocci, Erfinder der indirekten Blutdruckmessung) |
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S1 |
Primärer somatosensorischer Cortex |
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SAB |
Subarachnoidalblutung |
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SAM-Achse |
sympathetic adreno-medullary axis |
Sympathikus-Nebennierenmark-Achse |
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SMA |
Supplementär-motorisches Areal |
||
SRW |
Syndrom reaktionsloser Wachheit |
||
SSW |
Schwangerschaftswoche |
||
STR |
Striatum |
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STS |
Sulcus temporalis superior |
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TP |
Temporalpol |
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TPJ |
tempoparietal junction |
tempoparietale Übergangsregion |
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TSH |
thyroideastimulierendes Hormon |
||
VFC |
ventraler frontaler Cortex |
||
vmPFC |
ventromedialer präfrontaler Cortex |
||
VTA |
ventral tegmental area |
ventrales Tegmentum |
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WS |
Wirbelsäule |
||
ZNS |
Zentralnervensystem |
Anhang
Glossar
Ätiopathogenese: medizinisches Erklärungsmodell für die Ursache und die Entstehung einer Krankheit (zusammengesetzt aus den häufig synonym verwendeten Begriffen: Ätiologie und Pathogenese).
afferent: Bezeichnung für Nervenbahnen, die Signale zum Gehirn weiterleiten (lat. afferens = zuführend).
angiokinetisch: die Bewegung der Blutgefäße betreffend (Synonym: vasomotorisch): z. B. Verengung (Vasokonstriktion) oder Erweiterung (Vasodilatation) der Blutgefäße.
Anhedonie: Unfähigkeit, Freude zu empfinden; fehlende Genussfähigkeit.
Areal F5: Abschnitt des prämotorischen Cortex beim Affen; gilt als Entsprechung des Broca-Areals beim Menschen (s. Abb. A.1 im „Kleinen Hirnatlas“).
Atrophie: Abbau / Rückbildung von Gewebe (z. B. beim Muskel oder im Gehirn) oder eines Organs.
Bildgebende Verfahren: bezeichnet in der medizinischen Diagnostik und neurowissenschaftlichen Forschung verschiedene apparative Untersuchungsmethoden, mit denen in vivo Bilddaten des Gehirns ermittelt werden können (synonym verwendet: Bildgebung; Neuroimaging). Bei der strukturellen Bildgebung (z. B. CT, MRT) werden beispielsweise zur Tumordiagnostik zwei- und drei-dimensionale anatomische Bilder des Gehirns erzeugt. Die funktionelle Bildgebung (z. B. fMRI, PET) erlaubt die indirekte Darstellung von Funktions- bzw. Aktivitätsänderungen im Gehirn (z. B. durch erhöhten Blutfluss in einzelnen Hirnregionen).
Biomarker: objektiv messbare biologische Parameter, die Aufschluss geben über pathologische Veränderungen des Körpers und die zu diagnostischen Zwecken oder zum Monitoring von Krankheitsverläufen eingesetzt werden können.
bio-psycho-soziales Modell: Ein auf den US-amerikanischen Psychiater George L. Engel zurückgehendes Modell der Krankheitsentstehung. Das Modell geht davon aus, dass unabhängig von der Krankheitsursache stets biologische, psychische und soziale Faktoren zusammenwirken und einen Einfluss auf Gesundheit und Krankheit eines Menschen haben.
Cytoskelett (auch Zytoskelett): eine dreidimensionale, bewegliche Struktur aus Filamenten (Fäden) und Röhrchen, die das Gerüst eukaryotischer Zellen bildet. Die Bestandteile des C. sind: 1. Aktinfilamente, 2. Intermediärfilamente und 3. Mikrotubuli.
Effektororgan: Erfolgsorgan; bezeichnet den Zielort eines (neuro-)physiologischen Ablaufs, z. B. glatte Muskulatur oder Drüsen des vegetativen Nervensystems.
Effektstärke: Begriff aus der Statistik; kennzeichnet bei Experimenten das Ausmaß der Wirkung eines Effektes. Cohen’s d ist eine häufig verwendete Effektgröße, um Mittelwertunterschiede zwischen zwei Gruppen zu beschreiben. Dabei gilt ein d zwischen 0.2 und 0.5 als kleiner Effekt, ein d zwischen 0.5 und 0.8 als mittlerer und ein d größer als 0.8 als starker Effekt.
efferent: Bezeichnung für Nervenbahnen, die Signale vom Gehirn in die Peripherie (z. B. zu den Muskeln) leiten (lat. efferre = heraustragen).
Elektroenzephalographie (EEG): registriert die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde („Hirnströme“) mittels auf der Kopfhaut befestigter Elektroden.
Ereigniskorrelierte Potenziale (EKP): bei EKPs handelt es sich um charakteristische EEG-Veränderungen, die durch die Wahrnehmung äußerer Stimuli (visuell, akustisch etc.) hervorgerufen werden.
evozierte Potenziale (EP): im EEG messbare, durch äußere Stimulation hervorgerufene (= evozierte) Reizantwort, die der Funktionsdiagnostik neurologischer Störungen dienen; z. B. kann mittels akustisch evozierter Potenziale (AEP) die Hörbahn zwischen Cochlea und primärem auditorischen Cortex evaluiert werden.
Extrazellulärraum: Raum außerhalb der Zelle (Ggs. Intrazellulärraum); enthält die Extrazellulärflüssigkeit, bestehend aus Blutplasma, Lymphe, interstitiellem und transzellulärem Wasser.
Funktionelle Kernspintomographie (Synonym: Magnetresonanztomographie, fMRT / fMRI): Bildgebendes Verfahren, mit dem Aktivitätsänderungen im Gehirn gemessen werden können. Das Verfahren beruht auf der Erfassung von Änderungen im Magnetfeld, die durch die unterschiedlichen magnetischen Eigenschaften von sauerstoffreichem (oxygeniertem) und sauerstoffarmen Blut hervorgerufen werden. Mittels fMRI ist es beispielsweise möglich, kognitive Funktionen und emotionale Prozesse im Gehirn mit einer hohen räumlichen Auflösung (< 1 mm) und einer zeitlichen Auflösung im Sekunden-Bereich zu kartieren.
Genexpression: kennzeichnet den Prozess der Biosynthese eines spezifischen Genproduktes (RNA, Protein), bestehend aus zwei Schritten: Transkription (Ablesen der entsprechenden Information von der DNA und Übertragung in Messenger-RNA) und Translation („Übersetzung“ des genetischen Codes in Aminosäuren, aus denen sich die Proteine zusammensetzen). Die Genexpression unterliegt komplexen regulatorischen Prozessen, die darüber entscheiden, wann ein Gen „angeschaltet“ oder „abgeschaltet“ wird.
Genotyp: die den Phänotyp (und andere Merkmale) bestimmende Gesamtheit der Erbanlagen eines Organismus.
Genpolymorphismus: beschreibt die genetisch bedingte Vielgestaltigkeit von Lebewesen. Von einem Genpolymorphismus spricht man, wenn in einer Population mehrere Varianten eines Gens an einem Gen-Ort (Locus) auf der DNA vorliegen. Diese Varianten einer Gen-Ausprägung werden auch als Allele bezeichnet.
glandotrope Hormone: Steuerhormone der Adenohypophyse (HVL), die auf andere Drüsen bzw. endokrine Organe wirken (lat. glandula = Drüse; -trop = gerichtet). Dazu gehören z. B. Thyreoidstimulierendes Hormon (TSH) und Adrenocortikotropes Hormon (ACTH).
Gyrus angularis: Hirnwindung am Übergang zwischen Temporal- und Parietallappen. Funktionell liegt der Gyrus angularis zwischen sekundärer Hörrinde und sekundärer Sehrinde und wird mit höheren kognitiven Aufgaben (u. a. Rechnen, Schreiben, Lesen) in Verbindung gebracht.
Hypometabolismus: reduzierte Stoffwechselaktivität.
ipsilateral: auf der gleichen Seite (z. B. Verlauf von Nervenbahnen im Rückenmark)
kongenital: angeboren
Konnektivität: In den Neurowissenschaften ist Konnektivität ein Überbegriff für die Verbindung zwischen verschiedenen Hirnarealen. Von struktureller Konnektivität spricht man, wenn eine anatomische Verbindung (Nervenbahnen; Axone) zwischen den Regionen besteht. Die funktionelle Konnektivität bezieht sich auf das Zusammenspiel verschiedener, meist räumlich getrennter Hirnregionen, welches sich in der Regel in der zeitlichen Korrelation von Aktivierungen bei umschriebenen Aufgaben widerspiegelt. Diese synchronen Aktivierungen lassen sich durch elektrophysiologische und bildgebende Verfahren (EEG, fMRI) sichtbar machen.
kontralateral: auf der Gegenseite (z. B. die Pyramidenbahn kreuzt in ihrem Verlauf auf die Gegenseite; auch die jeweils andere Gehirnhälfte wird als „kontralateral“ bezeichnet)
Kopplung: neuronale Kopplung bezeichnet die Ähnlichkeit oszillatorischer Komponenten zwischen zwei (oder mehr) Quellen: z. B. EEG-Signale in zwei Hirnarealen oder zwischen zwei Gehirnen (interbrain oscillatory coupling).
Korsakow-Syndrom: Die nach dem russischen Neurologen Sergei Korsakow benannte Gedächtnisstörung imponiert durch Amnesien, die – meist als Folge chronischer Alkoholabhängigkeit – zusammen mit Desorientiertheit und Konfabulationen auftreten.
Life events: kritische Lebensereignisse (positiv und negativ), die als psychosoziale Faktoren Einfluss auf die Entstehung psychischer Störungen haben (z. B. Scheidung, Tod eines Familienangehörigen, Heirat, Schwangerschaft).
Magnetenzephalographie (MEG): Bildgebendes Verfahren mit sehr hoher zeitlicher Auflösung zur Aufzeichnung der Magnetfelder des Gehirns.
Neurotransmission: Kommunikation zwischen Neuronen über Synapsen (elektrisch oder chemisch mittels Neurotransmitter).
parakrin: Hormone oder andere Substanzen werden in unmittelbar angrenzende Regionen abgesondert und beeinflussen auf diese Weise benachbarte Zellen.
Paralimbisches System: Als paralimbisch werden Hirnareale bezeichnet, die eng mit dem limbischen System verbunden sind (griech. para = neben, bei). Dazu zählen neben der Insula auch der Gyrus cinguli sowie der posteromediale orbitofrontale Cortex.
Pentatonische Skala: Fünfstufige Tonleiter (meist ohne Halbtonschritte)
Placebo-Effekt (lat. „ich werde gefallen“): Eintreten einer physiologischen oder psychischen Wirkung als Reaktion auf eine Schein-Intervention oder die Einnahme eines Schein-Medikaments (Gegenteil: Nocebo).
Phänotyp: das durch Genetik und Umwelteinflüsse bedingte äußere Erscheinungsbild eines Lebewesens.
Positronen-Emissions-Tomographie (PET): Bildgebendes Verfahren, mit dem funktionelle Änderungen von Stoffwechselprozessen gemessen werden können (z. B. Glucose-Metabolismus im Gehirn). Das Grundprinzip beruht auf der Detektion von Gamma-Strahlen, die beim Zerfall von radioaktiv markierten Substanzen freigesetzt werden.
Prädiktor: Vorhersagewert; unabhängige Variable in Korrelations- und Regressionsanalysen. Erlaubt die Vorhersage für das Eintreten eines Ereignisses (z. B. für das Erkranken an einer bestimmten Krankheit).
Pruning (auch synaptic pruning): bezeichnet die Elimination ungenutzter Synapsen im Gehirn, also eine Art „Ausjäten“ oder „Zurechtstutzen“ von Nervenverbindungen nach dem Motto: „Use it or lose it“. Findet zwischen der frühen Kindheit und der Pubertät statt; fehlgeleitetes Pruning wird auch mit der Entwicklung psychischer und neurodegenerativer Störungen in Verbindung gebracht.
Rauigkeit: Begriff aus der Psychoakustik; unterscheidet sich die Frequenz zwischen zwei Tönen um mehr als 15 Hz wird die vorher bestehende Schwebung als „rau“ oder „unschön“ wahrgenommen.
Salienz: kann mit Auffälligkeit übersetzt werden (engl. salient = auffällig, hervorstechend). In der Psychologie wird damit ein Reiz bezeichnet, der aus dem Kontext „hervorspringt“, sich deutlich abhebt von der Umgebung und so dem Bewusstsein leichter zugänglich ist.
Template brain: eine digitale Schablone eines „durchschnittlichen“ Gehirns, das durch Bildgebungsdaten von einer größeren Anzahl von ProbandInnen ermittelt wurde und als Referenz für die Lokalisierung von Gehirnstrukturen dient.
Tonchroma: Ähnlichkeit der Oktavtöne (Tonfarbe oder Helligkeit im Gegensatz zur Klangfarbe = Timbre).
Validität: Begriff aus der Statistik; zentrales Gütekriterium einer Untersuchung. Eine Untersuchung gilt dann als valide, wenn sie tatsächlich das gemessen hat, was auch gemessen werden sollte.
Wirkfaktoren: geben Auskunft darüber, welche Faktoren Einfluss auf den Therapieerfolg haben. Man unterscheidet in der Psychotherapieforschung zwischen unspezifischen Wirkfaktoren (z. B. therapeutische Beziehung, Vertrauen, Empathie) und spezifischen Wirkfaktoren (definierte Vorgehensweisen, die innerhalb eines bestimmten Therapieansatzes zur Anwendung kommen; in der Musiktherapie z. B. Ausdruck, Darstellung und Kommunikation mittels Musik).
Bildnachweis
(Quellen und Bildersteller, soweit nicht im Haupttext bereits angegeben oder von Autor bzw. Verlag)
Abb. 0.1: http://sprout022.sprout.yale.edu/mni2tal/mni2tal.html, 05.07.2018. Papademetris, X., Jackowski, M., Rajeevan, N., Okuda, H., Constable, R. T., Staib, L. H.: BioImage Suite: An integrated medical image analysis suite, Section of Bioimaging Sciences, Dept. of Diagnostic Radiology, Yale School of Medicine.
Abb. 0.2, 1.2, 1.3, 2.3, 3.1, 3.4, 4.1, 5.1, 9.1, 10.2, 12.3, 15.1: Illustration von A. Graf
Abb. 0.3, 2.1, 2.2, 5.2, 5.3, 8.1, 8.2, 11.1, 12.7, A.1, A.2, A.3, A.4, A.5, A.6: Illustration von M. Voll
Abb. 1.1, 5.5, 6.2: Illustration von U. Herbert
Abb. 1.4: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Complete_neuron_cell_diagram_de.svg, 05.07.2018. Illustration von LadyofHats, Übersetzung von NEUROtiker
Abb. 2.5: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:MBq_Hydrocephalus.jpg, 05.07.2018. Illustration von MBq
Abb. 3.2, 6.1: Illustration von I. Streisand
Abb. 7.1: Illustration von N. Lerch
Abb. 7.4, 14.1: Illustration von T. Stegemann unter Verwendung einer Vorlage von M. Voll
Teil I
1 Come on baby, light my fire – Nervengewebe
Kapitelübersicht
■Nervenzellen (Neuronen): Aufbau und Funktion
■Neuroplastizität
■Gliazellen: Typen und Aufgaben
■Grundprinzipien der Erregungsleitung
■Chemische und elektrische Informationsübertragung
■Neurotransmitter
Das menschliche Gehirn wird heutzutage gerne mit einem Computer verglichen. Diese Analogie impliziert eine logische und geplante Abfolge von Rechenschritten, die zwar höchst komplex sind und in großer Geschwindigkeit ablaufen; letztendlich können aber Computer nur bedingt mehr leisten als das, wofür sie konstruiert wurden und womit sie gefüttert wurden – daher ist diese Metapher ein wenig irreführend. Als eine Entsprechung für die Vorgänge des menschlichen Gehirns im musikalischen Bereich würde sich vielleicht das Bild des Orchesters anbieten – durch die Tätigkeit vieler hoch spezialisierter Individuen entsteht auf der Grundlage einer Partitur und durch die leitende Funktion des Dirigenten ein sinnvolles Ganzes. Das Gehirn arbeitet aber nicht wie ein klassisches Orchester, sondern eher wie eine überdimensionale New Orleans Dixieland-Brassgroup oder wie ein gigantisches Free-Jazz-Ensemble. Die Vorgänge im Gehirn ähneln eher den Prinzipien der freien Improvisation, indem mehr oder weniger unabhängig voneinander ablaufende Prozesse und Dynamiken am Ende eine Gestalt bilden. Keiner weiß am Anfang, wo die Musik hinführt. Kleine „Fehler“ stören nicht, sondern machen den Reiz und das Individuelle aus bzw. sind Ausgangspunkte für neue und kreative Lösungen.
Wenn wir uns die „MusikerInnen“ dieser freien Improvisation genauer anschauen, so finden wir zwei Typen von Zellen, die das zentrale Nervensystem (ZNS) ausmachen: Nervenzellen (Neuronen) und Stützzellen (Gliazellen). Wenn man den Vergleich der konzertierenden KünstlerInnen weiterführen will, dann sind die Neuronen die MusikerInnen auf der Bühne und die Gliazellen sind die Menschen im Hintergrund, die dafür sorgen, dass so ein Konzert überhaupt stattfinden kann: Bühnenarbeiter, Roadies, Beleuchter, Security, Hauspersonal, Management etc.
Im menschlichen Gehirn finden sich etwa 100 Milliarden Neuronen und ca. zehnmal so viele Gliazellen. Alle diese Zellen sind jeweils mit bis zu 10.000 anderen Zellen verbunden. Die Größenordnungen, mit denen wir es hier zu tun haben, werden plastischer, wenn man sich vorstellt, dass es in unserem Gehirn mehr Zellverbindungen (Synapsen) als Blätter im Amazonas-Regenwald gibt. Kann das stimmen?
BEISPIEL
Rechenbeispiel: „Das menschliche Gehirn enthält etwa 100 Milliarden Nervenzellen, das ist eine Eins mit elf Nullen. Wie viele Bäume gibt es im Amazonas? Dazu ist im Jahr 2013 eine wissenschaftliche Schätzung in der Zeitschrift Science erschienen: Rund 400 Milliarden Bäume gibt es demnach, verteilt auf 16000 Arten. Also viermal so viele wie Hirnzellen beim Menschen – aber dieser Faktor soll uns nicht weiter stören.
In dem Artikel steht nicht, wie viele Blätter jeder dieser Bäume hat. Aber eine Zahl zwischen 1000 und 10000 wäre plausibel. Und damit käme man dann tatsächlich auf einen Gesamtwert, der in der Größenordnung vergleichbar ist mit der Zahl der Synapsen im menschlichen Gehirn, nämlich zwischen 100 Billionen und einer Trillion. Der Vergleich ist also gar nicht so weit hergeholt.“
(Drösser, 2017)
Neurone weisen bestimmte Charakteristika auf, durch die sie ihren spezifischen Aufgaben und Anforderungen in idealer Weise nachkommen können und die sie von anderen Körperzellen unterscheiden (Budde & Meuth, 2003, S. 1):
1Neuronen besitzen eine elektrisch erregbare Membran.
2Neuronen können untereinander sowie mit weit entfernten → Effektororganen (z. B. inneren Organen, Drüsen oder Muskulatur) kommunizieren.
3Neuronen verfügen über Neurofilamente, d. h. spezifische Proteine des → Cytoskeletts, die für Färbungen z. B. mit Antikörpern genutzt werden können.
Bis ungefähr Anfang der 1990er-Jahre war ein weiteres Charakteristikum auf dem Dogma begründet, dass sich Nervenzellen nicht teilen könnten und somit nach der Geburt keine neuen Nervenzellen mehr entstünden. Neuere Forschungen relativieren diese Annahme jedoch und belegen, dass es bis ins Erwachsenenalter noch zur Neubildung von Neuronen in bestimmten Hirngebieten kommt. Eine dieser Regionen ist der Hippocampus, ein Hirnareal, das v. a. für die Gedächtnisbildung von Bedeutung ist.
Neuroplastizität
Unter dem Begriff Neuroplastizität werden Anpassungsprozesse im Gehirn als Reaktion auf neue Erfahrungen oder sich verändernde Lebensumstände verstanden. Diese Anpassungsprozesse finden ständig statt und können mittlerweile auf verschiedenen Ebenen nachgewiesen und sichtbar gemacht werden (vgl. Tab. 1.1). Man unterscheidet zwischen funktioneller und struktureller Neuroplastizität. Funktionelle Neuroplastizität zeigt sich in veränderten Aktivitätsmustern von Nervenzellgruppierungen (cell assemblies), strukturelle Neuroplastizität geht mit länger anhaltenden Veränderungen der weißen oder grauen Substanz im Gehirn einher. Ein Beispiel für strukturelle Neuroplastizität ist die Vergrößerung von bestimmten Arealen des Corpus Callosum – der Hauptverbindung zwischen linker und rechter Hirnhälfte – bei MusikerInnen im Vergleich zu Nicht-MusikerInnen. Diese Veränderungen in der weißen Substanz, die von einer Forschungsgruppe um Gottfried Schlaug untersucht wurden, werden als Folge des intensiven Übens interpretiert, was z. B. bei PianistInnen das Trainieren der Links-Rechts-Koordination in besonderer Weise erfordert (Schlaug, Jäncke, Huang, Staiger & Steinmetz, 1995).
Tab. 1.1: Neuroplastizität (Spitzer, 2002, S. 95)
„Der molekularbiologisch beschreibbare Prozess der Langzeitpotenzierung an Synapsen findet innerhalb von Sekunden statt und kann Stunden überdauern. […] Das Wachstum von Neuronen geschieht in Zeiträumen von Tagen, die nicht zuletzt für die Wanderung der neu entstandenen Zellen von der ‚Produktionsstätte‘ an ihren ‚Einsatzort‘ benötigt werden. Kortikale Karten ändern sich langsam innerhalb von Wochen, wobei besonders ausgeprägte Ausweitungen oder Verschiebungen von Repräsentationen (im Bereich eines Zentimeters und mehr) Jahre benötigen können.“ (Spitzer, 2002, S. 95; Hervorhebungen T. S.)
Neuronen können nach verschiedenen Kriterien unterteilt werden, z. B. nach der Größe, der Axonlänge, der Form, ihrer Funktion oder den Neurotransmittern, die sie produzieren. Eine funktionell wichtige Unterscheidung ist die nach der Richtung der Signalleitung:
■→ afferente Neurone leiten Impulse von den Rezeptoren oder peripher liegenden Nervenzellen zum zentralen Nervensystem (ZNS) hin.
■→ efferente Neurone leiten Impulse vom ZNS weg zu den Zielzellen in der Peripherie
Aufbau eines Neurons
Abb. 1.1: Struktur einer Nervenzelle (Kasten, 2007, S. 14)
Beim Aufbau einer Nervenzelle kann grob zwischen einer „Eingangsseite“ (hier kommen Signale von anderen Neuronen an) und einer „Ausgangsseite“ (hier werden Impulse weitergeleitet) unterschieden werden (s. Abb. 1.1). Die wichtigsten Bestandteile der „Eingangsseite“ sind der Zellkörper (das Zellsoma) mit dem Zellkern sowie die Dendriten. Die Dendriten sind zweigähnliche Strukturen, die mit anderen Nervenzellen in Kontakt stehen und dabei bis zu 200.000 Informationseinheiten aufnehmen können.
Die „Ausgangsseite“ wird von einem länglichen Fortsatz, dem Axon, gebildet, das Signale z. T. über große Entfernungen weiterleiten kann. Beim Menschen verbinden die längsten Axone das Rückenmark mit den Zehenspitzen; die längsten Axone beim Wal erreichen eine Länge von ca. 20 Metern.
Um die elektrische Signalübertragung effektiver zu machen, ist ein Teil der Axone mit einer „Isolierschicht“, dem Myelin, ummantelt (s. u.). Dadurch werden Übertragungsgeschwindigkeiten von 120 Meter / Sekunde möglich. Dies erlaubt es z. B. GeigerInnen, in Bruchteilen von Sekunden auf Ungenauigkeiten in der Intonation mit einer Korrektur der Fingerstellung zu reagieren.
Gliazellen
Die Gliazellen haben im Wesentlichen drei Aufgabenbereiche:
1Stützfunktion
2Ernährungsfunktion
3Elektrische und immunologische Schutzfunktion
Darüber hinaus sind Gliazellen aber auch an Prozessen der Hirnentwicklung (→ „Pruning“), der Neuroplastizität (vgl. Exkurs oben) sowie der → Neurotransmission (vgl. Tab. 1.2) beteiligt, d. h. ihre „Kompetenzen“ reichen über die Funktion eines Stützgewebes weit hinaus und müssen differenziert betrachtet werden. Die Gliazellen können in fünf Typen eingeteilt werden:
■Astrozyten („Alles-Könner“)
■Oligodendrozyten („Isolatoren“)
■Mikrogliazellen („Staubsauger“)
■Ependymzellen („Tapete“)
■Schwann-Zellen („Außenmitarbeiter“)
Die Astrozyten und die Oligodendrozyten machen den Hauptteil der Gliazellen im ZNS aus. Die Astrozyten sind die „Alleskönner“ im ZNS; sie nehmen fast den gesamten Raum ein, der nicht von Nervenzellen oder Blutgefäßen ausgefüllt wird und gewährleisten die Struktur und Stabilität des Nervengewebes. Darüber hinaus sind sie wesentlich an der Versorgung der Neuronen und an Reparaturprozessen (Glianarbe) beteiligt. Durch die Aufnahme von Kaliumionen aus dem → Extrazellulärraum tragen die Astrozyten zur Aufrechterhaltung des Membranpotenzials bei (s. u.). Durch die Aufnahme von Neurotransmittern unterstützen sie die Effektivität der synaptischen Übertragung (s. u.). Darüber hinaus sind sie auch an immunologischen Prozessen beteiligt und formen eine Barriere gegen die Ausbreitung von Infektionen im Gehirn.
Die Isolierung von Axonen durch Myelinisierung erfolgt innerhalb und außerhalb des ZNS von verschiedenen Zelltypen: Im ZNS sind dafür die Oligodendrozyten zuständig, außerhalb, im peripheren Nervensystem (PNS), wird das Myelin von Schwann-Zellen gebildet. Während innerhalb des ZNS praktisch alle Axone myelinisiert sind, kommen im PNS auch nicht-myelinisierte Axone vor, beispielsweise für die Fortleitung von Eingeweideschmerzen.
BEISPIEL
Klinisches Beispiel Gliome: Im Gehirn unterscheidet man primäre (oder hirneigene) Tumore von sekundären Tumoren, die durch Metastasierung von Tumoren in anderen Organen des Körpers entstehen. Die primären Tumore gehen von hirneigenen Strukturen aus und entwickeln sich vermutlich aus neuronalen oder glialen Stammzellen. Bei Gliazellen – im Unterschied zu den Neuronen – findet ständig eine Zellerneuerung statt. Aus diesem Grund gehören Tumoren glialen Ursprungs zu den häufigsten hirneigenen Tumoren: Gliome machen mit vier bis fünf Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner / Jahr ca. 40 % der hirneigenen Tumoren aus.
Zu den Allgemein-Symptomen von Hirntumoren gehören Kopfschmerzen, epileptische Anfälle (wichtigstes Frühsymptom) sowie Antriebsstörung, affektive Verflachung, Desinteresse und Verlangsamung (neuropsychologische Auffälligkeiten). Daneben entwickeln sich im weiteren Verlauf sogenannte Herd- oder fokale Symptome, die sich je nach Lokalisation des Tumors unterscheiden: So kann es beispielsweise bei Tumoren im Hirnstamm zu Hirnnervenlähmungen kommen (s. Kap. 2).
Myelin
Die Markscheiden sogenannter markhaltiger Nervenzellen werden aus Myelin gebildet (s. Abb. 1.1). Myelin ist ein Fett-Eiweiß-Gemisch, das von spezialisierten Gliazellen (s. o.) produziert wird und der elektrischen Isolierung von Axonen dient. Dadurch wird die Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) deutlich erhöht (60–120 m / s im Vergleich zu marklosen Nervenfasern mit einer NLG von 0,5–2 m / s).
BEISPIEL
Klinisches Beispiel Multiple Sklerose: Die multiple Sklerose (MS) ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen des jungen Erwachsenenalters. Bei der MS handelt es sich um ein schubförmig oder chronisch progredient verlaufendes Krankheitsbild bislang ungeklärter Ätiologie. Chronisch-entzündliche Prozesse führen zu einer sog. „Entmarkung“, also zu einer zunehmenden Zerstörung der Myelinscheiden im ZNS. In der Folge kommt es u. a. zu Lähmungserscheinungen (Paresen), Sensibilitäts- und Koordinationsstörungen. Darüber hinaus können viele unterschiedliche und z. T. unspezifische Symptome auftreten (wie z. B. Schmerzen, psychische Veränderungen, Sehstörungen), die für den Verlauf, die Krankheitsverarbeitung und die Lebensqualität von großer Bedeutung sind.
Musikmedizinische und musiktherapeutische Ansätze werden zunehmend in der Behandlung von MS-PatientInnen eingesetzt und beforscht. Positive Effekte zeigen sich u. a. in der Verbesserung motorischer Leistungen, kognitiver Funktionen sowie der Stimmung und der Lebensqualität (Moumdjian, Sarkamo, Leone, Leman & Feys, 2017; Raglio et al., 2015; Seebacher, Kuisma, Glynn & Berger, 2017; Thaut, Peterson, McIntosh & Hoemberg, 2014).
Saltatorische Erregungsleitung
Abb. 1.2: Signalweiterleitung an Axonen (nach Birbaumer & Schmidt, 2010, S. 44)
Eine weitere Zunahme der Nervenleitgeschwindigkeit wird durch den Mechanismus der „Saltatorischen Erregungsleitung“ erzielt (s. Abb. 1.2). Hierbei „überspringt“, wie die Bezeichnung bereits verrät (lat. saltare = springen), der elektrische Impuls einzelne Abschnitte des Axons (Internodium). Diese Abschnitte werden von Ranvier-Schnürringen (benannt nach dem französischen Anatomen Louis-Antoine Ranvier) begrenzt (s. auch Abb. 1.1). An diesen Stellen ist die Isolierung unterbrochen und das Signal kann fast verlustlos weitergeleitet werden.
Nerven und Bahnen
Im peripheren Nervensystem (PNS) werden Signale über Nerven vermittelt, vergleichbar mit Datenkabeln. Diese Nerven bestehen aus Bündeln von Nervenfasern; jede davon aus Axon und Hüllstruktur. Im zentralen Nervensystem (ZNS) werden diese Verbindungen als Bahnen (Tractus) bezeichnet. Im PNS enthalten Nerven typischerweise sowohl afferente als auch efferente Fasern; man spricht dann von einem gemischten Nerv. Diese Fasern können myelinisiert oder unmyelinisiert sein. Wie bei einem Stromkabel werden einzelne Fasern und Faserbündel von verschiedenen Hüllstrukturen eingefasst. Die einzelnen Nervenfasern sind vom Endoneurium umhüllt. Das Perineurium fasst mehrere Fasern zu Faserbündeln zusammen und besteht aus straffem Bindegewebe. Die äußere Hülle eines Nerven, die die Nervenfaserbündel (Faszikel) und die Blutgefäße zusammenhält, wird als Epineurium bezeichnet.
Elektrische und chemische Informationsübertragung
Es gibt im Wesentlichen zwei Formen der Informationsübertragung im Gehirn: Eine elektrische und eine chemische. Innerhalb einer Nervenzelle werden Signale als elektrische Impulse weitergegeben – man spricht hier von Aktionspotenzialen (umgangssprachlich: Die Neuronen „feuern“). Bei den Aktionspotenzialen handelt es sich um eine kurzfristige Ladungsumkehr des Membranpotenzials, welche in erster Linie durch den Einstrom von Natrium-Ionen ausgelöst wird (Depolarisation). Durch den Ausstrom von Kalium-Ionen wird der Ausgangszustand, das Ruhepotenzial, wiederhergestellt (Repolarisation). Die Auslösung eines Aktionspotenzials folgt dem „Alles-oder-nichts-Prinzip“, d. h. sobald die jeweilige Schwelle überschritten ist, wird ein Aktionspotenzial ausgelöst; bleibt das Signal jedoch unterhalb der erforderlichen Amplitude, wird kein Impuls weitergeleitet (s. Abb. 1.3).
Der zweite wichtige Mechanismus bei der Informationsübertragung ist die chemische Signalweitergabe zwischen zwei Zellen. Der Kontaktbereich zwischen zwei Zellen wird als Synapse bezeichnet (s. Abb. 1.4).
Synapsen können Axone untereinander verbinden (axoaxonal), sie können zwischen einem Axon und einem Dendriten bestehen (axodendritisch) oder sie können sich direkt am Zellkörper befinden (axosomatisch). Die Synapse besteht jeweils aus der präsynaptischen Endigung (einer Auftreibung am Ende des Axons), dem synaptischen Spalt und der postsynaptischen Membran mit spezialisierten Rezeptoren. Die präsynaptische Endigung enthält Bläschen (Vesikel), die Botenstoffe (Neurotransmitter) enthalten.
Abb. 1.3: Aktionspotenzial (nach Menche, 2016, S. 130)
Abb. 1.4: Nervenzelle mit Synapsen (Wikimedia: LadyofHats)
Durch ein Aktionspotenzial, das über das Axon die präsynaptische Endigung erreicht, wird der Impuls zur Entleerung der Vesikel in den synaptischen Spalt vermittelt. Daraufhin werden die Botenstoffe ausgeschüttet und binden an den passenden Rezeptoren auf der postsynaptischen Membran. Durch das „Andocken“ der Botenstoffe nach dem „Schlüssel-Schloss-Prinzip“ kann wiederum ein Aktionspotenzial ausgelöst werden und das Signal wird in der nächsten Zelle weitergeleitet. Hieran wird deutlich, dass elektrische und chemische Übertragungsmechanismen Hand in Hand arbeiten und sich ergänzen. Die Transmitterwirkung ist zeitlich begrenzt: In der Regel werden die Botenstoffe in die präsynaptische Zelle wiederaufgenommen (eine Art Recycling; engl. re-uptake), oder sie werden durch spezielle Eiweißstoffe (Enzyme) aufgespalten und damit „unschädlich“ gemacht.
Neurotransmitter können abhängig von den Rezeptoren, auf die sie treffen, eine erregende (exzitatorische) oder eine hemmende (inhibitorische) Wirkung entfalten. Die Prozesse, die an der postsynaptischen Membran ablaufen, sind z. T. sehr komplex. Folgende Kriterien muss ein Molekül erfüllen, um als Neurotransmitter zu gelten:
1Das Molekül muss im präsynaptischen Neuron synthetisiert und gespeichert werden.
2Das Molekül muss nach einer Stimulation aus der präsynaptischen Axonterminale freigesetzt werden.
3Das Molekül muss bei künstlicher Anwendung im Experiment eine Reaktion in der postsynaptischen Zelle hervorrufen, die der Reaktion entspricht, die bei der natürlichen Freisetzung des Neurotransmitters durch das präsynaptische Neuron entsteht. (Bear, Connors & Paradiso, 2012, S. 151).
Die wichtigsten Neurotransmitter sind in Tabelle 1.2 beschrieben:
Tab. 1.2: Übersicht der wichtigsten Neurotransmitter
ZUSAMMENFASSUNG
Wenn man sich das Gehirn als ein gigantisches Free-Jazz-Ensemble vorstellt, dann sind die Neuronen und die Gliazellen die ProtagonistInnen, die die Musik machen bzw. für das „Drumherum“ sorgen. Neuronen haben einen spezifischen Aufbau (Zellkörper, Axon, Dendriten) und unterscheiden sich von anderen Körperzellen z. B. dadurch, dass sie eine elektrisch erregbare Membran besitzen. Die ca. 100 Milliarden Nervenzellen im menschlichen Gehirn sorgen für den Austausch und die Speicherung von Informationen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist auch die Neuroplastizität – darunter versteht man die Fähigkeit von Neuronen, sich auf funktioneller und struktureller Ebene an veränderte Anforderungen zu adaptieren. Kognitive Vorgänge wie Lernen und Gedächtnisbildung beruhen auf neuroplastischen Mechanismen.
Gliazellen (z. B. Astrozyten und Oligodendrozyten) haben Stütz-, Ernährungs- und Schutzfunktionen und sind u. a. für die Bildung des Myelins zuständig. Myelin ist ein Fett-Eiweiß-Gemisch, das der elektrischen Isolierung von Axonen dient und damit die Nervenleitgeschwindigkeit deutlich erhöht.
Die Informationsweiterleitung im Gehirn und im peripheren Nevernsystem erfolgt sowohl elektrisch (Stichwort: Saltatorische Erregungsleitung) als auch chemisch (Stichworte: Synaptischer Spalt, Neurotransmitter). Neurotransmitter sind Botenstoffe des Nervensystems, die erregend (exzitatorisch, z. B. Glutamat) oder hemmend (inhibitorisch, z. B. GABA) wirken können. Weitere wichtige Neurotransmitter sind Dopamin und Serotonin, die auch im Zusammenhang mit der stimmungsaufhellenden Wirkung von Musik eine wichtige Rolle spielen.
Weiterführende Literatur:
Chanda, M. L. & Levitin, D. J. (2013). The neurochemistry of music. Trends in Cognitive Sciences, 17(4), 179–193.
Menche, N. (Hrsg.). (2016). Biologie – Anatomie – Physiologie (8. Aufl.). München: Urban & Fischer.
Pape, H.-C., Kurtz, A. & Silbernagl, S. (Hrsg.). (2018). Physiologie (8. Aufl.). Stuttgart: Thieme.
Zilles, K. & Rehkämper, G. (1998). Funktionelle Neuroanatomie (3. Aufl.). Berlin: Springer.
Wiederholungsfragen zu Kapitel 1
1 Aus wie vielen Neuronen besteht das menschliche Gehirn?
2 Welche Zelltypen sind die „Protagonisten“ des Nervengewebes?
3 Was zählt zu den besonderen Kennzeichen von Nervenzellen?
4 Was versteht man unter Neuroplastizität?
5 Welche Aufgaben haben Gliazellen?
6 Welchen Zweck erfüllt die Myelinscheide des Axons?
7 Was passiert mit den Nervenzellen im ZNS bei Multipler Sklerose?
8 Was meint der Begriff „saltatorische Erregungsleitung“?
9 Woraus setzt sich ein Nerv zusammen?
10 Welche Mechanismen liegen dem Ruhe- und Aktionspotenzial zugrunde?
11 Beschreiben Sie den Aufbau einer Synapse.
12 Was versteht man unter Neurotransmittern?
13 Nennen Sie die beiden Funktionsmechanismen von Neurotransmittern und geben Sie jeweils ein Beispiel.
2 Check my brain – Aufbau und Funktion des Gehirns
Kapitelübersicht
■Historisches: Phrenologie
■Gliederung des Gehirns
■Graue und weiße Substanz
■Aufbau und Funktion von
–Großhirn
–Kleinhirn
–Zwischenhirn
–Hirnstamm
■Blutversorgung des Gehirns
■Liquorräume und Ventrikelsystem
Historisches: Phrenologie
Eine alte Redensart lautet: „Man kann den Menschen nur vor den Kopf gucken“ (anstatt hinein), soll heißen, man kann sich nie sicher sein, was in dem Gehirn einer anderen Person vor sich geht. Wie faszinierend und verlockend musste daher die Behauptung des Wiener Arztes Franz Joseph Gall gewesen sein, man könne von der Schädelform eines Menschen auf dessen Charakter schließen. Diese Vorstellung elektrisierte die Wiener Gesellschaft Ende des 18. Jahrhunderts und führte dazu, dass das „Köpfe-Abtasten nach Doktor Gall“ bald zu einer Art „modischen Gesellschaftsspiels“ (Schott, 2002, S. 1188) wurde, welches Kaiser Franz II. schließlich dazu nötigte, dem Treiben ein Ende zu setzen und die Verbreitung der Lehren des „Doctor Medicinä Gall“ zu verbieten:
„Da über diese Kopflehre, von welcher mit Enthusiasmus gesprochen wird, vielleicht manche ihren eigenen Kopf verlieren dürften, diese Lehre auch auf Materialismus zu führen, mithin gegen die ersten Grundsätze der Religion und der Moral zu streiten scheint, so werden Sie diese Privatvorlesungen allsogleich […] verbieten lassen (zitiert nach Düweke, 2001, S. 53).