JOHN BRUNNER

 

 

 

DER SCHOCKWELLENREITER

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

Inhalt

 

 

Zitate

Erster Teil: Grundkurs im Durchmogeln

Gedanke zum Tage

Methode zur Daten-Reschablonstruktion

Zum Zwecke der Identifikation

Katz und Maus

Kleiner Gewinn im Bauch des großen Wals

Pause

Kleine Delphilogie

Anlass für einen Mühlstein

Strom & Licht verdrießt man nicht

Zeitraffer

Umzugstag, warm und bedeckt

Die erreichte Stufe

Menschliches Talent

Zum Zwecke der Re-Identifikation

Bestellt und abgeholt

Verkauft an den Mann ganz oben

Programmstörung

Paradoxon: Nützlich wie ein Kropf

Einstöpselung

Zwischen 500- und 2000mal am Tag

Live-Rückblende

Bekannte Faktoren der Ursache von Haflingers Desertion

Die Maschen des Netzes

Goldene Mitte – sagt man

Empfang heute von durchschnittlicher Qualität

Unter den beliebtesten Fernsehreklamen

Die Königreiche der Erde

Pirsch

Vgl. Jesaja 8,10

Jahreswechsel

Zwischenbericht

Unentrinnbarkeit

Der Beweis seines Mutes

Zweiter Teil: Das Delphi-Coracle

Den Mann auf der Straße in seiner Schlichtheit hat keiner dieser Hämmer jemals aufgeschreckt

Ararat

Am Anfang war die Herde

Lasst uns alle anders so sein wie ich

Die richtige Sache aus dem falschen Grund

Gut gemauert ist halb gewonnen

Metonymie

Spiel ins Blaue

Eine Anzahl von Kristallkugeln

Gewittrige Zuflucht

Heutiges Sonderangebot

Sind das Sie?

Ein Schlag ins Kontor

Fortsetzungsroman

Dublette

Eine Schulter zum Weinen für die Welt

Nebengespräch

Die Zahnräder eines Rätsels

Die Wohnlichkeit des Liebenswerten

Der Niedergang der repräsentativen Regierungsform

Und die Liebenswürdigkeit des Wohnlichen

Abfuhr

Undichte Stelle

Langsamer Wechsel in den schnellen Gang

Grund zur Klage

Ernster Fall

Ignorantia nihil excusat

Zusammenbruch der starken Männer

Großzirkus

Klarstellung von Ansichten

Gewalt im Medium

Schwert, Maske und Netz

Der nächste in der Reihe

Dritter Teil: Zeugung des Denkergeschlechts

Vorschlag

Das Wesentliche der Sache

Ein Fall von verhafteter Entwicklung

Differenzierung

Ja, Mr. Kelly, ging es dabei um irgendwas?

Ich bin

Spieglein, Spieglein

Wer sein Hartz voll hat, dem geht der Mund über

Auszug aus dem Nachrichtenteil

Atavismus

Von neuem zu gedeihen begonnen

In der Verflüchtigung begriffen

Der Einfluss des Ausflusses

Lass den falschen Kopf nicht wissen, was der richtige tut

Zum Zwecke der Desorientierung

Überwachen des Erwachens

Erdrutsch

Aktuelle Extrapolationen

Verkehrspolizisten während der Ausbildung erteilter Hinweis

Mäuse zwischen den Füßen von Elefanten

Kreuzung mit vier Ecken und Stoppschildern

Zum Zwecke der Verdunklung

Angelpunkt

Ein Fall von erblicher Hysterie

Wie man so sagt: Umstöpseln oder Abkratzen

Vorausgeworfene Schatten

Homerisch

Ausschlüpfen des Lindbandwurms

Gemeinschaftsanschluss

Der Wettlauf zwischen Kanonen und Panzerung

Eine beunruhigende Neuigkeit auf der Nachtpostspule

Eine beunruhigende Neuigkeit auf dem Kontoauszug

Eine beunruhigende Neuigkeit am Montagmorgen auf dem Schreibtisch

Eine beunruhigende Neuigkeit auf einer Kosmetikapackung

Eine beunruhigende Neuigkeit auf einer Büchse Güldentreu-Gulasch

Eine beunruhigende Neuigkeit auf einem mtl. Abbuchungsbeleg

Eine beunruhigende Neuigkeit auf einem Mahnschreiben des Finanzamts

Eine beunruhigende Neuigkeit aus dem Kommunikator

Das Resultat des Wettrennens zum Denkergeschlecht (Computert)

Der ganze Kontinent am Rande von Abgrundsdorf

Und die Wahrheit wird dich zu dir selbst erheben

Gefährliche Belagerung

Abendlicher Botengang

Gut ausgestattet

Konzil der Vollendung

Einer der Faktoren, die im Zusammenbruch der Regierung gipfelten

Radikaler Durchschnitt

Auf des Messers Schneide

Die Front des härtesten Widerstandes

Ende – aber noch nicht alles gut

Die Vorschläge im Wortlaut

Das Ergebnis des Volksentscheids

Nachwort von Klaus W. Pietrek

 

 

 

 

»Als John Brunner sich an mich wandte und mir seine Absicht mitteilte, dieses Buch zu schreiben, war ich fasziniert – doch ich fragte mich, wie er, oder sonst ein Autor, mit diesem Thema zu Rande kommen wollte. Er ist damit zu Rande gekommen – mit kühler Brillanz. Ein Held mit wechselnden Persönlichkeiten, Tiere, die eine Seele haben, Brutstätten für Eierköpfe und neuartige Überlebensgemeinschaften fügen sich ineinander zu einer plausiblen und so lebendigen Zukunft, dass sie mich immer wieder tief betrifft.«

Alvin Toffler, Autor

von Der Zukunftsschock

 

 

»Brunner schildert die Zukunft, als lebten er und seine Leser bereits in ihr.«

The New York Times Book Review

 

 

»Der beste Roman Brunners seit Stand on Zanzibar. Eins der besten Bücher des Jahres. Ganz besonders empfehlenswert!«

Locus

 

 

»Dieses intelligent geschriebene Buch ist unwiderstehlich.«

Booklist

 

 

 

ERSTER TEIL

 

 

 

GRUNDKURS IM DURCHMOGELN

Gedanke zum Tage

 

Nimm sie am kleinen Finger, und sie machen dir die Hölle heiß.

 

 

Methode zur Daten-Reschablonstruktion

 

Der Mann im ungepolsterten Metallstuhl war so nackt wie die Wände des Zimmers. Man hatte seinen Kopf und auch den gesamten Körper vollständig rasiert; nur die Wimpern waren geblieben. An einem Dutzend Stellen seines Schädels hielten kleine Streifen von Heftpflaster Sensoren fest, ebenso an den Schläfen nahe der Augenwinkel, an beiden Seiten des Mundes, an seiner Kehle, überm Herzen, dem Solarplexus und an allen wichtigen Ganglien bis hinab zu den Knöcheln.

Von jedem Sensor führte eine Leitung, fein wie Sommerfäden, zum einzigen Gegenstand, wovon sich – außer dem Metallstuhl und zwei Sesseln, beide weich gepolstert – sagen ließ, dass er den Raum in Beschlag nahm. Dabei handelte es sich um eine Konsole zur Datenanalyse von ungefähr zwei Metern Breite und eineinhalb Metern Höhe, deren abgeschrägte Oberseite Bildschirme und Signallämpchen aufwies; von einem der Polstersessel aus ließ die Anlage sich leicht bedienen.

Außerdem gab es in dem Raum an verstellbaren Gestängen, die aus der Rücklehne des Metallstuhls ragten, Mikrofone und eine 3d-Fernsehkamera.

Der Geschorene war nicht allein. Drei andere Personen waren ebenfalls anwesend: eine junge Frau in schickem weißen Overall, deren Aufgabe darin bestand, den Sitz der Sensoren zu überprüfen; ein Schwarzer in modischem dunkelroten Anzug mit Weste, an dessen Brusttasche eine Karte mit seinem Bild und dem Namen Paul T. Freeman geklammert war; und ein untersetzter Weißer von etwa fünfzig Jahren, gekleidet in Dunkelblau, den seine gleichartige Karte als Ralph C. Hartz bezeichnete.

Nach langer Begutachtung des gebotenen Anblicks öffnete Hartz den Mund. »Das ist also der Schwindler, der es weiter und ärger und obendrein länger getrieben hat als irgendein anderer.«

»Haflingers Laufbahn ist durchaus ein wenig eindrucksvoll«, sagte Freeman nachsichtig. »Sie haben seine Unterlagen eingesehen?«

»Natürlich. Deshalb bin ich hier. Es mag eine atavistische Anwandlung sein, aber ich konnte mich nicht davon zurückhalten, mir mit eigenen Augen den Menschen anzuschauen, der eine so verblüffende Vielfalt unterschiedlicher Personenrollen zu spielen vermochte. Man könnte wohl eher danach fragen, was er noch nicht gemacht, als danach, was er gemacht hat. Utopia-Designer, Lebensstil-Berater, Delphi-Hasardeur, ComputerSabotage-Spezialist, Systemrationalisator … und Gott weiß, was noch alles.«

»Und Priester«, ergänzte Freeman. »In diesen Bereich dringen wir heute vor. Aber am bemerkenswertesten ist nicht die Anzahl der verschiedenartigen Tätigkeiten, denen er nachgegangen ist. Am beachtlichsten ist vielmehr der Kontrast zwischen den sukzessiven Versionen seiner Selbst.«

»Aber es war doch sicherlich zu erwarten, dass er seine Spur jedes Mal so gründlich wie möglich verwischt hat?«

»Sie verfehlen den wesentlichen Punkt. Die Tatsache nämlich, dass er uns so lange entgehen konnte, lässt sich darauf zurückführen, dass er es gelernt hat, mit seinen Überflutungs-Reflexen zu leben und sie in gewissem Maße sogar einzudämmen, indem er die gleichen Sorten handelsüblicher Beruhigungsmittel einnahm, die Sie und ich verwenden, um beispielsweise den Schock eines Umzugs zu mildern, und er schluckte auch keine großen Mengen.«

»Hmm …« Hartz überlegte. »Sie haben recht. Das ist erstaunlich. Sind Sie soweit, um mit der heutigen Sitzung anzufangen? Ich habe hier im Tarnover nicht sonderlich viel Zeit zur Verfügung, müssen Sie wissen.«

»Ja, Sir«, sagte das Mädchen im weißen Plastik, ohne den Blick zu heben. »Er ist im Fertig-Status.«

Das Mädchen entfernte sich zur Tür. »Müssen Sie ihm keine Spritzen zur Aufmunterung oder so etwas geben?«, fragte Hartz unschlüssig, während er auf eine diesbezügliche Geste Freemans hin Platz nahm. »Er wirkt momentan stark ruhiggestellt.«

Freeman setzte sich im Sessel vor der Analysenkonsole bequem zurecht. »Nein, das ist keine Frage von Drogen. Wir arbeiten mit Induktionsstrom in den motorischen Zentren. Eine unserer Spezialitäten, wie ich Ihnen verraten darf. Ich brauche nur diesen Schalter zu betätigen, und er kommt zu Bewusstsein – aber natürlich nicht in dem Umfang, dass er dazu fähig wäre, etwas anzustellen. Gerade genug, dass er in genügender Ausführlichkeit antworten kann. Doch bevor ich ihn einschalte, sollte ich Sie kurz über den Einstieg informieren. Gestern habe ich Schluss gemacht, als ich an etwas geriet, was mir ein außergewöhnlich belastungsstarkes Erinnerungsbild zu sein schien, also werde ich ihn nun zum entsprechenden Zeitpunkt regressivieren und diese Einstellung wählen, so dass wir verfolgen können, was sich daraus entwickelt.«

»Was für ein Erinnerungsbild?«

»Von einem Mädchen im Alter von etwa zehn Jahren, das wie besessen durch die Finsternis läuft.«

 

 

Zum Zwecke der Identifikation

 

Gegenwärtig bin ich Arthur Edward Lazarus, Beruf Geistlicher, Alter sechsundvierzig Jahre, ledig; Gründer und Inhaber der Kirche der Unendlichen Einsicht, eines vormaligen Autokinos (und womit könnte eine Kirche ihren Anfang besser machen als mit einer erfolgreichen Bekehrung?) in der Nähe von Toledo in Ohio, das vorher schon jahrelang außer Betrieb war, jedoch weniger, weil die Leute das Kinogehen im wesentlichen eingestellt hatten – man dreht noch Filme, denn es findet sich immer eine Zuschauerschaft für die Breitwand-Pornos jener Art, die die 3dF-Programme aus den Kreisbahnen der Piratensatelliten nahezu im Handumdrehen abschmettert –, sondern mehr deshalb, weil der Standort sich auf Land befindet, das umstritten ist zwischen Billys Brüderlichen Baptisten, einer protestantischen, und den Gralsrittern, einer katholischen Rotte. Niemand ist scharf darauf, sein Eigentum einem Klüngel zuzuschlagen. Kirchen pflegen sie normalerweise aber zu respektieren, und der Einflussbereich der nächsten islamischen Rotte, den Kindern Jiads, liegt fünfzehn Kilometer weiter westlich.

Meine Code-Nummer beginnt natürlich mit 4GH, und so war es während der vergangenen sechs Jahre.

Vormerken: Herausfinden, ob es mittlerweile Veränderungen im Status eines 4GH gegeben hat, vor allem jedoch, ob inzwischen etwas Besseres eingeführt worden ist … irgendein Schuh, den man sich von Herzen gern anzieht.

 

 

Katz und Maus

 

Blind vor Kummer lief sie unter einem Himmel dahin, der von tausend zusätzlichen Sternchen prunkte, die ihn schneller umkreisten als Minutenzeiger. Die Juniluft raute ihre Kehle mit Staub auf, in ihren Beinen schmerzte jeder Muskel, auch in ihrem Leib, sogar den Armen, aber sie rannte unentwegt mit aller Kraft, die sie aufbieten konnte, immer weiter. Es war so heiß, dass ihre Tränen, die ihr aus den Augen kullerten, im gleichen Moment trockneten, da sie flossen.

Manchmal lief sie über mehr oder weniger ebenen Straßenbelag, seit Jahren nicht ausgebessert, aber noch ziemlich fest; bisweilen überquerte sie holprigen Untergrund, vielleicht einstige Gelände von Fabriken, deren Eigentümer ihre Unternehmen in den Orbit verlagert hatten, oder von Häusern, schon vor langem während irgendeiner Unruhe durch irgendeine Rotte restlos verrottet.

Voraus glommen düstere Lichter und erleuchtete Schilder, die einen Highway säumten, durch die Schwärze. Drei der Schilder wiesen auf eine Kirche hin und verhießen den eingetragenen Mitgliedern ihrer Glaubensgemeinschaft kostenfreie Delphi-Beratung.

Sie starrte wild umher und blinzelte, um ihr Blickfeld zu klären, und da sah sie eine ungeheuer große, bunte Kuppel, die wirkte, als habe jemand einen Lampenschirm aus einem Kugelfisch zu solcher Größe aufgeblasen, dass er die Maße eines Wales übertraf.

 

In angemessenem Abstand observierte sie ein Mann in einem Elektro-Auto, indem er sich an der Anzeige des Funkindikators orientierte, der im Papierkleid verborgen war, das allein sie außer Sandalen trug, und hoffte, während er immer wieder ein Gähnen unterdrücken musste, dass die Verfolgung wenigstens am heutigen Sonntag nicht zu ausgedehnt oder zu langweilig sein werde.

 

 

Kleiner Gewinn im Bauch des großen Wals

 

Hochwürden Lazarus war nicht nur das Oberhaupt seiner Kirche, er wohnte auch darin: sein Heim war ein Wohnwagen, der hinterm Kosmorama-Altar geparkt stand – früher die Projektionsfläche, zwanzig Meter hoch. Wie anders hätte ein Mann mit der Befugnis eines Geistlichen sich soviel Zurückgezogenheit und zugleich soviel Platz leisten können?

Umgeben vom Nonstop-Summen des Kompressors, der seine vielfarbige Plastikkuppel aufgeblasen hielt – dreihundert mal zweihundert Meter mal neunzig Meter in der Höhe –, saß er allein an seinem Schreibtisch im Vorderabteil des Wohnwagens, seinem winzigen Büro, und computerte das Ergebnis der heutigen Kollekte. Er hatte Grund zur Besorgnis. Seine Vereinbarung mit der Coley-Group, die zu seinen Gottesdiensten die Musik lieferte, beruhte zwar auf einem Prozentanteil, aber ein Tausender war garantiert, und der Besuch ließ mit der Geschwindigkeit nach, wie sich die Neuartigkeit seiner Kirche verschliss. Heute waren nur rund siebenhundert Menschen gekommen; es hatte nicht einmal einen Stau gegeben, als sie zurück auf den Highway fuhren.

Zudem hatte die Kollekte heute zum ersten Mal seit der Gründung der Kirche vor neun Monaten mehr Währungs-Scrips eingebracht als Bargeld. Zwar befand sich Bargeld nicht länger besonders stark im Umlauf – jedenfalls nicht auf diesem Erdteil –, außer in den Pauschalzonen, deren Einwohner von der Bundesregierung dafür Gelder bekamen, dass sie auf die kostspieligen Kinkerlitzchen des 21. Jahrhunderts verzichteten, doch wählte man eine Verbindung zu den Computern der Bundeskreditanstalten an einem Sonntag, ihrem regulären Ruhetag, bedeutete das einen hohen Gebührenzuschlag, und solche Scherze überstiegen die Mittel der meisten Kirchen, seine nicht ausgenommen. So dachte die Mehrzahl der Kirchgänger im allgemeinen daran, sich Münzen, Geldscheine oder eines der kleinen Scrip-Formularhefte, die jedes Mitglied beim Eintritt in die Glaubensgemeinschaft erhielt, in die Tasche zu stecken.

Der Verdruss mit all diesen Scrips war jedoch – wie er aus traurigen Erfahrungen wusste –, dass mindestens die Hälfte davon, wenn er sie morgen seiner Bank eingereicht hatte, mit dem Vermerk UNGEDECKT zurückkommen würde – und je höher der Betrag der Spende, um so höher auch die diesbezügliche Wahrscheinlichkeit. Einige dieser Fetzen stammten von Leuten, die bereits so hoch und aussichtslos verschuldet waren, dass ihnen die Computer alle Ausgaben für Lebensunwichtiges gestrichen hatten; jede neue Kirche lockte unweigerlich zahlreiche Schockgeschädigte an. Aber ein paar Leute ließen die eingegangene Verpflichtung infolge eines Familienkrachs über Nacht wieder aufheben: ›Wie viel hast du gespendet? Mein Gott, was habe ich nur getan, dass ich so einen Kropf wie dich verdiene?! Augenblicklich lässt du den Lappen sperren!‹

Manche Gläubige allerdings waren aus Unwissenheit großzügig gewesen. Er hatte einen Stapel von mehr als fünfzig Kupferdollars vorliegen, für die jede Elektronik-Firma gut dreihundert zahlte, denn das Asteroidenerz war arm an hochleitfähigen Metallen. Es war verboten, Münzen aus gültiger Währung als Schrott zu verkaufen, aber jeder tat es, und alle stellten sich so, als hätten sie auf dem Speicher einer günstig erworbenen Bruchbude alte Kochtöpfe oder beim Umgraben des Gemüsegartens stillgelegte Kabel gefunden.

Zur Zeit stand bei der Staatlichen Delphi-Börse ganz hoch die Voraussage im Kurs, die nächste Dollarmünze werde aus Plastik bestehen und eine Laufzeit von ein bis zwei Jahren haben. Na, und plus ça Kleingeld, plus c'est verfallsträchtig …

Er schob die Münzen in sein Schmelzöfchen, ohne sie zu zählen, weil nur das letztliche Gewicht des Schmelzproduktes eine Rolle spielte, dann widmete er sich der anderen Aufgabe, die er pflichtgemäß noch erledigen musste, ehe er für heute Feierabend machen konnte: Analyse der Delphi-Formulare, die seine Gemeinde ausgefüllt hatte. Es waren viel weniger als im April; seinerzeit hatte er mit vierzehn- bis fünfzehnhundert rechnen dürfen, wogegen der Input in dieser Woche kaum die Hälfte betrug. Selbst diese siebenhundert und noch ein paar Meinungen waren allerdings eine weitaus breitere Reaktion, als die meisten Individuen heutzutage zu erlangen hoffen konnten, zumal wenn sie im Schraubstock akuter Depressionen oder in irgendeiner anderen Lebensstil-Krise staken.

Nach der Definition litten alle Mitglieder seiner Gemeinde unter Lebensstil-Krisen.

Die Formulare enthielten eine Reihe kurzgefasster Problemstellungen von gängiger persönlicher Natur, jeweils gefolgt von einem leeren Feld, worin jedes Mitglied der Kirche, das seine Beiträge gezahlt hatte, einen Lösungsvorschlag eintragen konnte. Diesmal waren es insgesamt neun Punkte, ein beklagenswerter Kontrast zu jener Blütezeit im Frühling, als er die Rückseite des Formulars ebenfalls benutzte. Nun musste die Mundpropaganda schon auf dem laufenden sein: »Letzte Woche gab's nur neun Fragen zu delphen, da gehen wir am nächsten Sonntag doch lieber zu …«

Was ist das Gegenteil eines Schneeballs? – Ein Tauball?

Obwohl seine ursprünglich großen Hoffnungen enttäuscht worden waren, stand sein Entschluss fest, alle erforderlichen Maßnahmen korrekt abzuwickeln. Sich selber war er das schuldig, auch jenen, die regelmäßig seine Gottesdienste besuchten, vor allem aber denjenigen, deren Schreie der Qual aus tiefstem Herzen bisher durch diesen Kanal Gehör gefunden hatten.

Punkt A der Aufstellung konnte er unbeachtet lassen. Er hatte ihn sich lediglich als saftigen Köder ausgedacht. Es gab keinen Skandal jener Art, womit es den Medien vielleicht einmal wieder gelingen mochte, die Aufmerksamkeit der Menschen zu erregen. Der Köder bestand aus der vagen Hoffnung, es könne ihnen eines baldigen Tages eine bestimmte Nachrichtenmeldung auffallen, und sie wären dazu imstande, zueinander zu sagen: ›Hört mal, das Bit über den Sausack, den man abgeknallt hat, weil er mit seiner Tochter herumsaute – erinnert ihr euch noch, dass wir diesen Fall in der Kirche computert haben?‹

Ein blaues Band zum Gestern, dünn und flattrig, aber kostbar.

Mit schiefem Grinsen las er noch einmal, was er ausgeheckt hatte: Ich bin ein vierzehnjähriges Mädchen. Mein Vater ist dauernd betrunken und will ständig seinen Pimmel in mich reinschieben, und zum Trinken verbraucht er soviel Kredit, dass ich nie welchen habe, um meine Sachen zu bezahlen, und man hat mir wieder abgeholt, was ich …

Die Reaktionen waren auf ermüdende Weise vorhersehbar. Das Mädchen solle sich ans Gericht wenden und für volljährig erklären lassen, es solle das sofort seiner Mutter sagen, es solle seinen Vater anonym anzeigen, ihm durch einen Arzt den Kredit sperren lassen, von Hause abhauen und in ein Teenager-Haus ziehen; usw. usf.

»Herrgott!«, sagte er laut in die Luft. »Würde ich einen Computer auf meine Beichtkabine programmieren, bekämen die Leute bessere Ratschläge!«

Nichts an diesem Projekt entwickelte sich auch nur im entferntesten so, wie er es sich erhofft hatte.

Überdies umfasste der nächste Punkt eine echte Tragödie. Wie sollte man einer noch jungen Frau, über dreißig, Elektronikerin mit Berufserfahrung, bloß helfen, nachdem sie im Rahmen eines Vertrages mit sechs Monaten Dauer zu einem Orbital-Unternehmen gegangen war und zu spät entdeckte, dass sie anfällig war für Osteokalkolyse – dem Verlust von Kalzium und anderen Mineralien aus dem Skelett unter Null-G-Bedingungen –, die diese Stellung aufgeben musste und nun in der Gefahr schwebte, sich die Knochen zu brechen, wenn sie nur fehltrat? Ohne ihr eine Gelegenheit zur Rechtfertigung einzuräumen, hatte ihr Berufsverband sie als Vertragsbrüchige eingestuft. Sie konnte die Rehabilitation nicht einklagen, solange sie nicht zu arbeiten vermochte, um einen Rechtsanwalt bezahlen zu können, und sie durfte nicht arbeiten, solange der Verband es ihr untersagte, und sie … rundherum und immer rundherum und rundherum.

Es gibt ganz schön viel neues Elend in unserer Schönen Neuen Welt!

Er seufzte, stieß die Formulare zu einem säuberlichen Stapel auf und legte sie zur Endbearbeitung und Beurteilung unter die Abtasterlinse seines Tisch-Computers. Für so wenig Unterlagen lohnte es sich nicht, Computer-Zeit beim öffentlichen Computer-Netz zu mieten. Zum Summen des Kompressors gesellte sich das Schwupp-schwupp der Plastikfinger des Papiersortierers.

Der Computer war aus Zweithand erworben und ein nahezu veraltetes Modell, aber die meiste Zeit arbeitete er noch. Und so, vorausgesetzt ihn befiel über Nacht kein Defekt, durften die schüchternen Kinder und besorgten Eltern, die wohlhabenden, aber unerklärlicherweise unglücklichen mittleren Jahrgänge sowie die von Einsamkeit und Verzweiflung geplagten alten Nonnen, sobald sie zurückkamen, um sich ihre Ration an geistlichem Beistand abzuholen, pro Nase mit einem papiernen Strohhalm heimwärts ziehen, einer beglaubigten Erinnerung an die Zeiten altmodischer absoluter Autorität: der Balken im Blattgoldimitat-Druck verkündete, dass es sich um eine authentische, legale Delphi-Einschätzung auf der Grundlage von Beratungseingaben durch nicht weniger als __________* hundert Personen handelte (* Zutreffende Anzahl einsetzen; Dokument ungültig, falls unter 99 Personen.), eingereicht mit eidesstattlicher Erklärung/notarieller Beglaubigung/abgegeben in Gegenwart eines volljährigen Zeugen** (**Nichtzutreffendes bitte streichen!) am __________ (Tag) __________ (Monat) __________ (Jahr).

Ein billiges kleines Behelfsmachwerk, Andenken an seinen gescheiterten Plan, seine Gemeinde langsam in einen eigenen, gezähmten CIMA-Pool umzuwandeln, um sich den richtigen Standpunkt zu verschaffen, wovon aus er die Erde aus den Angeln heben konnte. Inzwischen besaß er darüber Klarheit, dass er seine Zelte am falschen Ort aufgeschlagen hatte, aber er empfand noch immer einen leichten Schmerz, wenn er sich an seine Ankunft in Ohio erinnerte.

Aber möglicherweise war es ihm wenigstens gelungen, ein paar Menschen von Drogen, vom Freitod oder Mord zurückzuhalten. Wenn es auch zu sonst nichts brauchbar war, erweckte eine Delphi-Urkunde beim Empfänger doch immerhin den unterbewussten Eindruck: Ich bin durchaus etwas wert, denn hier steht's ja schwarz auf weiß, dass sich Hunderte von Leuten mit meinen Sorgen beschäftigt haben!

Und indem er den unabsichtlichen Rat des Kollektivs einholte, hatte er an der Staatlichen Delphi-Börse ein paar überaus ergiebige Coups zustande bringen können.

 

Das Tagewerk war getan. Aber als er das Wohnabteil des Wohnwagens betrat, stellte er fest, dass ihm nicht im geringsten danach zumute war, schon zu schlafen. Er überlegte, ob er jemanden zu einer Runde Mauern anrufen solle, bis ihm einfiel, dass auch der letzte aktive Spieler von allen in der Umgebung, mit denen er kurz nach seinem Zuzug Kontakt aufgenommen hatte, gerade verzogen war, und um 23 Uhr war es bereits zu spät, um mit einem Anruf beim Ohio-Landesverband der Mauern-Aktivisten zu versuchen, einen anderen Spieler vermittelt zu bekommen.

Folglich blieb die Spielfläche gemeinsam mit dem Telestrator-Stift und dem Punktezähler zusammengerollt in der Röhre. Er erlegte sich eine Stunde unverfälschtes 3dF auf.

Im Überschwang impulsiver Großherzigkeit hatte ihm einer der ersten Anhänger seiner Kirche ein gräulich teures Geschenk gemacht, einen Monitor, den er mit seinem Geschmack programmieren konnte, so dass das Gerät automatisch ein dementsprechendes Programm wählte. Er ließ sich in einen Sessel sacken und schaltete den Monitor an. Prompt erhellte sich der Bildschirm, und er sah sich dazu aufgefordert, die Oppositionspartei auf Jamaika darüber zu beraten, was sie gegen den auf der Insel weitverbreiteten Hunger unternehmen könne, das es ihr gleichzeitig ermögliche, die Regierungspartei bei den nächsten Wahlen abzulösen. Gegenwärtig ballte sich das Schwergewicht der Meinungsbildung um den Vorschlag zusammen, man solle ein Transportluftschiff kaufen und die am schlimmsten betroffenen Gebiete aus der Luft mit Packungen von Syntho-Nahrung versorgen. Bisher hatte anscheinend noch niemand darauf hingewiesen, dass die Kosten für ein brauchbares Luftschiff eine siebenstellige Summe betragen würden und Jamaika wie gewöhnlich nichts anderes war als bankrott.

Bloß heute Abend nicht so etwas! Ich kann nicht noch mehr Schwachsinn verkraften!

Doch als er diese Wahl verwarf, verdunkelte sich der Bildschirm. Sollte es in all den mannigfaltigen Programmen des 3dF nichts von irgendwelchem Interesse für Hochwürden Lazarus geben? Er schaltete den Monitor ab und auf Handbedienung um.

Als erstes geriet er an eine Coley-Group, die Haut voller blauer Schminke und Federn im Haar; sie spielte keine Instrumente, sondern tänzelte zwischen unsichtbaren Säulen aus schwachen Mikrowellen umher und erzeugte dadurch Disturbanzen, die ein Computer in Klänge umsetzte … im hoffnungsvollsten Fall in Musik. Die Angehörigen dieser Gruppe waren lahm und linkisch, ihr Auftritt war in der Koordination ganz erbärmlich. Seine Amateurgruppe, die aus jüngst von der Mittelschule gekommenen Halbwüchsigen bestand, war viel besser darin, die Tonart zu halten und beim Grundakkord zu bleiben.

Er wechselte das Programm und erhielt ein Klatschmagazin geboten, das unbeweisbare und von Voreingenommenheit gefärbte Gerüchte verbreitete – gegen die ein Betroffener infolge der computerisierten Edition keine rechtlichen Schritte einleiten konnte –, nur zum Zweck ausgebrütet, um die Menschen abzuwiegeln, indem man sie in ihrer Überzeugung bestärkte, es sei überall in der Welt tatsächlich so schlimm wie sie ohnehin vermuteten. In El Paso, Texas, war der Name des Bürgermeisters gefallen, nachdem ein Mann verhaftet worden war, der einen illegalen Delphi-Pool betrieben hatte, bei dem man Wetten über die Zahlen von Toten, Brüchen der Gliedmaßen und Augenverlusten anlässlich von Hockey- und Fußballspielen abschließen konnte; nicht der Pool per se galt als sittenwidrig, sondern man bezeichnete ihn als illegal, weil er weniger als die gesetzlich vorgeschriebenen fünfzig Prozent der Einsätze aller Gewinner ausbezahlt hatte. Nun, der Name des Bürgermeisters war zweifellos in diesem Zusammenhang erwähnt worden, womöglich sogar mehrfach. Und drüben in Großbritannien hatte der Staatssekretär im Amt für Rassenhygiene Prinzessin Shirley und Prinz Jim untertänigst gebeten, doch die Schirmherrschaft über seinen Laden anzutreten, weil bekannt war, dass dies traute Paar zur Frage der Einwanderung auf das unglückselige Inselreich eine unzweideutige Haltung einnahm. Berücksichtigte man die Abwanderungsrate, mit der die Armut alle außer die Gebiete in der Nähe zum Kontinent entvölkerte, konnte man sich kaum vorstellen, dass Australier oder Neuseeländer sich davon sonderlich beeindruckt fühlten. Und stimmte es, dass in der vergangenen Woche der Fernraketenüberfall auf Touristen-Hotels der Seychellen nicht von irredentistischen Mitgliedern der Seychellischen Freiheitspartei finanziert worden war, sondern durch eine Konkurrenz-Hotelkette?

Scheiß der Hund drauf!

Als nächstes bekam er ein Manegenabenteuer vorgesetzt – wie jeder dergleichen trotz der offiziellen Bezeichnung ›Empirisches Lohn/Strafe-Experiment‹ nannte. Er musste auf jemanden von der Branchenspitze gestoßen sein – vielleicht sogar auf eine Darbietung des führenden Unternehmens, das in Quemadura (Kalifornien) seine Tätigkeit ausübte, weil es ihm dort möglich war, diese oder jene noch gültige örtliche Verordnung zu seinem Vorteil auszunutzen –, denn man verwendete lebende Tiere. Ein halbes Dutzend furchtsamer Kinder mit geweiteten Augen stand aufgereiht, um auf einem Laufsteg von nicht mehr als fünf Zentimeter Breite ein Becken zu überqueren, worin ruhelose Alligatoren sich wanden und ihre Mäuler aufsperrten. Ihre habgierigen Eltern versuchten, sie durch Anfeuerungsrufe zu ermutigen. Ein knallrotes Textfeld in der Ecke des Bildschirms besagte, dass ihnen jeder Schritt vorm ersten Ausrutscher $ 1000,– einbringen werde. Wieder schaltete er um, diesmal mit einem Schaudern.

Der benachbarte Fernsehkanal hätte frei sein müssen. Er war es nicht. Ein chinesischer Piratensatellit hatte ihn für den Versuch in Beschlag genommen, Emigranten im amerikanischen Mittelwesten anzusprechen. Es sollte eine chinesische Rotte bei Cleveland geben, hatte er gehört, oder vielleicht war's Dayton gewesen. Da er die Sprache nicht beherrschte, suchte er weitere Programme; zu sehen bekam er Werbung. Ein Werbespot rührte die Reklametrommel für eine Lebensstil-Beratung, von der er wusste, dass sie Privataufpasser für jene Klienten beschäftigte, deren Verfassung sich aufgrund der teuren Empfehlungen, die man ihnen gab, verschlechterte statt besserte; eine andere Reklame betraf ein Euphorika, das angeblich keine Abhängigkeit hervorrief, aber das war nichtsdestotrotz der Fall. Das Unternehmen, welches das Mittel auf den Markt gebracht hatte, war von der Bundesdrogenbehörde verklagt worden, aber der landläufigen Mundpropaganda zufolge hatten die Hersteller bereits mit dem Richter gemauschelt, einem ebenso verständnisvollen wie raffgierigen Mann, und die Firma legte nun – nachdem ihr Profit erwirtschaftet war – die Bereitschaft zum Abzug ihres Produktes vom Markt an den Tag, ehe es wirklich zur Verhandlung vor Gericht kam, und damit überließ sie unverdrossen einige hunderttausend weitere Drogenabhängige der Fürsorge des überbelasteten, mit zu wenig Geldern versehenen Staatlichen Gesundheitsdienstes.

Danach fand er noch einen Piratensender, australischer Herkunft, nach dem Akzent beurteilt. »Wissen Sie«, sagte ein Mädchen in einer Bekleidung aus sechs an entscheidenden Stellen verteilten Plastikseifenblasen, »würde man alle Leute mit Lebensstil-Krisen nebeneinanderlegen … also, liebe Freunde, wer bliebe dann noch übrig, um sich draufzulegen …

Das nötigte ihm immerhin ein gedämpftes Lächeln ab, und weil man selten ein australisches Programm erwischte, hatte er sich bereits halb dazu entschlossen, es sich zumindest für ein Weilchen anzuschauen, da schreckte ihn ein lautes Summen auf.

Irgendwer war in der Beichtkabine am Haupteingang. Und vermutlich in höchster Verzweiflung, wenn er um diese nächtliche Zeit kam.

Nun, zu jeder Uhrzeit gestört werden zu können, war eine der Härten, mit deren Unvermeidbarkeit er sich abfand, als er seine Kirche gründete. Er erhob sich, seufzte und schaltete die Anlage aus.

Vormerken: Könnte sich als gute Idee erweisen, mal wieder für eine Zeitlang in die TV-Szene einzusteigen. Wieder Fühlung mit den Medien aufzunehmen. Oder hat die Priesterwürde das begrenzte Quantum an Öffentlichkeit aufgebraucht, das sich ein 4GH-Inhaber innerhalb einer gewissen Zeitspanne erlauben darf? Falls nicht, wie viel kann ich mir noch leisten?

Das muss ich herausfinden. Ich muss es.

 

Er verlieh seinem Gesicht einen gütigen Ausdruck und stellte die 3d-Visifon-Verbindung zur Beichtkabine her. Er ließ Vorsicht walten. Das war keine Neuigkeit für alle, die darüber Bescheid wussten, dass beim letzten Match zwischen Billys Brüderlichen Baptisten und den Gralsrittern in der Vorwoche sieben Tote gezählt worden waren, und die Gralsritter besaßen einen Vorsprung. Wie zu erwarten; sie waren brutaler. Während Billys Brüderliche Baptisten sich gewöhnlich darauf beschränkten, ihre Gefangenen krumm und lahm zu prügeln und sie dann laufen zu lassen, so dass sie sich heimwärts durchschlagen mochten, so gut es ihnen noch möglich war, pflegten die Gralsritter die Angewohnheit, sie zu verschnüren und zu knebeln und in irgendeiner geeigneten Ruine zu verstecken, damit sie verdursteten.

Die Gefahr war gegeben, dass dieser nächtliche Ankömmling gar keines geistlichen Rates oder gar Beistandes bedurfte; vielmehr konnte es sich um jemanden handeln, der die Verhältnisse in der Kirche auskundschaftete, um seiner Rotte den Weg für einen Überfall zu ebnen. Immerhin war sie in den Augen vieler Rotten ein gottloser Schandfleck.

Doch der Bildschirm zeigte ihm ein Mädchen, das wahrscheinlich noch zu jung war, um bereits in eine der Rotten eingeführt zu sein: auf den ersten Blick nicht älter als zehn, zerzaustes Haar, die Augen gerötet vom Weinen, ihre Wangen verschmutzt von Staub, durch den Tränen ihre Rinnsale gezogen hatten. Ein Kind, das seine Fähigkeit überfordert hatte, vermutete er, eine Erwachsene nachzuahmen, das allein und furchtsam durch das Dunkel … Oh! Nein! Hier drehte es sich um eine größere, schlimmere Sache. Denn er sah, dass die Kleine ein Messer in der Hand hielt, und sowohl dessen Klinge wie auch das grüne Kleid war von einem Rot besudelt, das ganz nach frischem Blut aussah.

»Ja, meine kleine Schwester?«, fragte er in bemüht gleichmütigem Tonfall.

»Pater, ich muss beichten, oder ich komme in die Hölle«, schluchzte die Kleine. »Ich habe meine Mama gestochen … sie in Stücke geschnitten! Bestimmt ist sie tot! Ich bin ganz sicher, dass sie tot ist!«

Für einen langen Moment schien die Zeit stillzustehen. Dann sagte er zu ihr, mit soviel Beherrschung, wie er aufzubringen vermochte, was er in Anbetracht der Aufzeichnung zu ihr sagen konnte … denn obwohl die Beichtkabine selbst unantastbar war, besaß sein Visifon Verbindung zum polizeilichen Kommunikationsnetz in der Stadt, und darüber zu den drahtlosen bundesbehördlichen Monitoren in Cap Canaveral. Oder wo sonst. Mittlerweile gab es so viele davon, dass sie unmöglich alle an einem Ort stehen konnten.

Vormerken: Es wäre der Mühe wert, einmal herauszufinden, wo der Rest steckt.

»Mein Kind«, sagte er mit einer Stimme, die so barsch war wie ein Kiesweg – sich des Hohns dieser Anrede mehr denn je zuvor bewusst –, »du bist willkommen, wenn du dein Gewissen erleichtern willst, indem du dich mir anvertraust. Aber ich muss dich darauf aufmerksam machen, dass das Beichtgeheimnis außer Kraft gesetzt ist, sobald du in ein Mikrofon sprichst.«

Sie starrte sein Abbild mit solcher Eindringlichkeit an, dass er sich einen Moment lang auszumalen imstande war, wie er aus ihrem Blickpunkt aussehen musste: ein hagerer, dunkelhaariger Mann mit gebrochener Nase, in schwarzem Rock und weißem Kragen mit daran festgenähten, vergoldeten Kreuzlein. Endlich schüttelte sie den Kopf, als sei ihr Bewusstsein noch zu voll vom vor kurzem erlebten Schrecken, um einen neuen Schock verkraften zu können. Nachsichtig erklärte er ihr, was er meinte, und diesmal verstand sie ihn.

»Sie meinen«, brachte sie mühsam heraus, »dass Sie die Hachos rufen?«

»Natürlich nicht. Aber inzwischen wird man ja ohnehin nach dir suchen. Und da du deine Tat vor meinem Mikrofon gestanden hast … Kapierst du?«

Ihr Gesicht verzerrte sich; sie ließ das Messer fallen, und es prallte mit einem Klirren auf den Boden, das über die Leitung wie ein Klingen entfernter Glocken an seine Ohren drang, und einige Sekunden später war sie von neuem in Tränen aufgelöst.

»Warte dort«, sagte er. »Ich bin in einem Moment bei dir.«

 

 

Pause

 

Ein scharfer Wind, der einen Vorgeschmack auf den Winter spüren ließ, wehte über die Hügel, die Tarnover umgaben, und riss rote und goldbraune Blätter von den Bäumen, aber der Himmel war klar, die Sonne schien hell. Hartz betrachtete die Aussicht voller Bewunderung, während er in der Schlange im besten der zwanzig Restaurants dieser Einrichtung wartete, das starke Anklänge von altmodischem Luxus aufwies, bis hin zu (und einschließlich) warm und offen ausgestellten Speisen. »Herrlich«, sagte er nach einem Weilchen. »Einfach herrlich.«

»Hm?« Freeman hatte soeben an den Schläfen seine Haut in die Richtung des Hinterkopfs gedrückt, als versuche er sich auf diese Weise eine überstarke Müdigkeit aus dem Schädel zu pressen. Nun lenkte er seinen Blick hinüber zum Fenster und pflichtete Hartz bei. »Oh … ja, durchaus, glaube ich. Gegenwärtig fehlt mir leider die Zeit, um dafür die Aufmerksamkeit abzuzweigen.«

»Sie wirken übermüdet«, sagte Hartz voller Mitgefühl. »Und das wundert mich gar nicht. Man hat Ihnen eine schwere Arbeit zugeteilt.«

»Und eine langwierige. Täglich neun Stunden in Abschnitten von je drei Stunden. Man wird's allmählich satt.«

»Aber es muss getan werden.«

»Ja, getan werden muss es.«

 

 

Kleine Delphilogie

 

Man geht ungefähr folgendermaßen vor. Zuerst sucht man eine große Anzahl von Leuten heraus – wenn es sich einrichten lässt, eine sehr große Zahl –, Leute, die zwar nie etwas Gescheites über das Thema gelernt haben, über das man sie befragen will, so dass die Wahrscheinlichkeit einer vernünftigen Antwort gering ist, die jedoch ausnahmslos in der Kultur verwurzelt sind, auf die sich die Frage bezieht.

Dann bittet man sie, wie's einem gerade so einfallen mag, zu schätzen, wie viele Menschen während der großen Grippe-Epidemie nach dem I. Weltkrieg starben, oder wie viele Brotlaibe im Juni 1970 von Inspektoren der Lebensmittelhändler als zum Verzehr ungeeignet befunden worden sind.

Sonderbarerweise ergibt die Auswertung ihrer Antworten, dass deren Mehrzahl sich um die tatsächliche Zahl bewegt, wie sie in Almanachs, Jahrbüchern und Statistiken verzeichnet steht.

Das sieht aus, als ließe sich folgendes Paradoxon aufstellen: Zwar weiß niemand, was hier los ist, aber was hier los ist, weiß jeder.

 

Nun, und wenn sich das hinsichtlich der Vergangenheit bewährt, warum sollte es nicht auch bezüglich der Zukunft möglich sein? Dreihundert Millionen Menschen mit Zugang zum integrierten nordamerikanischen Daten-System sind eine ganz schön große Menge von potentiellen Beratern.

Unglücklicherweise fürchten sich die meisten davon bis zum Hosenpissen vor dem grässlichen Gespenst namens Zukunft. Wie bringt man Leute, die ganz einfach nichts davon wissen wollen, zum Mitmachen?

Bei manchen wirkt die eigene Gier, bei anderen ihre Hoffnung. Und die Mehrheit des Rests wird überhaupt keinen Einfluss auf die künftige Welt haben, soweit sie von Bedeutung ist.

Bloß gut, kann man sagen, für die Schlagerindustrie …

 

 

Anlass für einen Mühlstein

 

Drauf und dran, die sicher verschlossene Tür des Wohnwagens zu öffnen und die Alarmanlage abzuschalten, zögerte er plötzlich. Sonntag. Eine einigermaßen einträgliche Kollekte, wenn auch nicht unbedingt ein neuer Rekord. (Er schnupperte. Warme Luft. Aus dem Schmelzöfchen.) Und sie … konnte eine vorzeitig ausgereifte Schauspielerin sein … Er stellte sich einen Rottenüberfall vor, schnelle Plünderung, ehe die Hachos aufkreuzten, und zurück blieb nur eine Minderjährige, fürs polizeiliche Verhör wertlos, ein bisschen angetörnt, vor Lachen über den Erfolg ihres ›Schabernacks‹ schier hysterisch. Aufgrund dieser Überlegungen schaltete er sämtliche elektronischen Apparaturen der Kirche an, ehe er die Alarmanlage stilllegte, ausgenommen der Coley-Anlage und die automatischen Kollektorwagen. Als er den Sockel des Altars überquerte – der einstigen Projektionsfläche –, schien es, als brause ein Feuer durch den Bauch des Wals, den seine Kuppel darstellte. Lichter in allen Regenbogenfarben und obendrein ohne Verlust der Zwischentönungen leuchteten auf, während eine 3d-Automatikkamera über seinem Kopf sein Bild nicht nur in ungeheurer Vergrößerung auf die Vorderseite des Altars warf, sondern die Aufnahmen auch in einem Video-Rekorder speicherte, der unter einem Meter Beton eingebunkert lag. Wenn man ihn überfiel, konnte die Aufzeichnung als Beweis dienen. Außerdem hatte er ein Schießeisen dabei … aber das legte er sowieso nie ab.

Diese Vorsichtsmaßnahmen, wie unzureichend sie auch sein mochten, waren das Maximum dessen, was man bei einem Priester noch einsah. Mehr hätte die behördlichen Computer leicht dazu gebracht, ihn als potentiellen Paranoiker einzustufen. In solchen Dingen war man äußerst empfindlich geworden, seit im vergangenen Sommer ein Rabbi, der die Zugänge seiner ›Schul‹ vermint hatte, vor einer Bar Mitzwa den Auslöser abzuschalten vergaß. Im allgemeinen wussten die Behörden Leute mit unerschütterlichen religiösen Überzeugungen zu schätzen. Bei ihnen war die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sie irgendwelchen Staub aufwirbelten. Aber es gab Grenzen, gar nicht zu reden von Ausnahmen.

Vor ein paar Jahren hätten seine Schutzmaßnahmen noch genügt. Heute ließ ihre Mangelhaftigkeit ihn erzittern, während er das von keinen Mauern und Säulen beengte Kirchenschiff hinabschritt, dessen Ausdehnung schwarze Streifen kennzeichneten, im Laufe der Jahrzehnte von Autoreifen hinterlassen. Gewiss, der Zaun rings um die Kuppel war elektrisch geladen, außer am Durchlass zur Beichtkabine, und die Kabine selbst war bombenfest und besaß für den Fall einer Gasattacke eine separate Sauerstoffversorgung; aber trotz allem …

Vormerken: Nächstes Mal in eine Rolle schlüpfen, worin ich mehr zum Schutz von Leib und Leben tun kann. Ruhe und Frieden sind eine feine Sache, und als ich hier ankam, hatte ich sie bitter nötig. Aber so eine Einrichtung ist schlichtweg nicht dazu geeignet, von nur einer Person betrieben zu werden. Ich kann nicht jeden flüchtigen Schatten unter Beobachtung stellen, um mich zu vergewissern, dass kein flinker Satansbraten ihn als Deckung benutzt! Und da, wie ich so um mich spähe, fällt mir auf: Augen ohne Hilfsmittel?! Mit sechsundvierzig??? Unter dreihundert Millionen Menschen muss es zwangsläufig ein paar Leutchen dieser Altersstufe geben, die sich noch nie Kontaktlinsen oder eine Brille gekauft haben, vornehmlich solche, die sich so etwas nicht leisten können. Aber einmal angenommen, das Gesundheitsministerium oder irgendein pharma-medizinisches Kombinat gelangt plötzlich zu der Auffassung, es gäbe soviel Personen mittleren Alters ohne Sehhilfe, dass sich eine ausgedehnte Studie lohne? Angenommen, die Kerle im Tarnover bilden sich die Meinung, es müsse dabei ein genetischer Effekt im Spiel sein? Au weh!

Vormerken (sozusagen rot unterstrichen): Mehr ans chronologische Alter halten!

 

An diesem Punkt seiner Erwägungen betrat er die Beichtkabine – und stellte fest, dass er durch die bruchfeste, drei Zentimeter dicke Scheibe nicht das kleine Mädchen im blutbefleckten Kleid sah. Statt dessen war die Außenhälfte der Kabine von einem stämmigen blonden Mann mit einem Streifen von Blau im affig gelockten Haar besetzt, der ein modisches Hemd in Rosa und Karminrot trug und ein Lächeln der Entschuldigung zur Schau stellte. »Verzeihen Sie die Störung, Pater«, sagte er. »Allerdings ist es ein glücklicher Umstand, dass die kleine Gaila an Sie geraten ist … Übrigens, mein Name ist Shad Fluckner.«

Dieser Wichser wirkte noch zu jung, um der Vater des Mädchens zu sein: nicht älter als fünfundzwanzig, sechsundzwanzig. Andererseits kannte er aus seiner Gemeinde Frauen, die mittlerweile zum dritten oder vierten Mal verheiratet waren, und dabei mit Männern, die bis zu zwanzig Jahre jünger waren als sie. Der Stiefvater? Auf jeden Fall, warum dies Lächeln? Weil er das Kind, um das er höchstwahrscheinlich keinen Plastik-Penny gab, missbraucht hatte, um sich eine reiche, aber schauderhafte ältere Ehefrau vom Hals zu schaffen? In dieser Kabine waren schon üblere Schandtaten gebeichtet worden. »Sie sind also … äh … mit Gaila verwandt?«, erkundigte sich Hochwürden Lazarus verunsichert.

»Nicht rechtmäßig, aber nach alldem, was wir gemeinsam durchgemacht haben, könnte man wohl sagen, ich stehe ihr näher als ihre echten Verwandten. Ich arbeite für die Anti-Trauma GmbH, müssen Sie wissen. In höchst vorausschauender Weise haben Gailas Eltern, sobald sie bei ihr die ersten Anzeichen eines Abweichens vom Durchschnitt bemerkten, sie sofort für eine Vollbehandlung angemeldet. Im vergangenen Jahr haben wir ihre Infantilrivalität behoben – klassischer Fall von Penisneid, gegen ihren jüngeren Bruder gerichtet –, und gegenwärtig entfaltet sie ihren Elektra-Komplex. Mit ein bisschen Glück können wir sie bis zum Herbst auf die Popäa-Ebene hocharbeiten … Ach, da fällt mir ein – sie brabbelte etwas, dass Sie die Hachos gerufen hätten. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Sie ist in den Polizei-Computern als Non-Aktiv-Fall registriert.«

»Sie erzählte mir …« – langsam und mit Mühe – »… ihre Mutter erstochen zu haben … dass sie sie umgebracht hätte.«

»Oh, was sie anbetrifft, so hat sie's auch! Genauso wie sie's immer wollte, seit ihre Mutter sie reinlegte, indem sie sie geboren hat. Aber natürlich war das alles nur eine Vorspiegelung. Wir gaben ihr Skotophobin und schlossen sie in ein dunkles Zimmer ein, um die Mutterleibs-Nostalgie zu neutralisieren, gaben ihr eine Phallus-Waffe, um den residuellen Sexualneid zu reduzieren, und ließen dann eine Anonymperson zu ihr hinein. Als sie zustach, drehten wir das Licht an, um ihr die blutige Gestalt ihrer Mutter am Boden zu zeigen, und gaben ihr die Gelegenheit zum Fortlaufen. Mit mir auf den Fersen, versteht sich. Wir wollen ja nicht, dass ihr etwas zustößt.« Sein leicht gelangweilter Ton verriet, dass es sich dabei für ihn nur um eine von vielen Routineangelegenheiten handelte. Doch als er mit seiner Darstellung fertig war, erhellte sich seine Miene plötzlich wie bei einer prachtvollen Idee. »Hören Sie mal, Pater!« Er holte aus seiner Tasche einen Recorder. »Unsere Abteilung Öffentlichkeitsarbeit dürfte sich über jeden wohlwollenden Kommentar zu unserer Tätigkeit freuen, den Sie freundlicherweise abzugeben bereit wären. Von einem Mann im Priesterrock besäße so etwas natürlich erhöhtes Gewicht. Sie könnten ja etwas in der Art sagen, dass es vorzuziehen ist, Kinder dahin zu befähigen, dass sie ihre gewalttätigsten Regungen unter kontrollierten Bedingungen austoben, als sie im wirklichen Leben Verbrechen begehen zu lassen und dadurch ihre unsterbliche Seele zu …«

»Ja, ich weiß dazu einen Kommentar, den Sie haben können! Wenn es etwas Abscheulicheres gibt als den Krieg, dann ist es das, was Ihre Firma treibt. In der Kriegführung kennt man wenigstens Hingabe an die Sache. Doch was Sie tun, geschieht mit Berechnung, und die erfolgt überdies höchstwahrscheinlich durch Maschinen, nicht durch Menschen!«

Fluckners Kopf ruckte auf dem Hals um ein Stückchen rückwärts, als befürchte er, durch die Trennscheibe einen Nasenstüber zu erhalten. »Wir haben nichts anderes getan«, erklärte er gekränkt, »als die Wissenschaft in den Dienst der Moral gestellt. Man sieht doch auf den ersten Blick, dass …«

»Was ich vor mir sehe, ist die erste Person, die zu verfluchen ich mich jemals berechtigt gefühlt habe. Sie haben an unseren Kindern gesündigt, deshalb soll man Ihnen einen Mühlstein um den Hals hängen und Sie ins Meer werfen, wo es am tiefsten ist. Fort in die ewige Finsternis!«

Im Handumdrehen bedeckte sich Fluckners Gesicht mit roten Flecken. »Sie werden's noch bereuen, das gesagt zu haben, das verspreche ich Ihnen!« Die Wut verlieh seiner Stimme einen heiseren Klang. »Sie haben nicht nur mich beleidigt, sondern ebenso viele tausend anständige Bürger, die unserer Firma ihr Vertrauen geschenkt haben, damit wir ihre Kinder vorm Höllenfeuer retten. Dafür werden Sie büßen müssen!« Er machte auf dem Absatz kehrt und polterte zur Beichtkabine hinaus.

 

 

Strom & Licht verdrießt man nicht

 

»Ja, natürlich macht Gaila sich tadellos! Welche glücklichere Entdeckung könnte ein Kind machen, welche willkommenere Bestärkung könnte ihm widerfahren, als zu erleben, wie die bewusst geliebte, unbewusst jedoch gehasste Mutter getötet worden ist und trotzdem noch immer lebt? Wir haben das doch alles schon durchgesprochen.« Er musste sich die Stirn wischen und hoffte, man werde den Schweißfilm der Sommerhitze zuschreiben. »Dürfte ich nun einmal Ihren Apparat benutzen? Allein, wenn's recht ist. Für die Eltern ist es besser, sie erfahren von unseren Methoden nicht zuviel Einzelheiten.«

 

In einem hellen Raum mit Unterboden-Becken, dessen Wasserspiegelungen willkürlich Glanzlichter über ein ökumenisches Sammelsurium aus einem Kruzifix, einem Buddha und einer sechsarmigen Kali streute, hübsch mit Rosen geschmückt, wählte Shad Fluckner die Durchwahlnummer der Abteilung Anonyme Meldungen bei der Kontinentalen Strom & Licht AG. Als er den bekannten Summton hörte, tippte er den Code der Kirche für Unendliche Einsicht, dann eine Zahlengruppe, die das codierte Äquivalent des Begriffs Betrügerischer Missbrauch mildtätiger Spenden war, danach eine für Vermögenswerte bis zu rechtskräftigem Gerichtsurteil beschlagnahmt, wodurch man dem Priester automatisch die Kreditkarte streichen würde, und zum Schluss eine für Alle Kreditinstitut-Computer informieren.